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Fristlose Kündigung wegen Strafanzeige gegen Arbeitgeber

ArbG Gelsenkirchen – Az.: 2 Ca 2166/16 – Urteil vom 14.06.2017

1. Das Versäumnisurteil vom 12.04.2017 bleibt mit der Maßgabe aufrechterhalten, dass die Kündigungsschutzanträge abgewiesen werden.

2. Im Übrigen ist das Versäumnisurteil vom 12.04.2017 wirkungslos.

3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger bei einem Gebührenstreitwert in Höhe von 33.111,12 Euro.

4. Der Streitwert dieser Entscheidung wird auf 24.833,34 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Rechtswirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der 1971 geborene, verheiratete Kläger ist seit dem 01.11.2012 zunächst im Rahmen einer geringfügigen Beschäftigung, seit dem 01.08.2014 in Vollzeit in den Bereichen Verwaltung, Organisation und Administration bei dem Beklagten beschäftigt. Sein Bruttomonatsgehalt belief sich zuletzt – nach einer Gehaltserhöhung um 200 Euro zum 01.08.2016 – auf 7.650 Euro. Daneben erhielt er mit dem Novembergehalt ein Weihnachtsgeld in Höhe von zuletzt 7.533,33 Euro brutto.

Der Beklagte betreibt in C eine Apotheke und beschäftigt ca. 87 Arbeitnehmer. In dem Betrieb des Beklagten werden auch Krebsmedikamente, sog. Zytostatika, in einer eigenen Abteilung hergestellt und verkauft. Die Parteien kennen sich seit über 40 Jahren; die Eltern der Parteien pflegten einen guten Kontakt. Das Gebäude der Apotheke befindet sich seit über 150 Jahren im Besitz der Familie des Beklagten, die noch heute in dem Gebäude wohnt.

Den Mitarbeitern des Beklagten ist der private Bezug von Medikamenten erlaubt. Jeder Mitarbeiter, so auch der Kläger, verfügt über eine eigene Kundennummer. Gemäß ausdrücklicher Dienstanweisung dürfen die Rechnungen ausschließlich durch einen anderen Mitarbeiter und an einer der im Verkaufsraum vorhandenen Kassen oder per Überweisung als bezahlt verbucht werden. Unabdingbare Voraussetzung ist zudem, dass die Bezahlung spätestens am Monatsende erfolgt. Hierbei war es unter anderem Aufgabe des Klägers, die Rechnungen für die Mitarbeiter zu erstellen und diese nur bei nachgewiesener Bezahlung als bezahlt zu markieren.

Im Zeitraum vom 02.01. bis 28.11.2015 bezog der Kläger in der Apotheke des Beklagten unter seiner Kundennummer Medikamente im Wert von insgesamt ca. 460 Euro. Für die Einzelheiten wird auf die Anlage B6 (Bl. 107ff d. A.) verwiesen. Im Warenwirtschaftssystem tauchte dies unter „Kunden Abverkauf“ mit der Zahlungsart „Kredit“ auf. Im Juli 2016, der genaue Zeitpunkt und die genauen Umstände sind streitig, erstellte der Kläger insoweit eine Sammelrechnung (Anlage B7, B. 137f d. A.) über 453,94 Euro und markierte sie als bezahlt. Zudem heißt es in der Rechnung: „Leistungsempfänger ist die Krankenkasse, Rechnung berechtigt zum Vorsteuerabzug“. Dieser Zusatz wird dann aufgenommen, wenn in der Rechnung Medikamente mit Zuzahlung enthalten sind. Eine Bezahlung war durch den Kläger tatsächlich weder in bar noch per Überweisung erfolgt.

Im Zeitraum vom 31.01. bis zum 05.07.2016 bezog der Kläger in der Apotheke des Beklagten Medikamente im Wert von insgesamt 644,24 Euro. Die Rechnungen vom 31.01., 28.02., 05.04., 02.05., 30.05. und 05.07.2016 (Anlage B 8, Bl. 139ff d. A.) weisen alle den Vermerk „Die Rechnung ist bereits bezahlt.“, zum Teil (Rechnung vom 02.05.2016 und 05.07.2016) zusätzlich den Vermerk „Leistungsempfänger ist die Krankenkasse, Rechnung berechtigt zum Vorsteuerabzug“ auf. Für die Einzelheiten wird auf die Rechnungen (Bl. 139ff d. A.) verwiesen. Am 06.07.2016, die genauen Umstände sind streitig, markierte der Kläger die Rechnungen im System als bezahlt. Eine Bezahlung war durch den Kläger tatsächlich weder in bar noch per Überweisung erfolgt.

Am 15.09.2016 erstattete der Kläger anonym über einen Rechtsanwalt Strafanzeige gegen den Beklagten wegen des dringenden Verdachts, dass der Beklagte abgelaufene Medikamente, insbesondere Zytostatika, umdeklariert bzw. Medikamente verdünnt/gestreckt und dennoch mit den Originalangaben zum Preis des Originals verkauft hat. Der Strafanzeige lagen mehrere 100 Kopien von Einkaufsrechnungen, Rezepten etc. bei. Am 07.10.2016 fand sich der Kläger zu einer Vernehmung bei der Staatsanwaltschaft ein, wobei ihm von der Staatsanwaltschaft bis zur Klärung des Tatverdachts gegen den Beklagten weiterhin Vertraulichkeit zugesichert wurde.

Am 29.11.2016 wurde gegen den Beklagten ein Haftbefehl vom 24.11.2016 verkündet. Seitdem befindet sich der Beklagte in Untersuchungshaft.

Der Beklagtenvertreter beantragte in seiner Eigenschaft als Verteidiger des Beklagten am 29.11.2016 bei der Staatsanwaltschaft Essen Akteneinsicht und erhielt daraufhin am gleichen Tag einen Aktenauszug. Dem Aktenauszug ließ sich entnehmen, dass der Anzeigenerstatter den Beklagten schon über 40 Jahre kenne und seit dem 01.08.2014 fest in der Apotheke angestellt sei. Der Beklagte wurde hierüber am 29.11.2016 informiert.

Mit Schreiben vom 30.11.2016, dem Kläger am 02.12.2016 zugegangen, kündigte der Beklagte das Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise fristgerecht zum nächstmöglichen Termin.

Der Kläger informierte die Ermittlungsbehörden am 02.12.2016 über den Erhalt der Kündigung und teilte mit, dass sein Name nun offen in der Ermittlungsakte kommuniziert werden könne.

Die Aufgaben des Klägers übernahm der Mitarbeiter G der Beklagten.

Der Beklagte beruft sich zur Begründung der Kündigung auf die Anzeigenerstattung des Klägers sowie Verstöße gegen die arbeitsvertragliche Verschwiegenheitspflicht bzw. Verstöße gegen die Schweigepflicht nach § 17 UWG, § 203 Absatz 1 Nr. 1 4.Alternative, Absatz 2 Satz 2 StGB. Zudem wirft er dem Kläger vor, seine Aufgaben ab ca. Juli 2016 unzureichend erledigt zu haben, während der Arbeitszeit mit Betriebsmitteln der Apotheke Kopien gefertigt zu haben, das IT-System der Apotheke unerlaubt von extern genutzt zu haben sowie private Medikamenteneinkäufe nicht bezahlt, aber als bezahlt gekennzeichnet zu haben.

Mit seiner am 21.12.2016 bei Gericht eingegangenen und dem Beklagten am 09.01.2017 zugestellten Klage wendet sich der Kläger gegen die Rechtswirksamkeit der Kündigung vom 30.11.2016.

Der Kläger hat ursprünglich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 30. November 2016 beendet wurde,

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristgerechte Kündigung vom 30. November 2016 beendet wurde und

3. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch einen anderen Beendigungstatbestand enden wird, sondern über den 30. November 2016 hinaus fortbesteht.

Zum Kammertermin am 12.04.2017 ist für den ordnungsgemäß geladenen Kläger niemand erschienen. Auf Antrag des Beklagten ist daraufhin ein klageabweisendes Versäumnisurteil ergangen, das dem Kläger am 13.04.2017 zugestellt wurde. Gegen das Versäumnisurteil hat der Kläger mit Schriftsatz vom 18.04.2017, bei Gericht am 18.04.2017 eingegangen, Einspruch eingelegt.

Der Kläger macht geltend, dass kein Kündigungsgrund gegeben sei und die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Absatz 2 BGB nicht gewahrt sei.

Die Kündigung stelle sich als reiner Racheakt des Beklagten wegen der gegen ihn erstatteten Strafanzeige dar.

Der Kläger behauptet, dass er nach langer und reiflicher Überlegung gegen den Beklagten Anzeige erstattet habe, da er die Vorstellung nicht mehr habe ertragen können, dass täglich Menschenleben durch die Machenschaften des Beklagten gefährdet oder sogar zunichte gemacht würden. Er habe sich die Entscheidung nicht leicht gemacht, da er den Beklagten von Kindesbeinen an kenne und ihm emotional verbunden sei. Einen ersten Verdacht gegen den Beklagten habe er Ende 2014 gehabt, als zwei Mitarbeiterinnen aus der Zytostatika-Abteilung überraschend zeitgleich gekündigt hätten und diese ihm auf Nachfrage mitgeteilt hätten, dass unhaltbare hygienische Zustände herrschen, Arzneimittel gestreckt und abgelaufene Wirkstoffe verwendet würden. Zudem hätten diese Mitarbeiterinnen angegeben, den Vater des Beklagten, der ebenfalls Apotheker ist und in der Apotheke mitarbeitet, darauf angesprochen zu haben, ohne dass es Änderungen gegeben habe. Er, der Kläger, habe diesen Aussagen nicht glauben wollen, da er dem Beklagten so etwas nicht zugetraut habe. Im Jahr 2015 seien Ermittlungen gegen den Beklagten, die aufgrund der Anzeige des Ehemannes einer Mitarbeiterin wegen des Verdachts der Verdünnung von Medikamenten aufgenommen worden seien, aus Mangel an Beweisen eingestellt worden. Soweit der Beklagte geltend mache, die Ermittlungen seien schon in 2013 geführt und in 2014 eingestellt worden, sei dies irrelevant. Im Jahr 2015 hätten sich ihm zwei neue Mitarbeiterinnen aus der Zytostatika-Abteilung anvertraut und dieselben Vorwürfe gegen den Beklagten erhoben. Sein Misstrauen sei daher gewachsen. Die Schilderungen der beiden neuen Mitarbeiterinnen seien Ende 2015 immer eindringlicher geworden. Seit Ende 2015/Anfang 2016 habe er daher Beweise gesammelt. Er habe sich außerstande gesehen, den Beklagten selbst auf den Vorwurf anzusprechen, da angesichts der vorherigen Ermittlungen davon auszugehen gewesen sei, dass der Beklagte ein solches Gespräch nur zum Anlass nehmen würde, um Beweise zu vernichten. Zudem habe er, der Kläger, von seinem Arbeitgeber selbst begangene, schwerwiegende Straftaten aufgedeckt. Der Beklagte werde, wie der Presse zu entnehmen sei, voraussichtlich wegen gewerbsmäßigen Betrugs in einem besonders schweren Fall angeklagt werden, wofür eine Freiheitsstrafe von bis zu 10 Jahren vorgesehen sei.

Der Kläger behauptet weiter, dass er durch einen Vergleich der eingekauften mit den verkauften Wirkstoffen festgestellt habe, dass die verkauften Arzneimittel nur 30-40% der verordneten und mit den Krankenkassen abgerechneten Wirkstoffmengen enthalten hätten. Er sei eine zeitlang handlungsunfähig gewesen. Er habe dann durch Zufall im dem Keller der Eltern des Beklagten mehrere hundert abgelaufene Ampullen mit Zytostatika gefunden, deren Bestand in den Wochen danach immer geringer geworden sei. Im Frühjahr 2016 habe er dann das weitere Vorgehen mit einem befreundeten Strafverteidiger abgestimmt. Das Wissen um die Gefährdung von Patienten und der persönliche Konflikt hätten ihn krank gemacht; vom 11.07.2016 bis zum 14.11.2016 habe er sich fast ununterbrochen wegen gravierender und multipler Beschwerden in ärztlicher Behandlung befunden. Er habe seiner Ehefrau und seinem im Jahr 2015 geborenen Kind seinen Gesundheitszustand nicht länger zumuten wollen und die Anzeige dann nicht aus Groll oder in Schädigungsabsicht, sondern zur Erleichterung seines Gewissens und zur Rettung von Menschenleben erstattet. Soweit der Beklagte auf den Weihnachtsbrief des Jahres 2015 abhebe (Anlage B8, Bl. 261 d. A.), so habe diesen seine Ehefrau für alle Freunde der Familie geschrieben; der Brief zeige seine Verbundenheit mit dem Beklagten. Er habe seinen Sohn K auch – entgegen der Spekulation des Beklagten – nicht in die Apotheke eingeschleust, um diese zu übernehmen; sein Sohn studierte nun Geschichte und Kunstgeschichte und sei nur als Schülerpraktikant kurze Zeit in der Apotheke des Beklagten tätig gewesen.

Er habe auch keine anonyme Anzeige erstattet. Er habe seine Identität nur vorübergehend verschwiegen und bei der Staatsanwaltschaft am 07.10.2016 offenbart. Dies spiele für die Rechtmäßigkeit der Anzeige auch keine Rolle. Da er bislang keine Einsicht in die Ermittlungsakten erhalten habe, würde eine Verwertung des gegenteiligen Vorbringens des Beklagten zudem den Grundsätzen eines fairen Verfahrens widersprechen.

Gegen die Verschwiegenheits-/Schweigepflicht habe er, der Kläger, nicht verstoßen. Er habe alle Kopien der Rezepte, die der Staatsanwaltschaft vorgelegt worden seien, anonymisiert. Der Vortrag des Beklagten sei insoweit unsubstantiiert und zudem nicht verwertbar, da ihm, dem Kläger, bislang unstreitig die Einsicht in die Ermittlungsakte verwehrt werde. Soweit der Beklagte im Kammertermin erstmals behauptet habe, dass er, der Kläger, seinem Rechtsanwalt die Rezepte ungeschwärzt überreicht habe, sei dies verspätet.

Soweit ihm eine unzureichende Aufgabenerledigung vorgeworfen werde, sei der Vortrag des Beklagten unsubstantiiert. Dieser werde vorsorglich ebenso bestritten wie die mit der Anlage B 5 (Bl. 106 d. A.) geltend gemachten offenen Rechnungen.

Soweit der Beklagte sich des Weiteren darauf berufe, dass er, der Kläger, ab ca. Juli 2016 Kopien während der Arbeitszeit mit Betriebsmitteln des Beklagten gefertigt habe, stelle dies eine unsubstantiierte, nicht zutreffende Behauptung ins Blaue hinein dar. Der Kläger behauptet, alle Kopien außerhalb der Arbeitszeit und nicht mit Betriebsmitteln des Beklagten erstellt zu haben. So habe er einen Heimarbeitsplatz mit einem externen Zugang zum IT-System des Beklagten gehabt, was von dem Beklagten auch erwartet und begrüßt worden sei, wie der SMS-Dialog vom Samstag, den 05.11.2016 zeige (Anlage K7, Bl. 294 d. A.). Selbst während eines Krankenhausaufenthaltes im November 2016 habe er für den Beklagten gearbeitet, um den Abrechnungsfluss zu gewährleisten. Von einem unerlaubten Zugang zum IT-System des Beklagten könne keine Rede sein. Sein externer Zugang sei im Jahr 2015 auf Anweisung des Beklagten durch den Mitarbeiter N des Softwarehauses, der B GmbH, eingerichtet worden. Auch das Softwarehaus verfüge über einen 24-Stunden-Zugriff. Selbst wenn entgegen seiner Auffassung insoweit eine Pflichtverletzung vorliegen sollte, so berechtige dies nicht zur Kündigung; vielmehr sei zuvor eine Weisung oder Abmahnung zu erteilen, zumal kein Schaden entstanden sei und er den externen Zugang für seine Arbeit für den Beklagten genutzt habe.

Der Kläger behauptet weiter, dass er im Jahr 2015 mindestens 639 und im Jahr 2016 insgesamt 648 Überstunden, insbesondere im Zusammenhang mit der Umstellung der Computersysteme des Beklagten, geleistet habe. Diese Überstundenvergütungsansprüche seien fällig und vom Beklagten anerkannt worden und hätten daher von ihm, dem Kläger, gegen die Forderungen des Beklagten wegen der privaten Medikamentenkäufe aufgerechnet werden können. Er habe, was unstreitig ist, am Sonntag, den 10.07.2016 gemeinsam mit einem externen Dienstleister von 08.00 bis 22.30 Uhr eine Inventur in der Apotheke durchgeführt. Anlässlich einer Besprechung in der Folgewoche, an der unstreitig die Parteien, die Eltern des Beklagten und dessen Rechtsanwalt und Steuerberater G1 teilgenommen haben, habe er mitgeteilt, wie viele Überstunden er habe, und die Bezahlung der Überstunden geltend gemacht. Der Beklagte habe darauf verständnisvoll und anerkennend reagiert und ihm eine – unstreitig tatsächlich zum 01.08.2016 in Höhe von 200 Euro brutto erfolgte – Gehaltserhöhung zugesagt. Zu der Bezahlung der Überstunden habe der Beklagte erklärt, er werde sich darum kümmern. Davor, im Juni/Juli 2016, das Datum sei ihm nicht mehr erinnerlich, habe er den Beklagten nochmals auf die Bezahlung seiner Überstunden angesprochen. Er, der Kläger, habe dem Beklagten auch mitgeteilt, dass er noch die Bezahlung der privat bezogenen Medikamente im Wert von insgesamt ca. 950 Euro schuldig sei. Die Medikamente habe er ordnungsgemäß (Anlage B6) als gekauft verbucht. Der Beklagte sei hierüber keineswegs überrascht gewesen, denn es sei in dem Betrieb üblich gewesen, dass Mitarbeiter, beispielsweise die Mitarbeiterin T, private Medikamente anschreiben gelassen hätten. Der Beklagte habe ihm, dem Kläger, vorgeschlagen, einen Teil der Überstundenvergütung mit den Schulden aus den Medikamentenkäufen zu verrechnen. Er habe die Rechnungen erstellen und als „bezahlt“ vermerken sollen. Dieser Anweisung habe er Folge geleistet und die Rechnungen auf bezahlt gesetzt. Dies sei allerdings nicht am 28.07.2016 geschehen, da er an diesem Tag Urlaub gehabt und nicht in der Apotheke gewesen sei. Ein solches Vorgehen sei im Betrieb des Beklagten üblich; so habe die Mitarbeiterin T mit Wissen des Beklagten ihre Schulden wegen privater Medikamenteneinkäufe auf bezahlt gesetzt und im Gegenzug auf die Erstattung ihrer Fahrtkosten für Fortbildungen im Jahr 2016 verzichtet.

Im Kammertermin machte der Kläger hierzu im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zunächst geltend, dass es zwei Anlässe für Überstunden-Gespräche gegeben habe. Es sei um eine Gehaltserhöhung oder Kompensation gegangen. In diesem Rahmen habe er den Beklagten darauf hingewiesen, dass noch Medikamenteneinkäufe offen seien, und der Beklagte habe ihm gesagt, dass das damit dann erledigt werde. Auf Nachfrage, was zu den Medikamentenkäufen konkret besprochen worden sei, erklärte der Kläger, dass die offenen Rechnungen thematisiert worden seien und dass der Beklagte gesagt habe, dass diese mit einem Teil der Überstunden verrechnet würden, diese damit erledigt seien. Er, der Kläger, habe ordnungsgemäß monatlich Rechnungen erstellt. Die Medikamentenrechnungen der Mitarbeiter seien teils in bar, teils per Überweisung, teils per Verrechnungen, oft auch gar nicht bezahlt worden. Der Beklagte selbst sei dem, was unstreitig ist, nicht nachgegangen. Die Gespräche hätten direkt vor und nach der Inventur vom 10.07.2016 stattgefunden. Es habe erst ein Gespräch unter vier Augen mit dem Beklagten und dann ein Gespräch in größerer Runde stattgefunden. Inhaltich sei es, so machte der Kläger zunächst geltend, in beiden Gesprächen um das Gleiche gegangen. Später erklärte er, dass bei dem Gespräch in der größeren Runde die Medikamentenrechnungen kein Thema gewesen seien. Es sei um die Überstunden und wie man betriebswirtschaftlich damit umgehe gegangen. Der Beklagte habe dabei gesagt, dass er sich um die Überstunden kümmern werde. Die Gehaltserhöhung sei in dem Gespräch in größerer Runde kein Thema gewesen. Nach dem Gespräch in größerer Runde habe es ein oder mehrere weitere Gespräche mit dem Beklagten bezüglich der Gehaltserhöhung gegeben. Es sei immer ein Nachhaken nötig; bei dem Beklagten sei es mit einem ersten Gespräch nicht getan, da man auch häufig unterbrochen werde. Nach dem ersten Gespräch mit dem Beklagten wegen der Überstunden habe sich eher nichts getan. Auf Vorhalt, dass er nach seinem Vortrag die Rechnungen schon nach dem ersten Gespräch am 06.07.2017 auf bezahlt gesetzt habe, erklärte der Kläger, dass er auf Nummer sicher gegangen sei und die Themen häufiger angesprochen habe.

Des Weiteren führt der Kläger an, dass zu berücksichtigen sei, dass von dem Beklagten ihm gegenüber kein Schaden geltend werde. Er sei auch zur Zahlung der Rechnungsbeträge bereit, allerdings stelle sich dann die Frage der Vergütung der Überstunden. Nach Erhalt der Kündigung habe er nur private Medikamenteneinkäufe ab August 2016 bezahlt.

Hinsichtlich des von dem Beklagten hilfsweise gestellten Auflösungsantrags macht der Kläger geltend, dass er im vorliegenden Rechtsstreit nur seine subjektive Sicht geschildert und dem Beklagten gerade keine Straftat unterstellt habe. Eine Zusammenarbeit mit dem Beklagten werde es aufgrund der Haft auf absehbare Zeit nicht geben. Der Beklagte befinde sich wegen vermutlicher Straftaten und nicht deshalb in Haft, weil sich der Kläger etwas zu schulden hätten kommen lassen. Er habe sich mit der Anzeige rechtmäßig verhalten; eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses würde die Rechtsprechung zum Whistleblowing konterkarieren. Soweit der Beklagte anführe, dass es seinen, im Gebäude der Apotheke wohnenden Eltern nicht zumutbar sei, dass er, der Kläger, ihnen nochmal unter die Augen trete, sei ein Leiden der Familie des Beklagten durch seine Weiterarbeit unwahrscheinlich und zudem unerheblich, da die Eltern des Beklagten nicht sein Arbeitgeber seien.

Der Kläger beantragt zuletzt unter Klagerücknahme im Übrigen, das Versäumnisurteil vom 12.04.2017 aufzuheben und

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristlose Kündigung vom 30. November 2016 beendet wurde und

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die fristgerechte Kündigung vom 30. November 2016 beendet wurde.

Der Beklagte beantragt unter Zustimmung zur Rücknahme des allgemeinen Feststellungsantrags, das Versäumnisurteil vom 12.04.2017 aufrechtzuerhalten.

Hilfsweise beantragt der Beklagte, das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis gegen Zahlung einer entsprechend der Betriebszugehörigkeit des Klägers angemessenen Abfindung gemäß § 9 Absatz 1Satz 2 KSchG zum 31.01.2017 aufzulösen.

Der Kläger beantragt, den Hilfsantrag des Beklagten abzuweisen.

Der Beklagte behauptet, dass der Kläger viele eklatante Vertrauensbrüche begangen habe, der jeder für sich selbst genommen die fristlose, jedenfalls die ordentliche Kündigung rechtfertigen würde.

Zum einen sei dem Kläger vorzuwerfen, dass er ihn anonym und ohne den Versuch einer vorherigen innerbetrieblichen Klärung angezeigt habe. Dass er abgelaufene Medikamente umdeklariert bzw. Medikamente verdünnt und dennoch mit Originalangaben zum Originalpreis verkauft habe, bestreite er; beweiskräftige Unterlagen gebe es nicht; die Ergiebigkeit und Zuverlässigkeit angeblicher Beweise sei Sache des Strafverfahrens. Die von dem Kläger angeführten Ermittlungen gegen ihn seien entgegen den zeitlichen Angaben des Klägers bereits im Jahr 2013 geführt und im Jahr 2014 – insoweit unstreitig nach § 170 Absatz 2 StPO – eingestellt worden. Der Kläger habe vor einer Strafanzeige mit ihm sprechen müssen. Der Kläger habe auf seinen Ruf und seine Interessen keine Rücksicht genommen. Die vom Kläger angeführten Beweggründe für die Anzeigenerstattung bestreite er; entlarvend sei insoweit der Weihnachtsbrief des Klägers von Ende Dezember 2015 (Anlage B 8, Bl. 261), wonach ein Sohn des Klägers ein Pharmazie-Studium beabsichtige und seit Frühjahr 2015 in der Apotheke tätig sei. Es finde sich in dem Brief auch kein Wort zum angeblichen schlechten Gesundheitszustand des Klägers; vielmehr zeige der Weihnachtsbrief, dass der Kläger dynamisch motiviert gewesen, die Apotheke nach vorne habe bringen wollen und seinen Sohn enger mit habe einbinden wollen.

Des Weiteren behauptet der Beklagte, dass der Kläger unter Verstoß der arbeitsvertraglichen Verschwiegenheitspflicht sowie gegen § 17 UWG und § 203 StGB unbefugt Betriebs- und Geschäftsgeheimnisse weitergegeben habe. Der Kläger habe Patientenrezepte mit Namen weitergegeben; daraus ließen sich die Erkrankungen ableiten. Im Kammertermin hat der Beklagte erklärt, dass er nicht behaupte, dass der Kläger Patientendaten an die Staatsanwaltschaft gegeben habe, sondern es sei davon auszugehen, dass der Kläger seinem Rechtsanwalt die Rezepte ungeschwärzt überreicht habe.

Darüber hinaus wird der Beklagte dem Kläger vor, seine Arbeitsaufgaben ab ca. Juli 2016 unzureichend erledigt zu haben, wovon er, der Beklagte, nach Ausspruch der Kündigung durch Übernahme der Aufgaben des Klägers durch dessen Nachfolger G erfahren habe. So habe der Kläger ca. 1.200 Rechnungen an Privatpatienten nicht versandt, vom 08.09. bis 13.12.2016 in Höhe von 2.622,61 Euro trotz Einzugsermächtigungen keine Bankeinzüge bei Kunden vorgenommen, Spendenquittungen bzgl. Rechnungen in Höhe von 16.895,54 Euro nicht eingeholt, das Mahnwesen nicht vorangetrieben, offene Rechnungen nicht überprüft, so dass die Zahl der offenen Rechnungen unmittelbar vor der Anzeigenerstattung gemäß der Anlage B 5 (Bl. 106 d. A.) eklatant angestiegen sei, Abtretungserklärungen nicht versandt, Rechnungseingänge nicht bearbeitet und Rechnungen nicht korrekt in das System eingegeben.

Zudem könnten die Dokumente, die der Strafanzeige in Form von Aktenordnern beigefügt gewesen seien und somit mehrere 100 Kopien umfassten, ab ca. Juli 2016 nur während der Arbeitszeit zu eigenen Zwecken mit Betriebsmitteln der Apotheke oder – nach nunmehrigen Kenntnis vom unerlaubten externen Zugang des Klägers zum IT-System der Apotheke – von zu Hause aus erstellt worden sein.

Auch der unerlaubte Zugang zum IT-System rechtfertige die Kündigung. Der Kläger habe nach seinem eigenen Vorbringen die Informationen für die Staatsanwaltschaft extern vom Server der Apotheke abgerufen. Der externe Zugang sei ohne Absprache mit ihm, dem Beklagten, eingerichtet worden. Er habe dies auch nicht erwartet und hätte dies aus Datenschutzgründen auch nie erlaubt. Er selbst habe nur Mails aus der Apotheke privat abrufen können, habe von extern aber keinen Zugriff auf den Server der Apotheke gehabt. Auch das Softwarehaus könne nur nach telefonischer Freigabe auf den Rechner zugreifen, so dass der vom Kläger behauptete 24-Stunden-Zugriff des Softwarehauses nicht nachvollziehbar sei. Die von dem Kläger vorgelegte SMS vom 05.11.2016 habe mit dem IT-Zugang nichts zu tun.

Des Weiteren stützt sich der Beklagte zur Begründung der Kündigung auf die nicht bezahlten, aber als bezahlt gekennzeichneten privaten Medikamenteneinkäufe des Klägers aus den Jahren 2015 und 2016. Der Beklagte behauptet, dass man im Rahmen der Nacharbeiten durch den Mitarbeiter G Ende Februar 2017 Kenntnis von den offenen Rechnungen des Klägers erlangt habe – was vom Kläger im Kammertermin bestritten wurde-, woraufhin eine genauere Prüfung erfolgt sei und sich gezeigt habe, dass der Kläger über mindestens 37 Medikamenteneinkäufe vom 02.01. bis 28.11.2015 im Wert von knapp 460 Euro erst am 28.07.2016 eine Rechnung (Anlage B 7) erstellt habe und diese am selben Tag als bezahlt markiert habe. Zudem habe sich herausgestellt, dass der Kläger – was unstreitig ist – am 06.07.2016 die im Jahr 2016 bis dahin bezogenen Medikamente als bezahlt markiert habe. Von den Medikamentenentnahmen des Klägers habe er, der Beklagte, zuvor keine Kenntnis gehabt. Diese seien auch nicht mit dem Kläger besprochen worden. Er hätte dem Kläger auch nie gestattet, über mehrere Jahre Medikamente zu entnehmen, ohne diese zu bezahlen. Im Detail habe er sich nicht darum gekümmert, wie viele Rechnungen ggf. offen sind. Die offenen Posten hätten – was unstreitig ist – vom Kläger im Einzelnen eingesehen werden können, nicht aber vom Steuerberater, der – was der Kläger bestreitet – nur die Gesamtsumme offener Posten habe sehen können. Die vom Kläger behauptete Absprache zur Verrechnung der Medikamentenrechnungen mit Überstunden habe es nicht gegeben. Er bestreitet, dass der Kläger angeordnete Überstunden geleistet habe; das Ausmaß der Überstunden sei ihm nicht bekannt gewesen. Eine derartige Verrechnung sei auch strafbar. Als Gegenleistung für die geleistete Mehrarbeit bei der Systemumstellung habe dieser die Gehaltserhöhung erhalten. Fortbildungskosten würden immer von der Apotheke übernommen, Überstunden würden en bloc ausgezahlt. Es mache auch keinen Sinn, insoweit mit Medikamentenkäufen herumzukaspern. Er habe immer schnell Entscheidungen getroffen.

Weiter behauptet der Beklagte, dass der Kläger einen Teil der Medikamentenrechnungen nach Erhalt der Kündigung über seine Schwester per EC-Karte in einer Nacht- und Nebelaktion um 6 Uhr früh bezahlt habe. Zur Höhe und zum Verwendungszweck könne er keine näheren Angaben machen. Er bestreite aber, dass damit – wie der Kläger behauptet – nur Einkäufe ab August 2016 bezahlt worden seien.

Letztlich vertritt der Beklagte die Ansicht, dass das Arbeitsverhältnis nach § 9 KSchG gegen Zahlung einer angemessenen Abfindung zum 31.01.2017 aufzulösen sei, sollte die Kündigung unwirksam sein. Das Vertrauen der Parteien sei endgültig zerrüttet. Der Kläger habe extreme, derzeit nicht belegte Anschuldigungen gegen ihn erhoben und eine anonyme Anzeige in einem so sensiblen Bereich wie dem Gesundheitswesen erstattet. Der Kläger habe damit eine familiäre Katastrophe ausgelöst. Seinen im Gebäude der Apotheke wohnenden Eltern sei es nicht zumutbar, dass der Kläger ihnen nochmal unter die Augen trete. Zudem sei ein zeitnahes Zusammentreffen beider Parteien offen.

Hinsichtlich des Schriftsatzes des Klägers vom 09.05.2017 und dessen Vorbringen im Termin beantragte der Beklagte vorsorglich Schriftsatznachlass.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die nach Klagerücknahme verbliebene, zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Aufgrund des Einspruchs des Klägers vom 18.04.2017 gegen das ihm am 13.04.2017 zugestellte Versäumnisurteil vom 12.04.2017 ist der Prozess in die Lage vor dessen Säumnis zurückversetzt worden (§ 342 ZPO i. V. m. § 46 Absatz 2 ArbGG). Der Einspruch ist zulässig; er ist statthaft sowie form- und fristgemäß eingelegt worden (§§ 59, 46 Absatz 2 ArbGG, §340 ZPO).

Hinsichtlich des mit Zustimmung des Beklagten zurückgenommenen allgemeinen Feststellungsantrags ist das Versäumnisurteil vom 12.04.2017 wirkungslos (§ 269 Absatz 3 Satz 1 ZPO).

II.

Der Kündigungsschutzantrag ist unbegründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung des Beklagten vom 29.11.2016 fristlos beendet worden. Die fristlose Kündigung ist rechtswirksam. Der hilfsweise gestellte Auflösungsantrag des Beklagten ist nicht zur Entscheidung angefallen.

1.

Die fristlose Kündigung gilt nicht bereits gemäß § 13 Absatz 1 Satz 2, § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Der Kläger hat die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung rechtzeitig geltend gemacht. Er hat die dreiwöchige Klagefrist nach § 4 Satz 1 KSchG gewahrt. Die Kündigung ist dem Kläger am 02.12.2016 zugegangen. Die Kündigungsschutzklage des Klägers ging am 21.12.2016 bei Gericht ein und wurde dem Beklagten am 09.01.2017 – und damit „demnächst“ im Sinne von § 167 ZPO – zugestellt.

2.

Das Arbeitsverhältnis der Parteien wurde durch die Kündigung vom 30.11.2016 fristlos beendet.

2.1

Gemäß § 626 Absatz 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis von jedem Vertragsteil aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Die erforderliche Prüfung, ob ein gegebener Lebenssachverhalt einen wichtigen Grund in diesem Sinne darstellt, vollzieht sich zweistufig. Zunächst ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls als wichtiger Kündigungsgrund an sich geeignet ist. Ist dies der Fall, bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist oder nicht (st. Rspr., vgl. BAG, Urteil vom 10.12.2009, NZA 2010, 698; BAG, Urteil vom 28.01.2010, Az. 2 AZR 1008/08, NZA-RR 2010, 461; BAG, Urteil vom 17.01.2008, 2 AZR 821/06, AP Nr. 62 zu § 15 KSchG 1969).

Eine außerordentliche Kündigung kann dabei auf alle Gründe gestützt werden, die zur Zeit des Kündigungsausspruchs bereits objektiv vorhanden waren. Dies gilt unabhängig davon, ob die Gründe dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung bekannt waren oder ob er davon erst später erfahren hat. Die Prüfung des wichtigen Grundes ist bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Nach der ständigen Rechtsprechung des BAG können Kündigungsgründe, die dem Kündigenden bei Ausspruch der Kündigung noch nicht bekannt waren, uneingeschränkt nachgeschoben werden, wenn sie bereits vor Ausspruch der Kündigung entstanden sind (BAG, Urteil vom 04.06.1997, Az. 2 AZR 362/96, NZA 1997, 1158). Die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Absatz 2 Satz 1 und Satz 2 BGB gilt insoweit nicht.

Nach § 626 Absatz 2 Satz 1 BGB kann die außerordentliche Kündigung nur innerhalb von zwei Wochen erfolgen. Die Frist beginnt in dem Zeitpunkt, in dem der Kündigungsberechtigte von den für die Kündigung maßgebenden Tatsachen Kenntnis erlangt. Dies ist der Fall, sobald der Kündigungsberechtigte eine zuverlässige und möglichst vollständige positive Kenntnis der einschlägigen Tatsachen hat, die ihm die Entscheidung darüber ermöglicht, ob er das Arbeitsverhältnis fortsetzen soll oder nicht. Auch grob fahrlässige Unkenntnis setzt die Frist nicht in Gang. Zu den maßgebenden Tatsachen gehören sowohl die für als auch die gegen die Kündigung sprechenden Umstände (BAG, Urteil vom 22.11.2012, Az. 2 AZR 732/11, BeckRS 2013, 69142, m. w. N.).

Darlegungs- und beweispflichtig für die Umstände, die als Kündigungsgründe geeignet sein können, und für die Einhaltung der Zwei-Wochen-Frist ist der Kündigende. Den Kündigenden trifft die Darlegungs- und Beweislast auch für diejenigen Tatsachen, die einen vom Gekündigten behaupteten Rechtfertigungsgrund ausschließen (vgl. BAG, Urteil vom 06.09.2007, Az. 2 AZR 264/06, juris). Hierbei muss allerdings eine Überforderung der mit der Darlegungs- und Beweislast belegten Partei im Kündigungsschutzprozess vermieden werden. Daher richtet sich der Umfang der dargestellten Darlegungs- und Beweislast danach, wie substantiiert sich der gekündigte Arbeitnehmer auf die Kündigungsgründe einlässt. Der Arbeitgeber braucht nicht von vornherein alle nur denkbaren Rechtfertigungsgründe des Arbeitnehmers zu widerlegen. Es reicht auch nicht aus, wenn der Arbeitnehmer Rechtfertigungsgründe pauschal ohne nähere Substantiierung vorbringt. Vielmehr ist er nach § 138 Absatz 2 ZPO im Rechtstreit gehalten, die Gründe, aus denen er die Rechtfertigung seines Verhaltens herleiten will, ausführlich vorzutragen, um damit den erhobenen Vorwurf zu bestreiten. Dazu genügt z.B. der pauschale Hinweis auf eine angebliche Einwilligung des Arbeitgebers zur Rechtfertigung des kündigungsrelevanten Verhaltens nicht. Vielmehr hat der Arbeitnehmer substantiiert die Tatsachen vorzutragen, aus denen sich die behauptete und bestrittene Einwilligung des Arbeitgebers ergeben soll. Die den kündigenden Arbeitgeber treffende Darlegungs- und Beweislast für den Ausschluss von Rechtfertigungsgründen ist damit sachgerecht abgestuft. Denn erst die notwendige, substantiierte Einlassung des Arbeitnehmers ermöglicht dem Arbeitgeber die Überprüfung dieser tatsächlichen Angaben und im Falle, dass er sie für unrichtig hält, auch einen erforderlichen Beweisantritt (BAG, Urteil vom 05.08.1987, Az. 2 AZR 226/87, juris; BAG, Urteil vom 26.11.1981, Az. 2 AZR 674/79, juris; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 20. März 2012, Az. 3 Sa 595/11, juris)

2.2

Nach diesen Grundsätzen ist die fristlose Kündigung vom 30.11.2016 vorliegend rechtswirksam.

2.2.1

Diese kann allerdings entgegen der Auffassung des Beklagten weder auf eine Verletzung der Schweigepflicht/Verschwiegenheitsverpflichtung noch auf eine unzureichende Aufgabenerledigung noch auf die Anfertigung von mehreren 100 Kopien während der Arbeitszeit mit Betriebsmitteln des Beklagten gestützt werden.

Insoweit fehlt es an substantiiertem Vorbringen des Beklagten.

So bleibt vollkommen unklar, was der Kläger wann an wen verraten haben soll. Der im Kammertermin geäußerte Verdacht, dass der Kläger seinem Rechtsanwalt ungeschwärzte Patientenrezepte gegeben habe, stellt eine reine Spekulation des Beklagten dar. Für eine etwaige Verdachtskündigung fehlt es zudem jedenfalls an einer vorherigen Anhörung des Klägers.

Auch soweit der Beklagte behauptet, der Kläger habe mehrere 100 Kopien während der Arbeitszeit mit Betriebsmitteln der Apotheke gefertigt, handelt es sich um eine bloße Vermutung, die nicht geeignet ist, eine Kündigung zu rechtfertigen.

Soweit der Beklagte behauptet, der Kläger habe seine näher beschriebenen Aufgaben ab ca. Juli 2016 unzureichend erledigt, beispielsweise 1.200 Rechnungen an Privatpatienten nicht versandt, keine Einzugsermächtigungen in Höhe von 2.622,61 Euro vorgenommen und offene Rechnungen nicht überprüft/gemahnt, genügt auch dieser Vortrag nicht. Es ist nicht ersichtlich, welche Aufgaben der Kläger wann zu erledigen gehabt haben soll und welche Aufgaben er pflichtwidrig nicht bzw. nicht rechtzeitig erledigt haben soll. Zudem waren die offenen Rechnungen ausweislich der vom Beklagten vorgelegten Unterlagen im November 2016 wieder stark rückläufig. Selbst wenn der Kläger Aufgaben pflichtwidrig nicht bzw. nicht rechtzeitig erledigt haben sollte, so wäre dies – zumal ohne vorherige Abmahnung – nicht geeignet, einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darzustellen.

2.2.2

Auch der Umstand, dass der Kläger Strafanzeige gegen den Beklagten erstattet hat, ist nicht geeignet, die fristlose Kündigung zu rechtfertigen.

Zwar kann ein wichtiger Grund auch in der Verletzung vertraglicher Rücksichtnahmepflichten nach § 241 Absatz 2 BGB liegen. Ob eine solche Rücksichtspflicht durch die Anzeige des Arbeitgebers bei der Staatsanwaltschaft verletzt worden ist, wird durch eine Abwägung der betroffenen, grundrechtlich geschützten Interessen der Parteien festgestellt. Auf Seiten des Gekündigten ist zum einen das Recht, sich an Strafverfolgungsbehörden zu wenden, zu berücksichtigen. Dieses ist Ausdruck des Rechtsstaatsprinzips aus Art. 20 Absatz 3 GG und gilt auch dann, wenn sich der Verdacht einer Straftat gegen einen Vertragspartner des Anzeigenden richtet. Wenn Tatsachenbehauptungen mit Werturteilen verbunden werden oder für die Bildung von Meinungen relevant sind, ist zudem die Meinungsfreiheit nach Art. 5 Absatz 1 GG zu berücksichtigen. Auf Seiten des Kündigenden geht es um den Schutz des guten Rufs des Unternehmens sowie um die unternehmerische Freiheit nach Art. 12 GG, die es auch einschließt, nur mit solchen Mitarbeitern zusammenzuarbeiten, die das Unternehmen fördern und es vor Schaden bewahren (vgl. Schlachter, RdA 2012, 108; EGMR, Urteil vom 21.07.2011 Az. 28274/08, juris; BVerfG, Beschluss vom 02.07.2001, Az. 1 BvR 2049/00, NJW 2001, 3474; BAG, Urteil vom 07.12.2006, Az. 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502). Dabei sind die Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen. Maßgebend ist insoweit insbesondere, inwieweit ein öffentliches Interesse an den Informationen besteht, ob sich der Arbeitnehmer sonst selbst strafbar machen würde, welche Beweggründe der Arbeitnehmer hatte, ob der Arbeitnehmer eine innerbetriebliche Klärung versucht hat bzw. ob ihm eine solche zumutbar war, wie authentisch die Informationen sind und welcher Schaden dem Arbeitgeber durch die offengelegten Informationen ggf. entstanden ist (vgl. EGMR, Urteil vom 21.07.2011 Az. 28274/08, juris; BAG, Urteil vom 07.12.2006, a.a.O.; Schlachter, RdA 2012, 108).

Vorliegend besteht ein sehr hohes öffentliches Interesse an den Informationen. Dass der Kläger aus Eigennutz oder sonstigen unbilligen Motiven heraus die Anzeige erstattet hat, ist von dem Beklagten nicht hinreichend dargelegt. Eine innerbetriebliche Klärung wurde vom Kläger zwar nicht unternommen, dies erscheint allerdings angesichts der vorliegenden Umstände auch als nicht zumutbar. So wird vorliegend der Arbeitgeber in Person des Beklagten selbst einer erheblichen Straftat verdächtigt. Zudem gab es unstreitig schon mal, ob nun in den Jahren 2013/2014 oder 2014/2015, strafrechtliche Ermittlungen gegen den Beklagten wegen des Verdachts der Verdünnung von Medikamenten, die nach § 170 Absatz 2 StPO eingestellt wurden. Ob zwei Mitarbeiterinnen den Vater des Beklagten damals ansprachen, ist insoweit nicht relevant. Des Weiteren ist zugunsten des Klägers zu berücksichtigen, dass die von ihm an die Staatsanwaltschaft überreichten Informationen dafür ausreichten, einen Haftbefehl gegen den Beklagten zu erlassen und dass sich der Beklagte noch in Untersuchungshaft befindet. Von einer leichtfertig erstatteten Anzeige kann demnach nicht gesprochen werden. Angesichts dieser, gegen ein Kündigungsrecht des Beklagten sprechenden Umstände, müssen die dem Beklagten entstandenen Beeinträchtigungen, insbesondere die Schädigung seines Rufs zurücktreten. Auch der Umstand, dass der Kläger die Anzeige über einen Rechtsanwalt anonym erstattet hat, führt insoweit vorliegend zu keiner anderen Bewertung. Gegenüber den Ermittlungsbehörden hat der Kläger jedenfalls am 07.10.2016 seine Identität preisgegeben, auch wenn ihm weiterhin Vertraulichkeit zugesichert wurde.

2.2.3

Ob ein etwaiger, zwischen den Parteien streitiger unerlaubter Zugriff auf den Server der Apotheke einen wichtigen Grund zur Kündigung darstellen würde, kann dahinstehen.

2.2.4

Die fristlose Kündigung ist jedenfalls deshalb gerechtfertigt, weil der Kläger bei dem Beklagten von Januar 2015 bis Juli 2016 privat Medikamente bezog und die entsprechenden Rechnungen als bezahlt kennzeichnete, obwohl diese nicht bezahlt waren.

Vermögensdelikte gegen den Arbeitgeber rechtfertigen regelmäßig eine außerordentliche Kündigung. Der wichtige Grund für eine außerordentliche Kündigung liegt bei Straftaten wie Betrug, Diebstahl oder Unterschlagung nicht in der strafrechtlichen Würdigung des Verhaltens, sondern in der mit der Tat ggf. einhergehenden Störung des Arbeits- bzw. Vertrauensverhältnisses (BeckOK BGB/Fuchs, 42. Edition, § 626 Rn. 29). Auch nicht strafbare, ähnlich schwerwiegende Handlungen unmittelbar gegen das Vermögen des Arbeitgebers stellen grundsätzlich einen wichtigen Grund im Sinne von § 626 Absatz 2 BGB dar (vgl. BAG, Urteil vom 16.12.2010, Az. 2 AZR 485/08, NZA 2011, 571).

Im Einzelnen:

Der Kläger markierte am 06.07. oder 28.07.2016 die Rechnung für die im Jahr 2015 erworbenen Medikamente im Wert von ca. 450 Euro als bezahlt, obwohl eine Bezahlung unstreitig weder in bar noch per Überweisung erfolgt war. Zudem erstellte der Kläger am 31.01., 28.02., 05.04., 02.05., 30.05. und 05.07.2016 Rechnungen über privat bezogene Medikamente im Wert von insgesamt ca. 640 Euro mit dem Vermerk „Rechnung ist bereits bezahlt“ und markierte sie im System des Beklagten am 06.07.2016 als bezahlt, obwohl eine Bezahlung unstreitig weder in bar noch per Überweisung erfolgt war. Erst recht waren die Rechnungen vom 31.01., 28.02., 05.04., 02.05. und 30.05.2016 – entgegen dem enthaltenen Vermerk – unstreitig nicht bereits an den Tagen, als die jeweilige Rechnung erstellt wurde, bezahlt. Dies stellt grundsätzlich einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung dar.

Zur Rechtfertigung seines Verhaltens hat sich der Kläger zum einen darauf berufen, dass ein derartiges Verhalten in dem Betrieb des Beklagten üblich sei. Medikamentenrechnungen von Mitarbeitern seien teilweise in bar, teilweise per Überweisung, teilweise gar nicht oder per Verrechnungen bezahlt worden. Die Mitarbeiterin T habe Medikamenteneinkäufe für den Verzicht auf die Erstattung von Fahrtkosten für Fortbildungen im Jahr 2016 mit Wissen des Beklagten auf bezahlt gesetzt. Insoweit handelt es sich um eine pauschale Behauptung. Es ist schon nicht ersichtlich, inwieweit und wann das „auf-bezahlt-Setzen“ mit Wissen des Beklagten erfolgt sein soll. Der Kläger widerspricht sich auch selbst; denn im Kammertermin hat er eingeräumt, dass der Beklagte sich um die Rechnungen gar nicht gekümmert habe. Vielmehr war es Aufgabe des Klägers, die Rechnungen zu erstellen und zu prüfen, und zwar in Einklang mit der unstreitig bestehenden Dienstanweisung.

Des Weiteren hat sich der Kläger zur Rechtfertigung schriftsätzlich darauf berufen, dass er den Beklagten in einem Gespräch unter vier Augen im Juni/Juli 2016, vor dem 10.07.2016, wegen der von ihm geleisteten Überstunden mitgeteilt habe, dass er noch offene Medikamentenrechnungen im Wert von ca. 950 Euro habe, und dass der Beklagte ihm vorgeschlagen habe, einen Teil der Überstundenvergütung mit den Medikamentenrechnungen zu verrechnen; er habe die Rechnungen auf Anweisung des Beklagten als bezahlt vermerkt. Im Einzelnen hat der Kläger schriftsätzlich behauptet, dass er im Jahr 2015 mindestens 639 und im Jahr 2016 insgesamt 648 Überstunden geleistet habe. Diese Überstundenvergütungsansprüche seien fällig und vom Beklagten anerkannt worden und hätten daher von ihm, dem Kläger, gegen die Forderungen des Beklagten wegen der privaten Medikamentenkäufe aufgerechnet werden können. Anlässlich einer Besprechung in der Woche nach dem 10.07.2016, an der unstreitig die Parteien, die Eltern des Beklagten und dessen Rechtsanwalt und Steuerberater G1 teilgenommen haben, habe er mitgeteilt, wie viele Überstunden er habe, und die Bezahlung der Überstunden geltend gemacht. Der Beklagte habe darauf verständnisvoll und anerkennend reagiert und ihm eine – unstreitig tatsächlich zum 01.08.2016 in Höhe von 200 Euro brutto erfolgte – Gehaltserhöhung zugesagt. Zu der Bezahlung der Überstunden habe der Beklagte erklärt, er werde sich darum kümmern. Davor, im Juni/Juli 2016, das Datum sei ihm nicht mehr erinnerlich, habe er den Beklagten nochmals auf die Bezahlung seiner Überstunden angesprochen. Er, der Kläger, habe dem Beklagten auch mitgeteilt, dass er noch die Bezahlung der privat bezogenen Medikamente im Wert von insgesamt ca. 950 Euro schuldig sei. Die Medikamente habe er ordnungsgemäß (Anlage B6) als gekauft verbucht. Der Beklagte sei hierüber keineswegs überrascht gewesen, denn es sei in dem Betrieb üblich gewesen, dass Mitarbeiter, beispielsweise die Mitarbeiterin T, private Medikamente anschreiben gelassen hätten. Der Beklagte habe ihm, dem Kläger, vorgeschlagen, einen Teil der Überstundenvergütung mit den Schulden aus den Medikamentenkäufen zu verrechnen. Er habe die Rechnungen erstellen und als „bezahlt“ vermerken sollen. Dieser Anweisung habe er Folge geleistet und die Rechnungen auf bezahlt gesetzt. Dies sei allerdings nicht am 28.07.2016 geschehen, da er an diesem Tag Urlaub gehabt und nicht in der Apotheke gewesen sei. Ein solches Vorgehen sei im Betrieb des Beklagten üblich; so habe die Mitarbeiterin T mit Wissen des Beklagten ihre Schulden wegen privater Medikamenteneinkäufe auf bezahlt gesetzt und im Gegenzug auf die Erstattung ihrer Fahrtkosten für Fortbildungen im Jahr 2016 verzichtet.

Im Kammertermin machte der Kläger hierzu im Rahmen seiner persönlichen Anhörung zunächst geltend, dass es zwei Anlässe für Überstunden-Gespräche gegeben habe. Es sei um eine Gehaltserhöhung oder Kompensation gegangen. In diesem Rahmen habe er den Beklagten darauf hingewiesen, dass noch Medikamenteneinkäufe offen seien, und der Beklagte habe ihm gesagt, dass das damit dann erledigt werde. Auf Nachfrage, was zu den Medikamentenkäufen konkret besprochen worden sei, erklärte der Kläger, dass die offenen Rechnungen thematisiert worden seien und dass der Beklagte gesagt habe, dass diese mit einem Teil der Überstunden verrechnet würden, diese damit erledigt seien. Die Gespräche hätten direkt vor und nach der Inventur vom 10.07.2016 stattgefunden. Es habe erst ein Gespräch unter vier Augen mit dem Beklagten und dann ein Gespräch in größerer Runde stattgefunden. Inhaltlich sei es, so machte der Kläger zunächst geltend, in beiden Gesprächen um das Gleiche gegangen. Später erklärte er, dass bei dem Gespräch in der größeren Runde die Medikamentenrechnungen kein Thema gewesen seien. Es sei um die Überstunden und wie man betriebswirtschaftlich damit umgehe gegangen. Der Beklagte habe dabei gesagt, dass er sich um die Überstunden kümmern werde. Die Gehaltserhöhung sei in dem Gespräch in größerer Runde kein Thema gewesen. Nach dem Gespräch in größerer Runde habe es ein oder mehrere weitere Gespräche mit dem Beklagten bezüglich der Gehaltserhöhung gegeben. Es sei immer ein Nachhaken nötig; bei dem Beklagten sei es mit einem ersten Gespräch nicht getan, da man auch häufig unterbrochen werde. Nach dem ersten Gespräch mit dem Beklagten wegen der Überstunden habe sich eher nichts getan. Auf Vorhalt, dass er nach seinem Vortrag die Rechnungen schon nach dem ersten Gespräch am 06.07.2017 auf bezahlt gesetzt habe, erklärte der Kläger, dass er auf Nummer sicher gegangen sei und die Themen häufiger angesprochen habe.

Diese Einlassungen des Klägers sind nicht nachvollziehbar, in sich widersprüchlich und unsubstantiiert. Sein Vorbringen stellt sich als Schutzbehauptung dar.

Der Kläger hat auch auf konkrete Nachfrage im Kammertermin, was konkret bezüglich der Medikamentenrechnungen besprochen worden sei, nur pauschal geltend gemacht, dass die offenen Rechnungen thematisiert worden seien und dass der Beklagte gesagt habe, dass diese mit einem Teil der Überstunden verrechnet würden, dass diese damit erledigt seien. Wie es zu dem Gespräch gekommen sein soll, wo dies stattgefunden haben soll und was von welcher Partei geäußert worden sein soll, ist vom Kläger nicht dargelegt worden. Es bleibt auch vollkommen unklar, um wie viele Überstunden es in dem ersten Gespräch gegangen sein soll und wie viele Überstunden dann nach der angeblichen Verrechnung in dem Gespräch in größerer Runde noch Thema gewesen sein sollen. Auch hat der Kläger in seiner persönlichen Anhörung die schriftsätzlich aufgestellte, wesentliche Behauptung nicht wiederholt, der Beklagte habe ihm vorgeschlagen, die Überstunden mit den Rechnungen zu verrechnen und ihn angewiesen, die Rechnungen auf bezahlt zu stellen. Der Kläger vermochte auch nicht nachvollziehbar erläutern, weshalb sich der Beklagte, wie vom Kläger selbst vorgetragen, in dem Gespräch in größerer Runde angesichts der mitgeteilten Überstunden des Klägers anerkennend gezeigt haben soll, wenn diese doch bereits Thema eines vorherigen Vier-Augen-Gesprächs gewesen sein sollen. Die Erläuterung des Klägers im Kammertermin, bei dem Beklagten sei es mit einem ersten Gespräch nicht getan, man werde häufig unterbrochen, ist eine bloße Floskel und lässt sich auch nicht damit vereinbaren, dass der Kläger die Rechnungen von Januar 2015 und bis Juli 2016 nach eigenem Vorbringen an einem Tag, welches nach dem klägerischen Vorbringen der 06.07.2016 gewesen sein muss, auf bezahlt gestellt hat. Dass er insoweit auf Nummer sicher gegangen sein will, stellt ebenfalls eine pauschale, nicht glaubhafte Schutzbehauptung dar.

Des Weiteren ist zu berücksichtigen, dass die Rechnungen vom 31.01., 28.02., 05.04., 02.05. und 30.05. bereits bei Erstellung unter dem jeweiligen Rechnungsdatum mit dem Vermerk „Die Rechnung ist bereits bezahlt“ versehen waren, obwohl dies auch nach dem klägerischen Vorbringen zu diesem Zeitpunkt nicht den Tatsachen entsprach und somit ein falscher Anschein erweckt wurde.

Ob der Kläger die Rechnungen für den Zeitraum Januar 2015 bis Juli 2016 nach Erhalt der Kündigung teilweise über seine Schwester beglichen hat, wie dies der Beklagte behauptet, ohne insoweit konkrete Angaben zu machen, kann insoweit dahinstehen. Das diesbezügliche Vorbringen des Beklagten ist unsubstantiiert und damit unbeachtlich.

Auch unter Berücksichtigung der Umstände des Einzelfalls ergibt sich keine andere Bewertung. Insbesondere kann die vom Kläger begangene Pflichtverletzung nicht gegen die möglicherweise vom Beklagten begangenen, erheblichen Straftaten „aufgerechnet“ werden. Zum einen gilt zugunsten des Beklagten bis zu einer Verurteilung die Unschuldsvermutung. Zum anderen kann auch ein wegen Straftaten verurteilter Arbeitgeber auf anderweitige, erhebliche Pflichtverletzungen eines Arbeitnehmers grundsätzlich durch Ausspruch einer fristlosen Kündigung reagieren. Die Kündigung ist vorliegend auch nicht allein aus Rache wegen der – zulässigen Anzeigenerstattung durch den Kläger – ausgesprochen worden. Auch wenn die Kündigung unmittelbar nach Kenntnis des Beklagten von der Anzeigenerstattung durch den Kläger ausgesprochen wurde, so können andere Kündigungsgründe in zulässigerweise nachgeschoben werden. Dass der Beklagte den Kläger bislang nicht auf Erstattung des Schadens/der Medikamentenrechnungen in Anspruch genommen hat, ändert nichts daran, dass das Verhalten des Klägers eine erhebliche Pflichtverletzung darstellt, die vorliegend einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung darstellt. Dies gilt umso mehr, als dass der Kläger derjenige Mitarbeiter des Beklagten war, der für die Erstellung und Prüfung von Rechnungen verantwortlich war und somit eine erhebliche Vertrauensposition inne hatte. Letztlich war der Kläger im Kündigungszeitpunkt auch erst 4 Jahre bei dem Beklagten beschäftigt, so dass die Betriebszugehörigkeit nicht gegen die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung spricht.

2.2.5

Die Wirksamkeit der fristlosen Kündigung scheitert auch nicht an der Zwei-Wochen-Frist des § 626 Absatz 2 ZPO.

Der Beklagte hat bereits mit Schriftsatz vom 06.03.2017 vorgetragen, dass der Mitarbeiter G die Aufgaben des Klägers nach dessen Kündigung übernommen hat, was unstreitig ist, und in diesem Rahmen Ende Februar 2017 die offenen Medikamentenrechnungen aufgefallen seien, woraufhin eine genauere Prüfung erfolgt sei, die dann ergeben habe, dass der Kläger – unstreitig – im Jahr 2015 Medikamente im Wert von ca. 450 Euro und im Jahr 2016 im Wert von ca. 640 Euro bezogen und nicht in bar oder per Überweisung bezahlt hat, der Kläger die Rechnungen aber am 28.07. (bezüglich der Rechnungen aus 2015) bzw. am 06.07.2016 – unstreitig – (bezüglich der Rechnungen aus 2016) als bezahlt gekennzeichnet habe.

Dieser Vortrag der Beklagten zum Zeitpunkt der Kenntniserlangung ist vom Kläger erst im Kammertermin am 24.05.2017 bestritten worden. Ein solches einfaches Bestreiten reicht indes nicht aus. Der Kläger hätte insoweit konkret vortragen müssen, weshalb davon auszugehen sein soll, dass der Beklagte schon zuvor Kenntnis von diesen Umständen erhalten haben soll, zumal der Kläger im Kammertermin selbst einräumte, dass sich der Beklagte nicht um offene Rechnungen kümmerte, und es unstreitig Aufgabe des Klägers war, sich um die Rechnungen/offene Posten zu kümmern. Soweit sich der Kläger auf ein Vier-Augen-Gespräch vor dem 10.07.2016 beruft, ist der diesbezügliche Vortrag – wie bereits ausgeführt – als unsubstantiierte, nicht glaubhafte Schutzbehauptung zu werten.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 46 Absatz 2 ArbGG i. V. m. §§91 Absatz 1, 269 Absatz 3 ZPO. Der Kläger hat die Kosten wegen der teilweisen Klagerücknahme nach § 269 Absatz 3 ZPO und die übrigen Kosten des Rechtsstreits als unterlegene Partei nach § 91 Absatz 1 ZPO zu tragen. Der Gebührenstreitwert beläuft sich auf 33.111,12 Euro: drei Bruttomonatsgehälter à 8.277,78 Euro für die Kündigungsschutzanträge und ein Bruttomonatsgehalt à 8.277,78 Euro für den allgemeinen Feststellungsantrag. Das Bruttomonatsgehalt in Höhe von 8.277,78 Euro errechnet sich wie folgt: 7.650 Euro Monatsgehalt zzgl. 1/12 des Weihnachtsgeldes in Höhe von 7.533,33 Euro (= 627,78 Euro).

IV.

Der gemäß § 61 Absatz 1 ArbGG im Urteil festzusetzende Streitwert war nach § 42 Absatz 2 GKG mit 3 Bruttomonatsgehältern à 8.277,78 Euro für die verbliebenen Kündigungsschutzanträge in Ansatz zu bringen.

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