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Fristlose Kündigung eines Lehrers wegen privatem Kontakt zu Schülern

Lehrer wegen unangemessenen Verhaltens gekündigt – Kündigung vor Gericht angefochten.

Ein Lehrer kämpft vor Gericht gegen seine Kündigung. Die Beklagte, bei der der Lehrer als Lehrkraft für das L. in Essen in Vollzeit eingestellt war, hatte ihm im April 2022 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich gekündigt. Der Grund für die Kündigung war das unangemessene Verhalten des Lehrers gegenüber Schülern, die er per WhatsApp kontaktiert hatte und ihnen Treffen im privaten Bereich außerhalb der Schule vorgeschlagen hatte. Die Schüler fühlten sich unwohl und meldeten dies der Schulleitung. Der Lehrer hatte zuvor bereits eine Dienstanweisung erhalten, in der ihm dieses Verhalten untersagt wurde.

Der Lehrer ist der Auffassung, dass die Kündigung unwirksam sei und dass eine Abmahnung ausreichend gewesen wäre. Außerdem sei die Mitarbeitervertretung nicht ordnungsgemäß beteiligt worden. Der Kläger fordert neben der Feststellung, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst wird, auch Annahmeverzugslohn für die Monate Mai bis August 2022.

Die Beklagte hält die Kündigung hingegen für wirksam. Der Lehrer habe eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen und gegen das professionelle Nähe-Distanz-Verhältnis zu den ihm anvertrauten Schülern verstoßen. Außerdem habe er sich nicht an die Dienstanweisung gehalten und das Hinzukommen eines weiteren Schülers abgelehnt, um seine Treffen mit den Schülern geheim zu halten. Die Interessenabwägung falle zulasten des Klägers aus. Die Mitarbeitervertretung sei ordnungsgemäß beteiligt worden.

Neben den Vorwürfen der Schüler, die zur Kündigung geführt hatten, sind der Beklagten im Nachgang der Kündigung weitere Umstände bekannt geworden, die als Kündigungsgründe dienen könnten. Der ehemalige Schüler C. hatte dem Lehrer vorgeworfen, ihm in der Oberstufe Einsicht in Klausuren gewährt zu haben und das Thema sexuelle Erfahrungen angesprochen zu haben. Der ehemalige Schüler H. hatte sich gemeldet und ausgesagt, dass es zu körperlichen Berührungen in Form des Massierens der Füße gekommen sei, als er zu Besuch bei dem Lehrer war. Der Lehrer hatte auch privat mit Schülern Urlaub gemacht und Ferienhäuser renoviert. […]

ArbG Essen – Az.: 2 Ca 650/22 – Urteil vom 16.08.2022

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 06.04.2022 weder fristlos noch ordentlich zum 31.12.2022 aufgelöst wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2022 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2022 zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu bezahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2022 zu bezahlen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

7. Streitwert: 41.394,36 EUR, zugleich Gerichtsgebührenstreitwert gemäß § 63 Abs. 2 GKG.

Tatbestand

Fristlose Kündigung eines Lehrers wegen privatem Kontakt zu Schülern
(Symbolfoto: Monkey Business Images/Shutterstock.com)

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung sowie Annahmeverzugsansprüche.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 00.00.0000 als Lehrkraft für das L. in Essen in Vollzeit eingestellt, seit dem 00.00.0000 beamtenähnlich als Planstellenkraft. Das monatliche Bruttoeinkommen des Klägers belief sich zuletzt auf 5.913,48 Euro brutto. Die Beklagte beschäftigt mehr als 10 Mitarbeiter Vollzeit. Bei der Beklagten besteht eine Mitarbeitervertretung (MAV).

Zum Ende des Jahres 2020 meldete sich der Schüler U. bei der Schulleitung des L.s Essen und schilderte, dass der Kläger ihn mehrfach über den WhatsApp Messanger Dienst kontaktiert habe und jeweils Treffen im privaten Bereich und außerhalb der Schule vorgeschlagen habe, wodurch er sich unwohl gefühlt habe. Im Rahmen der dazu durchgeführten Anhörung des Klägers räumte dieser ein, dass sein Verhalten unangemessen gewesen sei.

Im Nachgang zu dem vorstehend beschriebenen Vorfall erteilte die Schulleitung dem Kläger die Dienstanweisung vom 09.12.2020. Auf den Inhalt der Dienstanweisung (Bl. 51 d.A.) wird Bezug genommen.

Zu dieser Zeit kommunizierte der Kläger auch in vergleichbarer Weise mit dem Schüler A.. Dieser besuchte den Leistungskurs des Klägers. Auf den Inhalt der WhatsApp-Korrespondenz (Bl. 52 ff. d.A.) wird vollumfängliche Bezug genommen. Der Kläger teilte der Beklagten nicht mit, dass er mit einem weiteren Schüler per WhatsApp kommunizierte. Im Oktober 2020 fand auch ein Treffen mit dem Schüler A. bei dem Kläger zu Hause statt.

Nachdem sich der Schüler A. am 25.03.2022 der Interventionsbeauftragten der Schule – Frau H. – anvertraute, wurde das in der Schule und beim Schulträger implementierte Verfahren zur Intervention bzw. Risikoeinschätzung in Gang gesetzt. Am 31.03.2022 wurde der Kläger zu den Vorgängen angehört. Am 05.04.2022 (Bl. 130 ff und Bl. 198 ff. d.A.) wurde die in der Schule gebildete MAV zur geplanten außerordentlichen und zu einer hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers durch schriftliche Anträge angehört. Am 06.04.2022 (Bl. 99 d.A.) teilte die MAV durch Ihre Vorsitzende dem Dienstgeber per E-Mail mit, dass die MAV beiden Anträgen zustimme. Mit Schreiben vom 17.06.2022 (Bl. 123 ff. d.A.) erfolgte eine ergänzende Anhörung der MAV. Die MAV äußerte mit E-Mail vom 17.06.2022 (Bl. 127 d.A.), dass die weiter vorgetragenen Kündigungsgründe im Prozess nachgeschoben werden dürften.

Mit Schreiben vom 06.04.2022, dem Kläger persönlich übergeben am 09.04.2022, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31.12.2022.

Mit seiner Klage vom 11.04.2022, bei Gericht eingegangen an demselben Tag und der Beklagten am 20.04.2022 zugestellt, wendet sich der Kläger gegen die Wirksamkeit der Kündigung. Mit seiner Klageerweiterung vom 09.08.2022 begehrt er darüber hinaus Annahmeverzugslohn für die Monate Mai bis August 2022.

Der Kläger ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung sei unwirksam. Er habe keine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, sondern nur versucht, seine Schüler, insbesondere den Schüler A., zu fördern und zu unterstützen. Über WhatsApp würden zudem große Teile des Lehrerkollegiums mit den Schülern kommunizieren. Für dieses Verhalten wäre eine Abmahnung erforderlich und ausreichend gewesen. Er sei auch nicht davon ausgegangen, dass sei Verhalten zu einer Kündigung führen würde, zumal die Beklagte im Oktober 2020 lediglich eine Dienstanweisung und nicht einmal eine Abmahnung ausgesprochen habe. Erst durch den Ausspruch der Kündigung sei ihm bewusst geworden, wie schwerwiegend die Vorwürfe der Beklagten seien, so dass er sein Verhalten künftig selbstverständlich ändern werde.

Die Mitarbeitervertretung sei auch nicht ordnungsgemäß beteiligt worden.

Ein Nachschieben von Kündigungsgründen sei vorliegend nicht zulässig. Die Behauptungen der Beklagten diesbezüglich bestreitet der Kläger. Der Vortrag sei auch gänzlich unsubstantiiert und nicht einlassungsfähig. Insbesondere habe er zu keinem Zeitpunkt irgendeinem Schüler die Füße massiert.

Der Kläger beantragt:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung vom 06.04.2022 weder fristlos noch ordentlich zum 31.12.2022 aufgelöst wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.05.2022 zu bezahlen.

3. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.06.2022 zu bezahlen.

4. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.07.2022 zu bezahlen.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger 5.913,48 EUR brutto zzgl. Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 01.08.2022 zu bezahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, die streitgegenständliche Kündigung sei wirksam. Der Kläger habe eine schwerwiegende Pflichtverletzung begangen, indem er trotz der ausdrücklichen Dienstanweisung weiter mit dem Schüler A. über WhatsApp kommuniziert habe und ihn auch erneut in seine Wohnung eingeladen habe. Hierdurch habe er gegen das professionelle Nähe-Distanz-Verhältnis zu den ihm anvertrauten Schüler verstoßen. Dem Kläger sei auch bewusst gewesen, dass er sich pflichtwidrig verhalte, da er das Hinzukommen eines weiteren Schülers abgelehnt habe, da er Sorge gehabt habe, dass die Treffen dadurch bekannt werden würden. Eine Abmahnung sei aufgrund der Schwere der Pflichtverletzung entbehrlich gewesen. Außerdem habe der Kläger durch das Nichteinhalten der Dienstanweisung gezeigt, dass auch bei einer Abmahnung keine Verhaltensänderung zu erwarten sei. Die Interessenabwägung falle zulasten des Klägers aus. Die Mitarbeitervertretung sei zudem ordnungsgemäß beteiligt worden und die Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei ebenfalls gewahrt worden.

Nach dem Ausspruch der Kündigung seien der Beklagten zudem weitere Umstände bekannt geworden, die zulässiger Weise als Kündigungsgründe nachgeschoben werden dürften. Den ehemaligen Schüler C., der die Oberstufe des L.s in den Jahre 2011-2013 besucht habe und auch Schüler des Klägers im Leistungskurs im Fach „Sozialwissenschaft“ gewesen sei, habe der Kläger in dieser Zeit über soziale Medien eingeladen, zu ihm nach Hause zu kommen. Dort habe der Kläger Herrn C. Einsicht in Klausuren gewährt. Anlässlich dieser Treffen habe der Kläger zudem mehrfach das Thema sexuelle Erfahrungen angesprochen und später auch auf den entsprechenden Social-Media-Kanälen nachgefragt. Am 14.06.2022 sei diesbezüglich ein Gedächtnisprotokoll erstellt worden (Bl. 132 f. d.A.).

Weiter habe sich der ehemalige Schüler H. gemeldet, der in seiner Oberstufenzeit ebenfalls den Leistungskurs „Sozialwissenschaft“ bei dem Kläger besucht habe. Auch in diesem Fall habe der Kläger den nicht volljährigen Schüler zu sich nach Hause eingeladen. Dort sei es zu körperlichen Berührungen in Form des Massierens der Füße gekommen. Hinzu käme in diesem Fall, dass der Kläger privat in den Sommerferien 2016 und 2017 mit dem Schüler H. in dessen Ferienhäusern in Spanien und Frankreich Urlaub gemacht und mit den von ihm unterrichteten Schülern diese Ferienhäuer renoviert habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie auf den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2022 ist unwirksam. Daher hat die Beklagte dem Kläger Annahmeverzugslohn für den Zeitraum von Mai 2022 bis August 2022. Im Einzelnen:

I.

Das zwischen dem Kläger und der Beklagten bestehende Arbeitsverhältnis ist durch die Kündigung der Beklagten vom 06.04.2022 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst worden.

1. Die außerordentliche Kündigung ist unwirksam, da kein wichtiger Grund i.S.d. § 626 Abs. 1 BGB vorliegt.

a) Der Kläger hat die 3-Wochen-Frist für die Erhebung der Kündigungsschutzklage gemäß §§ 13 Abs. 1 Satz 2, 4 Satz 1 KSchG gewahrt, da die Kündigungsschutzklage innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung der Beklagten zugestellt wurde.

b) Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, dh. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11 mwN).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Im Vergleich zu einer außerordentlichen fristlosen Kündigung kommen als mildere Mittel insbesondere eine Abmahnung oder eine ordentliche Kündigung in Betracht. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen (vgl. BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11 mwN).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG vom 25.10.2012, 2 AZR 495/11 mwN).

c) Nach diesen Kriterien liegt kein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung vor, da als milderes Mittel zunächst eine Abmahnung hätte ausgesprochen werden müssen.

Zwar hat der Kläger in erheblicher Weise gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten verstoßen, indem er entgegen der Dienstanweisung vom 09.12.2020 über WhatsApp mit dem Schüler A. kommuniziert und ihn in seine Wohnung eingeladen hat, aber diese Pflichtverletzung ist nicht derart schwerwiegend, dass auf den vorherigen Ausspruch einer Abmahnung verzichtet werden könnte.

Der von der Beklagten vorgelegte Chatverlauf zwischen dem Kläger und dem Schüler A. zeigt aus Sicht der Kammer, dass der Kläger auf die Dienstanweisung der Beklagten zunächst reagiert und sein Verhalten geändert hat. In dem Zeitraum ab Dezember 2020 bis September 2021 gab es nahezu keine Korrespondenz mehr und die wenigen Kontaktaufnahmen erfolgten durch den Schüler und nicht durch den Kläger. Der Kläger antwortete auch jeweils nur kurz und sachlich und vermied erkennbar eine weitergehende Unterhaltung.

Diese Umstände machen deutlich, dass es dem Kläger offensichtlich nicht gleichgültig war, dass die Beklagte sein Verhalten missbilligte. Zwar hat der Kläger in der Folge wieder vermehrt mit dem Schüler kommuniziert und diesen auch in seine Wohnung eingeladen, aber es kann nicht unterstellt werden, dass der Kläger sich ebenso verhalten hätte, wenn die Beklagte im Dezember 2020 nicht nur mit einer Dienstanweisung sondern mit einer Abmahnung, insbesondere einer Kündigungsandrohung reagiert hätte.

d) Die von der Beklagten behaupteten Pflichtverletzungen sind auch nicht derart schwerwiegend, dass dem Kläger auch ohne den Ausspruch einer Abmahnung bewusst gewesen sein musste, dass er eine Kündigung für sein Verhalten erhalten würde. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger keine moralisch verwerflichen, insbesondere sexuellen Absichten, verfolgte, sondern dass er lediglich versucht hat, Schüler zu fördern und zu unterstützen.

Für die Kammer steht zwar fest, dass der Kläger dabei nicht richtig gehandelt hat und dass er solche Bemühungen auf den rein schulischen Raum hätte beschränken müssen, aber diese Pflichtverletzung ist nicht derart schwerwiegend, dass der Kläger gewusst haben muss, dass er hierfür eine Kündigung erhalten würde.

Es ist auch davon auszugehen, dass es entgegen der Behauptung der Beklagten nicht zu einer Fußmassage bei einem der Schüler gekommen ist. Der Kläger hat dieses ausdrücklich in Abrede gestellt und in der Kammerverhandlung erläutert, dass er lediglich einmal beim Zeugen A. auf dessen Frage hin einen medizinischen Rat erteilt hat und bei einem anderen Schüler einmal eine medizinische Erstversorgung geleistet hat.

Soweit die Beklagte anderes behauptet, fehlt es an hinreichend substantiiertem Sachvortrag und in der Folge an einem ordnungsgemäßen Beweisantritt, der sich auf einen hinreichend konkretisierten Tatsachenvortrag bezieht.

e) Ob die nachgeschobenen Kündigungsgründe zulässiger Weise nachgeschoben worden sind oder nicht, kann zudem dahingestellt bleiben, da es insoweit ebenfalls an hinreichend substantiiertem Tatsachenvortrag fehlt. Es bleibt vollkommen unklar, wann und in welchem Zusammenhang die behaupteten, vom Kläger bestrittenen, Sachverhalte stattgefunden haben sollen.

2. Die hilfsweise ordentliche Kündigung ist ebenfalls unwirksam, da sie sozial ungerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG ist.

a) Das Kündigungsschutzgesetz ist auf das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nach den §§ 1, 23 KSchG anwendbar.

b) Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung verstößt ebenso wie die außerordentliche Kündigung gegen den ultima-ratio Grundatz, da vor dem Ausspruch einer ordentlichen Kündigung der Ausspruch einer Abmahnung ausreichend gewesen wäre, um künftige, vergleichbare Pflichtverletzungen der Klägerin ausschließen zu können. Auf die Ausführungen unter Ziffer 1 wird verwiesen.

II.

Aufgrund der unwirksamen außerordentlichen Kündigung stehen dem Kläger die geltend gemachten Annahmeverzugsansprüche für den Zeitraum von Mai 2022 bis August 2022 zu. Der Zinsanspruch folgt aus den §§ 286, 288 BGB.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO. Den Streitwert hat das Gericht gemäß der §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 63 Abs. 2 GKG im Urteil festgesetzt.

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