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Fristlose Kündigung – Kollusives Zusammenwirken bei Abwicklungsvertrag

Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 5 Sa 4/19 – Urteil vom 11.08.2020

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 20.11.2018 – 13 Ca 74/18 – wird zurückgewiesen.

2. Die Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und die Rückzahlung einer Abfindung.

Die im November 1972 geborene Klägerin nahm am 01.08.2002 bei der M. GmbH mit Sitz in C-Stadt eine Beschäftigung als Leiterin der internen Dienste auf. Geschäftsführer dieser Gesellschaft war Herr V. S.. Am 01.04.2003 wurde über das Vermögen der M. GmbH das Insolvenzverfahren eröffnet. Dienstsitz war C-Stadt.

Am 02.09.2003 wechselte die Klägerin zur R. N. GmbH mit Sitz in C-Stadt, die mit dem Vertrieb, Handel und Verkauf von Back- und Konditoreiwaren sowie Tiefkühlbackwaren befasst war. Geschäftsführer der R. N. GmbH war wiederum Herr S.. Die Klägerin arbeitete dort als Betriebsassistentin im Handel. Diese Gesellschaft firmierte im Jahr 2007 in H. V. B. GmbH um. Ab dem 01.07.2009 war die Klägerin dort als Assistentin der Geschäftsleitung beschäftigt. Im Wege des Betriebsübergangs wechselte die Klägerin zu einer anderen von Herrn S. geführten Gesellschaft. Das monatliche Gehalt der Klägerin belief sich ab dem 01.11.2011 auf € 4.500,- brutto.

Die Parteien schlossen, datiert auf den 30.10.2016, einem Sonntag, mit Wirkung zum 01.11.2016 den folgenden Arbeitsvertrag:

„…

§ 1 Tätigkeit

Der Arbeitnehmer ist als Assistentin der Geschäftsführung beim Arbeitgeber tätig.

§ 2 Arbeitszeit

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt 40 Stunden wöchentlich, ohne Berücksichtigung der Pausen. …

§ 3 Vergütung

(1) Der Arbeitgeber zahlt dem Arbeitnehmer ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von

4.500,00 €

§(1) Die Probezeit entfällt.

(2) Der Arbeitnehmer ist seit Juli 2002 bei anderen Konzernunternehmen bzw. deren Rechtsvorgängern beschäftigt. Die Parteien gehen insoweit übereinstimmend von einer Betriebszugehörigkeit seit Juli 2002 aus.

§ 8 Nutzung eines Firmenfahrzeugs

(1) Die Arbeitgeberin wird der Arbeitnehmerin auch zur privaten Nutzung einen Dienstwagen der „Golf“-Klasse zur Verfügung stellen. …

§ 10 Beendigung des Arbeitsverhältnisses

(1) Das Arbeitsverhältnis ist unbefristet.

(2) Das Arbeitsverhältnis kann beiderseits unter Einhaltung einer Frist von 12 Monaten zum Monatsende ordentlich gekündigt werden.

(5) Der Arbeitgeber ist berechtigt, den Arbeitnehmer mit Ausspruch einer Kündigung – gleichgültig von welcher Seite – unter Fortzahlung seiner Bezüge und unter Anrechnung restlicher Urlaubsansprüche von der Arbeitsleistung freizustellen.

§ 11 Abfindung

(1) Sollte das Arbeitsverhältnis der Arbeitnehmerin durch ordentliche Kündigung der Arbeitgeberin, durch Aufhebungsvertrag, durch Renteneintritt der Arbeitnehmerin (Altersrente oder unbefristete Erwerbsunfähigkeitsrente) oder durch Tod der Arbeitnehmerin beendet werden, erhält die Arbeitnehmerin pro Jahr ihrer Betriebszugehörigkeit bei der Arbeitgeberin oder etwaigen Rechtsvorgängern eine Abfindung in Höhe eines Betrages von 4.000,00 € brutto/angefangenem Beschäftigungsjahr. Der Abfindungsanspruch geht im Falle des Todes der Arbeitnehmerin auf deren Erben über.

(2) Im Falle der Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch ordentliche oder außerordentliche Kündigung der Arbeitnehmerin besteht ein Anspruch auf Abfindung nach den Regeln aus Absatz (1)

…“

Die Klägerin war zumindest seit dem Jahr 2013 regelmäßig zugleich für die A. F. A. GmbH tätig, einer in Z. auf Usedom ansässigen Gesellschaft, die historische Fahrzeuge zu Wasser, zu Land und in der Luft betreibt und damit handelt. Die A. F. A. verfügt insbesondere über verschiedene historische Kampf- und Zivilflugzeuge, die in einer öffentlich zugänglichen Ausstellung zusammengefasst sind. Zu dieser Ausstellung gehört ein Restaurantbetrieb. Die A. F. A. bietet Rundflüge an und vermietet Ferienwohnungen. Herr V. S. ist an dieser Gesellschaft mittelbar zu ca. 94 % beteiligt. Die Klägerin schrieb für die A. F. A. verschiedene E-Mails mit dem Absender „c.k…de“. Sie verwandte u. a. die E-Mail-Signatur „Assistentin der Geschäftsleitung, A. F. GmbH“.

Etwa im August 2017 zeichnete sich ab, dass die Deutsche Beteiligungs-AG, die sich mit ihren Fonds 2014 bei der H.-Unternehmensgruppe beteiligt hatte, angesichts der drohenden wirtschaftlichen Schieflage die Zusammenarbeit mit den bisherigen Geschäftsführern S. und Dr. L. beenden wollte.

Mit Schreiben vom 15.12.2017, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2018, hilfsweise zum nächstmöglichen Zeitpunkt.

Am 10.01.2018 schloss der Geschäftsführer S. mit der Klägerin folgende Abwicklungsvereinbarung:

„…

§ 1

1. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch ordentliche betriebsbedingte Kündigung der Arbeitgeberin vom 15.12.2017, zugestellt am 15.12.2017, zum 30.06.2018 gekündigt.

2. Die Parteien sind sich darüber einig, dass das Arbeitsverhältnis über den unter Ziff. 1. benannten Beendigungszeitpunkt entsprechend der arbeitsvertraglichen Regelung bis zum 31.12.2018 fortbesteht.

§ 2

Die Arbeitgeberin verpflichtet sich, der Arbeitnehmerin ein Zeugnis der Note „sehr gut“ mit der üblichen Dankes- und Wünscheformel zu erteilen.

§ 3

Die Arbeitgeberin zahlt an die Arbeitnehmerin für den Verlust des Arbeitsplatzes in analoger Anwendung der §§ 9 und 10 KSchG eine Abfindung in Höhe von insgesamt 72.000,00 € brutto zum nächstmöglichen Termin. Die vertraglich vereinbarte Abfindung ist damit abgegolten.

§ 4

1. Die Arbeitnehmerin wird ab dem 12.02.2018 unter Fortzahlung ihrer Bezüge unter Anrechnung auf Urlaub und Überstunden bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses unwiderruflich freigestellt.

2. Die Arbeitnehmerin kann den ihr zur Verfügung gestellten Dienstwagen VW Golf, amtl. Kennz.V… bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses nutzen.

§ 5

Die Parteien verpflichten sich wechselseitig, über Interna des Arbeitsverhältnisses und diese Vereinbarung Stillschweigen zu bewahren.

§ 6

Die Arbeitnehmerin verzichtet im Hinblick auf die vorstehenden Regelungen auf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage. Die Arbeitgeberin nimmt diesen Verzicht an.

…“

Ähnliche Freistellungs- und/oder Abfindungsvereinbarungen schloss die Beklagte mit den folgenden Arbeitnehmerinnen:

………………..

Die Klägerin erhielt am 05.02.2018 einen Abfindungsbetrag in Höhe von € 40.249,78 netto.

Drei Tage später, am 08.02.2018, wurden die bisherigen Geschäftsführer der Beklagten, Herr V. S. und Frau Dr. K. L., abberufen. Zugleich übernahm Herr S. B. die Geschäftsführung der Beklagten und der „U. H. GmbH“.

Mit Schreiben vom 23.02.2018 warf die Beklagte der Klägerin vor, ihre arbeitsvertragliche Treue- und Rücksichtnahmepflicht verletzt und das Unternehmen aus Eigennutz geschädigt zu haben. Die Beklagte stellte eine außerordentliche Verdachts- sowie eine Tatkündigung in Aussicht und gab der Klägerin Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 28.02.2018. Die Klägerin äußerte sich nicht.

Mit Schreiben vom 02.03.2018, der Klägerin zugegangen am 06.03.2018, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis außerordentlich und hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin. Von dem Gehalt der Klägerin für den Monat Februar 2018 behielt die Beklagte laut Abrechnung vom 15.03.2018 einen Nettobetrag von € 348,70 ein. Mit Schreiben vom 14.03.2018 forderte sie den restlichen Abfindungsbetrag von € 71.651,30 zurück. Am 29.03.2018 gab die Klägerin nach Aufforderung durch die Beklagte den Dienstwagen zurück. Die KFZ-Nutzung wurde zuletzt mit einem monatlichen Betrag von € 903,91 abgerechnet.

Am 15.08.2018 nahm die Klägerin bei der Stadt C-Stadt eine neue Beschäftigung auf.

Die Klägerin hat erstinstanzlich die Ansicht vertreten, dass die außerordentliche Kündigung unwirksam sei und das Arbeitsverhältnis gemäß Abwicklungsvertrag bis zum 31.12.2018 fortbestanden habe. Die Klägerin habe sich nicht an Sabotageakten zulasten der Beklagten beteiligt. Nach Erhalt der Kündigung vom 15.12.2017 habe sich die Klägerin von ihrem Prozessbevollmächtigten rechtlich beraten lassen. Dieser habe auf die zu kurz bemessene Kündigungsfrist sowie evtl. Nachteile bei dem Bezug von Arbeitslosengeld hingewiesen. Die Klägerin sei daraufhin an Herrn S. herangetreten und habe sich schließlich auf den vorliegenden Abwicklungsvertrag verständigt. Der Klägerin habe schon nach ihrem Arbeitsvertrag eine Abfindung in Höhe von € 64.000,- zugestanden. Die Aufstockung dieses Betrages um weitere € 8.000,- als Gegenleistung für den Verzicht auf das Klagerecht sei keinesfalls überhöht oder unangemessen. Für die Klägerin sei nicht klar gewesen, ob sie nach dem Geschäftsführerwechsel weiterbeschäftigt werde.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.03.2018 nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche fristgemäße Kündigung der Beklagten vom 02.03.2018 nicht vor dem 31.12.2018 aufgelöst werden wird,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern zu unveränderten Bedingungen bis zum 31.12.2018 fortbesteht,

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin als weiteres Arbeitsentgelt für den Monat Februar 2018 € 348,70 netto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab dem 16.03.2018 zu zahlen,

5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin als Arbeitsentgelt für die Monate März 2018 bis einschließlich September 2018 insgesamt € 31.500,00 brutto zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf jeweils € 4.500,00

ab 16.04.2018,

ab 16.05.2018,

ab 16.06.2018,

ab 16.07.2018,

ab 16.08.2018,

ab 16.09.2018 und

ab 16.10.2018

zu zahlen, und

6. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Schadensersatz für den Entzug des Dienstwagens in den Monaten April 2018 bis Dezember 2018 in Höhe von insgesamt € 8.135,19 zuzüglich Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und widerklagend,

1. die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte € 71.651,30 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen, und

2. hilfsweise für den Fall der Unwirksamkeit der fristlosen Kündigung, die Klägerin zu verurteilen, gegenüber der Beklagten Auskunft über die Höhe des durch sie seit dem 06.03.2018 erworbenen anderweitigen Arbeitsverdienstes zu erteilen.

Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dass die außerordentliche Kündigung wirksam sei. Die Klägerin habe in kollusivem Zusammenwirken mit den früheren Geschäftsführern und weiteren Führungskräften die Gesellschaften erheblich geschädigt und diese sabotiert. Die Beklagte habe ebenso wie die „U. H. GmbH“ mit zahlreichen Führungskräften erst vor Kurzem eine Verlängerung der Kündigungsfrist vereinbart, zum Teil auch unwiderrufliche Freistellung im Falle einer Kündigung. Die Abwicklungsvereinbarungen seien ihrem Inhalt nach nicht marktüblich und einseitig zulasten der Beklagten und der „U. H. GmbH“ ausgestaltet. Die Klägerin habe zu einem erheblichen Teil ihrer Arbeitszeit gar nicht für die Beklagte, sondern für die A. F. A. GmbH gearbeitet. Mit Auszahlung der Abfindungen habe sich die Liquiditätslage der Unternehmensgruppe weiter verschlechtert. Die von der Deutschen Beteiligungs-AG bereitgestellten Mittel in Höhe von etwa € 5.000.000,- seien für notwendige Restrukturierungsmaßnahmen gedacht gewesen. Hiervon habe Frau W. am 05.02.2018 rund € 4.000.000,- an die B. H. e. G. gezahlt, obwohl die Forderung noch gar nicht fällig gewesen sei. Des Weiteren seien in großem Umfang Geschäftsunterlagen vernichtet worden.

Die Klägerin habe sich ebenfalls an den Sabotagemaßnahmen beteiligt. Sie habe sich in kollusivem Zusammenwirken mit der Geschäftsführung einen ungerechtfertigten persönlichen Vorteil zulasten des Gesellschaftsvermögens der Beklagten verschafft. Für die Zahlung einer Abfindung habe es keinen Rechtsgrund gegeben. Der Abwicklungsvertrag sei sittenwidrig und deshalb nichtig. Der Geschäftsführer S. habe seine Vertretungsmacht evident missbraucht. Angesichts der drohenden feindlichen Übernahme des ehemaligen Familienunternehmens habe sich die Klägerin vor Abberufung der Geschäftsführung zum Nachteil des Unternehmens eine finanzielle Absicherung verschafft. Die Klägerin habe sowohl von den wirtschaftlichen Schwierigkeiten der Beklagten als auch von den Ausscheidensvereinbarungen anderer Mitarbeiter der Führungsebene gewusst.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben und die Widerklage abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung sei unwirksam, weil nicht erwiesen sei, dass die Klägerin den Vermögensinteressen vorsätzlich zuwidergehandelt habe. Der Klägerin könne nicht vorgeworfen werden, den angebotenen Abwicklungsvertrag nebst Abfindung angenommen zu haben. Die Vereinbarung belaste die Beklagte zwar wirtschaftlich; andererseits gewinne sie aber auch Rechtssicherheit über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses der Klägerin. Dementsprechend habe die Klägerin einen Anspruch auf Gehalt und die Überlassung des Dienstwagens bzw. Schadensersatz. Den bei der Stadt C-Stadt erzielten Verdienst müsse sie nicht mitteilen. § 615 Satz 2 BGB sei aufgrund der unwiderruflichen Freistellung nicht anwendbar. Die Beklagte habe schließlich keinen Anspruch auf Rückzahlung der Abfindung, da der Abwicklungsvertrag wirksam sei.

Hiergegen wendet sich die Beklagte mit ihrer fristgerecht eingelegten und begründeten Berufung. Sie wiederholt und vertieft ihr erstinstanzliches Vorbringen. Betriebsvermögen sei von Herrn S. und seinem Sohn, Herrn M., zweckentfremdet u. a. für die A. F. A. eingesetzt worden. Beispielsweise seien Becher mit Flugzeugmotiven für die A. F. A. beschafft worden, die allerdings die „U. H. GmbH“ bezahlt habe. Herr S. habe als Geschäftsführer der Beklagten mit seiner Ehefrau A. S. einen Beratervertrag geschlossen mit einer Jahresvergütung von € 210.000,-, ohne dass eine entsprechende Gegenleistung erkennbar sei. Frau S. habe lediglich einfache Controlling-Tätigkeiten ausgeführt und Buchungen kontrolliert. Von August 2014 bis März 2018 seien monatlich rund € 20.000,- an eine andere Gesellschaft der Eheleute S. geflossen. Zweck der Abfindungszahlungen an die Führungskräfte sei es letztlich gewesen, eine gemeinsame Mauer des Schweigens zu errichten, was auch gelungen sei. Herr S. habe schon im Jahr 2011 entschieden, dass die Klägerin ihre Arbeitsleistung nicht mehr am Sitz der Beklagten in C-Stadt, sondern am Hangar .. in Z. zu erbringen habe. 2014 habe die Beklagte dann, um das Beschäftigungsverhältnis der Klägerin zu legitimieren, die Räumlichkeiten von der A. F. A. GmbH angemietet. Die Klägerin sei nahezu ausschließlich für diese GmbH tätig gewesen, habe aber ihr Gehalt von der Beklagten bezogen. Sie habe beispielsweise für die A. F. A. die Urlaubsplanung und Krankmeldungen bearbeitet. Die Klägerin habe zahlreiche E-Mails für diese Gesellschaft verfasst.

Des Weiteren regt die Beklagte an, das Berufungsverfahren gemäß §§ 148, 149 ZPO auszusetzen. Die Staatsanwaltschaft Schwerin habe gegen die früheren Geschäftsführer Ermittlungen aufgenommen und Hausdurchsuchungen durchgeführt. Es seien noch ca. 900.000 E-Mails auszuwerten. Bei der Klägerin bestehe der Verdacht einer strafbaren Beihilfe zur Untreue.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Stralsund (Kammern Neubrandenburg) vom 20.11.2018 – 13 Ca 74/18 – abzuändern und die Klage abzuweisen sowie widerklagend, die Klägerin zu verurteilen, an die Beklagte € 71.651,30 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts und nimmt ebenfalls Bezug auf ihr erstinstanzliches Vorbringen. Nach wie vor sei nicht ersichtlich, weshalb die Klägerin für das Verhalten der ehemaligen Geschäftsführer verantwortlich sein solle. Für eine Aussetzung des Rechtsstreits sei kein Raum. Ein Ermittlungsverfahren gegen die Klägerin gebe es nicht. Die Klägerin sei lediglich als Zeugin vernommen worden.

Mit Beschluss vom 17.01.2019 (701 IN 25/19) bestellte das Amtsgericht Neubrandenburg einen vorläufigen Insolvenzverwalter für die Beklagte. Am 01.04.2019 wurde das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten eröffnet, ebenso über das Vermögen der „U. H. GmbH“ (Amtsgericht Neubrandenburg, 701 IN 21/19).

Das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Beklagten wurde nach rechtskräftiger Bestätigung des Insolvenzplans am 20.09.2019 aufgehoben. Der Insolvenzplan sieht eine vorläufige Planquote von 0,25 % vor. Die Klägerin erhielt dementsprechend auf die im vorliegenden Rechtsstreit geltend gemachten Zahlungsansprüche einen Betrag in Höhe von etwa € 100,-. Im Anschluss daran hat sie mit Schriftsatz vom 11.03.2020 den Rechtsstreit hinsichtlich der Anträge auf Zahlung von Arbeitsentgelt und auf Schadensersatz wegen Entzugs des Dienstwagens für erledigt erklärt. Die Beklagte hat sich in der mündlichen Verhandlung dieser Erledigungserklärung angeschlossen. Des Weiteren haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung den Hilfsantrag der Beklagten auf Auskunftserteilung übereinstimmend für erledigt erklärt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen, die Sitzungsprotokolle sowie das angegriffene arbeitsgerichtliche Urteil verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, aber nicht begründet.

I. Kündigungsschutzklage

Die Kündigungsschutzklage ist auch der insolvenzrechtlichen Berücksichtigung des Entgelt- und Schadensersatzanspruchs weiterhin zulässig. Die gegenteilige Auffassung der Beklagten findet im Gesetz keine Stütze.

Die Zulässigkeit des Kündigungsschutzantrags ergibt sich aus § 4 Satz 1, § 7, § 13 Abs. 1 Satz 2 KSchG. Will ein Arbeitnehmer geltend machen, dass eine Kündigung sozial ungerechtfertigt oder aus anderen Gründen rechtsunwirksam ist, so muss er innerhalb von drei Wochen nach Zugang der schriftlichen Kündigung Klage beim Arbeitsgericht auf Feststellung erheben, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht aufgelöst ist. Wird die Rechtsunwirksamkeit einer Kündigung nicht rechtzeitig geltend gemacht, so gilt die Kündigung als von Anfang an rechtswirksam.

Aus der Folgeregelung des § 7 KSchG ergibt sich zugleich das Feststellungsinteresse. Es muss vom Kläger nicht gesondert dargelegt werden. Das Feststellungsinteresse entfällt erst dann, wenn dem Kläger bei einem Wirksamwerden der Kündigung keinerlei Nachteile mehr drohen können. Bis dahin hat er ein objektiv schutzwürdiges Interesse daran, die Wirkung des § 7 KSchG zu verhindern (BAG, Urteil vom 11. Februar 1981 – 7 AZR 12/79 – Rn. 26, juris = AP Nr. 8 zu § 4 KSchG 1969; ErfK/Kiel, 20. Aufl. 2020, § 4 KSchG, Rn. 9).

Die Klägerin hat weiterhin ein Interesse daran, die Unwirksamkeit der Kündigung gerichtlich feststellen zu lassen. Diese Feststellung ist nicht nur bedeutsam für ihre sozialrechtliche Stellung, sondern auch für die widerklagend geltend gemachte Forderung auf Rückzahlung der Abfindung.

Die Kündigungsschutzklage ist begründet.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten von 02.03.2018 ist unwirksam. Auf die Wirksamkeit der zugleich hilfsweise ausgesprochenen ordentlichen Kündigung kommt es nicht mehr an, da diese das Arbeitsverhältnis angesichts der vertraglich vereinbarten Kündigungsfrist von 12 Monaten zum Monatsende nicht vor dem 31.12.2018 beenden würde.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (BAG, Urteil vom 27. Juni 2019 – 2 AZR 50/19 – Rn. 12, juris = NZA 2019, 1345; BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15, juris = NZA 2019, 445; BAG, Urteil vom 25. Januar 2018 – 2 AZR 382/17 – Rn. 26, juris = NZA 2018, 845).

Bei der Prüfung im Rahmen des § 626 Abs. 1 BGB, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der – fiktiven – Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 28, juris = NZA 2019, 445). Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Dabei lassen sich die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumindest bis zum Ende der Frist für eine ordentliche Kündigung zumutbar war oder nicht, nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Sie scheidet aus, wenn es ein „schonenderes“ Gestaltungsmittel – etwa Abmahnung, Versetzung, ordentliche Kündigung – gibt, das ebenfalls geeignet ist, den mit einer außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – nicht die Sanktion des pflichtwidrigen Verhaltens, sondern die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen des Arbeitsverhältnisses – zu erreichen. Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers ist im Rahmen der Interessenabwägung insbesondere hinsichtlich einer möglichen Wiederholungsgefahr von Bedeutung. Je höher er ist, desto größer ist diese (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 29, juris = NZA 2019, 445).

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 30, juris = NZA 2019, 445).

Die Rechtmäßigkeit einer Kündigung ist anhand der zum Zeitpunkt des Zugangs gegebenen objektiven Verhältnisse zu beurteilen (BAG, Urteil vom 17. Februar 2016 – 2 AZR 613/14 – Rn. 26, juris = ZTR 2016, 418; BAG, Urteil vom 23. Oktober 2014 – 2 AZR 644/13 – Rn. 21, juris = NJW 2015, 1403). Ausschlaggebend ist, wie sich die Situation in dem betroffenen Arbeitsverhältnis zu diesem Zeitpunkt bei objektiver Betrachtung darstellt.

Die Verletzung arbeitsvertraglicher Nebenpflichten, u. a. der Rücksichtnahmepflicht aus § 241 BGB, kann ein wichtiger Grund „an sich“ im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB sein (BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 611/17 – Rn. 43, juris = NZA 2018, 1405).

Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei eines Arbeitsvertrags zur Rücksichtnahme auf Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Der Arbeitnehmer hat seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (BAG, Urteil vom 25. April 2018 – 2 AZR 611/17 – Rn. 44, juris = NZA 2018, 1405). Zu den hieraus herzuleitenden Pflichten der Vertragspartner gehört im Arbeitsverhältnis die Schadensabwendungspflicht, nach der der Arbeitnehmer gehalten ist, drohende Schäden vom Arbeitgeber abzuwenden bzw. zu beseitigen, soweit ihm dies möglich und zumutbar ist (BAG, Urteil vom 20. Oktober 2016 – 6 AZR 471/15 – Rn. 43, juris = ZTR 2017, 47; BAG, Urteil vom 28. August 2008 – 2 AZR 15/07 – Rn. 21, juris = NZA 2009, 192).

Die Pflicht des Arbeitnehmers, auf die Interessen des Arbeitgebers Rücksicht zu nehmen, bedeutet nicht, dass der Arbeitnehmer seine eigenen Interessen denen des Arbeitgebers unterzuordnen hat. Der Arbeitnehmer darf ebenso wie der Arbeitgeber seine Interessen im Rahmen der bestehenden Regelungen wahren. Das gilt insbesondere bei dem Abschluss von Arbeits-, Änderungs- oder Aufhebungs- bzw. Abwicklungsverträgen. Der Arbeitnehmer ist grundsätzlich nicht gehalten, die eigenen Interessen hintenan zu stellen und für ihn günstige Vertragsgestaltungen abzulehnen. Die vertraglichen Gestaltungsmöglichkeiten dürfen jedoch nicht rechtsmissbräuchlich zulasten Dritter eingesetzt werden. Der Arbeitnehmer verletzt seine Rücksichtnahmepflicht bei Eingehung eines Vertrages, wenn er sich in kollusivem Zusammenwirken mit einem Vertreter des Arbeitgebers Leistungen versprechen lässt, die aus keinem Gesichtspunkt berechtigt sein können und offensichtlich den Interessen des Arbeitgebers zuwiderlaufen.

Ein kollusives Zusammenwirken liegt vor, wenn Arbeitnehmer und das vertretungsberechtigte Organ bewusst zum Nachteil der Gesellschaft zusammenwirken (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. August 2009 – 11 Sa 147/09 – Rn. 64, juris). Der Arbeitnehmer muss erkannt haben oder zumindest ohne weiteres erkennen können, dass der zur Leistung verpflichtete Arbeitgeber keinerlei eigene Interessen an dieser Vereinbarung haben kann und offensichtlich gezielt geschädigt werden soll. Ein kollusives Handeln stellt in der Regel einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB jedenfalls dann dar, wenn dieses zu einer erheblichen Schädigung des Vertretenen führt (LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Januar 2010 – 10 Sa 1851/09 – Rn. 36, juris). Allerdings vermag nicht jede Besserstellung einer Vertragspartei den Vorwurf der Kollusion zu begründen (LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 13. August 2009 – 11 Sa 147/09 – Rn. 70, juris).

Handelt ein Vertretungsorgan beim Abschluss eines arbeitsrechtlichen Aufhebungsvertrages mit der Vertragspartnerin in kollusivem Zusammenwirken zu Lasten der Gesellschaft, und konnte oder musste die Vertragspartnerin dies erkennen, so kann sie sich auf die Wirksamkeit des Vertrages nicht berufen (BAG, Urteil vom 29. Januar 1997 – 2 AZR 472/96 – Rn. 26, juris = NJW 1997, 1940; BAG, Urteil vom 09. März 1978 – 3 AZR 577/76 – Rn. 26, juris = AP Nr. 1 zu § 126 HGB; vgl. LAG Thüringen, Urteil vom 09. November 2017 – 3 Sa 139/17 – Rn. 40, juris; LAG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 22. Januar 2010 – 10 Sa 1851/09 – Rn. 34, juris).

Die Klägerin hat weder mit Abschluss des auf den 30.10.2016 datierten Arbeitsvertrages noch mit Abschluss des Abwicklungsvertrags vom 10.01.2018 ihre Rücksichtnahmepflicht verletzt. Ein kündigungsrelevanter Vorwurf oder Verdacht anderweitiger Pflichtverletzungen zulasten der Beklagten, z. B. durch Vernichtung von Geschäftsunterlagen oder durch unrechtmäßige Auszahlung von Geldern, liegt gegenüber der Klägerin nicht vor.

Die Vereinbarung einer Abfindung für den Fall der Beendigung eines Arbeitsverhältnisses, insbesondere bei einer Eigenkündigung, ist zwar keine übliche Vertragsklausel. Üblich ist es jedoch, Arbeitsverhältnisse gegen Zahlung einer Abfindung zu beenden, vor allem, um Rechtssicherheit zu erlangen. Abfindungen dienen dem Ausgleich des Arbeitsplatzverlustes. Die Höhe richtet sich regelmäßig nach der Beschäftigungszeit, dem Lebensalter und den Unterhaltspflichten. Von einem Arbeitsplatzverlust war auch die Klägerin betroffen. Da die Klägerin langjährig im unmittelbaren Umfeld von Herrn S. gearbeitet hatte, war ihr Beschäftigungsverhältnis schon deshalb – unabhängig von Kündigungsgründen nach dem Kündigungsschutzgesetz – im Falle einer personellen Neuausrichtung der Unternehmensgruppe bedroht. Die Klägerin hatte ein berechtigtes Interesse an einer gewissen wirtschaftlichen Absicherung bei einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses und an einem finanziellen Ausgleich für die langjährigen Arbeitsleistungen. Für die Klägerin war es dabei unerheblich, ob und in welchem Umfang sie letztlich für die Beklagte, die A. F. A. GmbH oder eine sonstige Gesellschaft der Familie S. tätig war. Als Arbeitnehmerin durfte sie grundsätzlich den Weisungen von Herrn S. Folge leisten, ohne befürchten zu müssen, ihre Pflichten aus dem Arbeitsvertrag mit der Beklagten zu verletzen. Sie musste sich nicht darum kümmern, ob und wie ihr Einsatz für anderen Gesellschaften der Unternehmensgruppe intern be- und verrechnet wurde. Verantwortlich für den Einsatz der Klägerin als Leiharbeitnehmerin bei der A. F. A. GmbH war nicht sie, sondern Herr S.. Evtl. Pflichtverletzungen des damaligen Geschäftsführers S. gegenüber der Beklagten gehen grundsätzlich nicht zulasten der Klägerin.

Die Zusage einer Abfindung im Arbeitsvertrag und die Abfindungsregelung im Abwicklungsvertrag diente nicht allein dazu, die Beklagte zu schädigen. Eine Abfindungszahlung belastet zwar stets das Vermögen der Arbeitgeberin. Andererseits bestand aber auch ein gewisses Interesse daran, sich von der Klägerin zu trennen, da ein besonderes Vertrauensverhältnis zu Herrn S. bestand. Mit der Beendigung des Arbeitsverhältnisses ermöglichte die Klägerin einen unbelasteten Neuanfang. Sie gab damit den Bestandsschutz eines rund 16-jährigen Beschäftigungsverhältnisses auf. Hierfür durfte sie die Zahlung einer Abfindung erwarten. Eine bezahlte Freistellung ist in einer solchen Situation ebenfalls üblich und interessengerecht.

Eine Abfindung in Höhe eines Bruttogehaltes je Beschäftigungsjahr übersteigt zwar den Betrag des § 1a KSchG. Die Abfindung ist allerdings nicht so hoch, dass sie keinesfalls mehr als angemessen betrachtet werden kann. Der Abfindungsbetrag mag über dem Durchschnitt liegen. Völlig überhöht oder gänzlich unüblich ist er deshalb aber nicht.

Nicht üblich ist allerdings, dass eine Abfindung schon weit vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses ausgezahlt wird. Die Klägerin hatte hierauf jedoch keinen Einfluss. Der Abwicklungsvertrag enthält keinen Zahlungstermin. Vertragsgemäß ist die Abfindung zum nächstmöglichen Termin zu zahlen. Die Klägerin hat nicht im Bewusstsein, die Beklagte zu schädigen, eine vorzeitige Auszahlung erwirkt.

Soweit andere Führungskräfte der Beklagten und der „U. H. GmbH“ ihre Anstellungs- bzw. Arbeitsverhältnisse durch Kündigung oder Abwicklungsvertrag, zum Teil gegen Abfindung, beendet haben, lässt sich daraus kein kollusives Handeln der Klägerin herleiten. Die Klägerin hat den Abwicklungsvertrag bereits am 10.01.2018 geschlossen. Die Kündigungen der anderen Führungskräfte wurden erst danach ausgesprochen. Schon deshalb können sie nicht der Klägerin angelastet werden.

II. Widerklage

Die Widerklage ist zulässig, aber nicht begründet. Die Beklagte hat keinen Anspruch auf Rückzahlung der Abfindung.

Nach § 280 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Gläubiger Ersatz des entstandenen Schadens verlangen, wenn der Schuldner seine Pflicht aus dem Schuldverhältnis verletzt. Die Klägerin hat jedoch, wie bereits dargelegt, ihre Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis nicht verletzt.

Ebenso wenig ergibt sich ein Schadensersatzanspruch aus einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB).

Die Beklagte hat zudem keinen Anspruch auf Herausgabe der Abfindung wegen ungerechtfertigter Bereicherung (§ 812 Abs. 1 Satz 1 BGB). Die Klägerin hat die Zahlung nicht rechtsgrundlos erlangt. Der Abwicklungsvertrag ist wirksam, da er nicht auf einem kollusivem Zusammenwirken mit dem ehemaligen Geschäftsführer S. beruht.

III. Aussetzung

Der Rechtsstreit war nicht gemäß § 149 Abs. 1 ZPO auszusetzen.

Nach § 149 Abs. 1 ZPO kann das Gericht, wenn sich im Laufe eines Rechtsstreits der Verdacht einer Straftat ergibt, deren Ermittlung auf die Entscheidung von Einfluss ist, die Aussetzung der Verhandlung bis zur Erledigung des Strafverfahrens anordnen. Das Gericht hat die Verhandlung auf Antrag einer Partei fortzusetzen, wenn seit der Aussetzung ein Jahr vergangen ist, sofern nicht gewichtige Gründe für die Aufrechterhaltung der Aussetzung sprechen (§ 149 Abs. 2 ZPO).

Zweck der Aussetzungsmöglichkeit ist es, im Interesse der Prozesswirtschaftlichkeit eine doppelte Arbeitsleistung, zusätzliche Belastungen der Parteien etwa durch die Vernehmung von Zeugen oder doppelte Beweisaufnahmen zu verhindern. Die Nachteile einer Verzögerung des Zivilprozesses und die Vorteile eines möglichen Erkenntnisgewinns aus dem Strafverfahren sind gegeneinander abzuwägen (LAG Düsseldorf, Beschluss vom 20. Dezember 2017 – 4 Ta 439/17 – Rn. 11, juris).

Dabei ist der arbeitsrechtliche Beschleunigungsgrundsatz (§ 9 Abs. 1 ArbGG) zu berücksichtigen. Die Aussetzung eines Kündigungsschutzprozesses bis zur rechtskräftigen Erledigung eines Strafverfahrens, in dem der Kündigungsvorwurf auf seine strafrechtliche Relevanz hin geprüft wird, kommt regelmäßig nicht in Betracht (BAG, Urteil vom 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11 – Rn. 15, juris = NZA 2013, 371; BAG, Urteil vom 25. November 2010 – 2 AZR 801/09 – Rn. 17, juris = NZA-RR 2012, 222).

Aus den derzeit laufenden Ermittlungsverfahren gegen V. S., G. H. und D. M. sind keine Erkenntnisse zu erwarten, die eine weitere Verzögerung des Kündigungsschutzprozesses, ggf. bis zur Dauer eines Jahres, rechtfertigen. Die Klägerin ist bereits umfangreich vernommen worden. Ein Ermittlungsverfahren ist gegen sie bislang nicht eingeleitet worden. Ob die seit 2018 laufenden Ermittlungen gegen die früheren Geschäftsführer in absehbarer Zeit neue Erkenntnisse hervorbringen werden, die auch für den vorliegenden Rechtsstreit bedeutsam sind, ist nicht absehbar. Auf der anderen Seite hat sich die Entscheidung des Rechtsstreits bereits durch die insolvenzbedingte Unterbrechung verzögert. Eine weitere Verzögerung ist nicht zu rechtfertigen, da der Rechtsstreit entscheidungsreif ist und es keine greifbaren Anhaltspunkte gibt, dass die strafrechtlichen Ermittlungen neue, die Klägerin betreffende Sachverhaltsdetails ans Licht bringen werden. Zudem ist nicht mit einem Abschluss der Ermittlungen innerhalb der Jahresfrist zu rechnen.

IV. Nebenentscheidungen

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91a Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

Haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärt, so entscheidet das Gericht über die Kosten unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen durch Beschluss (§ 91a Abs. 1 Satz 1 ZPO). Die Ermessensentscheidung ist regelmäßig daran auszurichten, wer die Kosten zu tragen gehabt hätte, wenn die Erledigung nicht eingetreten wäre. Die Kosten sind den Parteien ganz oder teilweise in demjenigen Umfang aufzuerlegen, in dem sie das Verfahren voraussichtlich verloren hätten (z. B. BAG, Beschluss vom 02. Januar 2018 – 6 AZR 235/17 – Rn. 18 = NZA 2018, 325; BAG, Beschluss vom 22. Januar 2004 – 1 AZR 495/01 – Rn. 12, juris = ZTR 2004, 268; Zöller/Althammer, ZPO, 33. Aufl. 2020, § 91a, Rn. 24).

Nach dem bisherigen Sach- und Streitstand hätte die Beklagte den Rechtsstreit, soweit die Parteien ihn für erledigt erklärt haben, voraussichtlich verloren. Die Klägerin hatte, da die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.03.2018 unwirksam ist, aus dem Abwicklungsvertrag bzw. aus § 611a Abs. 2 BGB Ansprüche auf Arbeitsentgelt für die Monate Februar bis September 2018 in der geltend gemachten Höhe. Des Weiteren bestand ein Schadensersatzanspruch aus § 280 BGB wegen Entzugs des Dienstwagens. Der widerklagend erhobene Auskunftsanspruch war hingegen nicht berechtigt, da die Klägerin unwiderruflich freigestellt war. Eine Anrechnung von Zwischenverdienst kommt im Falle einer unwiderruflichen Freistellung nur dann in Betracht, wenn die Anrechnung vertraglich vorbehalten wurde (BAG, Urteil vom 19. März 2002 – 9 AZR 16/01 – Rn. 30, juris = ZTR 2003, 98; LAG Köln, Urteil vom 27. Oktober 2006 – 4 Sa 796/06 – Rn. 19, juris). Ein solcher Vorbehalt ist im Abwicklungsvertrag der Klägerin nicht enthalten.

Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor. Der Rechtsstreit wirft keine entscheidungserheblichen Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.

 

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