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Fristlose Kündigung wegen Täuschung über den Impfstatus bei Corona-Pandemie

Kündigung wegen gefälschtem Impfpass bestätigt

In einem aktuellen Fall hat das Gericht die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung bestätigt. Der Arbeitnehmer hatte nachweislich einen gefälschten Impfpass vorgelegt und seinen Impfstatus wiederholt falsch angegeben.

Direkt zum Urteil: Az.: 7 Ca 2518/21 springen.

Arbeitnehmer täuscht Arbeitgeber

Der Kläger, ein kaufmännischer Angestellter, hatte seinem Arbeitgeber mitgeteilt, vollständig gegen das Corona-Virus geimpft zu sein. Als er dennoch in Quarantäne geschickt wurde, kam heraus, dass er möglicherweise nicht geimpft war. Auf Nachfrage legte er gefälschte Impfausweis-Fotokopien vor.

Fälschung führt zu Kündigung

Der Arbeitgeber kündigte daraufhin das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich. Der Kläger bestritt die Fälschung und verwies darauf, dass der Arbeitgeber kein Fragerecht bezüglich seines Impfstatus habe.

Gericht bestätigt Kündigung

Das Gericht bestätigte die Wirksamkeit der außerordentlichen Kündigung, da der Kläger durch seine Täuschung und die Vorlage des gefälschten Impfpasses das Vertrauen des Arbeitgebers unwiederbringlich zerstört habe. Eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses sei daher unzumutbar.

Verdachtsmomente gegenüber Kläger

Der Kläger wird beschuldigt, seinen Impfstatus gegenüber der Beklagten und dem Gesundheitsamt falsch dargestellt zu haben. Ein erstes Indiz ist der Widerspruch zwischen seinen Aussagen gegenüber der Beklagten und dem Gesundheitsamt. Ein weiteres Indiz sind die Unstimmigkeiten bei den eingereichten Impfausweis-Fotokopien, welche Zweifel an der Echtheit der Dokumente aufkommen ließen. Der Kläger konnte die Vorwürfe nicht entkräften und legte seinen Impfausweis im Original nicht vor.

Rechtswidrige Täuschung und Vertrauensbruch

Die Täuschung des Klägers war rechtswidrig, da die Beklagte ein legitimes Interesse daran hatte, den Impfstatus des Klägers in Erfahrung zu bringen. Dieses Interesse war insbesondere relevant für mögliche zukünftige Quarantänesituationen. Der Kläger verstieß gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten, indem er die Beklagte bewusst täuschte. Dies führte zu einem eklatanten Vertrauensbruch. Eine fristlose Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber nachhaltig zerrüttet ist, wie in diesem Fall.

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Das vorliegende Urteil

ArbG Koblenz – Az.: 7 Ca 2518/21 – Urteil vom 09.03.2022

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt der Kläger.

3. Der Streitwert wird auf 11.352,12 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Fristlose Kündigung wegen Täuschung über den Impfstatus bei Corona-Pandemie
(Symbolfoto: Racamani/Shutterstock.com)

Der Kläger war bei der Beklagten seit dem 01.07.2013 als kaufmännischer Angestellter (EDV-Mitarbeiter im Außendienst) zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt 3.784,04 EUR beschäftigt. Nachdem sich ein Arbeitnehmer der Beklagten mit dem Corona-Virus infiziert und 3 Kollegen, darunter den Kläger, als Erstkontakt angegeben hatte, ordnete das zuständige Gesundheitsamt (nur) gegenüber dem Kläger eine häusliche Quarantäne für die Zeit vom 22. – 31.10.2021 an. Dies verwunderte die Beklagte, da der Kläger ihr in der Vergangenheit – ebenso wie die beiden anderen angegebenen Erstkontakte des Infizierten – mitgeteilt hatte, vollständig gegen das Corona-Virus geimpft zu sein und daher in Anbetracht der bei allen 3 Personen vorliegenden Symptomlosigkeit die Anordnung einer Quarantäne nicht erforderlich gewesen wäre. Auf Frage nach dem Grund für die unterschiedliche Behandlung ihrer Arbeitnehmer teilte das Gesundheitsamt der Beklagten mit, der Kläger habe angegeben, nicht gegen COVID 19 geimpft zu sein, die Anordnung der Quarantäne bleibe daher aufrechterhalten. Daraufhin erkundigte sich die Beklagte beim Kläger erneut nach seinem Impfstatus, woraufhin der Kläger bekräftigte, er sei doppelt geimpft. Auf die Bitte nach einem entsprechenden Impfnachweis übersandte er ihr Impfausweis-Fotokopien. Da die Beklagte auf den Kopien deutliche Farbunterschiede wahrnahm, daher Zweifel hegte, ob die Kopien aus einunddemselben Impfausweis stammten, und ihr zudem die „sehr ordentliche Unterschrift des Arztes“ Dr. … auffiel, kontaktierte sie die Arztpraxis, um sich die tatsächliche Durchführung der angegebenen Impfungen bestätigen zu lassen. Herr Dr. … teilte ihr mit, dass der auf der Kopie ersichtliche Praxisstempel zwar existiere, aber nicht für COVID-Impfungen verwendet werde, und die dort angegebenen Impfungen vom 07.06. und 19.07.2021 nicht von ihm unterzeichnet worden seien, es handle sich um eine Fälschung. Der Arzt erstattete am 29.10.2021 Strafanzeige gegen den Kläger. Als dieser am 02.11.2021 nach Beendigung seiner Quarantäne wieder im Betrieb der Beklagten erschien, bekräftigte er auf erneute Nachfrage, er sei doppelt gegen COVID 19 geimpft, und zwar in der Praxis von Herrn Dr. …, dies habe er dem Gesundheitsamt auch so mitgeteilt. Nach Konfrontation mit den Aussagen des Gesundheitsamtes sowie von Herrn Dr. … gegenüber der Beklagten erklärte der Kläger, er habe sich keine großen Gedanken gemacht und müsse jetzt auch nichts mehr sagen, da ja ohnehin alles klar sei. Vielleicht habe er sich nur so verhalten, weil er nicht verstehe, warum die Firma kein bzw. kein regelmäßiges Home-Office anbiete und er jetzt durch die Quarantäne herausfinden wolle, wie das denn wäre. Daraufhin kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 02.11.2021 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich.

Der Kläger behauptet, seinen Impfausweis nicht gefälscht zu haben, und verweist darauf, der Beklagten stehe gar kein Fragerecht in Bezug auf seinen Impfstatus zu, da sie nicht zu den § 23 Abs. 3 IfSG aufgeführten Einrichtungen zähle. Eine Falschbeantwortung ihrer Frage nach seinem Impfstatus sei daher unbeachtlich und stelle keinen Kündigungsgrund dar. Den Schutzstandard der zum Zeitpunkt der Kündigung maßgeblichen 26. Corona-Bekämpfungsverordnung Rheinland-Pfalz habe er eingehalten und an den freiwilligen Testungen durch die Beklagte teilgenommen.

Der Kläger beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung vom 02.11.2021 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hält bereits die außerordentliche Kündigung für wirksam, und zwar wegen des durch objektive Umstände begründeten dringenden Verdachts, dass der Kläger seinen Impfpass und die dortigen ärztlichen Unterschriften in Bezug auf die beiden Corona-Impfungen gefälscht sowie wahrheitswidrig unter Vorlage dieses gefälschten Impfpasses angegeben habe, gegen das Corona-Virus geimpft worden zu sein. Der dringende Verdacht beziehe sich auf strafbare Handlungen – Urkundenfälschung und Betrug – sowie eine schwere arbeitsvertragliche Pflichtverletzung in Form mehrfacher und nachdrücklicher Täuschung über den Impfstatus. Weder habe ihr der Kläger seinen Impfausweis im Original vorgelegt noch habe er die ihr gegenüber abgegebene Erklärung von Herrn Dr. …, die angeführten Impfungen nicht unterschrieben zu haben, in Abrede gestellt. Vielmehr habe er bei Konfrontation im Gespräch am 02.11.2021 erklärt, er müsse jetzt nichts mehr sagen, da ja ohnehin alles klar sei und er sich vielleicht nur so verhalten habe, weil er nicht verstehe, warum sie kein regelmäßiges Home-Office anbiete. Es handle sich um eine relevante Täuschung auf eine zulässige Frage. Sie habe ein legitimes Interesse daran gehabt, den Impfstatus zu erfahren. Zum einen habe ihr das Gesundheitsamt mitgeteilt, die Quarantäne angeordnet zu haben, da der Kläger im Gegensatz zu den anderen beiden als Erstkontakt angegebenen Mitarbeitern erklärt habe, nicht geimpft zu sein, und er daher entweder das Gesundheitsamt oder sie belogen habe. Zum zweiten müsse sie über den Impfstatus des Klägers, der als Außendienstmitarbeiter regelmäßigen und häufigen Kundenkontakt habe, schon deshalb Bescheid wissen, um das Einsatzrisiko und eine bei noch nicht durchgeführter Impfung bestehende Gefährdung für Kollegen und Kunden abwägen zu können. Der Kläger habe vor dem Gespräch vom 02.11.2021 auch nicht auf eine von ihr gestellte Frage nach seinem Impfstatus die Unwahrheit bekundet, sondern sei initial von sich aus an sie herangetreten und habe mehrfach erklärt, er sei doppelt gegen das Corona-Virus geimpft. Bei diesen Erklärungen habe er es indes nicht belassen, sondern auf ihre Nachfrage Ende Oktober nach seinem Impfausweis Kopien eingereicht, mit denen er den Eindruck habe erwecken wollen, von Herrn Dr. … gegen das Corona-Virus geimpft worden zu sein, was sich als Lüge herausgestellt habe. Dass er sich damit nicht nur strafbar gemacht, sondern auch ihr Vertrauen in ihn unwiederbringlich zerstört habe, habe ihm klar sein müssen, weshalb der vorherige Ausspruch einer Abmahnung entbehrlich sei. Schließlich habe sie ein Interesse an der Information zwecks Prüfung eines Erstattungsanspruchs für das dem Kläger gezahlte Gehalt nach § 56 IfSG gehabt. Für den Fall, dass sie eine solche Erstattung im Vertrauen auf die angegebenen Impfungen geltend gemacht hätte, hätte sie sich strafbar gemacht, da der Kläger offenbar überhaupt nicht geimpft gewesen sei. Er habe auch keineswegs regelmäßig an den von ihr angebotenen freiwilligen Testungen teilgenommen, sondern dies lediglich am 07.05., 28.05. und 11.06.2021 getan. Noch in dem Gespräch vom 02.11.2021 habe er seine Täuschung aufrechterhalten, bis sie ihn dann mit den Aussagen des Gesundheitsamts und von Herrn Dr. … konfrontiert habe. Dem Kläger sei insgesamt eine so schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Nebenpflichten anzulasten, dass ihr eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist unzumutbar sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

A.

Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten hat das Arbeitsverhältnis der Parteien wirksam beendet.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG 07.07.2005, 27.04.2006, 26.03.2009, 10.06.2010, 09.06.2011, 29.08.2013, 23.10.2014 und 16.07.2015, AP Nr. 192, 202, 220, 229, 234, 245, 248 und 255 zu § 626 BGB; 19.01.2016 NZA 2016, 1144 Rn. 28; 29.06.2017 NZA 2017, 1121 Rn. 11) erfolgt die Prüfung der Rechtswirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung in zwei Stufen: Auf der ersten Stufe ist zu prüfen, ob ein bestimmter Sachverhalt an sich, also ohne die besonderen Umstände des Einzelfalls, geeignet ist, einen wichtigen Grund für eine außerordentliche Kündigung iSv § 626 Abs. 1 BGB abzugeben. Bejahendenfalls ist sodann auf der zweiten Stufe zu prüfen, ob die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht. Nicht erforderlich ist die Verletzung der arbeitsvertraglichen Hauptpflichten, auch eine Nebenpflichtverletzung kann als wichtiger Grund für eine fristlose Kündigung genügen (BAG 02.03.2006 NZA-RR 2006, 636, 638; 12.05.2010 NZA 2010, 1348, 1349 f.; 27.01.2011 NZA 2011, 798 Rn. 29; 08.05.2014 NZA 2014, 1258 Rn. 19; 23.08.2018 AP Nr. 272 zu § 626 BGB). Nach § 241 Abs. 2 BGB ist jede Partei des Arbeitsvertrages zur Rücksichtnahme auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen ihres Vertragspartners verpflichtet. Diese Regelung dient dem Schutz und der Förderung des Vertragszwecks. Der Arbeitnehmer hat seine Arbeitspflichten so zu erfüllen und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitgebers so zu wahren, wie dies von ihm unter Berücksichtigung seiner Stellung und Tätigkeit im Betrieb, seiner eigenen Interessen und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebs nach Treu und Glauben verlangt werden kann (BAG 10.09.2009 NZA 2010, 220, 221 f.; 28.10.2010 NZA 2011, 112 Rn. 19; 08.05.2014 NZA 2014, 1258 Rn. 19).

Dabei kann nach höchstrichterlicher Rechtsprechung (BAG 13.09.1995 AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; 10.02.2005 NZA 2005, 1056, 1058; 28.11.2007 NZA-RR 2008, 344, 345 f.; 13.03.2008 NZA 2008, 809, 810; 24.05.2012 NZA 2013, 137, 138; 25.10.2012 NZA 2013, 371 f.; 23.05.2013 NZA 2013, 1416, 1417 f.; 18.06.2015 NZA 2016, 287 Rn. 21 f.; 17.03.2016 – 2 AZR 110/15 – Rn. 39; 02.03.2017 NZA 2017, 1051 Rn. 22) nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung abgeben, denn jedes Arbeitsverhältnis setzt als personenbezogenes Dauerschuldverhältnis ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus. Der schwerwiegende Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, die einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht (BAG 05.04.2001 NZA 2001, 837, 839; 31.01.2019 NZA 2019, 893 Rn. 21; BVerfG 15.12.2008 – 1 BvR 347/08 – Rn. 12). Der Verdacht muss sich dabei auf objektive Tatsachen gründen und der Arbeitnehmer zu den Vorwürfen vorher angehört werden, da anders als bei einem aufgrund von Tatsachen bewiesenen Sachverhalt bei der Verdachtskündigung die Gefahr besteht, dass ein Unschuldiger betroffen ist.

Diese Voraussetzungen liegen hier vor.

a) Ein auf der ersten Prüfungsstufe erforderlicher Grund iSv § 626 Abs. 1 BGB ist in Gestalt eines durch objektive Umstände hinreichend erhärteten Tatverdachts dahin, dass der Kläger die Beklagte über seinen Impfstatus getäuscht hat, gegeben.

aa) Erstes verdachtsbegründendes Indiz ist der Widerspruch zwischen der Erklärung des Klägers gegenüber der Beklagten, er sei doppelt geimpft, und der (unstreitigen) Erklärung des Gesundheitsamts gegenüber der Beklagten, der Kläger habe ihm gegenüber angegeben, nicht geimpft zu sein. Für eine solche Erklärung des Klägers gegenüber dem Gesundheitsamt spricht die Anordnung der häuslichen Quarantäne, die lediglich für ihn angeordnet wurde, nicht aber für die anderen beiden, ebenfalls als Erstkontakt des Infizierten angegebenen Mitarbeiter der Beklagten. Aus welchem anderen Grunde eine Anordnung der Quarantäne für diese anderen Mitarbeiter unterblieben sein soll, ist weder ersichtlich noch vorgetragen, zumal keiner der 3 Arbeitnehmer Krankheitssymptome aufwies.

bb) Weiteres Indiz sind die Unstimmigkeiten im Zusammenhang mit den vom Kläger eingereichten Impfausweis-Fotokopien. Diese riefen bei der Beklagten aufgrund augenscheinlicher Farbunterschiede und „ungewöhnlich leserlicher“ Unterschriften des Arztes Dr. … Zweifel an der Echtheit ihres Inhalts hervor. Auf entsprechende Nachfrage bei der Arztpraxis erklärte Dr. … unstreitig, dass die auf den Kopien ersichtlichen Praxisstempel für Impfausweise keine Verwendung fänden und die Unterschrift „A. … “ nicht von ihm stamme, sondern gefälscht sei. Damit wird zugleich ausgeschlossen, dass eine Sprechstundenhilfe oder sonstige Praxismitarbeiterin für ihn in gut leserlicher Schrift in seinem Namen oder Auftrag unterzeichnet hat. Andernfalls hätte Herr Dr. … wohl auch keine Strafanzeige gegen den Kläger erstattet. All diese Umstände sind unstreitig und deuten auf eine bewusste Täuschung durch den Kläger hin. Der Kläger hat diese Vorwürfe nicht entkräftet, sondern – am 02.11. diesbezüglich zur Rede gestellt – lediglich ausweichend erklärt, er müsse jetzt nichts mehr sagen, da ja ohnehin alles klar sei. Diese Reaktion durfte die Beklagte als Eingeständnis der (nunmehr entdeckten) Täuschung verstehen. Sein Verhalten räumte ihre Verdachtsmomente nicht nur nicht aus, sondern bekräftigte sie noch. Seinen Impfausweis im Original hat der Kläger bis zur letzten mündlichen Verhandlung nicht vorgelegt.

cc) Weiteres Indiz ist der – ebenfalls unstreitige – Gesprächsverlauf vom 02.11.2021. Dort hat der Kläger zunächst auf Nachfrage mehrfach bestätigt, wie bereits erklärt doppelt geimpft zu sein. Auf anschließende Konfrontation mit den Aussagen des Gesundheitsamtes und von Herrn Dr. … gegenüber der Beklagten hat er dann eingeräumt, sich keine großen Gedanken gemacht zu haben und nichts mehr sagen zu müssen, vielleicht habe er sich ja auch nur so verhalten, weil er nicht verstehe, warum die Beklagte kein regelmäßiges Home-Office anbiete. Auch diese Einlassung legt nahe, dass der Kläger die Beklagte bewusst getäuscht hat, um Arbeit im Home-Office auszutesten oder häufiger im Home-Office zu arbeiten, als es die Beklagte für ihn vorsah.

dd) Damit liegen im Sinne der eingangs zitierten höchstrichterlichen Rechtsprechung genügend objektive Anhaltspunkte vor, die den begründeten Verdacht bei der Beklagten hervorriefen, der Kläger habe sie durch bewusst unrichtige Angaben über seinen Impfstatus getäuscht.

ee) Diese Täuschung war auch rechtswidrig.

aaa) Zwar mag der Beklagten kein Fragerecht nach § 23a IfSG zugestanden haben, da sie nicht zu den in § 23 Abs. 3 IfSG angeführten Einrichtungen zählt. Auch mag den Kläger keine Auskunftspflicht nach § 36 Abs. 3 IfSG getroffen haben, da die Beklagte nicht zu den in § 36 Abs. 1 und 2 IfSG genannten Einrichtungen/Unternehmen zählt. Auch gab es zum Zeitpunkt der Kündigung noch keine verpflichtende 3G-Regelung am Arbeitsplatz, ebenso wenig wie § 278 StGB in seiner neuen Fassung.

bbb) Allerdings hatte die Beklagte jedenfalls ab 01.11.2021 ein legitimes Interesse daran, den Impfstatus des Klägers in Erfahrung zu bringen. Seit diesem Datum stand Arbeitnehmern, die sich nicht gegen das Corona-Virus haben impfen lassen, obwohl sie dies hätten tun können, kein Entschädigungsanspruch mehr nach dem Infektionsschutzgesetz zu (§ 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG). Da der Arbeitgeber gemäß

§ 56 Abs. 5 Satz 1 IfSG verpflichtet ist, eine solche Entschädigung an den Arbeitnehmer für die zuständige Behörde auszuzahlen, hat er ein berechtigtes Interesse daran, die Anspruchsvoraussetzungen zu überprüfen, sollten seine Beschäftigten abgesondert werden; dazu gehört auch das Vorliegen des Ausschlussgrundes nach § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG, weshalb es zu diesem Zweck notwendig werden kann, den Impfstatus des Arbeitnehmers abzufragen (vgl. www.bundesgesundheitsministerium.de/coronavirus/faq-arbeitnehmerselbstaendige/faq-impfstatusabfrage.html). Darauf beruft sich die Beklagte zurecht. Zwar war die aktuelle Quarantäne des Klägers am 31.10.2021 beendet, weshalb die Neuregelung ab 01.11.2021 für diesen Zeitraum keine Rolle spielt. Der Kläger hat allerdings, wie aus dem unstreitigen Gesprächsverlauf vom 02.11. deutlich wird, auch nach dem 01.11. auf Nachfrage der Beklagten seine Täuschung und damit für mögliche künftige Situationen einer Quarantäne den falschen Schein seiner doppelten Impfung aufrechterhalten. Er hat die Beklagte dabei auch nicht „nur einfach belogen“, sondern seine Täuschung proaktiv verstärkt durch Einreichung der Impfausweiskopien, die den Eindruck hervorrufen sollten, er sei von Herrn Dr. … doppelt gegen das Corona-Virus geimpft. Dies ist nicht eine bloße „erlaubte Lüge“ auf eine unzulässige Nachfrage der Beklagten, sondern geht deutlich durch eigeninitiatives Verhalten des Klägers darüber hinaus. Die Beklagte hatte ein legitimes Interesse an der Klärung der Echtheit der sich aus den Impfausweiskopien ergebenden Angaben des Klägers, da diese offensichtlich durch ihr äußeres Erscheinungsbild Zweifel an ihrer Echtheit bzw. der Echtheit der durch sie vom Kläger abgegebenen Erklärung begründeten. Eine lediglich mündliche Falschinformation jedoch durch das aktive Einreichen von Kopien behaupteter Originalurkunden zu intensivieren, verletzt die arbeitsvertragliche Nebenpflicht des Klägers, auf berechtigte Interessen der Beklagten als seines Vertragspartners gebührend Rücksicht zu nehmen, in erheblichem und schwerwiegendem Maße. Darin liegt in der Tat ein eklatanter Vertrauensbruch.

Keine entscheidende Rolle spielt, ob der Kläger selbst seinen Impfausweis „gefälscht“ hat (was er bestreitet). Ebenso wenig kommt es auf eine Strafbarkeit seines Verhaltens an – etwa nach § 75a Abs. 2 (seit 24.11.2021 Abs. 3) IfSG oder in Gestalt eines Betrugs-/Urkundsdelikts –, vielmehr genügt es im Rahmen einer arbeitsrechtlichen fristlosen Kündigung, wenn durch das Verhalten des Arbeitnehmers das Vertrauensverhältnis zum Arbeitgeber nachvollziehbar und nachhaltig zerrüttet ist (BAG 20.08.1997 NZA 1997, 1340, 1342; 10.06.2010 NZA 2010, 1227, 1230; 25.11.2010 NZA-RR 2012, 222, 223; 21.06.2012 NZA 2013, 199, 200; 08.05.2014 NZA 2014, 1258 Rn. 20; 18.06.2015 NZA 2016, 287 Rn. 25; 23.08.2018 AP Nr. 272 zu § 626 BGB; ErfK/Niemann, 22. Aufl. 2022, § 626 BGB Rn. 133a). Vor diesem Hintergrund lässt es das Bundesarbeitsgericht beispielsweise in ständiger Rechtsprechung genügen, dass im Falle einer angedrohten Arbeitsunfähigkeit bereits der darin liegende Vertrauensbruch für den Ausspruch einer fristlosen Kündigung genügt, und zwar selbst dann, wenn der Arbeitnehmer in der Folgezeit tatsächlich arbeitsunfähig erkranken sollte (BAG 05.11.1992 NZA 1993, 308, 310 f.; 17.06.2003 NZA 2004, 564, 565 f.; 12.03.2009 NZA 2009, 779 ff.). Eine fristlose Kündigung stützt sich in diesen Fällen gerade nicht darauf, dass „bereits etwas passiert ist“, also der Arbeitnehmer wahrheitswidrig eine Arbeitsunfähigkeit behauptet, sondern Kündigungsgrund ist in diesen Fällen seine bloße Äußerung, falls dieses oder jenes eintrete bzw. nicht eintrete, werde er krank. Diese Grundsätze können auf eine Konstellation wie die vorliegende übertragen werden. Dem Kläger war bekannt, dass die Beklagte die Beachtung der Hygieneregeln im Umgang mit dem Corona-Virus zum Schutz ihrer Belegschaft und Kunden sehr ernst nahm. Wenn er gleichwohl durch Vorlage der Impfausweiskopien gezielt den wahrheitswidrigen Eindruck zu erwecken suchte, er sei doppelt gegen das Corona-Virus geimpft und dies habe Herr Dr. … abgezeichnet, liegt darin eine schwerwiegende Verletzung seiner arbeitsvertraglichen Pflichten und eine nachvollziehbare Zerstörung seiner – in den Worten von BAG und BVerfG – „vertragsnotwendigen“ Vertrauenswürdigkeit für die Beklagte. Auch die Wertung des § 75a Abs. 2 (jetzt Abs. 3) IfSG zeigt, dass bereits die Verwendung von Dokumenten zur Täuschung im Rechtsverkehr einen eigenen Unrechtsgehalt aufweist, weshalb es vorliegend nicht darauf ankommt, ob der Kläger selbst seinen Ausweis gefälscht oder lediglich den bösen täuschenden Schein durch gezieltes Agieren mit Fotokopien hervorgerufen hat.

ccc) Vorsorglich sei darauf hingewiesen, dass sich hieran nichts für den Fall ändert, dass der Kläger nicht die Beklagte, sondern das Gesundheitsamt getäuscht hätte, er also in Wahrheit doppelt geimpft war. In diesem Fall hätte er durch seine unstreitige Einlassung im Gespräch vom 02.11.2021, er habe sich vielleicht nur so verhalten, weil er nicht verstehe, dass die Beklagte kein bzw. kein regelmäßiges Home-Office anbiete und er jetzt durch die Quarantäne herausfinden wolle, wie das denn so sei, hinreichend zum Ausdruck gebracht, dass er als doppelt Geimpfter an sich bei der Beklagten regulär zur Arbeit hätte erscheinen müssen, das Gesundheitsamt allerdings zur Erschleichung einer Quarantäne über diese Impfungen getäuscht hätte, um so das Home-Office auszutesten, das er seiner Meinung nach von der Beklagten zu selten erhalte. Er hätte dann zur Durchsetzung eigener Interessen ein bewusstes, gezieltes, täuschendes Verhalten an den Tag gelegt, um gegenüber der Beklagten eine Zeit im Home-Office durchzusetzen, obwohl er dort unstreitig seine Arbeitsleistung als Außendienstler nicht vollständig erbringen kann. Auch dies würde einen wichtigen Grund iSv § 626 Abs. 1 BGB darstellen.

b) Die auf der zweiten Prüfungsstufe anzustellende Interessenabwägung ergibt nicht, dass die fristlose Kündigung im Ergebnis doch unwirksam wäre. Zwar mag der Kläger auf eine 8-jährige Betriebszugehörigkeit im Kündigungszeitpunkt zurückblicken. Die Interessenabwägung fällt jedoch zugunsten der Beklagten aus. Zum einen handelt es sich um den Verdacht einer offenkundigen und schweren Pflichtverletzung durch den Kläger. Zum anderen hat er den falschen Schein seiner mündlichen Erklärung gegenüber der Beklagten, er sei doppelt geimpft, nicht nur aufrechterhalten, sondern noch proaktiv bestärkt durch Einreichung der Impfausweiskopien, mit denen er der Täuschung den offiziellen Anstrich der medizinischen Legitimität durch die behaupteten Unterschriften von Herrn Dr. … verlieh. Dies steht im klaren Widerspruch zu seiner Äußerung in dem Gespräch vom 02.11.2021, er habe sich keine großen Gedanken gemacht. Vielmehr muss er sich im Gegenteil bei der Übersendung der Kopien recht konkrete Gedanken gemacht haben. Auch das Gespräch hat ihn indes nicht dazu veranlasst, seine Täuschung aufzuklären, sondern vielmehr dazu, diese noch zu intensivieren. Erst als er erfuhr, dass die Beklagte mit dem Gesundheitsamt und Herrn Dr. … persönlich Kontakt aufgenommen und von beiden im klaren Widerspruch zu seinen Behauptungen stehende Erklärungen erhalten hatte, hat er sich auf die Äußerungen verlegt, er müsse jetzt nichts mehr sagen, es sei ja ohnehin alles klar.

Eine vorherige Abmahnung war entbehrlich. Einer Abmahnung bedarf es u. a. dann nicht, wenn es sich um eine so schwerwiegende Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG 11.12.2003 NZA 2004, 486, 488; 19.04.2012 NZA 2013, 27 Rn. 22; 21.06.2012 NZA 2012, 1025 Rn. 15; 25.10.2012 NZA 2013, 319 Rn. 16; 20.11.2014 NZA 2015, 294 Rn. 22; 29.06.2017 NZA 2017, 1121 Rn. 28; 13.12.2018 NZA 2019, 445 Rn. 30; ErfK/Niemann, § 626 BGB Rn. 29e; KR/Fischermeier/Krumbiegel, 13. Aufl. 2022, § 626 BGB Rn. 282). So liegt es hier. Der Kläger hat die Beklagte nicht nur mit krimineller Energie getäuscht und den so geschaffenen bösen Schein trotz mehrfacher Nachfrage aufrechterhalten. Er hat damit auch zu erkennen gegeben, eine potentielle gesundheitliche Gefährdung von Kunden und Kollegen in Kauf zu nehmen und seinen Interessen unterzuordnen, da er nicht damit rechnete, dass die Beklagte seine Angaben überprüfen und ihm auf die Schliche kommen würde, sondern davon ausging, sie werde ihn im Rahmen ihres Hygienekonzepts wie einen doppelt Geimpften behandeln und auch künftig keine Maßnahmen zum Schutz anderer für angezeigt halten (vgl. Kleinebrink, DB 2022, 392, 396). Dass die Beklagte ein solch manipulatives Verhalten hinnehmen würde, konnte er nicht ernsthaft erwarten.

c) Die Kündigungserklärungsfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist beachtet.

2. Die fristlose Kündigung hat das Arbeitsverhältnis der Parteien mithin wirksam beendet. Auf die hilfsweise ordentliche Kündigung kommt es nicht mehr an.

3. Dementsprechend war die Klage abzuweisen.

B.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO.

C.

Der Streitwert wurde in Anlehnung an § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG mit 3 Bruttomonatsgehältern veranschlagt.

D.

Die Berufung war nicht gesondert zuzulassen, da es vorliegend an den Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG fehlt.

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