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Fristlose Kündigung wegen versuchten Prozessbetrugs im Kündigungsschutzverfahren

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 2 Sa 403/21 – Urteil vom 08.09.2022

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15.09.2021 – 2 Ca 493/21 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer fristlosen, hilfsweise ordentlichen Kündigung.

Der 1993 geborene, ledige Kläger war seit dem 1. Januar 2018 bei der Beklagten als Zurichter beschäftigt. Die Beklagten beschäftigt in ihrem Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer ausschließlich der zu ihrer Berufsbildung Beschäftigten.

Mit Schreiben vom 9. Februar 2021 hatte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. März 2021 gekündigt. Hiergegen hatte sich der Kläger mit seiner am 23. Februar 2021 beim Arbeitsgericht Kaiserslautern eingereichten Kündigungsschutzklage – 1 Ca 162/21 – gewandt. In diesem vorangegangenen Kündigungsrechtstreit der Parteien hatte die Beklagte zur Begründung der Kündigung mit Schriftsatz vom 19. April 2021 vorgetragen, der Kläger habe am 12. Januar 2021 einen 12-Liter-Eimer mit Isoprophylalkohol befüllt und die im Eimer befindliche Flüssigkeit angezündet, wobei es zu einer hohen Flammenbildung gekommen sei und die Flammen auch auf die Kleidung des Klägers übergriffen seien. Auf die Frage des sofort vor Ort gekommenen Vorarbeiters E., was denn passiert sei, habe der Kläger geantwortet, dass er sich an dem Eimer mit angezündeter Alkoholverdünnung habe aufwärmen wollen und sich dann verbrannt habe. Der Kläger hatte im Vorprozess mit Schriftsatz vom 11. Mai 2021 erwidert, er habe entgegen dem Vortrag der Beklagten den Eimer mit Alkoholverdünnung nicht angezündet, um sich aufzuwärmen und habe dies Herrn E. auch nicht so erklärt. Vielmehr habe er in den Eimer, in dem sich noch zwei bis drei Liter Schlichte befunden habe, vorsichtig zwei weitere Liter Alkohol (aus einem mit ca. 11 Liter Alkohol befüllten 12-Liter-Eimer) hinzugekippt und dann den Eimer angezündet, um die Verhärtung für den Reinigungsvorgang zu erreichen, also um einen gemäß seiner Darstellung üblichen und von der Beklagten tolerierten Arbeitsschritt durchzuführen. Im Vorprozess der Parteien hatte das Arbeitsgericht mit Urteil vom 27. Mai 2021 – 1 Ca 162/21 – der vom Kläger erhobenen Kündigungsschutzklage stattgegeben. Zur Begründung hat es ausgeführt, dass zwar ein Vertragsverstoß des Klägers gegeben sei, der allerdings nicht so gravierend sei, dass eine Kündigung ohne vorherige Aussprache einer Abmahnung als zulässig angesehen werden könne. Dabei gehe das Gericht davon aus, dass der Kläger entgegen seinen Ausführungen im Schriftsatz vom 11. Mai 2021 und seinen Einlassungen im Kammertermin tatsächlich eine nicht unerhebliche Menge Isoprophylalkohol in einem Eimer angezündet habe – ob mit oder ohne darin sich befindlicher Schlichte sei insofern irrelevant -, um sich aufzuwärmen. Dies habe der Kläger auf ausdrückliche Nachfrage im Gütetermin gegenüber dem Vorsitzenden genauso erklärt und sein Verhalten damit gerechtfertigt, dass es in der Halle sehr kalt gewesen sei. Sein nunmehriges Bestreiten und seine andere Darlegung der Dinge sehe auch das Gericht als Schutzbehauptung an. Dies habe allerdings nicht weiter aufgeklärt werden müssen, weil selbst in diesem Fall eine Kündigung ohne Abmahnung als unwirksam anzusehen sei.

Mit Schreiben vom 9. Juni 2021 (Bl. 6 d. A.), dem Kläger am gleichen Tag zugegangen, sprach die Beklagte erneut eine Kündigung aus und kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis fristlos, hilfsweise ordentlich zum 31. Juli 2021.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 19. Juni 2021 beim Arbeitsgericht eingegangenen Kündigungsschutzklage.

Die Beklagte hat zur Begründung der Kündigung vorgetragen, der Kläger habe im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren den Vorwurf, er habe den Eimer mit Alkohol entzündet, um sich aufzuwärmen, bestritten und behauptet, dass diese Aussage frei erfunden wäre und die von ihr als Zeugen angeführten Mitarbeiter die Unwahrheit sagen würden. Im Gütetermin des Vorprozesses habe der Kläger gegenüber dem dortigen Vorsitzenden zugegeben, dass er den Eimer mit Alkohol zum Aufwärmen und damit absolut regelwidrig angezündet habe. Dies stehe allerdings im eklatanten Widerspruch zu seiner vorherigen Aussage, entspreche jedoch den Tatsachen. Im Kammertermin des Vorprozesses vom 27. Mai 2021 habe der Kläger dann plötzlich behauptet, dass das Entzünden des im Eimer befindlichen Alkohols nicht zum Aufwärmen geschehen sei, sondern er den Alkohol im Rahmen eines Arbeitsvorgangs entzündet habe. Der Kläger habe somit nachweislich die Unwahrheit gesagt, was auch in dem Urteil im Vorprozess vom 27. Mai 2021 – 1 Ca 162/21 – zum Ausdruck komme. Damit habe der Kläger einen – versuchten – Prozessbetrug zu ihrem Nachteil begangen und darüber hinaus durch seine bewusst wahrheitswidrige Aussage die Zeugen K. und E. als Lügner dargestellt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15. September 2021 – 2 Ca 493/21 – Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 09. Juni 2021 nicht aufgelöst wurde,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 09. Juni 2021 nicht aufgelöst wurde,

3. für den Fall des Obsiegens mit den Anträgen zu 1. und 2 die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zu einer rechtskräftigen Entscheidung über die Feststellungsanträge zu den Bedingungen des Arbeitsvertrages vom 11. Dezember 2017 als Zurichter weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen

Mit Urteil vom 15. September 2021 – 2 Ca 493/21 – hat das Arbeitsgericht der Klage stattgegeben. Hinsichtlich der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

Gegen das ihr am 1. Oktober 2021 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat die Beklagte mit Schriftsatz vom 28. Oktober 2021, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 29. Oktober 2021 eingegangen, Berufung eingelegt und diese nach antragsgemäßer Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 3. Januar 2022 mit Schriftsatz vom 21. Dezember 2021, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 22. Dezember 2021 eingegangen, begründet.

Die Beklagte trägt vor, das Arbeitsgericht sei unzutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess ihrem Obsiegen in diesem Verfahren entgegenstehe. Der Ausgangspunkt des Arbeitsgerichts sei zwar auch nach ihrer Auffassung zutreffend. Zu vermeiden sei, dass „quasi durch die Hintertüre“ ein verlorener Prozess in einem neuen Verfahren nochmals mit dem Argument weitergeführt werde, in dem ersten Verfahren habe der dortige Kläger die Unwahrheit gesagt, indem er einen Vorfall bestritten habe, mit der Folge, dass im zweiten Prozess eine neue Beweisaufnahme mit demselben Gegenstand wie im ersten Verfahren stattfinden müsse. Es solle also vermieden werden, dass der nachfolgende Rechtstreit als inhaltliche Fortsetzung des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses erscheine. Jedoch unterscheide sich vorliegend der zu beurteilende Sachverhalt von dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall in der angeführten Entscheidung vom 8. November 2017 – 2 AZR 548/06 -. Vorliegend stütze sich ihr Kündigungsvorwurf nicht darauf, dass der Kläger einen Eimer mit Prophylalkohol angezündet habe, um sich aufzuwärmen. Dies sei Gegenstand des Vorprozesses gewesen und die dortige Beweisaufnahme hätte sich mit dieser Problematik im Falle einer vom Arbeitsgericht angenommenen Entscheidungserheblichkeit auseinandersetzen müssen. Vielmehr werde dem Kläger vorliegend zum Vorwurf gemacht, dass er im Vorprozess in der Güteverhandlung einerseits und in der Kammerverhandlung andererseits widersprüchliche Angaben getätigt und gegenüber dem Vorsitzenden des Arbeitsgerichts wörtlich eingeräumt habe, dass er den Eimer mit Prophylalkohol entzündet habe, um sich aufzuwärmen. Die Beweisaufnahme im vorliegenden Verfahren würde sich daher nicht mit der Frage beschäftigen, ob der Kläger den im Eimer befindlichen Alkohol tatsächlich entzündet habe, um sich aufzuwärmen, sondern ob er dies gegenüber dem Vorsitzenden in der Güteverhandlung so ausgesagt habe. Damit sei das Beweisthema ein völlig anderes, weshalb der vorliegende Prozess keine Fortsetzung des Vorprozesses darstelle. Die Frage, was der Kläger damals ggf. seinen Arbeitskollegen gegenüber ausgesagt habe, spiele in diesem Verfahren keine Rolle. Im vorliegenden Verfahren komme es nur darauf an, was der Kläger gegenüber dem Vorsitzenden des Vorprozesses wider besseren Wissens erklärt habe. Es handele sich somit um einen anderen Streitgegenstand. Auch die Interessenabwägung könne nur zu Lasten des Klägers ausgehen. Das Arbeitsgericht habe darauf abgestellt, dass der Kläger „lediglich“ über ein Motiv seines Verhaltens bei Anzünden des Eimers, also über einen inneren Vorgang die Unwahrheit gesagt habe, weshalb dies vom Unrechtsgehalt geringer einzustufen wäre. Dabei habe das Arbeitsgericht verkannt, dass der Kläger gegenüber den Zeugen K. und E. nach ihrem Vortrag etwas anderes ausgesagt habe, nämlich – wie sich nunmehr herausstelle – die Wahrheit, dass er den im Eimer befindlichen Prophylalkohol angezündet habe, um sich zu wärmen. Der Kläger habe so billigend in Kauf genommen, dass sie den beiden Zeugen misstraue und Zweifel an deren Redlichkeit haben könne. Damit habe der Kläger bewusst in Kauf genommen, dass sie ggf. mit Repressalien gegenüber den beiden Zeugen reagiere, zumindest Zweifel an deren Redlichkeit hege. Dazu komme, dass der Kläger auch die ihm erteilte Abmahnung insoweit angreife und somit nach wie vor die beiden Zeugen beschuldige, die Unwahrheit zu sagen. Die Interessenabwägung wäre möglicherweise anders zu beurteilen, wenn der Kläger nach dem Vorprozess erklärt hätte, dass er sich dafür entschuldige, die Unwahrheit gesagt zu haben und dies keinesfalls wieder vorkomme. Der Kläger halte jedoch an seiner nachweisbar falschen Behauptung fest und sage somit nach wie vor die Unwahrheit, so dass die von ihr im Vorprozess benannten Zeugen als Lügner dastehen würden, die eben nicht die Wahrheit sagen würden. Dieses nach wie vor beharrliche Verhalten des Klägers führe dazu, dass das Vertrauensverhältnis zu ihm nicht mehr repariert werden könne, unabhängig davon, ob er an einem anderen Arbeitsplatz eingesetzt werde oder nicht. Schließlich sei der Auffassung des Arbeitsgerichts zu widersprechen, sie habe im Parallelverfahren selbst unwahr vorgetragen, was nicht der Fall sei. Sie habe mit Schriftsatz vom 19. April 2021 im Vorprozess vorgetragen, dass die Schutzbehauptung des Klägers, wonach Isoprophylalkohol wie üblich im Betrieb abgebrannt werde, schlicht falsch und frei erfunden sei. Prophylalkohol dürfe und werde in ihrem Betrieb auf keinen Fall einfach abgebrannt, sondern nur die sog. Schlichte, welche mit Alkohol in einem niederen einstelligen Prozentbereich verflüssigt werde. Genau dies habe sie im Vorprozess dem Kläger zum Vorwurf gemacht, nämlich dass er den reinen Alkohol angezündet habe und nicht die verflüssigte Schlichte, welche zudem auch nur an bestimmten extra dafür vorgesehenen Orten angezündet werden dürfe. Nachdem ein Behältnis mit Schlichte ausgebrannt worden sei, sei dieses Behältnis zu säubern. Sofern sich dann immer noch Restrückstände der Schlichte im Eimer befinden würden, d.h. solche, die bereits einmal abgebrannt worden seien, dürften diese noch einmal am Arbeitsplatz entzündet werden, weil die Gefahr einer hohen Flammenbildung nicht bestehe. Es bleibe also dabei, dass der Vortrag des Klägers, dass der Prophylalkohol im Eimer entzündet werde, nicht den Tatsachen entspreche, sondern schlicht falsch sei. Danach habe sie gerade nicht unzutreffend vorgetragen und niemals den Sachverhalt wahrheitswidrig dargestellt, um den Prozess zu gewinnen, wofür es nicht den geringsten Grund gegeben habe. Ihr Vorwurf im vorangegangenen Verfahren sei nicht gewesen, dass der Kläger Schlichte abbrenne, was selbstverständlich – an dafür vorgesehenen Plätzen – zu seinen üblichen Aufgaben gehöre, sondern dass er einen Eimer mit Prophylalkohol entzündet habe, um sich zu wärmen. Auch diese Erwägung des Arbeitsgerichts greife daher ihrer Ansicht nach nicht durch, weil sie auf einer falschen Würdigung ihres schriftsätzlichen Vortrags beruhe und übersehen worden sei, dass sie lediglich zu dem Vortrag des Klägers Stellung genommen habe und nicht zu möglichen Vorstellungen des Gerichts.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Kaiserslautern vom 15. September 2021 – 2 Ca 493/21 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er erwidert, entgegen der Rüge in der Berufungsbegründung sei das Arbeitsgericht zutreffend davon ausgegangen, dass die Rechtskraft des Urteils im Vorprozess einem Obsiegen der Beklagten in diesem Verfahren entgegenstehe. Die vorliegende Fallkonstellation sei exakt die gleiche wie in der angeführten Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. November 2007 – 2 AZR 528/06 -. Das Landesarbeitsgericht müsse sich zwangsläufig mit der Frage beschäftigen, ob er sich tatsächlich habe aufwärmen wollen oder nicht. Da das aber der Kern des ersten Kündigungsvorwurfs gewesen sei, sei die Beklagte mit diesem Vorwurf präkludiert. Denn die Nachprüfung dieses Vorwurfs durch Beweisaufnahme würde dazu führen, dass ein Sachverhalt, von dem rechtskräftig feststehe, dass er keinen wichtigen Grund zur Kündigung darstelle, nun doch zur Begründung einer Kündigung herangezogen werde. Der erste Prozess wurde demnach fortgeführt. Es möge sein, dass es sich hier um einen anderen Streitgegenstand handele. Darauf komme es aber nicht an, weil das Bundesarbeitsgericht die beschriebene Präklusion nicht direkt aus § 322 ZPO hergeleitet habe, sondern Kerngedanke sei, dass irgendwann auch mal Rechtsfrieden eintreten solle. Nur unter den engen Voraussetzungen der §§ 580, 581, 582 ZPO sei eine andere Beantwortung der Präklusionsfrage denkbar, die aber hier nicht vorliegen würden. Soweit die Beklagte behauptet habe, er habe gegenüber den angebotenen Zeugen etwas anderes als im späteren Prozess ausgesagt, erfasse der in der Berufungsbegründung vorgetragene Vorwurf im Kern eine völlig normale prozessuale Situation, wie sie in einer Vielzahl von Fällen vorkomme. Anderenfalls dürfe zukünftig kein Arbeitnehmer mehr den Sachvortrag eines Arbeitgebers, für den dieser Zeugen angeboten habe, bestreiten, weil er fürchten müsse, dass ihm im Falle seines Obsiegens eine Kündigung mit dem Vorwurf des versuchten Prozessbetruges zugehe. Weiterhin habe das Arbeitsgericht im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass eine Differenzierung danach, ob der Alkohol direkt oder als Teil der verflüssigten Schlichte angezündet werde, gerade nicht im schriftsätzlichen Vortrag der Beklagten im Vorprozess erfolgt sei. Im Vorprozess habe die Beklagte im Kammertermin aber einräumen müssen, wie die Verhältnisse vor Ort wirklich seien, nämlich dergestalt, dass es absolut üblich sei, dass die Restschlichte im Betrieb abgefackelt werde. Der Beklagten sei also sehr wohl der Vorwurf zu machen, dass sie im Vorprozess die Unwahrheit vorgetragen und sodann im Kammertermin die Wahrheit gesagt habe. Das Arbeitsgericht habe letztlich die entsprechenden Ausführungen im rechtskräftigen Urteil des Vorprozesses berücksichtigt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen. Die Akten des vor dem Arbeitsgericht Kaiserslautern geführten Vorprozesses der Parteien – 1 Ca 162/21 – wurden beigezogen und zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung gemacht.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung der Beklagten hat aber in der Sache keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht der Klage stattgegeben. Die außerordentliche Kündigung vom 9. Juni 2021 ist mangels wichtigen Grundes i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB unwirksam. Die hilfsweise ordentliche Kündigung vom 9. Juni 2021 ist nicht aus den von der Beklagten angeführten verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt und damit ebenfalls rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 2 i.V.m. Abs. 1 KSchG). Gemäß den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts (Ziffer I. 1. b. aa. der Gründe), denen das Berufungsgericht folgt (§ 69 Abs. 2 ArbGG), ist die Beklagte mit dem geltend gemachten Kündigungsgrund eines versuchten Prozessbetruges infolge der Rechtskraft des Urteils im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren der Parteien präkludiert.

Zwar kann ein zu Lasten des Arbeitgebers begangener versuchter Prozessbetrug ebenso wie die Abgabe falscher Erklärungen in einem Prozess „an sich“ geeignet sein, eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen. Unabhängig von einer strafrechtlichen Einordnung, auf die es im Kündigungsrechtstreit nicht entscheidend ankommt, verletzt ein Arbeitnehmer die ihm obliegende Rücksichtnahmepflicht (§ 241 Abs. 2 BGB), wenn er im Rechtstreit um eine Kündigung bewusst wahrheitswidrig vorträgt, weil er befürchtet, mit wahrheitsgemäßen Angaben den Prozess nicht gewinnen zu können (BAG 8. November 2007 – 2 AZR 528/06 – Rn. 17; BAG 23. Oktober 2014 – 2 AZR 644/13 – Rn. 16). Im Streitfall ist aber der Kündigungsschutzklage gemäß der zutreffenden Annahme des Arbeitsgerichts bereits deshalb stattzugeben, weil der Beklagten die Geltendmachung der erhobenen Kündigungsvorwürfe wegen der Rechtskraft des Urteils im vorangegangenen Kündigungsschutzverfahren der Parteien verwehrt ist.

1. Ist in einem Kündigungsrechtstreit entschieden, dass das Arbeitsverhältnis durch eine bestimmte Kündigung nicht aufgelöst worden ist, so kann der Arbeitgeber eine erneute Kündigung nicht auf Kündigungsgründe stützen, die er schon zur Begründung der ersten Kündigung vorgebracht hat und die in dem ersten Kündigungsschutzprozess materiell geprüft worden sind mit dem Ergebnis, dass sie die Kündigung nicht rechtfertigen können. Der zweiten, rechtzeitig erhobenen Klage ist ohne weiteres stattzugeben. Das Urteil in dem ersten Prozess ist in der Weise präjudiziell für das zweite Verfahren, dass eine erneute materielle – möglicherweise von dem Ergebnis des ersten Prozesses abweichende – Nachprüfung des zur Stützung der ersten Kündigung verbrauchten Kündigungsgrundes in dem zweiten Verfahren nicht erfolgen darf. Auch für das Verhältnis eines Verfahrens nach § 103 BetrVG zum etwa nachfolgenden Kündigungsschutzprozess wird eine vergleichbare, als Präklusion bezeichnete Wirkung angenommen. Diese Wirkung beruht letztlich auf dem Bedürfnis, auch unabhängig vom Bestehen ausdrücklicher Präklusionsnormen und außerhalb des vom reinen Wortlaut des § 322 Abs. 1 ZPO abgesteckten Rahmens „eine bestimmte, vom objektiven Recht her gegebene (positive oder negative) Sinnbeziehung zwischen dem rechtskräftig Festgestellten und der im neuen Prozess zu prüfenden Rechtsfolge zu wahren“. Unabhängig von Abgrenzungsfragen und terminologischen Unterschieden im Einzelnen sind Grund und Grenzen der Bindungswirkungen danach zu bestimmen, ob der nachfolgende Rechtstreit „als inhaltliche Fortsetzung des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses“ erscheint (BAG 8. November 2007 – 2 AZR 528/06 – Rn. 22).

2. Das Arbeitsgericht hat diese vom Bundesarbeitsgericht aufgestellten Grundsätze zutreffend auf den vorliegenden Fall angewandt und ist danach zu Recht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Beklagte mit dem geltend gemachten Kündigungsgrund präkludiert ist.

Wie das Arbeitsgericht zutreffend ausgeführt hat, wirft die Beklagte dem Kläger versuchten Prozessbetrug vor. Nach ihrem Vortrag hat der Kläger im Vorprozess wahrheitswidrig erklärt, dass er den im Eimer befindlichen Alkohol nicht zum Aufwärmen, sondern im Rahmen eines Arbeitsvorgangs entzündet habe. Tatsächlich habe der Kläger gemäß ihrem Vortrag – wie er gegenüber den Zeugen K. und E. ausgesagt habe – den im Eimer befindlichen Alkohol angezündet, um sich zu wärmen, was er im Vorprozess in der Güteverhandlung vor dem Arbeitsgericht gegenüber dem Vorsitzenden zugegeben habe. Ohne den damit gemachten Vorwurf, der Kläger habe den Eimer mit Alkohol zum Aufwärmen angezündet, ist der jetzige Kündigungsvorwurf der Beklagten, der Kläger habe im Vorprozess im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht sowie auch schriftsätzlich die Unwahrheit gesagt und damit einen versuchten Prozessbetrug zu ihrem Nachteil begangen, hinfällig. Die Behauptung, der Kläger habe – gemäß seinem Eingeständnis im Gütetermin des Vorprozesses – den Eimer mit Alkohol zum Aufwärmen angezündet, ist der Kern des jetzt erhobenen Kündigungsvorwurfs. Die diesem Vorwurf bestreitende Erklärung des Klägers ist nur die – negative – prozessuale Widerspiegelung dieses Vorwurfs. Ob der Vorwurf zutrifft, müsste also, da der Kläger ihn nach wie vor bestreitet, im vorliegenden Verfahren nachgeprüft werden. Genau dieser Vorwurf ist aber von der Beklagten als Kündigungsgrund im Vorprozess vorgetragen worden und durch das Urteil des Arbeitsgerichts – die Richtigkeit des Vorwurfs unterstellend – rechtskräftig als in der Sache nicht ausreichend angesehen worden, weil es angenommen hat, dass selbst für den Fall, dass der Kläger eine nicht unerhebliche Menge Alkohol in einem Eimer angezündet habe, um sich aufzuwärmen, eine Kündigung ohne Abmahnung als unwirksam anzusehen sei. Eine Nachprüfung dieses Vorwurfs würde dazu führen, dass ein Sachverhalt, von dem rechtskräftig feststeht, dass er keinen wichtigen Grund zur Kündigung des Arbeitsverhältnisses darstellte, nunmehr doch zur Begründung einer Kündigung herangezogen würde (vgl. BAG 8. November 2007 – 2 AZR 528/06 – Rn. 24).

Auch wenn es sich vorliegend bei der Kündigung vom 9. Juni 2021 um einen anderen Streitgegenstand handelt, erscheint der vorliegende Rechtstreit „als inhaltliche Fortsetzung des rechtskräftig abgeschlossenen Vorprozesses“ nach den oben dargestellten Grundsätzen. Soweit die Beklagte angeführt hat, ihr Kündigungsvorwurf stütze sich vorliegend nicht darauf, dass der Kläger einen Eimer mit Alkohol angezündet habe, um sich aufzuwärmen, wäre gleichwohl ohne diesen Vorwurf auch der jetzige Kündigungsvorwurf eines versuchten Prozessbetruges gegenstandslos. Die diesen Vorwurf bestreitende Erklärung des Klägers, die die Beklagte als versuchten Prozessbetrug bewertet hat, ist gemäß den obigen Ausführungen nur die – negative – prozessuale Widerspiegelung des Vorwurfs. Soweit die Beklagte vorgebracht hat, der Kläger habe im Vorprozess in der Güteverhandlung und in der Kammerverhandlung widersprüchliche Angaben getätigt, ist für den vorliegenden Vorwurf eines versuchten Prozessbetruges letztlich allein maßgeblich, ob der Kläger tatsächlich bewusst wahrheitswidrig das behauptete Tatmotiv (Aufwärmen) bestritten hat. Das ist nur dann der Fall, wenn der Kläger entgegen seiner Einlassung im Vorprozess in Wahrheit den Eimer mit Alkohol angezündet hat, um sich aufzuwärmen, mithin genau der von der Beklagten im Vorprozess erhobene Vorwurf. Hierfür hat die Beklagte im Vorprozess eine entsprechende vorprozessuale Erklärung des Klägers gegenüber dem Zeugen E. vorgetragen. Auch in der nunmehr angeführten Erklärung des Klägers in der Güteverhandlung des Vorprozesses, die mangels erfolgter Protokollierung nicht die bindende Wirkung eines gerichtlichen Geständnisses hätte (§ 54 Abs. 2 Satz 2 ArbGG), kann allenfalls ein (weiteres) Indiz für das von der Beklagten behauptete Tatmotiv (Aufwärmen) liegen. Der maßgebliche Kündigungsgrund für die hier streitgegenständliche Kündigung hängt letztlich von der Frage ab, ob der Kläger den Eimer mit Alkohol – entgegen seiner im Vorprozess sowohl schriftsätzlich als auch im Kammertermin vor dem Arbeitsgericht abgegebenen Erklärung – angezündet hat, um sich aufzuwärmen. Ob dieser Vorwurf zutrifft, müsste also aufgrund des Bestreitens des Klägers im vorliegenden Verfahren nachgeprüft werden. Anderenfalls wäre der jetzige Kündigungsvorwurf, der Kläger habe im Vorprozess im Kammertermin und auch schriftsätzlich bewusst die Unwahrheit gesagt, unbegründet. Gemäß der zutreffenden Annahme des Arbeitsgerichts ist infolge der aus dem rechtskräftigen Urteil des Vorprozesses folgenden Präklusionswirkung der Beklagten die Geltendmachung der nunmehr erhobenen Kündigungsvorwürfe nach Maßgabe der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 8. November 2007 – 2 AZR 528/06 – verwehrt.

3. Aufgrund des Obsiegens des Klägers mit seinen Kündigungsschutzanträgen ist die Beklagte gemäß den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 -) verpflichtet, den Kläger bis zur rechtskräftigen Beendigung des Kündigungsrechtsstreits weiter zu beschäftigen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Revision war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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