Übersicht:
- Der Fall vor Gericht
- Streit um Worte: Wann eine Äußerung zur Kündigung führen kann
- Die Vorgeschichte: Ein Erzieher im Konflikt mit seinem Arbeitgeber
- Der Gang durch die Instanzen: Von Kaiserslautern nach Mainz
- Die zentralen Fragen für das Landesarbeitsgericht
- Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts: Beide Kündigungen unwirksam
- Warum die außerordentliche Kündigung vom 30.11.2020 nicht hielt
- Warum auch die ordentliche Kündigung vom 30.11.2020 scheiterte
- Die zweite Kündigung vom 11.03.2021: Ein unzulässiger Wiederholungsversuch
- Kein Grund für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was gilt als so schwere verbale Entgleisung am Arbeitsplatz, dass sie eine Kündigung rechtfertigen kann?
- Ist vor einer Kündigung wegen verbalen Fehlverhaltens immer eine Abmahnung erforderlich?
- Wie werden Äußerungen, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens oder durch einen Anwalt getätigt werden, rechtlich bewertet?
- Welche Voraussetzungen müssen für eine fristlose Kündigung erfüllt sein?
- Welche formalen Schritte muss ein Arbeitgeber vor einer Kündigung einhalten, damit diese wirksam ist?
- Glossar
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Urteil Az.: 8 Sa 164/21 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Zum vorliegendenDas Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz
- Datum: 15.02.2022
- Aktenzeichen: 8 Sa 164/21
- Verfahrensart: Kündigungsschutzverfahren
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Ein Erzieher in einem Jugendheim der Beklagten, der sich gegen zwei Kündigungen seines Arbeitsverhältnisses wehrte. Er argumentierte, die Äußerungen seines Anwalts seien zulässig gewesen und er habe selbst keine Vorgesetzte beleidigt.
- Beklagte: Ein Unternehmen, das Jugendbetreuungseinrichtungen leitet und das Arbeitsverhältnis des Klägers wegen angeblicher Verleumdungen und wahrheitswidriger Äußerungen kündigte. Sie beantragte hilfsweise die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung.
Worum ging es in dem Fall?
- Sachverhalt: Der Kläger ist seit August 2013 als Erzieher in einem Jugendheim der Beklagten tätig. Nach einem früheren Rechtsstreit, in dem der Anwalt des Klägers eine Zeugin als objektiv falsch aussagend darstellte, sprach die Beklagte dem Kläger zwei außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigungen aus.
- Kern des Rechtsstreits: Es ging um die Rechtmäßigkeit dieser Kündigungen. Dabei wurde geprüft, ob die beanstandeten Äußerungen des Anwalts des Klägers oder die dem Kläger persönlich zugeschriebenen Äußerungen einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellten und ob das Arbeitsverhältnis bei Unwirksamkeit der Kündigungen aufgelöst werden sollte.
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Das Gericht wies die Berufungen der Beklagten gegen die erstinstanzlichen Urteile zurück, die die Unwirksamkeit beider Kündigungen festgestellt hatten. Die Revision wurde nicht zugelassen.
- Begründung: Die erste Außerordentliche Kündigung war unter anderem wegen der Nichteinhaltung der Zweiwochenfrist und des Fehlens einer vorherigen Abmahnung unwirksam. Die Äußerungen des Anwalts waren als zulässige Prozesshandlung anzusehen, die keine bewusste Falschaussage darstellten. Die zweite Kündigung war unwirksam, da sie eine Wiederholungskündigung war, die sich auf bereits geprüfte und als nicht tragfähig befundene Gründe stützte. Auch der Auflösungsantrag der Beklagten wurde abgewiesen, da keine ausreichenden Gründe für eine unzumutbare Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses vorlagen.
- Folgen: Das Arbeitsverhältnis des Klägers bleibt bestehen. Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.
Der Fall vor Gericht
Streit um Worte: Wann eine Äußerung zur Kündigung führen kann
Jeder kennt das: Im Eifer des Gefechts fallen manchmal harte Worte. Doch was passiert, wenn solche Worte am Arbeitsplatz fallen oder sogar im Rahmen eines Gerichtsverfahrens zwischen einem Arbeitnehmer und seinem Arbeitgeber geäußert werden? Kann das den Job kosten? Genau mit dieser Frage musste sich das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz beschäftigen. Ein Erzieher hatte von seinem Arbeitgeber, einem Unternehmen für Jugendbetreuung, gleich zwei Kündigungen erhalten, weil er angeblich seine Vorgesetzte der Lüge bezichtigt haben soll und sein Anwalt in einem früheren Prozess eine Zeugenaussage als „nachweislich falsch“ bezeichnet hatte. Aber reicht so etwas für eine Kündigung?
Die Vorgeschichte: Ein Erzieher im Konflikt mit seinem Arbeitgeber
Der Kläger, nennen wir ihn Herrn M., war seit August 2013 als Erzieher in einem Jugendheim tätig, das von der Beklagten, einem großen Unternehmen (im Folgenden „das Unternehmen“ genannt), betrieben wird. Das Unternehmen beschäftigt viele Mitarbeiter und es gibt einen Betriebsrat, also eine gewählte Vertretung der Arbeitnehmer. Zwischen Herrn M. und dem Unternehmen hatte es schon früher Auseinandersetzungen gegeben, die vor Gericht landeten.
In einem dieser früheren Verfahren ging es darum, ob eine Abmahnung gegen Herrn M. rechtens war. Eine Abmahnung ist eine formelle Rüge des Arbeitgebers bei Pflichtverstößen, quasi eine „gelbe Karte. Der Hintergrund der Abmahnung war, ob Herr M. eine telefonische Anweisung seiner Kollegin, Frau E., erhalten und ignoriert hatte, einen Jugendlichen im Krankenhaus zu besuchen. Frau E. hatte in diesem Prozess als Zeugin ausgesagt. Im Berufungsverfahren dazu – also der Überprüfung des ersten Urteils durch ein höheres Gericht – schrieb der Anwalt von Herrn M. in einem Schriftsatz, also einer schriftlichen Stellungnahme an das Gericht: „Die Aussage der Zeugin E. … ist damit nachweislich falsch und kann nicht mehr an die Wahrheit ‚angepasst‘ werden, ohne vollends unglaubhaft zu werden.“ Der Anwalt fügte hinzu, Herr M. habe später erfahren, dass Frau E. gar nicht mit ihm, sondern mit einer anderen Kollegin, Frau F., telefoniert habe.
Das Unternehmen sah in diesem Schriftsatz des Anwalts einen schweren Vorwurf. Es warf Herrn M. vor, sich von dieser Aussage nicht distanziert und sie sogar mündlich bekräftigt zu haben. Deshalb hörte das Unternehmen den Betriebsrat an – was es vor einer Kündigung tun muss – und sprach Ende November 2020 eine außerordentliche Kündigung aus. Eine außerordentliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis fristlos, also sofort. Für den Fall, dass diese nicht wirksam sein sollte, kündigte das Unternehmen hilfsweise ordentlich, also unter Einhaltung der normalen Kündigungsfrist. Anfang März 2021 wiederholte das Unternehmen das Ganze und sprach eine zweite, inhaltlich gleiche Kündigung aus.
Der Gang durch die Instanzen: Von Kaiserslautern nach Mainz
Herr M. wehrte sich gegen beide Kündigungen mit Kündigungsschutzklagen vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern. Eine Kündigungsschutzklage ist ein Antrag bei Gericht, festzustellen, dass eine Kündigung unwirksam ist. Er argumentierte, der Schriftsatz seines Anwalts sei kein Kündigungsgrund und er habe die Zeugin E. auch nicht persönlich der Lüge bezichtigt.
Das Unternehmen hingegen meinte, Herr M. habe seine Vorgesetzte einer falschen Aussage bezichtigt und das Vertrauensverhältnis sei zerstört. Es beantragte, die Klagen abzuweisen und, falls die Kündigungen als sozial ungerechtfertigt angesehen würden, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen. Eine Abfindung ist eine einmalige Geldzahlung an den Arbeitnehmer bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Das Arbeitsgericht Kaiserslautern gab Herrn M. in beiden Fällen Recht. Es entschied, dass die Äußerungen im Anwaltsschriftsatz kein Kündigungsgrund seien, da nicht behauptet wurde, die Zeugin habe bewusst gelogen, sondern nur, ihre Aussage sei objektiv falsch. Zudem hätte es vor einer Kündigung einer Abmahnung bedurft. Auch den Auflösungsantrag des Unternehmens lehnte es ab. Das Unternehmen legte gegen diese Entscheidungen Berufung beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz ein. Damit ging der Fall in die nächste Instanz.
Die zentralen Fragen für das Landesarbeitsgericht
Das Landesarbeitsgericht musste nun also prüfen: Waren die Kündigungen vom 30. November 2020 und vom 11. März 2021 wirksam? Und falls nicht, gab es Gründe, das Arbeitsverhältnis trotzdem auf Antrag des Unternehmens gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen? Im Kern ging es darum, ob die Äußerungen im Anwaltsschriftsatz oder die angeblichen persönlichen Äußerungen von Herrn M. so schwerwiegend waren, dass sie eine Kündigung rechtfertigen konnten.
Die Entscheidung des Landesarbeitsgerichts: Beide Kündigungen unwirksam
Das Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz wies die Berufungen des Unternehmens zurück. Es bestätigte die Entscheidungen des Arbeitsgerichts: Beide Kündigungen waren rechtsunwirksam, und auch der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses hatte keinen Erfolg. Aber warum kam das Gericht zu diesem Ergebnis? Schauen wir uns die Begründung genauer an.
Warum die außerordentliche Kündigung vom 30.11.2020 nicht hielt
Was braucht man für eine fristlose Kündigung?
Eine außerordentliche, also fristlose, Kündigung ist die schärfste Maßnahme im Arbeitsrecht. Sie ist nur erlaubt, wenn ein sogenannter „wichtiger Grund“ vorliegt, wie es im § 626 Absatz 1 des Bürgerlichen Gesetzbuches (BGB) steht. Ein wichtiger Grund liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, aufgrund derer dem Kündigenden, hier dem Unternehmen, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der normalen Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gericht muss dabei immer zwei Dinge prüfen: Erstens, ist der Vorfall „an sich“ überhaupt geeignet, ein wichtiger Grund zu sein? Und zweitens, ist die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und nach Abwägung der Interessen beider Seiten – also des Arbeitgebers und des Arbeitnehmers – wirklich unzumutbar?
Das Unternehmen hatte zwei Gründe für die Kündigung genannt: den Inhalt des Anwaltsschriftsatzes und die angebliche persönliche Bezichtigung der Zeugin E. der Lüge durch Herrn M.
Der Anwaltsschriftsatz: Zu spät und nicht ausreichend gravierend
Das Gericht prüfte zuerst den Schriftsatz des Anwalts von Herrn M. vom 18. August 2020. Hier gab es gleich zwei Probleme für das Unternehmen:
Erstens: Die Frist war abgelaufen. Nach § 626 Absatz 2 BGB muss eine außerordentliche Kündigung innerhalb von zwei Wochen erfolgen, nachdem der Kündigende von den maßgeblichen Kündigungsgründen erfahren hat. Das Unternehmen hatte aber nicht behauptet, erst kurz vor der Kündigung Ende November von dem Schriftsatz aus dem August erfahren zu haben. Allein deshalb konnte dieser Schriftsatz die Kündigung nicht mehr rechtfertigen. Stellen Sie sich vor, Ihr Nachbar beschädigt Ihren Zaun, und Sie beschweren sich erst Monate später und wollen sofortigen Ersatz – das wäre ähnlich spät.
Zweitens, und das ist inhaltlich wichtiger: Das Gericht sah in dem Schriftsatz keinen bewusst falschen Vortrag oder eine unzulässige Beleidigung. Zwar verletzt ein Arbeitnehmer, der im Prozess bewusst Falsches vorträgt, um sich Vorteile zu verschaffen, seine Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber dem Arbeitgeber (geregelt in § 241 Absatz 2 BGB). Auch grobe Beleidigungen von Kollegen können ein Kündigungsgrund sein. Aber hier lag der Fall anders.
Die Pflicht zur Wahrheit im Prozess, die in § 138 Absatz 1 der Zivilprozessordnung (ZPO) steht, bedeutet, dass man nicht bewusst lügen darf. Es bedeutet aber nicht, dass man nur Tatsachen behaupten darf, von deren hundertprozentiger Wahrheit man absolut überzeugt ist. Man darf auch Dinge vortragen, die man so in Erinnerung hat oder die einem plausibel erscheinen, auch wenn sie sich später als falsch herausstellen. Die Beweislast dafür, dass Herr M. oder sein Anwalt hier bewusst gelogen haben, lag beim Unternehmen. Das Unternehmen konnte aber keine Anhaltspunkte dafür nennen, dass Herr M. bewusst die Unwahrheit gesagt oder sagen lassen hat. Es gab sogar Hinweise, etwa eine schriftliche Stellungnahme der Kollegin Frau F., die eher auf ein Missverständnis oder eine andere Erinnerung von Herrn M. hindeuteten, ob er nun direkt mit Frau E. telefoniert hatte oder nicht.
Und was ist mit dem Vorwurf der Ehrverletzung, weil der Anwalt schrieb, die Aussage von Frau E. sei „nachweislich falsch“? Das Gericht erklärte, dass Prozessbeteiligte zur Verteidigung ihrer Rechte auch starke und eindringliche Ausdrücke benutzen dürfen, solange sie die Wahrheitspflicht nicht verletzen. Der Anwalt hatte hier argumentiert, die Aussage sei objektiv falsch, nicht dass Frau E. bewusst gelogen habe. Das ist ein Unterschied! Jemand kann sich irren oder etwas falsch erinnern, ohne ein Lügner zu sein. Daher sah das Gericht hier keine unzulässige Diskreditierung oder Ehrverletzung.
Die angebliche persönliche Lügengeschichte: Ohne Abmahnung geht es nicht
Nun zu dem zweiten Vorwurf: Herr M. soll Frau E. persönlich als Lügnerin bezeichnet haben. Wenn das stimmen würde, wäre das „an sich“ durchaus ein Grund, der eine Kündigung rechtfertigen könnte. Jemandem vorzuwerfen, er lüge, ist ein schwerer Vorwurf und kann die Zusammenarbeit erheblich belasten.
Das Gericht musste aber gar nicht klären, ob Herr M. das wirklich gesagt hat. Denn selbst wenn man unterstellt, dass die Behauptung des Unternehmens zutrifft, wäre eine außerordentliche Kündigung ohne vorherige Abmahnung unverhältnismäßig gewesen. Eine Abmahnung ist nur dann nicht nötig, wenn man davon ausgehen kann, dass sich der Arbeitnehmer auch nach einer Abmahnung nicht ändern wird, oder wenn der Pflichtverstoß so extrem schwer ist, dass es dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, das Arbeitsverhältnis auch nur einen Tag länger fortzusetzen.
Hier lag laut Gericht eine emotionale Sondersituation während eines Gerichtsverfahrens vor. Herr M. hatte bisher keine einschlägige Abmahnung wegen seines Umgangs mit Kollegen oder Vorgesetzten erhalten. Sein Verhalten, selbst wenn es so gewesen wäre, war nicht so gravierend, dass er ohne jede Vorwarnung mit einer fristlosen Kündigung rechnen musste. Eine Abmahnung, so das Gericht, hätte Herrn M. vermutlich dazu gebracht, sein Verhalten kritischer zu überdenken. Deshalb hätte das Unternehmen nicht sofort mit einer außerordentlichen Kündigung reagieren dürfen.
Warum auch die ordentliche Kündigung vom 30.11.2020 scheiterte
Auch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 30. November 2020 war unwirksam. Hier gilt das Kündigungsschutzgesetz (KSchG), da Herr M. schon lange im Unternehmen beschäftigt war und das Unternehmen viele Mitarbeiter hat. Eine Kündigung ist nach § 1 Absatz 2 Satz 1 KSchG sozial ungerechtfertigt, wenn sie nicht durch Gründe im Verhalten des Arbeitnehmers bedingt ist. Entscheidend ist auch hier oft, ob mildere Mittel wie eine Abmahnung ausgereicht hätten, um zukünftiges vertragstreues Verhalten sicherzustellen. Aus den gleichen Gründen wie bei der außerordentlichen Kündigung – nämlich dem Fehlen einer vorherigen einschlägigen Abmahnung – war auch die ordentliche Kündigung nicht gerechtfertigt.
Zusätzlich kam hier noch ein weiterer Fehler des Unternehmens hinzu: Es hatte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß beteiligt. Nach § 102 des Betriebsverfassungsgesetzes (BetrVG) muss der Arbeitgeber den Betriebsrat vor jeder Kündigung anhören und ihm die Gründe mitteilen. Der Betriebsrat hat dann eine Woche Zeit, um Stellung zu nehmen. Eine Kündigung, die ausgesprochen wird, bevor diese Frist abgelaufen ist (oder bevor der Betriebsrat sich abschließend geäußert hat), ist unwirksam. Genau das war hier passiert.
Die zweite Kündigung vom 11.03.2021: Ein unzulässiger Wiederholungsversuch
Und was war mit der zweiten Kündigung vom März 2021? Diese war nach Ansicht des Gerichts schon deshalb unwirksam, weil es sich um eine sogenannte „Wiederholungskündigung“ handelte. Das bedeutet: Ein Arbeitgeber kann nicht erfolgreich eine neue Kündigung auf genau dieselben Gründe stützen, die er schon für eine frühere Kündigung verwendet hat, wenn diese Gründe in einem Gerichtsverfahren bereits geprüft und als nicht ausreichend befunden wurden. Man spricht hier auch von „Präklusion“, das heißt, der Arbeitgeber ist mit diesen alten Gründen dann ausgeschlossen. Das Unternehmen hatte hier keine neuen Kündigungsgründe vorgetragen.
Selbst wenn man dies anders sehen würde, so das Gericht, wären die Kündigungsgründe aus den schon genannten Erwägungen (fehlende Schwere, keine Abmahnung) nicht ausreichend gewesen. Interessanterweise war die Anhörung des Betriebsrats bei dieser zweiten Kündigung wohl formal korrekt. Das Unternehmen hatte einen Anhörungsbogen vorgelegt. Herr M. hätte dann konkrete Fehler bei der Anhörung rügen müssen und nicht nur pauschal bestreiten dürfen, dass sie ordnungsgemäß war. Das änderte aber nichts daran, dass die Kündigung aus anderen Gründen unwirksam war.
Kein Grund für eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses
Schließlich musste das Gericht noch über den Antrag des Unternehmens entscheiden, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen, falls die Kündigungen unwirksam sein sollten. Ein solcher Antrag ist nach § 9 Absatz 1 Satz 2 KSchG möglich, wenn dem Arbeitgeber eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht mehr zuzumuten ist.
Das Gericht stellte aber fest, dass die Voraussetzungen hierfür nicht vorlagen. Die Gründe, die eine Auflösung rechtfertigen könnten, müssen sehr streng geprüft werden. Das können Umstände sein, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, sein Verhalten oder seine Eignung betreffen und die eine weitere Zusammenarbeit objektiv gefährden.
Die Vorwürfe des Unternehmens gegen Herrn M. waren entweder schon sehr lange her (teilweise sieben Jahre), wurden von Herrn M. bestritten und vom Unternehmen nicht ausreichend bewiesen, oder sie waren zu pauschal. Beispielsweise hatte das Unternehmen auf eine „verbale Entgleisung“ aus dem Jahr 2016 verwiesen. Das ist zwar erheblich, lag aber schon lange zurück, und die Parteien hatten seitdem weiter zusammengearbeitet. Abmahnungen aus dem Jahr 2017, deren Inhalt Herr M. bestritt, beweisen nur, dass abgemahnt wurde, aber nicht, dass die darin behaupteten Vorfälle auch so stattgefunden haben. Viele andere Vorwürfe (Drohung mit Schere, Mitführen einer Jagdwaffe, sexistische Witze) wurden von Herrn M. bestritten und vom Unternehmen nicht konkret genug dargelegt und unter Beweis gestellt. Ein solcher nicht ausreichend begründeter Vortrag kann keine Auflösung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
Das Verhalten von Herrn M. bzw. seinem Anwalt im früheren Prozess, das ja der Hauptauslöser für die Kündigungen war, wurde vom Unternehmen für den Auflösungsantrag nicht noch einmal ausdrücklich herangezogen. Aber selbst wenn man diese Vorfälle als wahr unterstellen würde, sah das Gericht hier keine Notwendigkeit für eine sofortige Beendigung der Zusammenarbeit.
Die Kosten des Berufungsverfahrens musste das Unternehmen tragen. Eine Revision, also eine weitere Überprüfung durch das Bundesarbeitsgericht, wurde nicht zugelassen.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil zeigt klar: Harte Worte am Arbeitsplatz oder in Gerichtsverfahren führen nicht automatisch zur fristlosen Kündigung. Arbeitgeber müssen in den meisten Fällen zunächst eine Abmahnung aussprechen, bevor sie kündigen können – selbst wenn ein Mitarbeiter seiner Vorgesetzten vorwirft zu lügen. Besonders in emotionalen Konfliktsituationen haben Arbeitnehmer einen gewissen Schutz vor sofortigen Kündigungen. Die Entscheidung stärkt die Position von Beschäftigten, die sich gegen ihren Arbeitgeber vor Gericht wehren, da sie dabei auch deutliche Kritik äußern dürfen, ohne ihren Job zu riskieren.
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Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was gilt als so schwere verbale Entgleisung am Arbeitsplatz, dass sie eine Kündigung rechtfertigen kann?
Eine verbale Entgleisung am Arbeitsplatz kann dann als so schwerwiegend angesehen werden, dass sie eine Kündigung rechtfertigt, wenn sie das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer oder das Betriebsklima massiv und nachhaltig stört. Die genaue Grenze ist nicht immer scharf zu ziehen und hängt stark vom Einzelfall ab. Es kommt dabei immer auf den Inhalt der Äußerung, die konkreten Umstände, die Häufigkeit und die Auswirkungen an.
Schwere Beleidigungen und Ehrverletzungen
Äußerungen, die eine Person massiv herabwürdigen oder ihre Ehre verletzen, können eine Kündigung rechtfertigen. Dies gilt insbesondere, wenn sie sich gegen Vorgesetzte, Kollegen, Kunden oder Geschäftspartner richten. Beispiele hierfür sind grobe Schimpfwörter, die tief beleidigend sind (z.B. „Arschloch“, „Idiot“, „Hure“), oder diffamierende Aussagen, die den Ruf einer Person schädigen sollen. Stellen Sie sich vor, ein Mitarbeiter nennt seinen Chef im Beisein anderer Kollegen wiederholt „unfähig“ und „Betrüger“ – eine solche direkte und ehrenrührige Attacke kann das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstören.
Drohungen und Gewaltandrohungen
Jegliche Drohung mit körperlicher Gewalt oder anderen schwerwiegenden Nachteilen gegen Personen am Arbeitsplatz, sei es gegenüber Vorgesetzten oder Kollegen, stellt ein extrem ernstes Fehlverhalten dar. Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise äußert: „Ich schlage dir die Zähne ein!“ oder „Pass auf, was dir nach Feierabend passiert!“, ist dies oft ein hinreichender Grund für eine Kündigung, da es die Sicherheit und den Arbeitsfrieden grundlegend gefährdet.
Diskriminierende oder rassistische Äußerungen
Äußerungen, die andere aufgrund ihrer Herkunft, Religion, Geschlechts, sexuellen Orientierung, Behinderung oder ihres Alters herabsetzen, sind ein schwerwiegender Verstoß gegen die Grundsätze des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) und können das Arbeitsverhältnis stark belasten. Ein rassistischer Witz oder eine abfällige Bemerkung über eine bestimmte Gruppe von Menschen kann eine Kündigung nach sich ziehen, da sie ein feindseliges Arbeitsumfeld schafft und die Würde der Betroffenen verletzt.
Falsche Anschuldigungen und Verleumdungen
Das Verbreiten wissentlich falscher Tatsachenbehauptungen über andere Personen, die deren Ruf oder Ansehen schädigen können, ist ebenfalls ein schwerwiegendes Fehlverhalten. Wenn ein Mitarbeiter zum Beispiel unwahre Gerüchte über Diebstahl oder Betrug eines Kollegen oder Vorgesetzten in die Welt setzt, kann dies das Vertrauen erheblich beeinträchtigen und zu einer Kündigung führen.
Kontext und Umstände der Äußerung
Die Beurteilung der Schwere hängt stark von den Umständen ab:
- Ort und Zeitpunkt: Wurde die Äußerung in einem privaten Gespräch, in der Öffentlichkeit, vor Kunden oder in einer hitzigen Diskussion getätigt? Eine Entgleisung im Rahmen eines privaten Streits hat oft eine andere Gewichtung als eine öffentliche Herabwürdigung.
- Situation: War der Mitarbeiter unter starkem Druck? War es eine einmalige Reaktion oder Teil eines Musters?
- Kenntnisnahme: Wer hat die Äußerung gehört? Je mehr Personen und je sensibler die Stellung dieser Personen (z.B. Kunden, Presse), desto schwerwiegender.
- Intention: Auch wenn die objektive Bedeutung der Äußerung entscheidend ist, kann die Absicht des Äußernden eine Rolle spielen, zum Beispiel wenn ein Missverständnis vorlag oder die Äußerung nicht ernst gemeint war.
Auswirkungen auf das Arbeitsverhältnis
Entscheidend für die Kündigungsberechtigung ist, ob die Äußerung die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Dies ist der Fall, wenn das Vertrauensverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer so nachhaltig zerstört ist, dass eine Zusammenarbeit nicht mehr denkbar ist. Auch eine massive Störung des Betriebsfriedens oder die Schädigung des Unternehmensimages können die Schwelle zur Kündigung überschreiten.
Wiederholung und Vorgeschichte
Ein einmaliger Ausrutscher wird oft anders bewertet als wiederholte verbale Entgleisungen. Hat der Arbeitnehmer bereits Abmahnungen für ähnliches Verhalten erhalten, kann ein erneuter Vorfall die Kündigung wahrscheinlicher machen, auch wenn die einzelne Äußerung für sich genommen vielleicht noch keine Kündigung gerechtfertigt hätte. Für extrem schwerwiegende Äußerungen, wie zum Beispiel Drohungen oder rassistische Beleidigungen, kann jedoch auch schon der erste Vorfall eine fristlose Kündigung ohne vorherige Abmahnung rechtfertigen.
Ist vor einer Kündigung wegen verbalen Fehlverhaltens immer eine Abmahnung erforderlich?
Grundsätzlich gilt im Arbeitsrecht der wichtige Grundsatz, dass vor einer verhaltensbedingten Kündigung in der Regel eine Abmahnung erforderlich ist. Diese dient als eine Art „gelbe Karte“. Der Arbeitgeber weist den Arbeitnehmer damit auf ein Fehlverhalten hin, dokumentiert dies und droht für den Wiederholungsfall arbeitsrechtliche Konsequenzen bis hin zur Kündigung an. Eine Abmahnung gibt dem Arbeitnehmer also die Chance, sein Verhalten zu ändern und zeigt, dass das Fehlverhalten ernst genommen wird.
Wann eine Abmahnung notwendig ist
Eine Abmahnung ist immer dann erforderlich, wenn das verbale Fehlverhalten des Arbeitnehmers grundsätzlich steuerbar ist. Das bedeutet, der Arbeitnehmer kann sein Verhalten in Zukunft ändern und das Vertrauen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ist noch nicht unwiederbringlich zerstört. Typische Beispiele für verbales Fehlverhalten, das in der Regel eine Abmahnung erfordert, könnten zum Beispiel einmalige unhöfliche Äußerungen, unangebrachte Witze oder auch Beschwerden in einem unangemessenen Tonfall sein, die noch keine gravierenden Auswirkungen haben. Für Sie bedeutet das: Der Arbeitgeber muss Ihnen im Normalfall eine Warnung geben, bevor er Ihnen wegen solcher Vergehen kündigt.
Wann eine Abmahnung entbehrlich sein kann
Es gibt jedoch Ausnahmen von dieser Regel. Eine Abmahnung kann ausnahmsweise entbehrlich sein, wenn die Schwere des verbalen Fehlverhaltens so groß ist, dass eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist und das Vertrauensverhältnis unwiderruflich zerstört wurde. Stellen Sie sich vor, das Fehlverhalten ist so schwerwiegend, dass es sofort klar ist: Hier ist keine Verhaltensänderung zu erwarten oder die Basis der Zusammenarbeit ist auf einen Schlag vernichtet.
Dies ist insbesondere der Fall bei:
- Extrem schweren Beleidigungen oder Verleumdungen gegenüber dem Arbeitgeber, Vorgesetzten, Kollegen oder Kunden, die das Ansehen oder die Betriebsruhe massiv schädigen.
- Massiven Bedrohungen oder Gewaltandrohungen.
- Rassistischen, sexistischen oder diskriminierenden Äußerungen von so extremer Natur, dass sie eine sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertigen.
In solchen Fällen geht die Rechtsprechung davon aus, dass der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer keine „zweite Chance“ mehr geben muss, da das Vertrauensverhältnis bereits unwiederbringlich zerstört ist. Es kommt immer auf die Gesamtschau des Einzelfalls an, also auf die genauen Umstände des verbalen Fehlverhaltens, seine Auswirkungen und den Kontext, in dem es stattgefunden hat. Die Gerichte prüfen dabei sehr genau, ob eine Abmahnung wirklich entbehrlich war.
Wie werden Äußerungen, die im Rahmen eines Gerichtsverfahrens oder durch einen Anwalt getätigt werden, rechtlich bewertet?
Äußerungen, die in einem Gerichtsverfahren oder durch einen beauftragten Anwalt getätigt werden, besitzen eine besondere rechtliche Stellung. Dies bedeutet, dass sie anders bewertet werden können als Aussagen im Alltag. Für Sie ist es wichtig zu verstehen, welche Rechte und Pflichten dabei gelten und wann diese Äußerungen problematisch werden können.
Die Balance zwischen Wahrheitspflicht und Meinungsfreiheit
Im Zivilprozess, also bei rechtlichen Auseinandersetzungen zwischen Privatpersonen oder Unternehmen, ist man grundsätzlich zur prozessualen Wahrheitspflicht verpflichtet. Das bedeutet, Sie und Ihr Anwalt müssen dem Gericht die Fakten wahrheitsgemäß und vollständig darlegen. Das Ziel ist, dass das Gericht auf einer korrekten Grundlage urteilen kann.
Gleichzeitig gibt es im Gerichtsverfahren eine Form der Meinungsfreiheit, die auch als Schutz der prozessualen Äußerungen bezeichnet wird. Dieser Schutz erlaubt es Parteien und ihren Anwälten, ihre rechtliche Position und ihre Argumente energisch und pointiert vorzutragen, um ihre Interessen zu verteidigen. Diese Äußerungen sind geschützt, solange sie der sachgerechten Wahrnehmung der rechtlichen Interessen dienen. Stellen Sie sich vor, Sie müssten in einem Prozess befürchten, für jede kritische Äußerung sofort belangt zu werden – das würde die Rechtsverteidigung stark einschränken.
Grenzen der Äußerungsfreiheit und Konsequenzen
Dieser besondere Schutz ist jedoch nicht unbegrenzt. Er schützt nicht vor Äußerungen, die beleidigend, verleumderisch oder üble Nachrede darstellen und die nicht mehr der sachgerechten Rechtsverteidigung dienen. Das gilt insbesondere, wenn wissentlich unwahre Tatsachen behauptet werden, die darauf abzielen, den Ruf einer anderen Person zu schädigen, ohne dass dies für den Prozess relevant wäre.
Gerade im Arbeitsrecht kann dies relevant sein: Wenn im Rahmen eines Kündigungsschutzprozesses bewusst falsche und ehrverletzende Behauptungen über den Arbeitgeber aufgestellt werden, die keinen Bezug zum Kündigungsgrund haben, kann dies als gravierender Vertrauensbruch gewertet werden. Solche schwerwiegenden und unzulässigen Äußerungen können in bestimmten Fällen sogar einen eigenständigen Kündigungsgrund darstellen oder eine bereits ausgesprochene Kündigung zusätzlich rechtfertigen. Hierbei wird immer genau geprüft, ob die Äußerung noch vom Schutzbereich der notwendigen Rechtsverteidigung umfasst war oder diesen überschritten hat.
Haftung für Äußerungen des Anwalts
Ein Anwalt handelt im Gerichtsverfahren als Vertreter seines Mandanten. Das bedeutet, die Äußerungen, die der Anwalt im Rahmen seines Mandats tätigt, werden grundsätzlich seinem Mandanten zugerechnet. Der Mandant ist also in der Regel für die Äußerungen seines Anwalts verantwortlich, da diese im Namen und Interesse des Mandanten erfolgen. Es ist wichtig, dass der Mandant seinem Anwalt alle relevanten und korrekten Informationen zur Verfügung stellt. Sollte der Anwalt Grenzen überschreiten, die nicht mehr vom Mandat oder der sachgerechten Verteidigung gedeckt sind, kann dies ebenfalls auf den Mandanten zurückfallen.
Welche Voraussetzungen müssen für eine fristlose Kündigung erfüllt sein?
Eine fristlose oder auch außerordentliche Kündigung beendet das Arbeitsverhältnis sofort und ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Sie ist im deutschen Arbeitsrecht nur unter sehr strengen Voraussetzungen zulässig und stellt die schärfste Maßnahme dar, die ein Arbeitgeber ergreifen kann.
Der „wichtige Grund“ als Kernvoraussetzung
Das Gesetz schreibt vor, dass für eine fristlose Kündigung ein sogenannter „wichtiger Grund“ vorliegen muss (§ 626 Bürgerliches Gesetzbuch, BGB). Ein solcher Grund ist gegeben, wenn Tatsachen vorliegen, die es dem kündigenden Teil (Arbeitgeber oder Arbeitnehmer) unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis bis zum Ablauf der regulären Kündigungsfrist oder bis zu einer vereinbarten Beendigung fortzusetzen.
Es handelt sich dabei um schwerwiegende Pflichtverletzungen oder Umstände, die das Vertrauensverhältnis im Arbeitsverhältnis so stark erschüttern, dass eine weitere Zusammenarbeit nicht zugemutet werden kann. Beispiele hierfür können ein Diebstahl, Arbeitszeitbetrug, schwere Beleidigungen, Gewalttätigkeiten oder auch beharrliche Arbeitsverweigerung sein. Ob ein Grund ausreicht, hängt immer vom Einzelfall ab.
Die notwendige Interessenabwägung
Selbst wenn ein „wichtiger Grund“ vorliegt, ist eine fristlose Kündigung nicht automatisch zulässig. Es muss immer eine umfassende Interessenabwägung stattfinden. Das bedeutet, das Gericht prüft, ob das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse des Arbeitnehmers am Fortbestand des Arbeitsverhältnisses überwiegt.
Dabei werden alle Umstände des Einzelfalls berücksichtigt. Dazu gehören unter anderem:
- Die Schwere und Art der Pflichtverletzung.
- Der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers.
- Die Dauer des Arbeitsverhältnisses (lange Betriebszugehörigkeit kann gegen eine fristlose Kündigung sprechen).
- Das Alter und die sozialen Verhältnisse des Arbeitnehmers (z.B. Unterhaltspflichten).
- Das Verhalten des Arbeitnehmers in der Vergangenheit (wurden ähnliche Verstöße bereits abgemahnt?).
- Mögliche betriebliche Auswirkungen des Fehlverhaltens.
- Die Möglichkeit, die Pflichtverletzung zukünftig zu vermeiden.
Die Bedeutung der Abmahnung und das Prinzip der Verhältnismäßigkeit
Oft ist eine fristlose Kündigung unverhältnismäßig ohne eine vorherige Abmahnung. Bei steuerbaren Pflichtverletzungen, also Verhaltensweisen, die der Arbeitnehmer beeinflussen kann, muss der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Regel zunächst abmahnen. Eine Abmahnung dient dazu, den Arbeitnehmer auf sein Fehlverhalten hinzuweisen und ihn zu warnen, dass im Wiederholungsfall die Kündigung droht. Sie gibt dem Arbeitnehmer die Chance, sein Verhalten zu ändern.
Nur in Ausnahmefällen ist keine Abmahnung erforderlich. Dies gilt bei besonders schweren Pflichtverletzungen, die das Vertrauensverhältnis unwiederbringlich zerstören (z.B. Diebstahl, sexuelle Belästigung) oder bei denen von vornherein klar ist, dass der Arbeitnehmer sein Verhalten auch nach einer Abmahnung nicht ändern würde (z.B. beharrliche Arbeitsverweigerung). Auch hier spielt das Prinzip der Verhältnismäßigkeit eine entscheidende Rolle.
Die kurze Zwei-Wochen-Frist für die Kündigungserklärung
Eine weitere wichtige Voraussetzung ist die Einhaltung einer sehr kurzen Frist: Die fristlose Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen ab dem Zeitpunkt erklärt werden, an dem der kündigungsberechtigte Teil (meist der Arbeitgeber) von dem wichtigen Grund Kenntnis erlangt hat (§ 626 Abs. 2 BGB). Versäumt der Arbeitgeber diese Frist, ist die fristlose Kündigung unwirksam. Diese kurze Frist unterstreicht den Ausnahmecharakter und die Dringlichkeit der fristlosen Beendigung des Arbeitsverhältnisses.
Welche formalen Schritte muss ein Arbeitgeber vor einer Kündigung einhalten, damit diese wirksam ist?
Damit eine Kündigung durch den Arbeitgeber wirksam ist, muss sie neben inhaltlichen Gründen auch bestimmte formale Voraussetzungen erfüllen. Das Fehlen dieser formalen Schritte kann die Kündigung unwirksam machen, selbst wenn ein wichtiger Kündigungsgrund vorliegt.
Schriftform der Kündigung
Der wichtigste formale Schritt ist die Schriftform. Jede Kündigung muss schriftlich erfolgen und die eigenhändige Unterschrift des Arbeitgebers oder eines Vertretungsberechtigten tragen. Eine Kündigung, die mündlich, per E-Mail, Fax oder SMS ausgesprochen wird, ist unwirksam. Für Arbeitnehmer bedeutet dies, dass sie nur eine schriftliche Kündigung mit Originalunterschrift als wirksam ansehen sollten.
Anhörung des Betriebsrats
Wenn es in einem Betrieb einen Betriebsrat gibt, muss der Arbeitgeber diesen vor jeder Kündigung umfassend anhören. Dies ist eine zwingende Voraussetzung für die Wirksamkeit der Kündigung.
Der Arbeitgeber muss dem Betriebsrat dabei folgende Informationen mitteilen:
- Den Namen des Arbeitnehmers
- Die Art der Kündigung (z.B. ordentlich oder außerordentlich)
- Die Kündigungsfrist
- Die konkreten Kündigungsgründe, die zur Kündigung führen sollen. Es ist wichtig, dass der Arbeitgeber dem Betriebsrat alle relevanten Informationen mitteilt, die seine Entscheidung zur Kündigung beeinflusst haben.
Der Betriebsrat hat nach der Anhörung eine bestimmte Frist, um seine Stellungnahme abzugeben:
- Bei einer ordentlichen Kündigung hat der Betriebsrat eine Woche Zeit, um sich zu äußern. Er kann der Kündigung widersprechen, Bedenken äußern oder zustimmen.
- Bei einer außerordentlichen Kündigung (fristlose Kündigung) beträgt die Frist drei Tage.
Spricht der Arbeitgeber die Kündigung aus, ohne den Betriebsrat ordnungsgemäß und vollständig angehört zu haben, ist die Kündigung unwirksam. Auch wenn der Betriebsrat innerhalb der Frist nicht reagiert, kann der Arbeitgeber die Kündigung aussprechen. Die Kündigung darf jedoch nicht vor Ablauf der Anhörungsfrist ausgesprochen werden.
Einhaltung von Kündigungsfristen
Bei einer ordentlichen Kündigung muss der Arbeitgeber die gesetzlichen, tarifvertraglichen oder einzelvertraglichen Kündigungsfristen einhalten. Die gesetzlichen Kündigungsfristen für den Arbeitgeber sind in der Regel länger als für den Arbeitnehmer und verlängern sich mit zunehmender Dauer der Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers. Wenn der Arbeitgeber die geltende Kündigungsfrist nicht einhält, ist die Kündigung möglicherweise nicht sofort unwirksam, aber sie wird dann erst zum nächsten zulässigen Termin wirksam.
Bei einer außerordentlichen, fristlosen Kündigung muss der Arbeitgeber eine Zwei-Wochen-Frist beachten. Die Kündigung muss dem Arbeitnehmer innerhalb von zwei Wochen zugestellt werden, nachdem der Arbeitgeber von den für die Kündigung maßgeblichen Gründen Kenntnis erlangt hat. Verstreicht diese Frist, kann der Arbeitgeber sich auf diese konkreten Gründe nicht mehr für eine fristlose Kündigung berufen.
Zugang der Kündigung
Die Kündigung muss dem Arbeitnehmer auch zugehen, das heißt, sie muss in den Machtbereich des Arbeitnehmers gelangen, sodass dieser Kenntnis nehmen kann. Dies geschieht häufig durch Einwurf in den Briefkasten, Übergabe mit Zeugen oder per Einschreiben mit Rückschein. Der Zeitpunkt des Zugangs ist entscheidend für die Berechnung der Kündigungsfrist und etwaiger Fristen für eine Kündigungsschutzklage.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Außerordentliche Kündigung
Eine außerordentliche Kündigung, auch fristlose Kündigung genannt, beendet das Arbeitsverhältnis sofort, ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist. Sie ist nur zulässig, wenn ein sogenannter „wichtiger Grund“ vorliegt (§ 626 Abs. 1 BGB), also wenn dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung bis zum Ende der regulären Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Beispiele für wichtige Gründe sind schwere Pflichtverletzungen wie Diebstahl oder grobe Beleidigungen. Außerdem muss die Kündigung innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erfolgen (§ 626 Abs. 2 BGB).
Beispiel: Ein Mitarbeiter bedroht seine Kollegin körperlich – in einem solchen Fall kann der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis sofort beenden.
Abmahnung
Eine Abmahnung ist eine formelle Warnung des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer wegen eines Fehlverhaltens. Sie dient dazu, den Arbeitnehmer auf das Fehlverhalten hinzuweisen, es zu dokumentieren und ihm die Möglichkeit zu geben, sein Verhalten zu ändern, bevor eine Kündigung ausgesprochen wird. Das Fehlen einer Abmahnung kann dazu führen, dass eine verhaltensbedingte Kündigung unwirksam ist, außer bei besonders schweren Pflichtverletzungen, bei denen eine sofortige Kündigung gerechtfertigt ist.
Beispiel: Ein Mitarbeiter kommt häufig zu spät zur Arbeit und erhält deshalb zunächst eine Abmahnung, um ihn zur Pünktlichkeit zu ermahnen.
Betriebsratsanhörung
Vor jeder Kündigung muss der Arbeitgeber den Betriebsrat ordnungsgemäß anhören (§ 102 BetrVG). Dabei muss er dem Betriebsrat die Gründe für die Kündigung mitteilen und ihm Gelegenheit zur Stellungnahme geben. Die Kündigung darf erst nach Ablauf der Anhörungsfrist ausgesprochen werden. Wird diese Anhörung nicht oder nicht ordnungsgemäß durchgeführt, ist die Kündigung unwirksam – selbst wenn Gründe für die Kündigung vorliegen.
Beispiel: Bevor der Arbeitgeber eine Kündigung ausspricht, informiert er den Betriebsrat schriftlich über die beabsichtigte Kündigung und wartet eine Woche auf eine Stellungnahme.
Kündigungsschutzklage
Die Kündigungsschutzklage ist ein gerichtlicher Antrag des Arbeitnehmers, der die Wirksamkeit einer Kündigung überprüfen lässt. Mit ihr wird festgestellt, ob die Kündigung rechtlich zulässig oder unwirksam ist. Sie muss innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung beim Arbeitsgericht eingereicht werden (§ 4 KSchG). Das Verfahren dient dem Schutz des Arbeitnehmers vor unrechtmäßigen Kündigungen.
Beispiel: Ein Mitarbeiter hält seine Kündigung für ungerecht und reicht daher fristgerecht eine Kündigungsschutzklage ein, damit das Gericht entscheidet, ob die Kündigung wirksam war.
Prozessuale Wahrheitspflicht
Die prozessuale Wahrheitspflicht verpflichtet die Parteien und ihre Anwälte in einem Gerichtsverfahren, die Tatsachen wahrheitsgemäß und vollständig darzustellen (§ 138 ZPO). Man darf also nicht bewusst falsche Informationen vortragen, um das Gericht zu täuschen. Allerdings dürfen Parteien auch widersprüchliche oder ungenaue Erinnerungen äußern, solange keine bewusste Lüge nachgewiesen wird. Diese Pflicht dient dazu, eine faire und sachgerechte Entscheidung im Verfahren zu ermöglichen.
Beispiel: Ein Zeuge erinnert sich nicht genau an den Unfallhergang und schildert die Situation nach bestem Wissen, ohne absichtlich falsche Angaben zu machen.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 626 Absatz 1 BGB (Bürgerliches Gesetzbuch) – Außerordentliche Kündigung aus wichtigem Grund: Diese Norm regelt die Voraussetzungen für eine fristlose Kündigung durch den Arbeitgeber und verlangt einen wichtigen Grund, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Eine Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erfolgen (§ 626 Abs. 2 BGB). | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Unternehmen hat wegen angeblicher schwerwiegender Äußerungen des Klägers fristlos gekündigt, jedoch verstrich die gesetzliche Zwei-Wochen-Frist und es fehlte ein tatsächlich wichtiger Grund, sodass die außerordentliche Kündigung unwirksam war.
- § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG (Kündigungsschutzgesetz) – Sozial ungerechtfertigte ordentliche Kündigung: Eine ordentliche Kündigung ist unwirksam, wenn sie nicht durch Gründe im Verhalten oder in der Person des Arbeitnehmers gerechtfertigt ist. Vor allem sind mildere Mittel wie Abmahnungen erforderlich, um ein künftiges vertragskonformes Verhalten sicherzustellen. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung scheiterte, weil keine vorherige Abmahnung erfolgte und somit keine soziale Rechtfertigung für die Kündigung bestand.
- § 102 BetrVG (Betriebsverfassungsgesetz) – Anhörung des Betriebsrats vor Kündigung: Der Arbeitgeber muss vor jeder Kündigung den Betriebsrat ordnungsgemäß anhören und ihm die Kündigungsgründe mitteilen; die Kündigung ist unwirksam, wenn die Anhörung nicht oder nicht korrekt erfolgt. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Unternehmen versäumte die ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung bei der ersten Kündigung, was die Unwirksamkeit dieser Kündigung zusätzlich begründete.
- § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG – Auflösungsantrag gegen Zahlung einer Abfindung: Der Arbeitgeber kann verlangen, das Arbeitsverhältnis aufzulösen, wenn eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar ist, jedoch sind die Anforderungen streng, insbesondere müssen objektive Umstände vorliegen, die das Arbeitsverhältnis nachhaltig stören. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht sah keine ausreichenden Gründe für eine Auflösung gegen Abfindung, da die vorgebrachten Vorwürfe nicht ausreichend bewiesen oder veraltet waren.
- § 138 ZPO (Zivilprozessordnung) – Pflicht zur Wahrheit im Zivilprozess: Prozessparteien und deren Vertreter sind verpflichtet, keine vorsätzlich falschen Tatsachenbehauptungen aufzustellen, wodurch die Verlässlichkeit und Fairness des Verfahrens gewahrt werden soll. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Das Gericht stellte fest, dass die Äußerungen des Anwalts im Schriftsatz objektive Falschangaben enthielten, jedoch keine bewusste Lüge oder Verleumdung, sodass daraus keine Kündigungsfolgen resultieren konnten.
- Rechtsgrundsatz der Präklusion bei Wiederholungskündigungen: Kündigungsgründe, die bereits in einem vorherigen gerichtlichen Verfahren geprüft und als nicht ausreichend bewertet wurden, können nicht erneut als Basis für eine Kündigung genutzt werden. | Bedeutung im vorliegenden Fall: Die zweite Kündigung stützte sich auf dieselben Gründe wie die erste und wurde daher wegen Präklusion als unzulässig angesehen.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 164/21 – Urteil vom 15.02.2022
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