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Fristlose Kündigung wegen grober Kollegenbeleidigung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 2 Sa 140/20 – Urteil vom 09.06.2021

I. Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – Auswärtige Kammern Pirmasens – vom 13. Februar 2020 – 6 Ca 419/19 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der 1971 geborene, ledige und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit dem 1. September 1997 bei der Beklagten als Industriemechaniker beschäftigt.

Fristlose Arbeitnehmerkündigung wegen grober Kollegenbeleidigung
(Symbolfoto: Chatchai.wa/Shutterstock.com)

Mit Schreiben vom 2. Oktober 2019 (Bl. 5 d. A.), dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Mai 2020. Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 11. Oktober 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage. Mit Schreiben vom 10. Oktober 2019 (Bl. 17 d. A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis des Klägers erneut ordentlich zum 31. Mai 2020. Diese Kündigung hat der Kläger mit seiner am 18. Oktober 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klageerweiterung ebenfalls angegriffen.

Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – auswärtige Kammern Pirmasens – vom 13. Februar 2020 – 6 Ca 419/19 – Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die außerordentliche Kündigung noch die hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten vom 02.10.2019 beendet wird,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1) die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Industriemechaniker weiter zu beschäftigen,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 10.10.2019 nicht beendet werden wird, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugen J. K., S. T., N. G., L. R., S. und L. M.. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll des Arbeitsgerichts vom 13. Februar 2020 verwiesen.

Mit Urteil vom 13. Februar 2020 – 6 Ca 419/19 – hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass das Arbeitsverhältnis durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 2. Oktober 2019 wirksam beendet worden sei. Die Voraussetzungen des § 626 Abs. 1 BGB seien vorliegend erfüllt. Der Kläger habe sich am 25. September 2019 einer groben Beleidigung der Personalmanagerin, Frau K., zuschulden kommen lassen, die an sich zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung geeignet sei. Die Beweisaufnahme habe eindeutig ergeben, dass der Kläger Frau K. als „dumme Fotze“ bezeichnet habe, als er das Personalbüro verlassen habe. Die Äußerung sei nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowohl von Frau K. zu vernehmen gewesen wie auch von den Zeuginnen, die sich vor dem Büro im Großraum befunden hätten. Lediglich der Zeuge S. habe erklärt, er habe eine solche Äußerung nicht gehört. Insbesondere seien die Zeuginnen glaubwürdig gewesen. Alle hätten übereinstimmend erklärt, die Äußerung deutlich gehört zu haben. Dass Herr S. die Äußerung nicht gehört haben wolle, könne damit zusammenhängen, dass er zum einen vom Verlauf des Gespräches geschockt gewesen sei und zum anderen direkt an der Tür gesessen habe und durch das heftige Aufreißen der Tür abgelenkt gewesen sein könne. Dies ändere jedoch nichts daran, dass zur Überzeugung des Gerichts feststehe, dass der Kläger die Äußerung getätigt habe. Dies stelle eine grobe Beleidigung dar, weil sie insbesondere die Autorität der Personalverantwortlichen untergrabe und sie für dumm halte. Die fristlose Kündigung sei auch bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gerechtfertigt. Einer vorherigen Abmahnung habe es angesichts der Schwere der Pflichtverletzung des Klägers nicht bedurft, weil deren Hinnahme nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen gewesen sei. Kein Arbeitnehmer könne erwarten, sein Arbeitgeber werde grobe Beleidigungen wie „dumme Fotze“ dulden und eine Herabsetzung der Vertreter des Arbeitgebers im Betrieb hinnehmen. Der Kläger habe mit seiner beleidigenden Äußerung zu erkennen gegeben, dass er Auseinandersetzungen nicht sachlich und in zivilisierter Art und Weise begegne. Das am 25. September 2019 geführte Personalgespräch habe ruhig und sachlich begonnen, was sowohl von der Zeugin K. als auch von dem Betriebsratsmitglied S. bestätigt worden sei. Im Rahmen dieses Personalgesprächs sei der Kläger gefragt worden, warum er nicht an dem ihm zugewiesenen Arbeitsplatz erschienen sei. Der Kläger habe dies damit erklärt, dass er nicht regelmäßig in den Briefkasten sehe. Das zweite Thema des Gesprächs sei gewesen, dass der Kläger Rohre falsch bearbeitet habe. Insoweit habe der Kläger erklärt, er habe eben einen Fehler gemacht. Nachdem der Fachvorgesetzte Herr Z. erklärt habe, er könne sich nicht erklären, wie ein solcher Fehler einem Facharbeiter passiere, sei das Gespräch eskaliert, das mit der Beleidigung der Frau K. geendet habe. Bei einer solchen groben Beleidigung habe der Kläger nicht davon ausgehen können, dass ein Arbeitgeber dies hinnehmen würde. Zu Gunsten des Klägers spreche zwar die sehr lange Betriebszugehörigkeit von 22 Jahren, sein fortgeschrittenes Alter und die Unterhaltsverpflichtungen gegenüber zwei Kindern. Besonders schwer wiege jedoch, dass der Kläger sich bis zum Verhandlungstermin bei Frau K. nicht entschuldigt habe. Auch wenn er dies zweimal versucht haben wolle, hätte er andere Möglichkeiten suchen können, um sich bei Frau K. zu entschuldigen. Insbesondere habe das Gericht im Verhandlungstermin vom 13. Februar 2020 nochmals ausdrücklich gefragt, ob zwischenzeitlich eine Entschuldigung erfolgt und ob eine solche möglich sei, um ggf. eine vergleichsweise Regelung zu erzielen. Auch hierauf habe der Kläger nicht reagiert, um eine entsprechende Entschuldigung auszusprechen. Besonders erschwerend komme hinzu, dass der Kläger seine verbale Entgleisung nicht eingestanden und diese als einmalige Entgleisung zugegeben, sondern vielmehr abgestritten habe, eine derartige Äußerung getätigt zu haben. Vielmehr habe er das Personalgespräch so darzustellen versucht, dass er zu dieser Äußerung provoziert worden sei. Frau K. solle ihn angeschrien und mit unsachlichen Vorwürfen attackiert haben. Die Beweisaufnahme habe jedoch gerade das Gegenteil ergeben. Auch der Zeuge S. habe bestätigt, dass der Kläger sehr laut und aggressiv geworden sei, nachdem sein Fachvorgesetzter Unverständnis bezüglich der Fehler geäußert habe. Insoweit komme der Aussage des Betriebsratsmitglieds S. besondere Bedeutung zu, weil dieser offensichtlich im Rahmen des Personalgesprächs zu jeder Zeit versucht habe, die Wogen zu glätten und den Kläger zu beruhigen. Dieser habe auch den Kläger aufgefordert, ruhig zu sein und sich hinzusetzen. Dem sei der Kläger nicht nachgekommen. Der Kläger habe nicht nur abgestritten, dass er Frau K. beleidigt habe, vielmehr habe er Frau K. auch noch die Schuld für die Zuspitzung des Gesprächs geben wollen. Insoweit habe er keine Reue gezeigt, vielmehr sei er der Auffassung, dass die anderen schuld seien. Aufgrund dieser Umstände sei das Vertrauensverhältnis für einen verständigen Arbeitgeber derart gestört, dass eine weitere Zusammenarbeit unzumutbar sei, was insbesondere auch für die Einhaltung einer ordentlichen Kündigungsfrist gelte. Die Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei vorliegend gewahrt. Auch sei der Betriebsrat ordnungsgemäß zu der außerordentlichen Kündigung vom 2. Oktober 2019 gemäß § 102 BetrVG angehört worden. Mit Schreiben vom 27. September 2019, dem Betriebsrat am gleichen Tag zugegangen, seien dem Betriebsrat neben den persönlichen Daten des Klägers die genauen Gründe für die außerordentliche Kündigung dargelegt worden. Der Betriebsrat habe sich zu den Kündigungsgründen nicht geäußert und die Frist gemäß § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG verstreichen lassen. Die Kündigung sei sodann am 2. Oktober 2019 ausgesprochen worden und damit wirksam. Folglich sei weder auf die ordentliche Kündigung noch auf den Weiterbeschäftigungsantrag einzugehen. Wegen der weiteren Ausführungen des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

Gegen das ihm am 25. April 2020 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 29. April 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 30. April 2020 eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 27. Juli 2020 mit Schriftsatz vom 29. Juni 2020, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 1. Juli 2020 eingegangen, begründet.

Er trägt vor, seiner Auffassung nach habe das Arbeitsgericht die Interessenabwägung in unzutreffender Weise vorgenommen. Unter anderem komme es auf die konkreten Umstände an, die zu der Beleidigung geführt hätten. Eine unüberlegte Äußerung in einem hitzigen Wortwechsel sei milder zu beurteilen als eine wohlüberlegte schriftliche „Abrechnung“. Er habe sich anlässlich des Personalgesprächs von der stellvertretenden Personalleiterin jedenfalls subjektiv in erheblicher Weise in die Enge gedrängt gefühlt. Aus seiner Sicht sei er durch die aufgeführten Vorwürfe in ungerechtfertigtem Maße sozusagen „demontiert“ worden. Völlig unverständlich sei für ihn die sinngemäße Äußerung gewesen, man wisse gar nicht, wo man ihn noch einsetzen solle. Aufgrund seiner mehr als zwei Jahrzehnte dauernden unbeanstandeten Betriebszugehörigkeit habe er sich ins Mark getroffen gefühlt und darüber hinaus gefürchtet, möglicherweise seinen Arbeitsplatz zu verlieren. Ohnehin habe das Gespräch für ihn, der mit weit über ihm stehenden Vorgesetzten, insbesondere mit der Personalabteilung im Grunde keinerlei Berührung gehabt habe, eine Ausnahmesituation dargestellt. Naturgemäß sei die Aufforderung, zu einem Personalgespräch zu erscheinen, in einem solch großen Betrieb für einen „normalen“ Arbeitnehmer schon üblicherweise mit einer hohen Nervenanspannung verbunden. Der damit einhergehende objektive Druck und der dargestellte, zumindest subjektiv empfundene Druck durch die Vorwürfe hätten bei ihm eine psychische Situation erzeugt, in der er zweifellos anders reagiert habe, als er es im Normalfall getan hätte. Belegt werde dies dadurch, dass in mehr als 22 Jahren der Betriebszugehörigkeit kein einziger Vorfall zu notieren gewesen sei, der auch nur zu einer Abmahnung geführt habe. Die ihm zur Last gelegt Äußerung stelle ohne Frage eine erhebliche Ehrverletzung dar. Er wolle dies nicht in Abrede stellen, wenngleich er sich nicht konkret an bestimmte Ausdrucksweisen oder Ausdrücke erinnere. Er wisse natürlich, dass er sehr aufgebracht und sein Verhalten insgesamt deshalb der Situation unangemessen gewesen sei. Gleichwohl hätte er eine Äußerung wie die hier gegenständliche ohne seine besondere psychische Situation zu keinem Zeitpunkt abgegeben. Dementsprechend stelle die Äußerung zweifellos ein nicht ernst gemeintes Augenblicksversagen dar. Hätte er die Äußerung mit der Zielrichtung einer direkten Beleidigung der stellvertretenden Personalleiterin machen wollen, hätte er dies in deren Büro von Angesicht zu Angesicht tun können. Sie sei jedoch als reine Frustäußerung gefallen, als er das Büro der stellvertretenden Personalleiterin bereits verlassen habe. Über den Umstand, dass noch dritte Personen seine Frustäußerungen akustisch hätten wahrnehmen können, habe er sich augenscheinlich keine Gedanken gemacht. Weiterhin sei zu berücksichtigen, dass sein Arbeitsverhältnis seit mehr als 22 Jahren unbeanstandet geblieben sei. Augenscheinlich sei man mit ihm als Mitarbeiter in jeder Weise zufrieden gewesen. Damit dürfe er in hinreichender Weise bewiesen habe, dass das diesem Verfahren zugrunde liegende Verhalten ihm keineswegs wesensimmanent sei. Er habe unbestritten vorgetragen, dass er zweimal versucht habe, sich für sein Verhalten zu entschuldigen. Beim ersten Versuch sei die Bitte nach Vereinbarung eines kurzen Gesprächstermins daran gescheitert, dass die stellvertretende Personalleiterin zu diesem Zeitpunkt nicht im Hause gewesen sei. Der zweite Versuch habe erfolgen sollen, als er zum Gespräch mit dem Personalleiter zitiert worden sei. Er habe unmittelbar bei Erscheinen in dessen Büro zu einer angemessenen Entschuldigung ansetzen wollen. Noch bevor er den Satz zu Ende habe sprechen können, habe ihm der Personalleiter das Wort sinngemäß mit der Bemerkung „Sie haben jetzt Pause, jetzt rede ich“ abgeschnitten. Das ausgesprochen kurze Gespräch habe damit geendet, dass der Personalleiter ihn förmlich aus dem Büro geworfen und des Hauses verwiesen habe. Gleichzeitig sei der Einsatz des Sicherheitsdienstes angedroht worden, falls er der Aufforderung zum Verlassen des Geländes nicht umgehend nachkommen sollte. Zuzugeben sei, dass er danach keinen weiteren Entschuldigungsversuch unternommen habe. Nach der sogleich erfolgten außerordentlichen Kündigung habe er sich bildlich vor dem Scherbenhaufen seiner beruflichen Existenz gesehen, weshalb eine weitere Entschuldigung im Nachhinein für ihn weitestgehend sinnlos erschienen sei. Weiterhin müsse auch seine familiäre Situation in die Interessenabwägung einfließen. Er habe gemeinsam mit seiner Lebensgefährtin noch namhafte Verbindlichkeiten für das gemeinsame Wohnhaus zu erfüllen. Ferner sei er zwei minderjährigen Kindern aus einer vorangegangenen Beziehung zum Unterhalt verpflichtet, die bei ihm und von ihm leben würden. Letztlich sei er mit seinem Alter von fast 49 Jahren auf dem Arbeitsmarkt so gut wie chancenlos. Aufgrund seines beanstandungsfreien beruflichen Vorlebens müsse unterstellt werden, dass eine eindeutige Abmahnung ausgereicht hätte, ihm sein Verhalten vor Augen zu führen und jedwede Wiederholung zu vermeiden. Im Übrigen habe auch die Möglichkeit einer „Strafversetzung“ auf einen Arbeitsplatz im anderen Werk bestanden. Im Hinblick darauf, dass die Beklagte insgesamt rund 1600 Mitarbeiter beschäftige, die sich wohl auch untereinander größtenteils nicht kennen würden, wäre es seiner Auffassung nach möglich gewesen, unter beiderseitiger Gesichtswahrung eine Abmahnung auszusprechen und ihn auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern – auswärtige Kammern Pirmasens – vom 13. Februar 2020 – 6 Ca 419/19 – abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 2. Oktober 2019 und 10. Oktober 2019 nicht beendet worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, die ausschließlich auf die vom Arbeitsgericht vorgenommene Interessenabwägung beschränkten Berufungsangriffe seien unbegründet. Entgegen den Ausführungen des Klägers sei dieser von Frau K. nicht bzw. nicht in erheblicher Weise in die Enge gedrängt, geschweige denn demontiert worden. Alle am Gespräch beteiligten Zeugen hätten den Gesprächsverlauf derart geschildert, dass Frau K. dem Kläger in ruhigem Ton die Gründe für das betreffende Personalgespräch dargestellt habe. Zudem habe auch der direkte Fachvorgesetzte des Klägers, Herr Z., in normalem Ton sein Unverständnis geäußert, dass der Kläger die besagten Fehler begangen habe, obwohl er seit 1997 beschäftigt sei und als Facharbeiter die Arbeitsabläufe kennen müsse. Herr Z. habe ausdrücklich ausgesagt, dass bis dahin das Gespräch ganz normal verlaufen sei und – ohne weiteren Anlass – dem Kläger „die Hutschnur geplatzt“ und dieser lautstark geworden sei. Frau K. habe dann eingegriffen und erklärt, der Kläger solle sich beruhigen, woraufhin dieser sich noch mehr aufgeregt und ihr entgegnet habe, dass er ihr gar nichts zu sagen habe, und einfach aufgestanden sei, ohne dass seitens Frau K. das Personalgespräch als beendet erklärt worden sei. In der Folge habe der Kläger dann beim Verlassen des Büros von Frau K. an der Bürotür die streitgegenständliche massive Beleidigung ausgesprochen. In Bezug auf die kündigungsauslösende Beleidigung sei nochmals zu betonen, dass diese gegenüber der Vorgesetzten und im Beisein mehrerer Zeugen ausgesprochen worden sei, was deren Gewicht und Folgen noch verstärkt habe. Erst jetzt in der Berufungsinstanz habe der Kläger gerade im Hinblick auf die Zeugenaussagen notgedrungen die Beleidigung zugegeben. Obwohl der Kläger diverse Möglichkeiten gehabt habe, sich für seine Beleidigung, insbesondere bei Frau K., zu entschuldigen, habe er dies unstreitig – bis zum heutigen Tag – nicht getan. Im Gegenteil habe er erstinstanzlich die Situation derart beschrieben, dass Frau K. aufgrund der unzutreffenden Äußerungen im Gespräch bzw. deren Verhalten für seine Verhaltensweise verantwortlich gewesen sei, und habe sich mithin selbst als Opfer dargestellt. Selbst wenn der Kläger einen Tag nach dem Gespräch versucht haben sollte, einen Termin bei Frau K. zu bekommen, um sich bei dieser zu entschuldigen, habe er unstreitig insoweit keine weiteren Bemühungen unternommen. In keiner Weise sei nachvollziehbar, wieso der Kläger auch nach dem Personalgespräch und der angekündigten Kündigung nicht doch noch versucht habe, sich bei ihr bzw. Frau K. zu entschuldigen. Aufgrund der Schwere der Beleidigung des Klägers und der unstreitig nicht erfolgten Entschuldigung sei sie nicht verpflichtet gewesen, ein milderes Mittel zu ergreifen. Insbesondere sei eine vorhergehende Abmahnung auch wegen des strafrechtlich relevanten Fehlverhaltens des Klägers nicht notwendig gewesen, zumal ihm hätte klar sein müssen, dass die Hinnahme seiner Beleidigung für sie ausgeschlossen sei. Sie sei auch nicht gehalten, den Kläger auf einen anderen Arbeitsplatz zu versetzen, weil es sich vorliegend nicht um eine Auseinandersetzung zwischen dem Kläger und einem Kollegen gehandelt habe, sondern um eine massive Beleidigung der stellvertretenden Personalleiterin. Daher hätte auch eine Versetzung nicht zu einer Konfliktlösung beigetragen.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung des Klägers hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht die Klage abgewiesen. Die zulässige Kündigungsschutzklage ist unbegründet. Die außerordentliche Kündigung vom 2. Oktober 2019 ist wirksam und hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mit ihrem Zugang am gleichen Tag fristlos beendet.

I. Die außerordentliche Kündigung ist gemäß § 626 Abs. 1 BGB gerechtfertigt.

1. Nach § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht. Einen in diesem Sinne die fristlose Kündigung „an sich“ rechtfertigenden Grund stellen u.a. grobe Beleidigungen des Arbeitgebers oder seiner Vertreter und Repräsentanten oder von Arbeitskollegen dar, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 20-22, juris).

2. Ausgehend von diesen Grundsätzen ist die grobe Beleidigung der stellvertretenden Personalleiterin der Beklagten, Frau K., durch die vom Kläger am 25. September 2019 getätigte Äußerung „an sich“ geeignet, die außerordentliche Kündigung zu rechtfertigen.

Das Arbeitsgericht hat nach dem Ergebnis der von ihm durchgeführten Beweisaufnahme zutreffend festgestellt, dass der Kläger Frau K. als „dumme Fotze“ bezeichnet hat, als er das Personalbüro verließ. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Feststellungen des Arbeitsgerichts begründen, sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Vielmehr hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung selbst eingeräumt, dass die ihm zur Last gelegte Äußerung ohne Frage eine erhebliche Ehrverletzung darstelle und ausgeführt, dass er dies nicht in Abrede stellen wolle. Die vom Kläger am 25. September 2019 getätigte Äußerung hat das Arbeitsgericht zutreffend als grobe Beleidigung der stellvertretenden Personalleiterin bewertet, die „an sich“ zur Rechtfertigung der außerordentlichen Kündigung geeignet ist.

3. Die außerordentliche Kündigung ist auch nach der vorzunehmenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls – ohne vorherige Abmahnung – gerechtfertigt. Das Berufungsgericht folgt der vom Arbeitsgericht zutreffend vorgenommenen Interessenabwägung und stellt dies hiermit ausdrücklich gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG fest.

a) Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Mittel gegenüber der außerordentlichen Kündigung sind neben der ordentlichen Kündigung auch Abmahnung und Versetzung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung künftiger Störungen – zu erreichen. Einer Abmahnung bedarf es demnach nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 27. September 2012 – 2 AZR 646/11 – Rn. 40 und 41, juris).

b) Ausgehend von diesen Grundsätzen ist im Streitfall zu Gunsten des Klägers neben seinem Lebensalter von fast 48 Jahren im Zeitpunkt des Kündigungszugangs und seinen Unterhaltspflichten gegenüber zwei Kindern insbesondere die lange störungsfreie Dauer des Arbeitsverhältnisses von 22 Jahren zu berücksichtigen. Zu seinen Lasten fällt jedoch Art und Schwere der ihm vorzuwerfenden Pflichtverletzung ins Gewicht. Der Kläger hat die stellvertretende Personalleiterin mit der Bezeichnung als „dumme Fotze“ nach dem Personalgespräch vom 25. September 2019 schwerwiegend beleidigt und damit auch ihre Autorität als Personalverantwortliche untergraben, zumal auch andere Mitarbeiterinnen nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die beleidigende Äußerung mitbekommen haben. Wie das Arbeitsgericht zutreffend angenommen hat, handelt es sich um eine so schwere Pflichtverletzung, dass selbst deren erstmalige Hinnahme der Beklagten nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Kläger erkennbar – ausgeschlossen war. Eine Abmahnung war demnach entbehrlich. Entgegen den Ausführungen des Klägers lässt die Gesprächssituation und sein psychischer Zustand die Pflichtverletzung nicht in einem milderen Licht erscheinen. Soweit er angeführt hat, dass das Gespräch für ihn, der mit „weit über ihm stehenden Vorgesetzten, insbesondere mit der Personalabteilung“ im Grunde keinerlei Berührung gehabt habe, eine Ausnahmesituation dargestellt habe, hätte er sich gerade in einer solchen Gesprächssituation mit der gebotenen Zurückhaltung verhalten müssen. Soweit der Kläger erstinstanzlich versucht hat, das Personalgespräch so darzustellen, als wenn er zu dieser Äußerung provoziert worden sei, hat das Arbeitsgericht zutreffend festgestellt, dass die Beweisaufnahme gerade das Gegenteil ergeben habe. Danach war das Gespräch zunächst ruhig und sachlich verlaufen. Auf die ihm vorgeworfenen Fehler hat der Kläger dann laut und aggressiv reagiert. Das anwesende Betriebsratsmitglied, der Zeuge S., hat im Rahmen des Personalgesprächs noch versucht, die Wogen zu glätten und den Kläger zu beruhigen. Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme die Eskalation auf das Verhalten des Klägers zurückzuführen, der sich nicht sachlich mit der Kritik der Beklagten auseinandersetzte. Entgegen der Darstellung des Klägers stellt die Äußerung auch nicht lediglich „ein nicht ernst gemeintes Augenblicksversagen“ dar. Vielmehr hat der Kläger mit seinem aggressiven Verhalten gegenüber Frau K., das schließlich in der von ihm geäußerten schwerwiegenden Beleidigung gipfelte, zum Ausdruck gebracht, dass er sich von ihr ungeachtet ihrer Stellung als stellvertretende Personalleiterin nichts sagen lässt, und damit ihre Autorität gezielt untergraben. Soweit er angeführt hat, dass er zweimal versucht habe, sich für sein Verhalten zu entschuldigen, ändert dies nichts daran, dass er dies tatsächlich dann nicht getan hat, obwohl hierfür bei entsprechendem Willen ohne Weiteres auch eine Gelegenheit hätte gefunden werden können. Vielmehr hat er selbst eingeräumt, dass er keinen weiteren Entschuldigungsversuch mehr unternommen habe. Auch unter Berücksichtigung seiner langjährigen Betriebszugehörigkeit, seinen Unterhaltspflichten und seinem Lebensalter erscheint es der Beklagten bei Abwägung der beiderseitigen Interessen nicht als zumutbar, den Kläger auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist weiter zu beschäftigen. Auch eine Versetzung auf einen anderen Arbeitsplatz ist der Beklagten aufgrund der schwerwiegenden Beleidigung ihrer stellvertretenden Personalleiterin nicht zuzumuten, zumal es sich hier nicht um eine Auseinandersetzung unter Arbeitskollegen am Arbeitsplatz, sondern um eine massive Beleidigung gegenüber der stellvertretenden Personalleiterin handelt. Die ausgesprochene außerordentliche Kündigung ist mithin auch nach der vorzunehmenden Interessenabwägung unter Berücksichtigung aller Umstände des vorliegenden Falls gerechtfertigt.

4. Die Beklagte hat die außerordentliche Kündigung vom 2. Oktober 2019, die dem Kläger am gleichen Tag zugegangen ist, innerhalb der Zweiwochenfrist des § 626 Abs. 2 BGB nach dem Vorfall vom 25. September 2019 ausgesprochen.

II. Die Kündigung ist auch nicht nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam.

Gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts, denen das Berufungsgericht folgt, ist der Betriebsrat mit dem vorgelegten Anhörungsschreiben vom 27. September 2019, das dem Betriebsrat am gleichen Tag zugegangen ist, unter Angabe der Sozialdaten des Klägers über die Gründe für die außerordentliche Kündigung ordnungsgemäß unterrichtet worden. Nach Ablauf der dreitägigen Äußerungsfrist des § 102 Abs. 2 Satz 3 BetrVG konnte die Beklagte am 2. Oktober 2019 die Kündigung wirksam aussprechen.

Mithin ist das Arbeitsverhältnis der Parteien aufgrund der wirksamen außerordentlichen Kündigung vom 2. Oktober 2019 fristlos beendet worden, so dass der Kündigungsschutzantrag in Bezug auf die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung vom 2. Oktober 2019 und die vorsorglich ausgesprochene weitere ordentliche Kündigung vom 10. Oktober 2019 sowie der Weiterbeschäftigungsantrag nicht zur Entscheidung angefallen sind.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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