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Fristlose Kündigung – Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung – Krankfeiern

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 123/19 – Urteil vom 06.02.2020

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21. Februar 2019, Az. 2 Ca 1852/18, abgeändert und die Klage abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Der 1979 geborene, verheiratete Kläger war seit 01.04.2003 bei der Beklagten, die nicht mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, als Lagerarbeiter zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt € 2.150,00 beschäftigt. Die Beklagte erteilte dem Kläger insgesamt vier schriftliche Abmahnungen: zwei mit Datum vom 04.02.2016, die dritte vom 07.02.2018 und die vierte vom 27.02.2018. Mit Schreiben vom 08.05.2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger ordentlich zum 30.11.2018. Diese Kündigung griff der Kläger nicht an. Mit Schreiben vom 19.06.2018, dem Kläger am 22.06.2018 zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 28.06.2018 beim Arbeitsgericht Koblenz erhobenen Klage.

Der Kläger soll – nach dem bestrittenen Vortrag der Beklagten – am Nachmittag des 18.06.2018 einer Arbeitskollegin, die sich von ihm mit den Worten „dann bis morgen“ verabschiedete, lächelnd geantwortet haben: „Morgen bin ich nicht da. Da feiere ich krank“. Er meldete sich am 19.06.2018 telefonisch krank und legte der Beklagten am 20.06. eine am 19.06.2018 ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung, Anlage B 5) seines Hausarztes für den Zeitraum vom 19.06. bis zum 13.07.2018, dem Freitag vor den Betriebsferien, vor.

Der Kläger hat in erster Instanz vorgetragen, er habe seiner Arbeitskollegin am 18.06.2018 nicht erklärt, dass er am nächsten Tag „krankfeiere“, er habe vielmehr geäußert, dass er einen Arzt aufsuchen werde, weil er sich nicht gut fühle. Das Arbeitsverhältnis sei insbesondere nach Ausspruch der ordentlichen Kündigung massiv belastet gewesen. Die Beklagte habe sich ihm gegenüber immer ablehnender verhalten, die Situation am Arbeitsplatz sei für ihn unerträglich geworden. Er habe sich ausgegrenzt gefühlt und hierunter seelisch gelitten. Deshalb habe er seinen Hausarzt aufgesucht. Er habe am 22.06.2018 keine neue Beschäftigung aufgenommen, sondern bis zum 30.11.2018 Arbeitslosengeld bezogen.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt, festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 19.06.2018, zugegangen am 22.06.2018, aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Fristlose Kündigung - Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung - Krankfeiern
(Symbolfoto: Von M. Schuppich,/Shutterstock.com)

Sie hat vorgetragen, der Kläger habe am 18.06.2018 weder gekränkelt noch über Leiden oder Schmerzen geklagt. Er habe seiner Arbeitskollegin vielmehr grinsend erklärt, dass er am nächsten Tag nicht komme, weil er „krankfeiere“. Die vorgelegte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 19.06. bis zum 13.07.2018 sei auch unglaubwürdig, weil sie für einen Zeitraum von annähernd vier Wochen bis zum Freitag vor den Betriebsferien ausgestellt worden sei. Der Kläger habe nach den ihr vorliegenden Informationen bereits am 22.06.2018 ein Arbeitsverhältnis bei einem anderen Arbeitgeber (Firma X. SE) aufgenommen und ein Probearbeiten absolviert.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gem. § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21.02.2019 Bezug genommen.

Das Arbeitsgericht hat mit dem vorbezeichneten Urteil der Klage stattgegeben und zur Begründung – zusammengefasst – ausgeführt, es liege kein wichtiger Grund für eine außerordentliche Kündigung iSd. § 626 Abs. 1 BGB vor. Der Kläger habe seine Arbeitspflicht nicht beharrlich verweigert. Allein die – streitige – kollegiale Mitteilung vom 18.06.2018, am Folgetag „krankzufeiern“, belege hier – trotz anschließender Krankheitszeit – keine nachhaltige Verweigerungshaltung des Klägers. Der Beweiswert der am 19.06.2018 ordnungsgemäß ausgestellten ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sei nicht erschüttert. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils vom 21.02.2019 Bezug genommen.

Gegen das am 11.03.2019 zugestellte Urteil hat die Beklagte mit einem am 10.04.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit einem am 13.05.2019 (Montag) beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet.

Der Beklagte macht geltend, die außerordentliche Kündigung sei wirksam. Es liege eine Kette arbeitsvertraglicher Pflichtverletzungen über einen längeren Zeitraum vor. So habe sie den Kläger insgesamt viermal zu Recht abgemahnt. Das Verhalten des Klägers habe schließlich darin gegipfelt, dass er am 18.06.2018 erklärt habe, „krankfeiern“ zu wollen. Das Arbeitsgericht hätte die von ihr benannte Zeugin vernehmen müssen. Nachdem der Kläger seine Krankheit gegenüber seiner Arbeitskollegin angekündigt habe, sei er am 19.06.2018 nicht zur Arbeit erschienen und habe eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit vom 19.06. bis zum 13.07.2018 vorgelegt. Insoweit habe sie jedoch erstinstanzlich unter Beweisantritt ausgeführt, dass der Kläger am Vortag weder gekränkelt noch über Leiden oder Schmerzen geklagt noch zu erkennen gegeben habe, dass er aufgrund einer bekannten Erkrankung oder bekannter Beschwerden von einer Arbeitsunfähigkeit ausgehe. Er habe vielmehr grinsend erklärt, dass er am nächsten Tag nicht komme, da er „krankfeiere“. Unstreitig sei der Kläger bis zum Freitag vor den Betriebsferien krankgeschrieben worden, was eine Erkrankung – auch von der Dauer – als unglaubwürdig erscheinen lasse. Gleichermaßen sei im Laufe des erstinstanzlichen Verfahrens bekannt geworden, dass der Kläger bereits vor Zugang der Kündigungserklärung bei der Firma X. SE – an einem Tag – eine Probearbeit absolviert habe. Auch insoweit habe sie Beweis angeboten. Im Lichte der Gesamtumstände der abgegebenen Erklärung des Klägers gegenüber der Zeugin scheide die Deutung des Arbeitsgerichts, der Kläger sei tatsächlich arbeitsunfähig erkrankt gewesen, aus.

Die Beklagte beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 21.02.2019, Az. 2 Ca 1852/18, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Sein Fehlen ab dem 19.06.2018 stelle keine Arbeitsverweigerung dar. Er habe nicht unentschuldigt gefehlt, sondern der Beklagten eine ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt. Er habe am 22.06.2018 keine Beschäftigung bei der Fa. X. SE aufgenommen und dort auch nicht zur Probe gearbeitet.

Die Berufungskammer hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, der Kläger habe am Nachmittag des 18.06.2018 seiner Arbeitskollegin, die sich von ihm auf dem Betriebsgelände mit den Worten „dann bis morgen“ verabschiedet habe, lächelnd geantwortet: „Morgen bin ich nicht da, da feiere ich krank“ und über die Behauptung des Klägers, er sei in der Zeit vom 19.06. bis zum 13.07.2018 wegen einer psychischen Erkrankung arbeitsunfähig gewesen, durch Vernehmung der Arbeitskollegin und des Hausarztes des Klägers. Wegen des Ablaufs und des Inhalts der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 06.02.2020 Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gem. §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.

II.

Die Berufung der Beklagten ist begründet. Die außerordentliche Kündigung vom 19.06.2018 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang am 22.06.2018 fristlos beendet. Ein wichtiger Grund iSv. § 626 Abs. 1 BGB liegt vor. Das führt zur Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils und zur Abweisung der Klage.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. etwa BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15 mwN).

Das Erschleichen von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (umgangssprachlich „Krankfeiern“ genannt) kann einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung bilden. Wenn sich der Arbeitnehmer für die Zeit einer vorgetäuschten Arbeitsunfähigkeit Entgeltfortzahlung gewähren lässt, begeht er regelmäßig einen Betrug zulasten des Arbeitgebers (vgl. BAG 29.06.2017 – 2 AZR 597/16 – Rn. 16 mwN; ErfK/Niemann 20. Aufl. BGB § 626 Rn. 156 mwN). Eine ordnungsgemäß ausgestellte ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG hat zwar einen hohen Beweiswert. Diese Bescheinigung ist der gesetzlich vorgesehene und gewichtigste Beweis für die Tatsache einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit. Im Einzelfall können aber aus besonderen Umständen begründete Zweifel an der Richtigkeit dieser ärztlichen Bescheinigung bestehen (vgl. BAG 11.10.2006 – 5 AZR 755/05 – Rn. 35; LAG Rheinland-Pfalz 23.05.2018 – 2 Sa 434/17 – Rn. 53 mwN). Als einen solchen Umstand hat das Bundesarbeitsgericht Erklärungen des Arbeitnehmers angesehen, mit denen er vor der Erkrankung ein „Krankfeiern“ ankündigte. Eine solche Erklärung weckt erhebliche Zweifel, ob die angekündigte Krankheit auch wirklich vorlag (so schon BAG 04.10.1978 – 5 AZR 326/77).

2. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht zur Überzeugung der Berufungskammer (§ 286 ZPO) fest, dass der Kläger ab dem 19.06.2018 eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschlichen hat. Dieses Verhalten stellt einen wichtigen Grund iSd. § 626 Abs. 1 BGB dar.

a) Die Arbeitskollegin des Klägers, die Zeugin E., hat bei ihrer Vernehmung bekundet, dass sie sich am 18.06.2018 vom Kläger mit den Worten verabschiedet habe: „Dann bis morgen.“ Der Kläger habe ihr geantwortet: „Morgen bin ich nicht da.“ Auf Nachfrage bestätigte die Zeugin, dass die vollständige Antwort des Klägers gelautet habe: „Morgen bin ich nicht da, da feiere ich krank“. Der Hausarzt des Klägers, der Zeuge F., hat bei seiner Vernehmung bekundet, dass er dem Kläger für den Zeitraum vom 19.06. bis zum 13.07.2018 eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt habe. Nach seiner Erinnerung habe es sich um eine Folgebescheinigung gehandelt, weil der Kläger wegen derselben Krankheit entweder von ihm oder dem Arzt, mit dem er eine Gemeinschaftspraxis betreibe, bereits in den Zeiträumen vom 15. bis zum 24.02.2018, vom 27.02. bis zum 02.03.2018 und vom 14.05. bis zum 08.06.2018 arbeitsunfähig krankgeschrieben worden sei. Auf den Vorhalt, dass er auf dem Vordruck vom 19.06.2018 (Anlage B 5) „Erstbescheinigung“ angekreuzt habe, antwortete der Zeuge, er sei sich nicht sicher, ob er eine Folgebescheinigung ausgestellt habe, weil zwischen der vorhergehenden Bescheinigung bis zum 08.06.2018 und der nachfolgenden Bescheinigung ab dem 19.06.2018 eine Zäsur vorgelegen habe. Die Praxis-Software stelle dann automatisch keine Folgebescheinigung aus, dies müsse man vielmehr händisch anklicken. Die Erkrankung des Klägers ab 19.06.2018 sei definitiv eine Folge der vorherigen Situation gewesen. Seine Diagnose habe gelautet: „Psychovegetative Erschöpfung“ wegen einer Problematik am Arbeitsplatz, vielleicht hätte sie „Psychosomatische Störung“ lauten müssen. Der Kläger habe beispielsweise über Bauchschmerzen geklagt, wenn er an die Arbeit denke. Der Kläger habe ihm zu Beginn der Krankheitsgeschichte geschildert, er habe Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, zumal er von seinem Arbeitgeber schon mehrere Abmahnungen erhalten habe. Später habe er ihm berichtet, dass der Arbeitgeber wieder eine Abmahnung angekündigt habe; er habe regelmäßig Bauchschmerzen, wenn er nur daran denke, zur Arbeit zu gehen. Der Kläger habe ihm außerdem geschildert, dass der Arbeitgeber ihm nicht den Gefallen tun wolle, zu kündigen. Das habe er sich am 27.02.2018 so deutlich notiert. Am 14.05.2018 habe sich der Kläger erneut in der Gemeinschaftspraxis vorgestellt. Sein Kollege habe notiert, dass der Kläger wieder Probleme auf der Arbeit habe. Am 19.06.2018 habe sich der Kläger bei ihm in der Praxis vorgestellt und erklärt, er habe eine neue Arbeitsstelle. Dies habe er sich so in seinen Unterlagen notiert. Er habe den Kläger dann bis zum 13.07.2018 krankgeschrieben. Er könne nur vermuten, dass er gedacht habe, der Krankschreibungszeitraum werde sich bis zum Antritt der neuen Arbeit erstrecken. Er könne aber nicht genau angeben, warum er dieses Datum gewählt habe. Das Tragende an der Krankheitsgeschichte sei gewesen, dass ihm der Kläger immer wieder berichtet habe, es gehe ihm schlecht, er habe Schweißausbrüche, wenn er an die Arbeit denke. Außerdem habe er sich notiert, dass der Kläger über Bauchschmerzen geklagt habe. Auf Nachfrage erklärte der Zeuge, er könne sich bei psychischen Erkrankungen nur auf die Angaben seiner Patienten verlassen. Er habe keine Möglichkeit, deren Angaben bei anderen Stellen zu überprüfen oder einen Psychiater herbeizurufen. Im konkreten Fall habe der Kläger die Beschwerden auch schon seinem Kollegen in der Gemeinschaftspraxis geschildert. Aus diesem Grund sei er auch von einer Folgebescheinigung ausgegangen. Auf die Frage, weshalb er den Kläger am 19.06.2018 für fast vier Wochen arbeitsunfähig krankgeschrieben habe, antwortete der Zeuge, der Kläger habe ihm geschildert, dass er eine neue Arbeitsstelle habe. Deswegen habe sich für ihn die Situation gelöst. Deshalb habe er ihn bis zum 13.07.2018 krankgeschrieben. Ein Krankschreibungszeitraum von vier Wochen sei bei psychischen Störungen relativ häufig.

An der Glaubwürdigkeit beider Zeugen und der Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen bestehen aus Sicht der Berufungskammer keine Zweifel. Für eine bewusst falsche oder auch nur irrtümlich falsche Aussage zulasten des Klägers fehlt jeglicher Anhaltspunkt.

b) Die Beklagte hat zur Überzeugung der Berufungskammer nachgewiesen, dass der Kläger am 18.06.2018 seiner Arbeitskollegin auf die Abschiedsworte „dann bis morgen“ geantwortet hat: „Morgen bin ich nicht da. Da feiere ich krank“. Diese Ankündigung hat der Kläger in die Tat umgesetzt und ist am 19.06.2018 nicht zur Arbeit erschienen. Die Kammer ist unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme davon überzeugt, dass der Kläger die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab 19.06. bis zum 13.07.2018 bei seinem Hausarzt mit unlauteren Mitteln erschlichen hat. Bei der Würdigung ist bereits der Umstand zu berücksichtigen, dass der Hausarzt die Bescheinigung nicht ordnungsgemäß als Folge-, sondern als Erstbescheinigung ausgestellt hat. Dem Hausarzt war aus der Vorgeschichte bekannt, dass der Kläger Probleme an seinem Arbeitsplatz hatte, die nach seiner Einschätzung zu gesundheitlichen Störungen mit Krankheitswert im Sinne einer „Psychovegetativen Erschöpfung“ bzw. einer „Psychosomatischen Störung“ geführt haben. Der Kläger klagte bei seinem Hausarzt insbesondere über Bauchschmerzen und Schweißausbrüche, wenn er an die Arbeit denke. Während er seinem Hausarzt zunächst schilderte, er habe Angst, seinen Arbeitsplatz zu verlieren, weil er mehrere Abmahnungen erhalten habe, suchte er die Praxis später mit der Begründung auf, es belaste ihn gesundheitlich, dass ihm der Arbeitgeber nicht den Gefallen tun wolle, das Arbeitsverhältnis zu kündigen. Beide Zustände führten zu der ärztlichen Feststellung einer Krankheit und der Ausstellung von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen für die Zeiträume vom 15. bis zum 24.02., vom 27.02. bis zum 02.03. sowie vom 14.05. bis zum 08.06.2018. Am 19.06.2018 stellte sich der Kläger erneut bei seinem Hausarzt vor und schilderte ihm weiterhin psychische Belastungen am Arbeitsplatz. Er behauptete wahrheitswidrig, er habe eine neue Arbeitsstelle gefunden, so dass es dem Hausarzt als wirksamer Lösungsansatz erschien, den Kläger bis zum vermuteten Antritt der neuen Arbeit, dh. bis zum 13.07.2018, krankzuschreiben. Der Hausarzt hat den Kläger nur aufgrund dessen eigener Angaben für arbeitsunfähig gehalten, ohne eine objektive Diagnose stellen zu können oder dies jedenfalls zu versuchen. So hat der Hausarzt auf Nachfrage zu seiner diagnostischen Vorgehensweise erklärt, er habe sich auf die Angaben des Klägers verlassen. Diese waren falsch, so dass der Kläger die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung für die Zeit ab 19.06.2018 mit unlauteren Mitteln erlangt hat.

3. Die außerordentliche Kündigung ist auch unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der beiderseitigen Interessen gerechtfertigt. Der Beklagten war es unzumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf des 30.11.2018, dem Zeitpunkt zu dem das Arbeitsverhältnis (aufgrund der ordentlichen Kündigung vom 08.05.2018) ohnehin geendet hätte, weiterzubeschäftigen.

a) Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (vgl. im Einzelnen BAG 13.12.2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 29, 30 mwN; BAG 23.08.2018 – 2 AZR 235/18 – Rn. 39, 40 mwN).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war es der Beklagten unzumutbar, das Arbeitsverhältnis mit dem Kläger bis zum Ablauf des 30.11.2018 fortzusetzen. Im Rahmen der Interessenabwägung ist zwar zu Gunsten des Klägers seine langjährige Betriebszugehörigkeit von 15 Jahren, sein Lebensalter von 39 Jahren im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung und seine Unterhaltspflicht gegenüber der Ehefrau zu berücksichtigen. Andererseits hat der Kläger durch sein angekündigtes „Krankfeiern“ einer vertrauensvollen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses die Grundlage entzogen. Eine Abmahnung kam unter den gegebenen Umständen als milderes Mittel gegenüber einer Kündigung nicht in Betracht. Der Kläger konnte nicht ernsthaft mit einer Billigung seines Verhaltens durch die Beklagte rechnen. Er hätte nach objektiven Maßstäben erkennen müssen, dass sein Verhalten für die Beklagte nicht hinnehmbar war.

4. Die Beklagte hat die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB gewahrt. Sie hat die Kündigung darauf gestützt, der Kläger habe am 18.06.2018 angekündigt „krankzufeiern“ und sei am 19.06.2018 unentschuldigt nicht zur Arbeit erschienen. Die Kündigung ging dem Kläger nach seinen eigenen Angaben am 22.06.2018 und damit innerhalb von zwei Wochen zu.

III.

Als unterlegene Partei hat der Kläger gem. § 91 Abs. 1 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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