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Fristlose Kündigung bei widerrechtlicher Tankkartennutzung

Kündigungen wegen unerlaubter privater Nutzung einer Tankkarte unwirksam

Das Landesarbeitsgericht Köln hat in einem aktuellen Urteil entschieden, dass die Kündigungen eines Betriebsleiters wegen unerlaubter privater Nutzung einer Tankkarte unwirksam sind. Der Betriebsleiter wurde somit weiterhin zur Beschäftigung verurteilt. Das Gericht hat in seiner Entscheidung sowohl außerordentliche fristlose Kündigungen als auch ordentliche Kündigungen für unwirksam erklärt. Das Arbeitsverhältnis besteht somit unverändert fort.

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Hintergrund des Falles

Der Kläger, ein Betriebsleiter, war seit 2001 bei der Beklagten beschäftigt. Im Jahr 2017 erhielt er aufgrund seiner Position als Betriebsleiter ein Dienstfahrzeug und eine eigene Tankkarte, die er auch zur privaten Nutzung verwenden durfte. Im Jahr 2020 übernahm er zusätzlich die Leitung der Werkstatt, woraufhin ihm kein Dienstwagen mehr zur Verfügung gestellt wurde. Die Tankkarte verblieb jedoch bei ihm. Mit dieser Karte wurden bis zum 08.10.2020 verschiedene Kraftstoffe getankt und Autoreinigungen bezahlt. Der Kläger hatte unter anderem sein privates Wohnmobil am 12.09.2020 mit 174,54 l Diesel betankt.

Die Kündigungen und der Rechtsstreit

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis zunächst ordentlich zum 31.03.2021. Der Kläger erhob dagegen Kündigungsschutzklage. Anschließend sprach die Beklagte eine außerordentliche fristlose Kündigung sowie hilfsweise eine ordentliche Kündigung aus. Die Kündigungen wurden aufgrund der privaten Nutzung der Tankkarte und des Verdachts einer weiteren Pflichtverletzung ausgesprochen. Der Kläger erhob erneut Kündigungsschutzklage.

Das vorliegende Urteil

Das Landesarbeitsgericht Köln stellte in seinem Urteil vom 18.01.2022 (Az.: 4 Sa 329/21) fest, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch keine der ausgesprochenen Kündigungen aufgelöst worden ist. Die außerordentliche fristlose Kündigung war unwirksam, da das Gericht die Voraussetzungen dafür nicht als gegeben ansah. Ebenso erklärte das Gericht die ordentliche Kündigung für unwirksam. Es wurde festgestellt, dass der Kläger weiterhin als Betriebsleiter bei der Beklagten beschäftigt bleiben muss.

Folgen des Urteils und Kostenentscheidung

Der Auflösungsantrag des Klägers wurde zurückgewiesen. Die Kosten des Rechtsstreits wurden aufgeteilt, wobei der Kläger 3/13 und die Beklagte 10/13 der Kosten tragen müssen. Die Revision wurde nicht zugelassen.

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Das vorliegende Urteil


Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 4 Sa 329/21 – Urteil vom 18.01.2022

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.02.2021 – 6 Ca 1996/20 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 15.10.2020 aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 26.10.2020 aufgelöst worden ist.

3. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 17.09.2020 aufgelöst worden ist.

4. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger als Betriebsleiter weiter zu beschäftigen.

II. Der Auflösungsantrag des Klägers wird zurückgewiesen.

III. Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 3/13 und die Beklagte zu 10/13.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Beendigung des zwischen ihnen bestehenden Arbeitsverhältnisses, Weiterbeschäftigung und in der Berufung um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses.

Der am 1959 geborene, verheiratete Kläger ist seit 01.11.2001 bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerin gegen eine Quartalsvergütung einschließlich aller Bestandteile i.H.v. 16.062,50 EUR beschäftigt. Dem Arbeitsverhältnis liegt zuletzt ein schriftlicher Arbeitsvertrag vom 07.09.2017 zugrunde, ausweislich dessen der Kläger als Betriebsleiter beschäftigt wird. In der Werkstatt hält die Beklagte eine Tankkarte vor, die die Mitarbeiter für dienstlich veranlasste Betankungen von Firmen- und Kundenfahrzeugen nutzen dürfen. Dazu existiert eine Dienstanweisung „Benutzung von Vorführfahrzeugen, Firmen- und Kundenfahrzeugen“ vom 01.12.2016 (Anl. B5, Bl.86 der Akte). In deren Ziffer 3 g Seite 3 geregelt ist, dass die Firmenfahrzeuge immer voll betankt zurückgegeben werden müssen. Zur Abrechnung muss die Firmentankkarte verwendet werden. Die Tankkarte darf keinesfalls für private Betankungen genutzt werden.

Bei der Beklagten waren im September 2020 der Kläger, Frau A F , Herr M H , Herr D Schl , Herr D Schw , Herr M Sch , Herr F P und Frau R H in Vollzeit beschäftigt. Frau R H soll nach Behauptung der Beklagte zwischenzeitlich verlassen haben. Dafür werde Herr S G beschäftigt. In Teilzeit würden Herrn K Schm und Herr B mit einem Umfang von unter 20 Stunden in der Woche beschäftigt.

Anlässlich der Übertragung der Position des Betriebsleiters im Jahr 2017 erhielt der Kläger aus dem Fahrzeugpool ein Dienstfahrzeug und eine eigene Tankkarte. Diese wurde auch zur privaten Nutzung verwendet. Seit der Kündigung des Werkstattleiters Anfang 2020 übernahm der Kläger die Leitung der Werkstatt. Dazu räumte er seinen Arbeitsplatz als Betriebsleiter, der sich in den Verkaufsräumen befand, und erhielt einen Arbeitsplatz in der Werkstatt. In zeitlicher Nähe zu dem Wechsel stellte die Beklagte dem Kläger keinen Dienstwagen mehr zur Verfügung. Die dem Kläger überlassene Tankkarte verblieb bei ihm. Mit dieser Tankkarte wurden bis zum 08.10.2020 diverse Male unterschiedliche Kraftstoffe getankt und Autoreinigungen bezahlt. Hinsichtlich der einzelnen Aufstellung wird auf Anl. W3 (Bl.55 der Akte) verwiesen. Der Kläger betankte am 12.09.2020 sein privates Wohnmobil mit 174,54 l Diesel.

Mit Schreiben vom 17.09.2020 kündigte die Beklagte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31.03.2021. Gegen diese Kündigung erhob der Kläger am 25.09.2020 Kündigungsschutzklage, die der Beklagten am 01.10.2020 zugestellt wurde.

Mit Schreiben vom 09.10.2020 hörte die Beklagte den Kläger zu einer möglichen Verdachtskündigung an. Eine Rechnung vom 30.06.2020 mit der Nr. 0 sei an die Beklagte selbst adressiert, die Leistung könne dem Kunden K zugerechnet werden. Herr K habe auf Nachfrage angegeben, keine Rechnung erhalten und bezahlt zu haben. Der Auftrag sei vom Kläger am 01.02.2020 angenommen worden. Es gebe die Anweisung, dass kein Fahrzeug an Kunden herausgegeben werden solle, ohne dass zuvor die Rechnung bezahlt worden sei. Dennoch habe der Kläger das Fahrzeug herausgegeben. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorwurfs wird auf die Abschrift der Anhörung (Anlage W1, Bl.37 der Akte) Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 15.10.2020 sprach die Beklagte eine außerordentliche fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses sowie hilfsweise die ordentliche Kündigung unter Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist zum 30.04.2021 aus.

Die Beklagte erklärte eine weitere außerordentliche Kündigung mit Schreiben vom 26.10.2020 – ebenfalls hilfsweise ordentlich zum 30.04.2021.

Der Kläger hat behauptet, die Tankkarte sei ihm zur uneingeschränkten privaten Nutzung übertragen worden. Dementsprechend habe er die Tankkarte auch zu dienstlichen und privaten Zwecken genutzt. Nachdem der Leasingvertrag des vom Kläger genutzten Dienstfahrzeuges ausgelaufen sei, habe er sein privates Fahrzeug in entsprechender Weise genutzt. Ihm sei die Berechtigung zur privaten Nutzung der Tankkarte zu keinem Zeitpunkt entzogen worden. Mangels Widerruf habe auch die Berechtigung, sein Fahrzeug mit der Tankkarte der Beklagten reinigen zu lassen, fortbestanden. Der Kläger hat weiter behauptet, die von der Beklagten angegebenen Tankvorgänge würden sich nicht mehr rekonstruieren lassen. Er habe mit dieser Tankkarte auch Miet-, Vorführ- und Neufahrzeuge betankt. Darüber hinaus habe er auch Kanisterbetankungen im dienstlichen Interesse der Beklagten vorgenommen. Der Kläger hat die Ansicht vertreten, die Voraussetzungen des § 626 Abs. 2 BGB würden nicht vorliegen. Dazu hat er behauptet, dass die Tankabrechnungen monatlich erfolgen würden. So sei der Beklagten auch jederzeit Art und Ausmaß der Nutzung der Tankkarte bekannt gewesen. Ferner hat er die Ansicht vertreten, die Auswertung der Videoaufzeichnungen widerspreche datenschutzrechtlichen Bestimmungen, sodass ein Sachvortrags- oder Beweisverwertungsverbot vorliegen würde. Die Beklagte habe anlasslos die Tankstellenbelege des Klägers überprüft. Zur Herausgabe des Fahrzeugs an den Kunden K hat der Kläger behauptet, dass er dieses nicht herausgeben habe. Des Weiteren hat er die Meinung vertreten, dass das KSchG anwendbar sei.

Der Kläger hat – nach Rücknahme des zunächst angekündigten allgemeinen Feststellungsantrags – beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 17.09.2020 beendet wird;

2. festzustellen dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 15.10.2020 beendet wird;

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 26.10.2020 beendet wird;

4. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Betriebsleiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat behauptet, dass der Kläger seit dem 23.01.2020 einvernehmlich nicht mehr als Betriebsleiter tätig geworden sei, sondern als Werkstattleiter. Während seiner Tätigkeit als Betriebsleiter habe er ein Dienstfahrzeug auch für private Zwecke nutzen können. Dies sei mit dem Wechsel auf die Position des Werkstattleiters einvernehmlich abgeändert worden. Die Nutzung der Tankkarte für private Zwecke sei gemäß der Dienstanweisung ausdrücklich untersagt gewesen. Die Beklagte hat behauptet, dass sie am 14.10.2020 Kenntnis von einer unberechtigten Betankung des Privatfahrzeugs des Klägers und zusätzlicher privater Kanister mit einer Tankkarte am 23.09.2020 erfahren habe. Der Tankvorgang sei durch die Videoüberwachung der Tankstelle dokumentiert. Dies sei bei Ausspruch der Kündigung vom 15.10.2020 zusätzlich berücksichtigt worden. Angesichts dieses Vorgangs habe die Beklagte bei der Tankstelle weitere Informationen eingeholt und die Abrechnung überprüft. Dabei habe sich eine Vielzahl von unberechtigten Nutzungen der Tankkarte ergeben. Zudem hat die Beklagte behauptet, dass der Kläger entgegen der eindeutigen Anweisung – kein Motorrad ohne vorherige Zahlung herauszugegeben – ein Motorrad an den Kunden K herausgegeben habe. Die dazugehörige Rechnung habe der Kläger „verschwinden“ lassen. Hierfür habe er eine Rechnung für die Beklagte erstellt und diese später stornieren lassen. Weiterhin habe der Kläger den Mitarbeiter H während dessen Arbeitszeit für zwei Stunden Arbeiten an seinem Motorrad durchführen lassen unter Verwendung von Neuteilen der Beklagten. Die Beklagte hat die Meinung vertreten, dass das KSchG nicht anwendbar sei.

Mit Urteil vom 02.02.2021 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Das Arbeitsverhältnis sei durch die außerordentliche fristlose Kündigung vom 15.10.2020 aufgelöst worden. Der Kläger habe die Vermögensinteressen der Beklagten zu seinen Gunsten beeinträchtigt, indem er nicht nur den an die Stelle des ihm ursprünglich überlassenen Poolfahrzeuges getretenen Privat-PKW betankt habe, sondern auch andere Kraftfahrzeuge. Eine uneingeschränkte private Nutzung der Tankkarte sei nicht vereinbart worden. Aus welchen konkreten Aussagen der Beklagten sich die uneingeschränkte private Nutzung der Tankkarte ergebe, habe der Kläger nicht substantiiert vorgetragen. Der Kläger habe aus den von ihm behaupteten Umständen nicht schließen können, dass er auch sein privates Wohnmobil mit der Tankkarte der Beklagten habe betanken dürfen. Bei Fehlen einer vertraglichen Absprache habe der Kläger nicht davon ausgehen können, dass er auch andere Kraftfahrzeuge und/oder Behältnisse auf Kosten der Beklagten betanken dürfe. Auch wenn man zugunsten des Klägers annehme, die Parteien hätten die Nutzungsbedingungen der Tankkarte nicht einvernehmlich Anfang des Jahres 2020 abgeändert, als die Beklagte dem Kläger in der Folge keinen Dienstwagen mehr zur Verfügung stellte und ihm zugleich die Tankkarte beließ, folge daraus jedoch nicht die Einwilligung der Beklagten, auch andere Kraftfahrzeuge auf ihre Kosten betanken zu dürfen. Dabei könne sich der Kläger auch nicht mit Erfolg darauf berufen, die Beklagte habe ihm nicht einseitig die Privatnutzung des „Dienstwagens“ entziehen können. Auch wenn eine einmal eingeräumte Privatnutzung nicht einseitig entzogen werden könne, hätte der Kläger die ihm überlassene Tankkarte nicht weiter nutzen dürfen, sondern er hätte den unberechtigten Entzug gerichtlich geltend machen müssen. Dass der Kläger die Tankkarte während der Überlassung des Dienstwagens bis Anfang 2020 für die Betankung sonstiger Kraftfahrzeuge und/oder Behältnisse mit Wissen und Wollen der Beklagten eingesetzt hatte, habe er zudem auf Nachfrage des Gerichts in der Kammerverhandlung nicht substantiiert darlegen können.

Dieses Verhalten stelle einen erheblichen Verstoß gegen die Nebenpflicht, die Vermögensinteressen der Beklagten zu wahren, dar. Der Kläger habe durch die Benutzung der ihm von der Beklagten zur Verfügung gestellten Tankkarte unmittelbar in das Vermögen der Beklagten eingreifen können, ohne dass dem eine konkrete Kontrollmöglichkeit der Beklagten gegenübergestanden hätte. Die Beklagte habe sich daher darauf verlassen können müssen, dass der Kläger die Tankkarte nur im bestimmungsgemäßen Gebrauch verwende. Durch den nicht korrekten Einsatz der Tankkarte habe der Kläger das ihm durch die Aushändigung einer Tankkarte entgegengebrachte Vertrauen missbraucht.

Die Abwägung der konkret berührten Interessen rechtfertige die außerordentliche Kündigung des Klägers.

Einer der Kündigung vorausgehenden Abmahnung habe es im vorliegenden Fall nicht bedurft. Durch den Ausspruch einer Abmahnung hätte das zerstörte Vertrauen in die Redlichkeit des Klägers für die Zukunft nicht ausgeräumt werden können. Der Kläger habe nicht damit rechnen können, dass die Beklagte die Pflichtverletzung auch nur einmal hinnimmt und vor Ausspruch einer Kündigung zunächst von der Möglichkeit der Erteilung einer Abmahnung Gebrauch macht. Dies ergebe sich daraus, dass es für den Kläger ohne weiteres ersichtlich war, dass die Beklagte ihm großes Vertrauen entgegenbrachte, indem sie ihm als einzigem Mitarbeiter eine „eigene“ Tankkarte überließ, mit der er auf Kosten und zu Lasten der Beklagten seinen Dienstwagen betanken konnte. Es liege auf der Hand, dass er nicht davon ausgehen konnte, dass die Beklagte die Verletzung dieses Vertrauensvorschusses auch nur einmal hinnehmen würde. Wie beim Griff in eine dem Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber anvertraute Kasse, sei es gerade die Tatsache, dass dem Kläger eine Tankkarte anvertraut war, mit der er direkt auf das Vermögen der Beklagten zugreifen konnte, die das Vertrauen des Arbeitgebers in die Redlichkeit des Arbeitnehmers auf Dauer zerstört hat. Vor dem Hintergrund, dass bei der Beklagten eine Dienstanweisung zur Nutzung der in der Werkstatt befindlichen Tankkarte bestand, die ausdrücklich private Betankungen verbiete, hätte der Kläger erkennen müssen, dass auch die erstmalige Hinnahme einer solchen Vertragspflichtverletzung ausgeschlossen ist.

Auch die langjährige Dauer des Arbeitsverhältnisses der Parteien sowie sein Lebensalter wirkten sich nicht entscheidend zugunsten des Klägers aus. Dabei habe die Kammer berücksichtigt, dass dem Kläger als Werkstatt- bzw. Betriebsleiter eine Vorbildfunktion zukommt. Mit der Übernahme dieser Position ginge zum einen ein besonderer Vertrauensvorschuss einher, indem die Beklagte dem Kläger eine „eigene“ Tankkarte aushändigte. Der Kläger müsse sich aber zum anderen auch den Anforderungen dieser Vorbildfunktion messen lassen. Angesichts des schwerwiegenden Fehlverhaltens des Klägers liege ein unwiederbringlicher Vertrauensverlust vor, sodass die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar sei.

Die Beklagte habe auch die Frist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Die Beklagte habe von der Tankabrechnung für den Monat September 2020 frühestens am 01.10.2020 erfahren. Die am 15.10.2020 erklärte außerordentliche Kündigung wahre daher die Frist.

Der Beklagten sei es nicht verwehrt, bereits die Kündigung vom 15.10.2020 auf diesen Vorwurf zu stützen. Da es für die Beurteilung der Wirksamkeit einer Kündigung allein auf die objektive Rechtslage zum Zeitpunkt ihres Zugangs ankomme, und der Arbeitgeber weder nach § 1 KSchG noch nach § 626 Abs. 1 BGB zur (abschließenden) Angabe der Kündigungsgründe verpflichtet sei, ergeben sich aus dem KSchG oder dem BGB für ein Nachschieben von Kündigungsgründen grundsätzlich keine Beschränkungen, auch nicht aus § 626 Abs. 2 BGB.

Ein Beweisverwertungsverbot oder ein Verbot, unstreitigen Sachvortrag zu verwerten, komme nur dann in Betracht, wenn dies aufgrund einer verfassungsrechtlich geschützten Position einer Prozesspartei zwingend geboten sei. Es liege kein Verstoß gegen das allgemeine Persönlichkeitsrecht vor, der es verbiete, den unstreitigen Vortrag der Parteien der Entscheidungsfindung des Gerichtes zugrunde zu legen. Zudem hätten im Zeitpunkt der Auswertung der Tankstellenüberwachung bereits konkrete Tatsachen vorgelegen, die einen Anfangsverdacht begründeten.

Gegen das ihm am 26.02.2021 zugestellte Urteil hat der Kläger am 08.03.2021 Berufung eingelegt und diese am 19.04.2021 begründet.

Der Kläger wiederholt und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er ist der Auffassung, dass sämtliche Kündigungen unwirksam seien. Bezüglich der Nutzung der Tankkarte liege keine Pflichtverletzung vor. Hierzu behauptet er, dass er in der Vergangenheit die Tankkarte auch für private Zwecke, wie Urlaubsreisen habe nutzen dürfen. Deswegen mache es keinen Unterschied, ob er einen SUV mehrfach für eine Urlaubsweise betankt hätte oder das Wohnmobil einmal. Die Beklagte habe ihm kein Dienstfahrzeug mehr zur Verfügung gestellt, weshalb er seine privaten Fahrzeuge habe nutzen müssen. Die private Nutzung des Dienstwagens, auch für Urlaubsfahrten, sei mit seiner höheren Position vereinbart worden. Bezüglich der Tankkarte sei ihm nicht erläutert worden, dass er diese nicht mehr nutzen solle. Er habe weiterhin Fahrzeuge oder Kanister für die Beklagte betankt und seine privaten Fahrzeuge. Der Beklagten sei es möglich gewesen, zu kommunizieren, dass die Tankkarte nicht mehr genutzt werden solle. Die Nutzung der Tankkarte sei zwischen den Parteien nie ein Thema gewesen. Der Kläger ist der Meinung, dass es zumindest im Hinblick auf die Verhältnismäßigkeit der Kündigung und seiner 18-jährigen Betriebszugehörigkeit einer Abmahnung bedurft hätte. Zudem sei das Video des Tankvorgangs des Wohnmobils von der Tankstelle nicht verwertbar. Es liege ein Verstoß gegen das Datenschutzrecht vor.

Zu der Herausgabe des Motorrads an den Kunden K behauptet er, dass er das Fahrzeug nicht an den Kunden herausgegeben habe. An dem Samstag, als der Kunde das Fahrzeug abgeholt habe, habe er frei gehabt. Von dem Grundsatz, dass Motorräder nie ohne Bezahlung herausgegeben werden, gebe es Ausnahmen. Herr K sei langjähriger Kunde der Beklagten und habe zahlreiche Motorräder bei der Beklagten gekauft. Er habe die Motorräder immer mitgenommen und seine Rechnung später bezahlt. In dem von der Beklagten beschriebenen Fall sei ein Auspuff eingeschickt worden. Die Reparatur habe sich in die Länge gezogen. In einer solchen Situation könne man dem Kunden nicht sagen, dass er das Motorrad bar bezahlen soll. Eine absolute Anweisung, Fahrzeuge nicht auf Rechnung herauszugeben, habe es nicht gegeben. Des Weiteren behauptet der Kläger, die Rechnung für den Kunden K nicht erstellt zu haben. Die Rechnung würde in der Regel von den Mitarbeitern an der Kasse erstellt. Bezüglich der Arbeiten an seinem privaten Fahrzeug behauptet er, dass der Werkstattmitarbeiter während seiner Pause die Arbeiten durchgeführt habe. Dies habe maximal 20-30 Minuten gedauert. Während der Arbeit seien lediglich die Werkzeuge der Beklagten genutzt worden.

Bezüglich der Anwendbarkeit des KSchG behauptet der Kläger, dass in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer nach dem KSchG beschäftigt werden. Hierzu verweist er auf jeweiligen Internetauftritte der Beklagten, die Anlage K4 (Bl.96 der Akte), die Anlage K5 (Bl.230 der Akte) sowie die Anlage K8 (Bl.294 der Akte). Zudem betrieben die Beklagte und K -B , die A – & S R GmbH (im Folgenden K ), einen Gemeinschaftsbetrieb.

Die Geschäftsführer seien in der Person identisch, der Kläger sei für beide Betriebe als Betriebsleiter verantwortlich gewesen. Hierzu verweist er auf eine Visitenkarte, die ihn als Betriebsleiter von K ausweist. Des Weiteren würde die Werkstatt, der Sanitärbereich und das Lager sowohl von H D als auch von K genutzt. Die Beschäftigten würden für beide Motorradmarken geschult, um sich wechselseitig vertreten zu können. Es habe Urlaubs- und Krankheitsvertretungen gegeben. Dies sei häufig geschehen. Zu den Arbeitnehmern der Beklagten behauptet der Kläger, dass M Sch als Betriebsleiter bei der Beklagten und K tätig gewesen sei. Bei Stellenausschreibungen sei er als Ansprechpartner der Beklagten angegeben worden. Der Mitarbeiter M O sei ebenfalls als Assistent der Geschäftsführung für die Beklagte und K aufgeführt und als solcher tätig. Herr O habe auch Beratungen von Kunden für die Beklagte durchgeführt. Des Weiteren seien Frau A R , Herr J St und Frau L M M zu berücksichtigten. Herr Y F werde nach einer kurzen Unterbrechung wieder von der Beklagten beschäftigt.

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Vortrag zur Anwendbarkeit des KSchG wird auf die Ausführungen im Schriftsatz vom 28.10.2021 (Bl.282 der Akte) verwiesen.

Zum Auflösungsantrag ist der Kläger der Auffassung, dass dieser begründet sei. Die Beklagte habe nach dem Ausspruch der ordentlichen Kündigung nach weiteren Kündigungsgründen gesucht. Er behauptet, dass die Beklagte Mitarbeiter bedrängt habe, eine falsche Aussage zu treffen. Zudem habe die Beklagte den Kläger in der Güteverhandlung als Verbrecher bezeichnet und ihm wahrheitswidrig unterstellt, die Visitenkarte für K selbst hergestellt zu haben. Weiter habe die Beklagte im Zusammenhang mit dem Kündigungsgrund – Herausgabe des Motorrads an den Kunden K – unterstellt, dass der Kläger dem Kunden eine Gefälligkeit erwiesen oder den Rechnungsbetrag selber vereinnahmt habe.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Bonn vom 02.02.2021, Az. 6 Ca1996/20, abzuändern und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 17.09.2020 beendet worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 15.10.2020 beendet worden ist,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung vom 26.10.2020 beendet worden ist.

4. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Betriebsleiter zu beschäftigen.

Für den Fall, dass den Kündigungsschutzanträgen stattgegeben wird, wird der folgende Antrag gestellt:

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wird zum 31.03.2021 aufgelöst und die Beklagte verurteilt, an den Kläger eine angemessene Abfindung zu zahlen, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Die Beklagte wiederholt und ergänzt ihren erstinstanzlichen Vortrag. Sie ist der Auffassung, dass die außerordentliche fristlose Kündigung vom 15.10.2020, dass zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis beendet habe. Bezüglich der Nutzung der Tankkarte trägt die Beklagte vor, dass zwar der Dienstwagen habe auch zu privaten Zwecken genutzt werden dürfen, jedoch nicht die Tankkarte. Anfang 2020 habe die Überlassung des Dienstwagens geendet, nur die Tankkarte sei nicht eingezogen worden. Aufgrund der Rückgabe des Dienstwagens habe die Tankkarte nicht mehr genutzt werden dürfen. Selbst wenn man davon ausgehe, dass die Tankkarte zur Betankung des Privatfahrzeugs des Klägers im bisherigen Umfang hätte weiter genutzt werden dürfen, habe der Kläger auf keinen Fall sein privates Wohnmobil betanken dürfen. Auch ohne eine ausdrückliche Vereinbarung sei eine Tankkarte immer nur zur Betankung des Dienstwagens zu nutzen. Dabei sei zu berücksichtigen, dass dem Kläger ursprünglich kein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt worden sei. Erst im Laufe des Arbeitsverhältnisses sei ihm ein bereits vorhandenes Fahrzeug zur Verfügung gestellt worden. Die Privatnutzung sei nicht vereinbart, aber letztlich geduldet worden. Eine Fahrzeugüberlassung über die Laufzeit des Leasingvertrages des entfallenden Fahrzeuges hinaus sei nicht vereinbart worden. Daher habe die Beklagte kein neues Fahrzeug zwecks Überlassung für die Kläger angeschafft. Soweit der Kläger davon ausgehe, dass ihm nach dem Auslauf des Leasingvertrages vertragswidrig kein neues Fahrzeug zur Verfügung gestellt worden sei, treffe sei dies nicht zu. Es gebe keine allgemeine vertragliche Vereinbarung, wonach dem Kläger ein Dienstfahrzeug auch zur privaten Nutzung zur Verfügung gestellt werden sollte. Zudem habe der Kläger zu keinem Zeitpunkt die Überlassung eines neuen Fahrzeugs eingefordert. Außerdem ergebe sich aus der Dienstanweisung „Benutzung von Vorführfahrzeugen, Firmen- und Kundenfahrzeugen“ vom 01.12.2016, dass die Tankkarte keinesfalls für eine private Betankung genutzt werden dürfe. Die Beklagte behauptet, dass der Kläger neben der Betankung des Wohnmobils die Tankkarte auch anderweitig im erheblichen Umfang unzulässiger Weise genutzt habe. Der Kläger habe Kanister betankt, obwohl es hierfür keine dienstliche Veranlassung gegeben habe. Im Hinblick auf den erheblichen Vertrauensverlust sei entsprechend der Rechtsprechung des Landesarbeitsgerichts Baden-Württemberg und des Landesarbeitsgerichts Mecklenburg-Vorpommerns keine Abmahnung bei einem Tankkartemissbrauch erforderlich. Beispielsweise könne ein Kassierer die Entwendung von Geld aus der Kasse nicht damit rechtfertigen, dass die Verwendung der Kassenmittel für private Zwecke nicht ausdrücklich verboten sei. Nach Auffassung der Beklagten sind die Daten der Videoüberwachung an der Tankstelle verwertbar. Die Einsicht in die Videoaufzeichnung sei erfolgt, um den möglichen Missbrauch der Tankkarte aufzuklären. Bezüglich der allgemeinen Abwicklung der Tankkartennutzung behauptet die Beklagte, dass die Abrechnungen monatlich online erteilt werden. Es werde eine E-Mail an die Infoadresse oder die Buchhaltung gesendet. Nach Rückgabe des Dienstfahrzeuges sei über die Tankkarte nicht gesprochen und die Rechnungen einfach weiter durch Abbuchungen bezahlt worden. Da es nicht so viele Fahrzeuge gebe, sei die Rückforderung der Tankkarte durchgegangen. Erst die Prüfung der Rechnung der Tankkarte im September 2020 habe eine auffällige Position enthalten, die Betankung des Wohnmobils. Bezüglich der Herausgabe des Fahrzeuges an den Kunden K behauptet die Beklagte, dass der Kläger dieses Fahrzeug an den Kunden herausgegeben habe. Soweit der Kläger vorträgt, an dem Tag nicht gearbeitet zu haben, werde dies bestritten. Die Herausgabe eines Fahr zeuges ohne vorherige Zahlung sei ein absolutes „No-Go“. Der Kläger habe die Rechnung im System selber erstellt, diese sei später von einem anderen Mitarbeiter auf Weisung des Klägers storniert worden. Ohne das Auffinden einer Papierrechnung wäre der Vorgang nicht aufgefallen. Aus Sicht der Beklagten besteht der dringende Verdacht, dass der Kläger das Fahrzeug an den Kunden K herausgegeben hat, ohne dass die Leistung vom Kunden bezahlt werden sollte. Die Motivation hierfür könne eine bloße Gefälligkeit sein oder die Vereinnahmung von Geld. Bezüglich der Arbeit an der H S des Klägers behauptet die Beklagte, dass der Kläger den Mitarbeiter H angewiesen habe, während der Arbeitszeit Arbeiten an seinem Motorrad vorzunehmen, ohne dass die Arbeitszeit oder die von Herrn H für die Arbeiten genutzten Teile bezahlt werden sollten. Die Arbeiten hätten ungefähr zwei Stunden gedauert.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass das KSchG keine Anwendung finde. Ein Gemeinschaftsbetrieb liege nicht vor, es handle sich bei der Beklagten und K um zwei eigenständige Gesellschaften. Der Kläger sei nicht als Betriebsleiter für die Beklagte und K tätig gewesen. Von den Gesellschaften werde nicht dieselbe Betriebsstätte oder Infrastruktur genutzt. Auch wenn beide Gesellschaften die gleiche Anschrift hätten, gebe es getrennte Räumlichkeiten für den Verkauf und die Werkstätten. Es gebe keinerlei Austausch von Mitarbeitern, insbesondere keine wechselseitige Urlaubs- und Krankheitsvertretung. Beide Gesellschaften hätten einen unterschiedlichen Kundenstamm, die Buchführung und der Wareneinkauf seien getrennt. Die Visitenkarte, die den Kläger als Betriebsleiter von K ausweise, sei der Beklagten nicht bekannt.

Zu den einzelnen Mitarbeitern behauptet die Beklagte, dass sie nicht mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne des KSchG beschäftige.

Zuletzt behauptet die Beklagte, dass Herr M Sch nicht bei K angestellt sei, sondern ein externer Dienstleister wäre. Er sei ein Consultant für die Holding und sei in einem Umfang von 20 Stunden pro Monat tätig.

M O sei nicht bei der Beklagten, sondern der Holding beschäftigt. Entsprechend könne er nicht berücksichtigt werden.

Herr F werde nicht wieder von der Beklagten beschäftigt. Herr K habe die Beklagte vor Ausspruch der Kündigung verlassen. Herr L sei nie bei der Beklagten beschäftigt gewesen.

Im September 2021 seien 8,5 Arbeitnehmer im Sinne des KSchG beschäftigt worden. Entgegen der ursprünglichen Auflistung seien J S und L M M zu berücksichtigten. Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Schriftsätze vom 20.11.2020 (Bl.45 der Akte), vom 01.09.2021 (Bl.248 der Akte), vom 16.11.2021 (Bl.297 der Akte) und die Erklärungen im Rahmen der mündlichen Verhandlung Bezug genommen. Die Beklagte ist der Auffassung, dass der Auflösungsantrag unbegründet sei. Sie habe sich im Prozess sachlich verhalten. Hintergrund des Auflösungsantrags sei, dass der Kläger wegen einer anderen Beschäftigung nicht mehr zur Beklagten zurückkehren wolle.

Die Kammer hat Beweis erhoben durch die Vernehmung des Zeugen H . Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 18.01.2022 (Bl.315 der Akte) Bezug genommen. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die weiteren Sitzungsprotokolle Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 Satz 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Die Berufung des Klägers hat in der Sache Erfolg. Die Kündigungen vom 15.10.2020, 26.10.2020 und 17.09.2020 haben das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung. Der Auflösungsantrag ist nicht begründet.

1. Die Kündigung vom 15.10.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht außerordentlich fristlos aufgelöst. Es liegt nach Auffassung der Kammer kein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, weder durch die Nutzung der Tankkarte noch durch das Verhalten des Klägers im Zusammenhang mit der Herausgabe des Fahrzeugs an den Kunden K .

a. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann.

Die erforderliche Überprüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, hat nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts in zwei Stufen zu erfolgen: Im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB ist zunächst zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt an sich, d.h. generell ohne Berücksichtigung der besonderen Einzelfallumstände geeignet ist, einen Kündigungsgrund zu bilden. Liegt ein solcher Sachverhalt vor, bedarf es der weiteren Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 – 8 Sa 798/20 – Rn.42, juris).

Dabei hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, lassen sich dabei nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen. Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (st. Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn.29, juris).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf einem steuerbaren Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigungen wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (st. Rspr., vgl. etwa BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn.30, juris).

Darlegungs- und beweispflichtig für alle Umstände, die einen wichtigen Grund ausmachen, ist derjenige, der die fristlose Kündigung ausgesprochen hat (LAG Köln, Urteil vom 01.04.2021 – 8 Sa 798/20 – Rn.45, juris).

b. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze liegt kein wichtiger Grund für die ausgesprochene außerordentliche fristlose Kündigung vor.

aa. Die Betankung des Wohnmobils und die private Nutzung der Tankkarte stellen keinen außerordentlichen fristlosen Kündigungsgrund dar.

Die zweite Stufe – die Prüfung, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile zumutbar ist oder nicht – geht zu Lasten der Beklagten aus.

Auf Seiten des Klägers sind sein Lebensalter und die Betriebszugehörigkeit sowie die Ausgangslage des vorgetragenen Pflichtenverstoßes zu den Regelungen der Tankkartennutzung zu berücksichtigen. Nach Vortrag der Beklagten werden nicht viele Dienstfahrzeuge nebst Tankkarte zur Verfügung gestellt. Bezüglich der Nutzung der Tankkarte gibt es eine allgemeine Regelung zur Benutzung von Vorführfahrzeugen, Firmen- und Kundenfahrzeugen vom 01.12.2016. Diese regelt unter 3 g) das Fahrzeug immer vollgetankt zurückgegeben werden müssen. Zur Abrechnung muss die Firmentankkarte verwendet werden. Die Tankkarte darf keinesfalls für private Betankungen genutzt werden. Diese Regelung ist offensichtlich nicht auf die Nutzung eines Dienstwagens nebst Tankkarte zugeschnitten. Bei einem Dienstwagen der von einer Person dienstlich und ggfs. privat genutzt werden soll, erklärt sich nicht, weshalb das Fahrzeug immer voll betankt zurückgegeben werden soll. Was unter das „Fahrzeug zurückgegeben“ verstanden werden soll, ist im Falle der dauerhaften Überlassung ebenfalls offen.

Dem Kläger wurde bei der Übertragung der Position des Betriebsleiters im Jahr 2017, ein Dienstfahrzeug zur Verfügung gestellt. Dieses durfte – nach Vortrag der Beklagten – „zumindest geduldet“ auch privat genutzt werden. Soweit die Beklagte mit „Duldung“ der privaten Nutzung meint, dass diese eigentlich verboten wäre, hätte sie die private Nutzung durch die jahrelange Hinnahme gestattet und kann sich Jahre später nicht auf das eigentliche Verbot ohne vorherigen Hinweis stützen.

Für die Überlassung des Dienstfahrzeuges hat die Beklagte keine Regelungen getroffen. Soweit die Beklagte durch die Gewährung des Dienstwagens die Grundvergütung des Klägers geändert hat, traf sie nach § 3 des NachwG die Verpflichtung, die Änderungen schriftlich mitzuteilen. Dieser Verpflichtung ist die Beklagte nicht nachgekommen. Der Beklagten wäre es ohne weiteres möglich gewesen, klare Regelungen zur Nutzung des Dienstwagens und der Tankkarte zu erteilen.

Der Kläger ist davon ausgegangen, den Dienstwagen und damit auch die Tankkarte für private Zwecke nutzen zu dürfen. Dies ist der Beklagten bekannt gewesen. Anderenfalls wäre es ihr nicht möglich gewesen, die private Nutzung zu dulden.

Bei der Rückgabe des Dienstwagens hat es die Beklagte nach eigenem Vortrag versäumt, die Tankkarte zurückzufordern. Eine Regelung, dass die Tankkarte nur für das Dienstfahrzeug genutzt werden kann, fehlt. In dieser Situation ist der Kläger davon ausgegangen, die Tankkarte weiter – wie bisher – nutzen zu dürfen, mit dem Unterschied, nicht das Dienstfahrzeug, sondern seinen privaten Pkw zu betanken. Eine ausdrückliche Einwilligung der Beklagten zur weiteren Nutzung der Tankkarte hat gefehlt. Ebenso eine Untersagung der Nutzung. Auch die Situation, dass kein Dienstwagen mehr zur Verfügung gestellt werden soll, wurde von beiden Parteien nicht geklärt. Im Hinblick auf die fehlenden Regelungen ist weder zwingend, dass der Kläger die Tankkarte uneingeschränkt – auch für die Betankung eines Wohnmobils nutzen durfte, noch, dass er diese überhaupt nicht mehr nutzen durfte. Die pragmatische Lösung, den eignen PKW wie den Dienstwagen zu nutzen, erscheint bei Berücksichtigung der Umstände und der Struktur der Beklagten nicht fernliegend. Im Gegensatz zu einem großen Unternehmen mit einem entsprechenden Fuhrpark, steht bei der Beklagten ein solcher nicht zur Verfügung. Daher scheint eine gerichtliche Geltendmachung eines Anspruchs eher fernliegend. Seiner Annahme entsprechend hat der Kläger offensichtlich, ohne etwas zu verheimlichen, die Tankkarte weitergenutzt. Insbesondere im Hinblick auf die monatlichen Abrechnungen hätte der Beklagte auffallen können, dass die Tankkarte weitergenutzt wird. Die automatische Abbuchung der Belastungen der Tankkarte befreit die Beklagte nicht davon, die einzelnen Rechnungen zu prüfen. Insbesondere vor dem Hintergrund, dass nach Vortrag der Beklagten die Tankkarte überhaupt nicht mehr genutzt werden sollte, erklärt es sich nicht, dass die Buchungen von Diesel, Benzin und Wäschen erst im September 2020 aufgefallen sein sollen.

Die Kammer verkennt nicht, dass der Kläger grundsätzlich nicht davon ausgehen konnte, die Tankkarte für die Betankung seines Wohnmobils nutzen zu dürfen. Ohne eine besondere Regelung wäre bei verständiger Würdigung davon auszugehen, dass die Betankung für eine Urlaubsreise mit einem PKW von der Nutzung der Tankkarte gedeckt sein könnte. Allerdings ist der Treibstoffverbrauch eines Wohnmobils im Gegensatz zu einem üblichen Pkw höher. Dieser Pflichtenverstoß ist bei Berücksichtigung der fehlenden klaren Regelung der Beklagten, ihrer Verpflichtung nach dem Nachweisgesetz sowie dem Lebensalter und der Betriebszugehörigkeit des Klägers nicht so gravierend, dass unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes der Pflichtenverstoß nicht mit einer Abmahnung geahndet werden können. Während der privaten Nutzung des Dienstwagens hätte er mit diesem in den Urlaub fahren und die Tankkarte hierfür nutzten können. Dies konnte er auf seinen privaten Pkw übertragen, nachdem er keinen weiteren Dienstwagen erhalten hat. Eine Urlaubsreise und die Nutzung der Tankkarte mit dem privaten Pkw wäre ebenfalls gedeckt. Unter Berücksichtigung dieser Umstände ist die Betankung des Wohnmobils mit einem erhöhten Dieselverbrauch zu bewerten.

Weshalb der Kläger sein Verhalten nach einer Abmahnung nicht ändern sollte, ist nicht ersichtlich. Zudem könnte er den erhöhten Treibstoffverbrauch bezahlen. Außerdem ist zu berücksichtigen, dass mit einer Kündigung nicht Pflichtverstöße in der Vergangenheit sanktioniert, sondern zukünftige Vertragsverstöße vermieden werden sollen. Die Beklagte hätte die Rückgabe der Tankkarte verlangen oder die jeweiligen Rechnungen prüfen können. Damit wären weitere Pflichtenverstöße entweder ausgeschlossen oder offensichtlich. Dass der Kläger mit der Tankkarte unmittelbar über das Vermögen der Beklagten verfügen kann, ändert das Ergebnis nicht. Die Beklagte hat eine monatliche Kontrollmöglichkeit über den erfolgten Einsatz der Tankkarte. Für einen bestimmungsgemäßen Gebrauch der Tankkarte bedarf es klarer Regelungen, die verdeutlicht werden müssen. Dann kann deren Nichtbeachtung stärker sanktioniert werden. Auch dass der Kläger als Betriebsleiter eine Vorbildfunktion innehat, ändert das Ergebnis nicht. Es bleibt offen, welchen anderen Beschäftigten eine „eigene“ Tankkarte ausgehändigt wird, die sich am Verhalten des Klägers diesbezüglich ein Vorbild nehmen könnten. Bei klaren Regelungen für „eigene“ Tankkarten mag dies anderes entschieden werden. Solche liegen allerdings nicht vor.

bb. Die behauptete Herausgabe des Fahrzeuges an den Kunden K rechtfertigt die außerordentliche fristlose Kündigung nicht.

Bereits im Rahmen der ersten Stufe der Prüfung ist offen, welche Pflichtverletzung der Kläger begangen haben soll. Die Beklagte hat nicht substantiiert dargelegt, dass der Kläger das Fahrzeug an den Kunden K herausgegeben hat. Sie schließt darauf, da die (ehemaligen) Beschäftigten A F , M H , D Schl , D Schw , M Sch , F P und R H gegenüber ihr erklärt haben sollen, das Fahrzeug des Kunden K nicht herausgegeben zu haben. Der Schluss, dass der Kläger das Fahrzeug an den Kunden K herausgegeben hat, ist nicht zwingend. Die bei der Beklagten zum möglichen Zeitpunkt der Herausgabe weiteren Beschäftigten R B und K Schm hat die Beklagte nach ihrem Vortrag nicht befragt.

Ein Bestreiten der Behauptung des Klägers, dass er am Tag der Herausgabe des Fahrzeuges nicht gearbeitet habe, ist nach Auffassung der Kammer nicht ausreichend.

Soweit der Kläger in der Verhandlung vom 07.09.2021 angegeben hat, Herr Schl habe das Motorrad herausgegeben, ist zu berücksichtigen, dass die die Darlegungs- und Beweisbelast für die Pflichtverletzung bei der Beklagten liegt.

Sollte der Vortrag des Klägers sich nicht bestätigen oder wegen der Befragung des Mitarbeiters Schl nicht bestätigt haben, wäre es immer noch möglich, dass Herr B oder Herr Schm das Motorrad herausgeben haben.

Wenn der Kläger das Fahrzeug nicht an den Kunden K herausgegeben hat, traf ihn die Verpflichtung nicht, zuvor die Zahlung zu verlangen. Dann wäre die Erstellung und Fakturierung der Rechnung durch den Kläger für die Pflichtverletzung – Herausgabe des Fahrzeugs ohne vorherige Zahlung – unerheblich. Sollte ein anderer Mitarbeiter der Beklagten das Fahrzeug an den Kunden K herausgegeben haben, wäre – den Vortrag der Beklagten unterstellt – jedenfalls eine Zahlung erfolgt. Denn nach dem Vortrag der Beklagten wird ausnahmslos kein Fahrzeug ohne vorherige Zahlung herausgegeben.

Soweit die Pflichtverletzung des Klägers die Erstellung der Rechnung auf den Namen der Beklagten und die spätere Stornierung gewesen sein sollte, hätte er die Rechnung möglicherweise falsch ausgestellt. Die Erstellung der Rechnung als solches und die Bemerkung „fakturiert durch den Kläger“ besagt nichts über den weiteren Geschehensablauf. Soweit die Rechnung ohne die Erbringung der darin genannten Leistungen erstellt worden sein sollte, wäre diese zurecht storniert worden. Soweit die Rechnung aufgrund der Leistungen durch die Beklagte erstellt worden sein sollte, wäre diese grundsätzlich zu vergüten. Die Vermutung der Beklagten, dass die Stornierung zur Vereinnahmung von Geldern erfolgte, ist nicht zwingend. Dies unterstellt nicht nur dem Kläger einen Betrug zu Lasten der Beklagten, sondern auch dem Kunden K . Umstände, die auf einen Betrug des langjährigen Kunden schließen lassen, ergeben sich aus dem vorgetragenen Sachverhalt nicht.

Sollte der Kläger die Rechnung aus Gefälligkeit oder wegen eines Gewährleistungsfalls haben stornieren lassen, wäre zumindest bei der Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls keine Kündigung gerechtfertigt. Der Zeitraum zwischen Aufnahme des Auftrags und Fakturierung sprechen dafür, dass die Leistung nicht nach Plan zeitnah erfolgt ist. Ob der Kläger als Betriebsleiter / Werkstattleiter dazu berechtigt gewesen wäre, auf die Vergütung einer Leistung zu verzichten, ergibt sich aus dem Vortrag der Parteien nicht. Wenn er zu einem Verzicht auf die Vergütung, wäre im Hinblick auf seine lange Betriebszugehörigkeit es als milderes Mittel zu einer Kündigung erforderlich gewesen, eine Abmahnung auszusprechen. Dadurch würden dem Kläger seine Kompetenzen verdeutlicht. Die Kammer geht davon aus, dass sich der Kläger nach dem Erhalt einer Abmahnung vertragsgemäß verhalten hätte.

2. Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 26.10.2020 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst. Es liegt kein wichtiger Grund vor.

Wegen des weiteren Verhaltens im Zusammenhang mit der Tankkarte wird auf die Ausführungen unter 1 b. aa. Bezug genommen.

Soweit die Beklagte behauptet, dass der Kläger den Mitarbeiter H angewiesen hat, während der Arbeitszeit eine Arbeit an seinem privaten Motorrad durchzuführen und diese zwei Stunden gedauert haben soll, wurde dieser Vortrag im Rahmen der Beweisaufnahme nicht bestätigt. Es wurde ebenso nicht bestätigt, dass Herr H hierfür Neuteile der Beklagten genutzt hat.

Die Kammer kommt bei der Prüfung der ersten Stufe zu dem Ergebnis, dass kein an sich geeigneter Grund für eine außerordentliche Kündigung vorliegt.

Als Ergebnis der Beweisaufnahme steht für die Kammer fest, dass Arbeiten des Zeugen H an dem Motorrad des Klägers nicht zwei Stunden gedauert haben und keine Neuteile verwendet wurde.

Bei der Analyse der Glaubhaftigkeit einer spezifischen Aussage ist nach den allgemein anerkannten Grundsätzen der forensischen Aussagepsychologie von der sogenannten Nullhypothese auszugehen. Dies bedeutet, dass im Ansatz davon auszugehen ist, dass die Glaubhaftigkeit einer Aussage positiv begründet werden muss. Erforderlich ist deshalb eine Inhaltsanalyse, bei der die Aussagequalität zu prüfen ist. Es geht um die Ermittlung von Kriterien der Wahrhaftigkeit. Zur Durchführung der Analyse der Aussagequalität existieren Merkmale, die die Überprüfung ermöglichen, ob die Angaben auf tatsächlichem Erleben beruhen, sog. „Realkennzeichen“ oder ob sie ergebnisbasiert sind. Das Vorhandensein dieser Real- oder Glaubwürdigkeitskennzeichen gilt als Hinweis für die Glaubhaftigkeit der Angaben. Bei einmaligen Aussagen kann auch eine Motivationsanalyse durchgeführt werden (LAG Düsseldorf, Urteil vom 10.12.2020 – 5 Sa 231/20 – Rn.104, juris).

Der Zeuge H hat in sich schlüssig und nachvollziehbar ausgesagt. Er hat die Situation, als er die zur Akte gereichte schriftliche Aussage unterschrieben hat, in sich stimmig geschildert. Er sei in das Büro gerufen worden, Vertreter der Beklagten hätten ihm ein Video gezeigt, auf dem der Kläger zu sehen war. In diesem Moment habe er gedacht, jetzt haben sie ihn dran. Er habe einen gewissen Druck verspürt, er habe weder für oder gegen die Firma noch für jemanden, mit dem er 19 Jahre gut zusammengearbeitet habe, aussagen wollen. Die Schilderung und seine Ausdrucksweise sprechen unter Berücksichtigung der Realkennzeichen für die Glaubhaftigkeit der Aussage. Aufgrund des emotionalen Drucks ist es für die Kammer nachvollziehbar, dass er sich trotz der langen Zeitspanne gut an die Situation erinnern kann. Inhaltlich hat der Zeuge dargelegt, dass er an dem Motorrad nur eine halbe, dreiviertel oder eine Stunde während seiner Pause gearbeitet habe. Unter Kollegen sei es üblich, die Pause für solche Tätigkeiten zu opfern. Auf Veranlassung der Beklagten habe er den Zeitrahmen auf zwei Stunden erhöht. Zur Begründung hat er darauf hingewiesen, dass bei zwei Stunden unter Abzug einer einstündigen Pause immer noch eine Stunde reguläre Arbeitszeit zu berücksichtigen wäre. Zudem habe die Beklagte angegeben, dass die schriftliche Aussage nur pro forma erfolgen solle. Die Arbeiten hat der Zeuge nach seiner Erklärung in seiner Pause erledigt. Die verbauten Teile habe er aus seiner Kiste mit Schrottteilen genommen. Diese enthalte Sachen, die ansonsten weggeworfen worden wären.

Bei der Würdigung der Aussage verkennt die Kammer nicht, dass der Zeuge mit dem Kläger gemeinsam in einer Band musiziert. Von der Richtigkeit der Aussage ist die Kammer aufgrund deren Inhalts und dem persönlichen Eindruck überzeugt. Der Zeuge hat die Behauptung der Beklagten nicht bestätigt. Im Hinblick auf die Darlegungs- und Beweislast ist dieser von der Beklagten vorgetragene Pflichtenverstoß zur Begründung der Kündigung nicht gegeben.

3. Das Arbeitsverhältnis wurde nicht durch die ausgesprochenen ordentlichen Kündigungen aufgelöst.

a. Die Kündigung der Beklagten vom 17.09.2020 ist sozial ungerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Das KSchG ist anwendbar. Es fehlt an einem kündigungsrelevanten Verstoß des Klägers. Die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile geht zu Lasten der Beklagten aus.

aa. Das KSchG ist anwendbar. Die Wartezeit gemäß § 1 Abs. 1 KSchG ist erfüllt, der Kläger hat länger als sechs Monate bei der Beklagten gearbeitet. Zudem beschäftigt die Beklagte in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG.

(1). Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsache, dass er in einem Betrieb mit insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt ist (u.a. BAG, Urteil vom 24.2.2005 – 2 AZR 214/04; vgl. Ascheid/Preis/Schmidt/Moll, KSchG § 23 Rn.84 mwN.). Es obliegt der Arbeitgeberin allerdings, auf einen entsprechenden Vortrag des Arbeitnehmers ihr Bestreiten dahin – nachvollziehbar – zu konkretisieren (LAG Köln, Urteil vom 22.04.2021 – 6 Sa 1066/20 – Rn. 31, juris).

Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gelten „die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Gesetzes […] nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel […] zehn oder weniger Arbeitnehmer […] beschäftigt werden.“ Mit dieser negativen Formulierung stellt sich die Regelung als eine Ausnahmevorschrift zu Gunsten der Arbeitgeberin dar. Nach der allgemeinen Beweisregel, nach der jeder die Voraussetzungen der für ihn günstigen Normen darzulegen und zu beweisen hat, wäre es also die Arbeitgeberin, die vorzutragen und im Bestreitensfalle zu beweisen hätte, dass sich der Betrieb, in dem der klagende Arbeitnehmer beschäftigt war, als Kleinbetrieb im Sinne der Ausnahmevorschrift darstellt (so u.a Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, KSchG § 23 Rn.37).

Das Bundesarbeitsgericht ist in ständiger Rechtsprechung anderer Auffassung und weist dem klagenden Arbeitnehmer die Beweislast für die Tatsache zu, dass in dem Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt seien und damit für die negative Tatsache, es handele sich nicht um einen Kleinbetrieb. Die Auswirkungen der seit langem geführten Meinungsverschiedenheit über die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 23 Abs. 1 KSchG sind allerdings gering. Das Bundesarbeitsgericht legt das Prinzip der Sachnähe und den Sphärengedanken zugrunde und billigt dem Arbeitnehmer daher auch wegen des Grundrechtsschutzes nach Art. 12 GG eine erleichterte Darlegung zu, weil dieser in der Regel keine oder nur eine ungenaue Kenntnis über die Strukturen und Verhältnisse in der Belegschaft hat (BAG, Urteil vom 02.03.2017 – 2 AZR 427/16).

Vom Arbeitnehmer können nicht Darlegungen verlangt werden, die er mangels eigener Kenntnismöglichkeiten nicht erbringen kann. Vielmehr genügt er seiner Darlegungslast – bei fehlender eigener Kenntnismöglichkeit – bereits durch die bloße Behauptung, der Arbeitgeber beschäftige mehr als zehn Arbeitnehmer. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, sich vollständig über die Anzahl der bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer unter Benennung der ihm zur Verfügung stehenden Beweismittel zu erklären. Zu den Beweismitteln können Vertragsunterlagen, Auszüge aus der Lohnbuchhaltung, Zeugen usw. gehören. Hierzu muss daraufhin der Arbeitnehmer Stellung nehmen und Beweis antreten. Hat der Arbeitnehmer keine eigenen Kenntnisse über die vom Arbeitgeber behaupteten Tatsachen, kann er sich auf die sich aus dem Vorbringen des Arbeitgebers ergebenden Beweismittel stützen und die ihm bekannten Anhaltspunkte dafür vortragen, dass entgegen den Angaben des Arbeitgebers der Schwellenwert doch erreicht ist. Lediglich im Falle der Unergiebigkeit der daraufhin vom Gericht erhobenen Beweise (non liquet) trifft den Arbeitnehmer die objektive Beweislast (BAG, Urteil vom 26.06.2008 – 2 AZR 264/07 – BAGE 127, 102-110).

(2). Nach den aufgezeigten Prämissen kommen beide Auffassungen im vorliegenden Fall zu keinen anderen Ergebnissen.

Bei der Beklagten wurden im September 2020 unstreitig der Kläger, Frau A , Herr M H , Herr D Schl , Herr D Schw , Herr M Sch , Herr F P und Frau R H in Vollzeit beschäftigt. Frau R H soll die Beklagte nach ihrer Behauptung zwischenzeitlich verlassen haben. Dafür werde Herr S G beschäftigt. In Teilzeit würden Herrn K Schm und Herr B mit einem Umfang von unter 20 Stunden in der Woche beschäftigt.

Damit wurden in der Regel bei Ausspruch der Kündigung neun Arbeitnehmer beschäftigt. Zu denen vom Kläger angeführten Arbeitnehmern hat die Beklagte in den Schriftsätzen vom 20.11.2020 (Bl.46 der Akte) und vom 01.09.2021 (Bl.248 der Akte) unterschiedlich Übersichten zur Akte gereicht. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2022 hat die Beklagte bestätigt, dass Herr B wie im Schriftsatz vom 30.11.2020 angegeben weiterhin bei der Beklagten beschäftigt wird. Diese Angabe findet sich nicht in der Übersicht im Schriftsatz vom 01.09.2021. Entsprechendes gilt für den Arbeitnehmer M Sch . Entsprechend des Vortrags aus der mündlichen Verhandlung vom 18.01.2022 hat die Kammer diese Arbeitnehmer berücksichtigt. Der Beklagten wäre es aufgrund ihrer Sachnähe möglich gewesen, substantiiert darzulegen, welche Arbeitnehmer aus der Übersicht aus dem Schriftsatz vom 20.11.2020 weiterhin beschäftigt werden und dies in die Übersicht vom 01.09.2021 aufzunehmen.

Zu den Arbeitnehmern M O und M Sch tragen die Parteien unterschiedlich vor.

Zu M O hat der Kläger dargelegt, dass dieser bei der Beklagten als Arbeitnehmer tätig ist. Im Internetauftritt wird er als Assistent der Geschäftsführung benannt. Zudem hat der Kläger ein Dokument beigebracht, aus dem sich ergibt, dass für die Beklagte eine Beratung durch Herrn M O erfolgt ist. Die Beklagte hat behauptet, dass Herr M O von einer Holding angestellt sei. Er übernehme keine Aufgaben bei der Beklagten. Im Hinblick auf den Vortrag des Klägers und ihren Internetauftritt hätte es der Beklagten oblegen, ihre Organisationsstruktur und die vertragliche Grundlage der Beschäftigung von Herrn M O darzulegen. Ein solcher konkreter Vortrag fehlt. Der Kläger hat mehrfach darauf hingewiesen, dass Herr M O als Arbeitnehmer der Beklagten zu bewerten sei. Zudem hat die Kammer die Anwendbarkeit des KSchG in der mündlichen Verhandlung am 07.09.2021 erörtert. Mangels substantiierten Vortrags wertet die Kammer Herrn M O als Arbeitnehmer der Beklagten. Zum Umfang der wöchentlichen Arbeitszeit hat die Beklagte auf den Vortrag des Klägers nicht substantiiert erwidert. Es ist von einer Berücksichtigung von 1,0 auszugehen.

Zu Herrn M Sch hat der Kläger behauptet, dass dieser als Betriebsleiter (Arbeitnehmer) bei der Beklagten tätig sei. Herr M Sch werde Ansprechpartner bei Stellenausschreibungen benannt. Hierzu hat die Beklagte im Schriftsatz vom 26.01.2021 behauptet, dass Herr M Sch geringfügig bei K beschäftigt werde und nicht bei der Beklagten. Im Schriftsatz vom 20.09.2021 behauptet die Beklagte, dass Herr M Sch weder bei der Beklagten noch bei K angestellt, sondern externer Dienstleister sei. Im Rahmen der mündlichen Verhandlung hat der Vertreter der Beklagten erklärt, dass Herr M Sch als Consultant mit maximal 20 Stunden pro Monat von der Holding beschäftigt werde. Die Beklagte hat weder den Vortrag aus dem Schriftsatz vom 26.01.2021 noch den Vortrag aus dem Schriftsatz vom 20.09.2021 konkretisiert. Es fehlt an substantiiertem Vortrag zur Organisationsstruktur und zur rechtlichen Grundlage der Tätigkeit bspw. durch Vorlage von Vertragsunterlagen. Ein externer Dienstleister wird Rechnungen für seine Tätigkeit stellen, die den Umfang und die Art der Leistung benennen. Die Anwendbarkeit des KSchG wurde im Rahmen der mündlichen Verhandlung vom 07.09.2021 erörtert. Der Kläger hat mehrfach zur Berücksichtigung von Herrn M vorgetragen.

Die Kammer ging im Hinblick auf den Vortrag zum Umfang der Tätigkeit von einer Berücksichtigung von 0,5 nach § 23 KSchG aus.

Von der Beklagten werden in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt. Es kann dahinstehen, ob die weiteren vom Kläger aufgeführten Mitarbeiter entsprechend des Schriftsatzes vom 28.10.2021 zu berücksichtigten sind und ob die Beklagte und K einen Gemeinschaftsbetrieb bilden.

bb. Eine soziale Rechtfertigung der Kündigung vom 17.09.2020 hat die Beklagte nicht vorgetragen.

4. Die Kündigung der Beklagten vom 15.10.2020 ist sozial ungerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Es fehlt an einem kündigungsrelevanten Verstoß des Klägers. Die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile geht zu Lasten der Beklagten aus.

(1). Eine Kündigung ist i.S.v. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt und damit nicht sozial ungerechtfertigt, wenn dieser seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat, eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht und dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers über die Kündigungsfrist hinaus in Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zumutbar ist. Auch eine erhebliche Verletzung der den Arbeitnehmer gemäß § 241 Abs. 2 BGB treffenden Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des Arbeitgebers kann – je nach den Umständen des Einzelfalls – eine Kündigung rechtfertigen (BAG, Urteil vom 30.07.2020 – 2 AZR 43/20 – Rn.44, juris). Der Arbeitgeber hat gemäß § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen, die die Kündigung bedingen.

(2). Wegen der Vertragspflichtverletzung der Nutzung der Tankkarte und der Interessenabwägung wird auf die Begründung unter 1 b. aa. verwiesen.

Auch im Rahmen der verhaltensbedingten ordentlichen Kündigung kommt es auf die Frage der negativen Prognose an. Die Vertragsverletzung kommt als Kündigungsgrund nur dann in Betracht, wenn aus ihr geschlossen werden kann, dass auch zukünftige Vertragspflichtverletzungen des Arbeitnehmers zu befürchten sind. Denn die ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung ist keine Sanktion für Pflichtverletzungen in der Vergangenheit, sondern es soll das Risiko künftiger Vertragsverletzungen ausgeschlossen werden. Maßgeblich ist deshalb, ob Wiederholungsgefahr besteht oder ob die Pflichtverletzung künftige Folgewirkungen aufweist, die die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses als ausgeschlossen erscheinen lassen.

(3). Wegen der behaupteten Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Herausgabe des Fahrzeugs an den Kunden K und Interessenabwägung wird auf die Begründung unter 1 b. bb. verwiesen. Eine Abmahnung ist aus Sicht der Kammer im Hinblick auf die lange Betriebszugehörigkeit erforderlich gewesen.

5. Die Kündigung der Beklagten vom 26.10.2020 ist sozial ungerechtfertigt, sie ist nicht durch Gründe im Verhalten des Klägers i.S.v. § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Es fehlt an einem kündigungsrelevanten Verstoß des Klägers. Die Abwägung der Interessen beider Vertragsteile geht zu Lasten der Beklagten aus.

Soweit die Kündigung auf die Durchführung von Arbeiten an dem Motorrad des Klägers gestützt worden ist, wird auf die Ausführungen unter 2. verwiesen.

Soweit die Kündigung auf die Nutzung der Tankkarte gestützt worden ist, wird auf die Ausführungen unter 1. b. aa. Bezug genommen.

6. Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung.

Der Anspruch folgt aus § 611 a BGB in Verbindung mit Art. 2 GG und § 241 BGB. Den Grundsätzen des Großen Senats folgend (27.02.1985 – GS 1/84) überwiegt das Beschäftigungsbedürfnis des Arbeitnehmers das Nichtbeschäftigungsbedürfnis des Arbeitgebers jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer mit seiner Kündigungsschutzklage Erfolg hat (LAG Köln, Urteil vom 22.04.2021 – 6 Sa 790/20 – Rn.63, juris). Der Kläger hat mit seiner Kündigungsschutzklage Erfolg.

Die Kammer hat die Weiterbeschäftigung als Betriebsleiter ausgeurteilt. Dies ist jedenfalls die letzte Tätigkeit des Klägers gewesen. Ob eine einvernehmliche Änderung zum Werkstattleiter vereinbart worden ist, steht zwischen den Parteien im Streit. Ihrer Verpflichtung aus § 3 NachwG ist die Beklagte nicht nachgekommen.

7. Der Kläger hat keinen Anspruch auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG.

Im Hinblick auf die innerprozessuale Bedingung stand der Auflösungsantrag zur Entscheidung an. Der Antrag ist unbegründet.

a. Stellt das Gericht fest, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist, ist jedoch dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zuzumuten, so hat das Gericht auf Antrag des Arbeitnehmers das Arbeitsverhältnis aufzulösen und den Arbeitgeber zur Zahlung einer angemessenen Abfindung zu verurteilen (§ 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG).

Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG ist die Ausnahme. Das Kündigungsschutzgesetz ist ein Bestandsschutz-, kein Abfindungsgesetz. Dies wird allein unter der Voraussetzung durchbrochen, dass eine Vertrauensgrundlage für eine sinnvolle Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr besteht (vgl. BT-Drs. 1/2090 S. 13). Eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 1 KSchG kommt demnach nur ausnahmsweise und unter strengen Voraussetzungen in Betracht. Dem widerspräche es, den Arbeitnehmer faktisch schon allein aufgrund der Stellung eines – möglicherweise unbegründeten – Auflösungsantrags von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung zu befreien (BAG, Urteil vom 14.12.2017 – 2 AZR 86/17 – BAGE 161, 198-211).

Auch das Verhalten im Kündigungsschutzprozess kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen. Dabei ist allerdings zu berücksichtigen, dass die Parteien zur Verteidigung ihrer Rechte schon im Hinblick auf das rechtliche Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) alles vortragen dürfen, was als rechts-, einwendungs- oder einredebegründender Umstand prozesserheblich sein kann. Anerkannt ist insbesondere, dass ein Verfahrensbeteiligter starke, eindringliche Ausdrücke und sinnfällige Schlagworte benutzen darf, um seine Rechtsposition zu unterstreichen, selbst wenn er seinen Standpunkt vorsichtiger hätte formulieren können. Das gilt nur in den Grenzen der Wahrheitspflicht. Zudem dürfen die Parteien nicht leichtfertig Tatsachenbehauptungen aufstellen, deren Unhaltbarkeit ohne Weiteres auf der Hand liegt (BAG, Urteil vom 24.05.2018 – 2 AZR 73/18, NZA 2018, 1131; LAG Köln, Urteil vom 21.09.2020 – 3 Sa 599/19 – Rn.54, juris).

Die Tatsache, dass Behauptungen des Arbeitgebers zum Kündigungsgrund nicht zutreffen, genügt für die Auflösung, wenn diese bewusst wahrheitswidrig erhoben werden (ErfK/Kiel KSchG § 9 Rn.9).

b. Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ist der Auflösungsantrag nach Auffassung der Kammer nicht begründet.

Nach Meinung des Klägers habe die Beklagte nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung weitere Sachverhalte gesucht, um über den Weg einer außerordentlichen fristlosen Kündigung die Vergütung des Klägers für den Zeitraum der Kündigungsfrist einzusparen. Selbst wenn die Beklagte nach Ausspruch der Kündigung weitere Umstände gesucht haben sollte, um eine weitere Kündigung auszusprechen, wäre dies als solches nicht geeignet, einen Auflösungsantrag zu begründen. Soweit die Beklagte nur bei dem Vorliegen weiterer Pflichtverstöße eine weitere Kündigung ausspricht, ist dies zulässig.

Soweit der Kläger behauptet, dass die Beklagte den Zeugen H bedrängt habe, um eine unzutreffende Aussage abzugeben, liegt hierin noch kein Auflösungsgrund. Dem Kläger ist zuzugestehen, dass der Zeuge H nach seiner Aussage bei der Bestätigung der schriftlichen Zeugenaussage einen gewissen Druck verspürt hat. Auch ist die großzügige zeitliche Ergänzung des Umfangs der Tätigkeit am Motorrad des Klägers zu berücksichtigen. Allerdings hat der Zeuge H ausgesagt, dass die Tätigkeit eine halbe, eine dreiviertel oder eine Stunde gedauert haben könnte. Er kann also auch die doppelte Zeit am Motorrad des Klägers gearbeitet haben. Unstreitig hat der Zeuge tatsächlich Arbeiten an dem Motorrad durchgeführt. Der Kern der Behauptung – Arbeiten an dem Motorrad des Klägers – entspricht dem tatsächlichen Geschehen.

Soweit die Beklagte den Kläger in der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht als „Verbrecher“ bezeichnet haben sollte, ist dies ein starker und eindringlicher Ausdruck. Ein Verbrecher ist eine Person, die ein Verbrechen begangen hat. Bei Berücksichtigung der erstinstanzlichen gerichtlichen Entscheidung, die von einer vermögensrechtlichen Verfügung durch unberechtigte Nutzung der Tankkarte zulasten der Beklagten und zugunsten des Klägers ausgegangen ist, steht eine Strafbarkeit im Raum. Hierbei wäre juristisch zwischen einem Vergehen und einem Verbrechen zu unterscheiden, dies kann allerdings nicht bei einer Wertung in der Laiensphäre erwartet werden.

Soweit die Beklagte im Rahmen des Verfahrens erklärt hat, die Visitenkarte des Klägers von K nicht zu kennen, mag dies aus ihrer Erinnerung und Wahrnehmung korrekt sein. Der Vortrag ist zumindest nicht geeignet, den Auflösungsantrag zu begründen.

Soweit der Kläger die Kündigungsbegründung zum Geschehen im Zusammenhang mit der Herausgabe des Fahrzeuges und Rechnung des Kunden K heranzieht, um den Antrag zu begründen, reicht dies nicht zur Begründung eines Auflösungsantrags aus. Der Vortrag der Beklagten rechtfertigt eine außerordentliche fristlose oder ordentliche fristgerechte Kündigung nicht. Die Beklagte hat versucht, durch die Befragung der anderen Beschäftigten herauszufinden, wer das Fahrzeug herausgegeben hat. Die zur Akte gereichte Rechnung weist den Kläger als denjenigen aus, der den Auftrag angenommen und fakturiert hat. Dies legt den Schluss nahe, dass er im Zusammenhang mit der Rechnung involviert gewesen ist. Möglicherweise sind einzelne Mutmaßungen der Beklagten in diesem Zusammenhang fernliegend, allerdings hat die Beklagte den Kläger zu der aus ihrer Sicht gegebenen Sachlage angehört und damit verdeutlicht, dass es Mutmaßungen sind. Dies ist aus Sicht der Kammer kein Vorgehen, welches einen Auflösungsantrag begründet.

IV. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 64 Abs. 6 ArbGG, 92 ZPO. Im Hinblick auf die erfolgreiche Berufung waren die Kosten entsprechend zu verteilen. Gründe für die Zulassung der Revision sind nicht gegeben.

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