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Fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 3 Sa 271/20 – Urteil vom 25.01.2021

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 20.08.2020, Az.: 2 Ca 236/20, wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis aufgrund einer außerordentliche Arbeitgeberkündigung sein Ende gefunden hat, oder aber nicht.

Die 1983 geborene Klägerin ist verheiratet, hat zwei Kinder und wurde zum 20. Februar 2016 als medizinische Fachangestellte in der Facharztpraxis für Augenheilkunde der Beklagten, die im Hinblick auf die regelmäßige Beschäftigtenzahl nicht dem Kündigungsschutzgesetz (§ 23 Abs. 1 KSchG) unterliegt, eingestellt. Ihre Arbeitszeit leistete sie seit April 2019 von montags bis donnerstags, 7:55 Uhr bis 13:00 Uhr und dienstags von 14:00 Uhr bis 18:30 Uhr. Der Bruttomonatsverdienst lag bei 1.380,00 EUR.

Alle Mitarbeiter*innen der Beklagten führen Tabellenlisten, die überschrieben sind mit „Überstunden“ oder „Überstundenzettel“. Darauf hat z. B. die Klägerin mit konkretem Kalenderdatum Plus- oder Minusstunden vermerkt, z. B. 30 Minuten am 09.09.2016 nach Abmeldung aus der Sprechstunde; insoweit wird auf Bl. 76 d. A. Bezug genommen.

Mittwochs ist die Beklagte wegen Post- und Behördengängen regelmäßig bis mittags praxisabwesend. Am Mittwoch, den 08.01.2020, bemerkte die Beklagte den PKW der Klägerin gegen 11:50 Uhr vor einem Friseursalon. Die Klägerin erhielt dort eine Wimpernwelle. Dies hatte sie der Beklagten nicht mitgeteilt; sie hatte sie lediglich über eine Beerdigung am Nachmittag dieses Tages in Kenntnis gesetzt, an der sie teilnehmen wollte.

In der Praxis der Beklagten war an diesem Vormittag der letzte von der Orthopistin, Frau X., betreute Patient bereits um 11:30 Uhr gegangen. Weitere Patienten waren für diesen Vormittag nicht mehr angemeldet. Die Beklagte traf gegen 12:00 Uhr in der Praxis ein, in der sich (nur) noch Frau X. befand. Sie nahm den Überstundenzettel der Klägerin in Augenschein; darauf befand sich für diesen Tag allerdings kein Antrag; insoweit wird auf Bl. 46 d. A. Bezug genommen.

Am nachfolgenden Tag teilte die Klägerin von sich aus nichts wegen der verfrühten Abwesenheit am Vortag der Beklagten mit. Von der Beklagten darauf angesprochen, räumte sie, nach Darstellung der Beklagten, anfangs mit 12:30 Uhr, dann auf Vorhalt mit 12:15 Uhr und schließlich mit 11:50 Uhr ein, früher gegangen zu sein; anschließend sei sie, so die Darstellung der Beklagten, „ausgerastet“. Die Klägerin meint insoweit, eingeräumt zu haben, dass der für 13:00 Uhr geplante Frisörtermin vorverlegt gewesen sei, und zurückgewiesen zu haben, schon um 11:30 Uhr gegangen zu sein. Als die Beklagte im Nachgang versuchte, der Klägerin ein außerordentliches Kündigungsschreiben auszuhändigen, reagierte diese wutentbrannt. Sie verließ auch die Praxis, ohne sich irgendwie zu entschuldigen. Als sie am späten Nachmittag desselben Tages die Praxisräume nochmals betrat, um eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bis Ende des Monats abzugeben, war sie immer noch in Rage und bedeutete der Beklagten, dass sie sie fertig mache – sie habe den besten Anwalt.

Am 10.01.2020 ging der Klägerin dann die außerordentliche Beklagtenkündigung förmlich zu. Dagegen wendet sich die Klägerin mit der am 22.01.2020 beim Arbeitsgericht eingegangenem und am 28.01.2020 der Beklagten zugestellten Klage.

Die Klägerin hat vorgetragen, mit der Orthopistin, Frau X., sei ihr vorzeitiges Gehen am 08.01.2020 abgesprochen und diese sei einverstanden gewesen. Noch am Abend desselben Tages habe sie ihr auch über Kurznachricht mitgeteilt, dass die Beklagte gegen 12:00 Uhr in der Praxis erschienen sei und nach ihr gefragt habe, woraufhin sie, Frau X., der Beklagten auch die Uhrzeit ihres Gehens mitgeteilt habe. In der Praxis gelte die Regel, dass die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit bis 13:00 Uhr nur einzuhalten sei, wenn es auch solange Arbeit gäbe, insbesondere noch Patienten da seien. So habe es in den vergangenen Jahren des Öfteren Arbeitstage gegeben, an denen sie bzw. teilweise das ganze Team die Praxis vor dem Ende der regulären Arbeitszeit verlassen habe, mittags, um entweder vorzeitig in die Mittagspause zu gehen oder, in ihrem Fall als Teilzeitkraft, vorzeitig Feierabend zu machen, bzw. an Ganzarbeitstagen vor 18:30 Uhr gemeinsam mit der Beklagten gegangen sei. In einer Teambesprechung des 07.12.2018 habe sie, die Klägerin, die Beklagte auf diese Vorgehensweise angesprochen, d. h. also, ob es weiterhin in Ordnung sei, wenn Mitarbeiter*innen nach Beendigung aller Arbeiten vor dem eigentlichen Ende die Praxis verließen oder ob man noch bis zum offiziellen Dienstende bleiben müsse. Die Beklagte habe daraufhin geantwortet: „Wenn wir fertig sind, sind wir fertig“. Dies sei von allen Mitarbeiter*innen so verstanden worden, dass man auch bereits eine Stunde vorzeitig die Praxis verlassen könne, ohne Minusstunden zu notieren; so sei es auch gehandhabt worden.

Die Überstundenzettel hätten demgegenüber daneben lediglich den Zweck, zusätzliche Arbeitszeiten, die eigentlich dienstfrei seien, festzuhalten, z. B. an Freitagen. Wenn sie, die Klägerin, aber schon morgens um 7:30 Uhr mit Dienstbeginn der Frau X. begonnen habe, sei nicht etwa 25 Minuten „Überstunden“ notiert bzw. Mehrarbeit anderweitig festgehalten worden, ebenso wenig, wenn über den Zeitrahmen bis 13:00 Uhr mittags gearbeitet worden sei. Umgekehrt sei aber auch ein früheres Gehen im Rahmen der normalen Arbeitszeit nicht gesondert notiert worden. Gestrichen worden seien die Überstunden jeweils erst, wenn die Praxis vorzeitig verlassen worden sei, wenn in dieser Zeit grundsätzlich noch zu behandelnde Patienten oder sonstige Arbeiten zu erledigen gewesen sei, nicht aber eben dann, wenn nichts mehr zu tun gewesen sei. Diese Form der Überstundenwirtschaft sei seit Beginn ihres Arbeitsverhältnisses die Praxis gewesen.

Die Klägerin hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 09.01.2020 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen, weder ihr früheres Gehen, noch einen Friseurtermin habe die Klägerin in der Praxis bekannt gegeben gehabt. Die Orthopistin, Frau X., sei zudem nicht ermächtigt, über die Arbeitszeit von Mitarbeiter*innen zu verfügen. Insbesondere zum 08.01.2020 habe es auch kein solches Einverständnis gegenüber der Klägerin gegeben. Zudem könnten mit abendlicher Nachricht auch kaum die behaupteten Detailauskünfte erteilt gewesen sein. Mitarbeiter*innen, die, warum auch immer, den Arbeitsplatz vorzeitig verließen, wie z. B. die Klägerin am 08.01.2020, müssten sich dies von ihr, der Beklagten, nach Ankündigung genehmigten lassen; ohne dass sie, die Beklagte, informiert werde, komme es nicht vor, dass Mitarbeiter*innen sich vom Arbeitsplatz entfernten. Am 07.12.2018 sei von ihr, der Beklagten, auch weder ausdrücklich noch konkludent etwas Abweichendes erklärt gewesen, insbesondere nicht, dass der Arbeitsplatz vor Erreichen der Regelarbeitszeit verlassen und die Arbeit beendet werden könne. Die Überstundenzettel führten die Mitarbeiter*innen mit Mehr- oder Minusstunden an konkreten Tagen, d. h. arbeiteten sie länger, vermerkten sie dies, gingen sie in Absprache mit ihr, der Beklagten, dagegen früher, so vermerkten sie dies ebenfalls.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat daraufhin durch Urteil vom 20.08.2020 – 2 Ca 236/20 – festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die von der Beklagten ausgesprochene außerordentliche Kündigung vom 09.01.2020 aufgelöst worden ist. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 88 bis 98 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihr am 26.08.2020 zugestellte Urteil hat die Klägerin durch am 18.09.2020 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Sie hat die Berufung durch am 09.11.2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet, nachdem zuvor auf ihren begründeten Antrag hin durch Beschluss vom 26.10.2020 die Frist zur Einreichung der Berufungsbegründung bis zum 26.11.2020 einschließlich verlängert worden war.

Die Beklagte wiederholt ihr erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor, die Klägerin habe durch den unterbliebenen Eintrag in den Stundenlohnzettel die erste auf den Betrug angelegte Handlung begangen. Ferner habe sie durch ihre Erstaussage, um 12:30 Uhr gegangen zu sein, den insofern schon eingetretenen massiven Vertrauensbruch durch weitergehende Falschaussagen intensiviert und letzten Endes nach nochmaligem Nachfragen durch die Zeitangabe 12:15 Uhr eine weitergehende tiefgreifende Lüge kundgetan. Nachdem sie „überführt“ worden sei, habe sie weder eine Entschuldigung ausgesprochen, noch in sonstiger Art und Weise ihr Verhalten bedauert. Ihre Chance, die Sache klarzustellen und den ersten, verwirkten Betrug in ein milderes Licht zu rücken, habe sie vertan. Im Gegenteil, durch die zwei weiteren, massiven Lügen habe sie die von Anbeginn an wohl bestanden habende Betrugsabsicht verfestigt. Der Versuch der Beklagten, am 09.01.2020 der Klägerin die fristlose Kündigung auszuhändigen, sei gescheitert, weil die Klägerin wutentbrannt die Praxis verlassen habe. Ebenso wutentbrannt sei sie am gleichen Abend gegen 17:45 Uhr in die Praxis zurückgekommen und habe wortwörtlich und ausdrücklich erklärt, dass sie die Beklagte „fertig machen werde“ und sie „den besten Anwalt habe“. Obwohl sie zu dieser Zeit keinerlei Erkrankungsanzeichen aufgewiesen habe, habe sie noch am gleichen Tag das noch nicht näher begründete Schicksal einer Arbeitsunfähigkeit erlitten, das letzten Endes vom 09.01. bis zum 30.01.2020 fortgedauert habe.

Damit seien die Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung gegeben, ohne dass es einer Abmahnung bedurft habe. Maßgeblich sei, dass die Klägerin versucht habe, die Beklagte am 09.01.2020 über die am 08.01.2020 tatsächlich verübte Arbeitszeit zu täuschen. Hinzukomme die Drohung oder Bedrohung der Klägerin gegenüber der Beklagten im Zuge des am 09.01.2020 geführten Gesprächs. Auch insoweit erscheine jedwede Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses, gerade bei vorangegangener Täuschung, unzumutbar. Das gelte umso mehr, als die Beklagte regelmäßig mittwochsvormittags nicht in der Praxis und demnach darauf angewiesen sei, ihren Mitarbeiter*innen vertrauen zu können. Schließlich konkretisiere das Unterbleiben des Eintragens des vorzeitigen Verlassens des Arbeitsplatzes am 08.01.2020 eine Pflichtverletzung. Im Übrigen komme es darauf ohnehin nicht an, weil die Beklagte die Klägerin am Folgetag konkret nach ihrer Arbeitszeit gefragt habe. Im Hinblick auf das Verhalten der Klägerin insoweit sei auszuschließen, dass die Klägerin die Zeit zutreffend erfassen werde; vielmehr habe sie dreist versucht, die Beklagte über den Tisch zu ziehen.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 09.11.2020 (Bl. 141-148 d. A.) nebst Anlage (Bl. 149 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz zu Aktenzeichen 2 Ca 236/20 vom 20.08.2020 wird die Klage abgewiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 20.08.2020 – AZ: 2 Ca 236/20 – zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor, selbst dann, wenn man den Sachvortrag der Beklagten als wahr unterstelle, rechtfertige dieser keine fristlose Kündigung des Arbeitsverhältnisses. Das gesamte Äußerungsverhalten der Klägerin am 09.01.2020 sei zudem als Erklärung dahin zu verstehen, dass sie sich gegen eine derartige Kündigung mit allen Mitteln zur Wehr setzen wolle; sie habe lediglich ihren berechtigten rechtlichen Interessen durch ihre Äußerungen Nachdruck verleihen wollen. Diese, freilich von der Klägerin bestrittenen Äußerungen, stellten kein strafrechtlich relevantes Verhalten dar. Vielmehr habe es sich um eine Äußerung als Teil einer anlassbezogenen Auseinandersetzung gehandelt, die als solche noch hinzunehmen sei.

Durch ihr vorzeitiges Verlassen des Arbeitsplatzes habe die Klägerin keineswegs einen Arbeitszeitbetrug begangen. Sie habe sich vielmehr im Rahmen des betriebsüblichen Vorgehens betreffend Mehrarbeit bzw. das Abfeiern von geleisteter Mehrarbeit gehalten. Mitarbeiter*innen könnten danach vor Ende der eigentlichen Arbeitszeit die Praxis verlassen, wenn keine weiteren Patienten bzw. keine weiteren auszuführenden Arbeiten vorhanden seien, ohne dies in der Überstundenliste vermerken zu müssen. Folglich fehle es an einem Arbeitszeitbetrug, ebenso wenig habe die Klägerin die Beklagte am 09.01.2020 insoweit belogen. Es treffe nicht zu, dass die Klägerin am 09.01.2020 in mindestens zwei Fällen (betreffend die konkrete Angabe des Verlassens des Arbeitsplatzes) weitere Täuschungen gegenüber der Beklagten im Hinblick auf die tatsächlich verbrachte Arbeitsleistung begangen habe. Die Klägerin habe die Praxis erst um 11:50 Uhr verlassen und sei erst kurz nach 12:00 Uhr bei dem Frisörsalon in St. angekommen.

Selbst bei Zugrundelegung des Beklagtenvortrags habe die Klägerin allenfalls unentschuldigt gefehlt; ohne vorangegangene diesbezügliche Abmahnung rechtfertige dies keine außerordentliche Kündigung. Anhaltspunkte dafür, sie, die Klägerin, habe die Absicht gehabt, den vermeintlich unrichtigen Überstundenzettel unweigerlich zu Geld zu machen, bestehe nicht; das Vorbringen der Beklagten sei haltlos. Die Beklagte habe nämlich das Vorbringen der Klägerin unstreitig gestellt, dass auf den Überstundenzetteln – nicht nur bei der Klägerin, sondern bei allen anderen Mitarbeiter*innen – nur die Mehrstunden bzw. Minderstunden erfasst worden seien, die sich aus Zeiten ergeben hätten, an denen die Mitarbeiter*innen entweder eigentlich arbeitsfrei und gleichwohl gearbeitet hätten oder eigentlich hätten arbeiten müssen, sich aber gleichwohl freigenommen hätten. Vor diesem Hintergrund sei das Verhalten der Klägerin auch insoweit nicht zu beanstanden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 07.01.2021 (Bl. 159-162 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 25.01.2021.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung der Beklagten hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.

Denn das Arbeitsgericht ist sowohl im Ergebnis als auch in der Begründung zu Recht davon ausgegangen, dass das zwischen den Parteien vormals bestehende Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.01.2020 nicht mit ihrem Zugang beendet worden ist.

Denn die gesetzlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung sind gem. § 626 Abs. 2, Abs. 1 BGB nicht gegeben. Gemäß § 626 Abs. 1 BGB ist insbesondere ein für die Rechtswirksamkeit des Ausspruchs einer außerordentlichen Kündigung zu fordernder wichtiger Grund für die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist nicht gegeben; die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses der Beklagten mit der Klägerin ist aufgrund des vorliegend zu beurteilenden Lebenssachverhalts auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist nicht unzumutbar.

Ein wichtiger Grund im Sinne der Generalklausel der § 626 Abs. 1 BGB für eine außerordentliche Kündigung liegt dann vor, wenn Tatsachen gegeben sind, auf-grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles und in der Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung nicht zugemutet werden kann (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38; 21.06.2012 EzA § 9 KSchG n. F. Nr. 63 = NZA 2013, 199; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS). Damit wird der wichtige Grund zunächst durch die objektiv vorliegenden Tatsachen bestimmt, die an sich geeignet sind, die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar zu machen. Kündigungsgrund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist deshalb jeder Sachverhalt, der objektiv das Arbeitsverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes belastet (vgl. BAG 27.01.2011 EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 10; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 07.07.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 38). Entscheidend ist nicht der subjektive Kenntnisstand des Kündigenden, sondern der objektiv vorliegende Sachverhalt, der objektive Anlass. Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind (Ascheid/Preis/Schmidt Großkommentar Kündigungsrecht 4. Auflage 2012 (APS-Dörner/Vossen), § 626 BGB Rz. 42 ff.; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts (DLW/Dörner), 15. Auflage 2020, Kap. 4. Rn. 1121 ff.).

Berücksichtigt werden können nur die bis zum Ausspruch der Kündigung eingetretenen Umstände bei der Überprüfung der Frage, ob sie als Kündigungsgrund an sich geeignet sind. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen. Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen. Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde. Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch eine Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden. Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen gilt nichts Anderes (BAG 15.12.1955 NJW 1956, 807; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 3.7.2003 EzA § 626 BGB 202 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 2; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12, 484; 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32).

Die danach zu berücksichtigenden Umstände müssen nach verständigem Ermessen die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zumutbar erscheinen lassen (BAG AP-Nr. 4 zu § 626 BGB). Bei der Bewertung des Kündigungsgrundes und bei der nachfolgenden Interessenabwägung ist ein objektiver Maßstab anzulegen, so dass subjektive Umstände, die sich aus den Verhältnissen der Beteiligten ergeben, nur aufgrund einer objektiven Betrachtung zu berücksichtigen sind. Dabei ist insbes. nicht auf die subjektive Befindlichkeit des Arbeitgebers abzustellen; vielmehr ist ein objektiver Maßstab („verständiger Arbeitgeber“) entscheidend, also ob der Arbeitgeber aus der Sicht eines objektiven Betrachters weiterhin hinreichendes Vertrauen in den Arbeitnehmer haben müsste, nicht aber, ob er es tatsächlich hat (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32). Die danach maßgeblichen Umstände müssen sich konkret nachteilig auf das Arbeitsverhält-nis auswirken; da der Kündigungsgrund zukunftsbezogen ist und die Kündigung keine Sanktion für das Verhalten in der Vergangenheit darstellt, kommt es auf seine Auswirkungen auf die Zukunft an, die vergangene Pflichtverletzung muss sich noch in Zukunft belastend auswirken (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 23.10.2008 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 25; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; LAG BW 25.3.2009 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297). Da es um den zukünftigen Bestand des Arbeitsverhältnisses geht, muss dessen Fortsetzung durch objektive Umstände oder die Einstellung oder das Verhalten des Gekündigten im Leistungsbereich, im Bereich der betrieblichen Verbundenheit aller Mitarbeiter, im persönlichen Vertrauensbereich (der Vertragspartner) oder im Unternehmensbereich konkret beeinträchtigt sein.

Das kann dann der Fall sein, wenn auch zukünftige Vertragsverstöße zu besorgen sind, d. h., wenn davon ausgegangen werden muss, der Arbeitnehmer werde auch künftig den Arbeitsvertrag nach einer Kündigungsandrohung erneut in gleicher oder ähnlicher Weise verletzen oder sonst von einer fortwirkenden Belastung des Arbeitsverhältnisses ausgegangen werden muss (LAG BW 25.3.2009 § 626 2002 Nr. 20; LAG RhPf 26.2.2010 NZA-RR 2010, 297).

Die erforderliche Überprüfung gem. § 626 Abs. 1 BGB vollzieht sich folglich zweistufig (vgl. z. B. BAG 24.3.2011 2 AZR 282/10 EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35).

Zum einen muss ein Grund vorliegen, der unter Berücksichtigung der oben skizzierten Kriterien überhaupt an sich geeignet ist, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Insoweit handelt es sich um einen Negativfilter, d. h., dass bestimmte Kündigungsgründe eine außerordentliche Kündigung von vornherein nicht rechtfertigen können.

Zum anderen muss dieser Grund im Rahmen einer Interessenabwägung unter besonderer Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles, insbesondere auch des Verhältnismäßigkeitsprinzips zum Überwiegen der berechtigten Interessen des Kündigenden an der – in der Regel – vorzeitigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses führen (vgl. ausführlich APS-Dörner/Vossen, § 626 BGB a. a. O.; DLW-Dörner a. a. O.). In einer Gesamtwürdigung ist das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 24.3.2011 – 2 AZR 282/10- EzA-SD 16/2011 S. 3 LS. = NZA 2011, 1029; 27.09.2012 -2 AZR 646/11 – EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS).

Entscheidend ist die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Frist für eine ordentliche Kündigung bzw. bis zum Ende der vereinbarten Befristung (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – EzA-SD 9/2013, Seite 6 LS; LAG Bl. 5.1.2005 – 17 Sa 1308/04 – EzA-SD 8/05, Seite 12 LS; Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, a. a. O.).

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegen seiner erheblichen Pflichtverletzung zumindest bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung des Interesses des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen – einstweiligen – Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung der Umstände des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen (BAG 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013, Seite 6 LS).

Nach dem Verhältnismäßigkeitsprinzip ist die außerordentliche Kündigung „Ulti-ma Ratio“, so dass sie dann nicht gerechtfertigt ist, wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zumutbar ist, weil dann die ordentliche Kündigung ein milderes Mittel als die außerordentliche Kündigung darstellt (BAG 9.6.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; 27.09.2012 -2 AZR 646/11- EzA/SD 9/2013 Seite 6 LS; krit. Stück-mann/Kohlepp RdA 2000, 331 ff.).

Deshalb setzt eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung regelmäßig eine Abmahnung voraus; sie dient der Objektivierung der Prognose (BAG 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 67: 12.01.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68). Sie ist nur dann entbehrlich, wenn im Einzelfall besondere Umstände vorgelegen haben, aufgrund derer eine Abmahnung als nicht Erfolg versprechend angesehen werden kann. Das ist insbes. dann anzunehmen, wenn erkennbar ist, dass der Arbeitnehmer nicht gewillt ist, sich vertragsgerecht zu verhalten. Nur besonders schwere Vorwürfe bedürfen keiner Abmahnung, wenn und weil der Arbeitnehmer dann von vornherein nicht mit einer Billigung seines Verhaltens rechnen kann (LAG RhPf 26.02.2010 – 6 Sa 682/09, NZA-RR 2010, 297; LAG Nds. 12.02.2010 – 10 Sa 1977/08, EzA-SD 8/2010 S. 6 LS).

Einer Abmahnung bedarf es danach bei einem steuerbaren Verhalten des Arbeit-nehmers in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes also nur dann nicht, wenn eine Verhaltensänderung in Zukunft selbst nach Abmahnung nicht zu erwarten steht oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass eine Hinnahme durch den Arbeitgeber offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 24.03.2011 – 2 AZR 282/10, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1029; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35; 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 36; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 39 = NZA-RR 2012, 567;25.10.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 41 = NZA 2013, 319; LAG Hessen 27.02.2012 NZA-RR 2012, 471), denn dann ist grds. davon auszugehen, dass das künftige Verhalten des Arbeitnehmers schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann; die Abmahnung dient insoweit der Objektivierung der negativen Prognose: Ist der Arbeitnehmer ordnungsgemäß abgemahnt worden und verletzt er dennoch seine arbeitsvertraglichen Pflichten erneut, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch zukünftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Das gilt grds. uneingeschränkt selbst bei Störungen des Vertrauensbereichs durch Straftaten gegen Vermögen oder Eigentum des Arbeitgebers (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027; LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA -RR 2012, 353; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356), denn auch in diesem Bereich gibt es keine „absoluten“ Kündigungsgründe. Stets ist konkret zu prüfen, ob nicht objektiv die Prognose berechtigt ist, der Arbeitnehmer werde sich jedenfalls nach einer Abmahnung künftig wieder vertragstreu verhalten (BAG 10.06.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32; Preis AuR 2010, 242; Schlachter NZA 2005, 433 ff.; Schrader NJW 2012, 342 ff.; s. LAG Bln.-Bra. 30.03.2012 LAGE § 611 BGB 2002 Abmahnung Nr. 9 = NZA-RR 2012, 353; Arbeitszeitbetrug; LAG Köln 20.01.2012 NZA-RR 2012, 356: vorzeitiges Arbeitsende ohne betriebliche Auswirkungen).

Entscheidender Zeitpunkt für die Beurteilung ist grundsätzlich (ebenso wie bei der ordentlichen Kündigung) der Zeitpunkt des Ausspruchs bzw. Zugangs der Kündigung. Die Wirksamkeit einer Kündigung ist grundsätzlich nach den objektiven Verhältnissen im Zeitpunkt ihres Zugangs zu beurteilen. Dieser Zeitpunkt ist im Rahmen von § 626 Abs. 1 BGB sowohl für die Prüfung des Kündigungsgrundes als auch für die Interessenabwägung maßgebend. Umstände, die erst danach entstanden sind, können die bereits erklärte Kündigung nicht rechtfertigen. Sie können allenfalls als Grundlage für eine weitere Kündigung oder einen Auflösungsantrag nach §§ 9, 10 KSchG dienen (BAG 10.6.2010 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 32 = NZA 2010, 1227; 28.10.1971 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 9; 15.12.1955 BAGE 2, 245).

Nachträglich eingetretene Umstände können für die gerichtliche Beurteilung allerdings insoweit von Bedeutung sein, wie sie die Vorgänge, die zur Kündigung geführt haben, in einem neuen Licht erscheinen lassen (BAG 10.6.2010; a. a. O.; 28.10.1971 a. a. O.). Dazu müssen zwischen den neuen Vorgängen und den alten Gründen so enge innere Beziehungen bestehen, dass jene nicht außer Acht gelassen werden können, ohne dass ein einheitlicher Lebensvorgang zerrissen würde (BAG 10.6.2010 a. a. O; 15.12.1955 a. a. O.). Es darf aber nicht etwa eine ursprünglich unbegründete Kündigung durch die Berücksichtigung späteren Verhaltens rückwirkend zu einer begründeten werden (BAG 15.12.1955 a. a. O). Außerdem ist genau zu prüfen, welche konkreten Rückschlüsse auf den Kündigungsgrund späteres Verhalten wirklich erlaubt. Im Hinblick auf prozessuales Vorbringen (BAG 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 202 Nr. 4 a. a. O.; 24.11.2005 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 12; 3.7.2003 EzA KSchG § 1 Verdachtskündigung Nr. 2) gilt nichts Anderes.

Die in den aufgehobenen gesetzlichen Vorschriften der §§ 123, 124 Gewerbeordnung, 71, 72 HGB nach altem Recht genannten Beispiele für wechselseitige wichtige Gründe (z. B. Arbeitsvertragsbruch, beharrliche Arbeitsverweigerung) sind als wichtige Hinweise für typische Sachverhalte anzuerkennen, die an sich geeignet sind, einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung zu bilden und die Kündigung in der Regel auch zu rechtfertigen, wenn keine besonderen Umstände zugunsten des Gekündigten sprechen (vgl. BAG AP-Nr. 99 zu § 626 BGB). „Absolute Kündigungsgründe“, die ohne eine besondere Interessenabwägung eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen, bestehen andererseits jedoch nicht (BAG 15.11.1984 EzA § 626 BGB n. F. Nr. 95; 10.6.2010; 19.04.2012 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 40 = NZA 2013, 27).

Hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast gilt Folgendes:

Der Kündigende ist darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als wichtige Gründe geeignet sein können. Die Bewertung eines Fehlverhaltens als vorsätzlich liegt insoweit im Wesentlichen auf tatsächlichem Gebiet und ist Gegenstand der tatrichterlichen Beweiswürdigung i.S.v. § 286 ZPO (BAG 09.06.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 35 = NZA 2011, 1027).

Im Rahmen der ihr obliegenden Darlegungslast trifft jede Prozesspartei eine vollständige Substantiierungspflicht; sie hat sich eingehend und im Einzelnen nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiert zu äußern. Andererseits darf von keiner Prozesspartei von Verfassung wegen etwas Unmögliches verlangt werden. Der Konflikt zwischen diesen beiden Positionen wird gelöst durch das Prinzip der Sachnähe, d. h., je näher eine Prozesspartei an dem fraglichen tatsächlichen Geschehen selbst unmittelbar und persönlich beteiligt ist, desto eingehender hat sie substantiiert vorzutragen. Das kann so weit gehen, dass sie auch verpflichtet sein kann, durch tatsächliches Vorbringen oder Vorlage von Unterlagen die Gegenpartei überhaupt erst in die Lage zu versetzen, der ihr obliegenden Darlegungslast nachzukommen. Schließlich muss das tatsächliche Vorbringen wahrheitsgemäß sein (vgl. BAG 26.06.2008, 23.10.2008 EzA § 23 KSchG Nr. 32, Nr. 33).

Zu den die Kündigung begründen Tatsachen, die der Kündigende vortragen und gegebenenfalls beweisen muss, gehören auch diejenigen, die Rechtfertigungs-und Entschuldigungsgründe (z.B. eine vereinbarte Arbeitsbefreiung, die Einwilligung des Arbeitgebers in eine Wettbewerbstätigkeit; eine „Notwehrsituation“, vgl. LAG Köln 20.12.2000 ARST 2001, 187) für das Verhalten des gekündigten Arbeitnehmers ausschließen (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109; 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06, EzA-SD 8/2009 S. 9: Notwehr bei tätlicher Auseinandersetzung; 03.11.2011 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 79 = NZA 2012, 607).

Der Umfang der Darlegungs- und Beweislast richtet sich danach, wie substantiiert der Gekündigte sich auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Kündigende muss daher nicht von vornherein alle nur denkbare Rechtfertigungsgründe widerlegen.

Es reicht insoweit nicht aus, dass der Gekündigte pauschal und ohne nachprüfbare Angaben Rechtfertigungsgründe geltend macht. Er muss deshalb unter substantiierter Angabe der Gründe, die ihn gehindert haben, seine Arbeitsleistung, so wie an sich vorgesehen, zu erbringen, den Sachvortrag des Kündigenden nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen bestreiten. Gleiches gilt dann, wenn sich der Gekündigte anders als an sich vorgesehen verhalten hat (s. BAG 18.09.2008 – 2 AZR 1039/06, FA 2009, 221 LS).

Nur dann ist es dem Kündigenden möglich, diese Angaben zu überprüfen und ggf. die erforderlichen Beweise anzutreten (BAG 06.08.1987 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 109). Wenn der gekündigte Arbeitnehmer sich allerdings gegen die Kündigung wehrt und i. S. d. § 138 Abs. 2 ZPO ausführlich Tatsachen vorträgt, die einen Rechtfertigungsgrund für sein Handeln darstellen oder sonst das Verhalten in einem milderen Licht erscheinen lassen können, muss der Arbeitgeber seinerseits Tatsachen vorbringen und ggf. beweisen, die die vom Arbeitnehmer vorgetragenen Rechtfertigungsgründe erschüttern (LAG Köln 21.04.2004 LAG Report 2005, 64 LS). Will der Arbeitgeber bspw. die außerordentliche Kündigung auf die Behauptung stützen, der Arbeitnehmer habe Beträge aus der Einlösung von Schecks unterschlagen, muss er im Einzelnen diese Unterschlagung darlegen und unter Beweis stellen. Wenn der Arbeitnehmer nachvollziehbar darlegt, wann und wenn er die Beträge abgeliefert hat, kann sich der Arbeitgeber nicht mit Erfolg auf den Standpunkt stellen, der Arbeitnehmer müsse die Ablieferung der Beträge beweisen (LAG Köln 26.06.2006 – 14 Sa 21/06, EzA-SD 19/06, S. 10 LS).

Die dem kündigenden Arbeitgeber obliegende Beweislast geht auch dann nicht auf den gekündigten Arbeitnehmer über, wenn dieser sich auf eine angeblich mit dem Arbeitgeber persönlich vereinbarte Arbeitsbefreiung beruft und er einer Parteivernehmung des Arbeitgebers zu der streitigen Zusage widerspricht.

In diesem Fall sind allerdings an das Bestreiten einer rechtswidrigen Vertragsverletzung hinsichtlich des Zeitpunkts, des Ortes und des Anlasses der behaupteten Vereinbarung, die das Verhalten des Arbeitnehmers rechtfertigen oder entschuldigen sollen, strenge Anforderungen zu stellen (BAG 24.11.1983 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 88; APS/Dörner/Vossen § 626 BGB Rn. 173 ff.).

Gelingt es dem Arbeitgeber nicht, den Kündigungsvorwurf in tatsächlicher Hinsicht zu beweisen, ist die streitgegenständliche Kündigung mangels eines wichtigen Grundes i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam (LAG RhPf 21.05.2010 NZA-RR 2011, 80).

Für das erforderliche Beweismaß der vollen Überzeugung im Sinne des § 286 Abs. 1 ZPO gelten nachfolgende Grundsätze:

Gemäß § 286 Abs. 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme nach freier Überzeugung zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder für nicht wahr zu erachten ist.

Auf der Basis der abgeschlossenen Beweisaufnahme stellt die richterliche Würdigung einen internen Vorgang in der Person der Richter zur Prüfung der Frage dar, ob ein Beweis gelungen ist. Im Rahmen dieses internen Vorgangs verweist § 286 ZPO ganz bewusst auf das subjektive Kriterium der freien Überzeugung des Richters und schließt damit objektive Kriterien – insbesondere die naturwissenschaftliche Wahrheit – als Zielpunkt aus. Die gesetzliche Regelung befreit den Richter bzw. das richterliche Kollegium von jedem Zwang bei seiner Würdigung und schließt es damit auch aus, dass das Gesetz dem Richter vorschreibt, wie er Beweise einzuschätzen und zu bewerten hat. Dabei ist Bezugspunkt der richterlichen Würdigung nicht nur das Ergebnis der Beweisaufnahme, sondern der gesamte Inhalt der mündlichen Verhandlung (vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting, 4. Auflage 2013, § 286 Rn. 1 ff.).

Hinsichtlich der Anforderungen an die richterliche Überzeugung ist von Folgendem auszugehen: Die richterliche Überzeugung ist nicht gleichzusetzen mit persönlicher Gewissheit. Der Begriff der Gewissheit stellt nämlich absolute Anforderungen an eine Person. Er lässt für – auch nur geringe – Zweifel keinen Raum. Dies wird gesetzlich aber nicht verlangt; die gesetzliche Regelung geht vielmehr davon aus, das Gericht müsse etwas für wahr „erachten“. Bei dem Begriff der richterlichen Überzeugung geht es also nicht um ein rein personales Element der subjektiven Gewissheit eines Menschen, sondern darum, dass der Richter in seiner prozessordnungsgemäßen Stellung bzw. das Gericht in seiner Funktion als Streit entscheidendes Kollegialorgan eine prozessual ausreichende Überzeugung durch Würdigung und Abstimmung erzielt. Daraus folgt, dass es der richterlichen Überzeugung keinesfalls im Weg steht, wenn dem Gericht aufgrund gewisser Umstände Unsicherheiten in der Tatsachengrundlage bewusst sind. Unerheblich für die Beweiswürdigung und die Überzeugungsbildung ist auch die Frage der Beweislast. Richterliche Überzeugung ist vielmehr die prozessordnungsgemäß gewonnene Erkenntnis des einzelnen Richters oder der Mehrheit des Kollegiums, dass die vorhandenen Eigen- und Fremdwahrnehmungen sowie Schlüsse ausreichen, die Erfüllung des vom Gesetz vorgesehenen Beweismaßes zu bejahen. Es darf also weder der besonders leichtgläubige Richter noch der generelle Skeptiker ein rein subjektives Empfinden als Maß der Überzeugung setzen, sondern jeder Richter muss sich bemühen, unter Beachtung der Prozessgesetze, Ausschöpfung der gegebenen Erkenntnisquellen und Würdigung aller Verfahrensergebnisse in gewissenhafter und vernünftigerweise eine Entscheidung nach seiner Lebenserfahrung darüber zu treffen, ob im Urteil von der Wahrheit einer Tatsachenbehauptung auszugehen ist. Dabei muss sich das Gericht allerdings der Gefahren für jede Wahrheitsfindung bewusst sein.

Dabei ist letzten Endes ausschlaggebend, dass das Gesetz eine von allen Zweifeln freie Überzeugung nicht voraussetzt. Vielmehr kommt es auf die eigene Überzeugung des entscheidenden Richters an, auch wenn andere zweifeln oder eine andere Auffassung erlangt haben würden. Der Richter darf und muss sich aber in tatsächlich zweifelhaften Fällen mit einem für das praktische Leben brauchbaren Grad von Gewissheit begnügen, der den Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (BGHZ 53, 245 = NJW 1970, 946; vgl. Münchner Kommentar zur ZPO – Prütting a. a. O., Rn. 28 ff). Vom Richter wird letztlich verlangt, dass er die volle Überzeugung erlangt, dass er eine streitige Tatsachenbehauptung für wahr erachtet. Diese Überzeugung kann und darf er nicht gewinnen, wenn für die streitige Behauptung nur die überwiegende Wahrscheinlichkeit spricht, vielmehr muss für die behauptete Tatsache eine sehr hohe Wahrscheinlichkeit sprechen, damit der Richter die Tatsache für wahr erachtet.

Die Tatsachengerichte haben nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO die wesentlichen Grundlagen ihrer Überzeugungsbildung nachvollziehbar darzulegen (BAG 21.09.2017 – 2 AZR 57/17, EzA § 4 KSchG n.F. Nr. 101 = NZA 2017, 1524). Für die volle richterliche Überzeugungsbildung nach § 286 Abs. 1 ZPO ist dabei, wie dargelegt, ausreichend, dass ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit erreicht ist, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig ausschließen zu müssen (BAG 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 17 = NZA 2018, 1405).

Soll ein Vortrag mittels Indizien bewiesen werden, hat das Gericht zu prüfen, ob es die vorgetragenen Hilfstatsachen – deren Richtigkeit unterstellt – von der Wahrheit der Haupttatsache überzeugen. Es hat die insoweit maßgebenden Umstände vollständig und verfahrensrechtlich einwandfrei zu ermitteln und alle Beweisanzeichen erschöpfend zu würdigen. Die wesentlichen Grundlagen der Überzeugungsbildung sind nach § 286 Abs. 1 S. 2 ZPO nachvollziehbar darzulegen. Dies erfordert keine ausdrückliche Auseinandersetzung mit allen denkbaren Gesichtspunkten. Die Urteilsgründe müssen aber erkennen lassen, dass überhaupt eine sachentsprechende Beurteilung stattgefunden hat. Es genügt nicht, allein durch formelhafte Wendungen ohne Bezug zu den konkreten Fallumständen zum Ausdruck zu bringen, das Gericht sei von der Wahrheit einer Tatsache überzeugt oder nicht überzeugt (BAG 25.04.2018 – 2 AZR 611/17, EzA § 626 BGB 2002 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 17 = NZA 2018, 1405).

Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO grundsätzlich auch erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist. Er kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht – auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt – beweisen kann. Hat die erste Instanz ihre freie Überzeugung nach § 286 ZPO auf eine Parteianhörung gestützt, muss das Berufungsgericht sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung mit dem Ergebnis dieser Parteianhörung auseinandersetzen und die informatorische Anhörung nach § 141 ZPO ggf. selbst durchführen (BGH 27.09.2017 – XII ZR 48/17, NJW-RR 2018, 249).

Eine beharrliche Arbeitsverweigerung ist „an sich“ geeignet, eine außerordentliche fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Ein Arbeitnehmer verweigert die von ihm geschuldete Arbeit beharrlich, wenn er sie bewusst und nachhaltig nicht leisten will. Maßgebend ist die objektive Rechtslage (BAG 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 66 = NZA 2018, 1259; 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 65 = NZA 2018, 646; 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417; 19.1.2016 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 54 = NZA 2016, 1144). Verweigert der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung in der Annahme, er handele rechtmäßig, hat grds. er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als unzutreffend erweist (BAG 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 65 = NZA 2018, 646; s. DLW/Dörner, a.a.O., Kap. 4 Rdn. 1472 ff.)).

Bei Schlechtleistungen oder unzureichender Arbeitsleistung kommt zwar eine außerordentliche Kündigung nur in Ausnahmefällen in Betracht (BAG 20.3.1969 EzA § 123 GewO Nr. 11; LAG Köln 16.9.2004 – 5 Sa 592/04, EzA-SD 25/04 S. 8 LS; LAG MV12.9.2017 – 5 Sa 258/16, LAGE § 2 KSchG Nr. 10). Denn der Arbeitgeber hat durch eine geeignete Organisation sicherzustellen, dass Arbeitsfehler z.B. im sicherheitsrelevanten Bereich frühzeitig erkannt und alsdann auch beseitigt werden (LAG Düsseld. 25.7.2003 LAGE § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung Nr. 1; s.a. LAG Hamm 26.11.2004 – 15 Sa 463/04, NZA-RR 2005, 414). Insoweit werden die Interessen des Arbeitgebers und des Betriebes im Allgemeinen durch den Ausspruch einer ordentlichen Kündigung nach vorausgegangener Abmahnung genügend gewahrt (LAG MV12.9.2017 – 5 Sa 258/16, LAGE § 2 KSchG Nr. 10).

Eine Kündigung wegen „beharrlicher Arbeitsverweigerung“ scheidet allerdings dann von vornherein aus, wenn der Arbeitnehmer berechtigt war, Arbeiten abzulehnen, die der Arbeitgeber ihm unter Überschreitung des Direktionsrechts zugewiesen hat (BAG 24.2.2011 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 28 = NZA 2011, 1087). Denn wenn der Arbeitgeber keinen vertragsgemäßen Arbeitsplatz zur Verfügung stellt, entsteht keine Arbeitspflicht (LAG Nds. 8.12.2003 NZA-RR 2005, 22 LS; LAG Hamm 11.12.2008 LAGE § 307 BGB 2002 Nr. 16). Eine außerordentliche Kündigung wegen Arbeitsverweigerung kommt deshalb z.B. dann nicht in Betracht, wenn die Befolgung der Weisungen des Arbeitgebers zu einer gesetzeswidrigen Überschreitung der Arbeitszeit nach dem ArbZG führen würde (LAG RhPf 25.5.2007 – 6 Sa 53/07, BB 2008, 59 LS).

Nach § 275 Abs. 3 BGB kann der Arbeitnehmer die Arbeitsleistung verweigern, wenn sie ihm unter Abwägung des seiner Leistung entgegenstehenden Hindernisses mit dem Leistungsinteresse des Arbeitgebers nicht zugemutet werden kann. Die Vorschrift regelt das Spannungsverhältnis von Vertragstreue und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung. Der Arbeitnehmer kann sich von der Arbeitsleistung (nur) »befreien«, wenn sie für ihn in hohem Maße belastend ist. Nach § 273 Abs. 1 BGB kann dem Arbeitnehmer das Recht zustehen, seine Arbeitsleistung zurückzuhalten. Dieses Recht setzt einen fälligen Anspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber voraus. Es kommt insbes. dann in Betracht, wenn dieser seine aus dem Arbeitsverhältnis resultierenden Haupt- oder Nebenpflichten schuldhaft nicht erfüllt. Die Ausübung des Zurückbehaltungsrechts steht unter dem Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und unterliegt dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Dementsprechend muss der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber klar und eindeutig mitteilen, er werde dieses Recht auf Grund einer ganz bestimmten, konkreten Gegenforderung ausüben (BAG 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417; s.a. BAG 14.6.2017 – 10 AZR 330/16, EzA § 315 BGB 2002 Nr. 5).

Wenn der Arbeitnehmer meint, ihm stehe ein Leistungsverweigerungs- oder Zurückbehaltungsrecht zu, hat grds. er selbst das Risiko zu tragen, dass sich seine Rechtsauffassung als falsch erweist. Ein unverschuldeter Rechtsirrtum liegt nur vor, wenn er seinen Irrtum auch unter Anwendung der zu beachtenden Sorgfalt nicht erkennen konnte. Dabei sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass der Arbeitnehmer sich für seine eigene Rechtsauffassung auf eine eigene Prüfung und fachkundige Beratung stützen kann. Ein Unterliegen in einem möglichen Rechtsstreit muss zwar nicht undenkbar sein. Gleichwohl liegt ein entschuldbarer Rechtsirrtum nur dann vor, wenn er damit nach sorgfältiger Prüfung der Sach- und Rechtslage nicht zu rechnen brauchte; ein normales Prozessrisiko entlastet ihn nicht (BAG 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417).

Bei einer sog. beharrlichen Arbeitsverweigerung kommt also grds. eine außerordentliche, fristlose Kündigung (§ 626 BGB) in Betracht; es ist dabei u.a. zu würdigen, ob zu besorgen ist (Prognoseprinzip; BAG 28.6.2018 – 2 AZR 436/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 66 = NZA 2018, 1259; 14.12.2017 – 2 AZR 86/17, EzA § 626 BGB 2002 Nr. 65 = NZA 2018, 646; 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417; 19.1.2016 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 54 = NZA 2016, 1144), der Arbeitnehmer werde in Zukunft seiner Arbeitspflicht nicht nachkommen. Nach dem ultima-ratio-Prinzip schließt dies aber im Einzelfall nicht aus, dass nur eine ordentliche Kündigung gerechtfertigt ist (BAG 21. 11. 1996 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 50; vgl. auch BAG 5.4.2001 EzA § 626 BGB n.F. Nr. 186; 12.1.2006 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 68; LAG Nbg. 16. 10. 2007 LAGE § 626 BGB 2002 Nr. 12).

Die beharrliche Arbeitsverweigerung setzt in der Person des Arbeitnehmers im Willen eine Nachhaltigkeit voraus; er muss die ihm übertragene Arbeit bewusst und nachhaltig nicht leisten wollen, wobei es nicht genügt, dass der Arbeitnehmer eine – rechtmäßige (s. BAG 24.2.2011 EzA § 1 KSchG Personenbedingte Kündigung Nr. 28 = NZA 2011, 1087; 22.10.2015 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 53 = NZA 2016, 417) – Weisung unbeachtet lässt. Voraussetzung ist vielmehr, dass eine intensive Weigerung des Arbeitnehmers vorliegt.

In Anwendung dieser Grundsätze hat das Arbeitsgericht in der streitgegenständlichen Entscheidung ausgeführt:

„A. Die Klage ist zulässig und begründet. Außerordentliche Kündigungen sind nur als äußerstes Mittel zulässig, das ist im vorliegenden Fall nicht schon eröffnet gewesen.

I. Der Klageantrag ist § 4 Satz 1 KSchG nachgebildet und damit hinreichend bestimmt (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO); er macht zum (punktuellen) Verfahrensgegenstand, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die bezeichnete Kündigung außerordentlich beendet wurde. Aus Wortlaut, Klagebegründung und äußeren Umständen, insbesondere dem fehlenden allgemeinen Kündigungsschutz der Klägerin, ergibt sich hier allerdings, dass sich die Klägerin „ausklammernd“ allein gegen den außerordentlichen Kündigungsausspruch wendet (vgl. BAG, Urteil vom 17. Dezember 2015 – 6 AZR 709/14 – Rn. 24).

II. Der Antrag ist in der Sache begründet.

1. Die Kündigung gilt nicht schon gemäß § 13 Abs. 1 Satz 2, § 7 HS. 1 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Die Klägerin hat vielmehr auf Erhalt des Kündigungsschreibens am 10. Januar 2020 binnen Dreiwochenfrist (§ 4 Satz 1 KSchG) unter Klagezustellung am 28. Januar 2020 die vorliegende Klage erhoben gehabt (Fristablauf wäre erst mit Ablauf des 31. Januar 2020 anzunehmen gewesen, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB).

2. Für die außerordentliche Kündigung bedurfte es eines hinreichend wichtigen Grundes, der hier indes noch nicht eröffnet war.

a) Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung eines Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann; dafür ist zunächst zu prüfen, ob ein Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, und des Weiteren zu beurteilen, ob Kündigenden die Vertragsfortsetzung unter Berücksichtigung der konkrete Umstände des Einzelfalls und in Abwägung der Interessen beider Vertragsseiten auch bis zum Ablauf einer Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann (BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 15).

Für die außerordentliche Kündigung kommen damit schwere und schuldhafte Vertragspflichtverletzungen durchaus als Gründe „an sich“ in Betracht, allerdings ist der Zweck der Kündigung nicht die Sanktion für die geschehenen Pflichtverletzungen – sie dient vielmehr der Meidung künftig gleichgearteter Verstöße; d.h. eine fragliche Pflichtverletzung muss sich auch für die Zukunft noch belastend auswirken, um eine Kündigung zu rechtfertigen, was – objektiviert – jedenfalls angenommen werden kann, wenn schon eine einschlägige Abmahnung vorausgegangen war, ohne „Besserung“ zu bewirken (vgl. BAG, Urteil vom 26. November 2009 – 2 AZR 751/08 – Rn. 10). Lediglich wenn von vorneherein Verhaltensänderungen für die Zukunft trotz Abmahnungen nicht zu erwarten wären oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass auch eine einmalige Hinnahme offensichtlich und auch für Arbeitnehmende erkennbar ausgeschlossen ist, bedarf es der Abmahnung in Ansehung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nicht (BAG, Urteil vom 27. Februar 2020 – 2 AZR 570/19 – Rn. 23).

b) Eine Abmahnung war vorliegend indes nicht entbehrlich. Mangels dessen bleibt die außerordentliche Kündigung hier unverhältnismäßig.

aa) Das gilt vor allem, soweit die Beklagte der Klägerin vorhält, sie habe am 8. Januar 2020 den Betrieb rund 1 Stunde vor Ablauf der festgelegten Arbeitszeit (nämlich gegen kurz vor 11:50 Uhr gegenüber 13:00 Uhr) verlassen, ohne ihr dies rechtzeitig und ausreichend anzuzeigen. Hiermit hätte die Klägerin in jedem Fall unentschuldigt gefehlt (deren Einwände zu speziellen Dispositionsrechten zugunsten der Beklagten ausgeblendet). Allerdings ist die außerordentliche Kündigung wegen derart beharrlicher Arbeitsverweigerung zur außerordentlichen fristlosen Kündigung nur geeignet, wenn die Nichtleistung bewusst und nachdrücklich geschehen war (BAG, Urteil vom 14. Dezember 2017 – 2 AZR 86/17 – Rn. 29), was bei einmaligem Geschehen – wie hier (weitere, von der Beklagten im Kammertermin gemutmaßte Fälle lassen sich jedenfalls nicht konkret ausmachen) -, zum Beleg der erforderlichen Nachhaltigkeit im Willen nur anhand erfolglos gebliebener Abmahnung angenommen werden kann (BAG, Urteil vom 5. April 2001 – 2 AZR 580/99 – zu II 2 a der Gründe). Die Klägerin war indes im Lauf des rund vierjährigen Arbeitsverhältnisses zu keiner Zeit abgemahnt. Auch soweit die Beklagte neben der vorzeitigen Abwesenheit als Hauptpflichtverletzung begleitend noch von einem Meldepflichtverstoß nach § 241 Abs. 2 BGB (in gewisser Parallelität zu § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG) ausgeht, konnte auch dies nur nach einschlägiger Abmahnung zur Kündigung führen (vgl. BAG, Urteil vom 7. Mai 2020 – 2 AZR 619/19 – Rn. 39 ff.).

bb) Soweit die Beklagte daneben von einem Arbeitszeitbetrug ausgehen will, der ohne Abmahnung zur außerordentlichen Kündigung hätte führen können, wird dies dem gegebenen Fall nicht gerecht.

Fristlose Kündigung wegen Arbeitsverweigerung
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(1) Zwar ist der vorsätzliche Verstoß Arbeitnehmender gegen ihre Verpflichtung, abgeleistete und vom Arbeitgeber nur schwer zu kontrollierende Arbeitszeiten korrekt zu dokumentieren – sei es als sog. Stempeluhrmissbrauch, sei es durch vorsätzlich falsches Ausstellen entsprechender Formulare -, regelmäßig ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung (und zwar unabhängig davon, ob Arbeitgebende hierdurch wirtschaftlichen Schaden erleiden oder nicht; BAG, Urteil vom 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18 – Rn. 17; Urteil vom 26. September 2013 – 2 AZR 682/12 – Rn. 54). Eine solche Pflichtverletzung setzt allerdings die konkrete Verpflichtung zur Selbstdokumentation abgeleisteter Arbeitszeiten voraus; der schwere Missbrauch verbindet sich nämlich vor allem mit der Vertrauensenttäuschung wegen vorsätzlich falscher Behandlung von Nachweispapieren oder -Daten (vgl. wie vor mit § 241 Abs. 2 BGB; zudem etwa LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 23. Juli 2015 – 5 Sa 68/15 – zu II 1 a der Gründe).

(2) Vorliegend verweist die Beklagte zwar darauf, dass Praxismitarbeitende, wie auch die Klägerin so genannte „Überstundenzettel“ führen, wie sie dann auch in Kopie zur Akte gereicht sind (Bl. 46, 76 d.A.). Trotz sinngemäßer Klägerrüge zu anscheinenden Unklarheiten in der „Zettelwirtschaft“ und gerichtlichem Befragen im Kammertermin konnte die Beklagte keine präzisen Arbeitgebervorgaben dazu aufzuzeigen, was genau zwingend in diese Unterlagen wann und wie einzuschreiben und wie diese dann (von wem, wann, wie?) auszuwerten wären. Anhand der Dokumenten- oder Tabellenüberschrift („Überstunde“) lag hier jedenfalls nicht nahe, schon jedwedes Kommen und Gehen als tag- und minutengenau eintragungspflichtig anzusehen. Auch in Handhabung arbeitsvertraglicher Klauseln wegen des Freizeitausgleichs von Mehrarbeit (vgl. Pris/ Lindemann, in: Preis, Der Arbeitsvertrag, 4. Aufl. 2011, Kap. II M 20 Rn. 36), lag dies nicht nah; nur wenn schon Mehrarbeit aufgebaut war, machten ja Minuseinträge Sinn; die abgelichteten Dokumente gaben in dieser Art augenfällig auch nur Plus-Stände oder Null-Salden wieder (wie zuletzt nach dem Eintrag vom 2. Januar 2020: „Rest 0“, Bl. 46 d. A.). Zudem hatte die Klägerin – insofern unangegriffenen – ergänzend angemerkt, dass mit diesen Zetteln an sich auch nur Zeiten aus eigentlich arbeitsfreien Tagen erfasst würden, nicht indes Arbeitszeitschwankungen für verfrühtes Erscheinen oder vorheriges Gehen schlechthin. Selbst wenn der Beklagten zuzugeben wäre, dass es anders wäre und auch verfrühtes Gehen am 8. Januar 2020 hätte eingetragen werden sollen, musste allein dieses Versäumnis bis zum Verlassen der Praxis noch keinen Betrugsversuch belegen. Dass die Papiere in geringen Zeitfenstern zu führen waren, war weder vorgetragen, noch erschloss es sich irgendwie; es ergab sich auch nicht, dass die Beklagte taggleich auf solche Einträge ihr Vermögen irgendwie disponiert gehabt hätte. Zudem war das Dokument vonseiten der Klägerin auch nicht irgendwie erkennbar zu Zahlungszwecken irgendwie verwendet worden. Die Klägerin mochte aus Sicht der Beklagten bei Aufdecken des Geschehens uneinsichtig und emotional überreagiert haben; daraus aber zwingend abzuleiten, die Klägerin hätte einen vermeintlich unrichtigen Überstundenzettel unweigerlich und sicher auch „zu Geld“, ließ sich nicht; zumal umgekehrt (in den Erwägungslinien der Beklagten ohne den Eklat des 9. Januar weitergedacht) nicht auszuschließen blieb, sie (die Klägerin) würde bei später wieder vorgekommener Mehrarbeit die Fehlzeit des 8. Januar nicht doch wieder eingeschrieben gehabt haben (o.ä.).

cc) Soweit die Beklagte schließlich Anstoß am vermeintlich unbotmäßigen Auftritt der Klägerin bei Aufdeckung des Geschehens und im weiteren Verlauf des Folgetages nahm, ergab sich auch daraus kein außerordentlicher Kündigungsgrund. Die Klägerin mag im Gespräch des 9. Januar 2020 zunächst Schutzbehauptungen aufgestellt haben. Eine spontane Lüge, mit der Arbeitnehmende versuchen, eine drohende Kündigung abzuwenden, sind aber anders zu würdigen sind, als ein wahrheitswidriger Prozessvortrag (vgl. BAG, Urteil vom 24. Mai 2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 27). Im Arbeitsleben nicht unübliche Konfliktsituationen, wie hier emotionales Hochfahren bei straferheblichen Vorwürfen, können bisweilen auch noch zum Sozial- und Rechtsadäquaten gehören und hinzunehmen sein (BAG, Urteil vom 15. September 2016 – 8 AZR 351/15 – Rn. 36). Auch überspitzte Kritik wird von der Meinungsfreiheit Arbeitnehmender nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG noch gedeckt und ist im Einzelfall zu ertragen (BAG, Urteil vom 5. Dezember 2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 93). Mangels näherer Substanz des Beklagtenvortrags muss das mittägliche Geschehen des 9. Januar 2020 in diesen Rahmen eingeordnet werden. Die nachmittägliche Ansage, sie (die Beklagte) „fertig zu machen“, stand unmissverständlichen Äußerungszusammenhang „den besten Anwalt“ zu haben, wenn es bei der bereits gefertigten Arbeitgeberkündigung bleiben sollte. Dies drückte ein Ausschöpfen von Rechtsmitteln aller Art aus, weniger indes irgendwelche Absichten zu buchstäblich physischer oder wirtschaftlicher „Vernichtung“. Im „Kampf ums Recht“ – wie hier damit anzunehmen – sind indes überpointierte Äußerungen ausnahmsweise als noch von der Wahrnehmung berechtigter Interessen getragen anzusehen (§ 193 StGB; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 19. Mai 2020 – 1 BvR 362/18 – Rn. 31) und damit vereinzelt ebenfalls hinzunehmen (vgl. LAG in Köln, Urteil vom 1. März 2016 – 12 Sa 835/15 – zu B I 2 der Gründe zu § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG).“ Diesen Ausführungen schließt sich die Kammer voll inhaltlich an und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

Das Berufungsvorbringen der Beklagen rechtfertigt keine abweichende Beurteilung des insoweit maßgeblichen Lebenssachverhalts. Denn es enthält keinerlei neue, nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiierte Tatsachenbehauptungen, die zu einem anderen Ergebnis führen könnten. Gleiches gilt für etwaige Rechtsbehauptungen. Es macht vielmehr lediglich, wenn auch aus der Sicht der Beklagten möglicherweise heraus verständlich, deutlich, dass die Beklagte die tatsächliche und rechtliche Würdigung des tatsächlichen und rechtlichen Vorbringens der Parteien im erstinstanzlichen Rechtszug durch das Arbeitsgericht, der die Kammer voll inhaltlich folgt, nicht teilt.

In der Berufungsbegründungsschrift der Beklagten vom 09.11.2020 (Bl. 141 ff. d. A.) wird zunächst (S. 1-5 = Bl. 141-145 d. A.) das tatsächliche Vorbringen der Beklagten betreffend den 08. und 09.01.2020 aus Beklagtensicht wiederholt. Nähere Ausführungen der Beklagten zum Umgang mit den Überstundenzetteln betreffend konkrete Mehr- oder Minusstunden im Hinblick auf das im Einzelnen abweichende Vorbringen der Klägerin im erstinstanzlichen Rechtszug lassen sich freilich nicht feststellen. Nach Inhalt, Ort, Zeitpunkt und beteiligten Personen substantiiertes Vorbringen zu der ausführlichen Würdigung durch das Arbeitsgericht im streitgegenständlichen Urteil (S. 9, 10 = Bl. 95, 96 d. A.) lässt sich ebenso wenig feststellen. Sodann (S. 5 ff. der Berufungsbegründungsschrift = Bl. 145 ff. d. A.) wendet sich die Beklagte gegen die ausführlich begründete und zutreffende Auffassung des Arbeitsgerichts, es habe nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorliegend vor Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung einer einschlägigen Abmahnung bedurft. Das gilt insbesondere im Hinblick auf die Auffassung der Beklagten, dass der Schwerpunkt der Vorwerfbarkeit die am 09.01.2020 durch zweifach verübte Lüge bewirkte versuchte Täuschung sei. Zum einen hat die Klägerin dieses Vorbringen bereits im erstinstanzlichen Rechtszug bestritten, das gilt insbesondere im Hinblick auf die Zeitangaben der Beklagten. Zum anderen setzt sich die Beklagte insoweit nicht mit dem substantiierten Vorbringen der Klägerin betreffend die betriebliche Praxis des Verlassens des Arbeitsplatzes für den Fall, dass weitere Arbeiten nicht zu erledigen sind, auch in diesem Zusammenhang nicht auseinander. Schließlich hat, entgegen der Darstellung der Beklagten des Arbeitsgerichts das Verhalten der Klägerin, jedenfalls soweit von der Beklagten – von der Klägerin bestritten – dargestellt, durchaus umfassend und zutreffend gewürdigt (S. 10, 11 der angefochtenen Entscheidung = Bl. 96, 97 d. A.). Allerdings setzt sich das Vorbringen der Beklagten mit der Begründung der arbeitsgerichtlichen Entscheidung insoweit nicht auseinander. Auch soweit die Beklagte darauf hinweist, auf den Überstundenzetteln würden Mehr- oder Minusstunden im Minutenbereich festgehalten, bleibt das substantiierte Vorbringen der Klägerin, wie dies im betrieblichen Alltag praktiziert wurde, mit der Maßgabe, dass sie, die Klägerin sich durchaus im Rahmen des betriebsüblichen verhalten hatte, unbestritten. Vor diesem Hintergrund bestand mangels gegenteiligem näheren substantiierten und nach dem Prinzip der Sachnähe von der Beklagten ohne Weiteres zu erwartenden tatsächlichen Vorbringens insoweit keine Veranlassung zu der Annahme, die Klägerin habe durch das pflichtwidrige Nichtausfüllen des Überstundenzettels für den 08.01.2020 sich betrügerisch verhalten. Dass entgegen der Darstellung der Klägerin am 08.01.2020 nach dem Verlassen der Praxis tatsächlich irgendwelche Arbeiten von der Klägerin hätten verrichtet werden müssen, hat die Beklagte nicht dargelegt. Ebenso wenig teilt die Kammer die Wertung der Beklagten betreffend die von ihr dargestellte Drohung oder Bedrohung durch die Klägerin; auch insoweit hat das Arbeitsgericht das Vorbringen der Beklagten zutreffend gewürdigt.

Insgesamt ist darauf hinzuweisen, dass ein verständiger Arbeitgeber in einer Fallkonstellation, wie vorliegend, zunächst feststellen würde, dass offenbar im eigenen Betrieb keine Klarheit darüber besteht, welches vertragliche Verhalten von den Arbeitnehmern dann erwartet, verlangt wird, wenn zwar die vertraglich vereinbarte Arbeitszeit noch nicht abgelaufen ist, andererseits aber keine zu erledigenden Arbeiten mehr anliegen und sich dies auch bis zum täglichen Arbeitsende nicht ändern wird, wie also dann zu verfahren ist, als weisungsbefugter Arbeitgeber diese Situation einer eindeutigen, für die Zukunft zu handhabenden Regelung zugeführt hätte, um für jeden Arbeitnehmer erkennbar jegliche Unklarheiten insoweit auszuschließen. Im Übrigen ist mit dem Arbeitsgericht davon auszugehen, dass selbst dann, wenn man das tatsächliche Vorbringen der Beklagten als unstreitig oder bewiesen unterstellt, nach Maßgabe der Besonderheiten des hier zu beurteilenden Lebenssachverhalts die streitgegenständliche außerordentliche Kündigung mangels Vorliegens einer einschlägigen Abmahnung unverhältnismäßig ist.

Nach alledem war die Berufung der Beklagten zurückzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97, Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

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