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Fristlose Kündigung bei beharrlicher Arbeitsverweigerung – unwiderrufliche Freistellungserklärung

Wirksamkeit von Kündigungen und Entfernung einer Abmahnung im Streit

In einem Rechtsstreit geht es um die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen und die Entfernung einer Abmahnung. Die Parteien sind uneinig über die Folgen einer Freistellungserklärung und eines angebotenen Aufhebungsvertrags. Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und die fristlose Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung für gerechtfertigt erklärt.

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Die Freistellungserklärung und der Aufhebungsvertrag

Im Zentrum des Streits steht eine Freistellungserklärung sowie ein angebotener Aufhebungsvertrag. Der Kläger sieht die Freistellungserklärung als unbefristet und unwiderruflich an und lehnte den Aufhebungsvertrag ab.

Die Kündigungen und die Abmahnung

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis aus verschiedenen Gründen, einschließlich betriebsbedingter Gründe und fortgesetztem unentschuldigtem Fehlen. Zudem mahnte sie den Kläger wegen unentschuldigten Fehlens ab. Der Kläger wendet sich gegen alle Kündigungen und verlangt die Entfernung der Abmahnung.

Das Arbeitsgerichtsurteil

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab und erklärte die fristlose Kündigung wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung für gerechtfertigt. Der Kläger habe die Freistellungserklärung nicht so verstehen dürfen, dass ihn die Beklagte bis zu seinem Renteneintritt bei voller Vergütung von seiner Arbeitspflicht entbinden wollte.

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Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 209/21 – Urteil vom 03.03.2022

1. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12. Mai 2021, Az. 7 Ca 3754/20 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit mehrerer Kündigungen und die Entfernung einer Abmahnung.

Der 1971 geborene, verheiratete Kläger war bei der Beklagten seit 1. April 2017 als SAP Solution Manager Officer zu einem monatlichen Grundgehalt von € 7.850,00 brutto beschäftigt. Einzelvertraglich wurde eine Kündigungsfrist von drei Monaten zum Monatsende vereinbart. Im Juni 2020 kam es zu Unstimmigkeiten über die Höhe einer Bonuszahlung. Der wechselseitige Schriftverkehr zwischen den Parteien endete mit der Aufforderung der Beklagten, der Kläger möge bis zum 3. September 2020 erklären, ob er an seinen Vorstellungen weiter festhalte.

Am 14. September 2020 fand ein Personalgespräch zwischen dem Kläger, einem Geschäftsführer der Beklagten, dem Personalleiter sowie einem Betriebsratsmitglied statt. Im Gespräch wurde dem Kläger eine schriftliche Freistellungserklärung mit folgendem Wortlaut ausgehändigt:

„Hiermit stellen wir Sie vom 14.09.2020 unwiderruflich von Ihrer Tätigkeit frei unter Weiterzahlung der Bezüge“

Ferner wurde dem Kläger ein Aufhebungsvertrag angeboten. Der vorbereitete Vertragstext, der von Beklagtenseite mit Datum vom 14. September 2020 bereits unterzeichnet war, lautet auszugweise:

„§ 1 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Die Parteien sind sich einig, dass das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis mit Wirkung zum 31.12.2020 („Beendigungsdatum“) enden wird. …

§ 2 Freistellung/Urlaub

Der Mitarbeiter wird ab dem 14.09.2020 („Freistellungsdatum“) bis zum Beendigungsdatum unter Fortzahlung der Vergütung gemäß § 4 dieses Aufhebungsvertrags und unter Anrechnung von offenen Urlaubsansprüchen unwiderruflich von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt.“

Die Beklagte räumte dem Kläger eine Woche Bedenkzeit ein. Am 17. September 2020 lehnte der Kläger über seinen jetzigen Prozessbevollmächtigten den Vertragsschluss ab. In dessen E-Mail heißt es:

„Ihr Freistellungsschreiben vom 14.09.2020 … enthält eine unwiderrufliche Freistellung ohne jeden Vorbehalt: Keine zeitliche Begrenzung, keine Anrechnung von Zwischenverdiensten. Und unwiderruflich heißt unwiderruflich. In der Auslegung solcher Erklärungen ist das Bundesarbeitsgericht eindeutig. Wenn Sie [dem Kläger] also ein neues Angebot unterbreiten wollen, dann sollte es ein solches sein, dass eine echte Alternative zu der unwiderruflichen Freistellung bis zum Renteneintritt (falls Sie eine Altersgrenze vereinbart haben) darstellt.“

In einer weiteren E-Mail vom 24. September 2020 führte der Klägervertreter aus, sein Mandant sei 48 Jahre alt, er trete am 31. Dezember 2038, also in 18 Jahren und drei Monaten, in den gesetzlichen Ruhestand. Angesichts der unbefristeten und unwiderruflichen Freistellung entspreche dies einem Vergütungsvolumen von gut 2,1 Millionen Euro. Der Kläger könne sich ein Ausscheiden zum 31. Dezember 2021 vorstellen, wenn ihm die Beklagte ein Viertel dieses Betrages als Abfindung zahle. Dies lehnte die Beklagte über ihren Prozessbevollmächtigten mit E-Mail vom 9. Oktober 2020 ab und teilte mit, vor dem Hintergrund der finanziellen Vorstellungen des Klägers sehe sie die Verhandlungen über einen Aufhebungsvertrag derzeit als gescheitert an. Infolgedessen entfalle auch die Voraussetzung für die Freistellung. Abschließend forderte sie den Kläger auf, am 12. Oktober 2020 seine Arbeit aufzunehmen. Der Klägervertreter erwiderte mit E-Mail vom 12. Oktober 2020:

„Ich habe mich mit [dem Kläger] besprochen. Es gab und gibt keine Verpflichtung für ihn, ab dem 12.10.2020 seine bisherige Arbeit wieder aufzunehmen. Es gibt auch keine Veranlassung, darüber zu telefonieren.“

Weil der Kläger nicht zur Arbeit erschien, mahnte ihn die Beklagte mit Schreiben vom 14. Oktober 2020 wegen unentschuldigten Fehlens am 13. Oktober 2020 ab und forderte ihn auf, die Arbeit unverzüglich wieder aufzunehmen. Mit weiterem Schreiben vom 14. Oktober 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen ordentlich zum 31. Januar 2021. Diese Kündigung ging dem Kläger am 28. Oktober 2020 zu. Da die Beklagte bei ihrer ersten Abmahnung übersehen hatte, dass sich der Kläger vom 12. bis einschließlich 14. Oktober 2020 im Urlaub befand, mahnte sie ihn mit Schreiben vom 21. Oktober 2020 wegen unentschuldigten Fehlens ab dem 15. Oktober 2020 erneut ab. Weil der Kläger auch in der Folgezeit nicht zur Arbeit erschien, kündigte sie das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 3. November 2020 wegen fortgesetzten unentschuldigten Fehlens außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Kläger wendet sich gegen sämtliche Kündigungen mit seiner am 13. November 2020 erhobenen Klage. Außerdem verlangt er die Entfernung der Abmahnung vom 14. Oktober 2020.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. Oktober 2020, zugegangen am 28. Oktober 2020, mit Wirkung zum Ablauf des 31. Januar 2021 endet,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 3. November 2020, zugegangen am 4. November 2020, endet,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch die weitere ordentliche Kündigung vom 3. November 2020, zugegangen am 4. November 2020, mit Wirkung zum Ablauf des 28. Februar 2021 endet,

4. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 14. Oktober 2020 aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 12. Mai 2021 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen und zur Begründung – zusammengefasst – ausgeführt, die fristlose Kündigung der Beklagten vom 3. November 2020 sei wegen beharrlicher Arbeitsverweigerung nach § 626 BGB gerechtfertigt. Der Kläger habe die separate Freistellungserklärung vom 14. September 2020 vernünftigerweise nicht so verstehen dürfen, dass ihn die Beklagte bis zu seinem Renteneintritt bei voller Vergütung von seiner Arbeitspflicht entbinden wollte. Die vom Kläger gewünschte Auslegung entspreche weder dem den Begleitumständen zu entnehmenden wirklichen Willen der Beklagten (§ 133 BGB) noch der Verkehrssitte oder Treu und Glauben (§ 157 BGB) noch der erforderlichen, vom Standpunkt eines vernünftigen Erklärungsempfängers ausgehenden Berücksichtigung der beiderseitigen Interessen. Dem Kläger hätte klar sein müssen, dass ihn die Beklagte, wenn er den angebotenen Aufhebungsvertrag (ohne Abfindung, mit einer bezahlten Freistellung von 3,5 Monaten) ablehnen sollte, nicht 18 Jahre unter Fortzahlung der Vergütung freistellen wollte. Er hätte erkennen können, dass die separate Freistellungserklärung lediglich die Zeitspanne abdecken sollte, bis klar sei, ob der angebotene Aufhebungsvertrag so oder in anderer Form abgeschlossen werde oder nicht. Der Kläger habe sich trotz Abmahnung nachdrücklich geweigert, seine Arbeit ab dem 15. Oktober 2020 wieder aufzunehmen. Der Kläger habe nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch die Kündigung vom 3. November 2020 keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 14. Oktober 2020 aus seiner Personalakte. Zwar sei der darin enthaltene Vorwurf des unentschuldigten Fehlens am 13. Oktober 2020 unzutreffend, weil der Kläger an diesem Tag Urlaub hatte. Der Kläger habe keine Gründe dargelegt, dass ihm die Abmahnung noch nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses schaden könnte. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 12. Mai 2021 Bezug genommen.

Der Kläger hat gegen das am 17. Mai 2021 zugestellte Urteil mit einem am 16. Juni 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 19. Juli 2021 (Montag) eingegangenen Schriftsatz begründet.

Er macht nach Maßgabe der Berufungsbegründungschrift vom 19. Juli 2021, auf die ergänzend Bezug genommen wird, im Wesentlichen geltend, eine beharrliche Arbeitsverweigerung ab dem 15. Oktober 2020 sei ihm nicht vorzuwerfen, weil ihn die Beklagte mit der im Personalgespräch überreichten separaten Freistellungserklärung vom 14. September 2020 unwiderruflich und unbefristet freigestellt habe. Das Arbeitsgericht habe die Freistellungserklärung fehlerhaft ausgelegt. Deren Wortlaut sei eindeutig. Die vorgenommene Auslegung entspreche nicht den Regeln der §§ 133, 157 BGB. Darüber hinaus habe das Arbeitsgericht verkannt, dass die Freistellungserklärung der AGB-Kontrolle unterliege. Die Beklagte habe vorgetragen, dass sie derartige Freistellungserklärungen üblicherweise abgebe, um Arbeitnehmern, von denen sie sich trennen wolle, nach Mitteilung der Trennungsabsicht bis zum Abschluss des angebotenen Aufhebungsvertrags und dem Eingreifen der dann dort geregelten Freistellung, ein weiteres Tätigwerden am Arbeitsplatz zu „ersparen“. Es komme daher die Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB zur Anwendung. Spätestens bei Anwendung dieser Regelung hätte das Arbeitsgericht zu dem Ergebnis gelangen müssen, dass ihn die Beklagte dauerhaft unwiderruflich unter Fortzahlung der Vergütung freistellen wollte.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 12. Mai 2021, 7 Ca 3754/20, abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 14. Oktober 2020, zugegangen am 28. Oktober 2020, mit Wirkung zum Ablauf des 31. Januar 2021 endet,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 3. November 2020, zugegangen am 4. November 2020, endet,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung vom 3. November 2020, zugegangen am 4. November 2020, mit Wirkung zum Ablauf des 28. Februar 2021 endet;

4. die Beklagte zu verurteilen, die Abmahnung vom 14. Oktober 2020 aus der Personalakte zu entfernen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vortrags.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt worden. Sie genügt den gesetzlichen Begründungsanforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 ZPO und erweist sich auch sonst als zulässig.

Es ist unschädlich, dass die Berufungsbegründung keinerlei Ausführungen zum abgewiesenen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 14. Oktober 2020 enthält. Zwar muss bei mehreren Streitgegenständen für jeden eine Begründung gegeben werden. Eine eigenständige Begründung der Berufung ist jedoch entbehrlich, wenn mit der Begründung der Berufung über den einen Streitgegenstand zugleich dargelegt ist, dass die Entscheidung über den anderen unrichtig ist (vgl. BAG 24. Oktober 2019 – 8 AZR 528/18 – Rn. 18 mwN). Das ist hier der Fall. Nach der vom Arbeitsgericht gegebenen Begründung kann der Kläger die Entfernung der Abmahnung vom 14. Oktober 2020, obwohl unrichtig, nicht verlangen, weil das Arbeitsverhältnis durch die fristlose Kündigung vom 3. November 2020 beendet worden ist.

II.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 3. November 2020 mit ihrem Zugang aufgelöst worden ist. Der Kläger hat deshalb keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 14. Oktober 2020 aus seiner Personalakte.

1. Die Annahme des Arbeitsgerichts, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 3. November 2020 aufgelöst worden, ist nicht zu beanstanden. Für die außerordentliche Kündigung bestand ein wichtiger Grund iSd. § 626 BGB. Die Berufungskammer folgt den ausführlichen und sorgfältig dargestellten Entscheidungsgründen des erstinstanzlichen Urteils und stellt dies gem. § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Von der Darstellung eigener vollständiger Entscheidungsgründe wird daher abgesehen. Die Berufungsangriffe des Klägers bleiben erfolglos.

a) Wie das Arbeitsgericht zutreffend erkannt hat, stellt das Verhalten des Klägers einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB dar.

aa) Die beharrliche Weigerung eines Arbeitnehmers, seine arbeitsvertraglichen Pflichten zu erfüllen, ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer weigert sich beharrlich, seinen vertraglichen Pflichten nachzukommen, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht erfüllen will. Welche Pflichten ihn treffen, bestimmt sich nach der objektiven Rechtslage. Verweigert der Arbeitnehmer die Erfüllung einer arbeitsvertraglichen Pflicht in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat er grundsätzlich selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als falsch erweist (vgl. BAG 28. Juni 2018 – 2 AZR 436/17 – Rn. 16 mwN).

bb) Die Berufungskammer teilt die Ansicht des Arbeitsgerichts, dass sich der Kläger bewusst und nachhaltig geweigert hat, im Anschluss an seinen Erholungsurlaub ab dem 15. Oktober 2020 seine arbeitsvertraglich geschuldete Tätigkeit zu erbringen. Der Kläger war von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung nicht deshalb befreit, weil ihn die Beklagte mit Schreiben vom 14. September 2020 bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze am 1. Januar 2039, also für 18 Jahren und drei Monate, unwiderruflich unter Fortzahlung einer Vergütung von rund 2,1 Millionen Euro freigestellt hat.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die separate Freistellungserklärung der Beklagten vom 14. September 2020 so auszulegen, dass sie lediglich die Zeitspanne abdecken sollte, bis klar war, ob der Aufhebungsvertrag, der dem Kläger im selben Personalgespräch am 14. September 2020 angeboten worden ist, so oder in anderer Form abgeschlossen würde oder nicht. Die separate Freistellungserklärung kann dagegen nicht dahin verstanden werden, dass die Beklagte den Kläger unabhängig von einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses bis zum Renteneintritt habe freistellen wollen.

Die Freistellungswirkung entfiel, als offenkundig war, dass der angebotene Aufhebungsvertrag zwischen den Parteien nicht zustande kommen würde. Wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, war dies im Grunde bereits am 24. September 2020 der Fall, als der anwaltlich vertretene Kläger den unterbreiteten Aufhebungsvertrag, der eine dreieinhalbmonatige Freistellung unter Fortzahlung der Vergütung ohne Abfindung vorsah, ablehnte und stattdessen eine Abfindung von über einer halben Million Euro zur Abgeltung einer (sonst) 18-jährigen Freistellung bei voller Vergütung forderte. Spätestens aber mit der Ablehnung seines Änderungsangebots durch die E-Mail der Beklagten vom 9. Oktober 2020, in der sie zugleich die Aufhebungsvertragsverhandlungen für gescheitert erklärte, war die Grundlage für die Freistellung entfallen. Der Kläger war deshalb verpflichtet, nach seinem Erholungsurlaub am 15. Oktober 2020 die Arbeit wieder aufzunehmen.

Es kann dahinstehen, ob es sich bei der schriftlichen Freistellungserklärung der Beklagten vom 14. September 2020 um eine individuelle Willenserklärung oder um eine typische Erklärung handelt, die nach den für Allgemeine Geschäftsbedingungen entwickelten Grundsätzen auszulegen ist. Die Auslegung führt auch bei Anlegung dieser Grundsätze zu keinem anderen Ergebnis. Entgegen der Ansicht der Berufung bestehen keine Zweifel bei der Auslegung, so dass für die Anwendung der Unklarheitenregelung des § 305c Abs. 2 BGB kein Raum besteht.

(1) Individuelle Willenserklärungen oder Individualvereinbarungen sind gemäß §§ 133, 157 BGB so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Zu den Auslegungsgrundsätzen gehört, dass gemäß § 133 BGB bei der Auslegung der wirkliche Wille zu erforschen und nicht an dem buchstäblichen Sinn des Ausdrucks zu haften ist. Dieser Aufgabe kann das Gericht nur dann voll gerecht werden, wenn er sich nicht auf eine Analyse des Wortlauts beschränkt, sondern auch die Interessenlage der Vertragsparteien in den Blick nimmt (vgl. BAG 23. Februar 2021 – 5 AZR 314/20 – Rn. 14 mwN). Das hat das Arbeitsgericht getan.

Das Arbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die separate Freistellungserklärung der Beklagten lediglich den Zeitraum bis zum Abschluss eines Aufhebungsvertrags überbrücken sollte. Dieses Auslegungsergebnis ergibt sich insbesondere aus dem Umstand, dass die Vertreter der Beklagten dem Kläger in dem Personalgespräch vom 14. September 2020 eröffnet haben, dass sich die Beklagte von ihm trennen wolle und ihm einen Aufhebungsvertrag anbiete. Dem Kläger wurde ein Vertragstext mit dem Angebot der Beklagten überreicht und eine Bedenkzeit von einer Woche eingeräumt. Aus Sicht eines objektiven Erklärungsempfängers kam damit eindeutig zum Ausdruck, dass die separate Freistellungserklärung lediglich einen Überbrückungscharakter haben sollte, bis der Aufhebungsvertrag unterzeichnet wird. Auch wenn die bestrittene Behauptung des Klägers zutreffen sollte, dass ihm die Beklagtenvertreter den Text mit dem Aufhebungsvertragsangebot im Verlauf des Gesprächs erst zeitlich nach der Freistellungserklärung übergeben haben, wäre der Gesamtkontext zu betrachten. Das Arbeitsgericht hat zutreffend ausgeführt, dass sich das Personalgespräch nicht in unnatürlicher Weise aufspalten lasse. Die Berufungskammer teilt die Ansicht des Arbeitsgerichts, dass der Kläger nicht ernsthaft annehmen durfte, dass ihm die Beklagte mit der separaten Freistellungserklärung über 2 Millionen Euro „schenken“ wollte, wenn er den überreichten Aufhebungsvertrag nicht annehmen sollte. Den Erwägungen des Arbeitsgerichts ist nichts hinzuzufügen.

(2) Sollte es sich bei der fraglichen Freistellungserklärung um eine typische Erklärung iSd. § 305 ff BGB handeln, gelten für die Auslegung die für Allgemeine Geschäftsbedingungen entwickelten Grundsätze.

Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach gefestigter Rechtsprechung unabhängig von der Gestaltung des Einzelfalls sowie dem Willen und den Belangen der jeweils konkreten Vertragspartner, also nach ihrem typischen Sinn auszulegen. Es kommt darauf an, wie sie von verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei die Verständnismöglichkeiten des durchschnittlichen Vertragspartners des Verwenders zugrunde zu legen sind (vgl. etwa BAG 3. Dezember 2019 – 9 AZR 44/19 – Rn. 15 mwN).

Die Auslegung der separaten Freistellungserklärung vom 14. September 2020 nach diesen Grundsätzen ergibt, dass die Freistellung nur bis zur Klärung über den Abschluss des angebotenen Aufhebungsvertrags gelten sollte. Entgegen der Ansicht der Berufung bestehen im Streitfall keine Auslegungszweifel. Die Anwendung der Unklarheitenregel des § 305c Abs. 2 BGB setzt voraus, dass die Auslegung einer AGB-Bestimmung mindestens zwei Ergebnisse als vertretbar erscheinen lässt und von diesen keines den klaren Vorzug verdient. Es müssen trotz der Ausschöpfung anerkannter Auslegungsmethoden „erhebliche Zweifel“ an der richtigen Auslegung bestehen (st. Rspr., zB BAG 20. März 2019 – 7 AZR 98/17 – Rn. 22 mwN). Angesichts des eindeutigen Auslegungsergebnisses ist für die Anwendung der Unklarheitenregelung in § 305c Abs. 2 BGB im Streitfall kein Raum.

b) Auch die Interessenabwägung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Der Beklagten war nicht zuzumuten, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger auch nur bis zum Ablauf der dreimonatigen ordentlichen Kündigungsfrist am 31. Januar 2021 fortzusetzen. Der Kläger hat seine Arbeit beharrlich verweigert, obwohl ihn die Beklagte unmissverständlich aufgefordert hat, diese wiederaufzunehmen. Der anwaltlich vertretene Kläger hat bereits mit E-Mail vom 12. Oktober 2020 unmissverständlich deutlich gemacht, dass er seine Arbeit nicht wiederaufnehmen werde. Auch die zwei Abmahnungen vom 14. und 21. Oktober 2020 haben den Kläger nicht bewogen, sein Verhalten zu überdenken und abzuändern. Eine derartige Weigerungshaltung musste die Beklagte nicht hinnehmen. Wie bereits ausgeführt, hat der Kläger selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung, er sei bis zum Erreichen der Regelaltersgrenze in 18 Jahren bei Fortzahlung der Vergütung nicht mehr zur Arbeitsleistung verpflichtet, als fehlerhaft erweist. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung erst dreieinhalb Jahre bestanden, so dass der Kläger noch keinen erheblichen sozialen Besitzstand erworben hat. Im Übrigen hat er gute Chancen auf dem Arbeitsmarkt für IT-Fachkräfte wieder eine adäquate Anstellung zu finden. Bei einer Gesamtwürdigung überwiegen daher die Interessen der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.

c) Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung auf ein unentschuldigtes Fernbleiben des Klägers von der Arbeit ab dem 15. Oktober 2020 gestützt. Damit hat sie einen Dauertatbestand geltend gemacht, der sich bis zum Kündigungszeitpunkt fortlaufend neu verwirklichte.

2. Das Arbeitsgericht hat ebenfalls zutreffend erkannt, dass der Kläger aus §§ 242, 1004 Abs. 1 Satz 1 BGB keinen Anspruch auf Entfernung der Abmahnung vom 14. Oktober 2020 aus der Personalakte hat.

Nach Beendigung des Arbeitsverhältnisses kann ein Anspruch auf Entfernung von Abmahnungen nur dann bestehen, wenn es objektive Anhaltspunkte dafür gibt, dass die Abmahnung dem Arbeitnehmer noch schaden kann (vgl. BAG 17. November 2016 – 2 AZR 730/15 – Rn. 47 mwN). Dafür hat der Kläger auch in zweiter Instanz keinerlei Tatsachen vorgetragen.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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