1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben der Beklagten ohne Datum, dem Kläger am 28. Juli 2022 zugegangene Kündigung nicht aufgelöst worden ist oder wird.
2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als … zu den bisherigen Bedingungen zu beschäftigen.
3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.
4. Der Streitwert wird festgesetzt auf € 32.823,60.
5. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen, soweit sie nicht bereits kraft Gesetzes zulässig ist.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis durch eine als außerordentliche und fristlose Kündigung bezeichnete Arbeitgeberkündigung beendet wurde.
Der am … geborene, als schwerbehinderter Mensch anerkannte, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger ist seit dem … für die Beklagte und ihre Rechtsvorgängerinnen in ihrem Betrieb in H als … zu einem Bruttomonatsentgelt von zuletzt durchschnittlich EUR 8.205,90 tätig. Im Betrieb der Beklagten in H beschäftigt sie rund 520 Arbeitnehmer. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden Anwendung kraft beiderseitiger Tarifbindung.
Der Kläger war in verschiedenen Abteilungen im Betrieb der Beklagten und ihrer Rechtsvorgängerinnen tätig (vergleiche Aktenblatt 3-4). Seit dem 01. Januar 2012 ist er als … in der Abteilung Projektabwicklung.
Es besteht ein elfköpfiger Betriebsrat. Der Kläger ist Betriebsratsmitglied und war in der Wahlperiode 2018 bis 2022 Vorsitzender des Betriebsrats.
In einem Aushang des Betriebsrates (vergleiche insgesamt Aktenblatt 323 f.) vom 8. September 2021 ist auszugsweise folgendes ausgeführt:
„Lieber X,
…….
Des Weiteren fordert der Betriebsrat Sie, lieber X, auf, Ihre groben Verstöße und Verletzungen von Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu unterlassen und, lieber X, Sie werden dann sehen wie gut Sie mit Ihrem Betriebsrat zusammenarbeiten können.
……
Ihr Betriebsratsgremium“
In der Akte befindet sich ein Schreiben des Betriebsrats und des Konzernbetriebsrates an den X vom 27./22. Oktober 2021 mit dem Betreff Kündigungsandrohung der Betriebsratsvorsitzenden, in dem die Verfasser des Schreibens X „abmahnen“ aufgrund eines behaupteten Rechtsbruchs durch Androhung der Kündigung der beiden Betriebsratsvorsitzenden. Hinsichtlich des kompletten Inhalts des Schreibens wird auf Aktenblatt 307 Bezug genommen.
In der Akte befindet sich folgender Aushang der Geschäftsleitung vom Monat Januar 2022, der nachfolgend auszugsweise wiedergegeben wird:
„Geschäftsleitung
Kommende Betriebsratswahl
Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter,
in diesem Jahr wird der Betriebsrat neu gewählt. Dies ist eine wichtige Gelegenheit, um die Weichen für die Zukunft des Unternehmens, des Standorts H und seiner Belegschaft zu stellen.
Die Corona-Pandemie stellt auch uns immer noch vor große Herausforderungen. Nur durch Ihr herausragendes Engagement, liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter, können wir unsere Kunden in diesen Zeiten bestmöglich bedienen.
…
Es liegen große Herausforderungen vor uns. Diese können wir alle nur gemeinsam schaffen.
Der Betriebsrat, Ihre Interessenvertretung, spielt eine wichtige Rolle, wenn es darum geht, an den wichtigen Zukunftsthemen zu arbeiten!
Wie viele von Ihnen sicher mitbekommen haben, gelingt dies mit dem aktuellen Betriebsrat leider zu häufig nicht. Wir beschäftigen uns zu sehr mit uns selbst und müssen Gerichte und Einigungsstellen zur Lösungsfindung bemühen. Das kostet Geld und bindet Energie. Energie, die wir alle besser dafür einsetzen sollten, die Zufriedenheit von Kunden und Mitarbeitern zu steigern. Ich werde immer wieder von Mitarbeitern angesprochen, die mir ihre Unzufriedenheit mit dieser unsäglichen Situation übermitteln.
Die Betriebsratswahl bietet die Chance, etwas daran zu ändern. Ich wünsche mir, dass der nächste Betriebsrat eine aktive, gerne kritisch gestaltende, aber immer konstruktive Vertretung der gesamten Belegschaft ist.
Ich rufe Sie daher ausdrücklich auf: Wenn auch Sie, wie ich, der Meinung sind, dass wir eine neue Form der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat brauchen, stellen Sie sich zur Wahl! Gründen Sie eine Kandidatenliste oder kandidieren Sie auf einer solchen, unterstützen Sie Bewerber und Listen, denen Sie vertrauen!
Machen Sie Ihr Kreuz mit dem Bewusstsein, eine wichtige Entscheidung für die zukünftige Entwicklung von P in einem harten Marktumfeld und unseres Stammsitzes in H auch nach über 60 Jahren zutreffen!
…..“
Am 5. April 2022 fanden bei der Beklagten Betriebsratswahlen statt. Erstmals war es dabei aufgrund der Kandidatur einer konkurrierenden Liste (Liste 1, „ProP“) gegen eine von der IG Metall unterstützte Liste, welche mehrheitlich aus Kandidaten bestand, welche schon dem bisherigen Betriebsrat angehörten (Liste 2, „ProBelegschaft IG Metall“), zu einer Listenwahl bekommen. Dabei unterlag die Liste 2, auf welcher der Kläger kandidierte, knapp der konkurrierenden Liste 1. Der Betriebsratswahl war eine umfangreiche Presseberichterstattung über den Umstand der Kandidatur der Liste 1 vorausgegangen. Der Geschäftsführung wurde dabei aus den Reihen des bisherigen Betriebsrats bzw. der IG Metall eine unzulässige Beeinflussung der Wahl vorgeworfen, der Liste 1 wurde Nähe zur Geschäftsführung unterstellt.
Am 13. April 2022 übergaben ein Geschäftsführer der Beklagten und der Leiter der Rechtsabteilung, dem Kläger in seiner Funktion als Vorsitzender des Betriebsrates in der Zusammensetzung der Wahlperiode 2018 bis 2022 einen Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung gemäß § 103 BetrVG. Da am selben Tag auch die konstituierende Sitzung des Betriebsrats der Wahlperiode 2022 bis 2026 stattgefunden hatte, wurde eine Zweitschrift des Antrags am 13. April 2022 vorsorglich auch dem neu gewählten Betriebsratsvorsitzenden zugeleitet.
In der Akte befindet sich auszugsweise folgende Betriebsratsanhörung betreffend eine Tatkündigung:
„Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen und fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung gern. § 103 Abs. 1 BetrVG
Sehr geehrte Damen und Herren, wir beabsichtigen, gegenüber dem Arbeitnehmer und Betriebsratsmitglied
…..
eine außerordentliche und fristlose, verhaltensbedingte Kündigung auszusprechen und bitten den Betriebsrat um seine Zustimmung gemäß § 103 BetrVG.
Begründung:
A hat in dem sozialen Netzwerk Facebook Äußerungen getätigt, die sowohl die Geschäftsführung/Geschäftsleitung als auch Bewerber der jüngsten Betriebsratswahl bzw. dort gewählte Betriebsratsmitglieder in massiver Weise beleidigt bzw. sogar der Begehung von Straftaten bezichtigt. Dieses Verhalten ist für das Unternehmen in keiner Weise hinnehmbar, sodass das Arbeitsverhältnis mit A außerordentlich und fristlos zum nächstmöglichen Zeitpunkt beendet werden soll.
Im Einzelnen:
1. Sachverhalt
a) A ist Betriebsratsmitglied. Zur Betriebsratswahl am 5. April 2022 ist er als Kandidat auf der Liste „ProMitbestimmung“ (Liste 2) angetreten. Bekanntlich hat die Liste „ProP“ (Liste 1) die Betriebsratswahl mit einer knappen Mehrheit gewonnen.
b) Am Vormittag des 6. April 2022, dem Tag nach der Betriebsratswahl, erhielt unser IT Leiter, B, von einem Mitarbeiter Screenshots des persönlichen Profils von A beim sozialen Netzwerk Facebook. Nach kurzer Sichtung leitete B diese Screenshots an den Geschäftsführer, X, weiter. Dem Mitarbeiter, welcher B die Screenshots geschickt hatte, hatte B ausdrücklich Vertraulichkeit zugesagt.
c) Ausweislich der als Anlage beigefügten Screenshots hat A mutmaßlich am Abend des 5. April 2022 einen Text mit dem folgenden Inhalt auf seiner Profilseite veröffentlicht:
„Wie spaltet man Belegschaften?
A) Man ruft von der Geschäftsleitung zu Listenwahl auf. Es finden sich immer willige Schergen.
B) man droht mit Repressalien, sollte die GL Liste nicht gewählt werden.
Mit dieser Angst im Nacken hat man schnell 2 Gruppen — das Teile und Herrsche-Prinzip geht auf!
Glückwunsch an die Schergen, die das im Namen der GL umsetzten, stimmts Mr. Ke, verachtenswert die Kreaturen, die dieses Spiel für sich und gegen die Kolleg*innen mitgehen.“
c) 8 Stunden nach diesem Post, d.h. mutmaßlich am Morgen des 6. April 2022, veröffentlichte A an gleicher Stelle den folgenden Text:
„Könnte auch bei einer prominenten h Firma passieren, die dank ihrer neuen Schergen im BR auch nicht mehr auf die pro Belegschaft Mitbestimmung achten.“
d) Die genauen Uhrzeiten der Posts sind den Screenshots nicht zu entnehmen. Da B die Screenshots allerdings am Vormittag des 6. April 2022 erhielt und zum Zeitpunkt der Screenshots, ausweislich der entsprechenden Zeitangabe, der unter c) wiedergegebene Post 2 Stunden alt war und der unter b) wiedergegebene (frühere) Post 10 Stunden alt war, ist darauf zu schließen, dass der erste Post, wie geschildert, mutmaßlich am (späten) Abend der Betriebsratswahl und der spätere Post am Morgen danach veröffentlicht wurde. Die genauen Uhrzeiten sind aus unserer Sicht für den Kündigungssachverhalt aber auch völlig unerheblich.
e) Die beiden vorstehend beschriebenen Posts waren ausweislich des entsprechenden Symbols neben dem Profilfoto von A für alle Facebook-Nutzer, die mit A zu diesem Zeitpunkt als „Freunde“ verbunden waren, sichtbar. Dies sind mutmaßlich eine größere Anzahl von Personen, weil – ebenfalls ausweislich des Screenshots – immerhin vier Nutzer bereits Kommentare zu dem ersten Post von A hinterlassen hatten. Auch der Umstand, dass B die Screenshots von einem Mitarbeiter erhielt sowie die Stellung des A als Betriebsratsvorsitzender spricht aus unserer Sicht dafür, dass mehrere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Unternehmens als „Freunde“ Zugriff auf die Posts hatten.
f) Ebenfalls gibt es aus unserer Sicht keinen Zweifel daran, dass die beiden zitierten Posts authentisch sind, d. h. tatsächlich von A stammen und von diesem veröffentlicht wurden.
2. Außerordentliche Kündigung gerechtfertigt/Interessenabwägung
Die zitierten Äußerungen von A sind in vielerlei Hinsicht geeignet, beabsichtigte außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.
a) Wichtiger Grund „an sich“
Die Äußerungen stellen für sich genommen einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 BGB dar. Sie sind in grober Weise beleidigend und unterstellen den Personen, auf die sich die Aussagen beziehen, ein Verhalten, das, wenn die Vorwürfe zuträfen, sogar strafrechtliche Relevanz hätten.
Es ist völlig eindeutig, dass sich die Aussagen auf die gerade stattgefundene Betriebsratswahl und die Vorgeschichte (erstmalige Durchführung einer Listenwahl statt einer Personenwahl aufgrund der Kandidatur der Liste 1) bezieht. Der Leiter Operations, Herr Ke, wird sogar namentlich genannt. Spätestens der zweite Post stellt noch einmal unzweideutig die Beziehung zum Unternehmen P her („Könnte auch bei einer prominenten h Firma passieren`).
Nachstehend folgen beispielhaft Erläuterungen zu den wesentlichen Inhalten der beiden Posts:
– Die Aussage: „Man ruft von der Geschäftsleitung zu Listenwahl auf. Es finden sich immer willige Schergen“ belegt die Initiatoren der Liste 1, die A offenkundig für die Durchführung der Betriebsratswahl als Listenwahl verantwortlich macht, mit dem Begriff „Schergen“. Nach dem allgemeinen Wortsinn ist dieses Wort massiv negativ konnotiert:
Als Scherge wird im heutigen Sprachgebrauch oft ein „Henkersknecht“, Büttel, käuflicher Verräter oder generell eine Person, die einem Schurken dienstbar ist und seine Befehle ausführt, bezeichnet.“
(Quelle: Wikipedia)
Andere Menschen als Schergen zu bezeichnen, stellt eine massive Herabwürdigung und Beleidigung dieser Personen dar.
-Die Aussage: „Man droht mit Repressalien, sollte die GL Liste nicht gewählt werden“ unterstellt zum einen, es gebe eine Liste der Geschäftsleitung („GL Liste“ – gemeint ist offenkundig die Liste 1), zum anderen — und dies ist der relevante – stellt sie die Behauptung auf, es sei mit „Repressalien“ gedroht worden, sollte diese Liste nicht von den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern gewählt werden. Gemeint ist mit „man“ ganz offenkundig die Arbeitgeberseite, denn wer sonst sollte im Kontext der Betriebsratswahl mit Repressalien drohen können. Diese Behauptung ist schlicht falsch. In keiner Weise ist Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Zusammenhang mit der Betriebsratswahl mit Repressalien gedroht worden. Ein solches Verhalten wäre auch unzulässig gemäß § 20 Abs. 2 BetrVG: „Niemand darf die Wahl des Betriebsrats durch Zuführung oder Androhung von Nachteilen oder durch Gewährung oder Versprechen von Vorteilen beeinflussen.“ Die Beeinflussung einer Betriebsratswahl (zum Beispiel) durch das Androhen von Nachteilen ist sogar gemäß § 119 Abs. 1 Nummer 1 BetrVG strafbar und wird mit Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe bestraft. Mit seiner Aussage hat A also im Ergebnis nichts anderes getan, als (durch nichts belegt) zu behaupten, dass die Geschäftsleitung in strafbarer Weise auf die Betriebsratswahl Einfluss genommen hätte.
-Die Aussage „Glückwunsch an die Schergen, die das im Namen der GL umsetzten, stimmts Mr. Ke, verachtenswert die Kreaturen, die dieses Spiel für sich und gegen die Kolleginnen mitgehen“ wiederholt die Beleidigung der Initiatoren der Liste 1 als Schergen (siehe oben, erster Spiegelstrich). Ferner wird der Vorwurf erhoben, dies,,im Namen“ der Geschäftsleitung zu tun. Mit letzterem unterstellt A der Arbeitgeberseite wiederum eine unzulässige und ggf. strafbare Beeinflussung der Wahl (siehe oben, zweiter Spiegelstrich). In diesem Zusammenhang wird sogar mit Herrn Ke namentlich ein Mitglied der Geschäftsleitung der beschriebenen Vorgehensweise bezichtigt. Ferner bezeichnet A die Initiatoren und Wahlbewerber der Liste 1 (niemand anders kann hier im Kontext gemeint sein) als „verachtenswerte Kreaturen“. Diese grobe und massive Beleidigung bedarf keiner weiteren Erläuterung. Es ist kaum eine vehementere Herabwürdigung denkbar.
-Mit der Aussage: „Könnte auch bei einer prominenten h Firma passieren, die dank ihrer neuen Schergen im BR auch nicht mehr auf die pro Belegschaft Mitbestimmung achten“ wird die Beleidigung der Initiatoren und Wahlbewerber der Liste 1 als „Schergen“ noch ein drittes Mal wiederholt. Ferner wird hier unmissverständlich der Bezug zur Firma P hergestellt.
Die beschriebenen Beleidigungen und Unterstellungen gegenüber der Geschäftsleitung sowie den Initiatoren und Wahlbewerber der Liste 1 sind schon für sich genommen, jedenfalls aber in der Summe, vollkommen inakzeptable Pflichtverletzungen von A und stellen unzweifelhaft einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 BGB dar.
b) Interessenabwägung/Kündigung trotz fehlender Abmahnung
Der Umstand, dass gegenüber A bislang keine Abmahnung ausgesprochen wurde, spricht vorliegend nicht gegen den Ausspruch der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Das Fehlverhalten wiegt nämlich so schwer, dass A ohne weiteres bewusst gewesen sein musste, dass dieses von der Arbeitgeberseite unter keinen Umständen akzeptiert werden kann, sondern ein solches Verhalten vielmehr die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zur Folge hat.
Auch unter Abwägung der Interessen der Arbeitgeberseite an der Beendigung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der massiven Pflichtverletzungen auf der einen und von A am Bestand seines Arbeitsverhältnisses auf der anderen Seite ist der beabsichtigte Ausspruch der außerordentlichen Kündigung gerechtfertigt. Zwar spricht für A das langjährige Arbeitsverhältnis. Demgegenüber stehen aber die vorstehend geschilderten, massiven Beleidigungen und Unterstellungen gegenüber anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie der Geschäftsleitung. Diese wurden zudem innerhalb der Gruppe der „Freunde“ von A bei Facebook und damit insoweit öffentlich kommuniziert. Zudem musste A damit rechnen, dass seine Aussagen den Weg in die breitere Öffentlichkeit finden und dort ggf. unternehmensschädigend wirken. Wenn Geschäftsleitung und andere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit vehementen Beleidigungen belegt werden bzw. sogar strafbares Handeln unterstellt wird, ist die Grundlage für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unwiederbringlich beseitigt und jedes bisher bestehende Vertrauen zerstört. Auch eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist ist der Arbeitgeberseite vor diesem Hintergrund nicht zuzumuten.
3. Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB
Wie bereits vorstehend geschildert, hat die Arbeitgeberseite erstmals am 6. April 2022 von den Posts von A erfahren. Die Zweiwochenfrist kann damit gewahrt bleiben.
4. Beteiligung Integrationsamt/Schwerbehindertenvertretung
Aufgrund der Eigenschaft von A als schwerbehinderter Mensch ist vor Ausspruch der beabsichtigten, außerordentlichen Kündigung gemäß § 174 in Verbindung mit §§ 168ff. SGB IX vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einzuholen. Der Ausspruch der Kündigung wird erst erfolgen, sobald diese vorliegt bzw. die Entscheidungsfrist des § 174 Abs. 3 SGB IX (zwei Wochen nach Antragstellung) abgelaufen ist.
Wir bitten um Zustimmung des Betriebsrates zu dieser beabsichtigten Kündigung. H, den 13. April 2022.“
Der Antrag auf Zustimmung wurde vom Betriebsrat der Wahlperiode 2018 bis 2022 am 14. April 2022 abgelehnt. Der Betriebsrat in der Zusammensetzung der Wahlperiode 2022 bis 2026 hat binnen der Drei-Tages-Frist des § 103 BetrVG dem Antrag der Beklagten nicht zugestimmt.
Ebenfalls bereits am 13. April 2022 hat die Beklagte der Schwerbehindertenvertretung im Rahmen der Beteiligung gemäß § 178 Abs. 2 SGB IX ein Unterrichtungs- und Anhörungsschreiben zur außerordentlichen Kündigung übergeben. Die Schwerbehindertenvertretung widersprach der Kündigung.
Am 13. April 2022 führten ein Geschäftsführer der Beklagten und deren Leiter Recht sowie eine Mitarbeiterin (Bereich HR) ein Gespräch mit dem Kläger, um diesen zu den entsprechenden Vorwürfen anzuhören. An diesem Gespräch nahm auf Wunsch des Klägers auch der bisherige stellvertretende Betriebsratsvorsitzende teil. In dem Gespräch eröffnete der Geschäftsführer dem Kläger den oben beschriebenen Sachverhalt und teilte mit, dass man dem Kläger Gelegenheit zur Stellungnahme zu diesen Vorwürfen geben wolle, der bestehende Verdacht seinerseits Gegenstand einer weiteren Verdachtskündigung werden könne. Der Kläger erklärte daraufhin, dass er ohne rechtlichen Beistand keine Stellungnahme abgeben werde.
Anschließend wurde der Kläger von seiner Verpflichtung zur Arbeitsleistung freigestellt und erhielt ein Hausverbot, welches sich nicht auf die Erledigung von Betriebsratsarbeit bezog.
Der Geschäftsführer teilte dem Kläger am frühen Nachmittag noch einmal per E-Mail mit, dass er Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 20. April 2022 erhalte. Der E-Mail war noch einmal eine Zusammenfassung des vorgeworfenen Sachverhalts beigefügt. Ferner erhielt der Kläger am selben Nachmittag noch einen Ausdruck der E-Mail einschließlich der Zusammenfassung per Boten.
Am 20. April 2022 erhielt die Beklagte eine schriftliche Stellungnahme des Rechtsanwalts und jetzigen Prozessbevollmächtigten des Klägers, die auszugsweise wie folgt lautet:
„Zunächst erlauben wir uns den Hinweis, dass es sich bei den Posts nicht um öffentliche Posts handelt, sondern diese waren einschließlich des Bildes unseres Mandanten nur für den Facebook-Freundeskreis unseres Mandanten sichtbar und auch nur für diesen bestimmt. Die Verwendung der Posts einschließlich des Bildes unseres Mandanten stellt daher einen Verstoß gegen das Recht am eigenen Bild sowie § 26 BDSG dar und die hierdurch erlangten Informationen dürfte einem Sachvortragsverwertungsverbot unterliegen.
Ich habe Sie daher aufzufordern,
1. uns unverzüglich spätestens bis zum 29.04.2022 den Namen der anonymen Person zu nennen, die B informiert haben soll,
2. unverzüglich spätestens bis zum 29.04.2022 die Posts sowie das Bild unseres Mandanten zu löschen.
2. Vorsorglich erfolgt zudem inhaltlich folgende Stellungnahme.
Beide Facebook-Posts betreffen nicht die Firma P und haben keinen Bezug zueinander. Der zweite Post ist zudem nicht vollständig. Der vollständige Post ist als Anlage 1 beigefügt.
Der erste Post beschreibt allgemein ein zunehmend verbreitetes Vorgehen von Geschäftsleitungen gegen Betriebsräte, die ihre Mitbestimmungsrechte im Interesse der Belegschaft wahrnehmen, und bezieht sich weder auf die Firma P GmbH noch auf Herrn Ke.
Anlass für den ersten Post war der Fall der Firma G (G), mit dem sich unser Mandant im Rahmen seiner außerbetrieblichen politischen Arbeit kurz zuvor beschäftigt hatte und über den er sich u. a. mit einem Facebook- Freund ausgetauscht hatte. „Mr. Ke“ bzw. „Mister Ka“ ist eine Figur aus der Nickelodeon-Serie Spongebob und der Spitzname, mit dem unser Mandant diesen Freund tituliert. Wie Sie wissen, erfolgte der Aufruf der Geschäftsleitung der P GmbH zur Betriebsratswahl bereits im Januar 2022.
Der zweite Post bezieht sich auf einen durch die Firma M eingeführten Messenger-Dienst. Die P GmbH ist mit 600 Arbeitnehmer:innen kein prominentes H Unternehmen. Prominente H Unternehmen sind beispielsweise die … oder die ….
Nichtsdestotrotz hat unser Mandant beide Posts gelöscht und wird sie auch gegenüber seinen Facebook-Freunden nicht wiederholen.
Unser Mandant hatte nicht die Absicht mit diesen Posts zu behaupten, dass die Geschäftsleitung der P GmbH auf die Betriebsratswahl am 05.04.2022 in strafbarer Weise Einfluss genommen hat. Dies stellt unser Mandant hiermit ausdrücklich klar und bittet das Missverständnis zu entschuldigen.
Ebenso wenig hatte unser Mandant mit den Posts die Absicht, die Initiatoren der Liste 1 für die Betriebsratswahl am 05.04.2022 als Schergen zu bezeichnen. Auch dies stellt unser Mandant hiermit ausdrücklich klar und bittet dieses Missverständnis zu entschuldigen…“
Am 20. April 2022 wurde ein Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung der Tatkündigung beim Integrationsamt (Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg, Zweigstelle Karlsruhe) per Telefax gestellt. Am 5. Mai 2022 hat das zuständige Integrationsamt, der Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg bezüglich der außerordentlichen Tatkündigung bestätigt, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung nach § 174 Abs. 3 SGB IX als erteilt gilt.
Am 22. April 2022 übergab die Mitarbeiterin Bereich HR dem neuen Vorsitzenden des Betriebsrats der Beklagten (Wahlperiode 2022 bis 2026) einen Antrag auf Zustimmung zum Ausspruch einer weiteren außerordentlichen (Verdachts-) Kündigung gemäß § 103 BetrVG. Die Mitarbeiterin wollte eine Zweitschrift des Antrags am selben Tag auch dem stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden des Betriebsrats mit der Amtsperiode 2018 bis 2022 übergeben. Dieser verweigerte jedoch die Annahme mit der Aussage, nicht mehr zuständig zu sein.
In der Akte befindet sich auszugsweise folgende Betriebsratsanhörung betreffend die Verdachtskündigung:
„Antrag auf Zustimmung zu einer weiteren außerordentlichen und fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung gem. § 103 Abs. 1 BetrVG (Verdachtskündigung)
Sehr geehrte Damen und Herren,
wir beabsichtigen, gegenüber dem Arbeitnehmer und Betriebsratsmitglied
…
eine weitere außerordentliche und fristlose, verhaltensbedingte Kündigung in Form einer sogenannten „Verdachtskündigung“ auszusprechen und bitten den Betriebsrat um seine Zustimmung gemäß § 103 BetrVG.
Begründung:
Am 13. April 2022 hatten wir dem Betriebsrat bereits um Zustimmung gemäß § 103 BetrVG zu einer beabsichtigten außerordentlichen und fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung gebeten. Auf den Inhalt dieser Anhörung nehmen wir Bezug. In der damaligen Anhörung ging es um die gegenüber A erhobenen Vorwürfe im Zusammenhang mit den Facebook-Posts vom 5./6. April 2022, welche aus unserer Sicht zutreffend sind (sogenannte „Tatkündigung“). Dieser beabsichtigten Kündigung hatte der Betriebsrat nicht zugestimmt. Aus diesem Grund haben wir am gestrigen Tag ein Zustimmungsersetzungsverfahren gemäß § 103 Abs. 2 BetrVG beim Arbeitsgericht Heidelberg eingeleitet. An der diesbezüglichen Kündigungsabsicht halten wir ausdrücklich fest.
Für den Fall, dass sich die in der Anhörung vom 13. April 2022 geschilderten Vorwürfe nicht (vollumfänglich) beweisen lassen sollten, stützen wir die nunmehr beabsichtigte, weitere außerordentliche Kündigung auf den dringenden Verdacht, dass A in dem sozialen Netzwerk Facebook Äußerungen getätigt hat, die sowohl die Geschäftsführung/Geschäftsleitung als auch Bewerber der jüngsten Betriebsratswahl bzw. dort gewählte Betriebsratsmitglieder in massiver Weise beleidigen bzw. sogar der Begehung von Straftaten bezichtigen (sogenannte „Verdachtskündigung“).Schon der bestehende Verdacht rechtfertigt aus unserer Sicht den Ausspruch der beabsichtigten Kündigung.
Im Einzelnen:…
Aus unserer Sicht können die Ausführungen von A bzw. dessen Anwalt den bestehenden Verdacht gegen A nicht entkräften. Im Gegenteil: A bestreitet in der Stellungnahme nicht, dass die beiden Posts von ihm stammen. Die von A gelieferten Erklärungen sind aus unserer Sicht unglaubwürdig. Es ist offensichtlich, dass sich beide Posts auf die zum Zeitpunkt ihrer Entstehung soeben ausgezählte Betriebsratswahl bei P beziehen. Die Parallelität der Ereignisse (eine angeblich von der Geschäftsleitung initiierte Listenwahl, Mitarbeiter, die als „willige Schergen“ durch Initiierung einer Konkurrenzliste diesen Plan umsetzen, dass angebliche Drohen mit Repressalien, der ironische „Glückwunsch“ an einen Mr. Ke bzw. Ke, der in den Augen von A als Mitglied der Geschäftsleitung offenbar einer der „Drahtzieher“ dieses Vorgangs ist, der Verweis mit dem entsprechenden Wortspiel auf die „prominente“ H Firma im zweiten Post sowie der dort ebenfalls zu findende, nur wenig versteckte Hinweis auf die Liste „Pro Belegschaft — IG Metall“) lassen keinen anderen Schluss zu, dass das mit den Beleidigungen („Schergen“) und Unterstellungen (unzulässige Beeinflussung der Betriebsratswahl) die Initiatoren der Liste 1 bzw. die Geschäftsleitung gemeint sind. Der pauschale Verweis auf einen angeblichen Fall beim G ist ganz offenbar nur eine Schutzbehauptung.
Abgesehen davon sprechen gegen diese von A geschilderte Version auch eine Reihe weiterer Facebook Posts von A, welche B ebenfalls vertraulich von einem Mitarbeiter erhielt und am Nachmittag des 13. April 2022 an X weiterleitete. Die Screenshots dieser Posts sind als Anlage 5 beigefügt. Auf den Wortlaut wird zur Vermeidung von Wiederholungen vollumfänglich verwiesen. Aus diesen Screenshots wird deutlich, dass A regelmäßig das Wortspiel „prominentes H Unternehmen“ bzw. Abwandlungen hiervon verwendet, um auf die Firma P zu verweisen. In den Posts vom 18./19. Januar 2022 spielt A z.B. offenkundig auf den am 17. Januar 2022 erfolgten Aushang von U zur anstehenden Betriebsratswahl an. In dem Post vom 5. Februar 2022, in dem es um Vorkommnisse in China geht, spielt A offenbar auf unser Tochterunternehmen in China an. In weiteren Posts vom 21. März 2022, 31. März 2022 und 1. April 2022 wird zudem ausdrücklich eine Person namens „Xo“ erwähnt. Offenkundig handelt es sich hierbei um den Geschäftsführer X, mit dem A bekanntermaßen verschiedene persönliche Auseinandersetzungen hatte. Ganz deutlich wird der Zusammenhang durch den Post vom 21 März 2022, in dem es heißt: „Betriebsräte eines prominenten Unternehmens in H sind gerade von einem der größten BR-Mobber als Schlange tituliert worden. Armer Xo, wir befinden uns schon bald im Strafrecht!!! An jenem 21. März 2022 hatte X tatsächlich ein Gespräch mit dem Betriebsratsmitglied Frau … geführt, in welchem das Wort „Schlange“ fiel – freilich nicht als Beleidigung von X gegenüber Frau …, sondern als Hinweis, dass andere Personen Frau … seines Wissens nach bereits mit dieser Bezeichnung belegt hätten. Der Zusammenhang Xo = X und prominentes H Unternehmen = P ist somit offenkundig.
Die Entlastungsversuche von A verfangen nicht und vermögen den gegen ihn bestehenden dringenden Verdacht nicht zu beseitigen…“
Bezüglich der in der Betriebsratsanhörung erwähnten Anlage 5 wird auf Aktenblatt 184 ff. Bezug genommen.
Der Betriebsrat hat zu der Betriebsratsanhörung zur Verdachtskündigung am 25.04.2022 die Stellungnahme abgegeben, dass die Zustimmung nicht erteilt wird.
Am 22. April 2022 übergab die Beklagte der Schwerbehindertenvertretung in Person ihrer Vertrauensperson ein Unterrichtungs- und Anhörungsschreiben zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung. Die Schwerbehindertenvertretung widersprach der beabsichtigten Kündigung.
Am 25. April 2022 wurde unter Bezugnahme auf den im Antrag vom 20. April 2022 dargestellten Sachverhalt ein Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung als Verdachtskündigung beim Integrationsamt gestellt. Am 26. April 2022 bestätigte das zuständige Integrationsamt den Eingang des Antrags am 25. April 2022. Am 10. Mai 2022 hat das Integrationsamt bestätigt, dass die Zustimmung zur außerordentlichen Verdachtskündigung nach § 174 Abs. 3 SGB IX als erteilt gilt.
Am 09. Juni 2022 trat der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende und am 13. Juni 2022 trat der Betriebsratsvorsitzende aus dem Betriebsrat zurück. Hierdurch rückten zwei Betriebsratsmitglieder (beide Liste 1) in den Betriebsrat nach.
Am 15. Juni 2022 wurden zwei Betriebsratsmitglieder zum neuen Betriebsratsvorsitzenden und zum neuen stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden gewählt. An diesem Tag sollte der Betriebsrat auf Antrag der Beklagten erneut über das Kündigungsbegehren des Arbeitgebers bezüglich der Tat- und der Verdachtskündigung abstimmen. Der Betriebsrat beschloss jedoch, sich aufgrund der unveränderten Sachlage nicht erneut mit den Anträgen zu befassen.
In der Akte befindet sich als Anlage die Wiedergabe einer E-Mail vom Betriebsrat an den X, gesendet am 28. Juli 2022 11:22 Uhr, betreffend “Mitteilung der Beschlüsse im Fall A“ mit folgendem Text:
„Sehr geehrter X, hiermit teile ich Ihnen mit, dass der Betriebsrat in seiner Sitzung vom 27.07.2022 den folgenden beiden Beschlüssen zugestimmt hat:
a) Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen und fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung gem. §103 Abs. 1 BetrVG von A. Der Betriebsrat stimmt in seiner Sitzung vom 27.07.2022, mit der Beschluss Nr.: 2022_BR_1161, dem Antrag des Arbeitgebers: Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen und fristlosen, verhaltensbedingten Verdachts-Kündigung gem. §103 Abs. 1 BetrVG von A nach §103 BetrVG zu.
b) Antrag auf Zustimmung zur einer weiteren außerordentlichen und fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung gem. §103 Abs. 1 BetrVG von A. Der Betriebsrat stimmt in seiner Sitzung vom 27.07.2022, mit der Beschluss Nr.: 2022_BR_1162, dem Antrag des Arbeitgebers: Antrag auf Zustimmung zur außerordentlichen und fristlosen, verhaltensbedingten Kündigung gem. §103 Abs. 1 BetrVG von A nach §103 BetrVG zu.
Vielen Dank.
Mit freundlichen Grüßen / Best regards
…
Stellv. Betriebsratsvorsitzender“
Die entsprechenden Anträge der Beklagten zur Sitzung des Betriebsrates am 27. Juli 2022 enthielten keine Ausführungen zum Kündigungssachverhalt (vgl. Aktenblatt 292).
Am 12. August 2022 trat der Betriebsratsvorsitzende aus den Betriebsrat zurück, was zum Nachrücken eines weiteren Mitglieds der Liste 1 in den Betriebsrat führte. Hierauf wurde am 24. August 2022 eine neue Betriebsratsvorsitzende gewählt.
Die Beklagte hat das Arbeitsverhältnis mit Schreiben ohne Datum, zugegangen beim Kläger am 28. Juli 2027, außerordentlich und fristlos gekündigt und im Kündigungsschreiben die Kündigung als Tat- und als Verdachtskündigung ausgesprochen.
Am 20. April 2022 wurde ein Antrag auf Ersetzung der Zustimmung gemäß § 103 BetrVG beim Arbeitsgericht Mannheim gestellt, welcher durch Antrag vom 26. April 2022 erweitert wurde (14 Bv 2/22). Das Verfahren wurde von der Arbeitgeberin und dem Betriebsrat für erledigt erklärt, der beteiligte Arbeitnehmer widersprach der Erledigungserklärung. Im Termin zur Anhörung vor der Kammer wurde das Ruhen des Verfahrens angeordnet.
Mit seiner bei Gericht am 5. August 2022 eingegangenen Klage wendet der Kläger sich gegen die ausgesprochene Kündigung seines Arbeitsverhältnisses und begehrt hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Bestandsschutzanträgen Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als ….
Der Kläger bestreitet unter anderem, dass ein wichtiger Grund für die außerordentliche Kündigung vorliegt sowie dass die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt ist. Auch bestreitet er die ordnungsgemäße Anhörung und Zustimmung des Integrationsamtes als auch des Betriebsrates und die ordnungsgemäße Anhörung der Schwerbehindertenvertretung.
Der Kläger führt aus, als ordentliche Kündigungen, sollte eine Umdeutung überhaupt möglich sein, würden die streitgegenständlichen Kündigungen gegen § 15 Abs. 1, 4 und 5 KSchG und § 4 Ziffer 4.4. des Manteltarifvertrages für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden verstoßen.
Der Kläger ist der Auffassung, dass der Vortrag der Beklagten zum Inhalt und den Umständen der Facebook-Posts einem Sachvortragsverwertungsverbot unterliegen würden, dies gelte auch bezüglich der weiteren durch die Beklagte in das Verfahren eingeführten Facebook-Posts.
Facebook-Posts des privaten Facebook-Accounts, die nur für einen durch den Postenden selbst festgelegten Freundes-/Adressatenkreis bestimmt und einsehbar seien, würden ferner dem Fernmeldegeheimnis gemäß Art. 10 GG und § 3 TTDSG unterliegen.
Da die Beklagte sich weigere, den Namen des Mitarbeiters offenzulegen, welcher am 6. April dem IT-Leiter die Screenshots gegeben habe, werde der diesbezügliche Vortrag, auch bezüglich der Vertraulichkeitszusage, bestritten ebenso wie die Weiterleitung an X. Diesbezüglich sei noch darauf aufmerksam zu machen, dass für die streitgegenständlichen Facebook-Posts keine Volltextsuche vorhanden sei und der Kläger täglich ca. 5 bis 10 Posts zu allen möglichen privaten und politischen Themen tätige. Es müsse jemand schon gezielt seinen Facebook-Account nach Posts durchforstet haben, die man auf die Beklagte beziehen könne. Diese Punkte legten nahe, dass der Facebook-Account des Klägers systematisch überwacht worden sei. Wenn nun aber ein Mitarbeiter der Beklagten technische Schutzvorrichtungen des Facebook-Accounts des Klägers überwunden hätte, um die Posts lesen zu können, oder durch die Beklagte gezielt zum Ausspähen des Facebook-Accounts des Klägers abgestellt worden wäre, um belastendes Material zu sammeln, würden die Posts offenkundig einem Sachvortragsverwertungsverbot unterliegen.
Der zweite Post sei dem Betriebsrat und der Schwerbehindertenvertretung nur unvollständig vorgelegt worden. Den vollständigen Post füge der Kläger in der Anlage K 7 bei. Aus dem vollständigen Post ergebe sich, dass er sich nicht auf die Beklagte, sondern auf einen durch die Firma M eingeführten Messenger-Dienst beziehe. Dieser entlastende Umstand sei verschwiegen worden.
Darüber hinaus werde suggeriert, dass die Posts zeitlich in der Reihenfolge erfolgt seien, in der sie dem Betriebsrat vorgelegt worden seien. Richtigerweise sei der Post „Könnte auch bei einer prominente h Firma passieren, (…)“ am 06. April 2022 um ca. 01:30 Uhr und der Post „Wie spaltet man Belegschaften? (…)“ am 06. April 2022 um ca. 09:30 Uhr erfolgt. Dies werde auch durch den durch die Beklagte vorgelegten Ausdruck bestätigt. Dort werde ausgewiesen, dass der Post „Könnte auch bei einer prominenten h Firma passieren, (…)“ im Zeitpunkt des Screenshots 10 Stunden online gewesen sei und der Post „Wie spaltet man Belegschaften?“ zu diesem Zeitpunkt zwei Stunden online gewesen sei.
Der Kläger bestreitet, dass der Betriebsrat zu den streitgegenständlichen Kündigungen seine Zustimmung erteilt hat. Die nunmehr durch die Beklagte vorgelegten Beschlüsse würden nicht hinreichend erkennen lassen, dass sie sich auf die streitgegenständlichen Kündigungen beziehen. Es sei nicht erkennbar, ob die streitgegenständlichen Kündigungen gemeint seien oder ein anderer Kündigungssachverhalt angesprochen sei. Für eine die verfahrensgegenständlichen Kündigungen erfassenden Beschluss sei zu erwarten gewesen, dass die Beschlüsse vom 14. April 2022 und vom 25. April 2022 in Bezug genommen und abgeändert werden oder dass in den Beschlüssen auf das eingeleitete Beschlussverfahren Bezug genommen werde.
Weiter habe die Beklagte bislang zu Unrecht nicht das Protokoll der Betriebsratssitzung vom 27. Juli 2022 vorgelegt. Der Arbeitgeber könne sich nicht auf eine Anscheinsvollmacht berufen, wenn sich der Betriebsratsvorsitzende ihm gegenüber auf eine Beschlussfassung des Betriebsrats berufe. Vielmehr müsse der Arbeitgeber sich das Protokoll der Betriebsratssitzung vorlegen lassen. Die Sphärentheorie finde auf eine Zustimmung des Betriebsrats gemäß § 103 BetrVG keine Anwendung. Vielmehr müsse die Beklagte die wirksame Beschlussfassung des Betriebsrats vollständig darlegen und beweisen.
Weiter sei zu beachten, dass der Betriebsrat, wenn der Vortrag der Beklagten zutreffend sein sollte, insgesamt sechs Mal über das Kündigungsbegehren der Beklagten abgestimmt habe. Vor jedem neuen Anlauf der Beklagten habe sich zudem nicht etwa eine neue Sachlage ergeben, sondern es sei durch Rücktritte und Erkrankungen zu einer Veränderung der personellen Zusammensetzung des Betriebsrats gekommen.
In der Sitzung am 27. Juli 2022, an dem sich der Betriebsrat erneut mit den Kündigungsbegehren der Beklagten befasst haben solle, sei auch der Betriebsratsvorsitzende angeblich wegen Erkrankung nicht anwesend gewesen.
Bezüglich der beiden Posts führt der Kläger u.a. weiter aus, der erste Post beziehe sich auf einen durch die Firma M eingeführten Messenger-Dienst. Die Beklagte sei mit 600 Arbeitnehmern kein prominentes h Unternehmen. Prominente h Unternehmen seien beispielsweise die … oder die …. Der zeitlich zweite Post beschreibe allgemein ein zunehmend verbreitetes Vorgehen von Geschäftsleitungen gegen Betriebsräte, die ihre Mitbestimmungsrechte im Interesse der Belegschaft wahrnehmen würden und beziehe sich weder auf die Beklagte noch auf Herrn Ke. Anlass für diesen Post sei der Fall der Firma G (G), mit dem sich der Kläger im Rahmen seiner außerbetrieblichen politischen Arbeit kurz zuvor beschäftigt habe. April 2022 sei im Rahmen der Betriebsratswahlen dort von Seiten der Geschäftsleitung betriebsöffentlich dazu aufgerufen worden, den bisherigen Betriebsratsvorsitzenden im Interesse des Erhalts des Standorts nicht mehr zu wählen.
„Mr. Ke“ (dies sei ein Schreibfehler) bzw. „Mister Ka“ sei eine Figur aus der Nickelodeon-Serie Spongebob und der Spitzname, mit dem der Kläger einen Facebook Freund, mit dem er sich ausgetauscht habe, tituliere. Darüber hinaus solle Mr. Ke zustimmend auf das Werturteil des Klägers reagieren, wonach das beschriebene Verhalten verachtenswert sei. Dies ergebe keinen Sinn, wenn „Mr. Ke“ im Lager der Schergen stünde.
Die Beklagte stelle den Bezug zu ihr allein aufgrund des zeitlichen Zusammenhangs mit dem Ausgang der bei ihr am 05. April 2022 durchgeführten Betriebsratswahl, der Beeinflussung dieser Betriebsratswahl durch einen Aushang der Geschäftsleitung der Beklagten im Januar 2022 sowie der Tatsache her, dass bei ihr ein Herr Ke beschäftigt sei. Herr Ke sei allerdings nicht Teil der Geschäftsleitung der Beklagten und habe auch nicht zum Betriebsrat kandidiert. Eine Geschäftsleitung im Sinne einer erweiterten Geschäftsführung gebe es bei der Beklagten nicht. Die Deutungen im Sinne der Beklagten setzten voraus, dass die entsprechenden Umstände den Empfängern der Posts bekannt gewesen seien. Hierfür trage die Beklagte jedoch die Darlegungs- und Beweislast. Die Beklagte möge daher zunächst darlegen, welche Empfänger der Posts diese Umstände gekannt hätten. Selbst bei Kenntnis dieser Umstände seien die Äußerungen des Klägers nicht eindeutig auf die Beklagte beziehbar. So werde ein allgemeines Vorgehen zur Spaltung von Belegschaften beschrieben, das in zahlreichen Betrieben vorkomme. Darüber hinaus habe der Aufruf der Geschäftsleitung der Beklagten bereits im Januar 2022 stattgefunden.
Soweit die Beklagte durch weitere Posts zu belegen versuche, dass der Kläger, immer wenn er von einem prominenten H Unternehmen spreche bzw. hierüber poste, die Beklagte meine, fehlten auch hier jegliche Darlegungen, dass dies auch für die Empfänger der Posts erkennbar gewesen sei, die weiteren Posts auch durch die Leser der streitgegenständlichen Posts gelesen worden seien und sie sich an den Inhalt der weiteren Posts erinnern würden. Der vorgelegte Post vom 31. März 2022 widerlege dies zudem. Darin werde auf einen Dokumentarfilm (ZDF-Zoom: Das Recht des Stärkeren) über ein prominentes H Unternehmen (… in H) verwiesen, mit dem offenkundig nicht die Beklagte gemeint sei. Zwischen diesem Post und den Posts vom 06. April 2022 hätten zudem zwischen 25 und 50 weitere Posts des Klägers zu allen möglichen privaten und politischen Themen gelegen.
Die Posts seien zwar abwertend, stellten aber keinen Angriff auf die Menschenwürde, eine Formalbeleidigung oder eine Schmähung dar, da der Sachbezug im Vordergrund stehe. Es werde das konkrete Verhalten der Schergen, die als Handlanger der Geschäftsleitung eine Spaltung der Belegschaft herbeiführten, um die Ausübung der Mitbestimmungsrechte der Arbeitnehmerseite im Betrieb zu erschweren, als verachtenswert kritisiert. Mit ihrem Thema der Bekämpfung der betrieblichen Mitbestimmung durch die Arbeitgeberseite stellten sie zudem einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung dar. Die Posts stellten einen Beitrag zur Machtkritik im Betrieb, nämlich des Umgangs des Arbeitgebers mit der betrieblichen Mitbestimmung, dar. Auch habe der Kläger nicht damit rechnen müssen, dass die Beklagte von den Posts überhaupt Kenntnis erlange.
Zu berücksichtigen sei auch, dass die nicht öffentlichen Äußerungen des Klägers nicht am Arbeitsplatz oder im Zusammenhang mit der dienstlichen Tätigkeit des Klägers getätigt worden seien, sondern sie Teil seiner privaten Kommunikation gewesen seien. Der Post „Wie spaltet man Belegschaften? (…)“ sei zudem bereits am 06. April 2022 um ca. 13:00 Uhr und der Post „Könnte auch bei einer prominenten H Firma passieren. (…)“ am 13. April 2022 unmittelbar nach der Anhörung durch die Beklagte zu diesen Posts entfernt worden.
Soweit behauptet werde, dass es sich bei den Facebook-Freunden des Klägers um eine größere Anzahl von Personen handele, werde dies bestritten. Ebenso werde bestritten, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Beklagten Zugriff auf die Posts hatten. Dies könne der Kläger anhand seines Facebook-Accounts nicht nachvollziehen.
Letztlich hätten von den Äußerungen des Klägers ohne die Einleitung des vorliegenden Verfahrens, den Vortrag der Beklagten als wahr unterstellt, nur drei Mitarbeiter der Beklagten Kenntnis erlangt.
Bei der Interessenabwägung sei zugunsten des Klägers nicht nur sein Alter, seine Unterhaltspflichten, seine Schwerbehinderung und das langjährige absolut störungsfrei verlaufende Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen, sondern auch, dass er als Betriebsratsvorsitzender seit 2017 unter dem erheblichen Druck der Geschäftsleitung bis hin zur Androhung einer Kündigung wegen seiner Betriebsratsarbeit gestanden habe sowie dass die Geschäftsleitung im Rahmen der Betriebsratswahlen offen Partei gegen den Kläger ergriffen habe.
In der Einigungsstellensitzung am 09. September 2021 habe die Beklagte gegenüber dem Kläger und seinem Stellvertreter mit der Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses gedroht.
Im Aushang des Betriebsrates vom 8. September 2021 seien keine falschen Behauptungen aufgestellt worden. Es sei unter der Leitung von dem Geschäftsführer X zu verschiedenen Verstößen gegen Gesetze, Tarifverträge und Betriebsvereinbarungen gekommen. Bezug genommen wird auf den Vortrag des Klägers Aktenblatt 327.
Mit dem Aushang Mitte Januar 2022 habe die Geschäftsführung nicht nur betriebsöffentlich zur Abwahl des amtierenden Betriebsrats aufgerufen, sondern am Schluss ihres Aufrufs bei einer falschen Wahlentscheidung der Belegschaft sogar die Zukunft des Standorts infrage gestellt.
Zugunsten des Klägers sei ferner zu berücksichtigen, dass er sich unmittelbar, nachdem er davon erfahren habe, dass die Beklagte von den Posts Kenntnis erlangt habe, diese, soweit dies nicht bereits zuvor schon geschehen sei, gelöscht und sich für eventuelle Missverständnisse entschuldigt habe.
Der Kläger beantragt:
1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben der Beklagten ohne Datum, dem Kläger am 28. Juli 2022 zugegangen, ausgesprochene Kündigung weder außerordentlich fristlos, noch außerordentlich mit sozialer Auslauffrist, noch ordentlich aufgelöst ist;
2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben der Beklagten ohne Datum, dem Kläger am 28. Juli 2022 zugegangen, ausgesprochene Tatkündigung weder außerordentlich fristlos, noch außerordentlich mit sozialer Auslauffrist, noch ordentlich aufgelöst ist;
3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die mit Schreiben der Beklagten ohne Datum, dem Kläger am 28. Juli 2022 zugegangen, ausgesprochene Verdachtskündigung weder außerordentlich fristlos, noch außerordentlich mit sozialer Auslauffrist, noch ordentlich aufgelöst ist;
4. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1.) bis 3.), die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits als … zu den bisherigen Bedingungen zu beschäftigen.
Die Beklagte beantragt: Klagabweisung.
Die Beklagte beruft sich darauf, dass die streitgegenständliche Kündigung bereits als Tatkündigung wirksam sei.
Es sei offensichtlich, dass sich die Vorwürfe auf die Betriebsratswahl bei der Beklagten beziehen würden.
Hierfür würden auch die weiteren Facebook-Posts sprechen, die B ebenfalls vertraulich von einem Mitarbeiter erhalten habe und am Nachmittag des 13. April 2022 an X weitergeleitet habe.
Auch sei zu berücksichtigen, dass zumindest der Mehrzahl der mit dem Kläger über Facebook verbundenen „Freunde“, die die Posts erhalten hätten, sicher bekannt gewesen sei, dass der Kläger bei der Beklagten beschäftigt gewesen sei und dass diese die Bezeichnung „prominentes H Unternehmern“ somit selbstredend sofort und unschwer mit der Beklagten in Zusammenhang gebracht hätten. Da der Kläger zum Zeitpunkt des Abfassens der Posts bereits seit mehr als 20 Jahren bei der Beklagten beschäftigt und seit mehreren Jahren Betriebsratsvorsitzender gewesen sei, sei davon auszugehen, dass auch zahlreiche aktive und ehemalige Mitarbeiter der Beklagten zum Freundeskreis des Klägers auf Facebook gehörten. Anders wäre auch nicht zu erklären, wieso der Kläger ersichtlich eine Vielzahl von Posts mit Bezug zu der Beklagten abgefasst habe. Aus den vorzitierten Posts ergebe sich ferner, dass der Kläger das Thema Betriebsratswahl und den Umstand, dass die Beklagte aus Sicht des Klägers versuche, einen geschäftsleitungstreuen Betriebsrat zu installieren, immer wieder in seinen Posts thematisiert habe. Das verdeutliche noch einmal mehr, dass sich der Post vom 06. April ersichtlich auf die Beklagte und nicht auf die Firma G, ein … in …, bezögen.
Die zeitliche Reihenfolge der Posts sei irrelevant.
Die Kündigung werde ferner auf den dringenden Verdacht gestützt, dass der Kläger die bezüglich der Tatkündigung beschriebenen Äußerungen getätigt habe. Bereits dieser Verdacht, welcher sich auch u.a. durch die ordnungsgemäße Anhörung des Klägers nicht ausräumen habe lassen, habe jegliche Grundlage für eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zerstört.
Herr Ke, der in einem der Posts genannt sei, sei als Leiter Operations entgegen der Auffassung des Klägers selbstredend Teil der Geschäftsleitung. Vermutlich verwechsele der Kläger hier Geschäftsführung und Geschäftsleitung.
Die Arbeitgeberin führt aus, dass die Bezeichnung als Scherge eine massive Herabwürdigung und Beleidigung der Personen darstelle. Es sei unterstellt worden, dass es eine Liste der Geschäftsleitung gebe und dass mit Repressalien gedroht worden sei, womit offenkundig die Arbeitgeberin gemeint sei. Nicht nur dass diese Behauptung falsch seien, es werde damit auch der Vorwurf eines strafbaren Verhaltens, der Beeinflussung einer Betriebsratswahl durch Androhung von Nachteilen gemäß § 119 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG gemacht. Auch gebe es kaum eine stärkere Herabwürdigung anderer Menschen als mit der Bezeichnung als verachtenswerte Kreaturen. Es handle sich dabei nicht um eine von der Meinungsfreiheit gedeckte Äußerung, weshalb es auch keiner Rechtsgüterabwägung bedürfe. Denn diese entfalle, wie hier, bei einer Schmähkritik, einer Formalbeleidigung oder eine die Menschenwürde antastenden Äußerung.
Ein Sachvortragsverwertungsverbot bestehe nicht. Eine relevante Verletzung des Persönlichkeitsrechts des Klägers scheide schon deshalb aus, weil dieser die entsprechenden Äußerungen völlig freiwillig und für alle seiner Kontakte („Freunde“) auf Facebook frei einsehbar getätigt habe. Deshalb könne mit Äußerungen, die in einem derart weiten Forum getätigt werden, auch keine einem persönlichen Gespräch im privaten Kreis vergleichbare Vertraulichkeitserwartung einhergehen. Die Äußerungen seien durch das Kommunizieren innerhalb der Gruppe der „Freunde“ des Klägers bei Facebook und damit insoweit öffentlich erfolgt. Zudem habe der Kläger damit rechnen müssen, dass seine Aussagen den Weg in die breitere Öffentlichkeit finden und dort ggf. unternehmensschädigend wirken. Anhaltspunkte dafür, dass die Kenntnis von diesen Posts auf unrechtsmäßige Art und Weise erlangt worden seien, seien nicht ersichtlich. Die Vermutung des Klägers, ein Mitarbeiter der Beklagten habe technische Schutzvorrichtungen des Facebook-Accounts des Klägers überwunden, um die Posts lesen zu können oder sei durch die Beklagte gezielt zum Ausspähen des Facebook-Accounts des Klägers abgestellt worden, um belastendes Material zu sammeln, sei eine reine Behauptung ins Blaue hinein, die jeglicher Grundlage entbehre.
Ein Sachvortragsverwertungsverbot ergebe sich vorliegend auch nicht aus einem vermeintlichen Verstoß gegen das Fernmeldegeheimnis. Der Schutzbereich des Fernmeldegeheimnisses betreffe ausschließlich die laufende Kommunikation. Er ende in dem Moment, in dem die Information beim Empfänger endgültig angekommen und der Übertragungsvorgang beendet sei, da ab diesem Zeitpunkt die alleinige Zugriffsgewalt beim Empfänger liege.
Dem Kläger sei in der Einigungsstellensitzung am 09. September 2021 nicht mit der Kündigung gedroht worden. Vielmehr habe der Geschäftsführer X den Kläger als Vorsitzenden des Betriebsrats wegen eines Aushangs des Betriebsrats vom Vortag (8. September 2021) zur Rede gestellt. In diesem Aushang sei der Geschäftsführer der Beklagten, X, vom Betriebsrat persönlich bezichtigt worden, angeblich grobe Verstöße und Verletzungen von Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu begehen, ohne dies in irgendeiner Weise zu untermauern. Derartige schwerwiegende, persönliche und öffentlich geäußerte Vorwürfe, sofern sie nicht auf Tatsachen basierten, könnten strafbar sein (§ 186 StGB – Üble Nachrede) und, sofern der Kläger Urheber dieser Äußerungen gewesen sei, auch zur außerordentlichen Kündigung des Arbeitsverhältnisses berechtigen. Nichts anderes habe X zum Ausdruck gebracht, als er den Kläger während der Sitzung der Einigungsstelle zur Rede gestellt habe und ihn aufgefordert habe, die angeblich von ihm begangenen groben Verstöße und Verletzungen von Gesetzen, Tarifverträgen und Betriebsvereinbarungen zu benennen.
Der Betriebsrat habe die Zustimmung zur Kündigung ordnungsgemäß erteilt. Der Kläger trage nicht konkret vor, aus welchen Gründen der Beschluss des Betriebsrates mit der Erteilung der Zustimmung unwirksam sein solle. Eine Unwirksamkeit folge insbesondere nicht aus dem zwischenzeitlich erfolgten personellen Wechsel im Betriebsrat. Unerheblich sei auch der Umstand, dass die Beklagte den Betriebsrat mehrfach um Zustimmung zu der beabsichtigten Kündigung gebeten habe.
Da die Beklagte zu keiner Zeit behauptet habe, dass sich inhaltlich etwas an den Gründen für die beabsichtigte Kündigung geändert habe, sei der Betriebsrat als Gremium unstreitig ordnungsgemäß unterrichtet worden. Dem Betriebsrat stehe es jederzeit frei, über einen zunächst abgelehnten Antrag nach § 103 BetrVG zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal zu entscheiden und nachträglich die Zustimmung noch zu erteilen. Die Beklagte habe den Betriebsrat auch zu keiner Zeit zu einer Kündigung des Klägers aus anderen als den streitgegenständlichen Gründen angehört. Somit habe sich die Zustimmung des Betriebsrats vom 27. Juli 2022 ersichtlich nur auf die streitgegenständliche Kündigung beziehen können. Die Beklagte sei auch nicht voll darlegungs- und beweispflichtig für die Rechtmäßigkeit des Betriebsratsbeschlusses. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes habe der Arbeitgeber nur im Fall des Abschlusses einer Betriebsvereinbarung einen Anspruch gegen den Betriebsrat auf Aushändigung eines Teils der Sitzungsniederschrift. Vorliegend liege der Beklagten das Protokoll der Sitzung des Betriebsrats vom 27. Juli 2022 auch nicht vor.
Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes dürfe der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des Vertrauensschutzes grundsätzlich auf die Wirksamkeit eines Zustimmungsbeschlusses nach § 103 BetrVG vertrauen, wenn ihm der Betriebsratsvorsitzende oder sein Vertreter mitteile, der Betriebsrat habe die beantragte Zustimmung erteilt. Das gelte nur dann nicht, wenn der Arbeitgeber die Tatsachen kenne oder kennen müsse, aus denen die Unwirksamkeit des Beschlusses folge. Eine Erkundigungspflicht des Arbeitgebers bestehe insoweit allerdings nicht. Dem Arbeitgeber ein weitergehendes Risiko aufzubürden, sei nach zutreffender Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes unbillig, weil er keine Möglichkeiten zur Überprüfung der Wirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses habe und haben solle und er andererseits wegen des Laufs der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB von den Tatsachen ausgehen müsse, die ihm zum Zeitpunkt der Kündigung bekannt seien. Es sei somit mitnichten so, dass die Beklagte die wirksame Beschlussfassung des Betriebsrats vollständig darlegen und beweisen müsse.
Vorliegend seien keine Anhaltspunkte für eine Unwirksamkeit des Betriebsratsbeschlusses ersichtlich. Eine ordnungsgemäße Zustimmung des Betriebsrats zu der streitgegenständlichen Kündigung liege somit vor.
Da sowohl dem Betriebsrat als auch der Schwerbehindertenvertretung das Anwaltsschreiben vom 20.04.2022 nebst Anlage, d.h. nebst dem vollständigen Post, im Zusammenhang mit der Anhörung zu der Verdachtskündigung vorgelegt worden seien, treffe die Behauptung, dass die Beklagte den 2. Post dem Betriebsrat nicht vollständig vorgelegt habe, nicht zu. Auch ändere der vollständige Inhalt des Posts nichts an dem streitgegenständlichen Vorwurf. Der Verweis auf die vermeintlichen Praktiken bei M (Entwicklung eines Messengers für die firmeninterne Kommunikation, der einen Wortfilter enthalte, mit dem Worte wie „Gewerkschaft“ und Toilette“ blockiert werden sollten) sei nicht geeignet, die Herabwürdigung der Betriebsratsmitglieder der Liste 1 („ProP“) zu rechtfertigen. Vielmehr mache der Gesamttext den Vorwurf im Ergebnis nur noch schlimmer, da der Kläger damit unterstelle, dass diese „Schergen“ vergleichbare verwerfliche Praktiken der Beklagten dulden würden. Der Hinweis auf die Praktiken bei M diene erkennbar nur dazu, den Bezug zu der Beklagten herzustellen und deutlich zu machen, was auch bei der Beklagten nach der Betriebsratswahl zu befürchten sei.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Protokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
A.
Der Kläger möchte festgestellt haben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung ohne Datum, zugegangen am 28. Juli 2022 nicht aufgelöst wurde – weder fristlos noch außerordentlich mit sozialer Auslauffrist noch ordentlich und weder als Tat- noch als Verdachtskündigung. Die Klaganträge sind dahingehend auszulegen, dass er festgestellt haben möchte, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung, die mit einem Schreiben ausgesprochen wurde, insgesamt nicht aufgelöst wurde oder werden wird.
1. Tatkündigung – fristloser Kündigungsgrund?
1.1. Allgemeines
Die von der Beklagten ausgesprochene fristlose Kündigung ist unwirksam, weil kein eine fristlose Kündigung rechtfertigender wichtiger Grund vorliegt.
Ein wichtiger Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen. Obwohl eine ordentliche Kündigung eines Betriebsratsmitglieds gem. § 15 Kündigungsschutzgesetz grundsätzlich ausgeschlossen ist, ist maßgebend, ob dem Arbeitgeber eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist, die für eine ordentliche Kündigung gelten würde, unzumutbar ist (BAG 17.1.2008 – 2 AZR 821/06). Dadurch wird eine § 78 BetrVG widersprechende Benachteiligung des geschützten Personenkreises ausgeschlossen und der volle Schutz des § 15 I Kündigungsschutzgesetz gewährleistet. Ist eine Beschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung insgesamt unwirksam (BAG, Urt. v. 21. 6. 2012 – 2 AZR 343/11). Die fiktive ordentliche Kündigungsfrist beträgt aufgrund des vorliegend anwendbaren Manteltarifvertrages der Beschäftigten Nordwürttemberg/Nordbaden Z. 4.5.2 sechs Monate zum Schluss eines Kalendervierteljahres, d. h. vorliegend der 31. März 2023.
Eine außerordentliche verhaltensbedingte Kündigung setzt einen Verstoß gegen arbeitsvertragliche Pflichten voraus, der grundsätzlich geeignet ist, einen verhaltensbedingten Kündigungsgrund darzustellen. Weiterhin ist zu prüfen, ob eine außerordentliche Kündigung im konkreten Einzelfall unter Berücksichtigung aller Umstände und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen angemessen ist, wobei es auf das Gewicht der zu Gunsten des Kündigenden sprechenden Umstände ankommt, ob eine außerordentliche oder „nur“ eine ordentliche Kündigung berechtigt wäre.
Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmtes Verhalten „an sich geeignet ist“, eine außerordentliche Kündigung zu begründen und sodann, ob eine Kündigung im Einzelfall begründet ist unter Berücksichtigung einer Interessenabwägung.
Eine außerordentliche Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen kann grundsätzlich wegen einer vertragswidrigen Verhaltensweise des Arbeitnehmers ausgesprochen werden, wenn hierdurch das Arbeitsverhältnis der Parteien konkret beeinträchtigt wird und auch von einer künftigen Störung auszugehen ist. Die Kündigung muss auch verhältnismäßig sein.
1.2. Konkreter Kündigungssachverhalt
a. Die Kammer ist der Überzeugung, dass die beiden streitgegenständlichen Facebook- Posts die Beklagte und die dort stattgefundene Betriebsratswahl betroffen haben, sodass die Kündigung grundsätzlich als Tatkündigung in Betracht kommt.
Für die Ermittlung des Aussagegehalts einer schriftlichen Äußerung ist darauf abzustellen, wie sie vom Empfänger verstanden werden muss. Dabei ist eine isolierte Betrachtung eines umstrittenen Äußerungsteils regelmäßig nicht ausreichend. Vielmehr sind der sprachliche Kontext und die sonstigen erkennbaren Begleitumstände zu berücksichtigen (BAG 7. Juli 2011 – 2 AZR 355/10 – BAGE 138, 312). Maßgeblich für die Deutung einer Äußerung ist weder die subjektive Absicht des sich Äußernden noch das subjektive Verständnis des von ihr Betroffenen, sondern der Sinn, den sie nach dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums hat (BVerfG 25. Oktober 2012 – 1 BvR 901/11). Adressaten der Posts waren die Facebook-Freunde des Klägers.
Am 5. April 2022 fand die Betriebsratswahl statt. Nach Angabe des Klägers stammt der erste Post vom 6. April ca. um 1:30 Uhr mit dem Text „könnte auch bei einer prominenten h Firma passieren, die dank ihrer neuen Schergen im Betriebsrat auch nicht mehr auf die Pro Belegschaft Mitbestimmung achten“. Diese zeitliche Reihenfolge ist nachvollziehbar, da dieser ausweislich des Screenshots 10 Stunden alt war, und es damit sich um den älteren Post handelt. Dies hat die Arbeitgeberin in der Betriebsratsanhörung auch so wiedergegeben, auch wenn sie dann offensichtlich verwechselt hat, welcher Post als erstes gepostet wurde. Hierin ist entgegen der Auffassung des Klägers keine bewusste Irreführung, sondern ein unbeabsichtigtes Vertauschen zu sehen. Auch hat die Reihenfolge der Posts keinen Einfluss auf den Aussagegehalt des Inhalts und den Kündigungsgrund.
Der Bezug zum Unternehmen der Beklagten und den dortigen Wahlvorgängen ist unmissverständlich zu erkennen. So wird durch das Wortspiel prominente H Firma verdeutlicht, dass die Arbeitgeberin P gemeint ist. Es überzeugt nicht, wenn der Kläger ausführt, „P“ sei kein prominentes Unternehmen bereits aufgrund der Betriebsgröße. Die weitere Formulierung „pro Belegschaft“ entspricht exakt dem Namen der Liste zwei (Pro Belegschaft IG-Metall), der der Kläger angehörte und die in der Betriebsratswahl knapp unterlegen ist. Hieran ändert es auch nichts, wenn bei dem 1. Post anschließend Ausführungen zu M folgen – hierin zeigt sich nur, dass auch Vorgänge bei M kritisiert werden, wobei der Zusammenhang beider Äußerungen auch als Andeutung zu verstehen sein könnte, dass der Kläger entsprechende Praktiken bei der Beklagten nach der Betriebsratswahl befürchtet.
Der nach Angabe des Klägers spätere Post vom 6. April ca. 9:30 Uhr mit der Überschrift „Wie spaltet man Belegschaften“, bezieht sich offenkundig auch auf die am Vortag stattgefundene Betriebsratswahl bei der Arbeitgeberin. Hierin ist ausgeführt, dass man von der Geschäftsführung zur Listenwahl aufruft. Darin spiegelt sich die Äußerung der Geschäftsleitung der Beklagten im Aushang Januar 2022 wieder, worin ausgeführt wird: „Gründen Sie eine Kandidatenliste und kandidieren Sie auf einer solchen, unterstützen Sie Bewerber und Listen, denen sie vertrauen“. Des Weiteren ist in dem Post von zwei Gruppen die Rede – im Unternehmen der Beklagten kandidierten am 5. April zwei Listen, d. h. zwei Gruppen. Ferner ist in dem Post Herr Ke, und damit ersichtlich der Leiter Operations, eine Person, die bereits gemäß ihrer Funktionsbezeichnung Leitungsaufgaben bei der Arbeitgeberin wahrnimmt, namentlich genannt. Die Angabe des Klägers, dass dieser Post nur allgemein verbreitetes Vorgehen von Geschäftsleitungen gegen Betriebsräte betreffe, überzeugt angesichts vorstehender Übereinstimmungen mit dem Betrieb der Beklagten und der Betriebsratswahl nicht. Ebenso wenig wie die Angabe, dass Anlass für diesen Post gewesen sei ein Fall der Firma G (G), mit dem sich der Kläger im Rahmen seiner außerbetrieblichen politischen Arbeit kurz zuvor beschäftigt habe. Zwar hat der Kläger zuletzt konkretisiert, dass Anlass des Posts die April 2022 beim G stattgefundene Betriebsratswahl gewesen sei, in der die Geschäftsleitung ebenfalls betriebsöffentlich dazu aufgerufen habe, den bisherigen Betriebsratsvorsitzenden im Interesse des Erhalts des Standorts nicht mehr zu wählen. Dies erklärt jedoch nicht, weshalb der Kläger in dem Post von dem Aufruf der Geschäftsleitung zur Listenwahl, einer Geschäftsleiterliste und von zwei Gruppen spricht und erwähnt, dass eine Umsetzung im Namen der Geschäftsleitung geschehen sei (woraufhin ironisch den Schergen gratuliert wird).
Es mag sein, dass „Mr. Ka“ eine Figur aus der Nickelodeon-Serie Spongebob und der Spitzname eines Freundes des Klägers ist. In dem Post ist jedoch nicht vom Mr. Ka, sondern von Mr. Ke die Rede, der entgegen der Auslegung des Klägers offensichtlich in ironischer Weise angesprochen wird („stimmt‘s Mr. Ke“), was gegen einen Schreibfehler durch den Kläger spricht.
Die Kammer ist der Überzeugung, dass es sich angesichts der genannten Umstände, Wortspiele und Andeutungen nicht um ein zufälliges Übereinstimmen handelt.
Von daher kommt es nicht mehr darauf an, ob die älteren von der Arbeitgeberin vorgelegten Posts (Anlage 5 zur Betriebsratsanhörung) gleichfalls die Arbeitgeberin betreffen. Die Beklagte hat ausweislich der Betriebsratsanhörung die Kündigung nicht auf den Inhalt dieser Posts gestützt, sondern sie nur zum Beleg dafür herangezogen, dass der Kläger regelmäßig das Wortspiel „prominentes H Unternehmen“ bzw. Abwandlungen hiervon verwendet, um auf die Firma P zu verweisen.
Auch muss entgegen der Auffassung des Klägers nicht die Arbeitgeberin darlegen, welche Empfänger die Posts und die vergleichbaren Umstände gekannt haben – hierzu ist sie aufgrund fehlender eigener Kenntnis gar nicht in der Lage. Es wäre vielmehr am Kläger gelegen, darzulegen, dass sich unter den Personen, die die Posts lesen konnten, keine oder nur wenige Mitarbeiter der Beklagten befunden haben und den weiteren Lesern nicht bekannt war, bei welcher Arbeitgeberin er beschäftigt ist und dass dort gerade eine Betriebsratswahl stattgefunden hat inklusive der vorliegenden Umstände.
b. Wichtiger Kündigungsgrund „an sich“
Die Äußerungen, mit denen der Kläger die Wahlkandidaten der konkurrierenden Liste und späteren Betriebsratsmitglieder belegt hat (Schergen, verachtenswerte Kreaturen) stellen aus Sicht der Kammer im Rahmen der nebenvertraglichen Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis aus § 241 Abs. 2 BGB unzulässige Beleidigungen dar.
Gemäß den Angaben im Duden handelt es sich bei einem Schergen um eine männliche Person, die unter Anwendung von Gewalt jemandes (besonders einer politischen Macht) Aufträge vollstreckt. Synonyme zu Scherge sind Büttel, Handlanger, Handlangerin, Helfershelfer.
Mit Verwendung des Begriffes Scherge wird offensichtlich den Mitgliedern der konkurrierenden Liste unterstellt, dass sie dem Aufruf der Arbeitgeberin zur Listenwahl gefolgt sind (vergleiche Post: „Wie spaltet man Belegschaften“) und ihre Tätigkeit am Interesse der Arbeitgeberin ausrichten statt im Sinne der Belegschaft („nicht mehr auf die Pro Belegschaft Mitbestimmung achten“).
Mit der Aussage „verachtenswerte Kreaturen, die dieses Spiel für sich und gegen die Kolleg*innen mitgehen“, sind offensichtlich gleichfalls die Mitglieder der konkurrierenden Liste gemeint (und nicht die Arbeitgeberin was sich in der Wortwahl „Kolleg*innen“ zeigt).
Nicht relevant – da zutreffend – ist die Äußerung, dass die Geschäftsleitung zur Listenwahl aufgerufen hat – in diesem Sinne sind die Ausführungen im Aushang von Januar 2022 der Geschäftsleitung tatsächlich auch zu verstehen.
Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin wird dieser jedoch kein unzulässiges und strafrechtliches Verhalten dahingehend unterstellt, dass sie die Betriebsratsarbeit behindert. Zwar ist in dem Post ausgeführt, dass man mit „Repressalien“ droht, sollte die „Gl Liste“ (damit ist offensichtlich die Liste gemeint, die im Einklang mit dem Aufruf der Arbeitgeberin neu gebildet wurde) nicht gewählt werden – konkrete Vorwürfe zu diesen Repressalien sind in dem Post jedoch nicht enthalten und damit auch nicht der Vorwurf, dass die Arbeitgeberin die Grenze zu einem unzulässigen und strafrechtlich relevanten Verhalten überschritten hat. Der Kläger hat im Verfahren die Äußerung der Geschäftsleitung “Machen Sie Ihr Kreuz mit dem Bewusstsein, eine wichtige Entscheidung für die zukünftige Entwicklung von P in einem harten Marktumfeld und unseres Stammsitzes in H auch nach über 60 Jahren zu treffen!“ als eine Infragestellung der Zukunft des Standorts bei einer falschen Wahlentscheidung der Belegschaft interpretiert – die im Post erwähnte „Androhung von Repressalien“ kann in diesem Sinne zu verstehen sein, sodass es sich auch ganz allgemein um sich ergebende Nachteile aus Sicht der Arbeitgeberin handeln kann, wenn man bei weiterer Wahl des bisherigen Betriebsrates sich auch künftig mehr „mit sich selbst“ beschäftige.
Auch stellte nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes etwa eine Aussage in einem Wahlaufruf zur Betriebsratswahl, der Arbeitgeber betreibe „Mobbing“, indem er auf der Grundlage erfundener Sachverhalte willkürliche Abmahnungen und Kündigungen ausspreche – auch wenn die Äußerung nicht zutrifft – keine unwahre Tatsachenbehauptung dar, sondern ein polemisches Werturteil. Dieses falle in den Schutzbereich des Art. 5 I GG und sei mit den Grundrechten – insbesondere Art. 12 I GG in ein angemessenes Verhältnis zu bringen (§ 127 Außerordentliche Kündigung Linck Schaub, Arbeitsrechts-Handbuch,19. Auflage 2021, RZ 85; BAG 29.8.2013 AP Nr. 70 zu § 9 KSchG 1969 = NZA 2014, 660).
Bei den Äußerungen handelt es sich um Werturteile. Werturteile fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind. Diese sind ihrerseits gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen müssen sie in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Hierzu zusammenfassend mit den Worten des Arbeitsgerichts Mannheim, Urteil vom 19.02.2016 (6 Ca 190/15): „Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre. Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG ist allerdings nicht schrankenlos gewährleistet. Es ist gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden. Auch § 241 Abs. 2 BGB gehört zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt werden; der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden – und umgekehrt. Erweist sich das in einer Äußerung enthaltene Werturteil zum Beispiel als Formalbeleidigung oder Schmähkritik, muss die Meinungsfreiheit regelmäßig zurücktreten. Allerdings macht auch eine überzogene oder gar ausfällige Kritik eine Erklärung für sich genommen noch nicht zur Schmähung. Dafür muss hinzutreten, das bei der Äußerung nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern zum Beispiel die Diffamierung einer Person im Vordergrund steht, die diese jenseits polemischer und überspitzter Kritik in erster Linie herabsetzen soll (BAG 18.12.2014 – 2 AZR 265/14 – NZA 2015, 797 mwN).“
Gemäß der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vergleiche etwa BVerfG NJW 2019, 2600) gebietet es die für die Meinungsfreiheit einschneidende Folge hinsichtlich des Vorliegens von Formalbeleidigungen und Schmähkritik strenge Maßstäbe anzuwenden (vgl. BVerfGE 93, 266 [294] = NJW 1995, 3303). Die Qualifikation einer ehrenrührigen Aussage als Schmähkritik und der damit begründete Verzicht auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und Ehre erfordern regelmäßig die Berücksichtigung von Anlass und Kontext der Äußerung.
Vorliegend sind die gefallenen Äußerungen durch Elemente der Stellungnahmen, des Dafürhaltens und des Meinens geprägt – ersichtlich wird der Aufruf der Geschäftsleitung zur Listenwahl und die Bildung der konkurrierenden Liste (wenngleich in überspitzter und polemischer Form) kritisiert, wobei die Mitglieder der konkurrierenden Liste in den Posts in die Nähe der Geschäftsleitung gerückt werden – und dies scharf kritisiert wird mit Formulierungen wie Schergen und verachtenswerte Kreaturen. Der sachliche (d.h. verhaltensbezogene) Bezug der Äußerung des Klägers ist damit die Bildung einer anderen Kandidatenliste nach dem vorherigen Aufruf des Arbeitgebers hierzu im Aushang Januar 2022. Sie sind keine reine Herabsetzung der Betroffenen als „Personen“ – sondern die Äußerungen zielen auf das Kritisieren ihres Verhaltens ab.
Dies hat zur Folge, dass bezüglich der Frage der Zulässigkeit der Äußerungen eine Interessenabwägung zwischen dem Interesse an der Meinungsfreiheit einerseits und insbesondere dem Recht der persönlichen Ehre andererseits stattzufinden hat.
Die Kammer ist der Auffassung, dass vorliegend angesichts des stark herabsetzenden Wertungsgehalts der Äußerungen das Recht des Klägers auf Meinungsfreiheit im Zusammenhang mit der stattgefundenen Betriebsratswahl und seiner Nebenpflicht und Rücksichtnahmepflicht im Arbeitsverhältnis aus § 241 Abs. 2 BGB zurückzutreten hat hinter dem Recht der persönlichen Ehre der Betroffenen bezüglich der Begriffe „verachtenswerte Kreaturen und Schergen“ (vgl. auch LAG Hamm 10.10.2012 (BeckRS 2012, 74257) zu einer Kündigung wegen der Bezeichnung des Arbeitgebers auf Facebook als „Menschenschinder“ und „Ausbeuter“). Im Übrigen sind die Äußerungen in den beiden Posts von der Meinungsfreiheit des Klägers gedeckt.
Dementsprechend kommt die Kammer zu der Auffassung, dass der Kläger im Arbeitsverhältnis seine Nebenpflicht aus § 241 Abs. 2 BGB verletzt hat bezüglich der Begriffe „verachtenswerte Kreaturen und Schergen“.
Es handelte sich auch nicht um Äußerungen, die rein im privaten Bereich des Klägers getätigt worden sind.
Bei beleidigenden Äußerungen in sozialen Netzwerken wie Facebook, hat sich in der Rechtsprechung eine jedenfalls im Grundsatz strenge Linie etabliert. Wegen des großen Adressatenkreises, der vom Arbeitnehmer kaum kontrolliert werden kann, kann eine Kündigung gerechtfertigt sein, wenn der Arbeitgeber, Vorgesetzte, Kollegen oder Kunden beleidigt werden (LAG Hamm 10.10.2012, BeckRS 2012, 74357). Der Nutzer hat auch bei einem nur seinen Freunden zugänglichen „Posting“ keine Kontrolle mehr über die Äußerung. Denn diese kann leicht weiterverbreitet werden – dies unterscheidet die Situation auch von mündlichen Äußerungen.
Der Kläger kann sich ferner nicht auf eine besondere Vertraulichkeit der Kommunikation berufen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG 17. Februar 2000, 2 AZR 927/98), kommt es für die Frage, ob ein Arbeitnehmer sich auf die Vertraulichkeit von Äußerungen berufen kann, unter anderem darauf an, ob der Arbeitnehmer sicher davon ausgehen durfte, dass seine Kollegen die Äußerungen für sich behalten würden. So können insbesondere bei Zusammenkünften einer größeren Anzahl von Arbeitnehmern Zweifel angebracht sein, dass die Gesprächsteilnehmer Äußerungen über den Arbeitgeber oder vorgesetzte Mitarbeiter für sich behalten werden (BAG 2 AZR 534/08). Die Anzahl der an der Kommunikation beteiligten Personen ist durchaus geeignet, die grundsätzliche Vermutung, dass angreifbare Bemerkungen im Kollegenkreis nicht über den Kreis der Gesprächsteilnehmer hinausdringen, in Frage zu stellen. Denn je größer die Anzahl der Gesprächsteilnehmer, desto größer ist auch die Wahrscheinlichkeit, dass Äußerungen nach außen dringen. Der Kläger hat dabei nicht offengelegt wie die groß die Zahl seiner Facebook-Freunde ist, sodass nicht zu seinen Gunsten unterstellt werden kann, dass es sich nur um weniger Nutzer handelt und er von einer besonderen Vertraulichkeit ausgehen konnte. Schließlich ist auch zu bedenken, dass zwischen schriftlicher und mündlicher Kommunikation unterschieden werden sollte. Während das gesprochene Wort flüchtig ist und gegebenenfalls auch unbedacht geäußert wird, entscheidet sich der Absender einer Textnachricht aktiv dafür, deren Inhalt zu perpetuieren. Darüber hinaus gibt er das weitere Schicksal der Nachricht auch ein Stück weit aus der Hand, weil die anderen Gruppenmitglieder diese frei weiterleiten können, ohne dass er davon überhaupt Kenntnis erlangen würde (Baade/Hagen, BB 2021, 1588, 1592 ff).
Damit liegt ein Grund vor, welcher „an sich“ zum Ausspruch einer fristlosen Kündigung berechtigt.
c. Interessenabwägung
Im Rahmen der vorzunehmenden Interessensabwägung/Einzelfallbetrachtung ergibt sich jedoch, dass der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung des Klägers bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist zumutbar war, was zur Unwirksamkeit der außerordentlichen Kündigung führt. Denn der Kläger ist ordentlich unkündbar (s.o.).
Der Kläger hat die Grenzen der zulässigen Meinungsfreiheit im Arbeitsverhältnis im Zusammenhang mit seiner vertraglichen Nebenpflicht und Rücksichtnahmepflicht aus § 241 Abs. 2 BGB überschritten.
Zu seinen Lasten ist zu berücksichtigen, dass davon auszugehen ist, dass die Äußerungen einer Vielzahl von anderen Facebook-Nutzern zur Kenntnis gelangt sind – hiervon geht die Beklagte aus und der Kläger hat dies nicht ausreichend bestritten, da er nicht offengelegt hat, um wie viel Freunde es sich handelt.
Zu seinen Gunsten ist zunächst sein Alter, seine Unterhaltspflichten, seine Schwerbehinderung und vor allem das langjährige ohne Abmahnungen verlaufende Arbeitsverhältnis zu berücksichtigen.
Auch ist zu berücksichtigen, dass die Äußerungen im unmittelbaren zeitlichen Zusammenhang mit der verlorenen Betriebsratswahl lagen, welche auf beiden Seiten mit hohen Emotionen verbunden war – auch des Arbeitgebers, der zu einem anderen Wahlverhalten mit inhaltlich sehr engagiertem Worten in einem Aushang vom Januar 2022 aufgerufen hatte, in dem er darstellte und explizit darauf hinwies, dass aus seiner Sicht es einer neuen Form der Zusammenarbeit zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat brauche und dass die Wahl auch im Bewusstsein einer wichtigen Entscheidung für die zukünftige Entwicklung der Arbeitgeberin durchgeführt werden solle. Es ist nachvollziehbar, dass der damalige Betriebsrat und damit der Kläger als damaliger Betriebsratsvorsitzender dies als ganz deutliche unternehmensöffentliche Kritik seiner Arbeit auffasste (nach dem Verständnis des Klägers liegt hierin ein „Aufruf zur betriebsöffentlichen Abwahl des amtierenden Betriebsrates“), was in der Enttäuschung nach der tatsächlich verlorenen Wahl mit zu den zeitlich unmittelbar danach erfolgten Posts beigetragen haben dürfte (vgl. auch HessLAG 24.10.2000, NZA-RR 2001, 300 dazu, dass während eines Arbeitskampfes oftmals eine aufgeheizte Atmosphäre herrscht, die verbale Auseinandersetzungen provoziert, welche im konkreten Fall trotz eines Verstoßes gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten unter Abwägung der beidseitigen Interessen nicht für eine fristlose Kündigung genügte: „Titulierung von Streikbrechern als „Arschkriecher“).
Dies rechtfertigt nicht die erfolgten Äußerungen durch den Kläger – vor allem nicht gegenüber den Kollegen, die die Wahl gewonnen haben. Dennoch lassen sie die Äußerungen des Klägers in einem anderen Licht erscheinen.
Auch wurde der Post mit dem schwerwiegendsten Inhalt („verachtenswerte Kreaturen“) nach dem Vortrag des Klägers wenige Stunden später von dem Arbeitnehmer bereits wieder selbst (ohne vorherigen Vorhalt durch die Arbeitgeberin) gelöscht. Auch dies zeigt, dass es sich eher um eine spontane, unüberlegte Reaktion gehandelt haben dürfte als um ein geplantes Verhalten. Der Post „wie spaltet man Belegschaften“ war nach seinen nachvollziehbaren Angaben am 6. April um 9:30 Uhr zu lesen und wurde aus eigener Initiative bereits um 13:00 Uhr, d. h. nach wenigen Stunden wieder entfernt. Den weiteren Post hat er unmittelbar nach der Anhörung durch die Beklagte am 13. April entfernt. Im letzteren Verhalten zeigt sich auch, dass der Kläger auf Vorhaltungen der Beklagten reagiert und sein Verhalten darauf einstellt.
Ferner hat der Kläger in der Anhörung zur Kündigung versichert, dass er die Posts gegenüber seinen Facebook-Freunden nicht wiederholen wird – sodass von keiner Wiederholungsgefahr während der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist auszugehen ist. Schließlich hat er klargestellt, dass er nicht behaupten wollte, dass die Beklagte auf die Betriebsratswahl in strafbarer Weise Einfluss genommen habe. Dass die Beklagte seine Entschuldigung nicht annehmen kann, ist nachvollziehbar angesichts des Umstandes, dass er von einem Missverständnis spricht.
Beleidigt wurden primär die Bewerber der konkurrierenden Liste und späteren Betriebsratsmitglieder der Liste 1. Die vom Kläger behauptete Drucksituation, in der er sich als ehemaliger Betriebsratsvorsitzender im Zusammenhang mit angeblichem auch gesetzeswidrigen Verhalten der Arbeitgeberin befunden habe, rechtfertigt die Äußerungen bereits deshalb nicht, weil Adressaten der unzulässigen Beleidigungen primär die Bewerber der konkurrierenden Liste und späteren Betriebsratsmitglieder der Liste 1 waren und nicht die Arbeitgeberin.
Zu berücksichtigen ist schließlich, dass sich auch in der Reaktion der betroffenen Betriebsratsmitglieder kein einheitliches Meinungsbild hinsichtlich der Frage zeigt, wie stark sie sich verletzt fühlen. Dies zeigt sich darin, dass der Betriebsrat in der Wahlzusammensetzung ab April 2022 dem Kündigungsansinnen zunächst nicht zugestimmt hat und auch auf einen weiteren Antrag des Arbeitgebers im Juni 2022 hin beschlossen hat, sich aufgrund der unveränderten Sachlage nicht erneut mit den Anträgen zu befassen, sondern erst im Juli die Zustimmung erteilte. Zwar kommt es nicht darauf an, inwieweit sich die Personen, die durch eine Äußerung eines Kollegen im Betrieb beleidigt wurden, sich subjektiv als beleidigt empfinden. Ihre Reaktion ist jedoch ein weiteres Indiz dahingehend, dass der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung des Klägers während des Laufs der Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre – und dass die Handlungen nicht geeignet waren, den Frieden und die Ruhe am Arbeitsplatz in einem Ausmaße zu stören, die der Weiterbeschäftigung während des Laufs der fiktiven Kündigungsfrist entgegenstehen (vgl. auch KSchG § 1 Sozial ungerechtfertigte Kündigungen Rolfs BeckOK Arbeitsrecht, Hrsg. Rolfs/Giesen/Meßling/Udsching,63. Edition Stand: 01.03.2022 Rn. 311a.1: „Der EGMR hat zutreffend darauf hingewiesen, dass Aktivitäten im Internet eine menschenrechtliche Dimension haben. Art. 10 Abs. 1 EMRK schützt das Recht auf freie Meinungsäußerung, dies gilt auch für soziale Medien (im konkreten Fall: Verteilung von „likes“ für bestimmte politische Äußerungen). Die Schranken des Art. 10 Abs. 2 EMRK sind für Meinungsäußerungen in der politischen Diskussion und solchen von Fragen des allgemeinen Interesses besonders eng begrenzt. Erhöhten Schutz genießen Äußerungen in diesem Kontext selbst dann, wenn sie grob sind und eine gewisse Feindseligkeit erkennen lassen. Im Rahmen arbeitsrechtlicher Auseinandersetzungen müssen die nationalen Gerichte prüfen, ob die Handlungen des Arbeitnehmers geeignet waren, den Frieden und die Ruhe am Arbeitsplatz zu stören“).
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass der Arbeitgeberin die Weiterbeschäftigung während des fiktiven Laufs der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar gewesen wäre und sie nicht davon ausgehen konnte, dass der Kläger während dieses Zeitraums sein Verhalten wiederholen würde.
Ist einem Arbeitgeber eines verhaltensbedingt gekündigten Betriebsratsmitgliedes jedoch die Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist zumutbar, so ist die fristlose Kündigung insgesamt unwirksam.
1.3. Verwertbarkeit des Vortrags: Sachvortragsverwertungsverbot?
Ob die Posts verwertbar sind im Hinblick auf ein streitiges Sachvortragsverwertungsverbot kann dahinstehen, da sie im Rahmen der stattgefundenen Interessenabwägung die streitgegenständliche Kündigung nicht tragen.
1.4. Außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist/ordentliche Kündigung?
Die Beklagte hat keine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist oder ordentliche Kündigung ausgesprochen und beruft sich auch nicht darauf.
Die Ausführungen des Klägers sind dahingehend auszulegen, dass sie nur vorsorglich erfolgt sind für den Fall, dass eine entsprechende Umdeutung möglich sein sollte, worauf die Beklagte sich nicht beruft.
Eine Umdeutung in eine ordentliche Kündigung ist bereits aufgrund § 15 Abs. 1 KSchG grundsätzlich nicht möglich – der Kläger ist als Betriebsratsmitglied ordentlich unkündbar.
Für die Beurteilung, ob Tatsachen vorliegen, die den Arbeitgeber aus wichtigem Grund i. S. von § 15 I KSchG, § 626 I BGB zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses eines Mandatsträgers aus Gründen in seinem Verhalten berechtigen, ist auf die Unzumutbarkeit einer Weiterbeschäftigung bis zum Ablauf der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist abzustellen. Ist eine Beschäftigung bis dahin zumutbar, ist die Kündigung unwirksam. Eine mangels Vorliegens eines wichtigen Grundes i. S. von § 15 I KSchG, § 626 I BGB unwirksame, auf Gründe im Verhalten des Mandatsträgers gestützte außerordentliche fristlose Kündigung kann nicht in eine außerordentliche Kündigung mit einer der fiktiven ordentlichen Kündigungsfrist entsprechenden Auslauffrist oder eine ordentliche Kündigung umgedeutet werden (BAG 21.06.2012, 2 AZR 343/11). Durch den Sonderkündigungsschutz nach § 15 I KSchG soll vermieden werden, dass die geschützten Personen ihr (Betriebsrats-) Mandat nicht sachangemessen wahrnehmen. Zugleich soll die Zusammensetzung des betreffenden Gremiums und damit die Kontinuität der Betriebsratsarbeit gewahrt bleiben. Dies erfordert mit Blick auf Gründe im Verhalten des Mandatsträgers den vollen Schutz nach § 15 I 1 KSchG (BAG a.a.O.). Die geschützten Personen sollen mit Rücksicht auf ihre besondere Stellung von der Bedrohung durch eine ordentliche Kündigung – abgesehen von den Fällen des § 15 IV, V KSchG – ausgenommen werden. Das schließt es aus, eine außerordentliche fristlose Kündigung aus Gründen im Verhalten des Mandatsträgers, die als solche unwirksam ist, in eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist oder in eine ordentliche Kündigung umzudeuten.
Ferner ist der Kläger ordentlich unkündbar gemäß § 4 Ziffer 4.4. des Manteltarifvertrages für Beschäftigte in der Metall- und Elektroindustrie Nordwürttemberg/Nordbaden. Der Manteltarifvertrag findet kraft beiderseitiger Tarifbindung auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Der Kläger hat das 53. Lebensjahr, aber noch nicht das 65. Lebensjahr vollendet und gehört dem Betrieb mindestens drei Jahre an.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist oder eine umgedeutete ordentliche Kündigung aufgelöst worden ist oder wird.
2. Verdachtskündigung
Die Kammer ist vorliegend zu dem Ergebnis gekommen, dass der Tatvorwurf als solcher feststeht – insofern handelt es sich nicht lediglich um einen Verdacht. Auch bei einer Verdachtskündigung ist der Beklagten indes im Rahmen der vorzunehmenden Interessenabwägung die Weiterbeschäftigung während des Laufs der fiktiven Kündigungsfrist zumutbar. Bei dem Ausspruch einer Verdachtskündigung ist ferner zu berücksichtigen, dass gemäß der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer eines Verhaltens verdächtig ist, das selbst als erwiesenes nur eine ordentliche Kündigung zu stützen vermöchte, dem Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses deshalb trotz des entsprechenden Verdachts zuzumuten ist (BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11). Auch aus diesem Grunde ist die Verdachtskündigung unwirksam und löst das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht auf – weder fristlos noch mit sozialer Auslauffrist noch als umgedeutete ordentliche Kündigung. Diesbezüglich kann auf die Ausführungen unter 1.4. Bezug genommen werden.
B. Hilfsweise gestellter Weiterbeschäftigungsantrag
Der hilfsweise gestellte Weiterbeschäftigungsantrag fiel zur Entscheidung an. Der Antrag ist dahingehend auszulegen, dass er für den Fall gestellt ist, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung ohne Datum, zugegangen am 28. Juli 2022, nicht aufgelöst wurde bzw. wird.
Der zulässige Antrag der klagenden Partei auf Weiterbeschäftigung während des Kündigungsschutzverfahrens ist begründet. Dies folgt aus der grundsätzlichen Verpflichtung des Arbeitgebers nach §§ 61, 613 i.V.m. § 242 BGB, Art. 1 und 2 GG, seine Arbeitnehmer auf Verlangen vertragsgemäß zu beschäftigen. Im Rahmen der über den Zeitraum ab Zugang der Kündigungserklärung hinaus bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsrechtsstreits zu treffenden Abwägung des Beschäftigungsinteresses der klagenden Partei und des Interesses der Beklagten an der Nichtbeschäftigung ist zu berücksichtigen, dass mit der vorliegenden Entscheidung ein die Unwirksamkeit der Kündigung feststellendes erstinstanzliches Urteil ergeht. Damit kann die Ungewissheit des Prozessausgangs ein überwiegendes Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung nicht mehr begründen.
C. Nebenentscheidungen
Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens gemäß § 91 ZPO, da sie im Rechtsstreit unterlegen ist. Der Streitwert war festzusetzen gemäß §§ 61 ArbGG, 42 GKG i.H.v. 3 Bruttomonatsvergütungen für die Bestandsschutzanträge und einer weiteren Bruttomonatsvergütungen für den Weiterbeschäftigungsantrag, welcher zur Entscheidung anfiel. Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, soweit sie nicht bereits kraft Gesetzes zulässig ist, da dem Rechtsstreit keine grundsätzliche Bedeutung zukommt, § 64 ArbGG.