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Fristlose Kündigung wegen angekündigter Krankschreibung

ArbG Aachen – Az.: 4 Ca 1127/19 – Urteil vom 29.08.2019

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.04.2019, zugegangen am 05.04.2019, nicht aufgelöst worden ist.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.04.2019, zugegangen am 10.04.2019, zum 31.11.2019 nicht aufgelöst wird.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche außerordentliche, hilfsweise ordentliche, Kündigung der Beklagten vom 23.04.2019, zugegangen am 24.04.2019, nicht aufgelöst worden ist.

4. Das Arbeitsverhältnis wird auf beidseitigen Antrag zum 30.11.2019 aufgelöst.

5. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin eine Abfindung in Höhe von 21.500,00 EUR (i. W. einundzwanzigtausendfünfhundert Euro, Cent wie nebenstehend) EUR brutto zu zahlen.

6. Die Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin zu 12,5% und die Beklagte zu 87,5%.

7. Streitwert: 7.329,00 EUR.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier außerordentlicher verhaltensbedingter und einer ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung.

Die am 07.03.1961 geborene Klägerin war bei der Beklagten seit dem 01.03.1998, zuletzt in Teilzeit, bei einer durchschnittlichen monatlichen Bruttovergütung von 2.443,00 EUR beschäftigt.

Am 02.04.2019 kam es zu einem Gespräch zwischen der Klägerin und dem Geschäftsführer der Beklagten. Mit ärztlicher Bescheinigung vom 03.04.2019 wurde die Klägerin zunächst bis zum 30.04.2019 krankgeschrieben.

Mit Schreiben vom 03.04.2019, der Klägerin zugegangen am 05.04.2019, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin außerordentlich und fristlos. Mit weiterem Schreiben vom 09.04.2019, der Klägerin zugegangen am 10.04.2019, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zudem vorsorglich ordentlich zum 30.11.2019.

Mit einem weiteren Schreiben vom 23.04.2019, der Klägerin zugegangen am 24.04.2019, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis vorsorglich erneut außerordentlich und fristlos.

Mit ihrer am 16.04.2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen die Wirksamkeit der beiden ersten Kündigungen. Mit am 29.04.2019 bei Gericht eingegangener Klageerweiterung wendet sie sich auch gegen die Kündigung vom 23.04.2019.

Die Klägerin hält die Kündigungen für unwirksam. Die Beklagte könne sich nicht auf einen wichtigen Grund für die außerordentlichen Kündigungen berufen. Entgegen dem Vorbringen der Beklagten habe sie insbesondere nicht am 02.04.2019 eine Krankschreibung angedroht. Vielmehr sei es ihr an dem Tag und nach dem kurzen Gespräch mit dem Geschäftsführer schlecht gegangen. Sie habe daher die Arbeit verlassen und sei am nächsten Tag ordnungsgemäß krankgeschrieben worden.

Auch für die ordentliche Kündigung liege ein Kündigungsgrund nicht vor. Dieser sei jedoch erforderlich, um das Arbeitsverhältnis wirksam zu beenden, denn die Beklagte beschäftigte regelmäßig 12,5 Arbeitnehmer und damit mehr als die zur Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes erforderlichen 10 Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 KSchG.

Im Kammertermin hat die Klägerin zudem einen Auflösungsantrag gestellt, denn die weitere Zusammenarbeit mit der Beklagten sei ihr nicht mehr zumutbar.

Die Klägerin beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 03.04.2019, zugegangen am 05.04.2019, nicht aufgelöst worden ist.

2. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.04.2019, zugegangen am 10.04.2019, zum 31.11.2019 nicht aufgelöst wird.

3. Festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin durch die schriftliche außerordentliche, hilfsweise ordentliche, Kündigung der Beklagten vom 23.04.2019, zugegangen am 24.04.2019, nicht aufgelöst worden ist.

4. Das Arbeitsverhältnis aufzulösen. Als Auflösungszeitpunkt den 30.11.2019 festzustellen. Die Beklagte zu verurteilen an sie, eine angemessene, der Höhe nach in das Ermessen des Gerichts gestellte Abfindung – mindestens jedoch 30.000,00 EUR – zu zahlen.

Die Beklagte beantragt,

1. die Klage abzuweisen.

2. Das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 KSchG aufzulösen, da es ihr nicht zumutbar ist, das Arbeitsverhältnis mit der Klägerin fortzusetzen.

Die Beklagte hält die außerordentliche Kündigung vom 04.04.2019 für wirksam. Die Klägerin habe in dem geführten Gespräch am 02.04.2019 gegenüber dem Geschäftsführer eine offensichtlich nicht bestehende Erkrankung angedroht bzw. angekündigt. Jedenfalls die ordentliche Kündigung sei rechtmäßig erfolgt. Denn entgegen der Behauptung der Klägerin würden im Betrieb regelmäßig nicht mehr als 10 Arbeitnehmer beschäftigt.

Die weitere fristlose Kündigung sei berechtigt, da u.a. aufgefallen sei, dass die Klägerin für sich selbst einen Arbeitsvertrag aufgesetzt habe und diesen ohne Absprache und ohne Unterschrift der Beklagten in ihre Personalakte geheftet habe. Zudem hätten sich im Verantwortungsbereich der Klägerin offene Rechnungen in Höhe von 44.000,00 EUR angesammelt. Die Klägerin sei auch häufig erkrankt gewesen und habe dem Druck bei der Beklagten insgesamt nicht standgehalten.

Das Vertrauensverhältnis mit der Klägerin sei daher zerstört. Selbst für den Fall der Unwirksamkeit der Kündigungen sei das Arbeitsverhältnis daher aufzulösen.

Bezüglich des Weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die eingereichten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Niederschriften zum Güte- und Kammertermin verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Dem ebenfalls zulässig gestellten Auflösungsantrag war mit der im Tenor ersichtlichen Abfindungshöhe stattzugeben.

Die Kündigungsschutzklage der Klägerin ist begründet. Die von der Beklagten ausgesprochenen außerordentlichen Kündigungen sind unwirksam. Auch die ausgesprochene hilfsweise ordentliche Kündigung hält einer Prüfung an Hand des auf das Arbeitsverhältnis entgegen dem Vorbringen der Beklagten anwendbaren Kündigungsschutzgesetzes nicht stand. Das Arbeitsverhältnis war jedoch aufgrund des beidseitig gestellten Auflösungsantrages gegen Zahlung der im Tenor ersichtlichen Abfindung aufzulösen.

Im Einzelnen:

1. Die außerordentliche Kündigung vom 03.04.2019 ist unwirksam. Die Klägerin hat die Kündigung innerhalb der dreiwöchigen Frist der §§ 4, 13 KSchG angegriffen, so dass diese nicht nach § 7 KSchG als von Anfang an wirksam ist.

Die Kündigung war daher einer gerichtlichen Prüfung an Hand des einschlägigen § 626 BGB zu unterziehen. Hiernach erweist sie sich als unwirksam. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der (fiktiven) Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (vgl. nur: BAG, Urteil vom 13.12.2018 – 2 AZR 370/18, Rn. 15, m.w.N.; juris).

Im Kündigungsschutzprozess obliegt dem kündigenden Arbeitgeber die volle Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Kündigungsgrundes. Den Arbeitgeber trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (BAG, Urteil vom 17.03.2016 – 2 AZR 110/15, Rn. 32; juris).

Grundsätzlich zutreffend geht die Beklagte davon aus, dass die Ankündigung einer zukünftigen, im Zeitpunkt der Ankündigung noch nicht bestehenden Erkrankung zur Erreichung eines bestimmte arbeitnehmerseitigen Begehren (in der Regel die Gewährung von zuvor abgelehntem Erholungsurlaub) an sich geeignet ist einen wichtigen zur außerordentlichen Kündigung berechtigenden Grund zu bilden. Die Pflichtwidrigkeit der Ankündigung einer Krankschreibung bei objektiv nicht bestehender Erkrankung im Zeitpunkt der Ankündigung liegt in erster Linie darin, dass der Arbeitnehmer mit einer solchen Erklärung zum Ausdruck bringt, er sei notfalls bereit, seine Rechte aus dem Entgeltfortzahlungsrecht zu missbrauchen, um sich einen unberechtigten Vorteil zu verschaffen.

Dagegen ist der krankheitsbedingt arbeitsunfähige Arbeitnehmer nicht zur Arbeitsleistung verpflichtet und der Arbeitgeber ist nicht berechtigt, diese zu verlangen. Weist ein objektiv erkrankter Arbeitnehmer den Arbeitgeber beispielsweise nach Ablehnung eines kurzfristig gestellten Urlaubsgesuchs darauf hin, „dann sei er eben krank“, schließt dies zwar eine Pflichtverletzung des Arbeitnehmers nicht von vornherein aus. Denn auch bei tatsächlich bestehender Erkrankung ist es dem Arbeitnehmer aufgrund des Rücksichtnahmegebots verwehrt, die Krankheit und ein sich daraus ergebendes Recht, der Arbeit fern zu bleiben, gegenüber dem Arbeitgeber als „Druckmittel“ einzusetzen, um den Arbeitgeber zu einem vom Arbeitnehmer gewünschten Verhalten zu veranlassen. Zudem verlangt die Rücksichtnahmepflicht, den Arbeitgeber nicht im Unklaren darüber zu belassen, ob der Arbeitnehmer berechtigterweise von seinen sich aus einer Erkrankung ergebenden Rechten Gebrauch macht. War der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der Ankündigung eines künftigen, krankheitsbedingten Fehlens aber bereits objektiv erkrankt und durfte er davon ausgehen, auch am Tag des begehrten Urlaubs (weiterhin) wegen Krankheit arbeitsunfähig zu sein, kann nicht mehr angenommen werden, sein fehlender Arbeitswille und nicht die bestehende Arbeitsunfähigkeit sei Grund für das spätere Fehlen am Arbeitsplatz. Ebenso wenig kann dem Arbeitnehmer dann zum Vorwurf gemacht werden, er nehme notfalls eine wirtschaftliche Schädigung des Arbeitgebers in Kauf, um die von ihm erstrebte Befreiung von der Arbeitspflicht zu erreichen. Unabhängig davon, ob eine bestehende Erkrankung des Arbeitnehmers dazu führt, dass die „Ankündigung“ der Krankschreibung lediglich als Hinweis auf ein ohnehin berechtigtes Fernbleiben von der Arbeit verstanden werden müsste, wiegt jedenfalls in einem solchen Fall eine mit der Erklärung verbundene Störung des Vertrauensverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber regelmäßig weniger schwer. Es kann dann nicht ohne weiteres von einer erheblichen, eine außerordentliche Kündigung an sich rechtfertigenden Pflichtverletzung ausgegangen werden (vgl. zu allem: LAG Hamm, Urteil vom 14.08.2015 – 10 Sa 156/17, Rn. 36 ff.; juris).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze erweist sich die Kündigung vom 03.04.2019 nach Auffassung der Kammer bereits deshalb als unwirksam, da die Beklagte nicht hinreichend dargetan hat, die Klägerin habe in dem unstreitig am 02.04.2019 geführten Personalgespräch tatsächlich trotz nicht bestehender Arbeitsunfähigkeit mit einer Krankschreibung gedroht.

Das Vorbringen der Beklagten ist unsubstantiiert. So führt diese lediglich aus, die Klägerin habe die Notwendigkeit eines Personalgespräches nicht eingesehen und gesagt sie sei krank und gehe zum Arzt. Tatsächlich wurde der Klägerin sodann eine Arbeitsunfähigkeit ärztlich attestiert. Die Klägerin selbst hat ausgeführt, sie habe sich bereits einige Tage zuvor krank gefühlt und dieser Zustand habe sich im Laufe des Gespräches durch die ihr gegenüber erhobenen Vorwürfe noch intensiviert. Eine rechtsmissbräuchliche Ausnutzung einer eigentlich nicht bestehenden Erkrankung als Drohmittel durch die Klägerin kann in dem von der Beklagten geschilderten Sachverhalt jedenfalls nicht gesehen werden. Aus diesem Grund war auch eine Beweiserhebung durch Vernehmung der von der Beklagten angebotenen Zeugen nicht erforderlich.

2. Auch die außerordentliche Kündigung vom 23.04.2019 erweist sich als unwirksam. Auch hier hat die Beklagte einen Kündigungsgrund nicht hinreichend dargetan.

Die Beklagte begründet die Kündigung damit, es sei festgestellt worden, dass die Klägerin einen Arbeitsvertrag für sich aufgesetzt habe. Dieser soll von Arbeitgeberseite nicht unterschrieben gewesen sein, sich aber in der Personalakte der Klägerin befunden haben.

Dieses Vorbringen ist nicht hinreichend substantiiert, um hierin einen wichtigen Grund nach § 626 BGB sehen zu können. Es wird bereits nicht hinreichend deutlich, welche konkrete Pflichtverletzung die Beklagte der Klägerin hier vorwirft. Soll diese einen Vertrag gefälscht haben, wogen sprechen würde, dass ja gar keine Unterschrift der Beklagten unter dem Vertrag war, also eine solche auch nicht gefälscht werden konnte? Hat die Klägerin versucht sich durch in dem Vertrag niedergelegte und eigentlich nichtzutreffende Arbeitsbedingungen einen Vermögensvorteil zu verschaffen? Oder wird der Klägerin lediglich eine falsche Aktenführung vorgeworfen? Ein hinreichender und durch die Kammer rechtlich überprüfbarer Kündigungsgrund lässt sich aus dem diesbezüglichen Vorbringen der Beklagten jedenfalls nicht entnehmen.

3. Auch die von der Beklagten ausgesprochene – hilfsweise – ordentliche Kündigung vom 09.04.2019 führt nicht zu einer Beendigung des Arbeitsverhältnisses. Entgegen der Auffassung der Beklagten benötigt diese auch für eine ordentliche fristgerechte Kündigung einen Kündigungsgrund nach dem auf das Arbeitsverhältnis anwendbaren Kündigungsschutzgesetz (§ 1 Abs. 2 KSchG).

Das Kündigungsschutzgesetz findet entgegen der Behauptung der Beklagten auch nach § 23 Abs. 1 KSchG Anwendung. Nach § 23 Abs. 1 KSchG setzt die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes voraus, dass der Arbeitgeber regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich von Auszubildenden beschäftigt. Bei der Feststellung der Zahl der beschäftigten Arbeitnehmer sind teilzeitbeschäftigte Arbeitnehmer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von nicht mehr als 20 Stunden mit 0,5 und nicht mehr als 30 Stunden mit 0,75 zu berücksichtigen. Die Beweislast für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes trifft die Klägerin als klagende Arbeitnehmerin.

Vorliegend ist von einer Beschäftigungszahl von mehr als zehn Arbeitnehmern auszugehen. Dies folgt bereits aus den unstreitigen Angaben der Beklagten. Hiernach waren folgende Vollzeitkräfte mit 1,0 zu berücksichtigen:

Herr P.

Herr I.

Herr U..

Herr L.

Herr U..

Herr I.

Zudem folgende Arbeitnehmer mit mindestens 0,75 (wobei teilweise von der Klägerin eine höhere Stundenzahl behauptet wird):

Frau L.

Herr N.

Frau U..-X.

Die Klägerin

Macht bereits 9,0 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG.

Zudem die von der Beklagten unstreitig mit weniger als 20 Stunden beschäftigten und damit mit 0,5 zu berechnenden Aushilfskräfte:

Frau N.

Frau S.

Frau U..

Macht 10,5 und damit mehr als 10 Arbeitnehmer nach § 23 Abs. 1 KSchG. Dies noch ohne Berücksichtigung etwaiger weiterer Mitarbeiter oder von der Klägerin behaupteter höherer Arbeitsumfänge der Teilzeitkräfte.

Entgegen der wohl von der Beklagten vertretenden Auffassung waren hierbei auch die lediglich stundenweise beschäftigten Aushilfen mit jeweils 0,5 zu berücksichtigen gewesen. Das Kündigungsschutzgesetz kennt außerhalb der in § 23 Abs. 1 KSchG angegeben Staffelungen von 0,5 / 0,75 / und Vollzeitbeschäftigten keine weitere Differenzierung, so dass auch nur mit wenigen wöchentlichen Stunden beschäftigte Arbeitnehmer bei der Berechnung (mit 0,5) zu berücksichtigen sind. Eine Untergrenze in Form einer Erheblichkeitsschwelle gibt es hierbei nicht.

Mithin findet das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis Anwendung. Die Beklagte musste daher einen Kündigungsgrund nach § 1 Abs. 2 KSchG (verhaltens-, personen- oder betriebsbedingt) darlegen und beweisen.

Aus den bereits oben ausgeführten Gründen sind, die zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung vorgebrachten Gründe nicht hinreichend substantiiert dargetan worden. Sie vermögen daher auch keine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung zu rechtfertigen.

Dasselbe gilt für das weitere Vorbringen der Beklagten zu etwaigen Schlechtleistungen oder Pflichtverletzungen der Klägerin. Auch hier trägt die Beklagte nicht hinreichend vor. Auch die weiteren von der Beklagten erhobenen Vorwürfe können eine ordentliche Kündigung daher nicht rechtfertigen. Die Beklagte trägt auch hier nicht hinreichend substantiiert vor. So beruft sich die Beklagte auf von der Klägerin nicht hinreichend bearbeitete Rechnungen und einen offenstehenden Betrag von 44.000,00 EUR. Es wird aber nicht konkret deutlich wann, und durch welches konkrete Verhalten der Klägerin dieser bei der Bearbeitung von Rechnungen eine Schlechtleistung oder sonstige Pflichtverletzung vorzuwerfen wäre. Insoweit kann nicht festgestellt werden ob überhaupt eine Pflichtverletzung vorlieget geschweige denn, ob hier trotz etwaiger Pflichtverletzungen nicht zunächst eine vorherige Abmahnung hätte ausgesprochen werden müssen.

Auch soweit sich die Beklagte auf angebliche häufige Kurzerkrankungen ab dem Jahr 2018 beruft, ist dies kein konkreter Vortrag zur Begründung der ausgesprochenen Kündigung. Eine ordnungsgemäße ärztlich attestierte Arbeitsunfähigkeit stellt keinen verhaltensbedingten Kündigungsgrund dar. Ob sich die Beklagte auf einen personenbedingten Kündigungsgrund berufen möchte, wird aus ihrer Begründung nicht hinreichend deutlich. Dies kann jedoch dahinstehen, da die von der Rechtsprechung entwickelten Grundsätze einer personenbedingten Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen nicht vorliegen.

Nach alledem erweist sich auf die ordentliche Kündigung vom 23.04.2019 als rechtsunwirksam.

5. Das Arbeitsverhältnis war jedoch aufgrund des von beiden Parteien gestellten Auflösungsantrages entsprechend § 9 KSchG gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.

Nach § 9 KSchG hat das Gericht das Arbeitsverhältnis bei Vorliegen einer sozialwidrigen Kündigung auf Antrag aufzulösen, wenn zwar die Kündigung nicht zur Beendigung geführt hat, eine weitere Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedoch nicht zumutbar ist.

Stellen wie vorliegend sowohl Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber bezogen auf dieselbe Kündigung Auflösungsanträge, so ist davon auszugehen, dass beide Parteien aus ihrer Sicht eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr für durchführbar halten. Streben beide Seiten die Auflösung des Arbeitsverhältnisses an, erkennen sie die wechselseitigen Behauptungen an, dass dessen Fortsetzung unzumutbar und eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist. Es gibt keinen Grund, die Parteien gegen ihren Willen am Arbeitsverhältnis festzuhalten. Das Gericht hat in einem solchen Fall das Arbeitsverhältnis aufzulösen und eine angemessene Entschädigung festzusetzen, wenn festgestellt ist, dass die Kündigung jedenfalls auch aufgrund ihrer Sozialwidrigkeit unwirksam ist (vgl. ErftK/Kiel, § 9 KSchG, Rn. 24).

Da beide Parteien hier also einen Auflösungsantrag gestellt haben, die Beklagte jedenfalls hilfsweise für den Fall des Unterliegens, und die Kündigungen jedenfalls auch sozialwidrig waren, war das Arbeitsverhältnis hier gegen Zahlung einer Abfindung zum Beendigungszeitpunkt der ordentlichen Kündigung am 30.11.2019 aufzulösen.

Die Beklagte war entsprechend § 10 KSchG zur Zahlung einer Abfindung zu verurteilen. Hierbei hielt die Kammer eine Abfindung in Höhe von 21.500,00 EUR brutto für gerechtfertigt.

Hinsichtlich der Bemessungsfaktoren für die Abfindung kann im Wesentlichen von den folgenden Eckpunkten ausgegangen werden:

Bei der Festsetzung der Abfindung haben die Gerichte für Arbeitssachen ein pflichtgemäßes Ermessen auszuüben, wobei sie nicht an die Anträge der Parteien gebunden sind. Eine Schematisierung würde dem Charakter einer notwendigen Einzelfallprüfung widersprechen. Die wichtigsten Faktoren sind die Dauer der Betriebszugehörigkeit und das Lebensalter des Arbeitnehmers. Zu berücksichtigen ist ferner, welche Chancen der Arbeitnehmer besitzt, um auf dem Arbeitsmarkt eine neue Stelle zu finden, denn die Abfindung soll den Arbeitnehmer für den Verlust seines Arbeitsplatzes entschädigen. Das Gericht kann weitere Sozialdaten wie Familienstand, die Anzahl der unterhaltspflichtigen Personen und den Gesundheitszustand des Arbeitnehmers in die Bemessung der Abfindung einbeziehen. Bedeutung kann bei der Bemessung der Abfindung dem Umstand zukommen, dass der Arbeitnehmer eine verfallbare Anwartschaft auf Ruhegeld verliert. Auch die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitgebers kann berücksichtigt werden. Die Sanktionsfunktion der Abfindung verlangt, dass das Gericht den Grad der Sozialwidrigkeit der Kündigung würdigt. Auf der anderen Seite ist das Verhalten des Arbeitnehmers nach Ausspruch der Kündigung und im Prozess zu bewerten (vgl. LAG Baden-Württemberg, Urteil vom 17.07.2013 – 13 Sa 141/12, Rn. 69, m.w.N.; juris).

Auszugehen war von einer monatlichen Bruttovergütung der Klägerin in Höhe von 2.443,00 EUR und einer Beschäftigung von 21 Jahren und 8 Monaten. Die sog. Regelabfindung (0,5 Monatsgehälter pro Beschäftigungsjahr) beläuft sich dabei auf ca. 26.000,00 EUR. Die Höchstgrenze des § 10 Abs. 2 KSchG beträgt 43.974,00 EUR.

Die Kammer ist jedoch der Auffassung, dass zwar einerseits die langjährige Betriebszugehörigkeit der Klägerin, das über viele Jahre unbeanstandete Arbeitsverhältnis, sowie Alter und daraus resultierende Arbeitsmarktchancen für die Klägerin zu bewerten waren. Andererseits ist zu berücksichtigen, dass die Sozialwidrigkeit der Kündigung hier nicht offensichtlich war und die Beklagte einen Betrieb betreibt, der von seiner Beschäftigtenzahl nur sehr knapp über der Schwelle des § 23 Abs. 1 KSchG liegt. Aufgrund dessen hielt die Kammer die im Tenor ersichtliche Abfindung für angemessen.

6. Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs. 1 ZPO. Hierbei war zu berücksichtigen, dass die Klägerin zwar mit ihren Anträgen im Wesentlichen obsiegt hat, das Gericht jedoch zu Lasten der Klägerin von der von ihr bezifferten Abfindungsvorstellung abgewichen ist, was im Rahmen einer Kostenquote zu berücksichtigen war (vgl. ErftK/Kiel, § 9 KSchG, Rn. 34; HWK/Thies, § 9 KSchG, Rn. 26). Der Streitwert war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 3 ff. ZPO im Urteil festzusetzen. Die Kündigungen waren hierbei einheitlich mit einem Quartalsgehalt zu bewerten, da sie kurz hintereinander ausgesprochen wurden und somit nicht zu einer wesentlichen Veränderung des Beendigungszeitpunkts führten. Der Auflösungsantrag ist nicht streitwerterhöhend.

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