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Fristlose Kündigung – vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit

Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 663/19 – Urteil vom 13.05.2020

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.09.2019 – 4 Ca 817/19 – wird zurückgewiesen.

2. Der Auflösungsantrag wird zurückgewiesen.

3. Die Kosten der Berufung hat die Beklagte zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die hilfsweise als ordentliche ausgesprochen worden war, über einen in der Berufungsinstanz gestellten Auflösungsantrag sowie über Zahlungsansprüche.

Die Beklagte vertreibt Backwaren auf Wochenmärkten. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. Der Kläger ist 35 Jahre alt, verheiratet und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtet. Er ist bei der Beklagten seit dem 05.01.2010 zunächst als Verkäufer und zuletzt als „Marktleiter“ beschäftigt. Mit einer Vertragsurkunde vom 01.02.2018 (Bl. 11 d.A.) vereinbarten die Parteien ausdrücklich, dass die Tätigkeit des Klägers die eines „Marktleiters“ sei, dass der Stundenlohn nunmehr 17,87 EUR betrage und dass dem Kläger als Weihnachts- und Urlaubsgeld ein 13. Bruttomonatsgehalt zustehe.

Ein entsprechend der besagten Vereinbarung geschuldetes Weihnachtsgeld für das Jahr 2018, das nach der Berechnung des Klägers 2.025,49 EUR hätte betragen müssen, wurde von der Beklagten nicht ausgezahlt und ist ein Gegenstand der mit der Klage verfolgten Forderung, in dieser Höhe fällig am 15.12.2018.

Der zuletzt von der Beklagten abgerechnete Stundenlohn ist im Rahmen allgemeiner Entgelterhöhungen um 18 Cent gestiegen, der besagten Stundenlohn beträgt zuletzt damit 18,05 EUR (Anlage K5, Bl. 12 d.A.). Für den Monat Dezember 2018 rechnete die Beklagte an geleisteter Arbeit 9,87 Stunden ab, als Urlaubslohn 54,2 Stunden und als Lohnfortzahlungszeitraum 151,76 Stunden. Mit einem Nachtzuschlag für eine Stunde führte dies insgesamt zu einem Bruttoentgelt in Höhe von 3.900,24 EUR. Nach Abzug der Steuern und Sozialversicherungsbeiträge errechnete sich ein Nettoentgelt für den Monat Dezember 2018 in Höhe von 2.722,57 EUR, das ihm auch ausgezahlt wurde. Allerdings nahm die Beklagte mit der Abrechnung für den Monat Januar 2019 (Anlage K 6, Bl. 13 d.A.) eine Rückrechnung für den Monat Dezember vor, legte dieser Rückrechnung einen Stundenlohn in Höhe von 14,00 EUR zugrunde und zog deshalb vom Januarlohn 875,12 EUR brutto ab, so dass nur noch ein Nettoauszahlungsbetrag in Höhe von 741,41 EUR brutto verblieb. Dieser abgezogene Betrag in Höhe von 875,12 EUR, zur Auszahlung mit dem Januarentgelt am 15.02.2019 fällig, ist ein weiterer Gegenstand des vorliegenden Rechtsstreits.

Neben der besagten Rückrechnung betreffend den Monat Dezember 2018 berechnete die Beklagte für den Monat Januar 2019 insgesamt 128 Stunden als Lohnfortzahlung. Dies geschah jedoch ebenfalls nur zu einem Stundenlohn in Höhe von jeweils 14,00 EUR und eben nicht auf der Grundlage eines Stundenlohns in Höhe von 18,05 EUR. Die sich so ergebende Differenz iHv 518,40 EUR brutto, zur Auszahlung mit dem Januarentgelt am 15.02.2019 fällig, ist ebenfalls Gegenstand der Klage.

Die Beklagte hat an den Kläger für den Zeitraum vom 22.01.2019 bis zum 30.03.2019 kein Entgelt geleistet. Für diesen Zeitraum hat der Kläger Krankengeld bezogen. Deshalb hat er seine Klage in dem Umfang zurückgenommen, soweit er mit ihr für diesen Zeitraum Entgelt gefordert hatte.

Der Kläger hat die nach seiner Auffassung fehlerhafte Berechnung des Januarentgelts mit Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 22.02.2019 der Beklagten gegenüber gerügt, hieran mit Schreiben vom 06.03.2019 erinnert und am 16.03.2019 Klage erhoben.

Gegenstand der Klage wurden schließlich im Wege der Klageerweiterung noch Entgeltforderungen des Klägers aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges für die Monate April 2019 (3.188,50 EUR brutto), Mai 2019 (4.151,50 EUR brutto) und Juni 2019 (3.861,61 EUR brutto).

Der Kläger wurde in der Zeit vom 12.09.2018 bis zum 23.03.2019 von insgesamt sechs verschiedenen Ärzten mit kurzen Unterbrechungen krankgeschrieben. Die Ärzte stellten insgesamt 7 Erstbescheinigungen und 7 Folgebescheinigungen aus. Die Anzahl der Ärzte und der Bescheinigungen waren Anlass für die Beklagte, an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu zweifeln. Am 02.04.2019 hatte der Kläger nach der Krankheitsphase seinen ersten Arbeitstag. Am 04.04.2019 fand im vorliegenden, seit dem 18.03.2019 anhängigen Verfahren, das vom Kläger ursprünglich mit einem Zahlungsantrag eingeleitet worden war, der Gütetermin statt. Danach war der Kläger wieder am 06.04.2019 tätig. Ihm wurden nach seinen Angaben im Wesentlichen Reinigungstätigkeiten übertragen. Am 10.04.2019 fand zwischen den Parteien ein Personalgespräch über die weiteren Einsatzmöglichkeiten des Klägers statt. Einzelheiten dieses Gesprächs sind streitig. Nach diesem Gespräch wurde vom Kläger jedenfalls keine Arbeitsleistung mehr erbracht. Noch am Tag des Personalgesprächs teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers der Beklagten mit, der Kläger habe ihm berichtet, die Geschäftsleitung habe ihn von der Arbeitsleistung freigestellt. Er, der Prozessbevollmächtigte, bitte um eine schriftliche Bestätigung dieser Freistellung und biete ausdrücklich die Arbeitsleistung seines Mandanten an (Bl. 70 d.A.).

Mit Schreiben der Prozessbevollmächtigten der Beklagten vom 05.06.2019 (Bl. 78 d.A.) wurde der Kläger zur Wiederaufnahme der Arbeitsleistung am 08.06.2019 aufgefordert. An diesem Tag erschien der Kläger und wurde zu Aushilfsarbeiten eingesetzt, die er auch erbrachte. Eine weitere Einsatzplanung erfolgte nicht. Daraufhin bot der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit Schreiben vom 10.06.2019 die Arbeitsleistung des Klägers auf der Position „Marktleiter“ an. Mit Email vom 14.06.2019 teilte die Beklagte den Kläger wie folgt ein: 18.06., 22.06., 24.06., 26.06., 28.06. Er möge sich jeweils um 6:30 Uhr in L einfinden und werde dann auf dem Marktwagen in B eingesetzt.

Mit Schreiben vom 15.06.2019 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, dieser lehne Aushilfseinsätze grundsätzlich nicht ab, wolle aber als Marktleiter beschäftigt werden. Im Übrigen machte der Kläger mit diesem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten wegen der nach seiner Auffassung noch offenen Ansprüche auf Weihnachtsgeld sowie Vergütung für die Monate Januar bis Mai 2019 ein Zurückbehaltungsrecht geltend. Weitere Arbeitseinsätze des Klägers fanden daraufhin nicht mehr statt.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 25.06.2019, das dem Prozessbevollmächtigten des Klägers am 26.06.2019 zugegangen ist, fristlos und hilfsweise ordentlich (zum 30.09.2019).

Die bereits seit dem 16.03.2019 anhängige und später um die Forderungen für die Monate April, Mai und Juni 2019 erweiterte Zahlungsklage erweiterte der Kläger erneut mit Schriftsatz vom 11.07.2019 (am gleichen Tag beim Arbeitsgericht eingegangen) um eine Kündigungsschutzklage gegen die am 26.06.2019 ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung.

Der Kläger hat vorgetragen, der Anspruch auf Weihnachtsgeld sei dem Grunde nach zwischen den Parteien unstreitig, die Beklagte berufe sich aber auf die Arbeitsunfähigkeits-Zeiten als Kürzungstatbestand. Das sei nicht zulässig und schon gar nicht vereinbart. Das gleiche gelte für die von der Beklagten vorgenommenen Kürzung des Stundenlohns von 18,05 EUR auf 14,00 EUR. Im Zuge der geführten Einigungsgespräche im Rahmen des vorliegenden Rechtsstreits sei er nach seinem Einsatz am 02.04.2019 zunächst in den Urlaub geschickt worden. Anschließend sei er im Rahmen des Gesprächs vom 08.04.2019 mit Vergütungsfortzahlung ausdrücklich freigestellt worden. Entgelt habe er aber nicht erhalten. Seinen Forderungen lege er die Tatsache zu Grunde, dass er regelmäßig dienstags bis samstags jeweils mehr als 10 Stunden gearbeitet habe. Er mache mit seinen Forderungen aber nicht mehr als 10 Stunden arbeitstäglich geltend.

Nach seiner Auffassung sei die Kündigung unwirksam. Ein Fall unentschuldigten Fehlens liege nicht vor. Er habe ausdrücklich und begründet ein Zurückbehaltungsrecht geltend gemacht. Sein Fehlen sei daher gerade nicht unentschuldigt gewesen. Im Zeitpunkt der Ausübung des Zurückbehaltungsrechts sei die Beklagte mit erheblichen Entgeltzahlungen in Verzug gewesen: 2.025,00 EUR Weihnachtsgeld, fällig am 15.12.2018, zuzüglich 875,00 EUR im Januar einbehaltener Dezemberlohn, fällig am 15.02.2019, zuzüglich 518,00 EUR Entgelt für Januar wegen eines zu gering berechneten Stundenlohns, fällig am 15.02.2019 und schließlich zuzüglich 3.188,50 EUR an Entgelt für den Monat April 2019 aus dem Gesichtspunkt des Annahmeverzuges, fällig am 15.05.2019.

Es seien auch keine Tatsachen ersichtlich, die Zweifel an der Richtigkeit der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen aufkommen ließen. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten – und die wenigen Zeiträume der Arbeitsleistung und der Urlaubsinanspruchnahme hätten sich in den Monaten September 2018 bis März 2019 im Einzelnen wie folgt dargestellt:

September 2018

Mi 12.09.2018 bis Sa 15.09.2018

Erstbescheinigung, akute Infektion;

Fr 21.09.2018 bis So 30.09.2018

Erstbescheinigung der Notaufnahme der RWTH, Erschöpfung; sodann am 24.09.2018 Erstbescheinigung des Facharztes für Psychiatrie Dr. S durch dessen Vertreter ….

Oktober 2018

Mo 01.10.2018 bis Mi 31.10.2018

Fortgeltung der Erstbescheinigung vom 24.09.2018, Folgebescheinigung ab Mo, 08.10.2018, Facharzt für Psychiatrie Dr. S durch dessen Vertreter Dr. H .

November 2018

Do 01.11.2018 bis Fr 30.11.2018

Fortgeltung der Folgebescheinigung vom 08.10.2018; Folgebescheinigung ab Mo, 05.11.2018, Facharzt für Psychiatrie Dr. S durch dessen Vertreter Dr. H .

Dezember 2018

Sa 01.12.2018 bis Mo 03.12.2018p

Fortgeltung der Folgebescheinigung vom 05.11.2018;

Di 04.12.2018 bis Mo 10.12.2018 Urlaub;

Di 11.12.2018 gearbeitet;

Mi 12.12.2018 bis Sa 29.12.2018

Erstbescheinigung, Hausarzt Dr. N , Hexenschuss; Folgebescheinigung am 21.12.2018.

Januar 2019

Di 01.01.2019 Feiertag;

Mi 02.01.2019 bis Sa 19.01.2019

irrtümlich Erstbescheinigung, tatsächlich sei es um eine Folgebescheinigung gegangen, so auch die AOK (vgl. Bl. 90 d.A.), Hausarzt Dr. N ; sodann Folgebescheinigung am 14.01.2019;

Di 22.01.2019 bis Do 31.01.2019

Erstbescheinigung, Facharzt für Orthopädie (auf Anraten des Hausarztes), Knieschmerzen.

Februar 2019

Fr 01.02.2019 bis Do 28.02.2019

Fortgeltung der Erstbescheinigung vom 22.01.2019; Folgebescheinigungen vom 05.02.2019 und 19.02.2019, Facharzt für Orthopädie, Knieschmerzen.

März 2019

Fr 01.03.2019 bis Di 05.03.2019

Weitergeltung der letzten Folgebescheinigung vom 19.02.2019, Knieschmerzen;

Mi 06.03.2019 bis Sa 23.03.2019

Erstbescheinigung (lt. AOK, Bl. 92 d.A. keine anrechenbare Vorerkrankung); Folgebescheinigung am 18.03.2019.

Herr N sei sein Hausarzt. Die Ärzte Sa und H seien die Vertreter seines Facharztes für Psychiatrie S . Außerdem sei er aufgrund eines Notfalls in der Notaufnahme der RWTH gewesen und wegen eines Knieproblems bei einem Facharzt für Orthopädie. Weder die Anzahl der Ärzte noch die Diagnosen „akute Infektion“, „psychische Erschöpfung“ (mehr als 11 Wochen Arbeitsunfähigkeit), „Hexenschuss“ und „Knieschmerzen“, seien nach seiner Auffassung so außergewöhnlich, dass es gerechtfertigt sein könne, den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen in Frage zu stellen.

Im Rahmen des Personalgesprächs mit der Geschäftsleitung am 10.04.2019 habe kein Einvernehmen über seinen weiteren Einsatz erzielt werden können. Die Geschäftsführung habe ihm am Ende mitgeteilt, dass man ihn „nicht mehr im Betrieb sehen wolle“ und dass er „freigestellt sei“. Diese Freistellung sei seinem Prozessbevollmächtigten gegenüber durch die Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 12.04.209 ausdrücklich telefonisch bestätigt worden.

Am 12.06.2019 und am 14.06.2019 habe er nicht unentschuldigt gefehlt. Tatsächlich habe er am 11.06.2019 abends eine WhatsApp-Nachricht von der Zeugin Be erhalten, der zufolge er am nächsten Morgen um 5:30 Uhr erscheinen solle. Auf seine ebenfalls per WhatsApp versendete Anfrage „welche Tour oder mit wem?“ habe er keine Antwort erhalten. Ein Einsatz am 14.06.2019 sei ihm nicht zugewiesen worden.

Der Kläger hat beantragt,

1.  festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 25.06.2019, welche dem Kläger zu Händen seines Prozessbevollmächtigten am 16.06.2019 zugegangen ist, weder fristlos beendet worden ist noch zu einem späteren Zeitpunkt beendet werden wird;

2.   die Beklagte zu verurteilen, an ihn 14.620,62 EUR brutto nebst Zinsen i.H.v. 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 2.025,49 EUR seit dem 16.12.2018, aus weiteren 875,12 EUR seit dem 16.02.2019, aus weiteren 518,40 EUR ebenfalls seit dem 16.02.2019, aus weiteren 3.188,50 EUR seit dem 16.05.2019, aus weiteren 4.151,50 EUR seit dem 16.06.2019 und aus weiteren 3.861,61 EUR seit dem 16.07.2019 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, sie zweifle stark an der vom Kläger angezeigten Arbeitsunfähigkeit. Diese Zweifel seien angesichts der hohen Zahl der diagnostizierenden Ärzte und der hohen Zahl der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen berechtigt. Verdächtig sei auch, dass er eine Erstbescheinigung als „formales Erfordernis“ bezeichnet habe, ohne zu erklären, was er damit meine. Die gesamte Historie der mehrmonatigen Arbeitsunfähigkeitszeiträume des Klägers sei weit mehr als indiziell dafür, dass er zu keiner Zeit tatsächlich erkrankt gewesen sei. Der Beweiswert der ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei hiernach nicht nur vollkommen erschüttert, tatsächlich tendiere dieser „gegen Null“. Es sei folglich davon auszugehen, dass der Kläger seine Arbeitsunfähigkeiten nur vorgetäuscht habe. Den Vortrag des Klägers zu den Krankheitsursachen bestreite sie mit Nichtwissen und rege die Einholung eines Sachverständigengutachtens an. Damit liege eine schwere Vertragsverletzung zu ihrem Nachteil vor, die eine fristlose Kündigung nach ihrer Auffassung ohne weiteres rechtfertige, nämlich wegen unentschuldigten Fehlens und wegen des Erschleichens von Entgeltfortzahlung; jedenfalls als ordentliche Kündigung und jedenfalls als Verdachtskündigung. Der Kläger sei am 12.06.2019 und am 14.06.2019 nicht zur Arbeit erschienen. Diese Arbeitseinsätze seien ihm am 08.06.2019 durch die Zeugin Be mitgeteilt worden. An den weiteren Einsatztagen ab dem 18.06.2019 habe er auch unentschuldigt gefehlt, denn ein Zurückbehaltungsrecht habe nicht bestanden. Schon aus formalen Gesichtspunkten könne von einem Zurückbehaltungsrecht nicht ausgegangen werden, weil die konkrete vom Kläger geltend gemachte Forderung aus dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten nicht hervorgehe. Schon am 13.05.2019 habe der Kläger gefehlt – angeblich wegen einer kurzfristig auftretenden Erkrankung, die vermutlich nicht vorgelegen habe. Insgesamt stehe dem Kläger folglich auch kein Lohnanspruch zu. Die für den Monat Dezember abgerechneten 14,00 EUR an Stundenlohn seien schon mehr gewesen, als der Kläger habe erwarten dürfen. Es sei eine Leistung ohne Rechtsgrund gewesen und ein reines Entgegenkommen ihrerseits.

Aus den gleichen Gründen könne der Kläger nicht die Auszahlung des Weihnachtsgeldes verlangen. Selbst wenn der Kläger tatsächlich arbeitsunfähig gewesen sei, stehe der Auszahlung die unternehmensweite Übung entgegen, dass Arbeitsunfähigkeit der Auszahlung des Weihnachtsgeldes entgegenstehe.

Der Kläger habe für April, Mai und Juni keine Arbeitsleistung erbracht und eine Freistellung sei nicht schriftlich vereinbart worden. Dem Kläger stehe auch kein Weihnachtsgeld zu. Wegen der im Betrieb vereinbarten Kürzungsmöglichkeiten bei Arbeitsunfähigkeit, sei das Weihnachtsgeld für den Kläger ganz zu streichen gewesen.

Soweit sich der Kläger auf eine Freistellung berufe, möge er eine schriftliche Freistellung vorlegen. Eine solche existiere nicht. Im Übrigen seien die vom Kläger geltend gemachten Zahlungsansprüche auch der Höhe nach nicht nachvollziehbar. Die vom Kläger seiner Berechnung zu Grunde gelegte Arbeitszeit von 10 Stunden täglich sei erkennbar überhöht.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 24.09.2019 der Klage in vollem Umfang stattgegeben. Für die ersten Tage im April bestehe ein Anspruch auf Urlaubsvergütung, weil dem Kläger von der Beklagten unstreitig Urlaub bewilligt worden sei. Sodann sei der Kläger ausdrücklich freigestellt worden. Das sei zwischen den Parteien unstreitig. Die Beklagte habe hier lediglich vorgetragen, die Freistellung sei nicht schriftlich erfolgt. Die schriftlichen Äußerungen der Prozessbevollmächtigten der Beklagten ließen auch keinen Zweifel an der Freistellung. Aus dem gleichen Grund stehe dem Kläger der Lohn für den Monat Mai und für die erste Hälfte des Monats Juni zu; in der zweiten Hälfte des Monats Juni 2019 ergebe sich der Annahmeverzugsanspruch aus dem vom Kläger berechtigterweise ausgeübten Zurückbehaltungsrecht. Auch auf die Zahlung des Weihnachtsgeldes habe der Kläger Anspruch in voller Höhe, denn aus den Darlegungen der Beklagten folge nicht, dass für den Kläger eine Kürzungsregel eingreife. Der Kläger habe daher gegen die Beklagte auch einen Anspruch auf Auszahlung der Lohndifferenzen für den Monat Dezember und den Monat Januar, die durch die (Nach-)Berechnung mit dem geringeren Stundenlohn entstanden seien. Eine Kündigung wegen unentschuldigten Fehlens bedürfe grundsätzlich einer Abmahnung. Die fehle hier. Das Abmahnungserfordernis bestehe besonders dann, wenn es um die Frage gehe, ob berechtigt ein Zurückbehaltungsrecht ausgeübt werde, wie hier. Hinzukomme vorliegend, dass der Kläger tatsächlich ein Zurückbehaltungsrecht gehabt habe, weil die Beklagte dem Kläger ohne Grund erhebliche Entgeltbeträge vorenthalten habe. Auch im Übrigen fehle es an Anhaltspunkten für die Annahme eines unentschuldigten Fehlens. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeits-Bescheinigungen sei nicht erschüttert. Der Kläger habe nachvollziehbare Grün de für die Arztwechsel vorgetragen.

Gegen das ihr am 23.10.2019 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte am 21.11.2019 Berufung eingelegt und diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 23.01.2019 an diesem 23.01.2019 begründet.

Fristlose Kündigung - vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit
(Symbolfoto: Von M. Schuppich/Shutterstock.com)

Zur Begründung der Berufung hat die Beklagte vorgetragen, sie sei weiterhin der Auffassung, die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen seien unzutreffend, der Kläger sei nicht arbeitsunfähig gewesen, er habe sich damit die Entgeltfortzahlung erschlichen. Der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen sei schon deshalb erschüttert, weil in sechs Monaten sieben Ärzte konsultiert worden seien und es zu Erstbescheinigungen gekommen sei, die nicht erklärbar seien. Aus diesem Grund und weil der Kläger seine Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hätte, stelle es einen gravierenden Verfahrensfehler dar, dass das Arbeitsgericht keinen Beweis erhoben habe. Insgesamt habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass er keine Lust mehr habe, für sie zu arbeiten. Entgeltansprüche – und damit auch ein Zurückbehaltungsrecht – stünden dem Kläger nicht zu, denn der Kläger habe wegen vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit in den Monaten September 2018 bis März 2019 mehr Entgelt erhalten, als er habe erwarten können; für den Zeitraum von April bis Anfang Juni 2019 könne eine „schriftliche Freistellungserklärung“ nicht vorgelegt werden. Ein Zurückbehaltungsrecht habe während der zweiten Hälfte des Monats Juni nicht bestanden; der Kläger habe zu erkennen gegeben, dass er nicht arbeiten wolle.

Der in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag sei begründet, da Gründe vorlägen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Kläger nicht erwarten ließen. Unstreitig habe der Kläger innerhalb eines überschaubaren Zeitraums von September 2018 bis März 2019 von insgesamt sechs verschiedenen Ärzten mit kurzen Unterbrechungen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorgelegt. Dabei habe es sich um sieben Erstbescheinigungen und sieben Folgebescheinigungen gehandelt, sodass sie nachvollziehbar erhebliche Zweifel an der tatsächlichen Arbeitsunfähigkeit des Klägers gehabt habe und auch noch habe. Auffällig sei dabei, dass die angeblich zur Arbeitsunfähigkeit führenden Erkrankungen bereits kurze Zeit nach Aufnahme der Tätigkeit als Marktleiter aufgetreten seien, sodass jedenfalls und nicht zuletzt aufgrund der behaupteten ärztlichen Befunde wie Depression der Eindruck entstanden sei, dass der Kläger der verantwortungsvollen Tätigkeit als Marktleiter nicht gewachsen sei und keine Lust habe, sich dieser Herausforderung zu stellen. Mit einer verblüffenden Genauigkeit sei fast sicher vorauszusehen, dass der Kläger nach Zeiten einer Arbeitsunfähigkeit aus verschiedenen Gründen seiner Arbeit nicht nachkommen werde. Sei es, dass er kurz nach Wiederaufnahme seiner Tätigkeit wieder „krank“ werde, sei es, dass er sich schlicht und einfach weigere, und nicht am Arbeitsplatz erscheine. Dies zeige sich daran, dass der Kläger unmittelbar nach seinem auf die Arbeitsunfähigkeit folgenden Urlaub vom 02.12.2018 bis 08.12.2018 an nur einem einzigen Tag, nämlich am 11.12.2018, in der Lage gewesen sei, am Markt in H zu arbeiten, um dann am folgenden Tag erneut eine Erstbescheinigung einzureichen. Sie habe sich daher zum einen aufgrund ihrer Fürsorgepflicht und zum anderen zur Sicherung der betrieblichen Abläufe dazu veranlasst gesehen, dem Kläger nach seinem Urlaub und der erneuten Arbeitsunfähigkeit vom 12.12.2018 bis zum 30.03.2019 zunächst am 06.04.2019 einfachere Tätigkeiten zu übertragen. Dies sei insbesondere vor dem Hintergrund nachvollziehbar, dass die Beklagte den Kläger weder verlässlich einplanen, noch habe verantworten oder auch nur eigenverantwortlich habe beurteilen können, ob der Kläger unmittelbar nach seiner behaupteten längeren Arbeitsunfähigkeit in der Lage gewesen sei, die Anfangsleistungen eines Marktleiters in Teamarbeit zu erfüllen. Dabei sei insbesondere zu berücksichtigen, dass sie sich mangels Kontrollmöglichkeiten existenziell auf ihre Mitarbeiter habe verlassen müssen. Dies gelte nicht nur im Hinblick auf eine verlässliche Präsenz auf Märkten zur Bedienung der Kunden, sondern auch im Hinblick auf Arbeitsbereitschaft und Flexibilität. Nachdem der damalige Marktleiter auf eigenen Wunsch zum Ende des Jahres 2017 ausgeschieden sei, sei zum 01.01.2018 der Zeuge Le und der Kläger zum Marktleiter sowie die Zeugin Be als verantwortliche für den Bereich Backwarenbestellung Wochenmärkte „berufen“ worden, um die jeweiligen Aufgaben im Team zu erledigen. Der Kläger habe vom ersten Tag an die erwartete Teamarbeit nicht akzeptiert und für Unruhe innerhalb der Organisation gesorgt. Da die Arbeit und Teamleistung der beiden Marktleiter auch nach vielen Einzelgesprächen im Jahr 2018 nicht ansatzweise zufriedenstellend gewesen sei, sei die Organisationsstruktur Anfang August 2018 dahingehend verändert worden, dass die Zeugin Be zur Verkaufsleiterin befördert worden sei. Ab diesem Zeitpunkt sei sie als Vorgesetzte weisungsbefugt gewesen sowohl gegenüber dem Kläger als auch gegen über dem Zeugen Le . Der Kläger habe jedoch auch in der Folgezeit nicht als „Teamplayer“ gearbeitet. Sie habe den Kläger mehrfach zu Besprechungen gebeten, um zu erörtern, wie der Arbeitsplatz künftig gestaltet werden könne. Da das Gespräch am 10.04.2019 nicht zu einer einvernehmlichen Lösung geführt habe, sei auch zwischen den Prozessbevollmächtigten des Klägers sowie den Prozessbevollmächtigten der Beklagten mehrere Telefongespräche ohne Lösung geführt worden. Der Eindruck, dass der Kläger seine Arbeitsfähigkeit nur vorgetäuscht, jedenfalls aber keinerlei Interesse an einer einvernehmlichen Lösung gezeigt habe, werde dadurch verstärkt, dass der Kläger auch vor dem geplanten Personalgespräch von 13.05.2019 wiederum kurzfristig und spontan erkrankt gewesen sein solle. Damit habe er nicht nur sich sondern auch der Beklagten die Möglichkeit genommen, sich um die weitere Zusammenarbeit Klarheit zu verschaffen und als Team wieder zusammen zu finden. Für die Beklagte sei damit nicht nur der subjektive Eindruck entstanden, dass der Kläger nicht willens sei, seine Arbeitsleistung zu erbringen. Nachdem der Kläger am 08.06.2019 für einen Tag als Zweitverkäufer in L habe eingesetzt werden können, sei er in der Folgezeit trotz eindeutiger Aufforderung der Zeugin M nicht mehr zu seinen eingeteilten Einsatztagen am 12. Juni und 14. Juni erschienen. Eine Erklärung des Klägers zum unentschuldigten Fernbleiben sei ausgeblieben. Die Mitteilung des Klägers durch seinen Prozessbevollmächtigten im Schreiben vom 15.06.2019, wonach er „zur Erfüllung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten“ und zu „gelegentlichen Noteinsätzen“ bereit sei, sei demnach als bloßes Lippenbekenntnis zu werten. Verstärkt werde dies dadurch, dass paradoxerweise im selben Schreiben erstmalig ein Zurückbehaltungsrecht des Klägers angesprochen worden sei. Der Verpflichtung zur Arbeitsleistung sei der Kläger auch in der Folgezeit an den vorgesehenen Arbeitstagen nicht nachgekommen. Die notwendige Arbeitswilligkeit sei vor diesem Hintergrund in keinem Fall zu erkennen.

Es sei daran zu erinnern, dass das Arbeitsverhältnis von gegenseitigen Rechten und Pflichten, d. h. primär dem Anspruch auf Lohn und der Verpflichtung zur Arbeit, geprägt sei. Dieses Austauschverhältnis sei dann gestört, wenn der Arbeitnehmer seiner Arbeitspflicht nicht nachkomme. Der Kläger habe im Rahmen des im November 2019 in der Kanzlei seines Prozessbevollmächtigten in dessen Beisein geführten Gesprächs den Geschäftsführer der Beklagten auf Befragen klar und verständlich erklärt, dass er für die Beklagte nicht mehr arbeiten wolle und nur noch finanzielle Vorstellungen habe. Sofern der Kläger behaupte, das sei unzutreffend, bleibe offen, welche Schlussfolgerungen die Beklagte aus dieser Mitteilung sonst habe ziehen müssen, als die, dass der Kläger auch im November 2019 nicht willig und nicht bereit gewesen sei, für sie zu arbeiten. Diese Verweigerungshaltung stelle nicht zuletzt mit Blick auf die herausgehobenen Position des Klägers als Marktleiter einen erheblichen Vertrauensverlust dar. Das Vertrauen in ein Mindestmaß an Zuverlässigkeit und Redlichkeit, welches ein mittelständisches Unternehmen in seine Mitarbeiter haben müsse, könne bei natürlicher Betrachtung in so einem Fall nicht mehr gegeben sein. Vor diesem Hintergrund sei eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen ihr und dem Kläger nicht mehr zu erwarten. Bei ihr sei auch zwischenzeitlich kein berücksichtigungsfähiger Wandel der betrieblichen Verhältnisse etwa durch den Austausch von Vorgesetzten eingetreten. Nach alledem sei das Arbeitsverhältnis aufzulösen, selbst wenn sich die fristlose Kündigung als unwirksam und die ordentliche Kündigung als sozialwidrig darstelle.

Die Beklagte beantragt

1.  das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 24.09.2019 – 4 Ca 817/19 – abzuändern und die Klage insgesamt kostenpflichtig abzuweisen.

2.  das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das pflichtgemäße Ermessen des Gerichts gestellt wird, die aber 15.311,56 EUR nicht überschreiten soll, zum 30.09.2019 aufzulösen.

Der Kläger beantragt,

1.  die Berufung der Beklagten zurückzuweisen;

2.  den Auflösungsantrag der Beklagten zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das Urteil des Arbeitsgerichts und vertieft seinen erstinstanzlichen Vortrag. Am 12.06.2019 habe er nicht unentschuldigt gefehlt. Die Beklagte habe nämlich nur eine Assistententätigkeit zu vergeben gehabt, nicht aber eine Tätigkeit als Marktleiter. Eine Weisung am 14.06.2019 zur Arbeit zu kommen, habe ihn nie erreicht.

Die Beklagte hat ihren ehemaligen Prozessbevollmächtigten mit Schriftsatz vom 07.04.2020 den Streit verkündet. Diese sind dem Rechtsstreit nicht beigetreten.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung der Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.  Das Rechtsmittel bleibt jedoch in der Sache ohne Erfolg. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen. Eine Kündigung hat das Arbeitsverhältnis nicht beenden können, da weder eine erwiesene Tat, die eine schwere Pflichtverletzung darstellen könnte noch Indizien im Raume stehen, die geeignet wären, eine Verdachtskündigung zu rechtfertigen. Wegen der verbleibenden streitigen Tage fehlender Arbeitsleistung im Juni 2019 war eine Kündigung ohne eine zuvor ergangene Abmahnung unverhältnismäßig und daher unwirksam. Richtig hat das Arbeitsgericht auch der Klage mit den Leistungsanträgen stattgegeben. Der in der Berufungsinstanz gestellte Auflösungsantrag war mangels eines Auflösungsverschuldens des Klägers abzuweisen.

Insgesamt kann auf die zutreffende und ausführliche Begründung des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden. Die nachfolgenden Ausführungen ergehen lediglich zur Vertiefung und mit Blick auf die Berufungsbegründung.

1.  Die Kündigung ist sowohl als fristlose wie auch als ordentliche verhaltensbedingte Kündigung unwirksam. Aus den Darlegungen der Beklagten ergibt sich weder eine Vertragspflichtverletzung des Klägers, die eine Kündigung ohne Abmahnung rechtfertigen könnte, noch sind Indizien erkennbar, die einen dringenden Verdacht begründen könnten, der Kläger habe eine solche Vertragspflichtverletzung begangen. Daher liegt weder ein wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vor, noch eine soziale Rechtfertigung durch Gründe, die gemäß § 1 Abs. 2 KSchG im Verhalten des Klägers hätten gefunden werden können. Zwar hat der Kläger in der Zeit vom 01.09.2018 bis zum 25.06.2019 kaum Arbeitsleistung erbracht. Diese Nichterbringung der Arbeitsleistung war aber gerechtfertigt durch die Arbeitsunfähigkeit des Klägers sowie durch das wirksam durch den Kläger ausgeübte Zurückbehaltungsrecht. Die streitige Tatsache, dass der Kläger am 12.06.2019 und am 14.06.2019 unentschuldigt gefehlt habe, kann zu Gunsten der Beklagten als richtig unterstellt werden, denn auch dann käme eine Kündigung nur nach erfolgloser Abmahnung in Betracht. Aus den vorgesagten Gründen scheidet auch eine Verdachtskündigung aus.

a.  Eine erschlichene Entgeltfortzahlung oder eine Arbeitsverweigerung bei vorgetäuschter Arbeitsunfähigkeit ergibt sich nicht aus den Darlegungen der Beklagten, nicht einmal Indizien, die den Beweiswert der ihr vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttern könnten. Ihr lagen die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, sie stand ausweislich der Anlagen K 23 bis K 25 (Anlagen zum Schriftsatz vom 11.07.2019) in Kontakt zur Krankenkasse des Klägers, sie hat nicht gemäß § 275 Abs. 1 a Satz 3 SGB V ein Gutachten des medizinischen Dienstes verlangt und sie kann sich daher als Indiz für ein vertragswidriges Erschleichen einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung weder auf die Dauer der Krankheitsphase noch auf die Häufigkeit der Bescheinigungen berufen. In der Regel ist nämlich der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung iSd. § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Ihr kommt ein hoher Beweiswert zu. Das Gericht kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtsstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (BAG v. 26.10.2016 – 5 AZR 167/16 -). Der Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist erschüttert, wenn die vom Arbeitgeber vorgetragenen Tatsachen zu ernsthaften Zweifeln an der bescheinigten Arbeitsunfähigkeit Anlass geben. Hiernach kommen als Tatsachen, die eine Erschütterung des Beweiswertes begründen können, zum Beispiel in Betracht (vgl. Griese in: Küttner Personalbuch 2020 Nr. 54 Rn. 6 mit Nachweisen aus der Rechtsprechung):

•  Arbeit während der Arbeitsunfähigkeit bei einem Konkurrenzunternehmen;

•  Erteilung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ohne Untersuchung oder nur nach telefonischer Rücksprache;

•  Offenkundige Verkennung des Krankheitsbegriffs in der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst;

•  Ankündigung einer Erkrankung durch den Arbeitnehmer;

•  Rückwirkende Datierung einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung;

•  Erkrankung nach Ablehnung eines Urlaubsantrages im beantragten Urlaubszeitraum;

•  Wiederholte Erkrankung von ausländischen Arbeitnehmern jeweils im Anschluss an den Heimaturlaub;

•  Umbuchung eines Urlaubsrückflugs vor Krankschreibung auf den Tag des Endes der Krankschreibung;

•  Wiederholte gemeinsame und gleichzeitige Erkrankung von Ehegatten nach Urlaubsende;

•  Unentschuldigte Nichtbefolgung einer Vorladung zur vertrauensärztlichen Untersuchung;

•  Durchführung von beschwerlichen Reisen während der Arbeitsunfähigkeit;

•  Strapaziöse sportliche Betätigungen während der Krankheit;

•  Mit einer Arbeitsunfähigkeit unvereinbare Freizeitaktivitäten;

•  Mit der Arbeitsunfähigkeit unvereinbare Arbeit außerhalb der Arbeitsstelle, zB in der eigenen Nebenerwerbslandwirtschaft oder beim Bau des eigenen Hauses.

Hat der Arbeitgeber Zweifel an der Richtigkeit der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung dann kann er gemäß § 275 Abs. 1 a SGB V den medizinischen Dienst einschalten.

Vorliegend hat die Beklagte den medizinischen Dienst nicht eingeschaltet, es gab aber auch im Übrigen keinen objektiven Anlass, an der Arbeitsunfähigkeit des Klägers zu zweifeln, denn der Vortrag des Klägers zur Krankheitsdauer, zu den Krankheitsursachen, zu den behandelnden Ärzten und zu den Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen ist nachvollziehbar und widerspruchsfrei und die Beklagte, die die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen trägt, die die Kündigung bedingen sollen, hat darüber hinaus keine weiteren Tatsachen zur Erschütterung des Beweiswertes vorgetragen.

Die Dauer der durch Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen belegten Krankheitsphase von September 2018 bis März 2019 ist entgegen der Auffassung der Beklagten kein Indiz für die Annahme einer nachhaltigen Arbeitsunlust des Arbeitnehmers, sondern ein Indiz für die Annahme einer ernsthaften Gesundheitsbeeinträchtigung.

Die Anzahl der diagnostizierenden und behandelnden Ärzte eignet sich ebenfalls nicht als Indiz für ein vertragswidriges Verhalten. Im hier fraglichen Zeitraum von 6 Monaten war der Kläger zunächst bei seinem Hausarzt, dem Zeugen N , in Behandlung. Die Beklagte hat nicht behauptet, dass es sich bei diesem Arzt um einen gemäß § 275 Abs. 1 a b) SGB V auffällig gewordenen Arzt handelte. Sodann hat sich der Kläger einmal in die Notaufnahme der RWTH begeben. So etwas geschieht bei akuten Beschwerden und es eignet sich nicht als Indiz für die Annahme einer Vertragspflichtverletzung gegenüber dem Arbeitgeber. Anschließend war der Kläger (mehr als 11 Wochen!) wegen seiner psychischen Probleme beim Facharzt für Psychiatrie, dem Zeugen S , sowie dessen Vertretern, den Zeugen Sa und H in Behandlung. Sich mit psychischen Problemen an eine Facharztpraxis zu wenden ist naheliegend. Damit erfüllt der Arbeitnehmer seine Pflicht gegenüber dem Arbeitgeber, den Genesungsprozess zu beschleunigen. Eine Pflichtverletzung ist dem gegenüber nicht ersichtlich. Das gleiche gilt für das Aufsuchen eines Facharztes für Orthopädie bei Knieproblemen, die sich an die Behandlung eines Hexenschuss durch den Hausarzt angeschlossen haben.

Die Anzahl der Erstbescheinigungen könnte zwar ein Indiz für die Unrichtigkeit einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung sein, wenn der Arbeitnehmer häufig – ohne einen die Fachgebiete der Ärzte betreffenden Anlass – die behandelnden Praxen ändert. Hier hatte der Kläger aber wie gezeigt Anlass, die Facharztpraxen aufzusuchen und hier lagen unterschiedliche Krankheitsursachen vor: Akute Infektion, psychische Belastungsstörung, Hexenschuss, Knieschmerzen. Schon vom Ansatz her kann es keinen Kündigungsgrund darstellen, dass der behandelnde Arzt eine Erstbescheinigung ausgestellt. Dies mag durch eine tatsächlich neue und bislang nicht vorgelegene Erkrankung, vielleicht aber auch nur durch eine Nachlässigkeit motiviert gewesen sein. Letztlich ist es einem Patienten in aller Regel nicht möglich, die Art der Ausstellung der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und deren Inhalt zu beeinflussen. Dass hier dem Kläger ausnahmsweise eine Einflussmöglichkeit zugekommen war oder er gerade die Ausstellung der konkreten Bescheinigung verlangt hätte und der Arzt dieser Bitte nachgekommen wäre, ist dem Sachvortrag der Beklagten nicht zu entnehmen (vgl. Landesarbeitsgericht München v. 07.02.2012 – 6 Sa 631/11 – Rn. 93). Die unrichtige Bescheinigung einer Ersterkrankung (Erstbescheinigung vom 02.01.2019) durch einen Arzt, bei dem der Kläger schon seit drei Wochen wegen der gleichen Krankheit in der Behandlung ist, mag eine Unregelmäßigkeit darstellen, die für den Arbeitgeber ein hinreichender Anlass für einen Antrag nach § 275 Abs. 1 a SGB V sein könnte. Tatsächlich hat die Krankenkasse des Klägers die Beklagte mit Schreiben vom 10.01.2019 auf die Fehlerhaftigkeit hingewiesen. Vor allem ist ein solcher Fehler aber ein Indiz für eine mangelhafte Organisation in der Praxis des Hausarztes – keinesfalls aber für die Annahme eines vertragswidrigen Verhaltens des Arbeitnehmers, wenn keine weiteren „verdächtigen“ Tatsachen hinzutreten. Gleiches gilt, wenn ein Hausarzt im Anschluss an eine vielwöchige Arbeitsunfähigkeit, die von einem Facharzt diagnostiziert worden war, eine Erstbescheinigung aufgrund einer neuen Diagnose ausstellt (hier am 06.03.2019), es sich die Angelegenheit aber rechtlich und ökonomisch – Neudiagnose oder nicht – um einen Fall der „Einheit des Verhinderungsfalles“ handelt.

Soweit die Beklagte vorträgt, bei ihr sei wegen der diagnostizierten Depression der Eindruck entstanden, dass der Kläger den ihm übertragenen Aufgaben nicht gewachsen sei, liegt sie richtig. Wer arbeitsunfähig ist, ist seinen arbeitsvertraglichen Aufgaben nicht gewachsen. Eine Vertragspflichtverletzung ist darin allerdings nicht zu erblicken.

Wie betont ist es die Arbeitgeberin, die die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen trägt, die die Kündigung bedingen sollen. Liegen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vor, wie hier, so muss die Arbeitgeberin, die ein unentschuldigtes Fehlen oder gar ein Erschleichen von Entgeltfortzahlung behaupten möchte, Indizien vortragen, die den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsurkunden erschüttern können und sollen. Trägt der Arbeitnehmer wie hier nachvollziehbare Gründe vor, warum er in einem Zeitraum von sechs Monaten bei vier unterschiedlichen Krankheiten seinen Hausarzt und drei Facharztpraxen aufgesucht hat, bleibt es nach dem Maßstab des § 138 Abs. 1 ZPO die prozessuale Aufgabe der Arbeitgeberin, die sich zwischenzeitlich nicht an den medizinischen Dienst gewandt hatte, weiter zu der von ihr angenommenen Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen vorzutragen. Erst dann wäre an eine Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zu denken. Wäre es anders, so verlören Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen umso mehr ihren Beweiswert, je kranker der Arbeitnehmer wird und je zahlreicher und vielfältiger seine Beschwerden. Das widerspräche ihrem Sinn.

Ohne Erfolg beruft sich die Beklagte auf die Entscheidung der 4. Kammer des Landesarbeitsgerichts Köln vom 07.07.2017 – 4 Sa 936/16 – die einen signifikant anderen Sachverhalt betraf. Zwar ging es auch dort um den Vorwurf der Arbeitgeberin, es liege eine vorgetäuschte Arbeitsunfähigkeit vor. Der Anlass für die Erschütterung des Beweiswertes war dort aber ein ganz anderer. Wörtlich heißt es in der Entscheidung

„… Angesichts der Besonderheiten des vorliegend zu beurteilenden Geschehensablaufs in Gestalt eines mehrfach bekräftigten Urlaubsbegehrens, der während des beabsichtigten Urlaubs geplanten Teilnahme an einer Vernissage in D, der anschließenden Vorlage einer den Zeitraum des ursprünglich begehrten Urlaubs vollständig umfassenden (und sogar darüber hinausgehenden) Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung und der während des Zeitraums der attestierten Arbeitsunfähigkeit tatsächlich erfolgten Teilnahme an der Vernissage geht die Kammer davon aus, dass der Beweiswert der von der Klägerin beigebrachten, von Frau Dr. K ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung erschüttert ist.

Dort ging es also um die Erschütterung des Beweiswertes, weil zuvor ein Urlaubswunsch abgelehnt worden war und weil dann genau für den Zeitraum des beantragten Urlaubs die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt wurde und schließlich weil die dortige Klägerin sodann auf genau der Veranstaltung erschienen war, für den sie ursprünglich den Urlaub beantragt hatte. Die Tatsachen, die den Beweiswert erschüttert haben, lagen dort also außerhalb der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung selbst. Hier bezieht sich die Beklagte aber nur auf die Dauer, die Anzahl der Bescheinigungen, die Anzahl der Erstbescheinigungen und die Anzahl der Ärzte.

Nach alledem ist gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts, mangels Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keinen Beweis zu erheben, nichts einzuwenden.

Der Vorwurf gegenüber dem Kläger, er sei nicht teamfähig, ist als Kündigungsgrund gleichfalls nicht geeignet. Er bleibt in den Darlegungen der Beklagten pauschal und wäre ohnehin nur nach erfolgloser – konkretisierender – Abmahnung geeignet, als Kündigungsgrund in Betracht zu kommen.

Gleiches gilt für den Vortrag der Beklagten, der Kläger habe keinerlei Interesse an einem Personalgespräch gehabt, sondern sei gleich wieder arbeitsunfähig geworden. Hier wiederholt die Beklagte sinngemäß ihren Vorwurf, der Kläger habe Arbeitsunfähigkeit nur vorgetäuscht. Mangels Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen kommt dieser Vorwurf wie gezeigt nicht in Betracht.

b.  Für die Zeit ab dem 10.04.2019 bis zum 05.06.2019 kommt eine Nichterbringung der Arbeitsleistung als Kündigungsgrund nicht in Betracht, denn unstreitig war der Kläger von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung freigestellt. Ob dies schriftlich geschehen ist, ist nicht relevant.

c.  Für die Zeit ab Mitte Juni 2019 kann die Beklagte dem Kläger nicht den Vorwurf der Arbeitsverweigerung machen, denn der Kläger hatte für diese Zeit ein Zurückbehaltungsrecht, das er wirksam ausgeübt hat. Hier kann auf die Entscheidungsgründe des arbeitsgerichtlichen Urteils Bezug genommen werden. Indem die Beklagte den Stundenlohn grundlos für die Monate Dezember 2018 und Januar 2019 auf 14,00 EUR reduziert hat, indem sie, ohne sich an den Pfändungsschutz des § 850 c ZPO und an das Aufrechnungsverbot des § 394 BGB zu halten, dem Kläger im Januar ein Entgelt ausgezahlt hat, dass nach dem Maßstab des Gesetzes (§ 850 c ZPO) nicht ausreicht, um das Existenzminimum zu bestreiten, indem sie der Krankenkasse zur Berechnung des Krankengeldes für die Zeit ab dem 23.01.2019 keine ordnungsgemäße Arbeitsbescheinigung ausgestellt hatte und indem sie für die Monate April und Mai – trotz ausdrücklicher Freistellung des Klägers von seiner Pflicht zur Arbeitsleistung – keinen Lohn gezahlt hat, hat sie in erheblichem Maße gegen ihre arbeitsvertraglichen Haupt- und Nebenpflichten verstoßen. Genau dies hat der Kläger mit dem Schreiben seines Prozessbevollmächtigten vom 15.06.2019 (Bl. 84 d.A.) konkret geltend gemacht und damit auch die formalen Voraussetzungen eines Zurückbehaltungsrechts erfüllt.

d.  Wegen der verbleibenden zwei Tage fehlender Arbeitsleistung im Juni 2019 kam eine Kündigung ohne vorherige Abmahnung nicht in Betracht. Das gilt für eine fristlose Kündigung schon nach § 314 Abs. 2 BGB. Eine ordentliche Kündigung ist ohne vorherige Abmahnung unverhältnismäßig, daher nach den Maßstäben des § 1 Abs. 2 KSchG nicht sozial gerechtfertigt und daher nach § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam.

e.  Da es schon an Tatsachen fehlt, die Indizien darstellen könnten, aufgrund derer der Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen erschüttert sein könnte, kommt erst recht eine Verdachtskündigung nicht in Betracht, denn diese setzt einen dringenden Tatverdacht einer schwerwiegenden Vertragspflichtverletzung voraus. Ob eine zwingend notwendige weitere Wirksamkeitsvoraussetzung einer Verdachtskündigung, nämlich die Anhörung des Betroffenen zum Verdacht, vorlag, kann daher offen bleiben.

2.  Auch mit Blick auf die Leistungsanträge ist die Entscheidung des Arbeitsgerichts in der Sache richtig und ausführlich begründet.

a.  Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Auszahlung des vertraglich versprochenen Weihnachtsgeldes in rechnerisch unstreitiger Höhe aus § 611 a Abs. 2 BGB in Verbindung mit der Arbeitsvertragsurkunde vom 01.02.2018. Der Wortlaut des Vertrages ist eindeutig, ein Kürzungssachverhalt nicht erkennbar.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

b.  Der Kläger hat Anspruch auf Auszahlung des vertraglichen Entgeltanspruchs für den Monat Januar in Höhe von insgesamt restlichen (875,00 EUR + 518,00 EUR =) 1.393,00 EUR aus dem Arbeitsvertrag in Verbindung mit § 611 a Abs. 2 BGB. Weder ist der Zahlungsanspruch erloschen durch Aufrechnung mit einem Rückzahlungsanspruch aus dem Monat Dezember 2018, noch war für die Arbeitsleistung im Monat Januar eine Reduzierung des Stundenlohns auf 14,00 EUR gerechtfertigt.

(1.)  Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers gegen die Beklagte auf Zahlung der Entgeltfortzahlung für den Monat Januar 2019 ist nicht teilweise gemäß § 387, 389 BGB erloschen durch die Aufrechnung mit einem Bereicherungsanspruch aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt BGB. Die Aufrechnung war bereits gemäß § 394 BGB in Verbindung mit 850 c ZPO unwirksam, denn die Aufrechnungserklärung betraf zu großen Teilen pfändungsfreie Beträge.

Die Aufrechnung ist aber auch deshalb unwirksam, weil es an einem Aufrechenbaren Anspruch fehlt. Als ein solcher Anspruch kommt nach den Darlegungen der Beklagten nur ein Bereicherungsanspruch in Betracht, der durch eine rechtsgrundlose Leistung im Monat Dezember 2018 entstanden wäre. Aus Anlage K6 (Abrechnung für Januar, Bl. 13) ergibt sich eine Rückrechnung des Dezemberentgelts wegen der Differenz zwischen dem Stundenlohn in Höhe von 18,05 EUR und einem Stundenlohn in Höhe von 14,00 EUR. Die sich so ergebende Summe in Höhe von 875,12 EUR brutto hat die Beklagte mit dem Januarentgelt aufgerechnet. Die Beklagte behauptet also einen Bereicherungsanspruch und damit, dass der Zahlung der Rechtsgrund fehle. Weder geht aber aus den Darlegungen der Beklagten hervor, wieso sie pro Stunde nur 14,00 EUR abrechnen muss und nicht die vertraglich vereinbarten 18,05 EUR noch liegt wie gezeigt ein Fall des unentschuldigten Fehlens vor. Der Kläger hatte vom 04.12.2018 bis zum 10.12.2018 Urlaub, am 11.12.2018 hat er gearbeitet und vom 12.12.2018 bis zum 29.12.2018 war er arbeitsunfähig (Hexenschuss). Der 30.12.2018 war ein Sonntag und der 31.12.2018 ein arbeitsfreier Tag. Damit hatte die Beklagte dem Kläger für die Zeit vom 04.12.2018 bis zum 31.12.2018 Urlaubsentgelt, Arbeitsentgelt und Entgeltfortzahlung zu zahlen. Sie selbst hat für diese 27 Tage 215,83 Stunden abgerechnet (vergl. Anlage K6, Bl. 13 d.A.), pro Tag also 10,8 Stunden.

(2.)  An Entgeltfortzahlung hat die Beklagte für den Monat Januar 128 Stunden abgerechnet. Die Differenz zwischen dem abgerechneten Stundenlohn in Höhe von 14,00 EUR und dem vertraglich vereinbarten Stundenlohn in Höhe von 18,05 EUR beträgt in der Summe 518,40 EUR. Auch in dieser Höhe war der Klage mithin stattzugeben.

Soweit die Beklagte den Anspruch des Klägers der Höhe nach bestreitet, ist dieses Bestreiten pauschal und daher nicht erheblich. Das Bestreiten ist vor allem deshalb nicht erheblich, weil die Beklagte selbst pro Tag (mehr als) zehn Stunden an Arbeitsleistung abgerechnet hat.

Der Zinsanspruch ergibt sich aus §§ 286, 288 BGB.

c.  In Höhe des Betrages, den die Beklagte nicht hinreichend konkret durch Gegenvortrag bestritten hat (siehe soeben unter b), hat der Kläger gegen sie auch die von ihm geltend gemachten Entgeltansprüche für die Monate April, Mai und Juni 2019. Für die erste Aprilwoche folgt der Anspruch aus §§ 1, 3, 11 BurlG und für die Zeit danach aus § 615 BGB, jeweils in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag. In der Zeit ab dem 10.04.2019 bis zum 05.06.2019 war der Kläger unstreitig freigestellt. In der Zeit ab dem 15.06.2019 hat der Kläger wie gezeigt zur Recht ein Zurückbehaltungsrecht ausgeübt. Sowohl während der Freistellung als auch während der Zeit eines zu Recht ausgeübten Zurückbehaltungsrechts ist der Arbeitgeber mit der Annahme der Arbeitsleistung in Verzug und folglich gemäß § 615 BGB zur Zahlung von Entgelt verpflichtet.

Auch hier folgt der Zinsanspruch aus §§ 286, 288 BGB.

III.  Der Auflösungsantrag der Beklagten ist nicht begründet. Der Arbeitgeber kann die Auflösung des Arbeitsverhältnisses verlangen, wenn Gründe vorliegen, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen ihm und dem Arbeitnehmer nicht erwarten lassen. Dabei sind an den Auflösungsantrag des Arbeitgebers strenge Anforderungen zu stellen, um den durch das KSchG gewährten Bestandsschutz zu sichern (BVerfG v. 22.10.04 – 1 BvR 1944/01; BAG v. 23.10.08 – 2 AZR 483/07). Der Auflösungsantrag erfordert im Vergleich mit der gescheiterten Kündigung eine zusätzliche Begründung. Es ist verfassungsrechtlich nicht vertretbar, dass Gründe, die für die Kündigung des Arbeitsverhältnisses nicht ausreichen, als erheblich genug angesehen werden, die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG zu rechtfertigen (BVerfG 15.12.08 – 1 BvR 347/08, BVerfGK 14, 507). Der Geeignetheit als Auflösungsgrund steht es aber nicht von vornherein entgegen, dass das fragliche Verhalten des Arbeitnehmers die Kündigung selbst nicht rechtfertigen konnte (BAG v. 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 -). Der Arbeitgeber kann sich zur Begründung seines Auflösungsantrags auch auf Gründe berufen, auf die er zuvor – erfolglos – die ausgesprochene Kündigung gestützt hat. In diesen Fällen muss er indes im Einzelnen vortragen, weshalb die unzureichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (BAG v. 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 -). Der Vortrag des Arbeitgebers muss so beschaffen sein, dass sich das Gericht, wollte es die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf dieses Vorbringen stützen, nicht in Widerspruch zu seiner Beurteilung des Kündigungsgrundes als unzureichend setzen müsste (BVerfG v. 15.12.2008 – 1 BvR 347/08 -). Hat das Gericht z.B. eine verhaltensbedingte Kündigung allein deshalb für unwirksam erklärt, weil eine erforderliche Abmahnung fehlt, kann der Auflösungsantrag begründet sein, wenn eine durch objektive Tatsachen begründete Gefahr feststellbar ist, der Arbeitnehmer könne ein pflichtwidriges Verhalten (mit erheblichem Schadenspotenzial) trotz Abmahnung wiederholen (Schadenspotential Batterieexplosion: BAG 24.05.18 – 2 AZR 73/18, NZA 18, 1131).

Nach diesen Maßstäben liegt hier eine hinreichende Begründung für die Auflösung des Arbeitsverhältnisses trotz sozialwidriger Kündigung nicht vor. Vielmehr erschöpft sich die Begründung in der Wiederholung der Kündigungsgründe. Soweit die Wirksamkeit der Kündigung mit Blick auf das (streitige) unerlaubte Fehlen am 12.06.2019 und 14.06.2019 an einer einschlägigen Abmahnung scheiterte, ist nach den Maßstäben der soeben zitierten Entscheidung des 2. Senats des BAG vom 24.05.2018 ein erhebliches Schadenspotential, das drohen könnte, nicht ersichtlich.

III.  Nach allem bleibt es somit bei der klagestattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung. Zusätzlich war der Auflösungsantrag abzuweisen. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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