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Fristlose Kündigung bei Tätlichkeiten gegenüber einer Arbeitskollegin

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 Sa 335/21 – Urteil vom 22.02.2022

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – 5 Ca 80/20 – vom 21. Juli 2021 wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen fristlosen Kündigung durch den Beklagten und um die Weiterbeschäftigung der Klägerin.

Die 1965 geborene, verheiratete Klägerin ist bei dem beklagten Landkreis kraft schriftlichen Arbeitsvertrages vom 29. Dezember 1997 (Bl. 5 ff. d. A., im Folgenden: AV) seit dem 06. Januar 1998 als nichtvollbeschäftigte Arbeiterin beschäftigt, zuletzt zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt (einschließlich Jahressonderzahlung) von 1.553,27 EUR bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von durchschnittlich 17,25 Stunden. Sie ist als Reinigungskraft in der Realschule Z. in A-Stadt eingesetzt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD/VKA; im Folgenden: TVöD) Anwendung. Die Klägerin erfüllt die Voraussetzungen für eine ordentliche Unkündbarkeit nach § 34 Abs. 2 TVöD. Der Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer mit Ausnahme der zu ihrer Ausbildung Beschäftigten.

Fristlose Kündigung bei Tätlichkeiten gegenüber einer Arbeitskollegin
(Symbolfoto: Zamrznuti tonovi/Shutterstock.com)

Der beklagte Landkreis erteilte der Klägerin unter dem 01. Februar 2019 eine schriftliche Abmahnung, in der er ihr vorwarf, am 20. November 2018 absichtlich und aus Schikane gegenüber einer Kollegin den Flur vor einer Klasse mit Limonade verunreinigt zu haben. Hinsichtlich des umstrittenen Inhalts des Abmahnungsschreibens wird auf Bl. 23 f d. A. Bezug genommen.

Am 20. Januar 2021 kam es nach einer Beschwerde einer Arbeitskollegin der Klägerin, der Zeugin Y., zu einem Personalgespräch mit der Klägerin in Anwesenheit weiterer Personen, welches den Vorwurf gegenüber der Klägerin zum Gegenstand hatte, sie habe die nicht gut Deutsch sprechende Zeugin Y. am 14. Januar 2021 körperlich angegriffen. Der Klägerin wurde vorgehalten, sie habe die Zeugin – nachdem diese etwas nicht verstanden gehabt habe, was die Klägerin ihr zugerufen habe – an den Schultern gepackt und durchgeschüttelt.

Mit Schreiben vom 25. Januar 2021 (Bl. 21 f. d. A.) hörte der Beklagte den bei ihm gewählten Personalrat zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung der Klägerin wegen begründeten Verdachts einer körperlichen Tätigkeit an. Wegen der Einzelheiten des Anhörungsschreibens und die diesem beigefügten Anlagen wird auf den Akteninhalt verwiesen. Der Personalrat erklärte am 28. Januar 2021, dass er keine Erörterung wünsche und keine Stellungnahme abgebe.

Der beklagte Landkreis kündigte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin mit Schreiben vom 01. Februar 2021 außerordentlich fristlos. Die Kündigung ging der Klägerin am gleichen Tag zu.

Die Klägerin hat am 17. Februar 2021 beim Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Kündigungsschutzklage erhoben und zugleich ihre Weiterbeschäftigung verlangt. Die Klage ist dem Beklagten am 24. Februar 2021 zugestellt worden.

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, sie habe am 20. November 2018 keine absichtliche Verunreinigung des Flurs durch Limonade verursacht, sondern vielmehr – auf dem Weg zur Toilette – eine Flasche aufgehoben, die nicht richtig zugedreht gewesen sei, weshalb beim Aufheben ein Teil des Inhalts der Flasche ausgetreten sei. Im Übrigen habe der abgemahnte Vorfall keinerlei Bedeutung für den vorliegenden Rechtsstreit, da ihr im Rahmen der Kündigung angeblich tätliche Angriffe auf die Zeugin Y. vorgeworfen würden, mit der sie nicht zusammenarbeite. Im Oktober 2019 habe die Zeugin zusammen mit der Zeugin X. gearbeitet, die sie – die Klägerin – bei einer Gelegenheit, die sich nach ihrer Erinnerung durchaus im Oktober 2019 zugetragen haben könne, in den Arbeitsbereich der beiden gerufen habe. Die Zeugin X. habe ihr mitgeteilt, dass die Zeugin Y. die Reinigungsarbeiten „komisch“ ausführe und zwar nicht so, wie die Zeugin X. es ihr zuvor gezeigt habe. Sie – die Klägerin – habe daher zur Zeugin Y. gesagt, dass sie schauen solle, wie es die Zeugin X. mache. Zu keinem Zeitpunkt habe sie die Zeugin Y. angegriffen, insbesondere nicht an den Schultern gepackt und nicht im Kreis gewirbelt. Gegenteilige Behauptungen der Zeugin Y. seien grob unwahr. Richtig sei, dass sie es abgelehnt habe, mit der Zeugin zusammenzuarbeiten, was aber nicht daran liege, dass sie die Zeugin Y. in irgendeiner Art und Weise als Mensch ablehne, sondern einzig daran, dass die Zeugin wegen mangelnder Sprachkenntnisse nicht verstehe, was man ihr erkläre, weshalb sie es aufgegeben habe, mit dieser Gespräche führen zu wollen. Nicht nur sie, sondern auch andere Kolleginnen hätten sich oft hilfesuchend an die Zeugin W. gewandt, damit diese dolmetsche. Auch die Zeugin W. habe sich ihr gegenüber darüber beschwert, dass sie der Zeugin Y. zwar korrekt übersetze, die Zeugin aber „doch mache, was sie wolle“. Im März 2020 habe sie die Zeugin zu keinem Zeitpunkt „in eine Ecke gedrängt“, „am Hals gepackt und gewürgt“ und zu keinem Zeitpunkt die Worte „Du Knoblauchfrau“ geäußert. Richtig sei allein, dass sie im obersten Stockwerk der Schule an einigen Räumen vorbeigehe, die die Zeugin Y. reinige und ihr ein von der Zeugin Y. ausgehender intensiver Knoblauchgeruch aufgefallen sei. Der Versuch, die Zeugin Y. hierauf anzusprechen, sei schon auf Grund der mangelnden Sprachkenntnisse im Ansatz gescheitert. Sie habe daher versucht, über die Zeugin W. die Zeugin Y. zu bitten, den Knoblauchkonsum einzuschränken. Wegen des intensiven Knoblauchgeruchs sei es auch zu einem Gespräch mit der Schulleitung gekommen. In einem solchen Gespräch habe sie sich über die Zeugin Y. als „die Frau, die viel Knoblauch isst“ geäußert. Einen Vorfall, bei dem sie die Zeugin Y. körperlich angegriffen habe, habe es nicht gegeben. Der Vorfall vom 14. Januar 2021, der zur Kündigung geführt habe, habe ebenfalls nicht stattgefunden, wie vom Beklagten geschildert. Auch an diesem Tag habe sie die Zeugin Y. weder verbal noch körperlich angegriffen, insbesondere nicht „an den Schultern gepackt und durchgerüttelt“. Die Zeugin Y. sei zusammen mit der Kollegin V. im obersten Stockwerk des Schulgebäudes mit Reinigungsarbeiten beschäftigt gewesen. Sie – die Klägerin – sei in einem anderen Abschnitt im selben Stockwerk tätig gewesen, wobei in ihrem Bereich eine Bohnermaschine gestanden habe. Die Zeugin Y. habe ebenfalls mit dieser Bohnermaschine arbeiten wollen, weshalb sie – die Klägerin – die Maschine der Zeugin Y. überlassen habe mit der Bitte, die Bohnermaschine nach Benutzung wieder an die Stelle zu stellen, wo sie sich befunden habe. Als sie gegen 14.45 Uhr mit den Reinigungsarbeiten mittels Bohnermaschine habe beginnen wollen, sei zwar die Bohnermaschine nicht mehr in Benutzung gewesen, habe aber auch nicht dort gestanden, wo sie die Maschine zuvor gelassen habe. Als sie die Bohnermaschine an die Stelle, an der sie ihre Arbeit habe beginnen wollen, bewegt habe, habe die Zeugin Y. zu ihr gesagt: „Jetzt hast Du Blutdruck“. Sie gehe davon aus, die Zeugin Y. habe gemeint, sie – die Klägerin – würde sich ärgern. Sie sei jedoch auf die Provokation nicht eingegangen. Eine wie auch immer geartete tätliche Auseinandersetzung habe nicht stattgefunden. Die Zeugin U. sei bei dem Vorfall nicht zugegen gewesen. Sie habe in all den 23 Jahren ihrer Beschäftigung mit niemandem Streit gehabt und mit niemandem eine körperliche Auseinandersetzung begonnen. Keine der Personen, mit denen sie zusammengearbeitet habe, hätten sich jemals über ein angebliches Fehlverhalten ihrerseits beschwert.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 01. Februar 2021 nicht beendet wird,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände aufgelöst wird, sondern fortbesteht,

3. im Falle des Obsiegens mit den Klageanträgen zu 1) und 2) den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Arbeiterin weiterzubeschäftigen.

Der beklagte Landkreis hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, er habe das Arbeitsverhältnis wegen des begründeten Verdachts einer körperlichen Tätlichkeit der Klägerin gegenüber der Zeugin Y. außerordentlich und fristlos gekündigt. Am 19. Januar 2021 sei sein Büroleiter vom Schulhausmeister der Realschule T., darüber informiert worden, dass die Klägerin eine Kollegin am Nachmittag des 14. Januar 2021 tätlich angegriffen habe. Die Klägerin habe ihrer Kollegin Y. etwas zugerufen, was diese nicht richtig verstanden habe. Die Klägerin sei daraufhin mit wütendem Blick auf sie zugekommen und habe sie an den Schultern gepackt und durchgerüttelt. Am 20. Januar 2021 sei die Klägerin dann mit dem Vorwurf konfrontiert worden. Die Zeugin Y. habe in diesem Gespräch weiter angegeben, dass es bereits zwei andere Vorfälle gegeben habe. An einem Freitag Mitte Oktober 2019, vermutlich am 18. Oktober 2019, habe die Zeugin Y. den überdachten Pausenhof in der Z. geputzt, wobei sie den Pausenhof rückwärtsgehend gewischt habe. Die Klägerin habe sie aufgefordert, nur vorwärtsgehend zu putzen. Weil die Zeugin Y. ihre Arbeit aber wie gehabt fortgesetzt habe, sei die Klägerin auf sie zugekommen, habe sie an den Schultern gepackt und im Kreis gewirbelt, wohl, um ihr zu verdeutlichen, dass sie sich anders herumdrehen müsse. Die Zeugin Y. habe diesen Vorfall ihrer Kollegin Frau W. geschildert. Auf Nachfrage habe diese mitgeteilt, dass es von Seiten der Klägerin zu Beginn an immer wieder Unstimmigkeiten mit der Zeugin Y. gegeben habe und die Klägerin sich von Anfang an geweigert habe, mit der Zeugin Y. zu arbeiten. Am zweiten Tag der Schulschließung wegen des Lockdowns, am 17. März 2020, habe die Zeugin Y. im Rahmen der vorgezogenen Grundreinigung den Klassenraum 307 gereinigt. Die Klägerin sei ohne ersichtlichen Grund in den Raum gekommen, habe sie in eine Ecke gedrängt und mit den Worten „Du Knoblauchfrau“ am Hals gepackt und gewürgt. Zu den beiden Vorfällen habe sich die Zeugin Y. auch an die Schulleiterin S., gewandt und berichtet, sie habe aber aus Angst darum gebeten, nichts zu unternehmen. Die Klägerin sei bereits am 01. Februar 2019 wegen Störung des Betriebsfriedens abgemahnt worden. So sei sie dabei beobachtet worden, wie sie am 20. November 2018 vor dem Büro des Zeugen R. in der Z. absichtlich Limonadenflüssigkeit ausgeschüttet habe.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 02. Juni 2021 (Bl. 50 d. A.) über die Behauptungen des Beklagten zu den Vorfällen vom 14. Januar 2021, Mitte Oktober 2019, 17. März 2020 und 20. November 2018 durch Vernehmung der Zeugen Y., U., W. und Q.. Weiter hat es Beweis erhoben gemäß Beweisbeschluss vom 21. Juli 2021 (Bl. 79 d. A.) über die Behauptung der Klägerin, sie habe zu keinem Zeitpunkt die Zeugin Y. angegriffen und die Behauptung des Beklagten, die Zeugin Y. habe die Schulleiterin S. unterrichtet und aus Angst gebeten, nichts zu unternehmen, durch Vernehmung der Zeugen X. und S.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 21. Juli 2021 verwiesen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 21. Juli 2021 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, die fristgemäß erhobene Kündigungsschutzklage sei unbegründet, da die streitgegenständliche Kündigung das Arbeitsverhältnis außerordentlich mit sofortiger Wirkung zum 01. Februar 2021 beendet habe. Nach der Beweisaufnahme stehe fest, dass es zu drei körperlichen Übergriffen seitens der Klägerin auf die Zeugin Y. im Oktober 2019, März 2020 und am 14. Januar 2021 gekommen sei. Die Zeugin Y. habe glaubhaft die Vorfälle geschildert und die Zeugin U. den Vorfall vom 14. Januar 2021 bestätigt. Die Zeugin Y. habe ausgeführt, dass die Klägerin sie im Oktober 2019 wegen einer ihrer Auffassung nach falschen Reinigungsmethode mit Kraft und böswillig an der Schulter gepackt und um 180 Grad gedreht habe. Auch die Zeugin X., die einen Angriff nicht gesehen haben wolle, habe zumindest bestätigt, dass die Klägerin sich nicht unter Kontrolle gehabt habe. Weiter habe die Zeugin Y. bestätigt, dass die Klägerin sie im März 2020 gepackt und gewürgt habe und sie hierdurch Angst um ihr Leben gehabt, sich rausgewunden habe und weggelaufen sei. Die Zeugin Y. sei nach Ansicht der Kammer glaubwürdig. Sie habe keinen Belastungseifer gezeigt, habe sich zuerst nicht beschweren wollen, sei aber von den Kolleginnen zur Meldung bewogen worden. Auch aus der Aussage der Zeugin S. sei zu schließen, dass die Zeugin Y. die Klägerin nicht habe falsch verdächtigen wollen, sondern sie die Zeugin erst habe ermuntern müssen, solche Vorfälle zu melden, da so eine Zusammenarbeit nicht ginge. Der letzte Vorfall vom 14. Januar 2021 im Zusammenhang mit einer Bohnermaschine sei schließlich sowohl durch die Zeugin Y. als auch durch die Zeugin U. bestätigt worden. Erstere habe ausgesagt, dass die Klägerin sie mit beiden Händen gepackt und mehrfach gerüttelt. habe Die Zeugin U. wolle beobachtet haben, wie die Klägerin die Zeugin Y. zunächst am Revers gegriffen und dann nach hinten in die Ecke geschubst habe. In einem von ihr bestätigten Protokoll habe die Zeugin die Schilderung der Zeugin Y. bestätigt. Auch wenn die Kammer teilweise den Eindruck gehabt habe, dass die Zeugin U. der Situation der Vernehmung nicht gewachsen gewesen sei, sei deutlich geworden, dass es zu einem Vorfall gekommen gewesen sei. Dies habe die Zeugin W. als aufgeregte Erzählung der Zeugin Y. auch bestätigt. Auch die Zeugin X. habe den Vorfall akustisch mitbekommen. Rechtfertigungsgründe für diese körperlichen Angriffe habe die Klägerin nicht angeführt. Es sei vielmehr der Eindruck entstanden, dass die Klägerin sich nicht unter Kontrolle gehabt habe, wenn ihr etwas an der Zeugin Y. nicht gepasst habe, sei es die Art des Putzens, ihr Geruch nach Knoblauch oder wenn die Zeugin nicht nach den Vorstellungen der Klägerin agiert habe. Die Einlassungen der Klägerin seien überwiegend nicht glaubhaft, insbesondere habe die Zeugin Y. die Klägerin im Januar 2021 nicht provoziert und die Klägerin habe diese auch als Knoblauchfrau bezeichnet. Auch im Rahmen der Interessenabwägung sei dem Beklagten bei der Kündigung eines vergleichbaren ordentlich kündbaren Mitarbeiters trotz des Lebensalters und ihrer langjährigen Betriebszugehörigkeit angesichts der Schwere ihres Tuns nicht zuzumuten gewesen, die sechsmonatige Kündigungsfrist einzuhalten. Der vorherige Ausspruch einer Abmahnung sei angesichts der Schwere und der eindeutigen Grenzüberschreitungen nicht erforderlich gewesen. Im Übrigen sei das Arbeitsverhältnis angesichts der nach durchgeführter Beweisaufnahme feststehenden Verschmutzung des Arbeitsbereichs einer Kollegin am 20. November 2018 und der damit einhergehenden Abmahnung auch nicht unbelastet gewesen. Ein Abwarten der fiktiven Kündigungsfrist sei nicht zuzumuten. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt, da der Beklagte am 19. Januar 2021 Kenntnis vom Vorfall am 14. Januar 2021 und am 20. Januar 2021 von den weiteren Vorfällen erhalten habe. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden. In Unkenntnis der Kammervorsitzenden von der Neuberufung des beteiligten ehrenamtlichen Richters T. sei dieser entgegen § 45 Abs. 2 DRiG versehentlich nicht vereidigt worden. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf S. 8 ff. d. Urteils (= Bl. 90 R ff. d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat gegen das am 17. August 2021 zugestellte Urteil mit am 10. September 2021 bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 07. September 2021 Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit am 16. November 2021 eingegangenem Schriftsatz vom 15. November 2021 begründet.

Die Klägerin trägt zweitinstanzlich nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 15. November 2021 (Bl. 119 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes auf den Akteninhalt ergänzend Bezug genommen wird, zur Begründung ihrer Berufung unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens vor,

das Arbeitsgericht sei falsch davon ausgegangen, dass sie die Zeugin Y. mehrfach körperlich angegriffen habe und dass die sofortige Auflösung des Arbeitsverhältnisses auch ohne vorherige Abmahnung gerechtfertigt sei. Bezüglich des Vorfalls vom Oktober 2019 habe die Zeugin Y. nach eigenen Angaben weder Angst noch Schmerzen verspürt. Selbst wenn man von einem unangemessenen Verhalten ausgehe, liege jedenfalls kein so schwerwiegendes Fehlverhalten vor, dass allein die außerordentliche Kündigung des ordentlich nicht kündbaren Arbeitsverhältnisses ohne vorherige Abmahnung möglich gewesen sei. Es sei auch nicht ersichtlich, dass die Klägerin im Falle einer Abmahnung ihr von ihr bis dahin als unproblematisch erachtetes Verhalten fortgesetzt hätte. Bezüglich des Vorfalls im März 2020, bei dem sie nach wie vor bestreite, die Zeugin gewürgt zu haben, sei die Aussage der Zeugin Y. widersprüchlich, da sie zum einen angegeben habe, durch das Drücken keine Luft mehr bekommen zu haben und sogleich darauf angegeben habe, dass die Klägerin nicht so stark zugedrückt habe, dass sie keine Luft mehr bekommen habe. Aufgrund der Sprachprobleme der Zeugin habe sich die Vernehmung insgesamt schwierig gestaltet. Es sei auch nicht klar gewesen, ob die Zeugin habe erklären wollen, die Klägerin habe sie am Hals gewürgt oder lediglich die Kleidung neben dem Hals gepackt. In jedem Fall habe es zunächst einer vorherigen Abmahnung bedurft. Auch bezüglich des Vorfalls vom 14. Januar 2021 habe die Zeugin angegeben, keine Schmerzen verspürt zu haben, wobei wieder nicht zu klären gewesen sei, ob es sich um ein Schütteln oder Schubsen gehandelt habe. Ohne körperliche Auswirkungen sei eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht gerechtfertigt gewesen. Schließlich übersehe das Arbeitsgericht, dass es die Konfliktsituation nur zwischen der Zeugin Y. und der Klägerin gegeben habe, die auch durch eine Versetzung hätten beseitigt werden können.

Die Klägerin beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 21. Juli 2021 – 5 Ca 80/21 – abzuändern und

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung des Beklagten vom 01. Februar 2021 nicht beendet worden ist,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1) den Beklagten zu verurteilen, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens als Arbeiterin weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung der Klägerin zurückzuweisen.

Der Beklagte verteidigt das von der Klägerin angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 17. Oktober 2021 (Bl. 131 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, zweitinstanzlich unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Sachvortrags wie folgt, das Urteil des Arbeitsgerichts sei überzeugend begründet und decke sich mit seiner Rechtsauffassung. Das Verhalten im Oktober 2019, März 2020 und zuletzt 14. Januar 2021 rechtfertige die außerordentliche Kündigung. Es handele sich jeweils um körperliche Übergriffe, die ein Maß überschritten hätten, das noch in irgendeiner Art und Weise akzeptabel sei. Jeder Arbeitnehmer müsse wissen, dass solche körperlichen Übergriffe auch Kollegen nicht geduldet würden. Die Klägerin unterliege einer nicht tolerierbaren Fehleinschätzung, wenn sie ihr Verhalten für unproblematisch halte. Er habe gegenüber allen Arbeitnehmern die Pflicht, dafür zu sorgen, dass sie keinen Tätlichkeiten ausgesetzt seien. Dass es vorliegend zu keiner schwerwiegenden Verletzung gekommen sei, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Die Klägerin habe sich bei allen Vorfällen übergriffig verhalten und die betroffene Zeugin mit Kraft angefasst. Beim Vorfall im März 2020 sei es ausreichend, dass die Zeugin Angst um ihr Leben gehabt und sich aus der Situation gewunden habe. Auch hier habe ein massiver körperlicher Angriff vorgelegen, der mit der wiederholten Äußerung „Knoblauchfrau“ und verbalen Ausbrüchen verbunden gewesen sei. Auch der Vorfall vom 14. Januar 2021 sei in jeder denkbaren Form nicht akzeptabel. Jedem Arbeitnehmer sei bekannt, dass körperliche Angriffe wie vorliegend nicht geduldet werden könnten und könne nicht damit rechnen, dass ein derartiges Verhalten geduldet werde. Die Klägerin sei im Übrigen wegen Störung des Betriebsfriedens abgemahnt gewesen. Auch ihr jetziges Verhalten stelle eine Verletzung des Betriebsfriedens dar.

Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die zulässige Berufung ist in der Sache nicht erfolgreich.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG), wurde nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 17. August 2021 mit am 10. September 2021 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 07. September 2021 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit Schriftsatz vom 15. November 2021, eingegangen bei Gericht am 16. November 2021, innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2, § 64 Abs. 6 ArbGG, § 520 ZPO).

II. In der Sache bleibt die Berufung ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat mit ausführlicher, sehr sorgfältiger und richtiger Begründung zu Recht angenommen, dass die außerordentliche, fristlose Kündigung des Beklagten vom 01. Februar 2021 das Arbeitsverhältnis mit ihrem Zugang bei der Klägerin am gleichen Tag wirksam beendet hat, da dem Beklagten ein wichtiger Kündigungsgrund iSd. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD iVm. § 626 BGB zur Seite stand und sonstige Unwirksamkeitsgründe nicht ersichtlich sind. Der lediglich hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zur Entscheidung gestellte Weiterbeschäftigungsantrag ist auch zweitinstanzlich nicht zur Entscheidung angefallen. Die Berufungskammer folgt vollumfänglich den zutreffenden Gründen der angefochtenen Entscheidung, macht sich diese zur Vermeidung von Wiederholungen zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die hiergegen gerichteten Angriffe der Berufung rechtfertigen ein anderes Ergebnis nicht.

1. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass ein an sich zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung geeigneter Grund iSd. § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD iVm. § 626 Abs. 1 BGB vorlag, weil die Klägerin die Zeugin Y. mehrfach tätlich angegriffen hat. Die erstinstanzliche Beweiswürdigung ist entgegen der von der Klägerin vertretenen Auffassung nicht zu beanstanden. Auch ist das Arbeitsgericht nach umfassender Interessenabwägung zu Recht davon ausgegangen, dass es dem Beklagten nicht zuzumuten war, anstelle der Kündigung eine Abmahnung auszusprechen oder eine Versetzung vorzunehmen.

1.1. Auf das Arbeitsverhältnis findet unstreitig kraft einzelvertraglicher Vereinbarung der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst im Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (TVöD/VKA, im Folgenden: TVöD) Anwendung, der zum 01. Oktober 2005 den BAT-VKA abgelöst hat (vgl. § 2 Abs. 1 Satz 1 Tarifvertrag zur Überleitung der Beschäftigten der kommunalen Arbeitgeber in den TVöD und zur Regelung des Übergangsrechts (TVÜ-VKA) vom 13. September 2005).

1.2. Der Beklagte konnte das Arbeitsverhältnis der Klägerin, die im Kündigungszeitpunkt länger als 15 Jahre bei ihm beschäftigt war und das 40. Lebensjahr vollendet hatte, gemäß § 34 Abs. 2 Satz 1 TVöD-VKA, nur aus einem wichtigen Grund kündigen. Ein solcher Grund lag vor.

1.2.1. Mit dem Begriff „wichtiger Grund“ knüpft die tarifvertragliche Bestimmung an die gesetzliche Regelung des § 626 Abs. 1 BGB an, deren Verständnis deshalb auch für die Auslegung der Tarifnorm maßgebend ist (vgl. BAG 13. Dezember 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 14 – 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 14; 25. Januar 2018 – 2 AZR 382/17 – Rn. 25 mwN, jeweils zitiert nach juris). Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

1.2.2. Das Arbeitsgericht hat nach durchgeführter Beweisaufnahme zu Recht das Vorliegen eines an sich geeigneten Kündigungsgrundes iSd. § 626 Abs. 1 BGB bejaht.

a) Nach § 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG iVm. § 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO ist das Berufungsgericht grundsätzlich an die Tatsachenfeststellungen des ersten Rechtszuges gebunden. Diese Bindung entfällt aber, wenn konkrete Anhaltspunkte Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit entscheidungserheblicher Feststellungen begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten (LAG Rheinland-Pfalz 04. Dezember 2018 – 8 Sa 37/18 – Rn. 75, zitiert nach juris). Konkrete Anhaltspunkte, welche die Bindung des Berufungsgerichts an die vorinstanzlichen Feststellungen entfallen lassen, können sich ua. aus Fehlern ergeben, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind (vgl. BGH 21. März 2018 – VII ZR 170/17 – Rn. 15 mwN, zitiert nach juris). Konkrete Anhaltspunkte in diesem Sinn sind alle objektivierbaren rechtlichen oder tatsächlichen Einwände gegen die erstinstanzlichen Feststellungen. Sie können sich auch aus Vortrag der Parteien, vorbehaltlich der Anwendung von Präklusionsvorschriften auch aus Vortrag der Parteien in der Berufungsinstanz ergeben (BGH 21. März 2018 – VII ZR 170/17 – aaO). Entsprechende Anhaltspunkte können insbesondere aus Verfahrensfehlern resultieren, die dem Eingangsgericht bei der Feststellung des Sachverhalts unterlaufen sind. Ein solcher Verfahrensfehler liegt namentlich vor, wenn die Beweiswürdigung in dem erstinstanzlichen Urteil den Anforderungen nicht genügt, die von der Rechtsprechung zu § 286 Abs. 1 ZPO entwickelt worden sind. Dies ist der Fall, wenn die Beweiswürdigung unvollständig oder in sich widersprüchlich ist oder wenn sie gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt (vgl. LAG Baden-Württemberg 11. Dezember 2019 – 3 Sa 30/19 – Rn. 70, mwN, zitiert nach juris).

b) Nach diesen Maßstäben ist die erstinstanzliche Beweiswürdigung nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht ist unter Berücksichtigung des Vortrags der Parteien und des Ergebnisses der Beweisaufnahme auf der Grundlage der von ihm vorgenommenen Beweiswürdigung davon ausgegangen, dass die Klägerin sich dreier – von ihm im Gegensatz zur Klägerin zutreffend in Gesamtschau betrachteter – körperlicher Übergriffe gegenüber der Zeugin Y. und damit einer an sich zur außerordentlichen Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB geeigneten Pflichtverletzung schuldig gemacht hat. Es hat angenommen, dass die Klägerin im Oktober 2019 die Zeugin mit Kraft an der Schulter gepackt und sie böswillig um 180 Grad gedreht hat, weil die Zeugin einen Reinigungsvorgang technisch nicht so ausgeführt hat, wie die Klägerin es für richtig hielt. Weiter hat es festgestellt, dass die Klägerin die Zeugin im März 2020 zum Ende eines Korridors geschubst und angefangen hat, ihr den Hals zuzudrücken, wobei sie wiederholend „Knoblauchfrau“ zur Zeugin gesagt hat, bis die Zeugin sich aus der für sie unangenehmen Situation, in der sie – ohne dass die Klägerin ihr die Luft abgedrückt hätte – Angst um ihr Leben hatte, entwinden konnte und davongelaufen ist. Schließlich hat das Arbeitsgericht festgestellt, dass die Klägerin die Zeugin Y. am 14. Januar 2021 im Rahmen einer Auseinandersetzung um eine Bohnermaschine an den Schultern gepackt und mehrfach gerüttelt bzw. sie hierbei am Revers gegriffen und nach hinten in die Ecke gedrückt hat. Das Arbeitsgericht hat die Aussagen der vernommenen Zeugen Y., U., X. und W. im Rahmen seiner bereits in Bezug genommenen Feststellungen gründlich, umfassend und überlegt gewürdigt. Entgegen der Auffassung der Berufung liegen konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachengrundlage des Arbeitsgerichts aufgrund einer fehlerhaften Beweiswürdigung oder in der Berufung neu vorgebrachter Umstände begründen könnten, nicht vor. Ohne Erfolg beanstandet die Klägerin, das Arbeitsgericht habe einen Widerspruch in der Aussage der Zeugin Y. zum Vorfall im März 2020 nicht aufgeklärt, weil diese ausgesagt habe, durch das Drücken keine Luft mehr bekommen zu haben, zugleich aber bekundet habe, die Klägerin habe nicht so stark zugedrückt, dass sie keine Luft mehr bekommen habe. Das Arbeitsgericht hat die Aussage zutreffend dahingehend gewürdigt, dass die Zeugin ausdrücken wollte, dass ihr die Situation unangenehm war und sie Angst um ihr Leben hatte, obwohl die Klägerin nicht so fest zugedrückt hatte, dass sie keine Luft mehr bekommen hat. Einen unaufgeklärten Widerspruch, der die Wiederholung der Beweisaufnahme erforderlich gemacht hätte, vermochte die Berufungskammer nicht zu erkennen. Soweit die Klägerin auf die sprachbedingten Schwierigkeiten bei der Vernehmung verwiesen hat, hat das Arbeitsgericht einen Dolmetscher für die Zeugin herbeigezogen und mit dessen Hilfe trotz etwaiger Mühen eine umfangreiche Beweisaufnahme durchgeführt, deren Aussagen die Zeugin nach ihrer Vernehmung genehmigt hat. Von einer fehlerhaften Beweiswürdigung kann daher in keiner Weise ausgegangen werden. Wenn die Klägerin weiter meint, das Arbeitsgericht habe zum Vorfall vom 14. Januar 2021 nicht aufgeklärt, ob die Klägerin die Zeugin nur am Hals gewürgt oder lediglich deren Kleidung neben dem Hals gepackt gehabt habe und ob sie die Zeugin geschüttelt oder geschubst habe, übersieht sie, dass das Arbeitsgericht im Rahmen seiner rechtlichen Wertung beide Möglichkeiten – zu Recht – als jedenfalls körperlichen Übergriff erachtet hat. Die Beweisaufnahme hat damit jedenfalls den Vortrag der Klägerin, es habe keinerlei Angriff gegeben, nicht bestätigt, auch wenn die Zeuginnen – offenbar der damaligen Situation geschuldet – in Nuancen unterschiedlich ausgesagt haben. Auch dieser Einwand vermag das Ergebnis der Beweisaufnahme nicht zu erschüttern.

c) Soweit die Klägerin mit der Berufung einwendet, das Arbeitsgericht habe verkannt, dass es bei der Zeugin Y. nicht zu körperlichen Verletzungen gekommen sei und damit womöglich das Gewicht des Kündigungsvorwurfs unterhalb der Grenze des an sich zur außerordentlichen Kündigung geeigneten Grundes verortet sehen will, vermochte dies die Berufungskammer nicht zu überzeugen. Die Klägerin ist auf die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zu verweisen, dass die Klägerin sich ohne Zweifel zur Durchsetzung ihrer eigenen Vorstellungen von opportunem Verhalten der Zeugin Y. körperlicher Übergriffe schuldig gemacht und durch hartes körperliches Anpacken in unterschiedlichen Situationen den unantastbaren Bereich der Zeugin Y. gegen deren Willen verletzt und sie darüber hinaus sogar teilweise in Angst um ihr Leben versetzt hat. Einer körperlichen Verletzung bedurfte es zur Bejahung eines an sich geeigneten außerordentlichen Kündigungsgrundes auch nach Ansicht der Berufungskammer nicht.

1.2.3. Entgegen der Auffassung der Berufung hat das Arbeitsgericht zutreffend angenommen, dass die vorzunehmende Interessenabwägung vorliegend zu Lasten der Klägerin ausgeht, weil dem Beklagten die Einhaltung einer fiktiven Kündigungsfrist ebenso wenig zumutbar war, wie der Ausspruch einer Abmahnung anstelle einer Kündigung. Auch eine Versetzung kam nicht als milderes Mittel in Betracht.

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 40, zitiert nach juris).

Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf (BAG 9. Juni 2011 – 2 AZR 323/10 – Rn. 27; 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – Rn. 34, jeweils zitiert nach juris). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind neben der ordentlichen Kündigung auch Abmahnung und Versetzung anzusehen (vgl. BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 41; 19. April 2012 – 2 AZR 186/11 – Rn. 22 mwN, jeweils zitiert nach juris). Die Interessenabwägung im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB hat bei Vorliegen einer Vertragspflichtverletzung ua. zum Gegenstand, ob dem Kündigenden eine mildere Reaktion als eine fristlose Kündigung, also insbesondere eine Abmahnung oder fristgerechte Kündigung zumutbar war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 23, BAGE 170, 84; 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 30; 29. Juni 2017 – 2 AZR 302/16 – Rn. 28, BAGE 159, 267). Liegt nur eine dieser Fallgruppen vor, kann Ergebnis der Interessenabwägung nicht sein, den Kündigenden auf eine Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen (vgl. BAG 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 24, aaO). Die zweite Fallgruppe betrifft ausschließlich das Gewicht der in Rede stehenden Vertragspflichtverletzung, die für sich schon die Basis für eine weitere Zusammenarbeit irreparabel entfallen lässt. Dieses bemisst sich gerade unabhängig von einer Wiederholungsgefahr. Die Schwere einer Pflichtverletzung kann zwar nur anhand der sie beeinflussenden Umstände des Einzelfalls beurteilt werden, diese müssen aber die Pflichtwidrigkeit selbst oder die Umstände ihrer Begehung betreffen. Dazu gehören etwa ihre Art und ihr Ausmaß, ihre Folgen, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers sowie die Situation bzw. das „Klima“, in der bzw. in dem sie sich ereignete. Sonstige Umstände, die Gegenstand der weiteren Interessenabwägung sein können, wie etwa ein bislang unbelastetes Arbeitsverhältnis, haben bei der Prüfung der Schwere der Pflichtverletzung außer Betracht zu bleiben. Dies gilt umgekehrt ebenso für ein nachfolgendes wahrheitswidriges Bestreiten, das für sich genommen ebenfalls nichts über die Schwere der begangenen Pflichtverletzung besagt (BAG 20. Mai 2021 – 2 AZR 596/20 – Rn. 27, zitiert nach juris).

b) Hiervon ausgehend ist die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung nicht zu beanstanden.

aa) Das Arbeitsgericht ist entgegen der Ausführungen der Berufung zutreffend davon ausgegangen, dass der Beklagte nicht auf den Ausspruch einer Abmahnung als milderes Mittel zu verweisen war. Hierbei kann dahinstehen, ob – wie die Klägerin meint – zu erwarten stand, dass die Klägerin in der Lage sein würde, nach Ausspruch einer Abmahnung ihr beanstandetes Verhalten zu ändern. Hieran bestehen zumindest Zweifel, nachdem sie angegeben hat, ihr Verhalten gegenüber der Zeugin Y., welches ersichtlich außerhalb des Hinzunehmenden steht, als „unproblematisch“ erachtet zu haben. Selbst wenn man hiervon jedoch ausgehen wollte, teilt die Berufungskammer die Auffassung des Arbeitsgerichts, dass die Gesamtschau der Ereignisse zu einem Fehlverhalten derart gravierenden Ausmaßes führt, dass die Klägerin nicht davon ausgehen durfte, dass der Beklagte dies auch nur einmalig hinnehmen würde. Daher bedarf es keiner Entscheidung, ob die Abmahnung vom 20. November 2018 als einschlägige Abmahnung hinsichtlich der Störung des Betriebsfriedens zu betrachten und zu berücksichtigen wäre. Die Klägerin ist die Zeugin Y. ausweislich der nach Beweisaufnahme feststehenden Kündigungsvorwürfe immer dann körperlich aggressiv angegangen, wenn die Zeugin ihre Arbeitsleistung nicht so erbracht hat, wie die Klägerin dies für wünschenswert hielt, sie aus sonstigen Gründen nicht mit dem Verhalten der Zeugin einverstanden war und manchmal auch anlasslos. Hierbei hat sie die Zeugin, die sich gegen die körperlichen Übergriffe offensichtlich nicht gewehrt hat, zumindest teilweise in Angst versetzt und sie auch verbal durch die Bezeichnung „Knoblauchfrau“ beleidigt. Selbst wenn die Zeugin Y. in Einzelfällen Fehler bei ihrer Arbeit gemacht haben sollte, wäre die Klägerin verpflichtet gewesen, sich an Vorgesetzte zu wenden, um Abhilfe zu schaffen, war jedoch unter keinen Umständen berechtigt, die Zeugin in einer Art Selbstjustiz körperlich anzugreifen, um ihre Ziele durchzusetzen oder einfach ihre Aggressionen an der Zeugin auszulassen. Dass der Beklagte ein solches Verhalten innerhalb der Reinigungskolonne auch einmalig nicht würde dulden können, musste der Klägerin klar sein.

bb) Auch die vom Arbeitsgericht im Übrigen zu Lasten der Klägerin vorgenommene Interessenabwägung ist trotz der zu ihren Gunsten zu berücksichtigenden langen Betriebszugehörigkeit und des Alters der Klägerin nicht zu beanstanden. Das Arbeitsgericht hat zutreffend darauf abgehoben, dass das Arbeitsverhältnis nicht beanstandungslos verlaufen ist, wie die – nach durchgeführter Beweisaufnahme feststehend – zu Recht erteilte Abmahnung vom 01. Februar 2019 wegen des Vorfalls vom 20. November 2018 zeigt. Ausweislich des abgemahnten Vorfalls hat die Klägerin, die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe bis zuletzt bestritten hat, ersichtlich keine Hemmung, den Betriebsfrieden zu stören. Da ihr zu Recht vorgehalten wurde, zum Zwecke der Verschmutzung eine Limonadenflasche in einem zu reinigenden Korridor-Abschnitt ausgeschüttet zu haben, für den nicht sie, sondern eine Kollegin zuständig war. Vor diesem Hintergrund scheidet ungeachtet der Frage arbeitsvertraglicher Versetzungsmöglichkeiten entgegen der Auffassung der Berufung auch eine Versetzung der Klägerin in eine Reinigungskolonne ohne die Zeugin Y. als milderes Mittel aus.

2. Weitere Unwirksamkeitsgründe hinsichtlich der streitigen Kündigung vom 01. Februar 2021 sind nicht ersichtlich. Die Klägerin hat die zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts zur Einhaltung der Kündigungserklärungsfrist des § 34 TVöD, § 626 Abs. 2 BGB und der wirksamen Beteiligung des Personalrats vor Kündigungsausspruch im Berufungsverfahren nicht angegriffen. Die vom Arbeitsgericht mitgeteilte, nach § 45 Abs. 2 DRiG fehlerhafte Besetzung der erstinstanzlichen Richterbank hat die Berufung – obgleich entgegen § 65 ArbGG grundsätzlich möglich (vgl. Schwab/Weth – Schwab 4. Aufl. § 65 Rn. 29) – wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit infolge der nach § 68 ArbGG beschränkten Zurückverweisungsmöglichkeiten des Landesarbeitsgerichts (vgl. Schwab/Weth – Schwab aaO § 65 Rn. 28) zu Recht nicht gerügt und sich auf den Angriff einer materiell-rechtlich fehlerhaften Beurteilung der Rechtslage beschränkt. Diese ist aus den dargestellten Gründen nicht gegeben.

B.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

 

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