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Fristlose Kündigung wegen rufschädigenden Äußerungen

Thüringer Landesarbeitsgericht –  Az.: 7 Sa 444/12 – Urteil vom 26.11.2013

Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Jena vom 20.09.2012, 2 Ca 128/12, abgeändert.

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Partien durch die Kündigung des Beklagten vom 21.04.2012 weder außerordentlich noch ordentlich zum 30.06.2012 beendet worden ist.

Der Auflösungsantrag des Beklagten wird zurückgewiesen.

Der Beklagte wird verurteilt, die Klägerin als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des

Arbeitsvertrages vom 27.09.2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiterzubeschäftigen.

Die Kosten des Rechtsstreites hat der Beklagte zu tragen.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung und einen Auflösungsantrag des Beklagten. Die Klägerin verlangt zudem ihre vorläufige Weiterbeschäftigung.

Die Klägerin (geb. ……., ledig, kinderlos), eine Diplom-Verwaltungswirtin, war beim beklagten Landkreis seit 01.10.2010 als Angestellte beschäftigt. Ihr war die Leitung der Erhebungsstelle Zensus übertragen. Das unbefristete Arbeitsverhältnis bestimmte sich aufgrund arbeitsvertraglicher Verweisung nach dem TVöD-VKA. Vergütet wurde die Klägerin nach Entgeltgruppe 9.

Am 22.04.2012 fand die Landratswahl statt. Der Amtsinhaber stellte sich zur Wiederwahl. Die parteilose Klägerin kandidierte ebenfalls. Sie warb für sich mit einem Flyer (Bl. 22 d. A.). Ohne Erwähnung des Arbeitsverhältnisses stellte sie dort „Säulen“ ihrer Politik vor, nämlich „Transparenz in der Verwaltung“, Bürgernahe Politik“ und „Jugend, Familien & Senioren“. Zur „Transparenz in der Verwaltung“ ist ausgeführt:

Wie der jüngste Umweltskandal in B,, K………….. und der Subventionsbetrug am C……… Rathaus beweist, deckt der amtierende Landrat sogar die Betrügereien im Kreis. Ich stehe für eine transparente Politik, die Gesetze einhält und die Pflichtaufgaben überprüft.

Der Flyer lag einem lokalen Anzeigenblatt bei, das am 18.04.2012 mit einer Auflage von 28.700 verteilt wurde.

Noch am 18.04.2012 erfuhr der Landrat vom Flyer. Nach Beteiligung des Personalrates kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 21.04.2012 (Bl. 19 d. A.) außerordentlich, hilfsweise ordentlich zum 30.06.2012. Zur Begründung ist dort ausgeführt, die Klägerin unterstelle dem Landrat und auch der Verwaltung des Landkreises die Begehung von Straftaten. Die Kündigung ging der Klägerin am 23.04.2012 zu.

Der bisherige Landrat gewann die Landratswahl am 22.04.2012 im ersten Wahlgang mit 56,3% der abgegebenen gültigen Stimmen. Die Klägerin erreichte 9,9%.

Am 27.04.2012 hat die Klägerin beim Arbeitsgericht Kündigungsschutz- und Weiterbeschäftigungsklage eingereicht.

Die Klägerin hat gemeint, die Kündigung sei als außerordentliche und als ordentliche unwirksam. Es fehle am Kündigungsgrund. Sie habe sich nicht im Rahmen ihres Arbeitsverhältnisses geäußert, sondern als Kandidatin im Landratswahlkampf. Ihr Flyer werde missverstanden. Es sei ihr mitnichten darum gegangen, den amtierenden Landrat persönlich zu diffamieren, einer Straftat zu bezichtigen oder gar zu beleidigen. Sie habe vielmehr zum Ausdruck bringen wollen, dass der Landrat im Hinblick auf den Umweltskandal in B.. K…………. und die Unregelmäßigkeiten im Zusammenhang mit der Sanierung des C……… Rathauses nichts unternommen habe und transparenter und aktiver in der Öffentlichkeit mit diesem Thema hätte umgehen müssen. Das sei von der Meinungsfreiheit gedeckt. Jedenfalls wäre eine Abmahnung ausreichend gewesen. Schließlich sei auch die Personalratsbeteiligung fehlerhaft.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21.04.2012 aufgelöst wurde;

2. den beklagten Landkreis zu verurteilen, sie als Sachbearbeiterin zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 27.09.2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte hat beantragt,

1.die Klage abzuweisen;

2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis zum 30.6.12 gegen Zahlung einer in das

Ermessen des Gerichtes gestellten Abfindung aufzulösen.

Der Beklagte hat gemeint, die Kündigung sei als außerordentliche wirksam. Die Klägerin habe dem Landrat wider besseres Wissen unterstellt, er decke Betrügereien, sei also aktiv am Vertuschen von Straftaten beteiligt und erfülle damit den Straftatbestand der Strafver-eitelung nach § 258 StGB. Diese Unterstellung krimineller Machenschaften sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte grobe Beleidigung bzw. üble Nachrede, die nach gefestigter Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes die außerordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses rechtfertige (U. v. 17.2.00, 2 AZR 927/98; zuletzt U. v. 10.12.09, 2 AZR 534/08.). Eine Abmahnung sei entbehrlich. Der Personalrat sei ordnungsgemäß beteiligt worden.

Sollte die Kündigung nicht greifen, sei das Arbeitsverhältnis jedenfalls nach § 9 KSchG gegen Abfindung aufzulösen, weil der Betriebsfrieden nachhaltig gestört sei. Schon früher habe es

wegen einer Konkurrentenklage Spannungen gegeben. Schließlich müsse sich die Klägerin das Verhalten ihres Vaters zurechnen lassen, der die Landratswahl angefochten habe. Seine verbalen Ausfälle gegen den Kreiswahlleiter und die Mitarbeiter des Kreiswahlbüros zeigten deutlich, dass eine wie auch immer geartete Zusammenarbeit mit der Klägerin nicht mehr möglich sei.

Die Klägerin hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Sie hat gemeint, die Voraussetzungen zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung lägen nicht vor.

Mit Urteil vom 20.09.2012 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung ist ausgeführt, die außerordentliche Kündigung sei gemäß § 626 Abs.1 BGB wirksam. Maßgeblich für die Deutung der Aussage im Flyer sei ihr objektiver Sinn aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums. Unerheblich sei, was die Klägerin habe sagen wollen. Wider besseres Wissen unterstelle sie dem Landrat kriminelle Machenschaften. Sie stelle ihn auf eine Stufe mit Betrügern, indem sie ihn bezichtige, Straftaten zu kennen und zu vertuschen, und behaupte gegenüber den Lesern, dass es hierfür auch Beweise gebe. Das sei eine von der Meinungsfreiheit nicht gedeckte Ehrverletzung, die nach der vom Beklagten angezogenen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes die außerordentliche Kündigung rechtfertige. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen. Die Personalratsbeteiligung sei in Ordnung.

Die Klägerin hat gegen das ihr am 07.11.2012 zugestellte Urteil am 07.12.2012 Berufung eingelegt, die nach Fristverlängerung zum 07.02.2013 am 28.01.2013 begründet wurde.

Die Berufung rügt, das Arbeitsgericht habe die Bedeutung des Grundrechts auf Meinungs-freiheit nach Art. 5 Abs.1 GG grundsätzlich verkannt. Der Kontext der Wahlkampfäußerung bleibe außer Betracht. Unbeachtet bleibe sowohl die vom Bundesverfassungsgericht zu Art. 5 Abs. 2 GG entwickelte Wechselwirkungstheorie als auch die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede im politischen Prozess und besonders im Wahlkampf. Im Übrigen habe die Klägerin nur Vorwürfe wiederholt, die zuvor in der Presse erhoben worden seien. Sie könne sich auf das Laienprivileg berufen.

Die Berufung beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Jena vom 20.09.2012, 2 Ca 128/12, abzuändern und

1. festzustellen dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien weder durch die fristlose Kündigung, noch durch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung vom 21.04.2012 aufgelöst wurde;

2. den beklagten Landkreis zu verurteilen, die Klägerin als Sachbearbeiterin

zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 27.09.2010 bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens weiterzubeschäftigen.

Der Beklagte beantragt,

1. Die Berufung zurückzuweisen;

2. hilfsweise das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2012 gegen Zahlung einer in das Ermessen des Gerichtes gestellten Abfindung aufzulösen.

Der Beklagte verteidigt die angegriffene Entscheidung. Er vertritt weiterhin die Auffassung, der Landrat müsse sich auch im Wahlkampf nicht als Krimineller diffamieren lassen. Solche Vorwürfe habe es in der Presse nicht gegeben. Die Kündigung sei wirksam, jedenfalls aber sei das Arbeitsverhältnis aus den schon erstinstanzlich vorgetragenen Gründen nach § 9 KSchG aufzulösen.

Die Berufung beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.

Sie vermisst nach wie vor einen Auflösungsgrund.

Ergänzend wird auf die Berufungsbegründung und die Berufungserwiderung Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A. Die Berufung der Klägerin hat Erfolg.

I. Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung des Beklagten vom 21.04.2012 weder außerordentlich (§ 626 Abs.1 BGB) noch ordentlich (§ 1 Abs.2 KSchG) aufgelöst. Mit ihrer Wahlwerbung hat die Klägerin keine

arbeitsvertraglichen Pflichten verletzt. Damit fehlt es am verhaltensbedingten Kündigungs-grund. Ob der Personalrat ordnungsgemäß beteiligt wurde, kann offen bleiben.

1. Die Kündigung scheitert nicht von vornherein daran, dass der Konflikt im Kommunalwahlkampf wurzelt und nicht im Arbeitsverhältnis. Zwar hat die Klägerin den amtierenden Landrat als Wahlkampfgegner angegriffen und nicht als Arbeitgeber. Auch außerdienstliches Verhalten kann aber ins Arbeitsverhältnis ausstrahlen und die vertragliche Rücksichtnahme-pflicht gem. § 241 Abs.2 BGB verletzten, wenn es einen Bezug zur dienstlichen Tätigkeit hat (zum Arbeitsverhältnis im öffentlichen Dienst: BAG v. 10.9.09, 2 AZR 257/08, BAGE 132,72; v. 28.10.10, 2 AZR 2293/09, AP Nr. 62 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung). Die außerdienstliche Äußerung einer Kreisangestellten, der Landrat decke Betrügereien im Kreis, hat unmittelbaren Bezug zum Arbeitsverhältnis.

2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes (BAG v. 24.6.04, 2 AZR 63/03, AP Nr. 49 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 24.11.1005, 2 AZR 584/04, AP Nr. 198 zu § 626 BGB ; U.v.12.1.06, 2 AZR 21/05, AP Nr.53 zu § 1 KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; U.v.10.12.09, 2 AZR 534/08, AP Nr. 226 zu § 626 BGB; U. v. 27.9.12, 2 AZR 646/11, juris) können grobe Beleidigungen des Arbeitgebers und seiner Vertreter und Repräsentanten, die nach Form und Inhalt eine erhebliche Ehrverletzung für den Betroffenen bedeuten, einen gewichtigen Verstoß gegen die Pflicht zur Rücksichtnahme auf die berechtigten Interessen des Arbeitgebers darstellen und eine außerordentliche fristlose Kündigung an sich rechtfertigen. Entsprechendes gilt für die bewusst wahrheitswidrig aufgestellte Tatsachenbehauptung, etwa wenn sie den Tatbestand der üblen Nachrede erfüllt. Bei verfassungskonformer Konkretisierung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs.2 BGB) und ihrer möglichen Verletzung im Einzelfall sind die grundrechtlichen Rahmenbedingungen zu beachten, insbesondere das Grundrecht auf Meinungsfreiheit auf Seiten des Arbeitnehmers (Art. 5 Abs.1 GG) und das die Ehre schützende allgemeine Persönlichkeitsrecht auf Seiten des Arbeitgebers (Art. 2 Abs.1 iVm Art 1 Abs.1 GG). Ob der Ehrenschutz einen Eingriff in die Meinungsfreiheit rechtfertigt (Art. 5 Abs.2 GG iVm § 241 Abs.2 BGB) oder hinter der Meinungsfreiheit zurücktreten muss, kann nicht abstrakt beantwortet werden, sondern hängt von der situationsbezogenen Abwägung der kollidieren-den Grundrechte ab. Die Abwägung erfolgt sowohl auf Grundlage einer generellen Betrachtung des Stellenwertes der beteiligten Grundrechtspositionen, als auch unter Berücksichtigung der Intensität der Grundrechtsbeeinträchtigung im konkreten Fall. Nach dem Prinzip der Wechselwirkung muss der Meinungsfreiheit so weit als möglich Raum bleiben. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, Schmähkritik und Formelbeleidigungen tragen zur Meinungsbildung allerdings nichts bei. Sie fallen nicht in den Schutzbereich des Art. 5 Abs.1 GG, womit der Ehrenschutz in diesen Fällen regelmäßig vorgeht.

3. Die vom Beklagten beanstandete Äußerung, der amtierende Landrat decke sogar Betrügereien im Kreis, kann nur dann grundrechtlich gewürdigt werden, wenn ihr objektiver Sinn aus Sicht eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums zutreffend erfasst wird. Der Sinn wird festgelegt von Wortlaut und Kontext. Die rechtliche Beurteilung kann nicht auf eine Deutung gestützt werden, die sich aus der Äußerung nicht oder nicht mit hinreichender Klarheit ergibt (BVerfG v. 12.5.09 1 BvR 2272/ 04, NJW 09, 301604 „Durchgeknallter Staatsanwalt“; B. v 10.10.1995, 1 BvR 1476/91, 1 BvR 1980/91, 1 BvR 102/92,1 BvR 221/92, BVerfGE 93,266 „Soldaten sind Mörder“; B. v. 26.6.90, 1 BvR 1165/89, BVerfGE 82/272 „Zwangsdemokrat Strauß“). Das Arbeitsgericht meint, die Klägerin unterstelle dem Landrat kriminelle Machenschaften. Sie stelle ihn auf eine Stufe mit Betrügern, indem sie ihn bezichtige, Straftaten zu kennen und diese zu vertuschen, und behaupte, dass es hierfür auch Beweise gebe. Explizit nennt die Klägerin den Landrat aber weder einen Kriminellen noch einen Straftäter. Sie wirft dem Landrat vor, Betrügereien zu „decken“. Wortlautbezogen interpretiert das Arbeitsgericht „decken“ als strafrechtlich relevantes, also kriminelles Verhalten. Diese Deutung ist nicht zwingend. Der Kontext der Äußerung wird vernachlässigt. Es geht um Wahlwerbung. In Abgrenzung zum amtierenden Landrat, ihrem Gegen-kandidaten, versprach die Klägerin „Transparenz in der Verwaltung“. Unter diesem Punkt ihres 3-Säulen-Wahlprogramms kann „decken“ auch politisch verstanden werden, wonach der Landrat bei Betrügereien im Kreis das Licht der Öffentlichkeit scheut und damit demokratische Kontrolle behindert. Diese mildere Auslegung der Wahlkampfattacke kann nicht ausgeschlossen werden und ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-gerichtes damit der rechtlichen Beurteilung zu Grunde zu legen, was kündigungsrechtlich schon daraus folgt, dass der Beklagte die Beweislast für den Kündigungsgrund hat.

4. “Betrügereien decken“ berührt auch in dieser Auslegung das allgemeine Persönlichkeits-recht des Landrates, weil sein Ansehen in der Öffentlichkeit herabgesetzt wird. Im Wahlkampf muss der Ehrenschutz aber hinter der Meinungsfreiheit zurücktreten.

a. Der Schutzbereich des Art. 5 Abs.1 GG ist eröffnet.

aa. Die Äußerung ist Meinung und keine Tatsachenbehauptung.

(1). Art. 5 Abs.1 GG gewährleistet jedermann das Recht, seine Meinung frei zu äußern und zu verbreiten. Im Unterschied zur Tatsachenbehauptung, die wahr oder unwahr sein kann, ist unter Meinung das subjektive, empirisch nicht überprüfbare Werturteil zu verstehen. Der Grundrechtsschutz besteht unabhängig davon, ob die Meinungsäußerung wertvoll oder wertlos, richtig oder falsch, begründet oder grundlos, emotional oder rational ist. Geschützt ist nicht nur auf den Inhalt, sondern auch die Form einer Äußerung. Allein eine polemische oder

verletzende Formulierungen entzieht eine Äußerung noch nicht dem Schutz der Meinungsfreiheit (BVerfG v. 16.10.1998, 1 BvR 1685/92, AP Nr. 24 zu § 611 BGB Abmahnung: Kritischer Leserbrief eines städtischen Angestellten zur Person des Bürgermeisters und zum Verhalten des Gemeinderates). Tatsachenbehauptungen werden von Art. 5 Abs.1 GG nur geschützt, wenn und soweit sie Voraussetzung für die Bildung von Meinungen sind, also einen Meinungsbezug haben. Auch dann genießen sie einen geringeren Grundrechtsschutz, der vom Wahrheitsgehalt abhängt. Bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen sind von vornherein nicht vom Schutzbereich des Art. 5 Abs.1 GG umfasst. Im Übrigen muss eine Tatsachenbehauptung in der Regel hingenommen werden, wenn sie wahr ist, nicht aber, wenn sie unwahr ist, es sei denn, die nach den jeweiligen Aufklärungsmöglichkeiten gebotenen Sorgfaltspflichten wurden beachtet (BVerfG v. 10.11.98, 1 BvR 1531/96, BVerfGE 99,185 „Scientologie“).

(2). Das Arbeitsgericht unterscheidet nicht zwischen Meinung und Tatsachenbehauptung. „Betrügereien decken“ ist schon deshalb keine Tatsachenbehauptung, weil konkret greifbare Tatsachen zum „Decken“ fehlen. Es handelt sich um pauschale Wahlkampfrhetorik, die typischerweise Polemik gegen den Gegner in der Absicht einsetzt, sich einprägsam von ihm abzugrenzen (BVerfG v. 22.6.82, 1 BvR 1376/79, BVerfGE 61,1 „ Meinungsäußerung im Wahlkampf“). Das ist öffentlicher Meinungskampf. Auf richtig oder falsch, vertretbar oder abwegig kommt es nicht an. Deshalb ist unerheblich, ob die Klägerin lediglich Presseberichte übernahm, deren Wahrheitsgehalt sie nicht überprüfen konnte („Laienprivileg“).

bb. Die Grenze zur Schmähkritik ist nicht überschritten. Es geht nicht um Diffamierung der Person des Landrates, sondern um Wahlkampfkritik am politischen Gegner, die auch polemisch überzeichnet oder vereinfachend sein darf (BVerfG v. 22.6.82, a.a.O.; v. 25.4.85, 2 BvR 617/84, BVerfGE 69,257 „ Wahlwerbesendung“; BGH v. 15.11.83, NJW 84,1102, „Rede im Kommunalwahlkampf“). Eine Formalbeleidigung (dazu BVerfG 20.5.99, 1 BvR 1294, 96, juris) scheidet von vornherein aus. Tabuisierte Schimpfworte gegen den Landrat verwendet die Klägerin nicht.

b. Die Grundrechtsabwägung spricht für die Meinungsfreiheit.

aa. Die Meinungsfreiheit endet nicht dort, wo das Recht der persönlichen Ehre beginnt. Im Verhältnis der Meinungsfreiheit zum Ehrenschutz (Art. 5 Abs.2 GG iVm § 241 Abs.2 BGB) gilt die vom Bundesverfassungsgericht entwickelte Wechselwirkungstheorie (BVerfG v. 15.1.58, 1 BvR 400/51, BVerfGE 7, 198 „Lüth“). Im Abwägungsprozess ist der überragenden Bedeutung Rechnung zu tragen, die die Meinungsfreiheit für die individuelle Kommunikation und für den demokratischen Willensbildungsprozesses insgesamt hat. Dabei genießen Beiträge zur Auseinandersetzung in einer die Öffentlichkeit wesentlich berührenden Frage stärkeren Schutz als Äußerungen, die lediglich der Verfolgung privater Interessen dienen. Bei ihnen spricht eine Vermutung zugunsten der freien Rede (BVerfG v. 26.6.90, a.a.O.; B. v. 24.7.13, 1 BvR 444/13,1 BvR 527/13, juris). Im Wahlkampf ist der politische Meinungsstreit auf das höchste intensiviert. Die Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede wird noch verstärkt (BVerfG v. 22.6.82, a.a.O.).

bb. Ohne auf den Stellenwert der Meinungsfreiheit im Wahlkampf einzugehen, räumt das Arbeitsgericht dem Ehrenschutz des Landrates Vorrang ein. Zur Begründung wird unter Verweis auf das Urteil des BAG vom 17.2.00, 2 AZR 927/98 (juris) ausgeführt, es sei ehrenrührig und von der Meinungsfreiheit nicht gedeckt, dem Arbeitgeber ohne konkrete Anhaltspunkte kriminelle Machenschaften zu unterstellen. Das überzeugt nicht. Erstens ist die angezogene Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts nicht einschlägig. Dort ging es um Kritik am Arbeitgeber unter Arbeitskollegen, hier geht es um Kritik am Gegner im Kommunalwahlkampf, der zugleich Arbeitgeber ist. Das Arbeitsgericht beachtet nicht, dass die Grenzen der Meinungsfreiheit im Wahlkampf weiter gezogen sind. Der generelle Stellen-wert der Meinungsfreiheit wird unterbewertet. Zweitens wird die Intensität der Ehrbeein-trächtigung überbewertet. Die scharfe arbeitsgerichtliche Auslegung der beanstandeten Wahlkampfäußerung ist nicht zwingend. Nach der maßgeblichen milderen Auslegung wirft die Kl dem Landrat nicht kriminelles, sondern politisches Fehlverhalten vor. Das ist im Wahl-kampf von Art. 5 Abs. 1 GG gedeckt, womit die Klägerin ihre arbeitsvertragliche Rücksicht-nahmepflicht gemäß § 241 Abs.2 BGB nicht verletzt hat.

II. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers gem. § 9 Abs.1 S.2 KSchG ist unbegründet. Der Beklagte hat keine Umstände dargelegt, die einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit der Parteien entgegenstehen. „Störung des Betriebsfriedens“ ist ein Schlagwort, das erforder-lichen Tatsachenvortrag nicht ersetzt. Warum ein zurückliegender Konkurrentenstreit Spannungen in der Zukunft indizieren und warum dortiger Vortrag hier auflösungserheblich sein soll, erschließt sich nicht (zum Kampf um das Recht: BVerfG v. 11.4.1991, 2 BvR 963/90, NJW 1991, 2074; BAG v. 24.3.11, 2 AZR 674/09, AP Nr. 67 zu § 9 KSchG 1969). Keiner Hervorhebung sollte bedürfen, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin nicht deshalb aufgelöst werden kann, weil ihr Vater die Landratswahl angefochten hat.

III. Der Antrag auf vorläufige Weiterbeschäftigung ist begründet, weil die streitige Kündigung unwirksam und der Auflösungsantrag des Arbeitgebers gescheitert ist. Unerheblich ist, dass die Klägerin bei einem Nachbarkreis eine andere Arbeitsstelle gefunden hat. Sie wird sich nach § 12 KSchG entscheiden müssen.

B. Die Kosten des Rechtsstreites hat der unterlegene Beklagte zu tragen (§ 91 ZPO).

Die Zulassung der Revision beruht auf § 72 Abs.2 Ziff.1 ArbGG.

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