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Fristlose Kündigung – vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes bei Vorliegen einer Pflichtenkollision

Fristlose Kündigung einer Integrationshelferin unwirksam

Im Streit um die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die hilfsweise als ordentliche Kündigung ausgesprochen wurde, hat das Arbeitsgericht die Klage einer Integrationshelferin gegen die fristlose Kündigung stattgegeben. Die Klägerin hatte ihre Arbeit an einer Grundschule vorzeitig verlassen, um ihr krankes Kind zu betreuen, und dabei falsche Arbeitszeiten angegeben. Das Gericht befand, dass es dem Beklagten zumutbar gewesen wäre, die ordentliche Kündigungsfrist abzuwarten, da es sich um einen einmaligen Verstoß handelte.

Der Beklagte legte Berufung ein und begründete dies damit, dass es nicht nur um den Arbeitszeitbetrug gehe, sondern auch um die Tatsache, dass ein zu betreuendes Kind allein gelassen wurde und es um das Image seines Unternehmens gehe. Die Klägerin habe verschleiert, bestritten und nichts bereut.

Das Gericht wies die Berufung zurück und verteidigte die Entscheidung, dass die fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist beenden konnte. Es führte aus, dass das Verhalten der Klägerin keinen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB darstelle und daher das Arbeitsverhältnis nicht vorzeitig beendet werden konnte.


Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 739/21 – Urteil vom 12.05.2022

1. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 14.09.2021 – 5 Ca 3778/20 – wird zurückgewiesen.

2. Die Kosten der Berufung hat der Beklagte zu tragen.

3. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen Kündigung, die hilfsweise als eine ordentliche ausgesprochen worden ist. Da diese letztgenannte hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom Arbeitsgericht als wirksam erachtet worden war und die Klägerin gegen diesen klageabweisenden Teil der erstinstanzlichen Entscheidung keine (Anschluss-)Berufung eingelegt hat, ist hier im Berufungsverfahren nur noch streitig, ob das Arbeitsverhältnis vor Ablauf der gut fünf Wochen währenden ordentlichen Kündigungsfrist sein Ende gefunden hat.

Die Klägerin, die als Integrationshelferin ein Grundschulkind mit Integrationsbedarf während der Schulzeit zu betreuen hatte, hat wegen der Krankheit ihres eigenen Kindes die Schule vorzeitig verlassen und unzutreffend das (spätere) Ende der Unterrichtszeit als das Ende ihrer Arbeitszeit eingetragen. Wegen des erstinstanzlichen streitigen und unstreitigen Vorbringens sowie der erstinstanzlich gestellten Anträge wird im Übrigen gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils vom 14.09.2021 Bezug genommen. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage gegen die fristlose Kündigung mit der Begründung stattgegeben, es sei dem Beklagten zuzumuten gewesen, die ordentliche Kündigungsfrist abzuwarten. Es sei zwar von einem schwerwiegenden Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Nebenpflichten auszugehen. Aber jedenfalls sei mangels Tatsachen, die einen anderen Blickwinkel ermöglichen könnten, davon auszugehen, dass es sich um einen einmaligen Verstoß gehandelt habe. Eine Abwägung der Interessen beider Vertragsteile führe zu der Erkenntnis, dass sich der Ausspruch einer fristlosen Kündigung als unverhältnismäßig darstelle. Wegen der Begründung im Einzelnen wird auf die Entscheidungsgründe des vorgenannten Urteils (Bl. 161 ff. d. A.) Bezug genommen.

Gegen dieses ihm am 26.10.2021 zugestellte Urteil hat der Beklagte am 26.11.2021 Berufung eingelegt und er hat diese Berufung nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 26.01.2021 damit begründet, dass es nach seiner Auffassung nicht nur um den von der Klägerin begangenen Arbeitszeitbetrug gehe, sondern es gehe auch um die Tatsache, dass hier ein zu betreuendes Kind allein gelassen worden sei und damit gehe es um die Außendarstellung seines Unternehmens. Wegen der ablehnenden Einstellung der Eltern gegenüber der Klägerin sei es gar nicht mehr möglich gewesen, sie an einem anderen Ort oder mit einem anderen Kind einzusetzen. Die Klägerin habe verschleiert, bestritten und nichts bereut.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Aachen vom 14.09.2021 – 5 Ca 3778/20 – abzuändern und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt die Entscheidung des Arbeitsgerichts, der zufolge die fristlose Kündigung das Arbeitsverhältnis nicht vor Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist habe beenden können, und vertieft ihren erstinstanzlichen Vortrag.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist nicht begründet.

I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II. Das Rechtsmittel bleibt aber in der Sache ohne Erfolg. Das mit der Berufung angegriffene Urteil des Arbeitsgerichts Aachen ist richtig. Der Vortrag des Beklagten in seiner Berufungsbegründung rechtfertigt kein anderes Ergebnis. Der weitgehend unstreitige Sachverhalt stellt keinen wichtigen Grund im Sinne des § 626 BGB dar. Ohne einen solchen wichtigen Grund konnte aber das Arbeitsverhältnis vor dem Ablauf der Kündigungsfrist der hilfsweise ausgesprochenen und rechtskräftig wirksamen ordentlichen Kündigung kein Ende finden. Unstreitig ist dabei hier, dass eine Mutter (die Klägerin) vorzeitig das von ihr zu betreuende Kind der Klassenlehrerin überlassen hat, um ihrem eigenen kranken Kind, für das die Betreuungsperson ausgefallen war, zur Hilfe zu eilen, und dass sie dabei statt der vorzeitigen Gehen-Zeit die übliche spätere Gehen-Zeit notiert und dies später im Personalgespräch damit begründet hat, das sei ihr „durchgegangen“. Im besagten Personalgespräch hat die Klägerin wegen des vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes keine Reue gezeigt, sondern sie hat weiter ihre Auffassung vertreten, es sei richtig gewesen, dem eigenen Kind zur Hilfe zu eilen. Die Klägerin hat den im Raume stehenden Vorwurf, einen Arbeitszeitbetrug begangen zu haben, bestritten.

Zu diesem Sachverhalt hat das Arbeitsgericht eine ausführliche und nachvollziehbare Interessenabwägung vorgenommen und ist dabei zu einem vertretbaren Ergebnis gekommen. Von diesem Ergebnis abzuweichen, sah die erkennende Kammer auch unter Berücksichtigung des Vortrages in der Berufungsbegründung keinen Grund. Dabei ist schon fraglich, ob das beschriebene Verhalten einen wichtigen Grund „an sich“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB darstellen kann. Jedenfalls fehlt es an einer einschlägigen Abmahnung.

1. Es ist bereits fraglich, ob das Verhalten der Klägerin einen wichtigen Grund „an sich“ darstellen kann. Das gilt sowohl für das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes als auch für die Erfassung der falschen Arbeitszeit.

a. Das vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes führt zwar zur Nichterfüllung der Hauptleistungspflicht aus dem Arbeitsverhältnis. Eine solche Nichterfüllung kann aber im Rahmen einer Pflichtenkollision gemäß § 275 Abs. 3 BGB gerechtfertigt sein. Nach dieser Vorschrift kann die Arbeitnehmerin die von ihr geschuldete Leistung verweigern, wenn sie die Leistung persönlich zu erbringen hat und sie ihr unter Abwägung des ihrer Arbeitsleistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Arbeitgebers nicht zugemutet werden kann. Tatsächlich stand die Klägerin hier vor einer Pflichtenkollision: auf der einen Seite hatte sie die vertragliche Plicht sich um das ihr anvertraute Schulkind zu kümmern, das in ihrer Abwesenheit durch die Klassenlehrerin zwar beaufsichtigt, nicht aber integrativ betreut werden konnte; auf der anderen Seite hatte sie als Mutter eines kranken Kindes eine Sorgepflicht zu erfüllen, die sich sowohl aus moralisch-emotionalen Gründen ergibt, wie auch aus § 1626 Abs. 1 BGB. Mangels Pflichtwidrigkeit schiede in einem solchen Fall sogar eine Abmahnung aus.

b. Das Erfassen einer falschen Arbeitszeit stellt, wenn es vorsätzlich erfolgt, einen versuchten Betrug und damit ohne weiteres einen wichtigen Grund „an sich“ im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB dar. Einen versuchten fahrlässigen Betrug gibt es aber nicht. Den Vortrag der Klägerin, ihr sei das Aufschreiben der richtigen Zeit „durchgegangen“, sie habe also in der Situation der Pflichtenkollision aus Versehen Unsinn geschrieben, ist gerade unter Berücksichtigung der besagten Pflichtenkollision nicht völlig abwegig; von dem Beklagten sind jedenfalls keine Tatsachen vorgetragen worden, die dagegen sprechen könnten. Beschränkt sich aber der Sachverhalt auf die Verwirklichung eines Aufmerksamkeitsdefizits mit einem nur geringen kausalen Schaden für die Arbeitgeberin, so kann sich schon die Frage stellen, ob dieser Sachverhalt überhaupt geeignet sein kann eine Kündigung zu rechtfertigen.

2. Die unter 1. dargestellten, teilweise hypothetischen Betrachtungen können dahin gestellt bleiben, denn jedenfalls fehlt es für die Begründung einer Kündigung an der notwendigen Nachhaltigkeit und Beharrlichkeit des der Klägerin vorgeworfenen vertragswidrigen Verhaltens. Soweit der Beklagte behauptet, aus den Äußerungen von Eltern könne er schließen, dass dieses vorzeitige Verlassen des Arbeitsplatzes mit falsch aufgeschriebener Arbeitszeit ein Wiederholungsfall gewesen sei und sich schon aus dieser Wiederholung eine Beharrlichkeit ergebe, bleiben ihre (von der Klägerin bestrittenen) Darlegung unspezifisch und daher einer Beweisaufnahme nicht zugänglich. Die Mindestvoraussetzung für die Annahme eines beharrlichen Vertragsverstoßes ist eine zumindest einmalige Wiederholung des vertragswidrigen Verhaltens nach Ausspruch einer einschlägigen Abmahnung. Für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung ergibt sich die Pflicht zur vorherigen Abmahnung ausdrücklich aus § 314 Abs. 2 BGB. Tatsachen, die eine Ausnahme nach § 314 Abs. 2 Satz 3 BGB wegen „besonderer Umstände“ rechtfertigen können, sind von dem Beklagten im Übrigen nicht vorgetragen worden und sind auch nicht ersichtlich.

III. Nach allem bleibt es somit bei der klagestattgebenden erstinstanzlichen Entscheidung. Als unterliegende Partei hat der Beklagte gemäß § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Berufung zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht.

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