1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein vom 11.05.2023, Az. 8 Ca 1630/22, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.
2. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer arbeitgeberseitigen außerordentlichen Kündigung wegen Arbeitszeitbetrugs und die Weiterbeschäftigung des Klägers.
Die Beklagte betreibt am Standort in C-Stadt einen Betrieb, in dem Drahtkörbe für die Verwendung in Spülmaschinen, aber auch individuelle Körbe, Roste und Gitter aus Draht hergestellt werden. Zu dem Unternehmensverbund gehören weitere Gesellschaften, so auch ein Unternehmen in den USA, welches dort die gleichen Produkte herstellt, jedoch mit dem Fokus auf polyamidbeschichtete Geschirrspülmaschinenkörbe und deren Anbauteile. Die Mitarbeiter der Beklagten, so auch der Kläger, sind und waren in der Vergangenheit zuweilen an anderen Standorten tätig, um dort zu unterstützen.
Der 1969 geborene, verheiratete und zwei Kindern gegenüber unterhaltspflichtige Kläger ist in dem Betrieb der Beklagten, in welchem regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer tätig sind, seit dem 01.09.1987 beschäftigt, zuletzt als Mitarbeiter im Bereich Wartung und Instandhaltung. Ein schriftlicher Arbeitsvertrag existiert nicht, lediglich eine Zusatzvereinbarung zum Arbeitsverhältnis vom 16.06.2008 (Bl. 5 f. d. A.). Das Arbeitsverhältnis ging aufgrund eines Betriebsübergangs am 01.07.2021 auf die Beklagte über.
Die Bruttomonatsvergütung des Klägers betrug ausweislich der Lohn-/Gehaltsabrechnung November 2022 in dem Zeitraum von Januar bis November 2022 durchschnittlich 6.631,27 € brutto.
Unter dem 03.09.2013 (Bl. 44 f. d. A.) und dem 01.10.2013 (Bl. 46 f. d. A.) wurde der Kläger „wegen mangelnder Arbeitseinstellung zur Qualität“ abgemahnt.
Der Kläger war bis zum 16.03.2022 acht Jahre Betriebsratsmitglied bei der Beklagten.
Im Jahr 2022 war der Kläger an 86 Tagen im Tochterwerk (D. USA Corp.) in , USA tätig und zwar vom 13.01.2022 bis 04.02.2022, vom 04.06.2022 bis 17.06.2022, vom 25.08.2022 bis 02.09.2022, vom 05.09.2022 bis 21.09.2022 sowie vom 10.10.2022 bis 04.11.2022.
Am 04.11.2022 erschien der Kläger um 04:37 Uhr in dem Werk in N. und erfasste seinen Arbeitsbeginn im dortigen Zeiterfassungssystem. Das System in den USA trug automatisch eine Unterbrechung von 09:00 bis 09:30 Uhr ein. Die erfasste Arbeitszeit endet um 11:30 Uhr. In der Summe wurden 6,5 Arbeitsstunden zugunsten des Klägers aufgezeichnet. Der Kläger flog am gleichen Tag nach Deutschland zurück. Die Beklagte schrieb ihm 12 Stunden Reisezeit auf seinem Arbeitszeitkonto gut.
Am 15.11.2022 fand ein Gespräch zwischen dem Kläger und dem damaligen Geschäftsführer der Beklagten K. statt.
Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 13.12.2022 (Bl. 48 ff. d. A.) zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 14.12.2022 (Bl. 51 d. A.).
Am 14.12.2022 sprach die Beklagte gegenüber dem Kläger eine außerordentliche Kündigung aus. Sie gab im Kündigungsschreiben an, der Kläger habe seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich verletzt, indem er am 04.11.2022 an dem Standort in USA Arbeitszeit erfasst habe, ohne tatsächlich eine Arbeitsleistung zu erbringen.
Gegen diese außerordentliche Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 23.12.2022 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 05.01.2023 zugestellten Kündigungsschutzklage.
Herr K. ist seit dem 01.08.2023 nicht mehr Geschäftsführer der Beklagten.
Der Kläger hat vorgetragen, es fehle am Vorliegen eines wichtigen Grundes. Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei nicht gewahrt. Er sei nach § 24 Ziff. 2 des Manteltarifvertrages vom 09.02.2018 idF. vom 31.03.2021 unter Berücksichtigung seines Lebensalters und der Betriebszugehörigkeit von mehr als 35 Jahren ordentlich unkündbar.
Er werde im Rahmen seiner Tätigkeit von der Beklagten regelmäßig für mehrere Monate im Jahr in das Tochterwerk in N. entsandt. Eine arbeitsvertragliche Grundlage für die Entsendung existiere hierbei nicht, vielmehr erfolge die Entsendung im jeweiligen Einzelfall zumeist „auf Zuruf“ ohne entsprechende Planungs- und Ankündigungsfristen. Regelmäßig erfolge seine Entsendung hierbei auf Anweisung der Beklagten mit einer Vorankündigung von gerade einmal ein bis zwei Tagen.
Während der Tätigkeit in N. in der Zeit vom 09.10.2022 bis einschließlich 04.11.2022 sei er zu keinem Zeitpunkt in einen Schichtplan/Wechselschichtplan eingeteilt gewesen, vielmehr sei er über den ganzen Zeitraum montags bis freitags von 5:00 Uhr bis 18:00 Uhr und samstags von 5:00 Uhr bis 14/15:00 Uhr tätig gewesen. Insgesamt habe er in dem angegebenen Zeitraum circa 310 Zeitstunden abgeleistet.
Am 04.11.2022 habe er gegen 12:00 Uhr unmittelbar vom Werksgelände zum Flughafen transferiert werden sollen. Es sei ihm gegenüber weder kommuniziert worden noch habe es der Betriebsüblichkeit für ihn bei seinem Einsatz in den USA entsprochen am Abreisetag nicht mehr in der Firma zu erscheinen. Vielmehr sei es üblich gewesen, dass er am Tag seiner Abreise (es sei denn diese habe bereits morgens stattgefunden) nochmals am Firmensitz in N. erschienen sei, dort ein Abschlussgespräch/Feedbackgespräch mit dem zuständigen Managing Director, W. geführt und darüber hinaus bei der zuständigen Leiterin der Personalabteilung, Frau H., ebenfalls ein entsprechendes Abschlussgespräch absolviert habe.
Da er sich auch am Abreisetag 04.11.2022 neben den ohnehin vorgesehenen Gesprächen mit den Zeugen W. und H. davon habe überzeugen wollen, dass die von ihm verantworteten Produktionsmaschinen ordnungsgemäß gelaufen seien, habe er sich der Üblichkeit entsprechend kurz vor Beginn der offiziellen Frühschicht in den Produktionsbereich des Unternehmens begeben und habe beim Betreten der Produktionshalle die Stechuhr betätigt. Unmittelbar nach dem Betreten der Firma sei ihm aufgefallen, dass diejenigen Arbeiter, mit denen er eine Endabstimmung habe vornehmen wollen, im Außenbereich (Raucherzone) zugegen gewesen seien. Er sei sodann durch den Haupteingang nach draußen in den Raucher-/Außenbereich gegangen, um mit ihnen eine Abschlussbesprechung durchzuführen und nachzufragen, ob sämtliche Probleme der letzten Wochen behoben worden seien oder aber noch Rückfragen und Gesprächsbedarf bestanden habe. Die Erörterungen zwischen ihm und seinen Arbeitskollegen im Bereich des Raucherbereiches/Außenbereiches hätten circa 30 bis 40 Minuten gedauert. Sein Ansprechpartner sei Herr D. gewesen, der gut deutsch sprechen könne.
Zutreffend sei, dass er – was er auch zu keinem Zeitpunkt in Abrede gestellt habe – nach dem circa 30/40-minütigen Gespräch mit seinen Arbeitskollegen das Betriebsgelände um ca. 5:15 Uhr verlassen habe, um in seinem Hotel seinen Reisekoffer zu packen, sich zu duschen und sich für die Rückreise vorzubereiten. Nach der Rückkehr vom Hotel in das Firmengebäude habe zunächst das Abschlussgespräch mit dem Zeugen W. stattgefunden, welches rund eine Stunde gedauert habe. Nach diesem Gespräch habe er sich in das Büro der Head of HR H. begehen und habe dort sein übliches Abschlussgespräch geführt. Die Zeugin H. habe ihn darauf angesprochen, ob er für den Tag bereits abgestochen hätte, da sie ihm die Stundennachweise habe ausdrucken und mitgeben wollen. In dem Gespräch sei somit auch die Zeugin H. ausdrücklich davon ausgegangen, dass er am 04.12.2022 eingestochen gehabt habe, was sie überdies durch den Ausdruck der Stundennachweise und Übergabe selbiger an ihn auch selbst unmittelbar gesehen habe. Dabei, dass er für die Zeit der Reisevorbereitungen nicht ausgestochen gehabt habe, handele es sich um ein unbeabsichtigtes Versehen, welches schlichtweg auf ein einfaches Vergessen seinerseits zurückzuführen gewesen sei. Er habe weder versucht, sein Kommen/Gehen zu verschleiern, noch sei er in seinem Abschlussgespräch mit dem Zeugen W. bzw. der Zeugin H. auf seinen Fehler angesprochen worden.
Am 15.11.2022 sei er durch Herrn K. mit dem Vorwurf konfrontiert worden, er „habe Stunden ohne Gegenleistung abgerechnet“. Hierbei sei er weder auf den konkreten Sachverhalt des 04.11.2022 angesprochen worden noch seien ihm irgendwelche weitergehenden Detailfragen gestellt worden. Es werde bestritten, dass der Beklagten und dem Zeugen W. als dem verantwortlichen Werksleiter in den USA erst am 08.12.2022 die Umstände des 04.11.2022 bekannt geworden sein sollten.
Eine ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrats vor Ausspruch der fristlosen Kündigung werde bestritten. Insbesondere werde bestritten, dass die Betriebsratsanhörung dem Betriebsratsvorsitzenden ordnungsgemäß einschließlich der in der Anlage bezeichneten Anlagen vollständig zugegangen sei. Die Anhörung sei grob fehlerhaft, da in dieser nicht mitgeteilt worden sei, dass er neben dem nachwirkenden Kündigungsschutz als ehemaliges Mitglied des Betriebsrats auch über den besonderen Kündigungsschutz nach § 24 Ziff. 2 MTV verfügt habe. Dem Betriebsrat sei auch nicht nachvollziehbar mitgeteilt worden, auf welche Weise die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB zustande komme. Bestritten werde auch, dass der Kündigungswiderspruch des Betriebsrats am 14.12.2022 bei der Beklagten eingegangen sei, bevor das Kündigungsschreiben vom gleichen Tag ausgefertigt und ihm übergeben worden sei.
Der Kläger war der Ansicht, es handele sich nicht um einen Arbeitszeitbetrug, sondern allenfalls -verstoß. Er habe weder technische Aufzeichnungsanlagen manipuliert noch in irgendeiner Weise seine An- und Abwesenheit am Produktionsstandort in den USA vorsätzlich verschleiert. So habe er das kameraüberwachte Werk offen und transparent durch den Haupteingang betreten und – in voller Kenntnis der vollständigen Kameraüberwachung – durch eben diesen Haupteingang wieder verlassen. Jedenfalls erweise sich der Ausspruch der fristlosen Kündigung im Rahmen der im Einzelfall vorzunehmenden Gesamtabwägung aller Umstände als unwirksam.
Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die fristlose Kündigung zum 14.12.2022 nicht beendet worden ist;
2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen vertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter Instandhaltung/Wartung weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat vorgetragen, der Kläger habe im Rahmen des Arbeitseinsatzes für das Werk in N. am 04.11.2022 einen Arbeitszeitbetrug bzw. einen versuchten Arbeitszeitbetrug begangen. Der Kläger habe das Werk nach dem Einstechen umgehend – 04:40 Uhr – wieder verlassen, ohne die Zeiterfassung zu stoppen. Er habe sich bis 10:17 Uhr nicht in dem Werk befunden und nicht gearbeitet. Der Kläger sei für diesen Tag nicht für Arbeiten vorgesehen gewesen, schon deshalb, weil seine Rückreise für diesen Tag angestanden habe. Der Kläger hätte sich, wäre der Vorgang nicht bekannt geworden, eine erhöhte Vergütungszahlung allein für diesen Tag in Höhe von 254,19 € brutto erschlichen. Unter Berücksichtigung der arbeitgeberseitigen Sozialabgaben wäre ihr ein Schaden iHv. über 300,00 € entstanden.
Abschlussgespräche mit Herrn W. und Frau H. hätten am 04.11.2022 nicht stattgefunden. Der Kläger habe sich aber von Frau H. die Zeiten ausdrucken lassen. Habe der Kläger mit Frau H. über die Dokumentation seiner Arbeitszeit gesprochen und habe diese ihn sogar gefragt, ob er ausgestempelt habe, hätte der Kläger spätestens zu diesem Zeitpunkt merken müssen, dass er nicht ausgestempelt habe. Völlig unklar bleibe, wie die Zeugen W. und H. den „Fehler“ des Klägers hätten erkennen können.
Es werde mit Nichtwissen bestritten, dass der Kläger angeblich mit nicht benannten Mitarbeitern im „Raucherbereich“ ein Arbeitsgespräch geführt habe, das circa 30 bis 40 Minuten gedauert haben solle.
Noch am 03.11.2022 hätten die von der Beklagten in die USA entsandten Mitarbeiter ein internes Gespräch zum Thema Anwesenheit am Abreisetag geführt. Bei diesem Gespräch sei auch der Kläger involviert gewesen. Herr D., welcher aktives Betriebsratsmitglied sei, habe zum wiederholten Mal alle Kollegen informiert, dass am Abreisetag eine Anwesenheit im Werk nicht notwendig sei. Es sei für alle Kollegen vor Ort klar gewesen, dass der Abreisetag vollständig zur Vorbereitung im Hotel morgens genutzt werden könne.
Der Raucherbereich werde nicht per Videokamera überwacht. Es sei jedoch so gewesen, dass Herr D., ein Mitarbeiter des Tochterwerks, der fließend Deutsch spreche, den Kläger am 04.11.2022 um ca. 4:50 Uhr, also kurz vor Beginn seiner Schicht auf dem Parkplatz angetroffen habe. Der Kläger habe zu diesem Zeitpunkt allein in dem roten Van gesessen, den die Mitarbeiter während des Einsatzes in den USA verwendeten. Herr D. und der Kläger hätten kurz, circa fünf Minuten, privat gesprochen, sich auf ihren Smartphones Bilder, Videos etc. gezeigt und sich dann verabschiedet. Nach diesem Gespräch sei der Kläger nach Aussage des Herrn D. davongefahren. Ein Gespräch über die Arbeit habe nicht stattgefunden. Herr D. sei sodann pünktlich zur Arbeit gekommen. Die Produktionsmitarbeiter sprächen weder englisch noch deutsch. Im Übrigen nutze „kein Mensch“ den Weg über den nachts nicht beleuchteten und von Kanadischen Wildgänsen bewohnten Weg über den Rasen zum Raucherbereich. Wenn der Kläger – wie er behaupte – nach dem Lauf der Maschinen habe sehen wollen, mache es keinen Sinn, dass er nur das angebliche Gespräch mit rauchenden Mitarbeitern geführt habe.
Von einem Vergessen des Ausstempelns beim Verlassen des Werksgeländes sei noch im Gütetermin keine Rede gewesen. Vielmehr habe der Kläger dort behauptet, dass ihm die Zeit für die Vorbereitung der Rückreise von Seiten der Führungskräfte zugestanden worden sei.
Es sei keinesfalls so gewesen, dass die Führungskräfte in den USA das Verhalten des Klägers gekannt und gebilligt hätten, um angeblich besonders lange Anreisen zu kompensieren.
Der Sachverhalt sei ihr erst sehr viel später bekannt geworden. In der Fertigung ihres Betriebs habe es Mitte November Gerüchte darüber gegeben, dass der Kläger gegebenenfalls seine Arbeitszeiten bei Einsätzen in den USA nicht korrekt erfassen würde. Diese Gerüchte aus der Produktion seien Herrn K. am 14.11.2022 zugetragen worden. Zu derartigen „Unregelmäßigkeiten“ sei der Kläger durch den damaligen Geschäftsführer K. allgemein befragt worden. Der Kläger habe im Rahmen der Befragung ausdrücklich angegeben, dass er in den USA „hart gearbeitet“ und „großen Einsatz“ gezeigt habe. Er habe sich nichts zuschulden kommen lassen. In der Zeiterfassung sei „alles okay“. Dies habe Herr K. zunächst so hingenommen. Er habe schon gar nicht gewusst, wonach er hätte suchen sollen. Der Kläger sei im Jahr 2022 tatsächlich häufig in den USA tätig gewesen. Weitere Ermittlungen seien mangels konkreter Anhaltspunkte als aussichtslos erschienen. Erst als Herr K. Anfang Dezember 2022 selbst in den USA gewesen sei, sei die beschriebene Situation vor Ort noch einmal zur Sprache gekommen, sodass Herr K. den Sachverhalt dort nochmals eruiert habe und die Beweismittel dort erstmals habe zur Kenntnis nehmen können. Allein die Arbeitszeitnachweise des Klägers für sich genommen seien kein Hinweis auf das Fehlverhalten des Klägers. Es sei nicht ausgeschlossen gewesen, dass der Kläger am 04.11.2022 noch mehrere Stunden für ihre Tochter tätig geworden sei. Vollständige Kenntnis vom Kündigungssachverhalt habe Herr K. als kündigungsberechtigter Geschäftsführer erst seit dem 08.12.2022 gehabt. Zwar habe er bereits am 02.12.2022 Aussagen des Werkleiters bezüglich der Anwesenheitszeiten des Klägers erhalten, die Aufzeichnungen der Arbeitszeit und ein Abgleich mit den Aufzeichnungen der Schließanlage sowie eine abschließende Stellungnahme des Werkleiters in den USA seien jedoch erst am 08.12.2022 bei Herrn K. eingegangen.
Nicht bekannt sei, inwiefern aufgrund einer Tarifbindung des Klägers ein besonderer Kündigungsschutz gegeben sei.
Die Betriebsratsanhörung nebst aller Anlagen sei am 13.12.2022 um 13.45 Uhr an Herrn Di. (Mitglied des Betriebsrats) übergeben worden, da alle anderen Mitglieder des Betriebsrats zu dieser Zeit abwesend gewesen seien. Dem Betriebsrat hätten alle Anlagen, also die Auszüge aus der Zeiterfassung, die Dokumentation des Türschließsystems, die Stellungnahmen des Herrn W. und der Frau H., das Bildmaterial und auch die Abmahnungen vorgelegen. Der Betriebsrat sei sehr wohl über die für die Bewertung des § 626 Abs. 2 BGB relevanten zeitlichen Abläufe informiert worden. Diesbezüglich sei insbesondere auf die der Anhörung beigefügte Stellungnahme des Herrn W. vom 08.12.2022 zu verweisen.
Das Kündigungsschreiben sei durch sie erst nach dem Zugang der abschließenden Stellungnahme des Betriebsrats an den Kläger übersandt worden. Die Stellungnahme habe ihr bereits am 14.12.2022 vorgelegen. Frau C. habe die Kündigung erst nach dem Eingang der Stellungnahme, nämlich am 15.12.2022 gemeinsam mit Frau Di., die die Stellungnahme auch gesehen habe, kuvertiert und versandt.
Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 11.05.2023 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 14.12.2022 nicht beendet worden ist. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter Instandhaltung/Wartung weiter zu beschäftigen. Es hat – zusammengefasst – zur Begründung ausgeführt, das Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.12.2022 nicht wirksam beendet worden. Das Verhalten des Klägers sei an sich als wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung geeignet. Jedoch sei bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falles und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen die fristlose Kündigung gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als milderes Mittel sei eine Abmahnung nicht entbehrlich gewesen. Ebenso habe die Beklagte es versäumt, hinreichend zur Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB vorzutragen. Die Beklagte habe bereits nicht ausreichend dargelegt, wann dem Geschäftsführer durch wen welche Gerüchte aus der Fertigung des Betriebs zugetragen worden seien. Ebenso habe sie versäumt zu begründen, weshalb sie keine Veranlassung gesehen habe, sich telefonisch oder per E-Mail unmittelbar mit dem Werkleiter und der Personalleiterin in den USA in Verbindung zu setzen und mit ihnen Rücksprache über etwaige Unregelmäßigkeiten des Klägers bei der Erfassung seiner Arbeitszeit zu halten. Dann wäre eine rasche Aufklärung des Sachverhalts möglich gewesen. Das Zuwarten von Mitte November 2022 bis zum persönlichen Aufenthalt des Geschäftsführers in den USA Anfang Dezember 2022 sei nicht nachvollziehbar. Ferner sei nicht erklärt worden, weshalb es bis zum 08.12.2022 gedauert habe, bis die Beklagte die Aufzeichnungen der Arbeitszeit, einen Abgleich mit den Aufzeichnungen der Schließanlage sowie eine abschließende schriftliche Stellungnahme des Werkleiters erhalten habe. Diese Unterlagen hätten bei entsprechender Nachfrage bereits Mitte November 2022 kurzfristig per E-Mail aus den USA an die Beklagte übermittelt werden können. Auf die Frage der Ordnungsgemäßheit der Betriebsratsanhörung, die seitens des Klägers gerügt worden sei, komme es daher entscheidungserheblich nicht an, ebenso nicht auf die Frage, ob der Kläger aufgrund der Bestimmungen des Manteltarifvertrags Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz ordentlich unkündbar sei. Der Kläger habe Anspruch auf Weiterbeschäftigung gemäß §§ 611, 613, 242 BGB iVm. Art. 1 und 2 GG. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 108 ff. d. A.) Bezug genommen.
Das genannte Urteil ist der Beklagten am 22.05.2023 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 21.06.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt. Die Beklagte hat die Berufung mit am 21.08.2023 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag innerhalb der durch Beschluss vom 20.07.2023 bis einschließlich 21.08.2023 verlängerten Berufungsbegründungsfrist begründet.
Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 11.01.2024, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 147 ff., 212 ff. d. A.), unter ergänzender Bezugnahme auf ihr erstinstanzliches Vorbringen zusammengefasst geltend,
zwar habe es bereits Mitte November Gerüchte über mögliche Unregelmäßigkeiten bezüglich der Zeiterfassung des Klägers im Rahmen seiner Auslandstätigkeiten gegeben. Anlässlich eines Gesprächs zwischen dem damaligen Geschäftsführer K. und dem Kläger am 15.11.2022 habe der Kläger diese Gerüchte jedoch zurückgewiesen. Ihr hätten zu diesem Zeitpunkt keine konkreten Hinweise bezüglich der angeblichen Unregelmäßigkeiten vorgelegen. Weder sei klar gewesen, in welcher Art und Weise der Kläger seine Arbeitszeiten fehlerhaft dokumentiert habe noch welche Ausmaße dies angenommen gehabt habe. Insbesondere habe es keine Hinweise auf konkrete Sachverhalte bzw. Daten gegeben. Lediglich als ein allgemeines „der nimmt das nicht so genau“ bzw. „der lässt es sich gutgehen in den USA“ könnten die Meldungen der Mitarbeiterschaft dargestellt werden. Gerade wenn von einem weiter zurückliegenden Zeitraum auszugehen gewesen wäre, hätte sie schon gar nicht die Möglichkeit der Kontrolle gehabt, da die Zeitdokumentation allein keine Hinweise auf mögliche Betrugssachverhalte gebe. Für sich genommen seien die am 04.11.2022 dokumentierten Zeiten nicht offensichtlich fehlerhaft. Erst in Kombination mit den noch vorhandenen Videoaufzeichnungen habe das betrügerische Handeln ermittelt werden können. Auch aus den am 15.11.2022 geführten Feedback-Gesprächen mit den Herren D., Sch. und Die., die teils gleichzeitig mit dem Kläger in den USA tätig gewesen seien, hätten sich keine Hinweise auf das nunmehr zutage getretene Verhalten des Klägers ergeben. Bei diesen Gesprächen sei es ohnehin nicht um den Kläger, sondern um ein generelles Feedback bezüglich der Einsätze in den USA und wie diese besser gestaltet werden könnten, gegangen. Diese Mitarbeiter hätten keine konkreten Sachverhalte angegeben bzw. auch nicht allgemein auf irgendwelche Verfehlungen des Klägers hingewiesen. Aufgrund dieser Situation, wegen der glaubhaften Beteuerungen des Klägers und mangels konkreter Anhaltspunkte habe sie den Sachverhalt nicht weiterverfolgt.
Die schon lange vorher geplante Reise ihres damaligen Geschäftsführers K. in der Zeit vom 21.11.2022 bis zum 01.12.2022 habe nichts mit dem Verhalten des Klägers zu tun gehabt. Herr K. habe die dahingehenden Gerüchte bereits „ad acta“ gelegt gehabt. Unter anderem habe Herr K. am Tag seiner Abreise, also am 01.12.2022, auch ein Gespräch mit Herrn D. geführt. Herr K. und Herr D. hätten auch über die Situation im Hinblick auf die Instandhaltung im Bereich der Rechenfertigung gesprochen. Im diesem Zusammenhang sei auch über die Einsätze des Klägers und die Nachhaltigkeit derselben gesprochen worden. Im Rahmen dieses Gesprächs sei es Herr D. gewesen, der das Thema der auffällig „vielen Stunden“ des Klägers gegenüber Herrn K. angesprochen habe. Es sei so gewesen, dass der Kläger vor ihm, Herrn D., damit geprahlt habe, wie viele Stunden, insbesondere Überstunden, er im Rahmen seiner USA-Besuche aufschreiben würde. In diesem Gespräch mit Herrn K. habe Herr D. auch den Vorfall am 04.11.2022 angesprochen und als Beispiel für das Verhalten des Klägers vorgebracht. Herr D. habe sich gewundert, warum der Kläger an dem besagten Tag überhaupt noch in das Werk gekommen sei und vor allem habe ihn die Uhrzeit erstaunt. Vor 5:00 Uhr morgens gebe es keinen Anlass in das Werk zu kommen. Es sei aus der Frühschicht noch niemand da, der arbeite. Auch dass der Kläger schon so früh auf dem Parkplatz gewartet habe, um im Anschluss an das Gespräch mit Herr D. gleich wieder wegzufahren, anstatt an den Arbeitsplatz, also in das Werk, mitzukommen, habe Herrn D. irritiert gehabt. Basierend auf dieser Information habe Herr K. dann weiter nachgefragt und sich von Herrn D. bestätigen lassen, dass nach dessen Verständnis die Arbeitszeitaufzeichnungen des Klägers zumindest nicht nachvollziehbar sein dürften. Da Herr K. an diesem Tag zur Rückreise habe aufbrechen müssen, habe er selbst das Thema nicht weiterverfolgen können, habe sich jedoch noch mit Herrn W. und Frau H. abstimmen und diese mit entsprechenden „Ermittlungsmaßnahmen“ betrauen können. Insbesondere hätten diese die Arbeitszeitaufzeichnungen des Klägers auf deren Schlüssigkeit überprüfen sollen. Die Videoaufzeichnungen in dem Werk in den USA würden nach 30 Tagen automatisiert gelöscht, sodass eine Prüfung weiter in die Vergangenheit hinein nicht möglich gewesen sei. Herr W.und Frau H. hätten sodann zunächst die Zeiterfassungsdaten geprüft und festgestellt, dass eben am 04.11.2022, dem Abreisetag des Klägers, Stunden in erheblichem Umfang eingetragen gewesen seien, die an sich nicht zum normalen Vorgehen der aus Deutschland stammenden Mitarbeiter gepasst hätten. Zudem habe der Kläger, wie von Herrn D. angedeutet, bereits vor 5:00 Uhr eingestempelt gehabt. Zu der Zeit, zu welcher der Kläger am Morgen des 04.11.2022 in das betreffende Werk in den USA gegangen sei, sei in der Rechenfertigung nicht gearbeitet worden. Die Schicht habe dort in der Woche vom 31.10.2022 bis zum 04.11.2022 an jedem Tag erst um 5:00 Uhr begonnen. Dies sei dem Kläger aufgrund seiner Beschäftigung über mehrere Wochen vor Ort auch bekannt gewesen. Laufende Maschinen habe es vor 5:00 Uhr ebenso wenig gegeben wie Kollegen für Gespräche. Der Kläger sei offensichtlich ausschließlich zu dieser Zeit in das Werk gegangen, um einzustempeln und das Werk sodann zu verlassen. Dies, obwohl Herr Di. am Abend des 03.11.2023 die gesamte Gruppe, also auch den Kläger, nochmals darauf hingewiesen habe, dass am letzten Tag nicht gearbeitet werden müsse. Die am 04.11.2022 in der Rechenfertigung eingeteilten Kollegen hätten wie folgt angestochen: D. um 4:57 Uhr, B. um 4:53 Uhr und S. um 4:53 Uhr. Die Herren kämen auch regelmäßig erst unmittelbar vor Schichtbeginn, sodass der Kläger mit Anwesenheit fast eine halbe Stunde vor Schichtbeginn nicht habe rechnen können. Mitarbeiter der Spätschicht seien schon nicht mehr anwesend gewesen. Ihr Schichtende sei wie folgt gewesen: He. um 02:30 Uhr, Y. um 04:00 Uhr und Ha. habe am 03. und 04.11.2022 gefehlt. Aufgrund dieser Erkenntnis seien die Aufnahmen der Überwachungskameras geprüft sowie die vorhandenen Kalender gesichtet worden. Die Ergebnisse dieser Ermittlungsmaßnahmen (Auszüge aus der Zeiterfassung sowie die Stellungnahme von Herrn W. und Frau H. vom gleichen Tag) seien ihr sodann am 08.12.2022 per E-Mail übermittelt worden. Ebenfalls habe sie die vorgelegten Bilder der Aufzeichnungen der Videoüberwachung an diesem Tag erlangt. Sodann habe sich das Gesamtbild ergeben, welches für die vorliegende Kündigung zur Grundlage geworden sei.
Allein die Tatsache, dass die unkonkreten Gerüchte in einem Gespräch mit dem Kläger thematisiert worden seien, bedeute nicht, dass ausufernde Ermittlungen gerechtfertigt gewesen wären.
Mit Nichtwissen werde bestritten, dass der Kläger während seiner gesamten Beschäftigung keinen einzigen Tag der Arbeitsunfähigkeit zu verzeichnen gehabt habe. Sie verfüge lediglich für den Zeitraum bis zum Jahr 2021 (Betriebsübergang) über Aufzeichnungen zu Krankheitszeiten der Mitarbeiter. In diesem Zeitraum sei der Kläger am 13.07.2021 und am 14.07.2021 krank gewesen.
Mit Blick auf die angeblich so erheblichen Arbeitszeiten des Klägers in den USA müsse nach diesen Vorfällen in Frage gestellt werden, ob der Einsatz des Klägers tatsächlich so hoch gewesen sei. Der Kläger habe während seines Aufenthalts vom 04.06.2022 bis 17.06.2022 durchschnittlich noch 3,79 Überstunden am Tag geleistet. Dies ergebe sich insbesondere daraus, dass in den USA 12-Stunden-Schichten gearbeitet worden seien. Diese Zeiten seien daher nicht unüblich. Bei den Aufenthalten im August/September und Oktober/November sei diese Überstundenzahl auf 9,50 respektive 9,29 Stunden im Durchschnitt angestiegen. Andere Mitarbeiter hätten bei diesen Einsätzen regelmäßig nicht mehr als fünf oder sechs Überstunden am Tag im Durchschnitt gehabt. Der angeblich so erhebliche Einsatz des Klägers sei offensichtlich allein dessen „kreativer“ Zeitdokumentation geschuldet.
Die Einsätze des Klägers in den USA seien zu jeder Zeit freiwillig gewesen. Der Kläger habe – insbesondere aufgrund der guten Vergütung – in den USA tätig werden wollen. Er sei nicht verpflichtet gewesen, die benannten Zeiten abzuleisten. Zudem sei nicht ersichtlich, warum der Kläger – der auch nach eigenen Angaben allein beratend tätig gewesen sei – so umfangreich habe arbeiten müssen.
Der Kläger habe seine Arbeitszeiten gekannt und kenne diese. Er habe selbst mehrfach vorgetragen, dass er bei jedem Aufenthalt in den USA einen Auszug seiner Zeiten erhalten habe. Nunmehr zu behaupten, dass bestimmte Zeitdokumentationen, wie ein frühes Einstempeln, ignoriert würden, entbehre jeglicher Grundlage. Der Vergleich mit der Aufzeichnung in A. hinke, da dort die Arbeitszeiten offensichtlich in anderer Weise aufgezeichnet würden. Dem Kläger müsse dies bekannt gewesen sei. Auch dieser Aspekt sei jedoch völlig irrelevant, da der Kläger offensichtlich nur zum Einstempeln den Betrieb betreten habe.
Die Beklagte ist der Ansicht, der Pflichtverstoß und die damit einhergehende dreiste Ausnutzung des arbeitgeberseitigen Vertrauens könne insbesondere im vorliegenden Fall nicht zu einer Zumutbarkeit der Weiterbeschäftigung bis zum Ende der – hier theoretischen – ordentlichen Kündigungsfrist führen. Der Kläger habe offensichtlich bewusst und geplant agiert. Das Arbeitsgericht habe nicht berücksichtigt, dass ein etwaiger Anspruch des Klägers auf Vergütung etwaiger weiterer Reisezeiten nicht verfallen sei und weiterhin geltend gemacht werden könne. Es würdige ebenfalls nicht die Tatsache, dass der Kläger zu keiner Zeit eine „Aufrechnung in der Laiensphäre“ vorgetragen habe. Die Signalwirkung im Betrieb müsse bedacht werden. Sie impliziere, dass Mitarbeiter sich potenziell nicht geltend gemachte oder nicht anerkannte Ansprüche an anderer Stelle „zurückholen“ könnten, ohne dass negative Folgen drohten. Nicht berücksichtigt werde, dass der Kläger sich zu allen Auslandseinsätzen freiwillig gemeldet, also bewusst die Trennung von seiner Familie in Kauf genommen habe. Der Kündigungssachverhalt könne nicht in ausreichendem Umfang dadurch relativiert werden, dass der Kläger schon sehr lange bei ihr beschäftigt gewesen sei. Das Beschäftigungsverhältnis sei insgesamt nicht beanstandungsfrei verlaufen. Der Kläger habe Abmahnungen erhalten, die zwar nicht einschlägig seien, aber dennoch zeigten, dass Belastungen des Arbeitsverhältnisses vorgelegen hätten. Entscheidend sei in diesem Zusammenhang jedoch, dass die Taten des Klägers das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien vollständig und endgültig zerstört hätten. Hierbei spiele es entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts keine Rolle, wie lange der Kläger bereits in einer „Vertrauensstellung“ beschäftigt gewesen sei. Der Kläger habe keine außergewöhnliche Position in ihrem Betrieb bekleidet. Auch stelle gerade die im Verborgenen begangene Handlung des Klägers das bislang erworbene Vertrauen derart massiv in Frage, dass ein vollständiger Wegfall desselben die Folge sei. So sei mit Blick auf das verdeckte Vorgehen des Klägers zu befürchten, dass dieser schon in der Vergangenheit – zumindest bei Auslandsreisen – den Tatbestand des Arbeitszeitbetrugs realisiert habe. Dass gerade die Ehrlichkeit im Hinblick auf die Dokumentation der Arbeitszeit durch den Arbeitgeber nur schwer für jeden einzelnen Arbeitnehmer zu kontrollieren sei, treffe bei Auslandseinsätzen der Arbeitnehmer zu, gelte allerdings genauso bei Tätigkeiten im eigenen Betrieb. Auch bezüglich der Tätigkeiten hier bestehe also eine erhebliche Unsicherheit bezüglich der Ehrlichkeit des Klägers, wenn es um die Dokumentation der Arbeitszeiten gehe. Der Vertrauensverlust gelte also nicht nur für die Tätigkeiten im Ausland, sondern auch für die Tätigkeit im „Heimatbetrieb“.
Es bleibe völlig unklar, warum die ehemalige Tätigkeit als Betriebsratsmitglied als besonderes Engagement zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigen sein solle.
Sie habe die Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten. Herr K. als das kündigungsberechtigte Organ habe bis zu seinem Besuch in den USA Anfang Dezember 2022 keine Kenntnis von den konkreten Handlungen des Klägers gehabt. Die diesem zugetragenen Gerüchte hätten keine Angaben zu konkreten Sachverhalten oder Zeiträumen beinhaltet. Auch hätten diejenigen, die die Gerüchte an Herrn K. herangetragen hätten, klargemacht, dass sie selbst keine unmittelbaren Kenntnisse von den Handlungen des Klägers gehabt hätten. Es habe also keinerlei Ansatzpunkte gegeben, die sie zum Anlass von „Ermittlungsmaßnahmen“ hätte machen können.
Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 11.05.2023, Az. 8 Ca 1630/22 abzuändern und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 11.01.2024, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 212 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend.
Er sei in den USA keineswegs als regulärer Produktionsmitarbeiter im Bereich der Rechenfertigung eingesetzt worden, vielmehr habe er aufgrund seines vorhandenen Spezialwissens die dortigen Produktionsmitarbeiter für die komplexen Produktionsmaschinen schulen und sicherstellen sollen, dass die Fertigung durch Einsatz der dortigen Maschinen aufgenommen und qualitativ verbessert werden könne.
Falsch sei, dass der Zeuge Di. ihn am Abend des 03.11.2023 darauf hingewiesen habe, dass er (der Kläger) am Abreisetag nicht arbeiten müsse. Darüber hinaus handele es sich bei Herrn Di. schlicht um einen Kollegen, welcher als Elektriker vor Ort in den USA eingesetzt gewesen sei.
Er erscheine grundsätzlich rechtzeitig zur Arbeit, da er pünktlich um 5.00 Uhr umgezogen und arbeitsbereit seine Arbeitsleistung aufnehmen müsse. Hierbei sei er davon ausgegangen und gehe bis heute davon aus, dass seine Arbeitszeit tatsächlich erst ab Schichtbeginn (sprich: 5:00 Uhr morgens) als Arbeitszeit gezählt werde und zwar unabhängig vom tatsächlichen Einstempeln. Bei der Beklagten im Werk in C-Stadt werde die Arbeitszeit als Arbeitszeit unabhängig vom Einstempeln des jeweiligen Mitarbeiters zum jeweils festgelegten Schichtbeginn als Arbeitszeit erfasst, hiervon abweichende – frühere oder spätere – Einstechzeiten würden nur dann als (zusätzliche) Arbeitszeit erfasst, wenn dies entsprechend als Mehrarbeit genehmigt worden sei.
Er habe sodann den im Freigelände befindlichen Raucherbereich betreten, um dort nach entsprechenden Kollegen Ausschau zu halten. Er habe mit dem Zeugen D. das Gespräch gesucht, um den Abschluss seines Arbeitseinsatzes in den USA zu besprechen, nachzufragen, ob es noch Probleme bei der Produktionslinie gäbe und abschließend zu klären, wann der Zeuge D. ihn im Werk abholen und zum Flughafen transferieren werde. Der gesamte Ablauf am 04.11.2022 in den frühen Morgenstunden habe seiner regulären Arbeitsroutine entsprochen gehabt und er habe – innerhalb des vollständig videoüberwachten Werks in den USA – weder eine Verschleierungsabsicht an den Tag gelegt, noch in irgendeiner Weise versucht gehabt, seine tatsächliche Anwesenheit um 4:37 Uhr zu verbergen.
Zutreffend sei, dass er nach dem Gespräch mit seinem Arbeitskollegen das Betriebsgelände verlassen gehabt habe. Tatsächlich hätte er für diesen Zeitraum ausstechen und erst nach Rückkehr zum Abschlussgespräch mit dem Zeugen W. um 10:17 Uhr wieder einstechen müssen.
Am 15.11.2022 sei er mit völlig nebulösen Vorwürfen seitens der Beklagten konfrontiert worden. Da die Beklagte jedoch selbst vortrage, bereits zu diesem Zeitpunkt (angebliche) Unregelmäßigkeiten bei seiner im Ausland abgeleisteten Arbeitszeit zugetragen bekommen zu haben, wäre es für diese völlig problemlos möglich gewesen, seine Arbeitszeit nachzukontrollieren. Dies insbesondere vor dem Hintergrund, dass letztlich in der Abrechnung für den Monat November 2022 die entsprechend durch ihn in den USA abgeleisteten Stunden abgerechnet und ausbezahlt worden seien, sodass der Personalabteilung vor Ort in Deutschland seine Stunden mit den Stundennachweisen aus den USA hätten vorliegen müssen oder aber problemlos hätten vorgelegt werden können. Da er in dem Gespräch am 15.11.2022 gerade nicht mit einem konkreten Fehlverhaltensvorwurf konfrontiert worden sei, habe er auch keinerlei „glaubhafte Beteuerungen“ abgeben und so auch keinerlei falsche Vorstellungen bei der Beklagten hervorrufen können.
Bestritten werde, dass der Zeuge K. erstmals am Tag seiner Abreise am 01.12.2022 „zufällig“ durch den Zeugen D. konkret auf den Vorgang am 04.11.2022 angesprochen worden sei. Ebenso werde bestritten, dass erstmals nach dem 01.12.2022 eine Rücksprache zwischen den Zeugen K., W. und H. habe stattfinden können und darüber hinaus Videoaufzeichnungen im Werk in den USA nach 30 Tagen automatisiert gelöscht würden.
Er habe in seiner 35-jährigen Betriebszugehörigkeit bei der Beklagten eine einzige Erkrankung aufzuweisen gehabt, diese sei tatsächlich vom 13.07. bis 14.07.2021 gewesen, da er am 13.07.2021 seine zweite Covid-Impfung erhalten gehabt habe und diesbezüglich unter entsprechenden Nebenwirkungen gelitten habe. Da es sich insoweit um eine anerkannte Impfnebenwirkung gehandelt habe, habe er dies nicht als Erkrankung im klassischen Sinn angesehen.
Das Arbeitsgericht habe in seiner Gesamtabwägung auch zutreffend berücksichtigt, dass er allein im Jahr 2022 zehn Flüge mit einer Dauer von 18 Stunden absolviert habe, die lediglich pauschal mit zwölf Stunden vergütet worden seien, anstatt entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (25.04.2018 – 5 AZR 424/17) rechtskonform mit der tatsächlichen Arbeitszeit.
Zu berücksichtigen sei schließlich, dass die Beklagte ihn in Umsetzung des erstinstanzlichen Urteils mit seiner bisherigen Tätigkeit weiterbeschäftige und im Rahmen der Weiterbeschäftigung keinerlei Probleme aufgetaucht seien. Insoweit sei auch aus nunmehriger Sicht kein Vertrauensverlust zu verzeichnen.
Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 24.01.2024 (Bl. 219 ff. d. A.) Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
A.
Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.
B.
In der Sache hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere ergibt sich das Feststellungsinteresse für den Kündigungsschutzantrag aus § 13 Abs. 1 Satz 2 iVm. §§ 4 Satz 1, 7 KSchG.
II.
Die Klage ist auch begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis des Klägers bei der Beklagten durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 14.12.2022 nicht beendet worden ist. Es hat weiter die Beklagte zu Recht verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter Instandhaltung/Wartung weiter zu beschäftigen.
1.
Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 14.12.2022 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht beendet.
a) Die Beklagte hat nach Auffassung der Kammer die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt.
aa) Nach § 626 Abs. 2 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Vorschrift soll innerhalb begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen, ob ein Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen wird (BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06 – Rn. 17, juris). Andererseits soll aber die zeitliche Begrenzung nicht zu hektischer Eile bei der Kündigung antreiben oder den Kündigungsberechtigten veranlassen, ohne genügende Vorprüfung voreilig zu kündigen (BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06 – Rn. 20, juris; 29.07.1993 – 2 AZR 90/93 – Rn. 15 mwN., juris).
Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald er eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Tatsachen (BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 29 mwN.; 25.04.2018 – 2 AZR 611/17 – Rn. 50 mwN.).
Von der völligen – und sei es grob fahrlässigen – Unkenntnis des Kündigungssachverhalts ist jedoch der Fall zu unterscheiden, dass zunächst nur einige Umstände bekannt werden, die auf einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung hindeuten. Dann kann der Lauf der Ausschlussfrist ausgelöst werden. Allerdings darf der Kündigungsberechtigte, der bislang lediglich Anhaltspunkte für einen Sachverhalt hat, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte, nach pflichtgemäßem Ermessen weitere Ermittlungen anstellen und den Betroffenen anhören, ohne dass die Frist des § 626 Abs. 2 Satz 1 BGB zu laufen begänne. Dies gilt indes nur so lange, wie er aus verständigen Gründen mit der gebotenen Eile Ermittlungen durchführt, die ihm eine zuverlässige und hinreichend vollständige Kenntnis der einschlägigen Tatsachen und Beweismittel verschaffen soll, die ihm die Entscheidung darüber ermöglichen, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht (BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 30 mwN.)
Soll der Kündigungsgegner angehört werden, muss dies innerhalb einer kurzen Frist erfolgen. Sie darf im Allgemeinen nicht mehr als eine Woche betragen und nur bei Vorliegen besonderer Umstände überschritten werden. Für die übrigen Ermittlungen gilt keine Regelfrist. Bei ihnen ist fallbezogen zu beurteilen, ob sie hinreichend zügig betrieben wurden (BAG 25.04.2018 – 2 AZR 611/17 – Rn. 51 mwN.).
Versäumt oder verzögert der Kündigungsberechtigte die gebotene Aufklärung, kann dadurch die Ausschlussfrist ungenutzt verstreichen (KR-Fischermeier/Krumbiegel, 13. Aufl. 2022, § 626 Rn. 337 mwN.).
Das Anlaufen der Kündigungserklärungsfrist setzt allerdings stets voraus, dass dem Kündigungsberechtigten die Tatsachen bereits im Wesentlichen bekannt und nur noch zusätzliche Ermittlungen erforderlich sind oder doch erscheinen dürfen, wie etwa die Anhörung des Betroffenen bei einer Verdachtskündigung oder die Ermittlung von gegen eine Kündigung sprechenden Tatsachen. Hingegen besteht keine Obliegenheit des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer belastende Tatsachen zu ermitteln, die einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung begründen. Das widerspräche einerseits dem Grundsatz, dass eine – sogar grob – fahrlässige Unkenntnis der maßgeblichen Tatsachen nicht genügt, um die Erklärungsfrist auszulösen. Es läge andererseits auch nicht im Interesse der Arbeitnehmer, weil der Arbeitgeber zu ständigem Mittrauen angehalten und gleichsam gezwungen würde, bei der bloßen Möglichkeit einer arbeitsvertraglichen Pflichtverletzung „vom Schlimmsten“ auszugehen und zügig „Belastungsermittlungen“ in die Wege zu leiten (BAG 27.02.2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 31 mwN.).
Im Rahmen des § 626 Abs. 2 BGB trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast (BAG 01.02.2007 – 2 AZR 333/06 – Rn. 21 mwN., juris; 29.07.1993 – 2 AZR 90/93 – Rn. 23 mwN., juris).
bb) Die Beklagte hatte spätestens am 14.11.2022 gewisse Anhaltspunkte für einen Sachverhalt, der zur außerordentlichen Kündigung berechtigen könnte. Nach dem Vortrag der Beklagten waren ihrem Geschäftsführer Gerüchte zugetragen worden, dass der Kläger gegebenenfalls seine Arbeitszeiten bei Einsätzen in den USA nicht korrekt erfassen würde. Zwar ist nach Auffassung der Kammer nicht jedes „Gerücht“ ein gewisser Anhaltspunkt für das Vorliegen eines wichtigen Grundes. Der Arbeitgeber darf grundsätzlich auf die Redlichkeit seiner Mitarbeiter vertrauen und muss diesen nicht misstrauen. Im vorliegenden Fall bezog sich das der Beklagten zugetragene „Gerücht“ jedoch auf eine bestimmte Person, nämlich den Kläger, eine eingegrenzte Pflichtverletzung – die nicht korrekte Erfassung der Arbeitszeit -, mit dem Werk in den USA auf einen bestimmten Ort, an dem die Pflichtverletzung begangen wurde, und durch die Eingrenzung auf die Einsätze in den USA auch auf eingrenzbare Zeiträume. Da das Gerücht in zeitlicher Nähe zu dem letzten Auslandsaufenthalt des Klägers in den USA bis zum 04.11.2022 aufkam, konnte seitens der Beklagten davon ausgegangen werden, dass (jedenfalls auch) bei diesem letzten Aufenthalt des Klägers in den USA die Arbeitszeiten von diesem nicht korrekt erfasst worden sein sollten. Dadurch hatte die Beklagte aus ihrer eigenen Sicht ausreichende Anhaltspunkte, um den Kläger mit den Vorwürfen zu konfrontieren. Sie hat mit der Ermittlung des Sachverhaltes begonnen, indem sie den Kläger zu „derartigen Unregelmäßigkeiten“ befragt hat, wobei Gegenstand der Befragung ausweislich der vorgetragenen Antworten des Klägers insbesondere sein Arbeitseinsatz in den USA und die Zeiterfassung war. Ausgehend vom Schutzzweck des § 626 Abs. 2 BGB, innerhalb begrenzter Zeit für den betroffenen Arbeitnehmer Klarheit darüber schaffen, ob ein Sachverhalt zum Anlass für eine außerordentliche Kündigung genommen wird, musste die Beklagte nach der Konfrontation des Klägers mit dem Vorwurf weitere von ihr für erforderlich gehaltene Ermittlungen unverzüglich einleiten.
Weitere – naheliegende – Schritte zur Aufklärung des Sachverhalts hat die Beklagte bis zum Aufenthalt ihres damaligen Geschäftsführers Herr K. in den USA jedoch nicht und damit nicht in der gebotenen Zügigkeit unternommen. Sie hat nicht die an sie aus den USA nach Deutschland übermittelten und ihr vorliegenden Daten der Zeiterfassung des Klägers eingesehen. Hätte sie dies getan, hätte sie sowohl die hohe Anzahl abgeleisteter Stunden des Klägers als auch ersehen können, dass dieser ausweislich der erfassten Zeiten am Abreisetag bereits um 4:37 Uhr seine Arbeit aufgenommen und bis 11:30 Uhr gearbeitet haben wollte. Sowohl der frühe Schichtbeginn als auch die Erbringung einer Arbeitsleistung am Abreisetag als solche hätten Anlass für weitere Ermittlungen sein können. Schließlich hat die Beklagte auch nicht bei den Verantwortlichen in den USA, der Zeugin H. und dem Zeugen W., hinsichtlich der erbrachten Arbeitsleistung des Klägers und dessen Zeiterfassung nachgefragt. In Betracht gekommen wäre auch eine Nachfrage bei dem einzigen Deutsch sprechenden Ansprechpartner in den USA Herrn D. – gegebenenfalls über die Zeugin H. oder den Zeugen W.. Hinsichtlich der am 15.11.2022 seitens der Beklagten geführten Feedback-Gespräche mit den Mitarbeitern Di., Sch. und Die., die teils gleichzeitig mit dem Kläger in den USA tätig waren, hat die Beklagte lediglich vorgetragen, es hätten sich aus diesen keine Hinweise auf das nunmehr zutage getretene Verhalten des Klägers ergeben. Es sei bei diesen Gesprächen ohnehin nicht um den Kläger, sondern um ein generelles Feedback bezüglich der Einsätze in den USA und wie diese besser gestaltet werden könnten, gegangen. Auch hier hätte sich die Erfolg versprechende Möglichkeit geboten, zu versuchen, den Sachverhalt weiter zu ermitteln.
b) Jedenfalls fehlt es an einem wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB. Das Arbeitsverhältnis des Klägers konnte wegen des nachwirkenden Kündigungsschutzes nach § 15 Abs. 1 Satz 2 KSchG bis zum 16.03.2023 nur aus wichtigem Grund gekündigt werden.
aa) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Ist – wie im vorliegenden Fall – das Arbeitsverhältnis nicht ordentlich kündbar, ist auf die fiktive ordentliche Kündigungsfrist abzustellen, im Fall des im Kündigungszeit seit mehr als 35 Jahren beschäftigten Klägers demnach auf eine Kündigungsfrist von sieben Monaten zum Ende eines Kalendermonats (§ 622 Abs. 2 Nr. 7 BGB).
Das Gesetz kennt keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, das heißt typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., vgl. nur BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15 mwN.; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 16 mwN.). Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB ist nur gegeben, wenn das Ergebnis dieser Gesamtwürdigung die Feststellung der Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist (BAG 09.06.2011 – 2 AZR 381/10 – Rn. 12 mwN.).
Zwar ist das Verhalten des Klägers „an sich“ als wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Die vorzunehmende Einzelfallprüfung und Interessenabwägung ergibt jedoch nach Auffassung der Kammer das Überwiegen der Interessen des Klägers an seiner Weiterbeschäftigung jedenfalls bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist gegenüber demjenigen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
bb) Der vorsätzliche Verstoß eines Arbeitnehmers gegen seine Verpflichtung, die abgeleistete, vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, ist an sich geeignet, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung iSv. § 626 Abs. 1 BGB darzustellen. Der Arbeitnehmer verletzt damit in erheblicher Weise seine ihm gegenüber dem Arbeitgeber bestehende Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB). Dies gilt für den vorsätzlichen Missbrauch einer Stempeluhr ebenso wie für das wissentliche und vorsätzlich falsche Ausstellen entsprechender Formulare. Dabei kommt es nicht entscheidend auf die strafrechtliche Würdigung an, sondern auf den mit der Pflichtverletzung verbundenen schweren Vertrauensbruch. Der Arbeitgeber muss auf eine korrekte Dokumentation der Arbeitszeit seiner Arbeitnehmer vertrauen können (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 17 mwN.). Auf der Grundlage der erfassten Arbeitszeiten erfolgt die Vergütung des Arbeitnehmers. Gibt der Arbeitnehmer an, zu Zeiten Arbeit geleistet zu haben, in denen er keine Arbeitsleistung erbracht hat, veranlasst er hierdurch den Arbeitgeber zur Zahlung von nicht geschuldeter Vergütung für diese Zeiten und fügt ihm bewusst einen Vermögensnachteil zu.
Das gilt auch dann, wenn das Verhalten des Arbeitnehmers nur zu einem geringfügigen Schaden geführt hat (vgl. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 26 mwN. zu rechtswidrigen und vorsätzlichen – gegebenenfalls strafbaren – Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers). Ein Arbeitnehmer, der die Integrität von Eigentum und Vermögen seines Arbeitgebers vorsätzlich und rechtswidrig verletzt, zeigt ein Verhalten, das geeignet ist, die Zumutbarkeit seiner Weiterbeschäftigung in Frage zu stellen. Die durch ein solches Verhalten ausgelöste „Erschütterung“ der für die Vertragsbeziehung notwendigen Vertrauensgrundlage tritt unabhängig davon ein, welche konkreten wirtschaftlichen Schäden mit ihm verbunden sind (vgl. BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 27 mwN.). Es geht um einen störungsfreien Leistungsaustausch. Die Berechtigung einer verhaltensbedingten Kündigung ist nicht daran zu messen, ob diese als Sanktion für den fraglichen Vertragsverstoß angemessen ist. Statt des Sanktions- gilt das Prognoseprinzip. Eine verhaltensbedingte Kündigung ist gerechtfertigt, wenn eine störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht, künftigen Pflichtverstößen demnach nur durch die Beendigung der Vertragsbeziehung begegnet werden kann (st. Rspr., vgl. nur BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 28 mwN.).
cc) Danach liegt eine erhebliche, die Schwelle zum wichtigen Grund überschreitende Pflichtverletzung vor. Nach Auffassung der Kammer hat der Kläger am Morgen des 04.11.2022 durch das Anstechen um 4:37 Uhr vor Schichtbeginn, das anschließende Verlassen des Betriebs ohne Auszustempeln und durch seine Abwesenheit bis 10:17 Uhr vorsätzlich gegen seine Verpflichtung, seine Arbeitszeit korrekt zu dokumentieren, verstoßen.
Nach seinem eigenen Vortrag hat der Kläger den Betrieb um 5:15 Uhr verlassen und erst um 10:17 Uhr wieder betreten. In der Zwischenzeit ist er ins Hotel gefahren, um dort seinen Reisekoffer für die Abreise zu packen, sich zu duschen und sich für die Rückreise vorzubereiten. Wie auch der Kläger einräumt, hätte er für diesen Zeitraum ausstechen und erst nach Rückkehr zum Abschlussgespräch mit dem Zeugen W. um 10:17 Uhr wieder einstechen müssen.
Auch der subjektive Tatbestand eines Arbeitszeitbetrugs ist zur Überzeugung der Kammer erfüllt. Unglaubhaft ist der Vortrag des Klägers, es habe sich um ein unbeabsichtigtes Versehen gehandelt, welches schlichtweg auf ein einfaches Vergessen seinerseits zurückzuführen gewesen sei. Der Kläger ist – auch unter Berücksichtigung seines zweitinstanzlichen Vortrags – ungewöhnlich früh um 4:37 Uhr im Betrieb erschienen. Zwar hat der Kläger zweitinstanzlich vorgetragen, er erscheine grundsätzlich rechtzeitig zur Arbeit, da er pünktlich um 5:00 Uhr umgezogen und arbeitsbereit seine Arbeitsleistung aufnehmen müsse. Das Einstechen bereits um 4:37 Uhr war aber nicht erforderlich, um die Arbeitsleistung pünktlich um 5:00 Uhr aufzunehmen. Das zeigt sich auch daran, dass die weiteren Mitarbeiter in der Rechenfertigung am 04.11.2022 in der Frühschicht um 4:57 Uhr (D.) sowie um 4:53 Uhr (B. und S.) angestochen haben. Da der Kläger den Betrieb am 04.11.2022 zudem unmittelbar nach dem Gespräch mit Herrn D. wieder verlassen hat, um ins Hotel zu fahren, musste er sich auch nicht zur Erbringung seiner Arbeitsleistung umkleiden und folglich hierfür keine Zeit einplanen. Ist der Kläger lediglich deshalb vor Beginn der Frühschicht im Betrieb erschienen, um sich vor Ort mit den verantwortlichen Beteiligten dahingehend abzustimmen, ob die während seines Aufenthaltes durchgeführten Verbesserungen, Einstellungen und Mitarbeitereinweisungen an der Linie erwartungsgemäß funktionierten, musste er nicht vor den anderen Mitarbeitern und vor Start der Produktionsanlagen vor Ort sein. Auch macht es dann keinen Sinn, dass der Kläger den Betrieb, ohne nach den Maschinen im laufenden Betrieb gesehen zu haben, wieder verlassen hat.
Der Kläger hat seinen Vortrag zudem im Laufe des Prozesses mehrfach angepasst. Noch im erstinstanzlichen Gütetermin gab der Kläger an, dass er für circa 45 Minuten die Maschinen kontrolliert habe, bevor er das Werk verlassen habe, während er sodann im erstinstanzlichen Kammertermin angab, angeblich vor dem Werk mit Kollegen gesprochen zu haben. Er hat weiter erstinstanzlich vorgetragen, ihm sei unmittelbar nach dem Betreten der Firma aufgefallen, dass diejenigen Arbeiter, mit denen er eine Endabstimmung habe vornehmen wollen, im Außenbereich (Raucherzone) zugegen gewesen seien, so dass er durch den Haupteingang zu diesen nach draußen in den Raucher-/Außenbereich gegangen sei, um mit ihnen eine Abschlussbesprechung durchzuführen und nachzufragen, ob sämtliche Probleme der letzten Wochen behoben worden seien oder aber noch Rückfragen und Gesprächsbedarf bestanden habe. Diese Erörterungen mit mehreren Arbeitskollegen im Bereich des Raucherbereiches/Außenbereiches hätten circa 30 bis 40 Minuten gedauert. Zuletzt will er nur noch mit dem Zeugen D. gesprochen haben.
Wäre der Kläger – wie er zweitinstanzlich vorgetragen hat – tatsächlich davon ausgegangen, dass seine Arbeitszeit – wie nach seinem Vortrag in A. – erst ab Schichtbeginn (sprich: 5:00 Uhr morgens) unabhängig vom tatsächlichen Einstempeln als Arbeitszeit gezählt werde, macht es keinen Sinn, dass der Kläger überhaupt einstempelte, den Betrieb aber unmittelbar wieder verlassen wollte und nach seinem Vortrag um 5:15 Uhr bzw. nach Vortrag der Beklagten bereits vor 5:00 Uhr (vor dem Anstempeln durch den Mitarbeiter D. um 4:57 Uhr) tatsächlich wieder verließ.
Ein Vergessen des Abstechens hätte dem Kläger zudem spätestens bei seiner Rückkehr in den Betrieb auffallen müssen. Zu diesem Zeitpunkt hätte er – bei korrektem vorherigem Ausstempeln – (erneut) einstempeln müssen. Auch dieses Anstechen hat er unterlassen. Schließlich hätten auch das Nachfragen der Personalleitung Frau H. nach dem Ausstechen des Klägers und die Übergabe eines Ausdrucks der erfassten Zeiten an ihn den Kläger daran erinnern müssen, dass er das Ausstempeln am Morgen und das erneute Anstechen bei seiner Rückkehr in den Betrieb „vergessen“ hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt wäre ein Hinweis auf eine erforderliche Korrektur seinerseits erforderlich gewesen.
dd) Das Verhalten des Klägers war auch nicht dadurch gerechtfertigt, dass er für seine Heimreise 18 Stunden benötigte, von der Beklagten jedoch nur zwölf Stunden vergütet wurden.
Dabei kann letztlich dahinstehen, ob der Kläger Anspruch auf die Vergütung sämtlicher Reisezeiten entsprechend der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts vom 17.10.2018 – 5 AZR 553/17 hatte. Zwar sind nach dieser Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts (dort Rn. 17 f.) erforderliche Reisezeiten mit der für die eigentliche Tätigkeit vereinbarten Vergütung zu bezahlen. Dies gilt jedoch nur, sofern nicht durch Arbeits- oder Tarifvertrag eine gesonderte Vergütungsregelung hierfür eingreift. Mit der Einordnung des Reisens als Arbeit und damit Teil der im Sinn von § 611 Abs. 1 BGB „versprochenen Dienste“ ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (17.10.2018 – 5 AZR 553/17 – Rn. 18) noch nicht geklärt, wie die dafür vom Arbeitnehmer aufgewendete Zeit zu vergüten ist. Durch Arbeits- oder Tarifvertrag kann eine gesonderte Vergütungsregelung für eine andere als die eigentliche und damit auch für Reisezeiten getroffen werden. Dabei kann eine Vergütung für Reisezeiten auch ganz ausgeschlossen werden, sofern mit der getroffenen Vereinbarung nicht der jedem Arbeitnehmer für tatsächlich geleistete vergütungspflichtige Arbeit nach § 1 Abs. 1 MiLoG zustehende Anspruch für den Mindestlohn unterschritten wird (BAG 17.10.2018 – 5 AZR 553/17 – Rn. 18).
Jedenfalls durfte der Kläger sich keinesfalls eine Bezahlung von Reisezeiten dadurch verschaffen, dass er Arbeitszeiten am Abreisetag falsch erfasste. Nach seiner Auffassung fehlende Vergütung für Reisezeiten hatte er gegenüber der Beklagten geltend zu machen, dieser eine Prüfung der von ihm geltend gemachten Ansprüche zu ermöglichen und seine Ansprüche gegebenenfalls im Klagewege durchzusetzen.
ee) Die außerordentliche Kündigung erweist sich nach Auffassung der Kammer aber bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falles und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen der Parteien gleichwohl als nicht gerechtfertigt.
(a) Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (st. Rspr., BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 28 mwN.; 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 39 mwN.). Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (st. Rspr., BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 29 mwN.; 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 40 mwN.). Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (st. Rspr., BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 29 mwN.; 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 39 mwN.).
(b) Die Notwendigkeit der Prüfung, ob eine fristgerechte Kündigung als Reaktion ausgereicht hätte, folgt schon aus dem Wortlaut des § 626 Abs. 1 BGB. Das Erfordernis weitergehend zu prüfen, ob nicht schon eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre, folgt aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und trägt zugleich dem Prognoseprinzip bei der verhaltensbedingten Kündigung Rechnung. Das Erfordernis gilt auch bei Störungen im Vertrauensbereich. Es ist nicht stets und von vornherein ausgeschlossen, verlorenes Vertrauen durch künftige Vertragstreue zurückzugewinnen (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 35 mwN.).
Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 30 mwN.; 29.06.2017 – 2 AZR 302/16 – 28 mwN.).
(c) Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze war nach Auffassung der Kammer vorliegend eine Abmahnung vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung entbehrlich. Der Kläger hat dadurch, dass er beim Verlassen des Betriebs am 04.11.2022 nicht ausgestempelt hat, über die von ihm an diesem Tag erbrachte Arbeitsleistung getäuscht. Dadurch hat er die Beklagte zur Zahlung des Gegenwertes für eine Arbeitsleistung von spätestens 5:15 Uhr bis 10:15 Uhr, unter Berücksichtigung einer automatisch verbuchten Pause mithin für 6,5 Stunden, veranlasst. Auf diese Zahlung hatte er keinen Anspruch. Dadurch hat er die ihm obliegenden Pflichten so schwer verletzt, dass eine Hinnahme dieses vorsätzlichen und systematischen Fehlverhaltens nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für ihn selbst erkennbar – ausgeschlossen war.
Nichts Anderes ergibt sich entgegen der Ansicht des Klägers daraus, dass er weder technische Aufzeichnungsanlagen manipuliert noch aus seiner Sicht in irgendeiner Weise seine An- und Abwesenheit am Produktionsstandort in den USA vorsätzlich verschleiert hat. Entgegen der Einschätzung des Klägers war sein Verhalten auf Heimlichkeit angelegt. Auch wenn das Werk in den USA kameraüberwacht war, hatte der Kläger die Pflicht, sich so zu verhalten, dass es um seinetwillen einer Kontrolle nicht bedurfte. Er hat gerade nicht offen Freizeit als Arbeitszeit angegeben. Aus der gestempelten Arbeitszeit als solcher ließ sich von der Beklagten nicht ersehen, dass der Kläger in der angegebenen Zeit nicht gearbeitet hatte. Der Kläger konnte auch nicht davon ausgehen, dass stets die gestempelten Arbeitszeiten mit den durch die Videokameras dokumentierten Zeiten des Betretens und des Verlassens des Werks abgeglichen werden würden. Das ergibt sich bereits daraus, dass es ansonsten einer gesonderten Arbeitszeiterfassung nicht bedürfte. Ein solcher Abgleich wäre für den Arbeitgeber praktisch zudem allenfalls mit großem personellen Aufwand umsetzbar. Aus der Existenz der Videoüberwachung konnte der Kläger gerade nicht schließen, dass das Verlassen des Betriebsgeländes ohne vorheriges Abstempeln durch ihn von den Zuständigen in den USA oder der Beklagten toleriert oder als korrigierbar eingeschätzt werden würde, solange keine Beanstandung erfolgte. Das Vorgehen des Klägers kann allein aufgrund der Existenz einer Videoüberwachung gerade nicht wie ein Verhalten „vor den Augen des Vorgesetzten“ beurteilt werden. Ein Verstoß gegen die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag entfällt nicht dadurch, dass er „offen“ begangen wird und der Arbeitgeber die Möglichkeit hat, diesen durch eine Einsichtnahme in die erstellten Aufzeichnungen der Kameraüberwachung nachzuweisen. Andernfalls würde der besonders dreist vorgehende Arbeitnehmer bevorzugt.
(d) Auch wenn durch das Verhalten des Klägers das Vertrauensverhältnis zur Beklagten erheblich belastet ist, erweist sich die außerordentliche Kündigung bei Abwägung der relevanten Umstände im Ergebnis nach Ansicht der Kammer dennoch als unverhältnismäßig.
Unerheblich ist insoweit, dass die Beklagte den Kläger nach Verkündung des erstinstanzlichen Urteils mit seiner bisherigen Tätigkeit weiterbeschäftigt hat. Zum einen kommt es für die Wirksamkeit der Kündigung auf die Umstände im Zeitpunkt ihres Zugangs an. Zum anderen ist allein maßgeblich, ob zu diesem Zeitpunkt Tatsachen gegeben waren, die es dem Arbeitgeber objektiv unzumutbar gemacht haben, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen (BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15 – Rn. 18). Hierauf hat es keinen Einfluss, wenn die Beklagte den Kläger weiterbeschäftigt hat, nachdem sie erstinstanzlich zur Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzprozesses zu den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter Instandhaltung/Wartung verurteilt worden ist. Daraus lässt sich, selbst wenn unmittelbar noch keine Zwangsvollstreckung gedroht haben sollte, nicht einmal schließen, sie habe eine Weiterbeschäftigung subjektiv wieder für zumutbar gehalten (vgl. BAG 22.09.2016 – 2 AZR 848/15 – Rn. 18).
Nicht für den Kläger spricht, dass er auf den – wenn auch sehr pauschalen – Vorwurf des damaligen Geschäftsführers K., er habe Stunden ohne Gegenleistung abgerechnet, angegeben hat, er habe sich nichts zuschulden kommen lassen, in der Zeiterfassung sei alles ok.
Zu seinen Lasten ist in die Abwägung auch einzustellen, dass er im Ausland, also fern des heimischen Betriebs und der unmittelbaren Überwachung durch seine Vorgesetzten, seine Arbeitszeit nicht korrekt erfasst hat. Bei einem Einsatz außerhalb der normalen Organisation muss die beklagte Arbeitsgeberin in besonderem Maß auf die Redlichkeit und Zuverlässigkeit der entsandten Mitarbeiter vertrauen. Auch repräsentieren die entsandten Mitarbeiter die Beklagte bei ihrem Tochterunternehmen im Ausland.
Zu bedenken ist weiter die Signalwirkung sowohl für die ebenfalls ins Ausland entsandten Mitarbeiter als auch im Betrieb in C-Stadt.
Zu berücksichtigen ist nach Auffassung der Kammer jedoch auch, dass der Kläger die Auslandseinsätze – nach dem Vortrag der Beklagten freiwillig – übernommen hat. Auch wenn der Kläger durch die zusätzlichen Verdienstmöglichkeiten während der Auslandseinsätze zu diesen motiviert worden sein sollte, zeigte er dennoch durch seine Bereitschaft, auch an einem anderen Ort tätig zu werden und dadurch eine Abwesenheit von seiner Familie und seinem Wohnort in Kauf zu nehmen, besonderes Engagement. Für die durch den Auslandseinsatz zu erzielende zusätzliche Vergütung musste der Kläger zudem eine in zeitlicher Hinsicht umfangreiche Arbeitsleistung erbringen. Zwar weist die Beklagte auf Zweifel ihrerseits hin, ob der Kläger tatsächlich die von ihm im Ausland gestempelten und ihm vergüteten Stunden vollständig geleistet hat. Neben dem zum Kündigungsausspruch führenden Vorfall vom 04.11.2022 kann die Beklagte jedoch keine weiteren konkreten Tage und Zeiten nennen, an denen der Kläger die ihm vergütete Arbeitszeit nicht erbracht hat. Sie stützt ihre Vermutungen insoweit lediglich auf einen Vergleich des Umfangs der von Kläger erbrachten Arbeitszeiten mit denjenigen, die andere in die USA entsandte Arbeitnehmer erbracht haben. Insoweit könnten höhere Arbeitszeiten des Klägers auch darauf beruhen, dass dieser gerade im Hinblick auf die zu erwartende Vergütung mehr als die Kollegen gearbeitet und geringere Ruhezeiten hatte. Ein erhöhtes Engagement im Rahmen des Auslandseinsatzes ergibt sich außerdem bereits daraus, dass in den USA – anders als im Betrieb in Deutschland – in 12-Stunden-Schichten gearbeitet wurde. Im Jahr 2022 hat der Kläger mehrere Auslandseinsätze absolviert. Sie umfassten insgesamt 86 Tage und zwar die Zeiträume vom 13.01.2022 bis zum 04.02.22, vom 04.06.2022 bis 17.06.22, vom 25.08.2022 bis 02.09.2022 sowie vom 10.10.2022 bis 04.11.2022.
Die Beklagte muss den Kläger nicht zu weiteren – freiwilligen – Auslandseinsätzen heranziehen. Zwar ist der durch das Fehlverhalten des Klägers in den USA am 04.11.2022 herbeigeführte Vertrauensverlust nicht auf Tätigkeiten des Klägers im Ausland beschränkt, sondern wirkt sich auch bei einem Einsatz in C-Stadt aus. Durch die an diesem Standort gegebene Zeiterfassung und den anders gearteten Einsatz des Klägers ist eine Überwachung der Arbeitszeiten durch die Beklagte jedoch leichter möglich. Darüber hinaus geht die Kammer davon aus, dass die ausgesprochene außerordentliche Kündigung sowie das vorliegende Verfahren dem Kläger eine sehr deutliche Warnung sind, die den Kläger in Zukunft zur korrekten und exakten Erfassung seiner Arbeitszeiten veranlassen.
Der von der Beklagten für die unrechtmäßig erfassten 6,5 Stunden zunächst gezahlte Betrag in Höhe von circa 300,00 € (inclusive Arbeitgeberbeiträgen zur Sozialversicherung) ist vergleichsweise gering. Der Kläger hat allein im Jahr 2022 für zehn Flugreisen zusätzlich zu der seinem Arbeitszeitkonto gutgeschriebenen Reisezeit von zwölf Stunden jeweils sechs nicht vergütete Stunden aufgewandt.
Die Kammer hat das Lebensalter des Klägers von im Kündigungszeitpunkt 53 Jahren und seine Unterhaltspflichten berücksichtigt. Zu Gunsten des Klägers spricht aber vor allem seine Beschäftigungszeit seit dem 01.09.1987.
Je länger eine Vertragsbeziehung ungestört bestanden hat, desto eher kann die Prognose berechtigt sein, dass der dadurch erarbeitete Vorrat an Vertrauen durch einen erstmaligen Vorfall nicht vollständig aufgezehrt wird. Dabei kommt es nicht auf die subjektive Befindlichkeit und Einschätzung des Arbeitgebers oder bestimmter für ihn handelnder Personen an. Entscheidend ist ein objektiver Maßstab. Maßgeblich ist nicht, ob der Arbeitgeber hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer tatsächlich noch hat. Maßgeblich ist, ob er es aus der Sicht eines objektiven Betrachters haben müsste. Im Arbeitsverhältnis geht es nicht um ein umfassendes wechselseitiges Vertrauen in die moralischen Qualitäten der je anderen Vertragspartei. Es geht allein um die von einem objektiven Standpunkt aus zu beantwortende Frage, ob mit einer korrekten Erfüllung der Vertragspflichten zu rechnen ist (BAG 10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 47).
Der Kläger ist bereits mit 17 Jahren in den Betrieb eingetreten und hat sein anschließendes Berufsleben bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin verbracht. Er hat über 35 Jahre durch seine weitgehend beanstandungsfreie Tätigkeit Loyalität zur Beklagten gezeigt. Mit Ausnahme von zwei nicht einschlägigen Abmahnungen vom 03.09.2013 und 01.10.2013 „wegen mangelnder Arbeitseinstellung zur Qualität“ verlief das langjährige Arbeitsverhältnis beanstandungsfrei. Sie sind nicht einschlägig. Die abgemahnten Vorfälle bezogen sich zudem auf mangelnde Kontrolle der Produktion durch den Kläger in seiner seinerzeitigen Funktion als Vorarbeiter. Nunmehr ist der Kläger als Mitarbeiter im Bereich Wartung und Instandhaltung tätig. Auch lagen die beiden Abmahnungen im Kündigungszeitpunkt bereits mehr als neun Jahre zurück.
Bei einer Abwägung aller Gesichtspunkte überwiegt daher nach Auffassung der Kammer (gerade noch) das Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist gegenüber demjenigen der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung.
c) Auf die Frage, ob der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß angehört worden ist, insbesondere ob die Anhörung nebst Anlagen dem Betriebsrat ordnungsgemäß übergeben worden ist und ob der Kündigungswiderspruch des Betriebsrats vor der Übergabe des Kündigungsschreibens bei der Beklagten eingegangen ist, kommt es daher nicht mehr streitentscheidend an.
2.
Zu Recht hat das Arbeitsgericht die Beklagte zur Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verurteilt. In einem ungekündigten Arbeitsverhältnis hat der Arbeitnehmer nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts einen Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung (BAG 27.02.1985 – GS 1/84 -, juris). Der Arbeitnehmer kann nach dieser Rechtsprechung seine Weiterbeschäftigung auch dann verlangen, wenn seine Kündigungsschutzklage erfolgreich ist und besondere Interessen des Arbeitgebers an der Nichtbeschäftigung nicht bestehen. Solche besonderen Interessen der Beklagten sind vorliegend weder vorgetragen noch sonst ersichtlich.
Die Berufung der Beklagten hatte daher keinen Erfolg.
C.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.