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Fristlose Kündigung bei langandauernder Arbeitsunfähigkeit

Ein komplizierter Fall von außerordentlicher Kündigung: Langjähriger Mitarbeiter vs Stadtverwaltung

Der Hauptakteur in unserem heutigen Drama ist ein 1962 geborener Mann und städtischer Mitarbeiter, der seit 1979 in der Grünflächen- und Friedhofsabteilung der Stadtverwaltung tätig ist. Das Drehbuch enthält eine kontroverse Wendung, als die Stadtverwaltung den Mann aufgrund seiner umfangreichen krankheitsbedingten Fehlzeiten kündigt. Der Mitarbeiter, der als schwerbehindert anerkannt ist, wehrt sich gegen die Kündigung und fordert seine Weiterbeschäftigung und Annahmeverzugsvergütung.

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Langjährige Dienstleistung und steigende Fehlzeiten

Unser Protagonist ist ein unqualifizierter Arbeiter, der mit Hingabe Grünflächen und Friedhöfe pflegt. Leider sind seine Fehlzeiten aufgrund von Krankheiten in den letzten Jahren gestiegen. Besonders hervorzuheben sind das Jahr 2017, in dem er 90 Arbeitstage ausfiel, und das Jahr 2019, in dem er das ganze Jahr über arbeitsunfähig war.

Schwierige Kommunikation und nicht wahrgenommene Möglichkeiten

Die Stadtverwaltung hat mehrere Versuche unternommen, den Mitarbeiter in eine betriebsärztliche Untersuchung einzubeziehen und um seine Zustimmung zur Aufhebung der ärztlichen Schweigepflicht gebeten. Trotz Einladung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement und einem Präventionsgespräch, an dem verschiedene wichtige Parteien teilnahmen, hat der Mitarbeiter nicht reagiert. Zudem wurde festgestellt, dass dem Mitarbeiter keine leichtere Tätigkeit zugewiesen werden kann.

Reha-Maßnahme und Informationsmangel

Trotz seiner anhaltenden Gesundheitsprobleme nahm der Mann im Herbst 2019 an einer stationären Reha-Maßnahme teil. Über den Inhalt des abschließenden Berichts dieser Maßnahme wurde die Stadtverwaltung allerdings nicht informiert.

In der Gesamtbetrachtung präsentiert sich eine schwierige Situation: Ein langjähriger Mitarbeiter, der sich mit steigenden krankheitsbedingten Fehlzeiten konfrontiert sieht und eine Stadtverwaltung, die mit den Herausforderungen umgehen muss, den Betrieb aufrechtzuerhalten und gleichzeitig die Rechte ihres schwerbehinderten Mitarbeiters zu respektieren. Die Gerichte sind nun gefragt, in dieser komplexen Lage eine gerechte Entscheidung zu treffen.


Das vorliegende Urteil

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 7 Sa 143/21 – Urteil vom 17.11.2021

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 25. März 2021, Az.: 6 Ca 542/19, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung, die Weiterbeschäftigung des Klägers und Ansprüche auf Annahmeverzugsvergütung.

Der 1962 geborene Kläger ist seit dem 1. März 1979 bei der Beklagten als städtischer Mitarbeiter beschäftigt. Er ist als ungelernter Arbeiter im Bereich Grünflächen und Friedhöfe mit einem Bruttomonatsgehalt von zuletzt 2.883,70 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 38 Stunden beschäftigt.

Der Kläger ist seit dem 18. Dezember 1991 mit einem Grad von 50 als schwerbehindert anerkannt. Die Anerkennung beruht auf einem Anfallsleiden und organischem Psychosyndrom nach Hirnkontusion und Schädelbruch. Der Kläger ist ledig und hat keine Unterhaltsverpflichtungen.

Auf das Arbeitsverhältnis finden die Vorschriften des TVöD VKA Anwendung. Das Arbeitsverhältnis des Klägers ist gemäß § 34 Abs. 2 TVöD ordentlich unkündbar.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig circa 110 Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden.

Im Jahr 2016 war der Kläger 72 Arbeitstage erkrankt (vgl. Fehlzeitenübersicht 2016 Bl. 137 d. A.). Im Jahr 2017 war er bis zum 5. Mai durchgängig, also 90 Arbeitstage erkrankt (vgl. Fehlzeitenübersicht 2017 Bl. 138 d. A.). Ab dem 20. August 2018 war der Kläger erneut ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Dies sind 50 Arbeitstage in 2018 (vgl. Fehlzeitenübersicht 2018 Bl. 139 d. A.). Im Jahr 2019 war der Kläger durchgehend arbeitsunfähig erkrankt, somit an allen 248 Arbeitstagen.

Am 21. Mai 2019 (Bl. 140 d. A.) wurde er von der Beklagten schriftlich um eine betriebsärztliche Untersuchung und unter dem 8. Juli 2019 (Bl. 141 f. d. A.) schriftlich darum gebeten, seine behandelnden Ärzte ihr gegenüber von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden. Der Kläger reagierte hierauf nicht. Am 8. August 2019 (Bl. 144 d. A.) wurde der Kläger zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement eingeladen. An dem sodann am 16. Oktober 2019 bei der Beklagten durchgeführten Präventionsgespräch nahm der Kläger trotz Einladung ohne Erklärung nicht teil. Zu diesem Präventionsgespräch hatte die Beklagte neben dem Kläger das Integrationsamt, die Agentur für Arbeit, die Deutsche Rentenversicherung, die Schwerbehindertenvertretung, den Personalrat und den Abteilungsleiter Grünflächen eingeladen. Anwesend waren sodann Frau D. vom Integrationsamt L., der Personalratsvorsitzende Da. der Leiter des Personalamts der Stadt Z., Herr K., in Begleitung der für den Kläger zuständigen Mitarbeiterin B., der für den Kläger zuständige Abteilungsleiter Grünflächen, Herr H., das für die Terminwahrnehmung bevollmächtigte Mitglied der Schwerbehindertenvertretung, Herr F., und das stellvertretende Vorstandsmitglied der Beklagten, Frau H., sowie der Beklagtenvertreter Rechtsanwalt Justizrat K. Es wurde festgestellt, dass dem Kläger keine leichtere Tätigkeit zugewiesen werden kann (Gesprächsprotokoll Bl. 145 ff. d. A.).

Vom 24. September 2019 bis 29. Oktober 2019 war der Kläger in einer stationären Reha-Maßnahme. Wegen des Inhalts des – vom Kläger mit Schriftsatz vom 11. Mai 2020 zur Gerichtsakte gereichten – Entlassungsberichts wird auf Blatt 47 f. d. A. Bezug genommen. Die Beklagte war hiervon jedenfalls vom Kläger selbst nicht unterrichtet worden.

Nachdem weitere Kontaktversuche mit dem Kläger fehlschlugen, beantragte die Beklagte am 31. Oktober 2019 beim Integrationsamt die Zustimmung zur krankheitsbedingten Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers. Der Antrag ging dort am 5. November 2019 ein. Mit Bescheid vom 19. November 2019 (Bl. 6 ff. d. A.), der Beklagten am 20. November 2019 zugegangen, erteilte das Integrationsamt die Zustimmung zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung mit sozialer Auslauffrist. Hiergegen legte der Kläger Widerspruch ein. Zwischenzeitlich wurde der Widerspruch des Klägers aufgrund mündlicher Verhandlung des Widerspruchsausschusses bei dem Integrationsamt am Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung am 7. Mai 2021 zurückgewiesen.

Mit Schreiben vom 25. November 2019 (Bl. 4 f. d. A.), das dem Kläger per Boten zugestellt wurde, sprach die Beklagte eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist zum 30. Juni 2020 wegen der „langandauernden Erkrankung“ des Klägers aus. Insoweit streiten sich die Parteien darüber, ob die Kündigung dem Kläger noch am 25. November 2019 oder erst am 26. November 2019 zuging.

Gegen diese Kündigung wandte sich der Kläger mit seiner am 17. Dezember 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 31. Dezember 2019 zugestellten Kündigungsschutzklage.

Seit dem 4. Februar.2020 legte der Kläger der Beklagten keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mehr vor. Zur Arbeitsaufnahme im Betrieb erschien er nicht.

Vom 26. Juni 2020 bis 30. Juni 2020 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Am Nachmittag des 30. Juni 2020 wurde der Kläger zur betriebsärztlichen Untersuchung gefahren, wo ein einfaches Gespräch stattfand. Bei Rückkehr in die Betriebsstätte am 30. Juni 2020 wurde dem Kläger mitgeteilt, dass er gekündigt sei, die Schlüssel abgeben und seinen Spind leerräumen solle.

Laut Attest des A. GmbH & Co. KG vom 2. Juli 2020 bestehen aus arbeitsmedizinischer Sicht keine Bedenken gegen eine Wiederaufnahme der Tätigkeit (Bl. 104 d.A.).

Ab dem 1. September 2020 erhielt der Kläger ausweislich des Bescheides der Agentur für Arbeit vom 3. Juli 2020 (Bl. 213 ff. d. A.) Arbeitslosengeld in Höhe von kalendertäglich 40,65 € netto (monatlich 1.219,50 € netto).

Der Kläger erweiterte seine Klage mit am 4. Dezember 2020 beim Arbeitsgericht eingegangenem, der Beklagten am 17. Dezember 2020 zugestelltem Schriftsatz hilfsweise um Annahmeverzugsentgeltansprüche für den Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis 30. November 2020, mit am 4. Januar 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenem, der Beklagten am 6. Januar 2021 zugestelltem Schriftsatz hilfsweise um Annahmeverzugsentgeltansprüche für Dezember 2020 und eine Jahressonderzahlung in Höhe von 95 % eines Monatsentgelts sowie mit am 3. Februar 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenem, der Beklagten am 8. Februar 2021 zugestelltem Schriftsatz hilfsweise um Annahmeverzugsentgeltansprüche für Januar 2021 und weiter hilfsweise mit am 8. März 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenem, der Beklagten am 9. März 2021 zugestelltem Schriftsatz vom 3. März 2020 um Annahmeverzugsentgeltansprüche für Februar 2021.

Mit Schreiben vom 29. März 2021 (Bl. 440 d. A.) forderte die Beklagte den Kläger zur Wiederaufnahme seiner Arbeitstätigkeit als Mitarbeiter des Friedhofes ab dem 1. April 2021 auf. Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit dem 1. April 2021.

Der Kläger hat vorgetragen, er mache das Fehlen eines wichtigen Grundes, die fehlende soziale Rechtfertigung der Kündigung und die Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB geltend.

Die ordnungsgemäße Anhörung des Personalrats und der Schwerbehindertenvertretung werde mit Nichtwissen bestritten.

Er sei wegen einer mittelgradigen depressiven Episode (ICD-Diagnose F32.1) arbeitsunfähig gewesen. Ausweislich der fachärztlichen Bescheinigung des Facharztes für Nervenheilkunde P., Z. vom 16. Juni 2020 (Bl. 70 d. A.) lägen bei ihm auf nervenärztlichem Gebiet keine Befunde vor, die ihn in seinem Leistungsvermögen einschränkten. Der Kläger hat weiter vorgetragen, auch andere Befunde, die das Leistungsvermögen einschränken könnten, lägen bei ihm nicht vor, so auch laut Entlassungsbericht der Reha-Klinik. Er sei vollumfänglich in der Lage seine Arbeit bei der Beklagten weiterhin zu verrichten. Die Negativprognose sei damit entkräftet.

Sein Reha-Aufenthalt sei der Beklagten bekannt gewesen. Er habe die Klinik gebeten, seinen Arbeitgeber über den Aufenthalt zu informieren.

Er habe das Kündigungsschreiben am 26. November 2020 in seinem Hausbriefkasten bei der auf die letzte Postleerung des 25. November 2019 nächstfolgenden Postleerung vorgefunden. Er bestreite einen Einwurf des Kündigungsschreibens durch die beiden genannten Boten M. und A. am 25. November 2020 um 14.27 Uhr mit Nichtwissen.

Die Postzustellung erfolge in seiner Wohnstraße üblicherweise in der Mittagszeit und sei, außer vielleicht an Tagen höchsten Postaufkommens wie Weihnachten, um circa 13.00 Uhr beendet. Da der 25. November 2019 ein Montag gewesen sei und generell montags mit geringem Postaufkommen zu rechnen sei, habe er nicht damit rechnen müssen, dass ihm die Beklagte um 14.27 Uhr durch Botenüberbringung eine Kündigung in den Hausbriefkasten einwerfe. Er habe nach 14.27 Uhr seinen Hausbriefkasten nicht nochmals auf weiteren Postzugang kontrollieren müssen.

Die Beklagte habe die Frist des § 174 SGB IX nicht gewahrt. Im Rahmen des Präventionsgesprächs am 16. Oktober 2019 habe die Beklagte Kenntnis von den maßgeblichen Tatsachen erhalten. Der Antrag auf Zustimmung sei aber erst am 5. November 2019 beim Integrationsamt eingegangen. Damit sei die Frist nicht gewahrt. Das Arbeitsgericht sei zur Prüfung dieser Frist originär zuständig.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 25. November 2019 nicht beendet wird;

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Friedhofsgärtner weiterzubeschäftigen;

3. im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziff. 1 aus der Klageschrift vom 17. Dezember 2019 die Beklagte zu verurteilen, an ihn Annahmeverzugsentgelt für den Zeitraum vom 1. Juli 2020 bis zunächst 30. November 2020 in Höhe von 14.084,50 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 3.658,50 € netto seit 31. Dezember 2019 zu leisten;

4. im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziff. 1 aus der Klageschrift vom 17. Dezember 2019 die Beklagte zu verurteilen, an ihn Annahmeverzugsentgelt in Höhe von 5.623,22 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 1.219,50 € netto seit 31. Dezember 2019 zu leisten;

5. im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu Ziff. 1 aus der Klageschrift vom 17. Dezember 2019 die Beklagte zu verurteilen, an ihn Annahmeverzugsentgelt in Höhe von 2.883,70 € brutto nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 1.219,50 € netto seit 31. Dezember 2019 zu leisten.

Die Beklagte hat beantragt,  die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, die Kündigung sei dem Kläger bereits am 25. November 2019 per Boten zugegangen. Die Kündigung sei an diesem Tag durch die Mitarbeiter der Beklagten, Herrn M. und Herrn A., um 14.27 Uhr in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen worden. Der Kläger habe nach den gewöhnlichen Verhältnissen vom Kündigungsschreiben noch am Tag des Einwurfs in den Hausbriefkasten Kenntnis nehmen können. Hinzukomme, dass der Kläger mit der Zustellung eines Kündigungsschreibens auch habe rechnen müssen, nachdem sie ihn wiederholt kontaktiert gehabt habe, der Kläger hierauf aber nicht reagiert habe.

Es komme nicht auf Zustellgepflogenheiten in der Wohnstraße des Klägers an, sondern auf diejenigen an seinem Wohnort. Am Wohnort des Klägers Z., insbesondere im Stadtteil I. erfolge die Briefzustellung durch die Deutsche Bundespost, die nach der Liberalisierung, das heißt Aufhebung des Zustellmonopols, wohl immer noch als Hauptzustellunternehmen angesehen werden könne, auch noch nach 13.00 Uhr nachmittags, ebenso wie die der anderen Postzustellunternehmen und Paketdienste. Eine Hausbriefkastenleerung sei daher noch bis täglich mindestens 18.00 Uhr üblich, insbesondere durch die überwiegende Anzahl der ganztags und nachmittags arbeitenden Bevölkerung. Der Zustellbezirk sei nach ihrer Auffassung noch eine vertretbare Eingrenzung des maßgeblichen räumlichen Gebiets.

Sie gehe nach dem Inhalt der ihr vom Kläger bekannt gegebenen Informationen und nach dem Verhalten des Klägers in der jüngeren Vergangenheit davon aus, dass der Kläger (so stark) an einem posttraumatischen Belastungssyndrom leide, dass er nicht nur seiner Arbeitsvertragspflicht auf Dauer nicht nachgehen könne, sondern überhaupt arbeitsunfähig sei.

Zu einer baldigen Genesung im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe der Kläger nichts vorgetragen. Er sei auf „Tauchstation“ gegangen. Der Kläger behaupte selbst nicht, die behandelnden Ärzte hätten ihm gegenüber den künftigen gesundheitlichen Verlauf bereits tatsächlich positiv beurteilt. Weder aus den vom Kläger auszugsweise vorlegten Entlassungsdokumenten der Reha-Klinik noch aus dem Attest des Nervenfacharztes P. folge das. Der Nervenfacharzt P. widerspreche sich selbst. Die Bescheinigung des Arztes Dr. C. (A. GmbH & Co. KG) sei unbrauchbar.

Den Entlassungsbericht der Reha-Klinik habe sie nicht erhalten. Die Erkenntnisse aus dem Entlassungsbericht seien durch die weiter bestehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers überholt gewesen.

Noch im (ersten) Gütetermin am 23. Januar 2020 habe der persönlich anwesende Kläger durch seinen Bevollmächtigten erklären lassen, er werde seine Arbeit bei der Beklagten nach Beendigung des noch attestierten Zeitraums wiederaufnehmen, denn er sei „dann“ wieder arbeitsfähig. Zudem werde er ihr eine Arbeitsfähigkeitsbescheinigung seines attestierenden Arztes vorlegen. Beide Behauptungen seien nicht umgesetzt worden. Der Kläger habe nach wie vor gefehlt. Im (ersten) Gütetermin habe der Kläger zudem kein Wort über die Reha-Maßnahme verloren oder sich gar auf den Entlassungsbericht bezogen. Dies stelle ein realitätsfernes Verhalten dar, das letztlich nur untermauere, dass der Kläger arbeitsunfähig erkrankt sei.

Die Rechte des Personalrats seien gewahrt. Mit Schreiben vom 31. Oktober 2019 (Bl. 153 d. A.) sei der Personalrat um Zustimmung zur vorgesehenen Kündigung gebeten worden. Der Personalratsvorsitzende habe bereits volle Kenntnis durch das Präventionsgespräch am 16. Oktober 2019 gehabt. Zudem seien dem Personalrat alle Daten und Fakten aus dem Mitbestimmungsverfahren im Zusammenhang mit der Erteilung einer Abmahnung am 30. Juli 2019 bekannt gewesen (Anhörung des Personalrates Bl. 154 ff. d. A.). Mit Schreiben vom 20. August 2019 (Bl. 156 d. A.) habe der Personalrat der Abmahnung zugestimmt. Der Personalrat habe mit Schreiben vom 7. November 2019 (Bl. 157 d. A.) die Zustimmung zur vorgesehenen Kündigung erteilt.

Die Schwerbehindertenvertretung sei mit Schreiben vom 31. Oktober 2019 (Bl.158 d. A.) um Zustimmung zur Kündigung gebeten worden. Sie habe mit Schreiben vom 7. November 2019 (Bl. 159 d. A.) die Zustimmung erteilt. Sie sei in der Präventionssitzung durch den insoweit abgeordneten Schwerbehinderten F., Mitglied der Schwerbehindertenvertretung, zugegen gewesen, sei also vollumfänglich über den Kläger und die für die Kündigung maßgeblichen Tatsachen informiert gewesen.

Im Rahmen der Interessenabwägung müsse zu ihren Gunsten berücksichtigt werden, dass es bei jedem unentschuldigten Fehlen des Klägers zu Betriebsablaufstörungen gekommen sei, da die Arbeit kurzfristig habe umverteilt werden müssen. Auch sei der Unmut der Kollegen bei einem Fehlen des Klägers zu berücksichtigen. Sie sei auf unabsehbare Zeit gehindert ihr Direktionsrecht auszuüben. Eine Planung des Einsatzes des Klägers könne nicht erfolgen.

Sie war der Ansicht, die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB werde bei Dauertatbeständen ständig neu in Gang gesetzt und sei deshalb gewahrt. Somit sei auch die Frist des § 174 SGB IX gewahrt. Im Rahmen der Prüfung des § 174 SGB IX seien die Gerichte an die Entscheidung des Integrationsamtes bzw. der Verwaltungsgerichte im Fall der Anfechtung der Entscheidung des Integrationsamtes gebunden. Das Arbeitsgericht könne nur die Unverzüglichkeit der Kündigung gemäß § 174 Abs. 5 SGB IX prüfen.

Sie hat vorgetragen, zudem sei bei prognostischer Beurteilung auch in Zukunft mit erheblichen weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten, das heiße über sechs Wochen hinaus, zu rechnen, da eine Heilung des Klägers aus ihrer Sicht ausgeschlossen sei. Dies rechtfertige eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist.

Das Arbeitsgericht hat aufgrund des Beweisbeschlusses vom 14. Januar 2021 (Bl. 248 d. A.), abgeändert durch Beschluss vom 25. März 2021 (Bl. 300 d. A.), Beweis erhoben über die Behauptung des Klägers, im Zustellbezirk, dem seine Wohnstraße angehöre, sei im November 2019 die Postzustellung üblicherweise in der Mittagszeit, außer vielleicht an Tagen höchsten Postaufkommens wie Weihnachten, um circa 13.00 Uhr beendet gewesen, durch Vernehmung des Zeugen M. im Wege der Rechtshilfevernehmung. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll des Arbeitsgerichts Mainz vom 24. Februar 2021 (Bl. 283 ff d. A.) Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat durch Urteil vom 25. März 2021 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist der Beklagten vom 25. November 2019 nicht beendet worden ist. Es hat die Beklagte weiter verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter des Friedhofs weiterzubeschäftigen, sowie an den Kläger Annahmeverzugsentgelt in Höhe von 14.084,50 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur übergegangener 3.658,50 € netto sowie 4.221,18 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 1.219,50 € netto und 2.883,70 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 1.219,50 € netto, jeweils nebst Zinsen zu zahlen. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Es hat – zusammengefasst – zur Begründung ausgeführt, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. November 2019 mit sozialer Auslauffrist nicht aufgelöst worden. Die Klagefrist gemäß §§ 13 Abs. 1, 4 KSchG sei gewahrt. Die Kündigung vom 25. November 2019 sei dem Kläger am 26. November 2019 zugegangen. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesgerichtshofs gehe eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt sei und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit bestehe, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehörten von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestanden habe, sei nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirke der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen sei. Dabei sei nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit sei vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Bundesarbeitsgericht und Bundesgerichtshof hätten bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren könnten, nicht beanstandet. Die allgemein örtlichen Postzustellungszeiten gehörten dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern seien vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen. Unter Anwendung dieser Grundsätze habe die durchgeführte Beweisaufnahme eindeutig ergeben, dass am Montag, den 25. November 2019 spätestens um 13.00 Uhr die Zustellung abgeschlossen gewesen sei. Die Wohnstraße des Klägers befinde sich im Zustellbezirk 42, der wiederum in 50 Zustellabschnitte unterteilt sei. Die S-Straße befinde sich im 39. Abschnitt des Bezirks 42. Der Zeuge habe erklärt, montags sei in der S.-Straße wegen des geringen Postaufkommens rechnerisch mit einer Zustellung um circa 11.20 Uhr zu rechnen, dienstags um 15.30 Uhr, mittwochs und donnerstags um circa 15.15 Uhr, freitags um circa 16.15 Uhr und samstags um circa 14.50 Uhr. Das planmäßige Dienstende an einem Montag sei um 14.00 Uhr. Mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit sei davon auszugehen, dass die Zustellung an einem Montag um 13.00 Uhr spätestens erfolgt sei. Der November sei eigentlich schon Starkverkehr, dann sei es vielleicht 11.40 Uhr. Folglich müsse bei einer generalisierenden Betrachtung, entsprechend der höchstrichterlichen Rechtsprechung, davon ausgegangen werden, dass montags die Zustellung gegen 11.20 Uhr erfolge, spätestens im Zustellbezirk des Klägers jedoch um 13.00 Uhr abgeschlossen sei. Nach Abschluss dieser allgemeinen Postzustellzeiten sei sodann mit einer Leerung des Hausbriefkastens zu rechnen, also zwischen 11.20 Uhr und 13.00/13.30 Uhr. Es sei für die einzelnen Wochentage mit ihren Besonderheiten eines generalisierende Zustellzeit zu ermitteln. Die außerordentliche, krankheitsbedingte Arbeitgeberkündigung vom 25. November 2019 sei unwirksam. Ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sei nicht gegeben. Es fehle bereits an einer negativen Zukunftsprognose. Zwar sei der Kläger im Jahr 2016 72 Arbeitstage erkrankt, im Jahr 2017 90 Arbeitstage und ab dem 20. August 2018 bis zum 3. Februar 2020 ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Im Zeitpunkt der Kündigungserklärung hätten jedoch keine weiteren objektiven Umstände vorgelegen, die für eine dauernde Arbeitsunfähigkeit oder eine Arbeitsunfähigkeit von ungewisser Dauer oder von häufigen Kurzerkrankungen sprechen könnten. Selbst wenn man im vorliegenden Fall von einer negativen Zukunftsprognose aufgrund der mangelnden Mitwirkung des Klägers ausgehe, fehle es im vorliegenden Fall an erheblichen Beeinträchtigungen betrieblicher Interessen. Auch im Rahmen der Interessenabwägung sei von einem überwiegenden Interesse des Klägers an der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses gegenüber dem Interesse der Beklagten an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses auszugehen. Der Kläger habe gegen die Beklagte einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter des Friedhofs gemäß den §§ 611, 613 BGB iVm. § 242 BGB iVm. Art. 1 und 2 GG. Der Kläger habe gegen die Beklagte Annahmeverzugslohnansprüche für den Zeitraum vom 1. Juli bis 30. November 2020 in Höhe von 14.084,50 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 3.658,50 € netto gemäß § 615 S. 1 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag. Der Kläger habe einen weiteren Annahmeverzugslohnanspruch für Dezember 2020 sowie einen Anspruch auf eine Jahressonderzahlung in Höhe von 1.337,48 € brutto gemäß § 615 S. 1 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag sowie § 20 TVöD VKA. Für den Monat Januar 2021 habe der Kläger gegen die Beklagte einen Annahmeverzugslohnanspruch in Höhe von 2.883,70 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 1.219,50 € netto gemäß § 615 S. 1 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag. Im Übrigen sei die Klage abzuweisen gewesen. Für den Monat Januar 2021 habe der Kläger gegen die Beklagte einen Annahmeverzugslohnanspruch in Höhe von 2.883,70 € brutto abzüglich auf die Bundesagentur für Arbeit übergegangener 1.219,50 € netto gemäß §§ 615 BGB iVm. dem Arbeitsvertrag. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts (Bl. 319 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 21. April 2021 zugestellt worden. Sie hat hiergegen mit einem am 27. April 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt. Die Beklagte hat die Berufung mit am 18. Juni 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie des Schriftsatzes vom 10. November 2021, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 358 ff., 431 ff. d. A.), zusammengefasst geltend,

die Klagefrist der §§ 13 Abs. 1, 4 KSchG sei mit Eingang der Kündigungsschutzklage am 17. Dezember 2019 bereits abgelaufen gewesen. Maßgeblich für den Zugang des Kündigungsschreibens sei nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung der Abschluss der üblichen Postzustellzeiten am Wohnort des Klägers unter Berücksichtigung der allgemeinen Verkehrsanschauung. Die Verengung der Verkehrsanschauung auf einen konkreten Wochentag (den Tag der tatsächlichen Zustellung – hier Montag) sei unzulässig. Es sei zu berücksichtigen, dass an fünf von sechs Zustelltagen (Dienstag bis Samstag) die üblichen Postzustellzeiten jedenfalls nach 14.27 Uhr lägen. Der Abschluss der Postzustellzeiten wäre ebenfalls deutlich später anzusetzen, nachdem sich die Zeugenaussage des Zeugen M. auf die konkreten Zustellzeiten in der Straße des Klägers bezogen hätte. Es könne für die Bestimmung des Zugangs eines Schreibens im Hausbriefkasten im Geltungsbereich von § 130 BGB nicht vom Zufall abhängen, an welchem Tag die Zustellung erfolge. Es könne nicht allein auf die subjektive Wahrnehmung des Klägers ankommen, bis zu welchem Zeitpunkt „üblicherweise“ mit einer Zustellung (Post, Zustelldienst, Bote etc.) gerechnet werden müsse. Bei einem alleinstehenden Arbeitnehmer – wie dem Kläger -, der normalerweise während der Vormittagsstunden und auch eines Teils des Nachmittags arbeite, sei eine Zustellung ohne Weiteres auch in den Nachmittagsstunden möglich, selbst wenn die übliche Postzustellung bereits in den frühen Vormittagsstunden erfolge. Lege man eine generalisierende Betrachtungsweise zugrunde und berücksichtige die „gewöhnlichen Verhältnisse“ und die „Gepflogenheiten des Verkehrs“, so sei nach der Verkehrsanschauung die Möglichkeit der Kenntnisnahme gegeben und mit einer Entnahme noch am Tag der Zustellung, am 25. November 2019, zu rechnen gewesen.

Ein wichtiger Grund für die krankheitsbedingte Kündigung sei gegeben. Für sie sei im Kündigungszeitpunkt mit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers in absehbarer Zeit nicht zu rechnen gewesen, da er seit dem 20. August 2018 – mithin 16 Monate – ununterbrochen krank gewesen sei. Sie habe ihre Prognose daher berechtigterweise dahingehend treffen dürfen, dass der Kläger auch weiterhin arbeitsunfähig sein werde. Die bisherigen Fehlzeiten des Klägers seien kündigungsrelevant, da sie über den sechswöchigen Entgeltfortzahlungszeitraum erheblich hinausgingen. Aus diesem Grund könnten die vergangenheitsbezogenen Fehlzeiten des Klägers ihre negative Gesundheitsprognose begründen. Darüber hinaus habe sich ihre negative Prognose auch im weiteren Verlauf (nach der Kündigung, Auslauffrist, Kündigungsschutzprozess) bestätigt. Es liege in der Darlegungs- und Beweislast des Klägers Tatsachen vorzutragen, die auf eine baldige Genesung und die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit schließen ließen. Allein die Vorlage des Entlassungsberichts der Reha-Klinik im erstinstanzlichen Verfahren reiche hierfür nicht aus. Das Verhalten des Klägers nach der Entlassung aus der Reha-Maßnahme widerspreche gerade dem Entlassungsbericht. Der Kläger habe sich weder bei ihr gemeldet noch sonst eine (stufenweise) Arbeitsaufnahme angekündigt. Weder der Kläger selbst noch die M. Klinik M. habe sie über die Durchführung und das Ergebnis der Reha-Maßnahme informiert, erst im Rahmen des erstinstanzlichen Klageverfahrens sei sie hierüber in Kenntnis gesetzt und der Entlassungsbericht sei vorgelegt worden. Für sie habe mithin im Kündigungszeitpunkt eine völlige Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers bestanden und sie habe auch nicht mit einer positiven Entwicklung in absehbaren Zeit rechnen können. Hinzukomme, dass der Kläger jegliche Mitwirkung an der Feststellung und Einschätzung seines Gesundheitszustandes und seiner Arbeits(un)fähigkeit unterlassen habe. Dem Kläger könne es nicht zum Vorteil gereichen, dass er über Monate hinweg nicht mit ihr in Kontakt getreten sei und jede Mitwirkungshandlung unterlassen habe. Sofern sie keine zutreffende Gesundheitsprognose habe stellen können, weil der Kläger „untergetaucht“ gewesen sei, so könne sie sich jedenfalls auf die völlige Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit berufen. Bestritten werde, dass der damalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten im Rahmen der Güteverhandlung geäußert haben solle, das der Kläger „auch im Fall seiner Genesung erst gar nicht bei der Beklagten erscheinen“ solle. Unverständlich bleibe, wann die „Genesung“ eingetreten sein solle und weshalb der Kläger seine Arbeitskraft zu keinem Zeitpunkt tatsächlich bei ihr angeboten habe.

Der Facharzt für Nervenheilkunde P. habe dem Kläger im Zeitraum 8. Oktober 2018 bis 31. Juli 2019 insgesamt acht Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ausgestellt und sodann berichtet, dass „auf nervenärztlichem Gebiet keine Befunde“ vorliegen würden, die das Leistungsvermögen des Klägers einschränken würden. Das „Ärztliche Attest“ verdiene weder seinen Namen noch könne es der Kläger vorliegend zum Nachweis seiner behaupteten Genesung verwenden. Im Übrigen habe derselbe Arzt in der Folgezeit (30. Oktober 2019 bis 4. Februar 2020) erneut Arbeitsunfähigkeit bescheinigt. Unklar bleibe, was den Sinneswandel im Juni 2020 herbeigeführt habe. Auch das Schreiben der A. GmbH & Co. KG vom 2. Juli 2020 sei letztlich unergiebig. Es werde gerade keine „Genesung“ bescheinigt, sondern es würden keine Bedenken gegen eine Wiederaufnahme der Tätigkeit „wie von den behandelnden Ärzten vorgesehen“ erhoben.

Neben der rechtsfehlerhaften Würdigung des Sachverhaltes habe das Arbeitsgericht Beweisanträge der Parteien, insbesondere der Beklagten, einfach übergangen und sich eigene Sachkunde zur Beurteilung der Gesundheitsprognose angemaßt. Sie habe im Rahmen des erstinstanzlichen Sachvortrags mehrfach die Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens gefordert, da sie aufgrund der durch den Kläger bekannt gegebenen Informationen und der mitgeteilten Diagnosen davon ausgegangen sei (Prognose), dass der Kläger auch weiterhin aufgrund seiner Erkrankung arbeitsunfähig sei oder zumindest erhebliche Fehlzeiten aufweisen werde.

Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit (was einer völligen Ungewissheit über die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit gleichstehe) sei in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen auszugehen. Der Arbeitgeber sei in solchen Fällen regelmäßig auf unabsehbare Zeit gehindert sein Direktionsrecht auszuüben und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. Etwaige Vertretungsmöglichkeiten könnten daran nichts ändern. Die wirtschaftliche Erwartung, aus der heraus das Arbeitsverhältnis eingegangen worden sei, sei endgültig gescheitert. Im Rahmen der Interessenabwägung sei zu berücksichtigen, dass es bei jedem unentschuldigten Fehlen des Klägers zu Betriebsablaufstörungen komme, da die Arbeit kurzfristig umverteilt werden müsse. Weiter sei der Unmut der Kollegen bei einem Fehlen des Klägers zu berücksichtigen.

Aufgrund der Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers im Kündigungszeitpunkt überwögen ihre Interessen an einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Ihr sei eine Weiterbeschäftigung des Klägers vor dem Hintergrund der erheblichen Fehlzeiten in den Jahren 2016 bis 2018, dem kompletten Ausfall der Arbeitskraft in 2019 und aufgrund der fehlenden Mitwirkung des Klägers nicht mehr zumutbar.

Auf nachträglich eintretende Umstände (behauptete Genesung) komme es nicht an, sondern ausschließlich auf den Zeitpunkt der Kündigungserklärung.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 25. März 2021, Az. 6 Ca 542/19, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung der Beklagten unter Aufrechterhaltung des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern, Auswärtige Kammern Pirmasens, Az.: 6 Ca 542/19, vom 25. März 2021 zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seines Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 11. August 2021, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 403 ff. d. A.), als rechtlich zutreffend. Die Kündigung sei ihm am 26. November 2019 zugegangen. Die Beklagte verkenne, dass das Arbeitsgericht zutreffend auf den Grundsatz hinweise, dass eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden gemäß § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zugehe, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelange (zum Beispiel in dessen Hausbriefkasten) und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit bestehe, von ihr Kenntnis zu nehmen. Die Beklage wolle abweichend von diesem Grundsatz eine Art „Vertrauensschutzregelung“ für die erklärende Partei konstruieren, was jedoch den Grundsätzen für eine einseitige Erklärung des Willens bzw. den Austausch von Willenserklärungen unter Abwesenden in keiner Weise gerecht werde. Allein die Beklagte habe sich entschieden, das Kündigungsschreiben am 25. November 2019 nicht durch den üblichen Postweg, sei es durch einfachen Brief oder durch Einwurfeinschreiben, Einschreiben mit Rückschein oder durch förmliche Postzustellung mit PZ-Urkunde an den Kläger zu übermitteln, sondern eben durch Botenzustellung. Er könne regelmäßig keine Kenntnis davon haben, wann konkret die Beklagte eine Botenzustellung eines Kündigungsschreibens durch Einwurf in den Hausbriefkasten vornehme, es sei denn er beobachte diese, was aber nicht geschehen sei. Die Beweisaufnahme habe zweifelsfrei ergeben, dass die Post an jenem 25. November 2019 (Montag) regelmäßig wegen des geringen Postaufkommens in seiner Wohnstraße um circa 11.20 Uhr zugestellt worden sei und bereits um 13.00 Uhr durch den Zusteller der Deutschen Post abgeschlossen gewesen sei. Es habe somit für ihn nach dem Zeitpunkt des Einwurfs des Kündigungsschreibens um 14.27 Uhr keine Verpflichtung mehr bestanden, weiterhin bis in den Abend hinein den Briefkasten darauf zu kontrollieren, ob die Beklagte an diesem Tag vielleicht ein Kündigungsschreiben durch Boten einwerfen werde.

Zudem gebe es wegen der tariflichen Geltung einer 5-Tage-Woche auch für Zusteller der Deutschen Post AG mittlerweile nahezu zustellfreie Tage, § 22 Abs. 4 MTV DPAG schreibe hierzu 104 Ruhetage eines Arbeitnehmers binnen eines Jahres vor. Der Zeuge habe zutreffend den Montag als zustellschwachen Tag bezeichnet. In Anbetracht der Regelung des § 130 Abs. 1 S. 1 BGB in der maßgeblichen Form sei deshalb zutreffend auf die verkehrsübliche Zustellung am maßgeblichen Zustelltag abzustellen, worauf das Bundesarbeitsgericht wiederholt in seinen Entscheidungen hingewiesen habe.

Die Argumentation einer „Mittelung der Zustellzeiten“ führe zu keinem sinnvollen Ergebnis, weil schon unklar sei, woraus die Beklagte den Mittelwert bilden möge.

Es sei unzulässig bezüglich der Kontrollpflicht des Hausbriefkastens zu differenzieren, ob ein Erklärungsempfänger ledig, geschieden, verwitwet oder verheiratet sei, mit oder ohne Kinder und wenn dann, wie viele Kinder in seinem Haushalt lebten.

Entscheidend sei, dass er die Negativprognose bezüglich weiterer Fehlzeiten in der Zukunft entkräftet habe. Im Gütetermin sei von seinem Prozessbevollmächtigten seine Arbeitskraft angeboten worden. Da zu diesem Zeitpunkt jedoch die letzte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung noch nicht beendet gewesen sei, habe der damalige Prozessbevollmächtigte der Beklagten auf diese Tatsache hingewiesen, er könne im Zustand der Arbeitsunfähigkeit seine Arbeitskraft gar nicht anbieten, ferner der Kläger müsse auch im Fall seiner Genesung erst gar nicht bei ihr erscheinen. Dies sei auch der Grund, weshalb er dann ab dem Zeitpunkt der Genesung bei der Beklagten zunächst seine Arbeitskraft nicht angeboten habe. Er habe schlicht dem Prozessbevollmächtigten geglaubt, er brauche erst gar nicht bei der Beklagten nach Ende des letzten Arbeitsunfähigkeitszeitraums zu erscheinen, weil diese ihn „sowieso nicht wolle“. Dies erkläre auch die Beschränkung der Annahmeverzugsansprüche auf den Zeitpunkt des Angebots der Arbeitskraft des Klägers nach der Feststellung der Arbeitsunfähigkeit.

Die Beklagte argumentiere als ob Streitgegenstand eine verhaltensbedingte Kündigung wäre. Zu einer solchen sei der bei der Beklagten bestehende Personalrat nicht angehört worden. Es komme somit überhaupt nicht darauf an, ob er sich nach der Reha-Maßnahme bei der Beklagten gemeldet habe. Er habe jedenfalls bei der Aufnahme in der M. Klinik M. in B. um Übersendung einer Aufnahmebestätigung an den Arbeitgeber unter Nennung seiner Kontaktdaten gebeten, was bei stationären Klinikaufenthalten absolut üblich sei und in der Regel auch von der Klinik selbst abgefragt werde.

Neben dem von der Beklagten in Bezug genommenen Reha-Entlassungsbericht der M. Klinik liege auch eine entsprechende Attestierung der wiedererlangten Arbeitsfähigkeit durch den Nervenfacharzt Herr P., Z., sowie die eigene betriebsärztliche Untersuchung der Beklagten vor, die ebenfalls die Arbeitsfähigkeit des Klägers attestiere. Weiter beschäftige die Beklagte ihn störungsfrei seit dem 1. April 2021.

Da die Beklagte selbst sowohl im Klageverfahren als auch im Zustimmungsverfahren mit Beteiligung des Landesamts für Soziales, Jugend und Versorgung/Integrationsamt vortrage, zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung überhaupt nicht zu wissen, woran der Kläger erkrankt sei und wie lange diese Arbeitsunfähigkeit noch andauern werde, lägen genau die Voraussetzungen für die Annahme einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft nicht vor, weil hierüber die Beklagte nach eigenem Vortrag keine Kenntnis gehabt habe.

Zudem komme eine fristlose Kündigung eines tariflich ordentlich unkündbaren Arbeitnehmers nur dann in Betracht, wenn den Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung nicht einmal bis zum Ablauf einer fiktiven Frist zur ordentlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses zumutbar sei.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Sitzungsprotokoll vom 17. November 2021 (Bl. 446 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

In der Sache hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. November 2019 nicht mit Ablauf der sozialen Auslauffrist beendet worden. Hieraus ergeben sich ein Weiterbeschäftigungsanspruch sowie Ansprüche des Klägers auf Zahlung von Annahmeverzugsvergütung nebst Zinsen.

I.

Die Klage ist hinsichtlich des Feststellungsantrags begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 25. November 2019 nicht aufgelöst worden.

1.

Der Kläger hat die Kündigungsschutzklage innerhalb der Drei-Wochen-Frist der §§ 13 Abs. 1, 4, 7 KSchG erhoben.

Das Arbeitsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass dem Kläger das Kündigungsschreiben vom 25. November 2019 erst am 26. November 2019 zugegangen ist. Dabei kann nach Auffassung der Kammer zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass das Kündigungsschreiben am 25. November 2019 um 14.27 Uhr durch die beiden Boten M. und A. in den Hausbriefkasten des Klägers eingeworfen worden ist. Bei einem Einwurf an diesem Tag zu der angegebenen Uhrzeit war jedoch nicht mehr mit einer Leerung des Briefkastens noch an diesem Tag zu rechnen.

Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 12; 22. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21, jeweils mwN.) geht eine verkörperte Willenserklärung unter Abwesenden iSv. § 130 Abs. 1 S. 1 BGB zu, sobald sie in verkehrsüblicher Weise in die tatsächliche Verfügungsgewalt des Empfängers gelangt ist und für diesen unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit besteht, von ihr Kenntnis zu nehmen. Zum Bereich des Empfängers gehören von ihm vorgehaltene Empfangseinrichtungen wie ein Briefkasten. Ob die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist nach den „gewöhnlichen Verhältnissen“ und den „Gepflogenheiten des Verkehrs“ zu beurteilen. So bewirkt der Einwurf in einen Briefkasten den Zugang, sobald nach der Verkehrsanschauung mit der nächsten Entnahme zu rechnen ist. Dabei ist nicht auf die individuellen Verhältnisse des Empfängers abzustellen. Im Interesse der Rechtssicherheit ist vielmehr eine generalisierende Betrachtung geboten. Wenn für den Empfänger unter gewöhnlichen Verhältnissen die Möglichkeit der Kenntnisnahme bestand, ist es unerheblich, ob er daran durch Krankheit, zeitweilige Abwesenheit oder andere besondere Umstände einige Zeit gehindert war (BAG 27. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 22 mwN.). Ihn trifft die Obliegenheit, die nötigen Vorkehrungen für eine tatsächliche Kenntnisnahme zu treffen. Unterlässt er dies, wird der Zugang durch solche – allein in seiner Person liegenden – Gründe nicht ausgeschlossen. Erreicht eine Willenserklärung den Briefkasten des Empfängers zu einer Tageszeit, zu der nach den Gepflogenheiten des Verkehrs eine Entnahme durch den Adressaten nicht mehr erwartet werden kann, so ist sie an diesem Tag nicht mehr zugegangen (BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – Rn. 16 mwN., juris).

Bundesarbeitsgericht und Bundesgerichtshof haben bislang die Annahme einer Verkehrsanschauung, wonach bei Hausbriefkästen im Allgemeinen mit einer Leerung unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten zu rechnen sei, die allerdings stark variieren können, nicht beanstandet (BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 15; 27. März 2012 – 2 AZR 224/11 – Rn. 21, jeweils mwN.).

Die örtlichen Zeiten der Postzustellung stellen nicht unbeachtliche individuelle Verhältnisse des Empfängers dar. Zu diesen könnte zum Beispiel eine Vereinbarung mit dem Postboten über persönliche Zustellzeiten zählen, konkrete eigene Leerungsgewohnheiten oder auch die krankheits- oder urlaubsbedingte Abwesenheit. Die allgemeinen örtlichen Zustellungszeiten gehören dagegen nicht zu den individuellen Verhältnissen, sondern sind vielmehr dazu geeignet, die Verkehrsauffassung über die übliche Leerung des Hausbriefkastens zu beeinflussen.

a) Die Beklagte, die für den für sie günstigen Umstand eines Zugangs des Kündigungsschreibens noch am 25. November 2019 die Darlegungs- und Beweislast trägt (vgl. BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 30 mwN.), hat nicht substantiiert vorgetragen, dass eine gewandelte Verkehrsauffassung festzustellen wäre, die beispielsweise aufgrund geänderten Lebensumstände eine spätere Leerung des Hausbriefkasten als unmittelbar nach Abschluss der üblichen Postzustellzeiten – etwa mehrere Stunden nach dem Einwurf oder bezogen auf eine „feste“ Uhrzeit am Tag – zum Gegenstand hätte. Die Frage nach einer Verkehrsanschauung kann regional unterschiedlich zu beurteilen sein und die Antwort kann sich im Lauf der Jahre ändern. Die Fortdauer des Bestehens oder Nichtbestehens einer Verkehrsanschauung wird nicht vermutet. Unter Zugrundelegung der Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts in seinem Urteil vom 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – ist es für den Vortrag zu einer gewandelten Verkehrsauffassung nicht ausreichend, auf die „überwiegende Anzahl der ganztags und nachmittags arbeitenden Bevölkerung“ hinzuweisen und die Einholung eines demoskopischen Gutachtens anzubieten. Insoweit hat das Bundesarbeitsgericht (22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 20) darauf hingewiesen, dass nicht einmal die Hälfte der Bevölkerung überhaupt kernerwerbstätig ist, darunter geringfügig Beschäftigte und Personen in Teilzeit mit weniger als 20 Stunden Wochenarbeitszeit. Daneben sind Nachtarbeitnehmer zu berücksichtigen, die nicht zu Normalarbeitszeiten arbeiten. Auch die Anzahl in flexiblen Arbeitszeitmodellen und im Home Office Tätigen ist zu bedenken. Schließlich leben nicht alle Erwerbstätigen in Singlehaushalten, sondern die Leerung des Hausbriefkastens kann auch durch andere Mitbewohner erfolgen, die nicht oder zu anderen Zeiten arbeiten, und danach kann keine erneute Leerung des Hausbriefkastens stattfinden. Es ist ebenfalls nicht ersichtlich, warum die Lebensumstände der Minderheit der „ganztags und nachmittags arbeitenden Bevölkerung“ die Verkehrsauffassung betreffend die Leerung von Hausbriefkästen der Gesamtbevölkerung bestimmen sollen (vgl. BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 20).

Etwaig seltene späte Zustellungen durch private Anbieter prägen in der Regel nicht die Verkehrsanschauung über die regelmäßige Leerung des Hausbriefkastens (BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 26). Im Streitfall wurde von den Parteien zudem kein privater Anbieter angegeben, der im November 2019 regelmäßig im Bereich des Wohnorts des Klägers Post zustellte. Der Kläger hat vielmehr vorgetragen, andere private Briefdienstleister stellten am Wohnort des Klägers in Z. nicht zu.

Dem Erklärenden muss auch nicht ein fristwahrender Zugang bis 24.00 Uhr möglich sein. In dem Abstellen auf die Verkehrsanschauung über die regelmäßige Leerung des Hausbriefkastens liegt keine unzulässige Verkürzung des Fristendes gemäß § 188 BGB. Diese Vorschrift besagt nur etwas über das Fristende, nicht aber, wann vom Zugang einer Willenserklärung unter Abwesenden auszugehen ist. Auch bei der beabsichtigten Abgabe einer Willenserklärung unter Anwesenden gelingt es nicht stets, eine Frist voll auszuschöpfen (BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 26).

Maßgeblich ist insoweit die Zustellzeit am Zustellort (vgl. BAG 22. August 2019 – 2 AZR 111/19 – Rn. 21), das heißt in der von dem Kläger bewohnten Straße (vgl. BGH 21. Januar 2004 – XII ZR 214/00 – Rn. 16 mwN., juris).

Mangels ausreichender Darlegung einer gewandelten Verkehrsauffassung am Wohnort des Klägers zum Zeitpunkt der Leerung von Hausbriefkästen ist die Einholung des von der Beklagten angebotenen demoskopischen Sachverständigengutachtens nicht veranlasst.

b) Nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme war die rechnerische Zustellzeit an einem Montag in der vom Kläger bewohnten Straße um 11.20 Uhr, die Zustellung war dort an einem Montag um 13.00 Uhr beendet und auch das planmäßige Ende der Zustellung war an einem Montag um 14.00 Uhr vorgesehen.

Der Zeuge M. hat in erster Instanz ausgesagt, dass die Wohnstraße des Klägers, die S.-Straße, sich im Zustellbezirk 42 befindet, in diesem Zustellbezirk wiederum im 39. Zustellabschnitt von 50 Zustellabschnitten. Wenn der Zusteller in der S.-Straße zugestellt habe, seien circa 80 % der Zustellleistungen bereits erreicht. Eine Ausnahme bilde der Montag, der Tag, mit dem erfahrungsgemäß wenigsten Sendeaufkommen. An diesem Tag würden die Zustellbezirke 42 und 44 zusammengelegt, begonnen werde mit dem Zustellbezirk 42, die S.-Straße werde sodann nach 45 % der dienstplanmäßigen Arbeitszeit erreicht. Uhrzeitlich wäre an einem Montag eine Zustellung in der S.-Straße um circa 11.20 Uhr erfolgt, an einem Dienstag um circa 15.30 Uhr, an einem Mittwoch und Donnerstag um circa 15.15 Uhr, an einem Freitag um circa 16.15 Uhr und an einem Samstag um circa 14.50 Uhr. Die planmäßige Rückkehrzeit für den Zusteller sei an einem Montag um 14.00 Uhr. Da die rechnerische Zustellzeit an einem Montag um 11.20 Uhr sei, sei mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit davon auszugehen, dass die Zustellung an einem Montag um 13.00 Uhr spätestens erfolgt gewesen sei. Da November eigentlich schon Starkverkehr sei, sei es vielleicht 11.40 Uhr gewesen. Auch bei Starkverkehr sei an einem Montag die Zustellung um circa 13.00 Uhr beendet gewesen.

Damit war an dem Montag, 25. November 2019 vom Kläger um 14.27 Uhr nicht mehr mit dem Eingang einer Briefsendung zu rechnen, das Kündigungsschreiben ist damit erst am Folgetag zugegangen.

Entgegen der Ansicht der Beklagten ist das Arbeitsgericht insoweit zutreffend von den Zustellzeiten an dem konkreten Wochentag, hier dem Montag, ausgegangen. Die üblichen Postzustellungszeiten können – wie vorliegend – von Wochentag zu Wochentag unterschiedlich sein. Dementsprechend ist auch mit einer sich an diesen orientierenden Leerung der Briefkästen zu rechnen. An Sonn- und gesetzlichen Feiertagen, an denen üblicherweise keine Postzustellung erfolgt, ist auch mit keiner Leerung der Briefkästen zu rechnen. Dasselbe gilt für die Leerung von Geschäftsbriefkästen an Tagen, an denen diese Geschäfte üblicherweise nicht geöffnet haben. So hat der Bundesgerichtshof (5. Dezember 2007 – XII ZR 148/05 – Rn. 9, juris) entschieden, dass ein Schriftstück, das erst am 31. Dezember nachmittags in den Briefkasten eines Bürobetriebes geworfen wird, in dem branchenüblich Silvester nachmittags – auch wenn dieser Tag auf einen Werktag fällt – nicht mehr gearbeitet wird, erst am nächsten Werktag zugeht. Ist montags wegen des geringeren Briefaufkommens üblicherweise mit einer früheren Briefzustellung zu rechnen, ist davon auszugehen, dass an diesem Wochentag der Hausbriefkasten auch früher geleert wird und danach mit keiner weiteren Leerung an diesem Tag zu rechnen ist. Nach dieser an Montagen üblichen Zustellzeit eingeworfene Briefsendungen gehen sodann erst am folgenden Dienstag zu.

d) Nichts anderes ergibt sich entgegen der Ansicht der Beklagten daraus, dass der Kläger aus Sicht der Beklagten mit dem Zugang des Kündigungsschreibens hätte rechnen müssen.

Zwar kann eine Willenserklärung, die nicht oder verspätet in den Empfangsbereich der Person gelangt, für die sie bestimmt ist, je nach den Umständen nach § 242 BGB als rechtzeitig zugegangen angesehen werden. Wenn auch eine allgemeine Pflicht, Empfangsvorkehrungen zu treffen, nicht besteht und der Empfänger einer Benachrichtigung über die Niederlegung einer Zustellung auch nicht ohne Weiteres gehalten ist, das für ihn niedergelegte Schriftstück zeitnah abzuholen, so kann sich aus dem Bestehen von Rechtsbeziehungen zwischen dem Erklärenden und dem Erklärungsempfänger und der besonderen Art solcher Beziehungen doch ergeben, dass der Erklärungsempfänger, wenn er das niedergelegte Schriftstück nicht abholt, sich so behandeln lassen muss, als sei es in seinen Machtbereich gelangt (BAG 7. November 2002 – 2 AZR 4475/01 – Rn. 40 mwN., juris). Verhindert der Empfänger durch eigenes Verhalten den Zugang einer Willenserklärung, muss er sich so behandeln lassen, als sei ihm die Erklärung bereits zum Zeitpunkt des Übermittlungsversuchs zugegangen. Nach Treu und Glauben ist es ihm verwehrt, sich auf den späteren tatsächlichen Zugang zu berufen, wenn er selbst für die Verspätung die alleinige Ursache gesetzt hat. Sein Verhalten muss sich als Verstoß gegen bestehende Pflichten zu Sorgfalt oder Rücksichtnahme darstellen. Lehnt der Empfänger grundlos die Entgegennahme eines Schreibens ab, muss er sich nach § 242 BGB jedenfalls dann so behandeln lassen, als sei es ihm im Zeitpunkt der Ablehnung zugegangen, wenn er im Rahmen vertraglicher Beziehungen mit der Abgabe rechtserheblicher Erklärungen durch den Absender rechnen musste. Voraussetzung dafür, dass der Adressat eine Erklärung als früher zugegangen gegen sich gelten lassen muss, ist, dass der Erklärende seinerseits alles Zumutbare dafür getan hat, dass seine Erklärung den Adressaten erreicht (BAG 26. März 2015 – 2 AZR 483/14 – Rn. 21 mwN., juris)

Ein solcher Treueverstoß ist vorliegend nicht anzunehmen. Auch dann, wenn der Adressat einer Erklärung mit deren Zugang rechnen muss, ergibt sich hieraus nicht die Pflicht, noch nach den üblichen Postzustellzeiten die Empfangsvorrichtung auf den Einwurf von Briefsenden zu überprüfen. Im vorliegenden Fall gibt die Beklagte zudem als Grund dafür, dass der Kläger mit dem Zugang eines Kündigungsschreibens habe rechnen müssen, lediglich an, sie habe ihn wiederholt kontaktiert gehabt, der Kläger habe hierauf aber nicht reagiert. Dass der Kläger gerade am 25. November 2019 aus welchem Grund mit einem Einwurf eines Kündigungsschreibens nach den üblichen Postzustellungszeiten hätte rechnen müssen, ist nicht ersichtlich. Schließlich hat die Beklagte nicht dargetan, dass sie alles ihr Zumutbare für einen Zugang des Kündigungsschreibens noch am 25. November 2019 unternommen hätte. Der Personalrat und die Schwerbehindertenvertretung hatten sich bereits am 7. November 2019 zur beabsichtigten Kündigung geäußert, der Bescheid des Integrationsamtes vom 19. November 2019 lag der Beklagten seit dem 20. November 2019 vor. Die Beklagte hätte daher für einen Zugang am 25. November 2019 vor Ende der an einem Montag üblichen Postzustellungszeiten sorgen können.

b) Die Kündigungsschutzklage ist am 17. Dezember 2019 beim Arbeitsgericht eingegangen und wurde der Beklagten „demnächst“ iSd. § 167 ZPO, nämlich am 31. Dezember 2019 zugestellt. Damit ist die Drei-Wochen-Frist der §§ 13 Abs. 1, 4, 7 KSchG gewahrt.

2.

Die außerordentliche Kündigung vom 25. November 2019 ist unwirksam, da es an einem wichtigen Grund fehlt, welcher eine außerordentliche Kündigung des gemäß § 34 Abs. 2 TVöD tariflich nicht mehr ordentlich kündbaren Klägers rechtfertigt.

a) Nach § 34 Abs. 2 S. 1 TVöD konnte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers, der im Kündigungszeitpunkt länger als 15 Jahre bei ihr beschäftigt war und das 40. Lebensjahr vollendet hatte, nur aus einem wichtigen Grund kündigen.

b) Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft § 34 Abs. 2 S. 1 TVöD an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an, deren Verständnis deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend ist (BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 14 mwN.).

c) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

d) Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit kann ein wichtiger Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein. Grundsätzlich ist dem Arbeitgeber aber die Einhaltung der Kündigungsfrist zuzumuten, und schon an eine ordentliche Kündigung wegen Arbeitsunfähigkeit ist ein strenger Maßstab anzulegen. Eine außerordentliche Kündigung kommt daher nur in eng begrenzten Fällen in Betracht, etwa wenn die ordentliche Kündigung aufgrund tarifvertraglicher oder einzelvertraglicher Vereinbarungen ausgeschlossen ist (BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 16; 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 26, jeweils mwN.).

In solchen eng zu begrenzenden Ausnahmefällen kann die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses dem Arbeitgeber unzumutbar iSd. § 626 Abs. 1 BGB sein, zum Beispiel bei dauerndem Unvermögen des Arbeitnehmers zur Erbringung seiner Arbeitsleistung, wobei grundsätzlich eine der ordentlichen Kündigungsfrist entsprechende Auslauffrist einzuhalten ist. In diesem Fall kann ein Sachverhalt, der bei einem Arbeitnehmer ohne Sonderkündigungsschutz nur eine ordentliche Kündigung rechtfertigen würde, gerade wegen der infolge des Ausschlusses der ordentlichen Kündigung langen Bindungsdauer einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung für den Arbeitgeber iSd. § 626 Abs. 1 BGB darstellen. Überdies muss der Prüfungsmaßstab den hohen Anforderungen Rechnung tragen, die nach § 626 Abs. 1 BGB an eine außerordentliche Kündigung zu stellen sind (BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 16 mwN.).

e) Danach kann die außerordentliche Kündigung mit notwendiger Auslauffrist eines ordentlich unkündbaren Arbeitsverhältnisses gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitnehmer krankheitsbedingt auf Dauer außerstande ist, die vertraglich geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen. Ein Leistungsaustausch ist dann nicht mehr möglich (BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 17 mwN.).

f) Auch bei dem Vorliegen einer langanhaltenden Krankheit kann eine außerordentliche Kündigung gerechtfertigt sein.

Dabei ist bei einer ordentlichen Kündigung wegen einer langanhaltenden Krankheit die Überprüfung der sozialen Rechtfertigung in drei Stufen vorzunehmen. Danach ist zunächst eine negative Prognose hinsichtlich des voraussichtlichen Gesundheitszustandes erforderlich (erste Stufe). Sodann müssen die zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen (zweite Stufe). Schließlich ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu prüfen ist, ob die erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen zu einer billigerweise nicht hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen (dritte Stufe) (st. Rspr. des BAG zB. 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 13; 8. November 2007 – 2 AZR 425/06 – Rn. 13; 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – Rn. 41, jeweils mwN., juris). Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Sie besteht darin, dass der Arbeitgeber auf unabsehbare Zeit gehindert ist, sein Direktionsrecht auszuüben und die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers abzurufen. In einem solchen Fall fehlt es in aller Regel an einem schutzwürdigen Interesse des Arbeitnehmers an der Aufrechterhaltung des Arbeitsverhältnisses. Die Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit dann gleich, wenn in den nächsten 24 Monaten mit einer anderen Prognose nicht gerechnet werden kann (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 14; 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – Rn. 41 mwN., juris).

g) Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung war nach Auffassung der Kammer von einer negativen Prognose hinsichtlich zukünftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers auszugehen.

Eine negative Gesundheitsprognose liegt dann vor, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung aufgrund objektiver Tatsachen damit zu rechnen ist, dass der Arbeitnehmer auch in Zukunft seinem Arbeitsplatz krankheitsbedingt in erheblichem Umfang (aufgrund häufiger Kurzerkrankungen oder aufgrund einer lang anhaltenden Erkrankung) fernbleiben wird. Weigert sich der erkrankte Arbeitnehmer vorprozessual, die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden, ist es ihm nicht verwehrt, im Kündigungsschutzprozess die negative Gesundheitsprognose unter Bezugnahme auf ein ärztliches Zeugnis zu bestreiten.

Im Prozess gilt eine abgestufte Darlegungs- und Beweislast. Hinsichtlich der negativen Gesundheitsprognose genügt der Arbeitgeber seiner Darlegungslast zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung sowie die ihm bekannten Krankheitsursachen darlegt. Die Dauer der bisherigen Arbeitsunfähigkeit allein muss zwar noch nicht darüber aussagen, ob der Arbeitnehmer auch in Zukunft auf nicht absehbare Zeit arbeitsunfähig krank sein wird. Ihr kann aber unter Umständen eine gewisse Indizwirkung entnommen werden (BAG 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – Rn. 43 mwN., juris). Eine lang andauernde krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit in der unmittelbaren Vergangenheit stellt ein gewisses Indiz für die Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit in der Zukunft dar (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 14 mwN., juris). Der Arbeitgeber genügt deshalb seiner Darlegungslast für eine negative Prognose zunächst, wenn er die bisherige Dauer der Erkrankung und die ihm bekannten Krankheitsursachen vorträgt (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 14 mwN., juris). Legt der Arbeitgeber die tatsächlichen Voraussetzungen einer negativen Indizwirkung dar, hat der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO vorzutragen, weshalb dies nicht zutrifft und mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist. Seiner prozessualen Mitwirkungspflicht genügt er nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts dabei schon dann, wenn er die Behauptungen des Arbeitgebers nicht nur bestreitet, sondern seinerseits vorträgt, die ihn behandelnden Ärzte hätten die gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt und wenn er die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet. Das Berufen auf die behandelnden Ärzte ist unzureichend, wenn erkennbar ist, dass sich der Arbeitnehmer erst durch das ärztliche Zeugnis die fehlende Kenntnis über den weiteren Verlauf seiner Erkrankung verschaffen will. Wenn der Arbeitnehmer auf die zunächst pauschale Darlegung der bisherigen Krankheitszeit der Arbeitnehmer konkret gegebenenfalls unter Entbindung seiner Ärzte von der Schweigepflicht dartut, dass mit einer früheren Genesung zu rechnen ist, obliegt nunmehr dem Arbeitgeber der Beweis für die Berechtigung der negativen Prognose, den er in der Regel nur durch ein medizinisches Sachverständigengutachten erbringen kann. Ein Erfahrungssatz des Inhalts, bei langanhaltenden Krankheiten sei für die Zukunft mit ungewisser Fortdauer der Krankheit zu rechnen, besteht nicht (BAG 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – Rn. 43 mwN., juris).

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze hat die Beklagte die Voraussetzungen einer negativen Indizwirkung dargelegt. Diese ergibt sich aus den Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers in der Vergangenheit, nämlich 72 Arbeitstagen im Jahr 2016, 90 Arbeitstage im Jahr 2017, 50 Arbeitstagen im Jahr 2018 und einer durchgehenden Erkrankung im Jahr 2019 bis zum Kündigungsausspruch. Der Kläger war damit in den vier Jahren vor Kündigungsausspruch jeweils mehr als 10 Wochen arbeitsunfähig. Aktuelle konkrete Krankheitsursachen, die sie hätte vortragen können, waren der Beklagten nach ihrem Vorbringen nicht bekannt. Hierdurch ist eine negative Gesundheitsprognose indiziert. Diese Fehlzeiten gehen deutlich über das Maß hinaus, das eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen könnte.

Die Voraussetzungen dieser negativen Indizwirkung hat der Kläger nicht erschüttert. Er hat nicht substantiiert vorgetragen, weshalb die negative Gesundheitsprognose nicht zutrifft und stattdessen mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist.

Der von dem Kläger vorgelegte, vor dem Ausspruch der Kündigung am 5. November 2019 erstellte Entlassungsbericht der M. Klinik M. beurteilt den zeitlichen Umfang, in dem eine Tätigkeit entsprechend dem positiven und negativen Leistungsvermögen ausgeübt werden kann, mit „6 Stunden und mehr“. In dem Entlassungsbericht ist zur Begründung der Leistungsbeurteilung auszugsweise wörtlich ausgeführt: „Aufgrund der bestehenden Konfliktlage am Arbeitsplatz und der sich in Planung befindenden klärenden Gespräche bezüglich einer Umbesetzung leiteten wir hier noch keine stufenweise Wiedereingliederung ins Erwerbsleben ein, empfehlen diese jedoch zeitnah nach Klärung der Arbeitsplatzsituation. Aus psychotherapeutischer Sicht sowie aus Sicht des Patienten besteht eine Leistungsfähigkeit von 6 Stunden und mehr für die zuletzt ausgeübte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit sowie für mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, überwiegend im Stehen und Gehen, ständig im Sitzen, ohne Einschränkungen der Arbeitsorganisation“. Der Entlassungsbericht geht somit davon aus, dass die Arbeitsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Berichterstellung am 5. November 2019 noch nicht wiederhergestellt war und empfiehlt eine stufenweise Wiedereingliederung, die zeitnah erfolgen soll. Zu zukünftigen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers äußert sich der Entlassungsbericht nicht.

Soweit der Kläger sich auf die fachärztliche Bescheinigung des Facharztes für Nervenheilkunde P. vom 16. Juni 2020 bezieht, trifft diese keine Aussage zur Frage, ob im Zeitpunkt der Kündigung im November 2019 mit weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten zu rechnen war. Der Facharzt für Nervenheilkunde P. bestätigt in seinem ärztlichen Attest lediglich, dass „bei Herrn A. (…) auf nervenärztlichem Gebiet keine Befunde“ vorliegen, „die ihn in seinem Leistungsvermögen einschränken“.

Auch die Bestätigung des A. GmbH & Co. KG datiert von einem späteren Zeitpunkt, nämlich dem 2. Juli 2020, trifft also keine Aussage zur Gesundheitsprognose im Zeitpunkt der Kündigung. Inhaltlich beschäftigt sich diese Bestätigung lediglich mit der Frage, ob „aus arbeitsmedizinischer Sicht keine Bedenken gegen eine Wiederaufnahme Ihrer Tätigkeiten wie von den behandelnden Ärzten vorgesehen“ bestehen. Eine Aussage zum Anfallen und zu dem zu erwartenden Umfang künftiger Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers wird gerade nicht getroffen.

Der Kläger behauptet auch im Übrigen nicht, im Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs hätten ein oder mehrere ihn behandelnde Ärzte ihm gegenüber die Auffassung geäußert, in Zukunft sei mit keinen oder jedenfalls keinen relevanten Arbeitsunfähigkeitszeiten mehr zu rechnen.

Die von der Beklagten unter Vortrag der Arbeitsunfähigkeitszeiten in der Vergangenheit behauptete negative Gesundheitsprognose im Kündigungszeitpunkt ist vom Kläger damit nicht erschüttert worden.

h) Die zu erwartenden Auswirkungen des Gesundheitszustandes des Arbeitnehmers führen nach Auffassung der Kammer jedoch auf der zweiten Stufe nicht zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen. Die Beklagte hat weder dargetan, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Kündigung völlig ungewiss war, noch hat sie eine sonstige erhebliche Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen dargetan.

aa) Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist in aller Regel ohne Weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 18 mwN.). Die völlige Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit – so sie tatsächlich vorliegt – steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann. Einen Zeitraum von bis zu 24 Monaten kann der Arbeitgeber dagegen typischerweise ohne Schwierigkeiten durch Einstellung einer Ersatzkraft mit einem zeitbefristeten Arbeitsverhältnis nach § 14 Abs. 2 S. 1 TzBfG überbrücken (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 18 mwN.). Hierfür reicht die bloße Ungewissheit einer Wiedergenesung nicht aus. Die bloße Ungewissheit der Wiedergenesung bedeutet nicht zugleich, dass mit einer Gesundung nach medizinischen Erkenntnissen nicht gerechnet werden kann (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 20 mwN., juris). Vor der Kündigung liegende Krankheitszeiten lassen nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts für sich genommen nicht den Schluss auf eine bestimmte (Mindest-)Dauer der zu erwartenden Arbeitsunfähigkeit zu.

Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze war die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers im Zeitpunkt der Kündigung nicht völlig ungewiss. Dabei kommt es nicht auf den Wissensstand der Beklagten, sondern die objektive Lage an. Ausweislich des Entlassungsberichts der M. Klinik M. bestand bereits am 5. November 2019, also vor Ausspruch der Kündigung, ein Leistungsvermögen des Klägers von sechs Stunden und mehr für die zuletzt ausgeübte sozialversicherungspflichtige Tätigkeit sowie für mittelschwere Tätigkeiten auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt, überwiegend im Stehen und Gehen, ständig im Sitzen, ohne Einschränkungen der Arbeitsorganisation. Eine stufenweise Wiedereingliederung ins Erwerbsleben wurde zu diesem Zeitpunkt zwar noch nicht eingeleitet, sie wurde jedoch „zeitnah nach Klärung der Arbeitsplatzsituation“ empfohlen. Davon, dass eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers zu diesem Zeitpunkt in den nächsten 24 Monaten nicht zu erwarten gewesen wäre, kann daher nicht ausgegangen werden. Die lange durchgehende Arbeitsunfähigkeit des Klägers seit dem 20. August 2018 vor Kündigungsausspruch ist bei der Berechnung der 24 Monate nicht zu berücksichtigen. Sie spricht lediglich dafür, dass mit einem Fortbestand der Arbeitsunfähigkeit auch in der Zukunft zu rechnen war. Sie lässt für sich genommen nicht den Schluss auf eine bestimmte (Mindest-) Dauer der zu erwartenden Arbeitsunfähigkeit zu.

bb) Nichts anderes ergibt sich daraus, dass die Beklagte nach ihrem Vortrag keine Kenntnis vom Aufenthalt des Klägers in der Rehabilitationseinrichtung und dem von dieser erstellten Entlassungsbericht hatte. Ebenfalls hinderten die unterbliebene Reaktion des Klägers auf die schriftliche Bitte um eine betriebsärztliche Untersuchung vom 21. Mai 2019 sowie auf die schriftliche Bitte vom 8. Juli 2019, seine behandelnden Ärzte von der Verschwiegenheitspflicht zu entbinden, und die Nichtreaktion auf die Einladung zu einem betrieblichen Eingliederungsmanagement vom 8. August 2019 den Kläger nicht daran, im vorliegenden Kündigungsschutzprozess die negative Gesundheitsprognose sowie die erhebliche Beeinträchtigung wirtschaftlicher Interessen der Beklagten durch die von dieser behauptete Ungewissheit der Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit zu bestreiten.

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – Rn. 41 mwN., juris) ist es einem Arbeitnehmer auch dann nicht verwehrt, die von ihrem Arbeitgeber behauptete negative Gesundheitsprognose zu bestreiten, wenn er sich vorprozessual zu Unrecht geweigert hätte, seine Ärzte von der Schweigepflicht zu entbinden. Zwar ist der Vorschrift des § 242 BGB ein Verbot widersprüchlichen Verhaltens zu entnehmen, das auch Auswirkungen auf den Zivilprozess haben kann. So kann es einer Partei im Prozess verwehrt sein, sich auf eine für die Gegenseite ungünstige Beweislage zu berufen, wenn sie diese ungünstige Beweislage vorprozessual selbst herbeigeführt hatte. Durch das Verhalten des Klägers hat sich vorliegend jedoch nicht die Beweislage der Beklagten im Kündigungsschutzprozess geändert: Für die Rechtfertigung der Kündigung kommt es auf die objektive Lage bei Ausspruch der Kündigung an. Ob im Streitfall bei Zugang der Kündigung eine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt war oder nicht, hat nichts damit zu tun, ob der Kläger vorprozessual seine Ärzte von der Schweigepflicht entband (vgl. BAG 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – Rn. 48 mwN., juris). Die Entbindung von der Schweigepflicht hat weder Auswirkungen auf den Gesundheitszustand noch auf dessen Beweisbarkeit. Auch eine etwa vom behandelnden Arzt vorprozessual abgegebene Prognose bindet keine der Parteien im etwa sich anschließenden Prozess. Nicht der Gesundheitszustand des Klägers und damit die Rechtfertigung der Prognose wurde durch das Verhalten des Klägers beeinflusst, sondern allein die Möglichkeit der Beklagten, vor Prozessbeginn Kenntnis über den Gesundheitszustand des Klägers zu erlangen und damit ihre Prozessaussichten einzuschätzen (vgl. BAG 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – Rn. 48 mwN., juris).

Gemäß § 242 BGB kann die Geltendmachung von Rechten auch dann unzulässig sein, wenn sich die handelnde Partei zuvor selbst vertragsuntreu verhalten hat. Indes führt nicht jeder Vertragsverstoß zum Verlust eigener Rechte. Das ist nur dann der Fall, wenn die vertraglichen und gesetzlichen Bestimmungen nicht ausreichen, um die anspruchstellende Partei zur Vertragstreue anzuhalten. Ist der Arbeitnehmer verpflichtet, sich ärztlich untersuchen zu lassen, etwa unter den Voraussetzungen des § 3 Abs. 4 TVöD, und kommt er einer entsprechenden rechtmäßigen Aufforderung seines Arbeitgebers zur Untersuchung nicht nach, liegt hierin eine Pflichtverletzung, die eine Abmahnung rechtfertigen kann (vgl. BAG 25. Juni 1992 – 6 AZR 279/91 – Rn. 32, juris). Wiederholte Verweigerungen können – nach einschlägiger Abmahnung – unter Umständen sogar zur außerordentlichen Kündigung eines tariflich ordentlich nicht mehr kündbaren Arbeitnehmers berechtigen (BAG 7. November 2002 – 2 AZR 475/01 – Rn. 17; LAG Rheinland-Pfalz 12. Februar 2010 – Rn. 29, jeweils mwN., juris). Die Arbeitgeberin hat hiermit anderweitige Möglichkeiten, den Kläger zur Vertragstreue zu veranlassen.

Eine Verpflichtung des Klägers, an einem betrieblichen Eingliederungsmanagement mitzuwirken, besteht nicht (Art. 2 Abs. 1 GG). In der fehlenden Mitwirkung des Klägers liegt insoweit bereits kein Vertragsverstoß.

cc) Die Beklagte hat auch keine sonstige erhebliche Beeinträchtigung ihrer betrieblichen Interessen dargetan.

Da der Kläger durchgehend seit dem 20. August 2018 arbeitsunfähig war, entstanden keine unverhältnismäßig hohen Entgeltfortzahlungskosten. Allein weiterhin entstehende Urlaubsansprüche des Klägers vermögen – soweit ersichtlich – nicht zu einer nicht mehr hinzunehmenden Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten zu führen (vgl. BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 22; LAG Rheinland-Pfalz 11. März 2021 – 2 Sa 297/19 – Rn. 47, jeweils mwN.).

Die Beklagte hat lediglich vorgetragen, bei jedem unentschuldigten Fehlen des Klägers sei es zu Betriebsablaufstörungen gekommen, da die Arbeit habe umverteilt werden müssen. Konkrete Betriebsablaufstörungen hat die Beklagte nicht vorgetragen. Zu berücksichtigen ist, dass jedes Fehlen eines Arbeitnehmers zu einer Umverteilung der Arbeit führt. Im Fall der hier vorliegenden zuletzt langandauernden Erkrankung des Klägers tritt keine besondere Belastung durch eine kurzfristig erforderlich werdende Umverteilung der Arbeit hinzu.

Der von der Beklagten angeführte allgemeine Unmut der Kollegen stellt ebenfalls keinen erheblichen betrieblichen Belang dar (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 11. März 2021 – 2 Sa 297/19 – Rn. 49). Es ist Sache des Arbeitgebers, etwaige Störungen im Betriebsablauf konkret darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen. Schlagwortartige und pauschale Behauptungen genügen für sich allein nicht. Nicht ausreichend ist der Hinweis darauf, dass in Kauf genommen werde, dass gewisse Arbeiten und Dienste schlichtweg unerledigt blieben und dass sich dies negativ auf die Außendarstellung auswirke. Soweit die Beklagte weiter geltend macht, sie sei auf unabsehbare Zeit gehindert, ihr Direktionsrecht auszuüben, eine Planung des Einsatzes des Klägers könne nicht erfolgen, nimmt die Rechtsprechung – wie dargelegt – eine völlige Ungewissheit erst dann an, wenn die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in den nächsten 24 Monaten nicht zu erwarten ist. Erst unter dieser Voraussetzung nimmt die Rechtsprechung ein „völlig sinnentleertes“ Arbeitsverhältnis an, das eine krankheitsbedingte Kündigung rechtfertigen kann.

4.

Auf die Fragen, ob der Personalrat gemäß § 82 Abs. 3 S. 1 LPersVG RhPf sowie die Schwerbehindertenvertretung von der Beklagten ordnungsgemäß angehört wurden und ob die Frist des § 174 SGB IX eingehalten wurde sowie ob die Einhaltung dieser Frist von den Gerichten für Arbeitssachen grundsätzlich zu prüfen ist, kommt es nicht mehr streitentscheidend an.

II.

Aufgrund des Obsiegens des Klägers mit dem Kündigungsschutzantrag zu 1 ist die Beklagte gemäß den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84, juris) zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Mitarbeiter des Friedhofs bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verpflichtet.

III.

Der Kläger hat für die die Zeit von 1. Juli 2020 bis 31. Januar 2021 Anspruch auf Vergütung wegen Annahmeverzugs, § 615 Satz 1, § 611 Abs. 1 iVm. §§ 293 ff. BGB. Aufgrund der Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung vom 25. November 2019 bestand das Arbeitsverhältnis der Parteien im Anspruchszeitraum fort. Die Beklagte befand sich mit der Annahme der Arbeitsleistung des Klägers im Verzug, ohne dass es eines – über die Erhebung der Kündigungsschutzklage hinausgehenden – Angebots der Arbeitsleistung durch den Kläger bedurft hätte (st. Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 24. Juni 2015 – 5 AZR 462/14 – Rn. 17). Zudem wurde dem Kläger am 30. Juni 2020 mitgeteilt, dass er gekündigt sei, die Schlüssel abgeben und seinen Spind leerräumen solle. Der Kläger war ausweislich des Attests des A. GmbH & Co. KG vom 2. Juli 2020 arbeitsfähig. Nach diesem Attest bestehen aus arbeitsmedizinischer Sicht keine Bedenken gegen eine Wiederaufnahme der Tätigkeit. Er war – wie sich aus der Wiederaufnahme seiner Arbeitstätigkeit in der Zeit vom 26. Juni 2020 bis zum 30. Juni 2020 schließen lässt – auch arbeitswillig. Die Beklagte hat die Arbeitswilligkeit des Klägers in der Zeit ab dem 1. Juli 2020 bis zum 31. Januar 2021 nicht in Zweifel gezogen.

Der Kläger hat gegen die Beklagte daher einen Anspruch auf Zahlung von monatlich 2.883,70 € brutto abzüglich des erhaltenen Arbeitslosengeldes. Er hat weiter Anspruch auf Zahlung der vom Arbeitsgericht zugesprochenen gekürzten Jahressonderzahlung für das Jahr 2019.

Der Zinsanspruch ergibt sich jeweils aus §§ 286 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 1, 288 Abs. 1 BGB iVm. § 247 BGB.

Die Berufung der Beklagten hatte daher keinen Erfolg.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

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