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Fristlose Kündigung wegen fahrlässiger Erstattung einer Strafanzeige gegen Arbeitgeber

Klägerin beantragt Berufung gegen Urteil in Kündigungsschutzverfahren

Eine Mitarbeiterin hat Berufung gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 27. August 2021 eingelegt, in dem die Klage gegen eine außerordentliche und vorsorglich ausgesprochene ordentliche Kündigung abgewiesen wurde. Die Klägerin war seit März 2019 als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung bei ihrem Arbeitgeber beschäftigt. Im November 2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos und vorsorglich ordentlich. Hintergrund war eine von der Klägerin erstattete Strafanzeige gegen die Beklagte wegen angeblicher Überwachung. Das Ermittlungsverfahren wurde später eingestellt. Das Arbeitsgericht sah in der Anzeige einen Verstoß gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht und wies die Klage ab.

Die Klägerin wirft dem Arbeitsgericht Rechtsfehler vor und argumentiert, dass sie lediglich ihr grundrechtlich festgeschriebenes Freiheitsrecht ausgeübt habe. Zudem habe sie mehrfach versucht, eine innerbetriebliche Klärung herbeizuführen. Die Klägerin beantragt, das Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht fristlos aufgelöst wurde und auch nicht ordentlich zum 30. Januar 2021 aufgelöst wird. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und bietet hilfsweise eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung an. Die Klägerin hat dieser Auflösung zugestimmt, fordert jedoch eine höhere Abfindung.


Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 2 Sa 349/21 – Urteil vom 11.05.2022

I. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 27. August 2021 – 1 Ca 1749/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung und einer vorsorglich ausgesprochenen ordentlichen Kündigung.

Die 1988 geborene Klägerin war aufgrund Arbeitsvertrags vom 09. Januar 2019 (Bl. 5 – 11 d. A.) seit dem 01. März 2019 bei der Beklagten als Sachbearbeiterin in der Buchhaltung beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in der Regel mehr als zehn Arbeitnehmer.

Die Klägerin äußerte gegenüber Mitarbeitern der Beklagten wiederholt, erstmals im März 2020, die Befürchtung, man wolle ihr kündigen, u.a. anlässlich der Einstellung einer Mitarbeiterin für den Vertriebsinnendienst (Frau K. vom 15. April bis 05. August 2020) und eines Controllers (Herr S. seit 01. Mai 2020). Darüber hinaus äußerte die Klägerin mehrfach gegenüber dem Vorstand der Beklagten, Herrn Dr. M. und dem Finanzleiter der Beklagten, Herrn X., dass sie sich von Seiten der Beklagten beobachtet fühle und glaube, dass eine Software eingesetzt werde, um sie zu überwachen. Entsprechende Befürchtungen äußerte die Klägerin gegenüber dem Finanzleiter Herrn X. am 06. Oktober 2020 und im Personalentwicklungsgespräch vom 20. Oktober 2020, woraufhin dieser ihr gegenüber jeweils versicherte, dass es weder eine Beobachtung ihrer Person von Seiten der Beklagten noch eine entsprechende Überwachungssoftware geben würde. Als die Klägerin am 29. Oktober 2020 Herrn X. erneut darauf ansprach, sich weiterhin überwacht zu fühlen, forderte dieser sie unter Zurückweisung ihrer Vermutungen eindringlich auf, diese Vorwürfe künftig zu unterlassen, insbesondere auch nicht gegenüber Dritte zu erheben.

Am Freitag, 06. November 2020, ging gegen 10:30 Uhr bei der Beklagten ein Anruf der Polizei ein, der zu Herrn X. durchgestellt wurde. Der Polizeibeamte berichtete, dass die Klägerin eine Anzeige gegen die Beklagte aufgeben wolle wegen offensichtlich ungerechtfertigter Überwachung ihrer Person durch die Beklagte. Auf entsprechende Bitte des Polizeibeamten gab Herr X. die Telefonnummer der ehemaligen Mitarbeiterin, Frau K., weiter. In dem Telefongespräch mit dem Polizeibeamten wies Herr X. darauf hin, dass die durch die Klägerin geäußerten Behauptungen jeder Grundlage entbehrten. An diesem Tag (06. November 2020), an dem die Klägerin von der Polizei zur Anhörung eingeladen worden war, unterzeichnete die Klägerin die zuvor von ihr bereits online am 28. Oktober 2020 erstattete Strafanzeige gegen die Beklagte. In der Folgezeit setzte sich die Polizei auch mit Frau K. in Verbindung, um sie nach den von der Klägerin behaupteten Anschuldigungen die Beklagte betreffend zu befragen, die diese nicht bestätigen konnte. Das aufgrund der Strafanzeige der Klägerin eingeleitete Ermittlungsverfahren wurde durch die Staatsanwaltschaft L-Stadt mangels hinreichenden Tatverdachts inzwischen eingestellt.

Die Beklagte kündigte das mit der Klägerin bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 11. November 2020 (Bl. 13 d. A.), der Klägerin am 12. November 2020 zugegangen, fristlos und mit Schreiben vom 19. November 2020 (Bl. 14 d. A.) vorsorglich ordentlich zum „30. Januar 2021“. Hiergegen wendet sich die Klägerin mit ihrer am 20. November 2020 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 27. August 2021 – 1 Ca 1749/20 – Bezug genommen.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 11. November 2020 ausgesprochene Kündigung weder fristlos aufgelöst wurde noch durch die mit Schreiben vom 19. November 2020 ausgesprochene Kündigung ordentlich zum 30. Januar 2021 aufgelöst wird,

2. für den Fall, dass das Gericht nach dem vorstehenden Antrag unter Ziff. 1 erkennt, die Beklagte zu verurteilen, sie bis zur rechtskräftigen Beendigung dieses Rechtsstreits zu den bisherigen Arbeits- und Vertragsbedingungen als Sachbearbeiterin Buchhaltung weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Mit seinem am 27. August 2021 verkündeten Urteil hat das Arbeitsgericht Ludwigshafen die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

Gegen das ihr am 30. August 2021 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Klägerin mit Schriftsatz vom 23. September 2021, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 27. September 2021 eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 29. November 2021 mit Schriftsatz vom 17. November 2021, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 26. November 2021 eingegangen, begründet.

Die Klägerin trägt vor, das Arbeitsgericht sei rechtsfehlerhaft davon ausgegangen, dass sie aufgrund einer grundlos erstatteten Strafanzeige ihre vertraglichen Rücksichtnahmepflichten gegenüber der Beklagten massiv verletzt habe. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass sie mit Erstattung der Strafanzeige ihr grundrechtlich festgeschriebenes Freiheitsrecht ausgeübt habe. Bei der Annahme eines Verstoßes gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht sei durch das Arbeitsgericht nicht berücksichtigt worden, dass sie bereits vor Erstattung der Strafanzeige mehrfach mit Herrn Dr. M. und Herrn X. über ihren Verdacht gesprochen und ihnen gegenüber geäußert habe, dass sie sich beobachtet fühle und glaube, dass eine Software eingesetzt werde, um sie zu überwachen. Erst nachdem keine Abhilfe bzw. keine Klärung der Verdachtsmomente erfolgt und sie lediglich dazu aufgefordert worden sei, diese Vermutungen nicht gegenüber Dritten zu äußern, habe sie Strafanzeige erstattet. Somit sei diese Strafanzeige die einzige Möglichkeit gewesen, den Vorwurf überprüfen zu lassen, weshalb es sich gerade um eine verhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten der Beklagten bzw. deren Repräsentanten gehandelt habe. Das Arbeitsgericht habe nicht erkannt, dass die Strafanzeige rein zur Sachverhaltsaufklärung erfolgt sei und nicht ausschließlich zwecks Schädigung des Arbeitgebers. Das Arbeitsgericht sei zu Unrecht davon ausgegangen, dass sie ihre Behauptungen in zeitlicher und örtlicher Hinsicht unsubstantiiert vorgetragen habe. Hätte das Arbeitsgericht ihren Sachvortrag gewürdigt, so wäre es zu der Erkenntnis gekommen, dass Gründe durchaus gegeben seien, welche eine Strafanzeige aus ihrer Sicht gerechtfertigt hätten. Es könne ihr daher gerade nicht unterstellt werden, dass sie die Strafanzeige nur erstattet habe, um die Beklagte zu schädigen. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts habe sie mehrfach versucht, eine innerbetriebliche Klärung herbeizuführen. Obwohl sie mehrfach Herrn X. und Herrn Dr. M. angesprochen habe, seien ihre Bedenken nicht ernst genommen oder gar mit ihr besprochen und versucht worden, eine Klärung herbeizuführen. Vielmehr sei sie lediglich dazu aufgefordert worden, solche Behauptungen künftig nicht mehr zu äußern. Soweit das Arbeitsgericht angeführt habe, dass sie ihre Bedenken umfassend und schriftlich bzw. unter Nennung von Umständen, aufgrund welcher sie von der Beobachtung ausgegangen sei, gegenüber der Beklagten hätte darlegen müssen, habe er es verkannt, dass eine solche schriftliche Niederlegung unter Nennung der Umstände aufgrund des Vorverhaltens der Beklagten für sie nicht mehr zumutbar gewesen sei. Darüber hinaus fehle es an einer Abmahnung als Voraussetzung für eine verhaltensbedingte Kündigung. Sie sei lediglich aufgefordert worden, solche Aussagen nicht mehr zu tätigen, während ihr niemals mitgeteilt worden sei, dass für den Fall einer Zuwiderhandlung berufliche Konsequenzen folgen würden. Daher sei für sie gerade nicht erkennbar gewesen, welche Konsequenzen ihr Verhalten haben würde. Ferner habe das Arbeitsgericht eine fehlerhafte Interessenabwägung vorgenommen. Insbesondere hätte es erkennen müssen, dass die derzeitige Pandemielage zu erheblichem Arbeitsplatzabbau führe und ihr dadurch die Arbeitssuche deutlich erschwert und sie ggf. für längere Zeit arbeitslos wäre. Zudem hätte berücksichtigt werden müssen, dass sie während ihrer gesamten Arbeitsdauer noch nie Abmahnungen erhalten habe und es auch sonst ihr gegenüber noch nie zu Beanstandungen gekommen sei. Auch sei eine Aufklärung, ob eine Veranlassung zur Erstattung der Strafanzeige nicht doch gegeben gewesen sei, durch das Arbeitsgericht nicht vorgenommen worden. Sie habe keine Schädigungsabsicht gehabt, weshalb kein verwerfliches Motiv gegeben sei. Wegen der weiteren Einzelheiten des Berufungsvorbringens der Klägerin wird auf ihre Schriftsätze vom 17. November 2021, 22. März 2022, 03. Mai 2022 und 10. Mai 2022 Bezug genommen.

Die Klägerin beantragt zuletzt, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 27. August 2021 – 1 Ca 1749/20 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die mit Schreiben der Beklagten vom 11. November 2020 ausgesprochene Kündigung weder fristlos aufgelöst wurde noch durch die mit Schreiben vom 19. November 2020 ausgesprochene Kündigung ordentlich zum 30. Januar 2021 aufgelöst wurde.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen, und hilfsweise, das Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber ein Brutto-Monatsgehalt nicht überschreiten sollte, zum 31. Januar 2021 aufzuheben.

Die Klägerin hat erklärt, sie stimme dem hilfsweise gestellten Auflösungsantrag zu, jedoch sollte die Abfindung drei Bruttomonatsgehälter nicht unterschreiten.

Die Beklagte erwidert, das Arbeitsgericht habe zutreffend festgestellt, dass die Klägerin mit der Erstattung der grundlosen Strafanzeige massiv gegen die vertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB verstoßen und dieser schwerwiegende Verstoß die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar gemacht habe, ohne dass eine vorherige Abmahnung erforderlich gewesen wäre. Mit ihrer Strafanzeige habe die Klägerin eindeutig unwahre Behauptungen aufgestellt, weil es tatsächlich nicht einen einzigen objektivierbaren Sachverhalt gebe, welcher eine Pflichtverletzung oder gar strafrechtliche Verfehlung hätte begründen und damit eine Strafanzeige hätte nachvollziehbar machen können. Die Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte könne nicht in einer substanzlosen Diskreditierung des Arbeitgebers gegenüber Dritten oder gar Ermittlungsbehörden bestehen. Die Klägerin habe weder gegenüber ihrem Vorstand, Herrn Dr. M., noch gegenüber ihrem Finanz-/Personalleiter, Herrn X., jemals konkrete Sachverhalte benannt, welche die Behauptungen einer rechtswidrigen Überwachung auch nur ansatzweise hätten nachvollziehbar bzw. überprüfbar machen können. Vielmehr habe die Klägerin immer nur ganz allgemein Befürchtungen geäußert, gekündigt und ständig überwacht zu werden. Tatsächlich habe es weder eine Kündigungsabsicht noch irgendeine Veranlassung gegeben, die Klägerin in der behaupteten Weise zu überwachen. Sie habe die Klägerin zu keiner Zeit überwachen lassen. Dementsprechend habe es auch keine Überwachungssoftware gegeben. Ebenso wenig habe es Überwachungsaufzeichnungen ihrer Arbeit oder auf die Klägerin speziell bezogene Kontrollanordnungen gegeben. Die erstinstanzlich durch die Klägerin vorgenommene pauschale Aufzählung „nicht gerechtfertigter/nicht erklärbarer Verhaltensweisen“ sei ebenso unbestimmt wie falsch. Gleiches gelte auch für die Beanstandungen der Klägerin „zu Gesprächen von Kollegen und Vorgesetzten, wenn sie es hören“. Dabei seien solche Gespräche und Äußerungen irgendwelcher Beschäftigter von der Klägerin dann auch noch offensichtlich falsch zugeordnet und fehlinterpretiert worden, indem die Klägerin jede kritische Bemerkung irgendeiner Person im Unternehmen auf sich selbst bezogen habe. Der Vorrang innerbetrieblicher Abhilfe greife hier nicht, weil kein Sachverhalt vorliege, dem hätte abgeholfen werden müssen. Trotz mehrfacher Hinweise auf die Unbegründetheit ihrer Beanstandungen und der Aufforderung zur Unterlassung habe die Klägerin sich zur Polizei begeben, um sie den Tatsachen zuwider der unerlaubten Überwachung ihrer Person zu bezichtigen. Einer vorherigen Abmahnung habe es nicht bedurft. Jeder Arbeitnehmer wisse bzw. müsse wissen, dass besonders schwerwiegendes Fehlverhalten – wie hier eine in jeder Hinsicht unbegründete Strafanzeige – letztlich nur eine massive Diskreditierung des Arbeitgebers bzw. bei ihm beschäftigter Personen bewirken könne und auf eine entsprechende Außenwirkung mittels der beabsichtigten Einleitung eines Ermittlungsverfahrens ziele, womit gleichzeitig aber auch Straftatbestände (§§ 164, 186 StGB) verwirklicht würden. Dies gelte erst recht, wenn wie hier die Klägerin wiederholt durch unterschiedliche Personen auf die Abwegigkeit ihrer Befürchtungen hingewiesen und durch den Finanz-/Personalleiter Herrn X. zusätzlich noch zur Unterlassung aufgefordert werde. Angesichts des Fehlens jedweder konkreter Sachverhalte habe die Klägerin wissen müssen, dass mit ihrer Strafanzeige und den damit beabsichtigten Folgen (Ermittlungsverfahren) ein Sachverhalt herbeigeführt werde, dessen selbst erstmalige Hinnahme aufgrund der damit verbundenen schwerwiegenden Loyalitätsverletzung sie unter keinen Umständen hinnehmen würde. Aufgrund des mit der Handlungsweise der Klägerin entstandenen irreparablen Vertrauensverlustes sei eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter keinen Umständen mehr zumutbar. Im Rahmen der Interessenabwägung habe das Arbeitsgericht alle maßgeblichen Umstände berücksichtigt. Pandemielage und damit verbundene Folgen würden keine Kriterien darstellten, welche zugunsten der Klägerin anzuführen wären. Soweit beanstandet werde, sie sei den Vorwürfen der Klägerin nicht nachgegangen, habe es keinen Anlass zu irgendwelchen Überprüfungen gegeben, weil tatsächlich keine Überwachungsmaßnahmen stattgefunden hätten, keinerlei Einrichtung zur Überwachung vorhanden und kein anderer Beschäftigter mit einer Überwachungsaufgabe beauftragt gewesen sei. Darüber hinaus habe die Klägerin selbst keine konkreten Sachverhalte, sondern nur Mutmaßungen geäußert, welche wiederum allesamt sich einer Überprüfbarkeit entzogen hätten. Bezeichnenderweise fehle jeder Hinweis darauf, was sie konkret hätte tun sollen, um außerhalb ihrer – wiederholten – Klarstellungen die Behauptungen bzw. Vorwürfe der Klägerin auszuräumen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsprotokolle und den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung der Klägerin hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Kündigungsschutzklage abgewiesen. Die außerordentliche Kündigung vom 11. November 2020 ist gemäß § 626 BGB wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang am 12. November 2020 fristlos beendet.

I. Die außerordentliche Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht.

Als wichtiger Grund kann neben der Verletzung vertraglicher Hauptpflichten auch die schuldhafte Verletzung von Nebenpflichten „an sich“ geeignet sein, eine außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen. Zu diesen Nebenpflichten zählt insbesondere die nach § 241 Abs. 2 BGB jeder Partei des Arbeitsvertrags obliegende Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 531/14 – Rn. 43).

2. Das Arbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Klägerin mit der von ihr erstatteten Strafanzeige die ihr arbeitsvertraglich obliegende Nebenpflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt hat und darin ein wichtiger Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB für die außerordentliche Kündigung liegt.

a) Die Erstattung einer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber oder einen seiner Repräsentanten kann ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung sein, wenn der Arbeitnehmer dabei wissentlich oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat oder die Strafanzeige eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten des Arbeitgebers oder seines Repräsentanten darstellt (BAG 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16 – Rn. 14; BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 37; Schaub ArbR-HdB/Linck 19. Aufl. § 127 Rn. 67).

Allerdings stellt die Einschaltung der Staatsanwaltschaft durch einen Arbeitnehmer wegen eines vermeintlich strafbaren Verhaltens des Arbeitgebers oder seiner Repräsentanten als Wahrnehmung staatsbürgerlicher Rechte im Regelfall noch keine Pflichtverletzung dar, die eine Kündigung zu rechtfertigen vermag. Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitnehmer dabei wissentlich unwahre oder leichtfertig falsche Angaben gemacht hat. Weiterhin kann ausnahmsweise eine vertragswidrige Pflichtverletzung vorliegen, wenn trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts für das Vorliegen der nach dem Straftatbestand erforderlichen Absicht keine Anhaltspunkte bestehen und die Strafanzeige sich deshalb als leichtfertig und unangemessen erweist. Zwar sind auch die in Strafanzeigen enthaltenen Werturteile vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG erfasst. Das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 S. 1 GG ist aber nicht vorbehaltlos gewährt, sondern steht gem. Art. 5 Abs. 2 GG unter dem Schrankenvorbehalt der allgemeinen Gesetze. Das erfordert eine fallbezogene Abwägung zwischen dem Grundrecht der Meinungsfreiheit und dem vom grundrechtsbeschränkenden Gesetz – hier § 241 Abs. 2 BGB – geschützten Rechtsgut. Die Anzeige des Arbeitnehmers darf sich deshalb mit Blick auf die schutzwürdigen Interessen des Arbeitgebers nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf sein Verhalten oder das seiner Repräsentanten darstellen. Dabei können als Indizien für eine unverhältnismäßige Reaktion sowohl die Berechtigung der Anzeige als auch die Motivation des Anzeigenden oder ein fehlender innerbetrieblicher Hinweis auf die angezeigten Missstände sprechen (BAG 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16 – Rn. 14).

Eine unverhältnismäßige, die vertragliche Nebenpflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzende Reaktion kann auch dann vorliegen, wenn der Arbeitnehmer einen Strafantrag stellt, weil er sich selbst als durch eine Straftat verletzt fühlt. Das Antragsrecht nach § 77 Abs. 1 StGB lässt die Pflicht zur Rücksichtnahme gegenüber den Interessen des Arbeitgebers gemäß § 241 Abs. 2 BGB ebenso wenig generell entfallen wie das allgemeine Anzeigerecht nach § 158 StPO. Die Selbstbetroffenheit von einer – vermeintlichen – Straftat ist jedoch bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob der Strafantrag eine unangemessene Reaktion darstellt. Denn der Gesetzgeber erkennt mit dem Antragsrecht des Opfers dessen Interesse an einer Strafverfolgung als schutzwürdig an. Dennoch kann sich auch ein Strafantrag des vermeintlich Betroffenen als unverhältnismäßig erweisen. Dies kommt insbesondere dann in Betracht, wenn – trotz richtiger Darstellung des angezeigten objektiven Sachverhalts – der Vorwurf, es sei durch ein bestimmtes Verhalten ein Straftatbestand verwirklicht worden, völlig haltlos ist. In einem solchen Fall besteht für den Antragsteller objektiv kein Anlass, die staatliche Strafverfolgung zu initiieren. Die Stellung eines Strafantrags ist auch nicht lediglich mit einer Klageführung wegen zivil- oder arbeitsrechtlicher Ansprüche zu vergleichen. Sie kann zu einer weit höheren Beeinträchtigung des Ansehens des Arbeitgebers und seines Unternehmens oder seiner Repräsentanten führen. Allerdings ist eine Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme gemäß § 241 Abs. 2 BGB durch einen derart „überschießenden“ Strafantrag nur dann schuldhaft und damit dem Arbeitnehmer vorwerfbar, wenn diesem die Haltlosigkeit des Vorwurfs erkennbar war. Ist das der Fall, ist ein bloß vermeidbarer und damit verschuldeter Irrtum über die Voraussetzungen der Strafbarkeit des angezeigten Verhaltens – abhängig vom Grad des Verschuldens – im Rahmen der Interessenabwägung bei der Prüfung zu berücksichtigen, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz der Pflichtverletzung zumutbar ist (BAG 15. Dezember 2016 – 2 AZR 42/16 – Rn. 15 und 16).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat die Klägerin gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts, denen das Berufungsgericht folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG), mit der von ihr erstatteten Strafanzeige ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB erheblich verletzt. Die hiergegen gerichteten Berufungsangriffe der Klägerin sind unbegründet.

Im Streitfall hat die Klägerin am Freitag, 06. November 2020, die Polizei aufgesucht und dort die von ihr erstattete Strafanzeige wegen einer angeblich ungerechtfertigten Überwachung ihrer Person durch die Beklagte unterzeichnet. Im Berufungsverfahren hat die Klägerin gerügt, das Arbeitsgericht habe zu Unrecht ihre Behauptungen als unsubstantiiert bewertet und hätte nach Würdigung ihres Sachvortrags zu dem Ergebnis kommen müssen, dass Gründe, welche eine Strafanzeige aus ihrer Sicht rechtfertigten, durchaus gegeben seien. Sie sei zum Zeitpunkt der Erstattung der Strafanzeige davon ausgegangen, dass sie tatsächlich durch Personen sowie durch technische Hilfsmittel beobachtet werden würde. Sie bestreite mit Nichtwissen, dass sie niemals überwacht bzw. dass gegen sie keine von ihr behauptete Überwachungssoftware eingesetzt worden sei.

Zwar trägt die Beklagte die primäre Darlegungs- und Beweislast dafür, dass die Klägerin bei Erstattung ihrer Strafanzeige zumindest leichtfertig falsche Angaben gemacht oder jedenfalls der Vorwurf, es sei durch ein bestimmtes Verhalten ein Straftatbestand verwirklicht worden, mangels hierfür bestehender Anhaltspunkte völlig haltlos ist. Die Beweislast verschiebt sich nicht deshalb, weil es um den Beweis einer negativen Tatsache geht. Allerdings ist den Schwierigkeiten, denen sich die Partei gegenüber sieht, die das Negativum (das Nichtvorliegen einer Tatsache) beweisen muss, im Rahmen des Zumutbaren regelmäßig dadurch zu begegnen, dass sich der Prozessgegner auf die bloße Behauptung des Negativen durch den primär Darlegungs- und Beweispflichtigen seinerseits nicht mit einem einfachen Bestreiten begnügen darf, sondern im Rahmen einer sekundären Darlegungslast vortragen muss, welche tatsächlichen Umstände für das Vorliegen des Positiven sprechen. Dem Beweispflichtigen obliegt sodann (nur) der Nachweis, dass diese Darstellung nicht zutrifft (BAG 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 31).

Das Arbeitsgericht hat den Vortrag der Klägerin in Bezug auf den erhobenen Vorwurf einer zielgerichteten Überwachung ihrer Person durch die Beklagte bzw. den Einsatz einer entsprechenden Überwachungssoftware zu Recht als unsubstantiiert bewertet. Die Klägerin ist der sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht in ausreichendem Maß nachgekommen.

Bei der sekundären Darlegungslast der Partei, die eine negative Tatsache bestreitet, handelt es sich um eine eigenständige prozessuale Rechtsfigur. Dem Prozessgegner ist es schlechterdings nur erlaubt, das Vorliegen einer negativen Tatsache zu bestreiten, wenn er aus eigener Kenntnis oder aufgrund von Nachforschungen das von ihm behauptete Geschehen in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht substantiiert darlegen kann. Ist er dazu nicht in der Lage, trifft ihn die gleiche prozessuale Folge, die sonst einen Anspruchsteller trifft, der nicht alle Tatbestandsmerkmale einer einschlägigen Anspruchsgrundlage dartun kann: Zu seinem Nachteil ist davon auszugehen, dass die im Rahmen der sekundären Darlegungslast zu schildernde (positive) Tatsache nicht vorliegt (BAG 16. Dezember 2021 – 2 AZR 356/21 – Rn. 33).

Im Streitfall hat die Klägerin hinreichende Anhaltspunkte für den von ihr erhobenen Vorwurf, sie werde von der Beklagten unerlaubt überwacht bzw. es werde eine entsprechende Überwachungssoftware gegen sie eingesetzt, nicht in räumlicher, zeitlicher und inhaltlicher Hinsicht und damit nicht ausreichend i.S.v. § 138 Abs. 2 und 3 ZPO substantiiert. Der diesbezügliche Vortrag der Klägerin, soweit er überhaupt nachvollziehbar ist, lässt jedenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte für eine gezielte Überwachung durch hierfür eigens eingesetzte Mitarbeiter der Beklagten oder durch Einsatz einer Überwachungssoftware erkennen. Soweit die Klägerin in ihrem Schriftsatz vom 10. Februar 2021 unter der Überschrift „Wie ich darauf komme, dass mein Arbeitgeber mich hat beobachten lassen“ verschiedene Vorfälle im privaten Bereich geschildert hat, ist in keiner Weise nachvollziehbar, weshalb dies von Seiten der Beklagten veranlasst worden sein sollte. So hat die Klägerin angeführt, dass zwei Männer beim Verlassen des Fitnessstudios von ihr Fotos gemacht hätten, jemand ein Selfie in der Straßenbahn mit ihr im Hintergrund gemacht habe, jemand sie bei ihrer Rückkehr vom Einkaufen fotografiert habe, ein Mann ihr auf dem Weg zur Rheingalerie gefolgt sei bzw. vor der Vodafone-Filiale zufällig gewartet habe und jemand im Hausflur hinter der Tür gewartet habe, bis sie das Haus betrete. Weshalb diese Vorfälle auf eine von Seiten der Beklagten veranlasste Überwachung ihrer Person schließen lassen sollen, ist nicht einmal ansatzweise nachvollziehbar. Die weiteren Beanstandungen der Klägerin, dass sie nicht kurzfristig Urlaub erhalte, nicht im Homeoffice arbeiten dürfe, negative Äußerungen über sie bzw. ihre Arbeitsleistung gemacht würden, ihr zu Unrecht keine bzw. zu wenig Arbeit zugewiesen werde u.s.w. lassen ebenso wie der von ihr befürchtete Ausspruch einer Kündigung jedenfalls weder auf eine unerlaubte Überwachung noch auf den Einsatz einer Überwachungssoftware schließen. Gleiches gilt für die angeführte Veränderung der SAP-Favoriten-Einstellungen in der Nacht vom 23. auf den 24. Juni 2020, die ebenfalls nicht erkennen lässt, wieso dies auf den Einsatz einer Überwachungssoftware schließen lassen soll. Unabhängig davon ist in keiner Weise nachvollziehbar, durch welches bestimmte Verhalten welcher Personen, das der Beklagten aus welchen Gründen zuzurechnen sein soll, welcher Straftatbestand verwirklicht worden sein soll. Soweit die Klägerin angeführt hat, dass „etwaige Straftaten seit längerem und wiederholt begangen“ würden, bleibt vollkommen unklar, welche Straftaten damit gemeint sein sollen.

Die Klägerin ist mithin der ihr obliegenden sekundären Darlegungslast nicht in ausreichendem Maß nachgekommen, so dass das Vorbringen der Beklagten, sie habe die Klägerin zu keiner Zeit überwachen lassen und dementsprechend auch keine Überwachungssoftware eingesetzt, nach § 138 Abs. 2 und 3 ZPO als zugestanden gilt. Im Hinblick darauf, dass für die Annahme der Klägerin, sie werde tatsächlich durch die Beklagte bzw. deren Mitarbeiter sowie durch technische Hilfsmittel gezielt beobachtet bzw. überwacht, keine Anhaltspunkte bestehen, erweist sich die deswegen erstattete Strafanzeige als leichtfertig und unangemessen. Der Vorwurf, es sei durch das angezeigte Verhalten ein Straftatbestand verwirklicht worden, erscheint als völlig haltlos. Für die Klägerin bestand objektiv kein Anlass, die staatliche Strafverfolgung zu initiieren. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist die Erstattung einer Strafanzeige jedenfalls keine verhältnismäßige Reaktion auf die von der Klägerin angeführten arbeitsrechtlichen Konflikte.

Die Verletzung der Pflicht zur Rücksichtnahme durch den unverhältnismäßigen Strafantrag ist auch als schuldhaft und damit der Klägerin vorwerfbar zu bewerten, weil für sie die Haltlosigkeit des Vorwurfs ohne weiteres erkennbar war. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin aufgrund wiederholt geäußerter Kritik an ihrer Arbeitsleistung und der nach ihrer Wahrnehmung unterbliebenen Zuweisung angemessener Arbeit sowie sonstiger von ihr geschilderter Konfliktsituationen befürchten musste, dass ihr Arbeitsverhältnis von Seiten der Beklagten gekündigt wird, ändert dies nichts daran, dass sie jedenfalls hätte erkennen müssen, dass der von ihr aufgrund einer bloßen Mutmaßung ohne tatsächliche Anhaltspunkte erhobene Vorwurf, die Beklagte bzw. ihre Repräsentanten hätten durch die gezielte Überwachung ihrer Person und den Einsatz einer Überwachungssoftware einen Straftatbestand verwirklicht, völlig haltlos ist. Das Arbeitsgericht hat mithin zutreffend angenommen, dass die Klägerin mit der Stellung des Strafantrags ihre Pflicht zur Rücksichtnahme auf die Interessen der Beklagten gemäß § 241 Abs. 2 BGB schuldhaft verletzt hat.

3. Die außerordentliche Kündigung ist auch nach der vorzunehmenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls – ohne vorherige Abmahnung – gerechtfertigt.

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind – neben der hier ausgeschlossenen ordentlichen Kündigung – auch Abmahnung und Versetzung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung künftiger Störungen – zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 40 und 41).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen war es der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls angesichts der Schwere der Pflichtverletzung und des durch sie bedingten Vertrauensverlusts objektiv nicht zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist von zwei Monaten zum Monatsende (§ 11 Ziff. 1 des Arbeitsvertrags) weiterzubeschäftigen. Eine Abmahnung war im Streitfall entbehrlich.

Der Klägerin wurde von ihrem Vorgesetzten mehrfach erklärt, dass ihre Befürchtungen unbegründet seien. Zuletzt wurde die Klägerin am 29. Oktober 2020 auf die erneute Ansprache, sie fühle sich weiterhin überwacht, vom Finanzleiter Herrn X. unter Zurückweisung ihrer Mutmaßung ausdrücklich aufgefordert, solche Vorwürfe künftig zu unterlassen, insbesondere auch nicht gegenüber Dritten zu erheben. Gleichwohl hat die Klägerin am 06. November 2020 anlässlich ihres Termins bei der Polizei eine Strafanzeige gegen die Beklagte unterzeichnet. Sie hat damit strafrechtliche Ermittlungen gegen die Beklagte bzw. ihre Repräsentanten in Gang gesetzt, obwohl es dafür gemäß den obigen Ausführungen erkennbar keinen Anlass gegeben hat. Die Klägerin hat entgegen der ausdrücklichen Aufforderung von Seiten der Beklagten, ihre haltlosen Vorwürfe zu unterlassen und insbesondere nicht gegenüber Dritten zu erheben, ohne Rücksicht auf die Belange der Beklagten ihr eigenes Interesse an einer Aufnahme strafrechtlicher Ermittlungen gegen Repräsentanten der Beklagten verfolgt, das aufgrund der erkennbaren Haltlosigkeit des Vorwurfs nicht schutzwürdig ist. Die der Klägerin vorzuwerfende Verletzung der Rücksichtnahmepflicht ist nach den Umständen des vorliegenden Falls als derart schwerwiegend zu bewerten, dass selbst deren erstmalige Hinnahme durch die Beklagte offensichtlich – auch für die Klägerin erkennbar – ausgeschlossen war. Das rücksichtslose Vorgehen der Klägerin ist auch ohne Abmahnung geeignet, das Vertrauen der Beklagten in eine ordnungsgemäße Vertragserfüllung in Form der gebotenen Rücksichtnahme auf ihre Interessen auf Dauer zu beeinträchtigen. Eine Abmahnung war danach entbehrlich. Allein der Umstand, dass die Klägerin eine Kündigung ihres Arbeitsverhältnisses befürchtet hat, begründet kein schutzwürdiges Interesse an der Erstattung einer Strafanzeige. Die Klägerin hat mit ihrer Strafanzeige die Gefahr einer Beeinträchtigung des Ansehens ihres Arbeitgebers durch die Einleitung strafrechtlicher Ermittlungen in Kauf genommen. Aufgrund der Strafanzeige der Klägerin hat die Polizei gegen die Beklagte ermittelt und hierzu am 06. November 2020 Herrn X. angerufen und dann auch die von der Klägerin als Zeugin benannte ehemalige Mitarbeiterin, Frau K., zu den Anschuldigungen der Klägerin befragt. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Klägerin keine Schädigungsabsicht hatte, ist von ihr jedenfalls die Gefahr einer negativen Publizität infolge ihres Strafantrags in Kauf genommen worden. Soweit die Klägerin angeführt hat, dass sie von Seiten ihrer Vorgesetzten jedes Mal lediglich zur Unterlassung ihrer Vorwürfe aufgefordert worden sei, ohne dass eine Sachverhaltsaufklärung stattgefunden habe, hat die Beklagte zu Recht darauf verwiesen, dass ihr mangels jeglicher Anhaltspunkte für die Mutmaßungen der Klägerin nur die Versicherung geblieben ist, dass keine Überwachung stattfinde. Auch unter Berücksichtigung der – verhältnismäßig kurzen – Dauer des Arbeitsverhältnisses seit 01. März 2019, dessen Verlauf als im Übrigen unbeanstandet zugunsten der Klägerin unterstellt werden kann, erscheint es der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht als zumutbar, die Klägerin auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Selbst wenn man berücksichtigt, dass die angeführte Pandemielage die Arbeitssuche auch bei der zum Zeitpunkt der Kündigung 32-jährigen Klägerin erschweren mag, führt dies jedenfalls nicht dazu, dass die Interessenabwägung zugunsten der Klägerin ausfällt. Unter Berücksichtigung der dargestellten Umstände überwiegt vielmehr das Interesse der Beklagten an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses das Interesse der Klägerin an dessen Fortbestand.

II. Die 2-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist gewahrt, nachdem die Beklagte am 06. November 2020 von der erstatteten Strafanzeige Kenntnis erlangt und die Kündigung der Klägerin am 12. November 2020 zugegangen ist.

III. Nach der im Termin vom 11. Mai 2022 abgegebenen Erklärung der Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist die in der Klageschrift erhobene Rüge, dass vor Ausspruch der Kündigung eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrates nicht erfolgt sei, nicht weiter aufrechterhalten worden.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

 

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