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Fristlose Verdachtskündigung – Entwendung eines Safebags

Landesarbeitsgericht Hamm – Az.: 6 Sa 1930/19 – Urteil vom 13.05.2020

Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 1. Oktober 2019 – 4 Ca 1804/19 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Kündigung sowie über Vergütungsansprüche der Klägerin.

Die am 17. Juli 19XX geborene, ledige und keiner Person zum Unterhalt verpflichtete Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 1. August 1980 als Verkaufskraft angestellt, zuletzt in einer Filiale in T. Es wurde ein schriftlicher Arbeitsvertrag geschlossen. Eine Ausfertigung liegt der Klägerin nicht vor. Die Klägerin erhält zum jeweiligen Monatsende eine Vergütung bestehend aus einem Grundbetrag in Höhe von 2.530,00 Euro brutto, einer Zulage in Höhe von 52,00 Euro brutto und einer sonstigen Zulage in Höhe von 122,71 Euro brutto. Laut Vergütungsabrechnungen der Monate Februar 2019 und März 2019 erhält die Klägerin zudem weitere Bezüge unter der Bezeichnung „Vermögensb.AG-Anteil“ in Höhe von 40,00 Euro brutto sowie unter der Bezeichnung „Aufladung Bonuskarte“ zuletzt in Höhe von 36,00 Euro brutto.

Die Beklagte betreibt ein Bekleidungsunternehmen mit zahlreichen Filialen in verschiedenen Ländern. Für die Filiale der Beklagten in T ist kein Betriebsrat gewählt.

Die Klägerin ist als eine von drei Verkaufskräften unter anderem berechtigt und damit betraut, die täglichen Einnahmen der Filiale in den Tresor zu verbringen. Mindestens einmal täglich, in der Regel zum Ende eines Arbeitstags, zählt ein Arbeitnehmer an der Kasse die Einnahmen und legt das Bargeld – lediglich Geldscheine – in einen sogenannten Safebag. Die Safebags sind auch in befülltem Zustand sehr flach und haben etwa die Größe eines DIN A 5 – Blatts. Jeder Safebag ist mit einer Nummer versehen und wird nach der Geldeinlage durch den Arbeitnehmer mittels eines Klebestreifens verschlossen. Sodann holt eine der drei berechtigten Verkaufskräfte den Safebag an der Kasse ab und bringt diesen in einen grundsätzlich nur für Arbeitnehmer der Filiale zugänglichen Raum, in dem sich der Tresor befindet. Da in der Regel zwei Kassen in der Filiale in T geöffnet sind, handelt es sich üblicherweise um zwei Safebags pro Tag. Der Schlüssel für den Tresorraum befindet sich in einem jedem Arbeitnehmer zugänglichen Schlüsseltresor im Verkaufsbereich an der Kasse. Der Tresor selbst besteht aus zwei Kammern. In der ersten Kammer befindet sich das Wechselgeld. Zur ersten Kammer haben die drei berechtigten Verkaufskräfte über die Eingabe eines persönlichen achtstelligen Codes Zugang. In die zweite Kammer werden die verschlossenen Safebags über eine Schublade eingeworfen. Um die Safebags in die zweite Kammer einzuwerfen, ist zwingend die vorherige Öffnung der ersten Kammer erforderlich. Ein Zugriff auf die zweite Kammer ist den örtlichen Arbeitnehmern der Filiale nicht möglich. Einmal wöchentlich, jeweils dienstags, werden die Safebags durch einen Geldtransportdienst abgeholt. Dieser verfügt über einen Schlüssel zur zweiten Kammer des Tresors. Der Mitarbeiter des Geldtransportdienstes begibt sich gemeinsam mit einer der drei berechtigten Verkaufskräfte in den Tresorraum. Der Schlüssel wird an die berechtigte Verkaufskraft übergeben, die die erste Tresorkammer mittels ihres persönlichen Codes und sodann die zweite Tresorkammer mittels des Schlüssels öffnet. Die Verkaufskraft entnimmt die Safebags aus der zweiten Kammer und stapelt diese auf einen in unmittelbarer Nähe zum Tresor befindlichen Beistelltisch, der auch zur Ablage diverser anderer Gegenstände benutzt wird und der zuweilen „überfüllt“ ist. In der Regel befinden sich pro Woche zwölf Safebags – zwei Safebags pro Werktag – im Tresor. Neben dem Tresor und unter dem Beistelltisch befinden sich diverse Kartons. Während die tresorverantwortliche Verkaufskraft die Safebags aus dem Tresor räumt, beginnt der Mitarbeiter der Geldtransportfirma bereits damit, die auf dem Tisch abgelegten  Safebags zu scannen. Abschließend erhält die zuständige verantwortliche Verkaufskraft als Beleg einen Ausdruck mit den eingescannten Safebagnummern und unterzeichnet jenen. Der gesamte Abholvorgang durch den Geldtransportdienst erfolgt zügig und ist durch Eile geprägt.

Seit Anfang März 2019 wies das Display auf dem Tresor nach einem Batteriewechsel den Hinweis „Batteriefach offen“ aus.

Am 22. März 2019 nahm die Klägerin von der Verkaufskraft D unter anderem den Safebag mit der Nummer XXXXX XXXXX entgegen, der mit 3.000,00 Euro Bargeld gefüllt war. Die Klägerin sollte diesen Safebag als an diesem Tag tresorverantwortliche Arbeitnehmerin auf die vorgesehene Art und Weise in den Tresor bringen.

Am 26. März 2019 holte die Geldtransportfirma die wöchentlichen Einnahmen ab. Die an diesem Tag zuständige tresorverantwortliche Arbeitnehmerin D nahm die Safebags im Rahmen des üblichen Ablaufs aus der zweiten Tresorkammer und legte diese auf den Beistelltisch. Der Mitarbeiter der Geldtransportfirma stand hierbei mit dem Rücken zur Arbeitnehmerin D. Der Safebag mit der Nummer XXXXX XXXXX befand sich jedoch nicht unter den einzuscannenden Safebags auf dem Beistelltisch. Der Tresorraum und die Filiale wurden durchsucht. Die Filialleiterin, die Arbeitnehmerin D sowie eine weitere Arbeitnehmerin fanden den fehlenden Safebag nicht. Eine unmittelbare persönliche Durchsuchung der Arbeitnehmerin D sowie des Mitarbeiters der Geldtransportfirma erfolgte nicht. Etwa eine Stunde nach Bekanntwerden, dass der Safebag fehlt, fand sich der zuständige Sicherheitsmanager in der Filiale ein. Auch er konnte den Safebag nicht auffinden, führte sodann Gespräche mit der Klägerin, die im Rahmen des Gesprächs in Tränen ausbrach, und der Arbeitnehmerin D und forderte den Ersatzschlüssel für die zweite Tresorkammer aus der Hauptverwaltung der Beklagten an. Zudem wurde angeordnet, dass die Safebags ab sofort von den tresorverantwortlichen Verkaufskräften nur noch in Begleitung einer weiteren Person in den Tresor verbracht werden dürfen.

Am 27. März 2019 öffnete der Sicherheitsmanager mit dem Zweitschlüssel die zweite Tresorkammer und fand auch dort den Safebag nicht.

Nach Geschäftsschluss am 27. März 2019 begab sich die Klägerin als an diesem Tag wiederum tresorverantwortliche Arbeitnehmerin mit der Filialleiterin in den Tresorraum, um die Tageseinnahmen in den Tresor zu verbringen. Im Tresorraum angekommen, bat die Klägerin die Filialleiterin sich umzudrehen, damit sie den persönlichen achtstelligen Code eingeben könne. Daraufhin teilte die Klägerin der Filialleiterin mit, der Tresor lasse sich nicht öffnen. Angesichts einer vorübergehenden Sperrung solle man sich zunächst die Jacken anziehen sowie persönlichen Gegenstände holen und es dann noch einmal versuchen. Aber auch dieser zweite Versuch schlug schließlich laut Klägerin fehl. Das Display zeigte nach wie vor „Batteriefach offen“ an. Die aktuellen Tageseinnahmen wurden daraufhin von der Filialleiterin in eine gesonderte Geldtasche und diese vorerst in den Schlüsseltresor im Verkaufsbereich an der Kasse eingelegt. Am 28. März 2019 wurden die Einnahmen vom Vortag sodann von der an diesem Tag tresorverantwortlichen Arbeitnehmerin D und einer weiteren Arbeitnehmerin in den Tresor verbracht.

Am 29. März 2019 führten die zuständige District Managerin und der Sicherheitsmanager erneut Gespräche mit allen Beteiligten. Der Tresor wurde nochmals überprüft, so auch die Schublade zum Einwurf der Safebags von der ersten in die zweite Kammer. Auch im Rahmen wiederholter Tests blieb kein Safebag in der Schublade stecken.

Schließlich wurde die Klägerin am 29. März 2019 dazu angehört, dass die Beklagte von einer Entwendung des Safebags durch sie ausgehe und den Ausspruch einer Kündigung beabsichtige.

Mit Schreiben vom 29. März 2019, der Klägerin am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum Ablauf des 31. Oktober 2019.

Mit weiterem Schreiben vom 8. April 2019, den späteren Prozessbevollmächtigten der Klägerin ausschließlich per Telefax am selben Tag zugegangen, kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien erneut außerordentlich fristlos, hilfsweise fristgerecht zum Ablauf des 30. November 2019.

Mit ihrer Klage vom 16. April 2019, bei Gericht am 17. April 2019 eingegangen, sowie einer Klageerweiterung vom 12. Juli 2019, hat sich die Klägerin gegen die Kündigungen gewandt und Vergütungsansprüche für die Monate April bis Juni 2019 in Höhe von monatlich 2.780,91 Euro brutto nebst Zinsen geltend gemacht.

Die Klägerin hat gemeint, die Kündigungen seien unwirksam. Die Kündigung vom 8. April 2019 sei bereits formunwirksam, weil sie ausschließlich per Telefax übermittelt worden sei. Zudem bestehe für beide Kündigungen kein Grund. Sie hat behauptet, sie habe den streitgegenständlichen Safebag am 22. März 2019 zusammen mit einem weiteren Safebag in die Schublade der zweiten Tresorkammer eingeworfen. Es sei nicht auszuschließen, dass eine andere Person den Safebag entwendet habe. Der Schlüssel für den Tresorraum sei allgemein zugänglich. Gegebenenfalls sei der Safebag in der Schublade hängen geblieben und durch eine dritte Person entwendet worden. Es könne sein, dass sie, nachdem das Verschwinden des Safebags am 26. März 2019 bekannt geworden sei, durchaus nervös gewesen sei. Der Vorgang sei für sie sehr belastend gewesen, da sie für den Einwurf des Safebags in den Tresor am 22. März 2019 verantwortlich gewesen sei. Dass sie die Filialleiterin am 27. März 2019 gebeten habe, sich bei Eingabe des Zahlencodes umzudrehen, stelle auch kein auffälliges Verhalten dar. Sie habe seinerzeit seit 38 Jahren bei der Beklagten gearbeitet. Das Wegdrehen einer anderen Person bei Eingabe des Sicherheitscodes werde täglich gehandhabt und sei ihr durch Vorgesetzte in der Filiale in E so vermittelt worden. Sie hat behauptet, dass die Tasten zur Eingabe des achtstelligen Codes sehr klein seien und sie sich am 27. März 2019 offenbar vertippt habe. Daraufhin werde die Eingabe für fünf Minuten gesperrt. Aufgrund dessen habe sie der sie begleitenden Filialleiterin vorgeschlagen, zunächst Jacken und persönliche Sachen zu holen, um den Zahlencode dann erneut einzugeben. Der Tresor habe jedoch nach wie vor nicht geöffnet werden können. Sie sei in der gesamten Zeit ihrer Anstellung bei der Beklagten stets aufrichtig und ehrlich gewesen. Zudem habe sie als Verkaufskraft immer zur Aufdeckung von Straftaten in der Filiale beigetragen. Sie sei auch nicht unwesentlich vermögend. Hierzu hat die Klägerin auf Immobilieneigentum und weiteres, durch zur Gerichtsakte gereichte Unterlagen belegtes Vermögen verwiesen. Ein Grund für die Entwendung des Safebags habe für sie auch vor diesem Hintergrund nicht bestanden.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten, erklärt unter dem 29. März 2019, der Klägerin am 29. März 2019 zugegangen, aufgelöst worden ist;

2. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 8. April 2019, den Prozessbevollmächtigten der Klägerin am 8. April 2019 per Telefax zugestellt, aufgelöst worden ist;

3. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.780,71 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Mai 2019 zu zahlen;

4. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.780,71 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juni 2019 zu zahlen;

5. die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von 2.780,71 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 1. Juli 2019 zu zahlen;

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen

Die Beklagte hat gemeint, ein wichtiger Kündigungsgrund liege aufgrund der Begehung eines versuchten Eigentumsdelikts durch die Klägerin, mindestens jedoch aufgrund eines entsprechenden Verdachts vor. Sie hat behauptet, der Sicherheitsmanager habe am 29. März 2019 den verschwundenen Safebag vom 22. März 2019 in den Kartons, die sich neben dem Tresor und unter dem Beistelltisch im Tresorraum befanden, wiedergefunden. Der Vorfall lasse sich mit überwiegender Wahrscheinlichkeit nur so erklären, dass die Klägerin den streitgegenständlichen Safebag am Abend des 22. März 2019 mit nach Hause genommen habe. Sie sei die letzte Person gewesen, die den Safebag vor dem Verschwinden in Händen gehalten habe. Nach der Tat habe sie abgewartet, was geschehen werde. Nachdem der Sicherheitsmanager die persönlichen Gespräche geführt habe, sei sie unruhig geworden. Sie habe im Rahmen des Personalgesprächs am 26. März 2019 ohne Grund sofort angefangen zu weinen. Laut Wahrnehmung der Filialleiterin sei die Klägerin nach Bekanntwerden des Verschwindens des Safebags „extrem nervös“ gewesen und „ihr den ganzen Tag hinterhergeschlichen“. Schließlich habe sie den Safebag aufgrund des „Ermittlungsdrucks“ am 27. März 2019 „als Alibi“ im Beisein der Filialleiterin, die sich habe umdrehen sollen, zwischen die Kartons gelegt. Nach dem 27. März 2019 habe sich die Klägerin wieder sehr gelöst verhalten. Das Verhalten der Klägerin in Gegenwart der Filialleiterin am 27. März 2019 stelle sich zudem deshalb als verdächtig dar, als keine Arbeitsanweisung der Beklagten existiere, dass die persönlichen achtstelligen Codes verdeckt eingegeben werden und sich Begleitpersonen umdrehen müssten. Eine Sperre des Tresors trete auch nicht nach dem ersten Vertippen ein, sondern erst nach dreimaligem Vertippen. Die einzig weiter denkbaren Varianten, dass der Safebag in der Schublade steckengeblieben sei oder die Arbeitnehmerin D anlässlich der Öffnung des Tresors am 26. März 2019 den Safebag entwendet habe, schieden aus. Dies sei durch den Sicherheitsmanager geprüft worden und für „sehr unwahrscheinlich erklärt worden“. Insbesondere hätte die Arbeitnehmerin D den Safebag in Gegenwart des Mitarbeiters der Geldtransportfirma nicht von diesem unbemerkt entwenden können, denn sie hätte ihren Bewegungsradius ändern müssen. Eine Täterschaft der Arbeitnehmerin D sei zudem wegen deren Kleidung ebenso auszuschließen wie deren Zusammenwirken mit dem Mitarbeiter der Geldtransportfirma. Die von der Klägerin geltend gemachte Vergütung werde schließlich der Höhe nach bestritten. Sie erziele allenfalls eine Bruttomonatsvergütung in Höhe von 2.704,71 Euro.

Mit Urteil vom 1. Oktober 2019 hat das Arbeitsgericht der Klage in vollem Umfang entsprochen. Die Kündigungen seien unwirksam. Eine Tatkündigung scheide aus. Auch ein dringender Tatverdacht, der  einen  wichtigen  Kündigungsgrund  darstellen  oder auch eine ordentliche Kündigung sozial rechtfertigen könnte, sei nicht gegeben. Die Klägerin sei nicht die Einzige gewesen, die Gelegenheit zu der Entwendung und der von der Beklagten behaupteten Rückführung des Safebags gehabt habe. Im Hinblick auf die geschuldete Vergütung sei der Vortrag der Beklagten zur Höhe unsubstantiiert.

Gegen das der Beklagten am 6. November 2019 zugestellte Urteil richtet sich deren am 6. Dezember 2019 eingegangene und nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20. Januar 2020 an diesem Tag begründete Berufung.

Die Beklagte meint weiterhin, die Kündigungen seien wirksam. Es bestehe ein wichtiger Grund, das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos aufzulösen. Die Klägerin sei zumindest dringend verdächtig, den Safebag zunächst entwendet und sodann wieder zurückgelegt zu haben. Insbesondere die Arbeitnehmerin D scheide als Täterin aus. Bereits das körpernahe Verstauen des Safebags am 26. März 2019 hätte, so behauptet die Beklagte, Geräusche verursacht, die der Mitarbeiter der Geldtransportfirma bemerkt hätte. Auch aufgrund ihrer eng anliegenden Kleidung an diesem Tag hätte die Arbeitnehmerin D den Safebag nicht unauffällig verstauen können. Ein kollusives Zusammenwirken der Arbeitnehmerin D mit dem Mitarbeiter der Geldtransportfirma scheide aus. Die Klägerin hingegen habe am 27. März 2019 nach der von ihr vorgespielten Sperrung des Tresors eine Jacke angehabt, in der sie den Safebag gut hätte verbergen können. Sie habe den Safebag durch die Filialleiterin unbemerkt – diese habe sich zuvor umdrehen sollen – in die Kartons fallen lassen können. Entgegen der Würdigung durch das Arbeitsgericht stelle sich das Verhalten der Klägerin an diesem Tag als überaus verdächtig dar. Die Vergütungshöhe betrage 2.704,71 Euro brutto und nicht 2.780,71 Euro brutto. Die Zahlung der vermögenswirksamen Leistungen erfolge ebenso auf der Grundlage einer Betriebsvereinbarung wie die Zahlung „Aufladung der Bonuskarte“. Um letztere zu erhalten, müssten „die Ziele der Bonuskarte“ erfüllt sein.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Dortmund vom 1. Oktober 2019 – 4 Ca 1804/19 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie meint, das Arbeitsgericht habe zutreffend das Vorliegen einer Tat bzw. eines dringenden Tatverdachts als Kündigungsgrund verneint. Die Vergütungshöhe ergebe sich aus den vorgelegten Abrechnungen.

Wegen des weiteren Sach- und Rechtsvortrags wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen ergänzend Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung ist zulässig.

Sie ist gemäß §§ 519 ZPO, 64  Abs. 6  S. 1  ArbGG, 66 Abs. 1 S. 1 und 2 ArbGG am 6. Dezember 2019 gegen das am 6. November 2019 zugestellte Urteil insgesamt innerhalb der Monatsfrist form- und fristgerecht eingelegt sowie nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 20. Januar 2020 innerhalb dieser gemäß § 66 Abs. 1 S. 1 und  5  ArbGG  ordnungsgemäߠ im  Sinne  der  §§  520  Abs. 3  ZPO,  64  Abs. 6  S. 1 ArbGG an diesem Tag begründet worden.

II.  Die Berufung hat in der Sache keinen Erfolg. Denn die zulässige Klage ist in vollem Umfang begründet.

1.   Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 29. März 2019 aufgelöst.

a)  Die Kündigungsschutzklage der Klägerin ist innerhalb der Frist des §§ 4 S. 1, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG erhoben worden. Die Kündigung vom 29. März 2019 ist der Klägerin am selben Tag zugegangen. Ihre Kündigungsschutzklage ging am 17. April 2019 und damit innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 4 S. 1 KSchG beim Arbeitsgericht ein.

b)  Die außerordentliche fristlose Kündigung vom 29. März 2019 ist unwirksam.

Denn ein wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB ist nicht gegeben.

aa)  Gemäß § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Frist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Dienstverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder bis zu der vereinbarten Beendigung des Dienstverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Dabei ist zunächst zu prüfen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falles und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – ebenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar ist oder nicht (statt aller: BAG 17. März 2016 – 2 AZR 110/15).

Vom Arbeitnehmer zu Lasten des Arbeitgebers begangene Eigentums- und Vermögensdelikte rechtfertigen in der Regel eine außerordentliche Kündigung. Ein Arbeitnehmer, der während seiner Arbeitszeit strafrechtlich relevante Handlungen begeht, die sich gegen Eigentum oder Vermögen seines Arbeitgebers richten, verletzt damit schwerwiegend seine arbeitsvertraglichen (Loyalitäts-) Pflichten und missbraucht das in ihn gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise (BAG 16. Dezember 2004 – 2 ABR 7/04).

Für die kündigungsrechtliche Beurteilung der Pflichtverletzung kommt es nicht entscheidend auf die konkrete strafrechtliche Würdigung an (BAG 13. Dezember 2018 – 2 AZR 370/18). Auch ist nicht maßgeblich, um welchen konkreten Straftatbestand – zum Beispiel Diebstahl oder Unterschlagung – es sich handelt. Entscheidend sind der Verstoß gegen arbeitsvertragliche Haupt- oder Nebenpflichten und der mit ihm verbundene Vertrauensbruch. Dies gilt auch dann, wenn die rechtswidrige Handlung Gegenstände von geringem Wert betrifft oder zu einem nur geringfügigen, möglicherweise zu gar keinem Schaden geführt hat (BAG 23. August 2018 – 2 AZR 235/18).

bb)  Die Kündigung ist nach den zutreffenden Ausführungen des Arbeitsgerichts nicht als Tatkündigung gerechtfertigt. Der von der Beklagten der Kündigung zugrunde gelegte Tathergang ist nicht erwiesen. Entsprechender Beweisantritt ist durch die Beklagte nicht erfolgt.

cc)  Die Beklagte stützt die Kündigung zudem auf einen von ihr angenommenen Verdacht, die Klägerin habe einen Safebag, der mit einem Geldbetrag in Höhe von 3.000,00 Euro gefüllt gewesen ist, entwendet und später wieder zurückgebracht.

Auch dies stellt vor dem Hintergrund des konkreten Sachvortrags der Parteien keinen wichtigen Kündigungsgrund dar.

(1)  Als wichtiger Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB „an sich“ geeignet sind nicht nur erhebliche Pflichtverletzungen im Sinne von nachgewiesenen Taten. Auch der dringende, auf objektive Tatsachen gestützte Verdacht einer schwerwiegenden Pflichtverletzung kann einen wichtigen Grund bilden. Ein solcher Verdacht stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar (BAG 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18; BAG 21. November 2013 – 2 AZR 797/11). Eine Verdachtskündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Der Verdacht muss auf konkrete, vom Kündigenden darzulegende und gegebenenfalls zu beweisende Tatsachen gestützt sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine außerordentliche Kündigung nicht zu rechtfertigen vermöchte. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen dementsprechend zur Rechtfertigung eines dringenden Tatverdachts nicht aus. Für das Vorliegen eines dringenden Verdachtes kommt es auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung an (BAG 25. Oktober 2012 – 2 AZR 700/11).

Jedes Arbeitsverhältnis setzt als personenbezogenes Dauerschuldverhältnis ein gewisses gegenseitiges Vertrauen der Vertragspartner voraus (BAG 14. September 1994 – 2 AZR 164/94). Ein schwerwiegender Verdacht einer Pflichtverletzung kann zum Verlust der vertragsnotwendigen Vertrauenswürdigkeit des Arbeitnehmers und damit zu einem Eignungsmangel führen, der einem verständig und gerecht abwägenden Arbeitgeber die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht. Der Verdacht stellt als solches einen wichtigen Grund im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB und der durch den Verdacht bedingte Eignungsmangel des Arbeitnehmers – im Sinne der Differenzierung in § 1 Abs. 2 KSchG – einen Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers dar, auch wenn die den Verdacht und den daraus folgenden Vertrauensverlust begründenden Umstände nicht unmittelbar mit seiner Person zusammenhängen müssen (BAG 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/08).

(2)  Ein entsprechend schwerwiegender, dringender Verdacht, die Klägerin habe den streitgegenständlichen Safebag entwendet (und später zurückgebracht), ist nicht gegeben.

(a)  Unstreitig war die Klägerin zunächst am 22. März 2019 als Tresorverantwortliche die letzte Person, die den Safebag vor dem Abhandenkommen zulässigerweise in Händen hielt. Dies könnte die Frage aufwerfen, ob sie diesen tatsächlich zunächst entwendet hat. Es könnten, da der Safebag am 26. März 2019 im Zuge der Abholung durch die Geldtransportfirma nicht auffindbar war, Zweifel bestehen, dass die Klägerin den Safebag tatsächlich am 22. März 2019 in die zweite Tresorkammer eingeworfen hat. Vielmehr könnte die Vermutung angestellt werden, dass die Klägerin – wie von der Beklagte angenommen – den Safebag zunächst entwendet und sodann einige Tage später in „tätiger Reue“ in die Kartons im Tresorraum zurückgelegt hat.

Wäre dem tatsächlich so, läge nach Auffassung der Kammer angesichts der Vertrauensstellung der Klägerin als tresor(mit)verantwortliche Verkaufskraft ein wichtiger Kündigungsgrund vor, der auch durch ein vermeintliches Zurücklegen des Safebags nicht im Nachhinein beseitigt worden wäre.

(b)  Die Verantwortlichkeit der Klägerin für den Safebag am 22. März 2019 und das Nichtauffinden desselben am 26. März 2019 ändern jedoch grundsätzlich nichts daran, dass die darlegungsbelastete Beklagte hätte zur Begründung eines als Kündigungsgrund ausreichenden Verdachts Tatsachen vortragen müssen, die nicht lediglich Fragen aufwerfen, Zweifel aufkommen lassen und mehr oder wenige starke Vermutungen indizieren. Vielmehr hätten schwerwiegende Tatsachen angeführt werden müssen, die einen dringenden Verdacht begründen, die Klägerin habe den Safebag entwendet. Nur ein solcher dringender Verdacht hätte als solcher einen Kündigungsgrund darstellen und aufgrund Vertrauensverlustes die Eignung der Klägerin für die Ausübung ihrer Arbeitsleistung im Rahmen des zwischen den Parteien bestehenden Arbeitsverhältnisses für die Zukunft ausschließen können.

Ein entsprechender Vortrag ist hingegen nicht erfolgt. Letztlich handelt es sich bei den von der Beklagten angeführten Argumenten insgesamt um Verdächtigungen und Spekulationen, die zur Begründung eines dringenden Tatverdachts nicht ausreichen.

(aa)  Nicht für einen entsprechend dringenden Verdacht spricht nach Einschätzung der Kammer die Tatsache, dass die Klägerin im Rahmen des ersten Personalgesprächs am 26. März 2019 in Tränen ausgebrochen ist.

Zu berücksichtigen ist, dass kurz zuvor der Verlust eines Safebags gefüllt mit einem Betrag in Höhe 3.000,00 Euro festgestellt worden war. Verantwortlich für das Verbringen dieses Safebags in den Tresor war am 22. März 2019 unstreitig die Klägerin. Am 26. März 2019 fehlte der Safebag sodann. Dass eine Verkaufskraft, die für das Verbringen eines Safebags gefüllt mit 3.000,00 Euro – einem Betrag oberhalb ihres eigenen Bruttomonatsgehalts – in den Tresor verantwortlich ist, ggf. aufgelöst sein mag, wenn dieser Safebag schließlich – warum auch immer – verloren geht und sie hierzu befragt wird, ist nach Einschätzung der Kammer nicht ungewöhnlich und entspricht durchaus allgemeiner Lebenserfahrung. Dies begründet oder bestätigt in keinem Fall einen dringenden Verdacht, die Klägerin habe den Safebag selbst entwendet.

(bb)  Ebenfalls nicht für einen entsprechenden Verdacht spricht, dass die Klägerin laut Vortrag der Beklagten der Filialleiterin in der Zeit nach dem 26. März 2019 „den ganzen Tag hinterhergeschlichen“ und im Übrigen “ extrem nervös“ gewesen sein soll.

Was es konkret bedeutet, dass die Klägerin der Filialleiterin „den ganzen Tag hintergeschlichen“ sein soll, und vor allem warum gerade dies für einen entsprechenden Verdacht spricht, die Klägerin habe den Safebag zuvor entwendet, erschließt sich der Kammer nicht.

Gerade, wenn die Klägerin den Safebag zudem nicht selbst entwendet hatte, musste unter Umständen jemand anderes aus dem Umfeld der Filiale für das Verschwinden des Safebags verantwortlich sein. Dass dies wie auch das ungeklärte Abhandenkommen des Safebags an sich bei der Klägerin zu Nervosität geführt hat, ist nach Einschätzung der Kammer ebenfalls nicht ungewöhnlich oder sonstwie auffällig.

(cc)  Zugunsten der Beklagten kann entsprechend ihrem streitigen Vortrag unterstellt werden, dass der Safebag nicht in der Schublade zur zweiten Tresorkammer steckenbleiben und sodann durch jemand Drittes entwendet werden konnte. Ebenso kann zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass der Mitarbeiter des Geldtransportdienstes mit einer vermeintlichen Entwendung des Safebags nicht in Verbindung steht.

Dennoch verbleiben für das Verschwinden des Safebags mindestens zwei weitere denkbare Gründe, die gegen eine überwiegend wahrscheinliche Täterschaft der Klägerin sprechen.

(aaa)  Auch die Arbeitnehmerin D könnte den Safebag im Zuge des Abholvorgangs durch den Geldtransportdienst am 26. März 2019 entwendet haben. Die Kammer erachtet es wie auch das Arbeitsgericht als nicht entscheidungserheblich, welche Kleidung die Arbeitnehmerin D am 26. März 2019 trug. Auch wenn dies eher eng anliegende Kleidung gewesen sein mag und es sicherlich leichter ist, mit weiter Kleidung, ggf. in einer Jacke oder dergleichen, einen Safebag zu verstecken, bestand dennoch die Möglichkeit, den Safebag zu entwenden. Die Safebags sind auch in befülltem Zustand unstreitig sehr flach und haben lediglich die Größe eines DIN A 5 – Blatts. Der gesamte Abholvorgang durch den Geldtransportdienst erfolgt zügig und ist durch Eile geprägt. Der Mitarbeiter der Geldtransportfirma ist naturgemäß auf den Scanvorgang konzentriert und stand zudem am 26. März 2019 unstreitig mit dem Rücken zur Arbeitnehmerin D. Zulasten der Beklagten wertet die Kammer, dass auch auf Nachfrage der Kammer im Rahmen der Berufungsverhandlung nicht feststellbar war, in welcher Anzahl und Beschaffenheit sich die Kartons, in denen der Sicherheitsmanager der Beklagten nach deren streitigem Vortrag am 29. März 2019 den Safebag schließlich wiedergefunden haben soll, neben dem Tresor und unter dem Beistelltisch befanden und inwieweit die Arbeitnehmerin D am 26. März 2020 zudem die Gelegenheit hatte, sich nach Bekanntwerden des Verschwindens des Safebags, aber vor der Suche auch durch die Filialleiterin und eine andere Arbeitskollegin sowie den Sicherheitsmanager noch allein im Tresorraum aufzuhalten. Bestand diese Möglichkeit, bestanden ebenso für die Arbeitnehmerin D verschiedene Verschleierungsmöglichkeiten. Je nach Anzahl und Beschaffenheit der Kartons bestanden verschiedene Möglichkeiten, den Safebag unbemerkt fallen zu lassen oder zu verstecken. Da sich die Kartons zudem unstreitig zugleich in unmittelbarer Nähe zum Tresor befanden, hätte die Arbeitnehmerin D entgegen dem Vortrag der Beklagten auch nicht ihren Bewegungsradius ändern müssen, um den Safebag zu verstecken. Sie hätte ihn schlicht fallen lassen müssen, was angesichts des Ausräumvorgangs im Übrigen, der dadurch bedingten Geräuschkulisse, der Ausmaße der Safebags sowie der Eile des Gesamtvorgangs insgesamt auch bei dem Mitarbeiter der Geldtransportfirma keine gesonderte Aufmerksamkeit verursacht hätte. Auch denkbar ist, dass die Arbeitnehmerin D den streitgegenständlichen Safebag zunächst in der ersten Tresorkammer zurückgelassen hat, um ihn dann später unbemerkt zu entwenden. Ein Zugang zur ersten Tresorkammer bestand auch zu späterem Zeitpunkt für sie jederzeit. Schließlich wurde sie unstreitig auch nicht – auf welche zulässige Art und Weise auch immer dies hätte geschehen können – durchsucht.

(bbb)  Gemein ist den beiden denkbaren Sachverhaltsvarianten – entweder die Klägerin oder die Arbeitnehmerin D habe den Safebag entwendet – das dabei unterstellte vorsätzliche Handeln der beiden Personen.

Nicht berücksichtigt wird hingegen, dass der Beistelltisch, auf dem die Safebags im Zuge der Abholung durch den Geldtransportdienst stets zunächst verbracht wurden, unstreitig auch zur Ablage anderer Gegenstände genutzt wurde und regelmäßig „überfüllt“ war. Ebenfalls ist zu beachten, dass sich neben dem Tresor und unter diesem Tisch die vorstehend bereits in Bezug genommenen Kartons befanden. Es ist nicht auszuschließen, dass der streitgegenständliche Safebag anlässlich der Abholung am 26. März 2019 durch den Geldtransportdienst schlicht vom ohnehin überfüllten Beistelltisch oder auf andere Weise in die Kartons gefallen ist und zunächst nicht gefunden wurde. Dass auch aufseiten der Beklagten diese Möglichkeit in Betracht gezogen worden ist, zeigt die Tatsache, dass der Sicherheitsmanager selbst am 29. März 2019 erneut in den Kartons nach dem Safebag gesucht und den Safebag nach dem streitigen Vortrag der Beklagten dort auch wiedergefunden haben soll. Wäre für ihn diese Wahrscheinlichkeit von vornherein ausgeschlossen gewesen, weil bereits am 26. März 2019 umfassend in den Kartons gesucht worden ist, hätte er nicht noch einmal suchen müssen. Die erneute Suche veranschaulicht, dass auch aufseiten der Beklagten die Möglichkeit in Betracht gezogen wurde, dass im Rahmen der Suche am 26. März 2019 etwas übersehen worden sein könnte. Dies wird durch ein sodann erfolgtes Auffinden des Safebags bestätigt. Nicht ohne weiteres bestätigt wird durch eine späteres Auffinden am 29. März 2019 hingegen, dass gerade die Klägerin den Safebag nachträglich in den Kartons deponiert haben könnte.

Damit besteht neben der denkbaren Möglichkeit, dass die Klägerin oder die Arbeitnehmerin D den Safebag – zunächst – entwendet hat, zumindest eine mindestens ebenso große Wahrscheinlichkeit, dass der Safebag versehentlich in die Kartons gefallen ist. Mithin sind insgesamt drei Sachverhaltsvarianten denkbar, wodurch eine überwiegende Wahrscheinlichkeit, die Klägerin habe den Safebag entwendet, nicht angenommen werden kann.

(dd)  In nicht ausreichenden Spekulationen verliert sich die Beklagte schließlich, wenn sie vorträgt, die Klägerin habe den Safebag aufgrund des „Ermittlungsdrucks“ am 27. März 2019 „als Alibi“ im Beisein der Filialleiterin, die sich habe umdrehen sollen, in die Kartons gelegt. Das Verhalten der Klägerin in Gegenwart der Filialleiterin am 27. März 2019 stelle sich zudem deshalb als verdächtig dar, als keine Arbeitsanweisung der Beklagten existiere, dass die persönlichen achtstelligen Codes verdeckt eingegeben werden müssten. Es habe gar kein Grund bestanden, dass sich die Filialleiterin habe bei Eingabe des persönlichen Codes durch die Klägerin umdrehen müssen. Eine Sperre des Tresors trete auch nicht nach dem ersten Vertippen ein, sondern erst nach dreimaligem Vertippen.

Für die Variante, dass die Klägerin den Safebag durch Ablage in den Kartons hätte zurückführen wollen und sich hierzu eines Alibis der Filialleiterin bediente, gibt der Sachverhalt nach Auffassung der Kammer keinerlei Anhaltpunkt. Es handelt sich um eine von der Beklagten aufgestellte, durch nichts belegte Hypothese. Insbesondere hat sich die Klägerin durch die Begleitung der Filialleiterin keines „Alibis“ bedient. Laut unstreitiger Anweisung der Beklagten selbst durften die Safebags seit dem 26. März 2019 von den jeweils tresorverantwortlichen Verkaufskräften nur noch in Begleitung einer weiteren Person in den Tresor gebracht werden. Wenn dem so ist, kann dies der Klägerin nicht zum Vorwurf gemacht und als Grundlage für die Annahme eines dringenden Tatverdachts gemacht werden. Eine Rückführung des Safebags wäre wiederum auch ebenso durch die Arbeitnehmerin D möglich gewesen, die zwischen dem 26. März 2019 und dem 29. März 2019 ebenfalls erneut tresorverantwortliche Arbeitnehmerin war – so unstreitig am 28. März 2019 – und im Übrigen wegen des freien Zugangs des Schlüssels zum Tresorraum diesen, wie auch jeder andere Arbeitnehmer, ohne weiteres betreten konnte.

Es ist auch nicht maßgeblich, ob die Beklagte eine Arbeitsanweisung erteilt hat, Arbeitnehmer müssten sich wegdrehen, wenn der Tresorverantwortliche den persönlichen Code eingibt. Aus der Natur eines persönlichen Codes ergibt sich, dass dieser nicht für andere Personen bestimmt ist. Anderenfalls bräuchte die Beklagte keine persönlichen Codes zuzuteilen. Wenn die Klägerin nach dem Vortrag der Beklagten ggf. etwas atypisch die Einzige gewesen wäre, eine sie begleitende Person zum Umdrehen aufzufordern, während sie ihren Code eingibt, wäre sie tatsächlich die Einzige, die der Vergabe von persönlichen Codes den angemessenen Ernst entgegengebracht und auf die Einhaltung von Sicherheitsvorkehrungen in den Filialen der Beklagten ausreichend Acht gegeben hätte.

Den streitigen Vortrag der Parteien zu den Voraussetzungen einer Tresorsperre musste die Kammer im Übrigen nicht weiter aufklären. Denn unstreitig leuchtete seit Anfang März 2019 nach Wechseln der Batterien im Display des Tresors „Batteriefach offen“. Hierbei handelte es sich offensichtlich um eine Fehlermeldung, die während einer Dauer von mehr als zwei Wochen von niemandem aufseiten der Beklagten zum Anlass genommen wurde, die Funktionstüchtigkeit von Klappe zur ersten Tresorkammer und insbesondere Display zu überprüfen. Wann was normalerweise auf dem Display angezeigt wird und wann an sich eine Sperre eintritt, kann vor dem Hintergrund des nicht ordnungsgemäß funktionierenden Displays nicht dafür herangezogen werden, einen dringenden Tatverdacht zu begründen, die Klägerin habe den Safebag am 22. März 2019 entwendet und sodann zurückgelegt.

(ee)  Nach alledem ist die Kammer der Auffassung, dass die Tatsache, dass die Klägerin am 22. März 2019 für das Verbringen des Safebags in den Tresor verantwortlich war, zwar für eine Entwendung des Safebags durch die Klägerin sprechen könnte. Demgegenüber steht jedoch eine denkbare Beteiligung der Arbeitnehmerin D, sei es durch ein absichtliches Entwenden oder sei es – und dies hält die Kammer für wesentlich wahrscheinlicher – durch ein versehentliches Fallenlassen im Rahmen der Leerung des Tresors am 26. März 2019. Diese insgesamt drei denkbaren Sachverhaltsvarianten genügen nicht, um einen überwiegenden schwerwiegenden Tatverdacht zulasten der Klägerin zu begründen.

Auf die von ihr selbst angeführten sehr guten Vermögensverhältnisse der Klägerin kam es nach alledem nicht mehr an.

c)  Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist auch nicht durch die hilfsweise ausgesprochene ordentliche Kündigung zum Ablauf des 31. Oktober 2019 aufgelöst.

Mangels dringenden Verdachts scheidet eine soziale Rechtfertigung der Kündigung als personenbedingte Kündigung (hierzu: BAG 31. Januar 2019 – 2 AZR 426/18) aufgrund nicht mehr gegebener Eignung der Klägerin aus.

2.   Aus denselben Erwägungen ist das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 8. April 2019 aufgelöst.

Die Kündigungsschutzklage der Klägerin ist auch insofern innerhalb der Frist des §§ 4 S. 1, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG erhoben worden. Die Kündigung vom 8. April 2019 ist der Klägerin am selben Tag zugegangen. Ihre Kündigungsschutzklage ging am 17. April 2019 und damit innerhalb der dreiwöchigen Frist des § 4 S. 1 KSchG beim Arbeitsgericht ein.

Dahinstehen kann die offensichtliche, im Übrigen auch ohne Einhaltung einer Klagefrist rügbare (ErfK/Müller-Glöge, 20. Aufl. 2020, § 623 BGB, Rdn. 22) Formunwirksamkeit dieser Kündigung gemäß § 623 BGB aufgrund ausschließlicher Übermittlung an die späteren Prozessbevollmächtigten der Klägerin per Telefax (BAG 17. Dezember 2015 – 6 AZR 709/14).

3.   Zutreffend hat das Arbeitsgericht der Klägerin schließlich Vergütungsansprüche in Höhe von jeweils 2.780,71 Euro für die Monate April 2019 bis Juni 2019 nebst Zinsen zugesprochen.

a)  Der Anspruch ergibt sich dem Grunde nach aus § 615 S. 1 i.V.m. §§ 611 Abs. 1, 611a Abs. 2 BGB. Denn die ausgesprochenen Kündigungen sind unwirksam.

b)  Zudem kann die Beklagte nicht gehört werden, soweit sie die Höhe des Anspruchs im Hinblick auf den Zahlungsbestandteil „Vermögenswirksame Leistungen“ und „Aufladung Bonuskarte“ bestreitet.

Unstreitig hat die Beklagte der Klägerin entgegen der Regelung in § 2 Abs. 1 S. 2 Nr. 6 NachwG und entsprechend erfolgtem gerichtlichen Hinweis im Rahmen der Berufungsverhandlung die Arbeitsbedingungen, insbesondere die Zusammensetzung und Höhe des Entgelts bzgl. der beiden streitigen Vergütungsbestandteile, nicht nachgewiesen. Über ein Exemplar eines Arbeitsvertrags verfügt die Klägerin nicht. Diese Form der Beweisvereitelung durch die Beklagte führt zwar nicht unmittelbar zur Umkehr der Beweislast. Sie ist aber im Rahmen der Beweiswürdigung durch die Kammer gemäß § 286 ZPO zu berücksichtigen und kann zu einer erheblichen Erleichterung der Beweisführungslast für den Arbeitnehmer – hier die Klägerin – führen (hierzu umfassend: ErfK/Preis, 20. Aufl. 2020, § 2 NachwG, Rdn. 41 ff., insbesondere 48, m.w.N.) Die Klägerin hat sich zur Begründung ihres Anspruchs auf die ihr vorliegenden Vergütungsabrechnungen bezogen, die die geltend gemachten Ansprüche ohne weiteres belegen. Die Beklagte ist dem nicht substantiiert entgegengetreten.

Dahinstehen kann, dass die Beklagte – auch darauf ist sie durch die Kammer ausdrücklich hingewiesen worden – ohne weitere inhaltliche Wiedergabe Betriebsvereinbarungen in Bezug nimmt, obwohl ein für  die Filiale der Beklagten in T zuständiger Betriebsrat unstreitig nicht gewählt ist.

c)   Zinsen kann die Klägerin in dem durch das Arbeitsgericht zugesprochenen Umfang gemäß §§ 288 Abs. 1, 286 Abs. 2 Nr. 1, 614 BGB beanspruchen.

III.  Die Kostenentscheidung beruht auf § 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. § 97 Abs. 1 ZPO.

IV.  Ein gesetzlich begründbarer Anlass zur Zulassung der Revision liegt nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG. Keine der entscheidungserheblichen Rechtsfragen war von grundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 72 Abs. 2 Ziffer 1 ArbGG. Auch weicht das Urteil in den entscheidungserheblichen Fragen von keiner Entscheidung der in § 72 Abs. 2 Ziffer 2 ArbGG genannten Gerichte ab.

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