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Fristlose Kündigung – Schlafen während der Dienstzeit – Abmahnerfordernis

LAG Frankfurt – Az.: 12 Sa 652/11 – Urteil vom 05.06.2012

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 01. Februar 2011, Az.: 10/6/10 Ca 309/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung.

Die Beklagte betreibt u.a in A eine Seniorenresidenz. Die am B geborene, getrennt lebende Klägerin ist dort seit dem 1.7.2003 als Pflegehelferin beschäftigt und verdiente zuletzt € 2.110,66 brutto zuzüglich einer Zusatzversicherung sowie Nachtarbeits- und Wochenendzuschlägen. Seit dem 1.9.2006 arbeitet sie ausschließlich im Nachtdienst. Dieser beginnt um 21.00 Uhr und endet, mit einer zweigeteilten Pause von insgesamt 45 Minuten, morgens um 7.00 Uhr. Im Betrieb besteht ein Betriebsrat.

fristlose Kündigung - Schlafen während der Dienstzeit - Abmahnerfordernis
Symbolfoto: Von Antonio Guillem /Shutterstock.com

Die Klägerin war vom 22. – 27.3.2010 aufgrund einer Lungenentzündung arbeitsunfähig erkrankt. Am 28.3.2010 nahm sie gegen 20.30 Uhr ihren Nachtdienst wieder auf und wurde für diese Nacht dem Wohnbereich I mit 29 Bewohnern zugewiesen. In den anderen Wohnbereichen versahen noch weitere vier Mitarbeiter(innen), zum Teil examinierte Pflegekräfte, den Nachtdienst. Vor Schichtbeginn schalteten die Klägerin und Schwester C, die auf Station 3 arbeitete, die Notsignalanlagen für die Wohnbereiche 1 und 3 zusammen. Dadurch laufen Signale aus den Bewohnerzimmern beider Wohnbereiche in den Dienstzimmern beider Stationen auf. Dort sind sie akustisch und optisch wahrnehmbar, auf dem Gang und in anderen Bewohnerzimmern jeweils optisch. Die Schaltkästen befinden sich in den jeweiligen Dienstzimmern. Um 22.28 wurde die Zusammenschaltung vom Dienstzimmer der Klägerin deaktiviert.

Die Klägerin verrichtete um 23.00, 2.00 Uhr und um 5.00 Uhr die vorgeschriebenen Kontrollgänge durch die Zimmer, fertigte danach die erforderlichen Notizen und räumte auf. Um 0.30 Uhr und um 1.45 Uhr kamen Schwester C und der Pfleger D in den Wohnbereich I, um die Bewohner in den sog. Isolierzimmern zu versorgen, deren Versorgung den examinierten Pflegekräften vorbehalten ist. Dabei trafen sie die Klägerin jeweils schlafend im Bewohneraufenthaltsraum, der sich gegenüber dem Dienstzimmer auf der anderen Seite des Ganges befindet, an. Der Aufenthaltsraum ist zum Gang hin offen, weder durch eine Wand noch durch eine Tür getrennt. Die Klägerin saß dort in einem zurück geklappten Fernsehsessel mit einem Kopfkissen unter dem Kopf.

Die Beklagte nahm diesen Vorfall zum Anlass, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin nach schriftlicher Anhörung und Zustimmung durch den Betriebsrat am 31.03.2010 noch am selben Tage schriftlich fristlos außerordentlich zu kündigen und die Kündigung der Klägerin zu übergeben. Sie stützte die Kündigung auf den Vorwurf, die Klägerin habe während ihres Nachtdienstes zwischen 0.30 Uhr und 1.45 Uhr durchgehend geschlafen. Die Klägerin hat am 20.04.2010 beim Arbeitsgericht Wiesbaden Kündigungsschutzklage eingereicht.

Wegen des weiteren erstinstanzlichen Vorbringens der Parteien und der vor dem Arbeitsgericht gestellten Anträge wird auf Tatbestand und Entscheidungsgründe der angefochtenen Entscheidung Bezug genommen (Bl. 173 – 175 d. A.).

Das Arbeitsgericht Wiesbaden (Az.: 10/6/10 Ca 309/10) hat mit Urteil vom 1.2.2011 der Klage stattgegeben. Zur Begründung hat es darauf abgestellt, dass der Entscheidung nur der unstreitige Sachverhalt, dass die Klägerin zu zwei Zeitpunkten schlafend angetroffen worden sei, zugrunde gelegt werden konnte. Dafür, dass die Klägerin sich zwischen den beiden Zeitpunkten in einem Dauerschlaf befunden und gezielt eine Schlafstätte hergerichtet habe, sei die Beklagte beweisfällig geblieben. Gegenüber diesem Fehlverhalten stelle die sofortige fristlose Kündigung eine unverhältnismäßige Sanktion dar. Hier wäre zunächst der Ausspruch einer Abmahnung als angemessene Sanktion in Betracht gekommen. Für die Einzelheiten der Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen (Bl. 175 – 181 d.A.).

Die Beklagte hat gegen das ihr am 15.4.2011 zugestellte Urteil am 4.5. 2011 Berufung eingelegt und diese am 14.6.2011 begründet.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen zu den Kündigungsvorwürfen. Sie behauptet weiterhin, die Klägerin habe zumindest in der Zeit von 0.30 bis 1.45 Uhr durchgehend geschlafen und sich dadurch in unverantwortlicher Weise ihrer dienstlichen Pflicht, im Falle eines Notrufs eines Bewohners präsent zu sein, entzogen, ohne irgendwelche anderweitige Vorsorgemaßnahme zu treffen. Sie habe so die ihr anvertrauten älteren Menschen für mindestens 75 Minuten schutz- und hilflos zurückgelassen. Darin sieht die Beklagte eine so schwere Pflichtverletzung, die es rechtfertige, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin auch ohne vorherige Abmahnung fristlos zu kündigen. Das gelte umso mehr, weil die Klägerin, wie die Beklagte am 30.3.2010 erfahren habe, bereits vorher während des Nachtdienstes am 24.3.2008 eingeschlafen sei und weil nur zwei Wochen vor dem letzten Vorfall das Arbeitsverhältnis einer Kollegin, die morgens um 6.30 Uhr in ihrem Dienstzimmer schlafend aufgefunden wurde, gekündigt worden sei. Wenn die Klägerin sich nur zwei Wochen später dies nicht nur Warnung gereichen lasse, fehle die Chance für eine positive Prognose.

Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens der Beklagten wird auf die Berufungsbegründung vom 14.6.2011 (Bl. 198–210 d.A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Wiesbaden vom 1. Februar 2011, Az.: 10/6/10 Ca 309/10, abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens das arbeitsgerichtliche Urteil. Sie behauptet, aufgrund ihrer körperlichen Schwäche nach der noch nicht ganz überstandenen Erkrankung lediglich eingenickt, jedoch nicht durchgehend fest eingeschlafen zu sein.

Zur Ergänzung des Berufungsvorbringens der Klägerin wird auf die Berufungserwiderung vom 30.11.2010 und die Schriftsätze vom 14.7.2011 u. vom 2.12.2011 (Bl. 214 – 215 d.A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist nach §§ 8 Abs.2, 64 Abs. 1, 2 c ArbGG statthaft. Sie ist auch im Übrigen zulässig, insbesondere ist sie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1 ArbGG, 517, 519, 520 Abs. 1, 3 ZPO).

Die Berufung hat jedoch in der Sache keinen Erfolg, weil sie unbegründet ist. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.3.2010 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet.

Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 31.3.2010 ist unwirksam, da es ihr an einem wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB fehlt.

Die Prüfung des wichtigen Grundes vollzieht sich in zwei voneinander zu trennenden Schritten. Zunächst muss ein bestimmter Sachverhalt festgestellt werden, der an sich, d.h. ohne Berücksichtigung der besonderen Umstände, geeignet ist, einen wichtigen Grund abzugeben. Dann ist wertend zu untersuchen, ob unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalles und unter Abwägung der beiderseitigen Interessen die konkrete Kündigung gerechtfertigt ist, weil dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (ständige Rechtsprechung, z.B. BAG 17.5. 1984 EzA zu § 626 BGB Nr.90; 28.08.2008 – 2 AZR 15/07, juris; 7.07.2011 – 2 AZR 355/11).

Aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit folgt zudem, dass bei jeder Kündigung, die auf ein steuerbares Verhalten des Arbeitnehmers gestützt wird, das Abmahnungserfordernis zu prüfen ist, solange eine Wiederherstellung des Vertrauens erwartet werden kann. Eine vorherige Abmahnung ist ausnahmsweise dann entbehrlich, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft trotz Abmahnung nicht zu erwarten ist oder es sich um eine solch schwere Pflichtverletzung handelt, deren Rechtswidrigkeit dem Arbeitnehmer ohne Weiteres erkennbar ist und bei der eine Hinnahme des Verhaltens durch den Arbeitgeber offensichtlich ausgeschlossen werden kann (zusammenfassend zu allem BAG 12.01.2006 – 2 AZR 21/05; BAG 23.6.2009 – 2 AZR 103/08, juris; 10.06.2010 – 2 AZR 541/09, juris; 9.06.2011 – 2 AZR 381/10, juris)).

Ausgehend von diesen Grundsätzen scheitert die außerordentliche Kündigung – auch bei Unterstellen der Richtigkeit des Beklagtenvortrags, die Klägerin sei während des Nachtdienstes zweimal, nämlich um 0.30 Uhr und um 1.45 Uhr, auf einem zurückgeklappten Fernsehsessel liegend und mit einem Kopfkissen unter dem Kopf, schlafend angetroffen worden, da-ran, dass sie sich ohne vorherige Abmahnung als unverhältnismäßig erweist. Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit und das Prognoseprinzip machen hier eine vorherige Abmahnung erforderlich, an der es jedoch fehlt.

Zwar ist die Verletzung der Dienstpflicht auch durch Schlafen an der Arbeitsstelle grundsätzlich als wichtiger Grund für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung geeignet.

Das der Klägerin vorwerfbare Verhalten am 28./29.3.2010 hat jedoch nicht das Gewicht, schon als einmaliger Vorfall das Arbeitsverhältnis der Klägerin wirksam beenden zu können. Zunächst kann bei der Bewertung der Kündigung nur auf diesen Vorfall abgestellt werden. Der von der Beklagten behauptetet weitere Vorfall im März 2008 kann schon aus dem Grunde nicht mit herangezogen werden, weil dazu der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung, obwohl dies möglich gewesen wäre, nicht angehört wurde. Eine so schwerwiegende Pflichtverletzung, die keiner Abmahnung bedarf, wäre nur anzunehmen gewesen, wenn die Klägerin sich geplant und für die Heimbewohner unerreichbar für die gesamte Zeit zwischen 0.30 und 1.45 Uhr zum Schlafen zurückgezogen und zudem keine Vorkehrungen dafür getroffen hätte, dass Notsignale aus ihrem Wohnbereich für Kollegen wahrnehmbar waren. Von einem derartigen Sachverhalt kann jedoch in mehrfacher Hinsicht nicht ausgegangen werden. Zum einen lassen die Wahrnehmungen der beiden als Zeugen benannten Kollegen, die die Klägerin zu zwei 75 Minuten auseinander liegenden Zeitpunkten schlafend angetroffen haben, nicht den Schluss zu, die Klägerin habe die ganze Zeit durchgehend geschlafen. Die Zeugen haben nur zwei Augenblicke wahrgenommen. In der Zwischenzeit hat weder jemand versucht, die Klägerin zu erreichen oder sie anzusprechen, noch ist ein Notsignal aus einem der Bewohnerzimmer ausgelöst worden. Es gibt demnach keinen Anhaltspunkt für ein durchgehendes Schlafen der Klägerin zwischen den von den beiden unstreitigen Momenten. Zum zweiten haben die Parteien auf Befragen der Kammer in der mündlichen Verhandlung übereinstimmend ausgeführt, dass die Örtlichkeiten im Wohnbereich I so beschaffen sind, dass der Bewohneraufenthaltsraum, in dem die Klägerin sich niedergelassen hatte, auf dem Gang direkt gegenüber dem Dienstzimmer liegt, in dem die akustischen Notsignale auflaufen, und zum Gang hin keine Mauer besteht. Damit kann davon ausgegangen werden, dass die Klägerin weder von den akustischen noch den optischen Notsignalen, die im Gang sichtbar sind, abgeschnitten war, sondern dass sie für sie wahrnehmbar blieben. Das führt zu dem Schluss, dass in keiner Weise klar ist, ob die von der Beklagten beschriebenen dramatischen Folgen für die Heimbewohner bei einem Notfall durch das zeitweise Schlafen der Klägerin überhaupt eintreten konnten. Tatsächlich hat die Klägerin ja auch kein Notsignal überhört und zudem die vorgeschriebenen nächtlichen Kontrollgänge erledigt. Zum Dritten kann daraus, dass die Klägerin sich, wie von der Beklagten beschrieben, in dem Sessel niedergelassen hat, nicht geschlossen werden, dass sie sich dort geplant, wie in ein Bett, zu einer längeren Nachtruhe niedergelegt hatte. Dies kann auch eine reine Ruheposition während einer Zeit ohne Arbeit während des Nachtdienstes gewesen sein.

Es gibt auch keine ausreichenden Anhaltspunkte dafür, dass aus der so eingetretenen Vertragsstörung geschlossen werden kann, die Klägerin werde den Arbeitsvertrag auch nach Androhung einer Kündigung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen (negative Verhaltensprognose). Die Klägerin hat unwidersprochen behauptet, dass sie sich am ersten Arbeitstag nach ihrer Erkrankung – einer Lungenentzündung – noch schwach fühlte und sich deshalb zum Ruhen niedergelassen hatte. Sie befand sich zum Zeitpunkt des Vorfalls in einer durch diese individuelle Besonderheit gekennzeichneten Situation, durch die sie ihr Verhalten, wie oben beschrieben, als gerechtfertigt sah. Diese besonderen Umstände werden nicht regelmäßig vorliegen. Der Klägerin kann angesichts dieser besonderen Umstände nicht von vornherein abgesprochen werden, dass sie künftig trotz entsprechender Abmahnung sich generell weiter so verhalten und im besonderen Fall nicht sehen werde, dass es auch ihre Verantwortung ist, wenn sie in noch gesundheitlich angeschlagenem Zustand ihre Arbeit wieder aufnimmt. Wegen dieser Besonderheit ist dem Abmahnungserfordernis auch nicht mit der Entlassung einer anderen Mitarbeiterin wegen des Schlafens während des Nachtdienstes kurz vor dem Vorfall mit der Klägerin Genüge getan. Zudem erscheint der Fall der anderen Mitarbeiterin, die sich nach Angaben der Beklagten eine regelrechte Schlafstatt gebaut hatte, mit dem Fall der Klägerin nicht vergleichbar.

Die Beklagte hat gemäß § 97 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 72 Abs. 2 ArbGG waren nicht ersichtlich.

 

 

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