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Fristlose Kündigung wegen Weigerung das Betriebsgelände zu verlassen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 7 Sa 575/15 – Urteil vom 14.09.2016

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 12. November 2015, Az. 7 Ca 583/15, wird auf Kosten der Beklagten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten im Berufungsverfahren noch darüber, ob das Arbeitsverhältnis der Parteien durch außerordentliche Kündigungen vom 13. Juli 2015, hilfsweise vom 5. August 2015 aufgelöst worden ist.

Der 1980 geborene, getrennt lebende und gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war seit April 2007 bei der Beklagten zunächst als Leiharbeitnehmer, sodann ab dem 1. August 2008 aufgrund des Arbeitsvertrags vom 7. Mai 2010 (Bl. 5 ff. d. A.) unmittelbar bei der Beklagten als Maschinenführer beschäftigt. Im Zeitraum vom 1. Januar 2012 bis zum 1. März 2012 war der Kläger als Schichtführer eingesetzt. Er erzielte ein monatliches Bruttogehalt in Höhe von zuletzt 2.115,58 € bei einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden.

Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer in Vollzeit ausschließlich der Auszubildenden. Ein Betriebsrat besteht nicht.

Unter dem 13. Mai 2015, 15. Mai 2015 und 13. Mai 2015 mahnte die Beklagte den Kläger ab. Wegen des Inhalts dieser Abmahnungen wird auf Bl. 45 f., 47 f. und 49 f. d. A. Bezug genommen.

Am 9. Juli 2015 kam es zu einem Gespräch mit dem Kläger im Beisein des Geschäftsführers der Beklagen Herrn Z., des Produktionsleiters Herrn Y., des Schichtführers Herrn X. und des stellvertretenden Schichtleiters Herrn W.. Am Folgetag, dem 10. Juli 2015, gab es zu Schichtbeginn um 14.00 Uhr eine weitere Besprechung. Der Kläger erklärte, keine Aufhebungsvereinbarung abschließen zu wollen. Der weitere Verlauf dieses Gesprächs ist im Einzelnen zwischen den Parteien streitig. Der Kläger wollte in der Folge Schlüssel, Stempelchip und Werksausweis nicht zurückgeben und das Gelände nicht verlassen. Der Geschäftsführer der Beklagten benachrichtigte die Polizeiinspektion V.. Nach dem Eingreifen der Polizeibeamten übergab der Kläger die Staplerschlüssel, den Stempelchip sowie die Werksausweise und verließ in Begleitung der Polizisten das Gelände.

Mit Schreiben der Beklagtenvertreter vom 13. Juli 2015 (Bl. 10 ff. d. A.), dem Kläger zugegangen am 14. Juli 2015, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien fristlos, hilfsweise „ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt“. Gleichzeitig wurde dem Kläger Hausverbot erteilt.

Mit seiner am 21. Juli 2015 beim Arbeitsgericht eingegangenen, der Beklagten am 28. Juli 2015 zugestellten Klage wandte sich der Kläger unter anderem gegen die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015.

Im Schriftsatz des Beklagtenvertreters vom 5. August 2015, dort auf Bl 8, wiederholte dieser „die Kündigung (…) hiermit höchstvorsorglich und hilfsweise (…) mit dem Arbeitszeitende 30.09.2015″.

Fristlose Kündigung wegen Weigerung das Betriebsgelände zu verlassen
(Symbolfoto: gph-foto.de/Shutterstock.com)

Der Kläger war – soweit im Berufungsverfahren noch von Bedeutung – der Ansicht, ein außerordentlicher Kündigungsgrund liege nicht vor. Er hat vorgetragen, man habe ihn einen Aufhebungsvertrag unterzeichnen lassen wollen. Immer wieder sei die Drohungskulisse ihm gegenüber aufgebaut worden. Aber als er dazu nicht bereit gewesen wäre, habe man ihm mitgeteilt, dass er fristlos entlassen werde und freigestellt sei. Einen Grund habe man ihm nicht genannt. Man habe ihn aufgefordert, seine Schlüssel herauszugeben. Er habe die Schlüssel aber erst dann herausgeben wollen, wenn er eine (schriftliche) Kündigung erhalten habe, da er bereits zuvor zu Unrecht beschuldigt worden sei, sich vom Arbeitsplatz unentschuldigt entfernt zu haben. Auf der Seite der Beklagten seien vier Personen gewesen, er sei allein gewesen. Kaum habe er seine Besorgnis, sich nicht vom Arbeitsplatz entfernen zu wollen, geäußert gehabt, habe die Beklagte schon die Polizei gerufen. Es sei für ihn nicht nachvollziehbar gewesen: jetzt doch gekündigt zu werden, aber dann doch erst am Montag. Er sei in dieser Situation überfordert gewesen, habe nicht gewusst, ob er aufgrund seiner schlechten Deutschkenntnisse vielleicht etwas missverstehe. Er habe keine Möglichkeit gehabt zu reagieren oder gar jemanden dazu zu holen.

In acht Jahren Beschäftigung habe es keinen einzigen Grund zur Beanstandung gegeben. Er habe seine Aufgaben immer sorgfältig erledigt. Er habe seinen Arbeitsplatz nicht – wie ihm in der Abmahnung vom 15. Mai 2015 vorgeworfen – grundlos verlassen. Keiner habe ihm absichtliche Manipulationen vorgeworfen, er habe nicht Maschinen vorsätzlich zum Nachteil der Beklagten manipuliert. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB sei insoweit nicht gewahrt.

Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 13. Juli 2015 nicht aufgelöst worden ist, sondern fortbesteht,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015 nicht aufgelöst worden ist, sondern darüber hinaus fortbesteht,

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung per Schriftsatz der Beklagtenvertreter vom 5. August 2015 nicht aufgelöst worden ist,

4. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Beendigungstatbestände endet, sondern auf unbestimmte Zeit fortbesteht,

5. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. und oder zu 2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Produktionsführer/Maschinenführer weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte hat vorgetragen,

in einem Gespräch am 1. März 2012 sei dem Kläger von seinem Vorgesetzten, dem Produktionsleiter und Zeugen Y., mitgeteilt worden, dass er mit sofortiger Wirkung von seiner Verantwortung als Schichtführer entbunden werde. Seitdem habe sich der Kläger immer wieder unkollegial gegenüber seinen Kollegen und Vorgesetzten verhalten, insbesondere aber seine Arbeit nicht ordentlich ausgeführt. Sie habe aus sozialen Gründen und wegen Mitarbeitermangels trotzdem versucht, das Arbeitsverhältnis fortzuführen. Das Verhalten des Klägers sei jedoch in der letzten Zeit untragbar geworden. Er habe offenbar versucht, eine Kündigung zu provozieren, um eine Abfindung durchzusetzen. Er habe die für den Arbeitsablauf, die Qualitätssicherung und -kontrolle erforderlichen Schichtprotokolle nicht ordnungsgemäß ausgefüllt, obwohl eine klare Arbeitsanweisung zur Führung der Protokolle bestanden habe. Als ihm dies von seinem Vorgesetzten A. U. vorgehalten worden sei, habe er diesem sogar unterstellt, dass dieser das Schichtprotokoll manipuliert hätte. Er habe sich auch geweigert, diese Daten nachzutragen. Mehrfachen Weisungen seiner Vorgesetzten, die Ausschussprodukte (7er, 8er und 10er Pfosten) auszusortieren und nicht auf den Paletten zu lagern, sei er nicht nachgekommen. Auch die Anweisung seines Schichtführers X., die 10er Pfosten auf einer Vorrichtung (Lock-OT-Lagerböcke) zum Abkühlen zu lagern, habe er nicht befolgt. Darüber hinaus habe er keine ordnungsgemäße Übergabe der Anlage beim Schichtwechsel vorgenommen. Er habe es auch verweigert, in Eigeninitiative Störungen zu beheben oder auf die Qualität der Produkte einzuwirken. Er störe den Betriebsablauf und -frieden vorsätzlich. Dann habe er in der Nachtschicht vom 13./14 Mai 2015 die Anlage bzw. seinen Arbeitsplatz verlassen. Aufgrund dieses Verhaltens habe kein Kollege noch mit ihm zusammenarbeiten wollen. Bei jeder Schichtübergabe habe es Probleme mit den Kollegen der übernehmenden Schicht gegeben. Die Mitarbeiter T. und R. hätten ihm sogar absichtliche Manipulationen vorgeworfen. Er habe sich daraufhin lachend vor seine Kollegen gestellt und alles abgewiegelt. Er sei schlicht unbelehrbar. Der Produktionsleiter Y. habe sich noch mehrfach bemüht, auf den Kläger einzuwirken und ihm noch eine Chance zu geben, seine Fehler zu beheben und mangelhafte Arbeiten zu beseitigen. Das habe der Kläger verweigert. Herr Y. habe in der Woche vor dem 9. Juli 2015 das Verhalten des Klägers mit der Personalleiterin Q. besprochen und in der E-Mail vom 9. Juli 2015 zusammengefasst. Aufgrund der Vorwürfe in dieser E-Mail hätte in jedem Fall eine ordentliche Kündigung ausgesprochen werden müssen, falls nicht sogar eine fristlose.

Im Gespräch vom 9. Juli 2015 habe der Kläger es nochmals abgelehnt, sich zu den Vorwürfen zu äußern. Die Geschäftsführung habe trotzdem weiter versucht, sich mit ihm zu einigen. Um 16.00 Uhr sei ein weiteres ergebnisloses Gespräch geführt worden. Dem Kläger sei eine Bedenkzeit eingeräumt und ihm sei empfohlen worden, sich juristisch beraten zu lassen, da bei Fortsetzung seines Verhaltens eine fristlose Kündigung drohe. Am 10. Juli 2015 habe der Kläger mitgeteilt, dass er keine Aufhebungsvereinbarung abschließen, sondern gekündigt werden möchte. Ihr Geschäftsführer habe dann mitgeteilt, dass man diesem Kündigungswunsch entsprechen würde. Der Kläger werde am Montag die schriftliche Kündigung erhalten und man werde ihn dann auch mit sofortiger Wirkung freistellen. Zu diesem Zeitpunkt sei keine fristlose Kündigung ausgesprochen worden. Der Kläger habe hierauf erklärt, er bleibe bis Montag hier. Trotz mehrfachen Aufforderungen des Geschäftsführers habe er sich diesem widersetzt, selbst dann noch, als der Geschäftsführer ihm zu verstehen gegeben habe, dass er nunmehr Hausverbot habe und er ihn dann auch aufgefordert habe, Schlüssel des Staplers, Stempelchip und Werksausweis herauszugeben. Auch auf gutes Zureden habe der Kläger nicht reagiert, sondern schlicht einen Sitzstreik durchgeführt. Selbst nach der Ankündigung, die Polizei würde gerufen werden, sei der Kläger nicht gegangen, sondern habe sogar das Eintreffen der Polizei abgewartet. Der Kläger sei in dieser Situation auch nicht überfordert gewesen. Seine Deutschkenntnisse seien hervorragend.

Das Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – hat durch Urteil vom 12. November 2015 festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 13. Juli 2015 nicht vor Ablauf des 30. September 2015 aufgelöst worden ist, ferner nicht durch die außerordentliche Kündigung vom 5. August 2015 (per Schriftsatz). Die weitergehende Klage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht – zusammengefasst – ausgeführt, die Kündigung sei insoweit begründet, als der Kläger sich gegen die außerordentliche fristlose Kündigung vom 13. Juli 2015 wende, im Übrigen sei sie unbegründet. Die Beklagte habe die außerordentliche Kündigung auf eine permanente provokative Verweigerung der Erfüllung von Arbeitspflichten gegenüber der Beklagten bis hin zur Verweigerung der Herausgabe von Betriebseigentum und des Verlassens des Geländes gestützt. Dieser Umstand sei bei hinreichender Konstanz und Schwere auch in den Augen eines ruhig und verständig urteilenden Arbeitgebers im Einzelfall geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu tragen. Allerdings sei vorliegend zu berücksichtigen, dass die Kündigung keine Sanktion für vergangenes Fehlverhalten sei, sondern Gestaltungsmittel im Rahmen eines Arbeitsverhältnisses. Mithin sei eine außerordentliche Kündigung nur dann denkbar, wenn gravierende Gründe bestünden, die es dem Kündigenden unzumutbar machen, dass er das Arbeitsverhältnis noch für die Dauer der ordentlichen Kündigungsfrist „ertrage“. Vorliegend sei zu berücksichtigen gewesen, dass gegenüber dem Kläger bereits vor Entfernung der Person des Klägers aus dem Betrieb eine Freistellung ausgesprochen worden sei und er aufgefordert worden sei, das Betriebsgelände zu verlassen. Dass diese Freistellung irgendwelchen Einschränkungen unterlegen hätte, habe die Beklagte mit keinem Wort vorgetragen. Damit sei im Zusammenhang mit der dann doch erfolgten Übergabe der Betriebsschlüssel sichergestellt gewesen, dass der Kläger gegen den Willen der Beklagten das Betriebsgelände nicht mehr habe betreten und damit keinerlei Schäden während des Laufs der ordentlichen Kündigungsfrist habe mehr anrichten können. Darüber habe die Beklagte durch die Freistellung zu erkennen gegeben, dass der Aufwand an Vergütung für die Dauer der Kündigungsfrist ohne Gegenleistung seitens des Klägers ihr zuzumuten gewesen sei, da sie ansonsten die Freistellung nicht ausgesprochen hätte. Demgegenüber habe die ausgesprochene Kündigung allerdings als ordentliche das Arbeitsverhältnis mit dem 30. September 2015 beendet. Wegen der Einzelheiten der erstinstanzlichen Begründung wird ergänzend auf die Entscheidungsgründe des Urteils des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach (Bl. 88 ff. d. A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist der Beklagten am 26. November 2015 zugestellt worden. Die Beklagte hat hiergegen mit einem am 23. Dezember 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom 22. Dezember 2015 Berufung eingelegt und diese mit am 16. Februar 2016 – innerhalb der durch Beschluss vom 27. Januar 2016 bis zum 16. Februar 2016 verlängerten Berufungsbegründungsfrist – beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz vom gleichen Tag begründet.

Zur Begründung der Berufung macht die Beklagte nach Maßgabe des genannten Schriftsatzes sowie der Schriftsätze vom 27. April 2016 und 28. April 2016, auf die ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 115 ff.,150 f., 152 d. A.), zusammengefasst geltend, die außerordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015 bzw. hilfsweise die außerordentliche Kündigung vom 5. August 2015 habe das Arbeitsverhältnis fristlos zum 13. Juli 2015, hilfsweise zum 5. August 2015 fristlos aufgelöst, denn der Beklagten sei die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses aus wichtigem Grund im Sinn des § 626 BGB nicht weiter zumutbar.

Das Arbeitsgericht habe die Abmahnungen vom 13., 15. und 13. Mai 2015 und deren rechtliche Bedeutung nur unvollständig gewürdigt.

Sodann habe der Vorgesetzte Y. ausgeführt, dass es nach einem Personalgespräch mit dem Kläger zunächst etwas ruhiger geworden sei, es aber jetzt wieder so weit sei, dass sein Verhalten nicht mehr akzeptiert werden könne. Die Kollegen T. und R. hätten sogar absichtliche Manipulationen des Klägers zum Nachteil der Beklagten festgestellt. Der Kläger habe auf denen Vorwürfe jedoch ebenso wenig reagiert wie auf die Vorhaltungen des Schichtführers und des Vertreters, Herrn X. und Herrn W.. Er sei einfach unbelehrbar gewesen und habe den Betriebsfrieden so gestört, dass eine fristlose Kündigung gerechtfertigt sei. Der Kläger habe seine Schicht auch nach den Abmahnungen nicht in akzeptablem Zustand übergeben, habe schlechtes Material absichtlich im Vorlagesilo gelagert, Paletten nicht gebunden, Ausschussware auf die gute Palette gelegt und die Anlage und den Arbeitsplatz auch nicht aufgeräumt und sauber übergeben, wie dies seine Verpflichtung gewesen sei. Am 5. Juli 2015 habe er dann schlechte Pfosten wiederholt auf der Gut-Palette gelagert. Der Anweisung des Vorgesetzten X., diese auszusortieren und seinen Arbeitsplatz zu reinigen, sei er nicht nachgekommen. Die nochmalige Chance, diese Verweigerung am 8. Juli 2015 zu beseitigen, habe er nicht wahrgenommen. Der Zeuge Y. habe ausdrücklich dargelegt, dass er mit seinem Latein am Ende sei.

Am 10. Juli 2015 habe der Kläger nicht nur erklärt, er unterschreibe keinen Aufhebungsvertrag, sondern er wolle gekündigt werden. Daraufhin habe der Geschäftsführer erklärt, dass er am Montag die Kündigung erhalte und dann mit sofortiger Wirkung freigestellt/beurlaubt werde. Der Kläger habe sich daraufhin geäußert, er mache keinen Urlaub, er bleibe bis Montag hier. Der Geschäftsführer habe dann die Entscheidung mehrmals wiederholt. Der Kläger habe sich jedoch den Anweisungen widersetzt. Danach habe dann der Geschäftsführer dem Kläger unmissverständlich zu verstehen gegeben, dass er jetzt ein Hausverbot habe und ihn aufgefordert, Schlüssel, Stempelchip, Werksausweis etc. zurückzugeben und das Gelände zu verlassen. Der Kläger habe sich dann auch diesen Anweisungen widersetzt und auch die Herausgabe der Schlüssel verweigert. Sie ist der Ansicht, dieses Verhalten stelle eine Nötigung und einen Hausfriedenbruch dar und sei strafbar. Sie trägt weiter vor, erst nachdem der Kläger wörtlich in den Sitzstreik getreten sei, das Hausrecht ignoriert habe, das Verlassen des Betriebsgeländes und die Herausgabe von Betriebseigentum verweigert habe, habe die Polizei benachrichtigt werden müssen. Erst in einem sehr langen Gespräch hätten die Polizeibeamten der PI V. den Kläger überzeugen können, dass er den Anweisungen der Hausherren zu entsprechen habe. Der Kläger habe von den Polizisten auch persönlich hinausgeführt werden müssen. Die Polizisten hätten die Staplerschlüssel, den Stempelchip und zwei Werksausweise übergeben. Der Kläger hätte dann auch zum Umkleideraum an seinen Spind begleitet werden müssen, um seine persönlichen Dinge mitzunehmen und sei im Anschluss daran auch von der Polizei vom Betriebsgelände begleitet worden. Diese Dinge seien vor den Augen der kompletten Belegschaft geschehen.

Sie habe zu keinem Zeitpunkt erklärt, der Kläger werde unwiderruflich freigestellt. Für den Fall, dass es zu erheblichen Erkrankungen oder Urlaubsfällen oder zusätzlichen Aufträgen gekommen wäre, hätte der Kläger notfalls auch während der Freistellung eingesetzt werden können.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Az. 7 Ca 583/15, verkündet am 12. November 2015, aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Der Kläger verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe des Berufungserwiderungsschriftsatzes vom 22. April 2016, auf den ergänzend Bezug genommen wird (Bl. 146 f. d. A.), als rechtlich zutreffend.

Zum Zeitpunkt der ausgesprochenen Kündigungen hätten keine Kündigungsgründe vorgelegen. Er habe die ihm aufgetragenen Arbeiten stets entsprechend der geforderten Vorgaben ausgeführt. Es sei nicht richtig, dass er zum Schichtende seinen Arbeitsplatz wiederholt unsauber bzw. nicht ordnungsgemäß verlassen bzw. übergeben habe. Auch habe er Schichtprotokolle stets richtig ausgefüllt unter Angabe der produzierten Teile und unter Ausweisung des Ausschussanteils. Er habe nach bestem Wissen und Gewissen und nach eingehender Prüfung die Ausschussprodukte immer aussortiert und auf den entsprechenden Paletten gelagert. Störungen an den Maschinen, an denen er gearbeitet habe, habe er, soweit dies in dem ihm zugetragenen Verantwortungsbereich gestanden habe, stets beseitigt, soweit ihm das möglich gewesen sei. Ebenso wenig sei es richtig, dass er in der Nachschicht vom 13. auf den 14. Mai 2015 über einen längeren Zeitraum nicht am Arbeitsplatz anwesend gewesen sei.

Ein Hausfriedensbruch oder ein sonstiges von der Beklagten behauptetes strafbares Verhalten sei von ihm nicht begangen worden. Dies könne von der zuständigen Polizeidienststelle bestätigt werden.

Auch im Übrigen wird ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie das Protokoll der Sitzung vom 14. September 2016 (Bl. 156 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung der Beklagten ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG in Verbindung mit §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

B.

In der Sache hatte die Berufung der Beklagten keinen Erfolg. Das Arbeitsgericht hat zu Recht festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch außerordentliche Kündigung, sondern erst aufgrund der hilfsweise erklärten ordentlichen Kündigung vom 13. Juli 2015 mit Ablauf des 30. September 2015 seine Beendigung gefunden hat.

I.

Die außerordentliche Kündigung vom 13. Juli 2015 ist unwirksam und hat das Arbeitsverhältnis nicht mit sofortiger Wirkung beendet. Es fehlt an einem wichtigen Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB.

1.

Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Das Gesetz kennt folglich keine „absoluten” Kündigungsgründe. Vielmehr ist jeder Einzelfall gesondert zu beurteilen. Dafür ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich”, d. h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (st. Rspr.; BAG, Urteil vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 16 m. w. N.).

2.

a)

Der vorliegende Sachverhalt ist – soweit Gegenstand die Weigerung des Klägers vom 10. Juli 2015 ist – „an sich“ als wichtiger Grund im Sinn von § 626 Abs. 1 BGB geeignet. Die Weigerung, das Betriebsgelände zu verlassen und der Arbeitgeberin gehörende Gegenstände herauszugeben, stellt eine schwerwiegende Verhaltensweise eines Arbeitnehmers dar, die sich unter anderem gegen das Eigentum des Arbeitgebers richtet. Hierdurch verletzt er zugleich in schwerwiegender Weise seine schuldrechtliche Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB). Dies kann an sich grundsätzlich eine außerordentliche Kündigung rechtfertigen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. August 2015 – 6 Sa 30/15 – BeckRS 2015, 73697; LAG Hamm (Westfalen), Urteil vom 7. September 2012 – 13 Sa 572/12 – BeckRS 2012, 74963 m. w. N.).

Unstreitig hat der Kläger weder auf die vom Geschäftsführer der Beklagten ausgesprochene Freistellung noch auf ein ausgesprochenes Hausverbot bis zur Intervention von Polizeibeamten das Betriebsgelände verlassen. Auch Schlüssel, Stempelchip, Werksausweis etc. der Beklagten hat er zunächst nicht freiwillig herausgegeben. Selbst wenn der Kläger der irrigen Auffassung gewesen sein sollte, der Geschäftsführer habe ihn nicht oder zumindest nicht ohne schriftliche Bestätigung des Betriebes verweisen dürfen, stünde dies der erheblichen Pflichtverletzung nicht entgegen. Maßgebend für die Frage, ob das Verhalten des Arbeitnehmers eine erhebliche Vertragspflichtverletzung darstellt, ist die objektive Rechtslage (vgl. LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 25. August 2015 – 6 Sa 30/15 – BeckRS 2015, 73697 Rz. 43). An die zu beachtenden Sorgfaltspflichten sind strenge Maßstäbe anzulegen. Es reicht nicht aus, dass sich die betreffende Partei ihre eigene Rechtsauffassung nach sorgfältiger Prüfung und sachgemäßer Beratung gebildet hat. Auf einen unverschuldeten Rechtsirrtum kann sie sich nur dann berufen, wenn sie mit einem Unterliegen im Rechtsstreit nicht zu rechnen brauchte (BAG, Urteil vom 29. August 2013 – 2 AZR 273/12 – NZA 2014, 533, 535 Rz. 34 m. w. N.). Dass der Kläger sich in einem solchen unverschuldeten Rechtsirrtum befunden hätte, ist nicht ersichtlich.

b)

Dagegen ist das unvollständige und nicht ordnungsgemäße Ausfüllen des Schichtprotokolls vom Extruder 23 vom 6. Mai 2015 sowie der Vorwurf der Manipulation des Schichtprotokolls gegenüber dem Produktionsleiter U. kein geeigneter wichtiger Grund. Das gilt auch für die fehlenden Eintragungen in dem Schichtprotokoll von Extruder 8 vom 7. Mai 2015.

Eine Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzt regelmäßig eine einschlägige Abmahnung voraus. Beruht eine Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Einer Abmahnung bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich auch für den Arbeitnehmer erkennbar ausgeschlossen ist (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 294, 296 Rz. 22). Liegt eine solche Abmahnung vor und verletzt der Arbeitnehmer gleichwohl erneut seine vertraglichen Pflichten, kann regelmäßig davon ausgegangen werden, es werde auch künftig zu weiteren Vertragsstörungen kommen. Außerdem ist in Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes die Abmahnung als milderes Mittel einer Kündigung vorzuziehen, wenn schon durch ihren Ausspruch das Ziel, die künftige Einhaltung der Vertragspflichten zu bewirken, erreicht werden kann (BAG, Urteil vom 26. November 2009 – 2 AZR 751/08 – NZA 2010, 823 Rz. 10 m. w. N.).

Der Arbeitgeber kann auf das Recht zum Ausspruch einer außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung durch eine entsprechende Willenserklärung einseitig verzichten. Im Ausspruch einer Abmahnung liegt regelmäßig der konkludente Verzicht auf das Recht zur Kündigung aus den in ihr gerügten Gründen. Der Arbeitgeber gibt mit einer Abmahnung zu erkennen, dass er das Arbeitsverhältnis noch nicht als so gestört ansieht, als dass er es nicht mehr fortsetzen könnte (BAG, Urteil vom 26. November 2009 – 2 AZR 751/08 – NZA 2010, 823 f. Rz. 11 f. m. w. N.). Ein Verzicht kann allerdings nur dann angenommen werden, wenn die Vertragsrüge deutlich und unzweifelhaft zu erkennen gibt, dass der Arbeitgeber den vertraglichen Pflichtverstoß hiermit als ausreichend sanktioniert und die Sache als „erledigt” ansieht. Ein Verzicht auf ein Kündigungsrecht muss eindeutig sein, nur dann ist auch ein entsprechendes Vertrauen des Arbeitnehmers gerechtfertigt (BAG, Urteil vom 2. Februar 2006 – 2 AZR 222/05 – NJOZ 2006, 2017, 2622 Rz. 22 m. w. N.). Treten jedoch weitere Gründe zu den abgemahnten hinzu oder werden sie erst nach Ausspruch der Abmahnung bekannt, sind diese nicht vom Kündigungsverzicht nicht erfasst. Der Arbeitgeber kann sie zur Begründung einer Kündigung heranziehen und dabei auf die schon abgemahnten Gründe unterstützend zurückgreifen (BAG, Urteil vom 26. November 2009 – 2 AZR 751/08 – NZA 2010, 823, 824 Rz. 14).

Die Beklagte hat das unvollständige und nicht ordnungsgemäße Ausfüllen des Schichtprotokolls vom Extruder 23 vom 6. Mai 2015 sowie den Vorwurf der Manipulation des Schichtprotokolls gegenüber dem Produktionsleiter U. unter dem 13. Mai 2015 (Bl. 45 f. d. A.) abgemahnt und in dieser Abmahnung dem Kläger mitgeteilt, dass sie „im Wiederholungsfall“ kündigungsrechtliche Schritte einleiten wird. Damit hat sie zu erkennen gegeben, dass sie diesen vertraglichen Pflichtverstoß nicht zum Anlass einer Kündigung nehmen will. Dieses dem Kläger vorgeworfene Verhalten kann danach nicht mehr wichtiger Grund im Sinn des § 626 Abs. 1 BGB sein.

Auch ein – vom Kläger bestrittenes – Verlassen des Arbeitsplatzes in der Nachtschicht vom 13./.14. Mai 2015 hat die Beklagte mit einem Schreiben vom 15. Mai 2015 abgemahnt und für den Wiederholungsfall die Einleitung kündigungsrechtlicher Schritte angekündigt.

Schließlich hat die Beklagte auch die Nichtbefolgung von Anweisung betreffend das Aussortieren von Ausschussprodukten im Zeitraum vom 17. April bis 2. Mai 2015 sowie betreffend die Lagerung der 10er Pfosten zum Abkühlen auf einer Vorrichtung, die nicht ordnungsgemäße Übergabe der Anlagen beim Schichtwechsel, die Weigerung, eigeninitiativ Störungen zu beheben oder auf die Qualität der Produkte einzuwirken, mit Schreiben vom 13. Mai 2015 abgemahnt.

c)

Ein wichtiger Grund liegt auch nicht in weiteren Gründen, die zu den abgemahnten hinzugetreten sind und daher vom Kündigungsverzicht nicht umfasst sind. Soweit die Beklagte vorgetragen hat, aufgrund dieses Verhaltens habe kein Kollege noch mit dem Kläger zusammenarbeiten wollen, bei jeder Schichtübergabe habe es Probleme mit den Kollegen der übernehmenden Schicht gegeben, die Mitarbeiter T. und R. hätten ihm sogar absichtliche Manipulationen vorgeworfen, er habe sich daraufhin lachend vor seine Kollegen gestellt und alles abgewiegelt, ist der Vortrag der Beklagten nicht ausreichend substantiiert und einlassungsfähig. Das gilt auch für ihren Vortrag, der Produktionsleiter Y. habe sich noch mehrfach bemüht, auf den Kläger einzuwirken und ihm noch eine Chance zu geben, seine Fehler zu beheben und mangelhafte Arbeiten zu beseitigen.

d)

Lediglich hinsichtlich des 5. Juli 2015 hat die Beklagte zweitinstanzlich vorgetragen, der Kläger habe schlechte Pfosten wiederholt auf der Gutpalette gelagert. Er sei der Anweisung seines Vorgesetzten X., diese auszusortieren und seinen Arbeitsplatz zu reinigen, nicht nachgekommen und habe auch die nochmalige Chance, dies am 8. Juli 2015 nachzuholen, nicht wahrgenommen. Der Kläger hat diesen Vortrag der Beklagten nur pauschal bestritten. Zu diesen von der Beklagten vorgetragenen Vorfällen am 5. bzw. 8. Juli 2015 hat er nicht im Einzelnen Stellung genommen.

3.

Die fristlose Kündigung ist nach Auffassung der Kammer bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen gleichwohl nicht gerechtfertigt. Als Reaktion der Beklagten auf das Fehlverhalten des Klägers hätte jedenfalls die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung ausgereicht.

Bei der Prüfung, ob dem Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers trotz Vorliegens einer erheblichen Pflichtverletzung jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist zumutbar ist, ist in einer Gesamtwürdigung das Interesse des Arbeitgebers an der sofortigen Beendigung des Arbeitsverhältnisses gegen das Interesse des Arbeitnehmers an dessen Fortbestand abzuwägen. Es hat eine Bewertung des Einzelfalls unter Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes zu erfolgen. Die Umstände, anhand derer zu beurteilen ist, ob dem Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung zumutbar ist oder nicht, lassen sich nicht abschließend festlegen. Zu berücksichtigen sind aber regelmäßig das Gewicht und die Auswirkungen einer Vertragspflichtverletzung, der Grad des Verschuldens des Arbeitnehmers, eine mögliche Wiederholungsgefahr sowie die Dauer des Arbeitsverhältnisses und dessen störungsfreier Verlauf. Auch Unterhaltspflichten und der Familienstand können – je nach Lage des Falls – Bedeutung gewinnen. Sie sind jedenfalls bei der Interessenabwägung nicht generell ausgeschlossen und können zu berücksichtigen sein (BAG, Urteil vom 27. September 2012 – 2 AZR 955/11 – NZA 2013, 425, 428 Rz. 38 m. w. N.). Eine außerordentliche Kündigung kommt nur in Betracht, wenn es keinen angemessenen Weg gibt, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen, weil dem Arbeitgeber sämtliche milderen Reaktionsmöglichkeiten unzumutbar sind. Als mildere Reaktionen sind insbesondere Abmahnung und ordentliche Kündigung anzusehen. Sie sind dann alternative Gestaltungsmittel, wenn schon sie geeignet sind, den mit der außerordentlichen Kündigung verfolgten Zweck – die Vermeidung des Risikos künftiger Störungen – zu erreichen (BAG, Urteil vom 20. November 2014 – 2 AZR 651/13 – NZA 2015, 294, 296 Rz. 21; vom 10. Juni 2010 – 2 AZR 541/09 – NZA 2010, 1227, 1229 Rz. 34, jeweils m. w. N.).

Gemessen hieran war es der Beklagten zuzumuten, das Arbeitsverhältnis bis zum 30. September 2015 fortzusetzen. Zwar ist zu Gunsten der Beklagten zu berücksichtigen, dass der Kläger erst wenige Wochen vor dem Vorfall drei Mal schriftlich abgemahnt worden ist. Gegen diese Abmahnungen ist er vor dem 10. Juli 2015 nicht vorgegangen, im vorliegenden Rechtsstreit hat er die den Abmahnungen zugrunde liegenden Vorwürfe lediglich pauschal bestritten und sich mit ihnen nicht im Einzelnen auseinandergesetzt. Zu Gunsten der Beklagten hat die Kammer weiter berücksichtigt, dass der Kläger sich offen den Anweisungen des Geschäftsführers Z. widersetzt hat, sich auch von dem Anruf bei der Polizei nicht beeindrucken ließ und dies zu einem Ansehensverlust des Geschäftsführers vor der Belegschaft geführt haben könnte.

Dennoch überwiegen letztlich die zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände. Der gegenüber einem Kind zum Unterhalt verpflichtete Kläger war im Kündigungszeitpunkt acht Jahre im Betrieb beschäftigt, zunächst als Leiharbeitnehmer. Abmahnungen wurden dem Kläger erst Mitte Mai 2015 ausgesprochen.

Die von der Beklagten vorgetragene Weigerung des Klägers, am 5. bzw. am 8. Juli 2015 seinen Arbeitsplatz zu säubern, war für sich betrachtet, nicht so schwerwiegend, so dass insoweit das mildere Mittel der ordentlichen Kündigung als Sanktion ausgereicht hätte. Auch die Beklagte hat im Laufe des Prozesses zu erkennen gegeben, dass ihr aufgrund dieses Verhaltens allein die Weiterbeschäftigung des Klägers nicht unzumutbar geworden ist. So hat sie ausgeführt, sie habe den Kläger aufgrund dieser Weigerung nicht unwiderruflich, sondern nur widerruflich freistellen wollen. Es habe für den Fall, dass es zu erheblichen Erkrankungen oder Urlaubsfällen oder zusätzlichen Aufträgen gekommen wäre, die Möglichkeit gegeben sein sollen, den Kläger auch während der Freistellung einzusetzen.

Aber auch in der Zusammenschau dieser Weigerung mit der Auseinandersetzung am 10. Juli 2015 überwiegen nach Ansicht der Kammer die zu Gunsten des Klägers zu berücksichtigenden Umstände. Der Kläger hat im Rahmen dieser Auseinandersetzung eine schriftliche Erklärung verlangt und erklärt, bis zum Montag, das heißt dem Tag, für den die Beklagte die schriftliche Kündigung und die Freistellung des Klägers in Aussicht gestellt hatte, im Betrieb zu bleiben. Damit hat er nach Auffassung der Kammer zu erkennen gegeben, dass er sich nicht grundsätzlich gegen den Geschäftsführer auflehnen wollte, sondern dass er sich lediglich in der konkreten Streitsituation absichern wollte. Dabei hat die Kammer auch berücksichtigt, dass die eingesetzten Polizeibeamten ausweislich des Schreibens des Polizeipräsidiums P. – Polizeiwache V. – an die Klägervertreter vom 18. Juli 2015 (Bl. 81 d. A.) notiert haben, dass sich im Gespräch mit ihnen herausgestellt habe, dass der Mitarbeiter davon ausging, dass es besser für ihn sei, dass er solange in der Firma arbeitet, bis er eine schriftliche Kündigung erhält und er aus diesem Grund das Firmengelände nicht verlassen wollte. Nach diesem von der Polizei erfassten Eintrag hat der Kläger im Beisein der Polizisten nach detaillierter Schilderung der Rechtslage (Hausrecht, möglicher § 123 StGB usw.) seinen Spind leer geräumt, die Schlüssel und Ausweise abgegeben und schließlich im Beisein der Polizisten das Gelände verlassen.

Zu berücksichtigen ist auch, dass der Kläger an zwei aufeinanderfolgenden Tagen Gesprächen mit dem Ziel einer Auflösung seines Arbeitsverhältnisses ausgesetzt war. Er sah sich hierbei nicht nur dem Geschäftsführer Herrn Z., sondern am 9. Juli 2015 auch dem Produktionsleiter Herrn Y., dem Schichtführer Herrn X. und dem stellvertretenden Schichtleiter Herrn W. gegenüber. Auch am 10. Juli 2015 nahmen neben dem Geschäftsführer weitere Vertreter der Beklagten an dem Gespräch teil. Auf Seiten des Klägers war dagegen kein Zeuge bei den Gesprächen anwesend, ein Betriebsrat ist bei der Beklagten nicht gebildet. Erst kurz zuvor war der Kläger wegen unerlaubten Entfernens vom Arbeitsplatz abgemahnt worden, so dass nachvollziehbar ist, dass er sich einem solchen Vorwurf nicht erneut aussetzen und – vor dem Hintergrund der von der Beklagten angestrebten Auflösung des Arbeitsverhältnisses – einen Kündigungsgrund schaffen wollte. Hinzukommt, dass die Beklagte sich selbst nach ihrem eigenen Vortrag nicht klar hinsichtlich der Freistellung und beabsichtigten Kündigung geäußert hat. So hat die Beklagte nicht direkt gekündigt und freigestellt, sondern nur eine solche für Montag in Aussicht gestellt, obwohl der Geschäftsführer Z. der Beklagten selbst anwesend war und bei der Beklagten kein Betriebsrat gebildet ist, der hätte angehört werden müssen. Wie die Beklagte im Prozess betont hat, sollte auch keine unwiderrufliche, sondern nur eine widerrufliche Freistellung erfolgen. Seitens der Beklagten wurde auch ersichtlich nicht der Versuch unternommen, den Kläger durch eine schriftliche Erklärung (Kündigung, Freistellung oder Hausverbot) zum Verlassen des Geländes zu bewegen und hierdurch die Situation vor dem Hinzuziehen der Polizei zu klären. Das Verhalten des Klägers erscheint unter diesen Umständen in einem deutlich milderen Licht.

II.

Auch eine hilfsweise erklärte außerordentliche Kündigung vom 5. August 2015 hat das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien nicht mit sofortiger Wirkung beendet. Auch insoweit ergibt die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung ein Überwiegen des Interesses des Klägers an der Fortführung des Arbeitsverhältnisses zumindest bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist gegenüber demjenigen der Beklagten an dessen sofortiger Beendigung. Insoweit ist auch die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht gewahrt.

C.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Die Voraussetzungen einer Revisionszulassung nach § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht erfüllt.

 

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