Skip to content

Fristlose Verdachtskündigung – Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung

Kündigung im Arbeitsverhältnis: Streit um Tankkarte und Schadensersatz

Der Fall dreht sich um eine Kündigung im Arbeitsverhältnis, die Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung, die Erteilung eines Zwischenzeugnisses und Schadensersatzforderungen. Der Kläger war in leitender Funktion bei einer insolventen Firma beschäftigt, deren Vermögen nun vom beklagten Insolvenzverwalter verwaltet wird.

Direkt zum Urteil: Az.: 11 Sa 339/21 springen.

Streitpunkt Tankkarte und private Nutzung

Der Kläger erhielt eine Tankkarte zur privaten Nutzung, deren geldwerte Leistungen nicht in den Gehaltsabrechnungen ausgewiesen und somit auch nicht versteuert wurden. Zudem verpflichtete sich die Insolvenzschuldnerin, ab 2010 die Kosten für Reparaturen und Inspektionen des Privatfahrzeugs des Klägers zu übernehmen, sofern es sich um einen Volkswagen oder Audi handelt.

Verdacht der Rechnungsmanipulation

Die Insolvenzschuldnerin warf dem Kläger vor, Rechnungen für Reparaturen seines privaten Fahrzeugs manipuliert zu haben, um eine ordnungsgemäße Versteuerung zu verhindern. Daraufhin kündigte sie das Arbeitsverhältnis außerordentlich fristlos und ordentlich.

Urteil des Arbeitsgerichts Köln

Das Arbeitsgericht Köln stellte fest, dass die Kündigungen das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst haben und verurteilte die Beklagte, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen und ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens weiter zu beschäftigen. Die Widerklage wurde abgewiesen.

Benötigen Sie Hilfe in einem ähnlichen Fall? Jetzt Ersteinschätzung anfragen oder Beratungstermin vereinbaren: 02732 791079.


Das vorliegende Urteil

Kündigung im Arbeitsverhältnis: Streit um Tankkarte und Schadensersatz
(Symbolfoto: CHARAN RATTANASUPPHASIRI/Shutterstock.com)

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 11 Sa 339/21 – Urteil vom 23.02.2022

Die Berufung der beklagten Partei gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17.03.2021 – 15 Ca 2084/20 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Kündigung des Arbeitsverhältnisses, die Pflicht zur vorläufigen Weiterbeschäftigung, die Erteilung eines Zwischenzeugnisses sowie im Wege der Widerklage um Schadensersatz.

Der am .1965 geborene Kläger, verheiratet, war seit dem 01.09.1981 bei der K GmbH (Insolvenzschuldnerin) beschäftigt, zuletzt in leitender Funktion im Bereich Einkauf/Logistik. Über das Vermögen der Arbeitgeberin wurde am 01.07.2021 das Insolvenzverfahren eröffnet und der Beklagte zum Insolvenzverwalter bestellt.

Der Kläger ist Mitglied der Industriegewerkschaft Metall (IG Metall). Die Insolvenzschuldnerin hat mit der IG Metall unter dem 28.11.2011 einen Anerkennungstarifvertrag hinsichtlich der Anwendbarkeit des Manteltarifvertrags der Metall- und Elektroindustrie Nordrhein Westfalens (MTV Metall NRW) geschlossen.

Die Insolvenzschuldnerin hatte unter dem 12.10.1986 in Ergänzung und Erweiterung des bestehenden Arbeitsvertrages dem Kläger eine Tankkarte zur privaten Nutzung mit Wirkung zum 01.01.1997 zur Verfügung gestellt. Wegen der Einzelheiten wird auf die Notiz Bl. 82 d. A. verwiesen. Die geldwerten Leistungen aufgrund der Tankkarte wurden in den Gehaltsabrechnungen nicht ausgewiesen, eine Versteuerung als Arbeitslohn sowie sozialversicherungsrechtliche Abgaben erfolgten nicht.

Laut einer weiteren, undatierten Ergänzung zum Anstellungsvertrag hat sich die Insolvenzschuldnerin verpflichtet, u.a. ab dem 01.01.2010 die Kosten für Reparaturen und Inspektionen für das Privatfahrzeug des Klägers zu übernehmen, sofern es sich um einen Volkswagen oder Audi handelt. Diese maschinenschriftliche Ergänzung des Arbeitsvertrags erfolgte nicht auf dem Geschäftspapier der Beklagten, weist aber die Unterschrift des ehemaligen Geschäftsführers der Insolvenzschuldnerin (A K ) auf. Zudem enthält das Schreiben eine weitere ebenfalls vom Geschäftsführer K unterzeichnete handschriftliche Ergänzung, wonach die Vereinbarung ab März 2012 auch für ein Fahrzeug mit einer anderen Fahrgestellnummer (W ) gilt. Wegen der weiteren Einzelheiten der Ergänzung des Anstellungsvertrages wird auf Bl. 86 d. A. Bezug genommen.

Der Kläger hat ein Kraftfahrzeug mit der Fahrgestellnummer W von dem Autohaus B erworben. Hierbei handelt es sich um ein Fahrzeug, welches zuvor vom Geschäftsführer K als Dienstwagen genutzt wurde. Der Geschäftsführer K nutzte stets das amtliche Kennzeichen D . Der Geschäftsführer K ist im März 2020 ausgeschieden, als neuer Geschäftsführer wurde Herr v bestellt. Der Geschäftsführer K stand als Berater dem K -Konzern weiterhin zur Verfügung.

Die Insolvenzschuldnerin hörte den Kläger am 17.03.2020 zum Verdacht der Manipulation von eingereichten Rechnungen hinsichtlich der Reparatur, Wartung und Inspektion seines Fahrzeugs zum Zwecke der Verhinderung der ordnungsgemäßen Versteuerung an. Hinsichtlich der Einzelheiten des Inhalts der Rechnungen aus den Jahren 2014 bis 2018 wird auf Bl. 55 ff. d. A. verwiesen. Diese Rechnungen sind unmittelbar an die Insolvenzschuldnerin gerichtet und weisen die Besonderheit auf, dass das amtliche Kennzeichen nicht maschinenschriftlich eingetragen wurde. Als Kennzeichen ist mit Ausnahme der Rechnung vom 06.04.2018 handschriftlich D vermerkt. Die geldwerten Leistungen aus Reparatur, Wartung und Inspektion des Fahrzeugs wurden in den Gehaltsabrechnungen des Klägers nicht berücksichtigt.

Mit Schreiben vom 23.03.2020 hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat zur beabsichtigten außerordentlichen, fristlosen und hilfsweise ordentlichen, fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an (Bl. 87 ff. d. A.). Zur Begründung führte sie u. a. an, der Kläger habe Rechnungen über die Reparatur seines privaten Fahrzeugs manipuliert, so dass die Kosten rechtswidrig als Betriebskosten über die Arbeitgeberin abgerechnet worden seien.

Der Betriebsrat stimmte unter dem 26.03.2020 der Kündigung des Arbeitsverhältnisses zu (Bl. 131 d. A.). Mit zwei Schreiben vom 27.03.2020 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum einen außerordentlich fristlos, zum anderen ordentlich zum 31.10.2020 (Bl. 133 f. d. A.).

Mit Schreiben vom 10.07.2020 (Bl. 183 ff. d. A.) hörte die Arbeitgeberin den Betriebsrat erneut zu einer beabsichtigten außerordentlichen, fristlosen sowie hilfsweise zu einer ordentlichen, fristgemäßen Kündigung des Arbeitsverhältnisses des Klägers an. Zur Begründung führte sie u.a. aus, eine erneute unternehmensweite der Kfz-Kosten habe ergeben, dass der Kläger es unterlassen habe, Glasschäden an den Kraftfahrzeugen gegenüber der Versicherung des Unternehmens geltend zu machen. Zudem habe der Kläger gestohlene und veräußerte Fahrzeuge weder bei der Kfz-Versicherung noch beim Finanzamt abgemeldet. Schließlich habe der Kläger an Dienstwagen entstandene Vollkaskoschäden der Kfz-Versicherung nicht mitgeteilt.

Der Betriebsrat stimmte der Kündigung unter dem 14.07.2020 zu (Bl. 197 d. A.). Mit zwei Schreiben vom 14.07.2020 kündigte die Arbeitgeberin das Arbeitsverhältnis zum einen außerordentlich und fristlos, zum anderen ordentlich zum 28.02.2021 (Bl. 200 ff. d. A.).

Das Arbeitsgericht Köln hat mit Urteil vom 17.03.2021 (Bl. 226 ff. d. A.) festgestellt, dass die Kündigungen vom 27.03.2020 und 14.07.2020 das Arbeitsverhältnis des Klägers nicht aufgelöst haben. Es hat die Beklagte verurteilt, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen und ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Leiter Einkauf weiter zu beschäftigen. Die Widerklage hat es abgewiesen. Zur Begründung hat das Arbeitsgericht im Wesentlichen ausgeführt, dass keine Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Kläger in heimlicher und verschleiernder Art und Weise veranlasst habe, das die privaten Werkstattleistungen durch die Insolvenzschuldnerin bezahlt worden seien, ohne die hierauf entfallende Steuer zu entrichten. Hinsichtlich der unterlassenen Meldungen gegenüber der Versicherung sei nicht feststellbar, dass dies zum Aufgabenkreis des Klägers gehört habe. Zudem wäre die Insolvenzschuldnerin gehalten gewesen, vertragswidriges Verhalten vor Ausspruch einer Kündigung zunächst abzumahnen. Darüber hinaus seien die Pflichtverletzungen sowie die Schadenshöhe unsubstantiiert vorgetragen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens und der Antragstellung der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand, wegen der weiteren Einzelheiten der Begründung des Arbeitsgerichtes wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils Bezug genommen.

Gegen das der Beklagtenseite am 29.04.2021 zugestellte Urteil hat sie am 28.05.2021 Berufung eingelegt und diese innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 20.07.2021 begründet.

Unter Bezugnahme und Vertiefung des Vortrags erster Instanz führt der Beklagte aus, dass der dringende Tatverdacht des Erschleichens eines rechtswidrigen geldwerten Vorteils gegeben sei. Dieser Verdacht resultiere aus einer unternehmensweiten Überprüfung der Kfz-Kosten am 03.03.2020. Am 10.03.2020 habe die Buchhaltung festgestellt, dass die streitgegenständlichen Rechnungen mit dem Kfz-Kennzeichen des Fahrzeugs des früheren Geschäftsführers versehen gewesen seien. Der Kläger sei alleinverantwortlich für das Fuhrparkmanagement gewesen. Für den Tatverdacht spreche insbesondere die Abwicklung der Reparaturrechnungen über eine Barkasse, zu der nur der Kläger einen Schlüssel gehabt habe. Der Kläger habe Kenntnis gehabt, dass die Buchhaltung die eingereichten Rechnungen nicht inhaltlich überprüfe. Ferner spreche für den Verdacht das handschriftlich ergänzte Kennzeichen D , welches stets vom Geschäftsführer verwandt worden sei. Selbst im Falle der Vereinbarung der Übernahme der Werkstattkosten erfasse dies jedenfalls nicht das Einverständnis mit einer steuerrechtlich nicht zulässigen Abwicklung als Betriebskosten. Eine Vergleichbarkeit mit der Tankkartenvereinbarung aus dem Jahr 1996 sei nicht gegeben, da die Arbeitgeberin einen Fahrzeugpool unterhalten habe. Die Folgekündigungen vom 14.07.2020 stützt der Beklagte darauf, dass der Kläger sich vertragswidrig im Hinblick auf die Kfz-Versicherung des Fuhrparks verhalten habe. Trotz der ihm übertragenen Funktion als verantwortlicher Leiter Einkauf und Logistik habe er es unterlassen, die Reparatur von Glasschäden anzumelden, die Anmeldung von veräußerten oder gestohlenen Kraftfahrzeugen zu veranlassen sowie Vollkaskoschäden zu melden. Der hierdurch entstandene Schaden werde mit der Widerklage geltend gemacht. Hinsichtlich der Schadensberechnung wird auf die Aufstellungen des Beklagten Bl. 294 ff. d. A. verwiesen. Einer vorherigen Abmahnung habe es aufgrund schuldhafter Pflichtverletzung über mehrere Jahre und der immensen Schadenshöhe nicht bedurft.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 17. März 2021, Az. 15 Ca 2084/20, abzuändern und

1. die Klage insgesamt abzuweisen;

2. sowie den Kläger, Widerbeklagten und Berufungsbeklagten auf die Widerklage hin zu verurteilen, an Rechtsanwalt Dr. G als Insolvenzverwalter über das Vermögen der K GmbH, K , W , gesetzlich vertreten durch den Geschäftsführer Herrn M van Leeuwen, S Weg , B , EUR 89.640,91 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszins seit Rechtshängigkeit der Widerklage zu zahlen.

Der Kläger beantragt, die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.

Der Kläger stellt eine Alleinverantwortlichkeit für das Fuhrparkmanagement in Abrede. Diese Funktion sei ihm nicht übertragen worden, er habe sich lediglich hierum mitgekümmert. Die Vereinbarung zur Kostenübernahme bezüglich der Werkstattkosten sei in der Personalakte hinterlegt gewesen und zudem direkt beim Autohaus, welches die Rechnungen direkt auf die Arbeitgeberin ausgestellt habe. Er selbst habe keine handschriftlichen Eintragungen vorgenommen, vielmehr seien die Rechnungen durch mehrere Hände in der Buchhaltung gegangen und wiesen unterschiedliche Handschriften auf. Gegen einen Täuschungsversuch spreche, dass die Rechnungen die Fahrzeugidentifikationsnummer und den Kilometerstand enthielten. Die Bezahlung aus der Barkasse sei aufgrund einer Anweisung des Geschäftsführers K erfolgt. Erst im Zeitraum der Jahre 2010 bis 2012 sei die Arbeitgeberin nach Beanstandungen dazu übergegangen, die Nutzung von Firmenfahrzeugen lohnsteuerrechtlich nach der 1-%-Regelung zu behandeln. Die Nichtmeldung der bestrittenen Glasschäden gegenüber der Versicherung sei in Absprache mit dem Geschäftsführer K erfolgt, um die anfallenden Versicherungsbeiträge zu senken. Hinsichtlich der An- und Abmeldung von Kraftfahrzeugen sei der Kläger nicht verantwortlich gewesen. Der geltend gemachte Schaden werde dem Grunde und der Höhe nach bestritten. Von einer Unterlassung der Meldung von Vollkaskoschäden, die ebenfalls umstritten seien, habe er keine Kenntnis gehabt. Die außerordentliche Kündigung sei nicht innerhalb der gesetzlichen Erklärungsfrist erfolgt, die Anhörung des Betriebsrats im Hinblick auf den Sachverhalt und den Sonderkündigungsschutz nicht ordnungsgemäß erfolgt sowie die Widerklageforderungen verjährt.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird ergänzend auf den Inhalt der im Berufungsverfahren gewechselten Schriftsätze der Parteien vom 20.07.2021, 16.09.2021 und 30.12.2021, die Sitzungsniederschrift vom 12.01.2022 sowie den übrigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung des Beklagten ist zulässig, denn sie ist gemäß § 64 Abs. 2b), 2c) ArbGG statthaft und wurde ordnungsgemäß innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet.

II. Die Berufung ist nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat mit zutreffender Begründung, der sich das Berufungsgericht in vollem Umfang anschließt und auf die zur Vermeidung von Wiederholungen Bezug genommen wird, erkannt, dass die Kündigungen vom 27.03.2020 und 14.07.2020 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst haben. Der Beklagte ist aus diesem Grund auch verpflichtet, dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen und ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Leiter Einkauf weiter zu beschäftigen. Ebenso überzeugend hat das Arbeitsgericht die Widerklage abgewiesen. Die Berufungsbegründung rechtfertigt keine Abänderung der angefochtenen Entscheidung.

1. Entgegen der Ansicht des Beklagten lässt sich aus den nachgewiesenen Tatsachen zur Überzeugung des Berufungsgerichts kein dringender Tatverdacht herleiten, der die Verdachtskündigungen vom 27.03.2020 nach § 626 Abs. 2 BGB bzw. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG rechtfertigt.

a) Auch der Verdacht einer schwerwiegenden arbeitsvertraglichen Verfehlung kann einen wichtigen Grund i.S.v. § 626 Abs. 1 BGB zur außerordentlichen Kündigung eines Arbeitsverhältnisses bilden. Eine auf einen solchen Verdacht gestützte Kündigung kann gerechtfertigt sein, wenn sich der Verdacht auf objektive Tatsachen gründet, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören, und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (BAG, Urt. v. 12.02.2015 – 6 AZR 845/13 – m. w. N.). Der Verdacht muss dringend sein. Der Verdacht muss auf konkrete – vom Kündigenden darzulegende und ggf. zu beweisende – Tatsachen gestützt sein. Es muss eine große Wahrscheinlichkeit dafür bestehen, dass er zutrifft. Die Umstände, die ihn begründen, dürfen nach allgemeiner Lebenserfahrung nicht ebenso gut durch ein Geschehen zu erklären sein, das eine Kündigung nicht rechtfertigen würde. Bloße, auf mehr oder weniger haltbare Vermutungen gestützte Verdächtigungen reichen nicht aus (BAG, Urt. v. 31.01.2019 – 2 AZR 426/18 – m. w. N.). Auch als ordentliche Kündigung ist eine Verdachtskündigung sozial nur gerechtfertigt, wenn Tatsachen vorliegen, die zugleich eine außerordentliche, fristlose Kündigung gerechtfertigt hätten. Dies gilt auch für die Anforderungen an die Dringlichkeit des Verdachts als solchen. In dieser Hinsicht bestehen keine Unterschiede zwischen außerordentlicher und ordentlicher Kündigung. Für beide Kündigungsarten muss der Verdacht gleichermaßen erdrückend sein (BAG, Urt. v. 21.11.2013 – 2 AZR 797/11 – m. w. N.). Die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers ist Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Der Arbeitnehmer muss die Möglichkeit haben, bestimmte, zeitlich und räumlich eingegrenzte Tatsachen ggfs. zu bestreiten oder den Verdacht entkräftende Tatsachen aufzuzeigen und so zur Aufhellung der für den Arbeitgeber im Dunkeln liegenden Geschehnisse beizutragen (BAG, Urt. v. 24.05.2012- 2 AZR 206/11 – m. w. N.). Bei der gerichtlichen Überprüfung der Verdachtskündigung ist dem Vorbringen des Arbeitnehmers, mit dem er sich von dem ihm gegenüber vorgebrachten Verdacht reinigen will, durch eine vollständige Aufklärung des Sachverhalts nachzugehen (BAG, Urt. v. 18.11.1999 – 2 AZR 743/98 – m. w. N.).

b) Die von dem Beklagten vorgetragenen Tatsachen begründen keinen (hinreichenden) dringenden Tatverdacht eines arbeitsvertraglichen Fehlverhaltens. Der Beklagte vermochte nicht zu beweisen, dass die handschriftlichen Eintragungen des amtlichen Kennzeichens des Kraftfahrzeugs des Geschäftsführers K auf den Rechnungen, die auf den ersten Blick nicht von ein und derselben Person stammen, vom Kläger vorgenommen worden sind. Im Hinblick des Zwecks der Eintragung und des Ablaufs der Abwicklung ist es ebenso gut möglich, dass die Eintragungen nach Einreichung der Rechnungen durch den Kläger, von anderen Personen der Buchhaltung vorgenommen worden sind, die mit der Bearbeitung der jeweiligen Angelegenheit befasst waren. Der Umstand, dass ausschließlich die vom Kläger eingereichten Rechnungen handschriftlich ergänzt wurden, ist wenig aussagekräftig, denn es ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass im Unternehmen der Insolvenzschuldnerin auch andere Arbeitnehmer beschäftigt wurden, die eine mit dem Kläger vergleichbare Kostenübernahmeerklärung besaßen. Zwar kann es als unüblich angesehen werden, wenn Kosten aus Reparatur, Wartung und Inspektion eines privaten Fahrzeugs eines Mitarbeiters direkt aus der Firmenbarkasse beglichen werden. Der Beklagte konnte jedoch das Entlastungsvorbingen des Klägers, wonach die die unstreitige Abwicklung über die Barkasse auf einer Anordnung des Geschäftsführers beruhte, nicht widerlegen, so dass dieser Vorgehensweise kein belastender Charakter zugemessen werden kann. Selbst wenn zugunsten des Beklagten unterstellt wird, dass die Kostenübernahmeerklärung des Geschäftsführers K nicht die rechtswidrige Abwicklung der Werkstattleistungen als Betriebsausgaben erfasst hat, so fehlt es an zusätzlichen Anhaltspunkten dafür, dass der Kläger bei Einreichung der Rechnungen mit Täuschungsvorsatz gehandelt hat. Eine solche Annahme wäre unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des vorliegenden Falls (einvernehmliche Praxis der der Nichtversteuerung der geldwerten Vorteile der Nutzung der Tankkarte sowie Abwicklung der Werkstattkosten über eine Barkasse und offenkundige Nichtberücksichtigung bei den Gehaltsabrechnungen) erst dann hinreichend gerechtfertigt, wenn der Kläger konkrete Anhaltspunkte dafür gehabt hätte, dass der Geschäftsführer K diese jahrelang unbeanstandete Vorgehensweise nicht gekannt und nicht gewollt hätte, was nicht ersichtlich ist.

2. Die Kündigungen vom 14.07.2020 haben das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst.

Selbst wenn die Anmeldung von Glasschäden an den Kraftfahrzeugen gegenüber der Versicherung des Unternehmens, die Abmeldung von gestohlenen und veräußerten Fahrzeuge bei der Kfz-Versicherung und dem Finanzamt sowie die Mitteilung von an Dienstwagen entstandene Vollkaskoschäden gegenüber der Kfz-Versicherung in den Verantwortungsbereich des Klägers als Leiter Einkauf und Logistik gefallen wäre, so kann dem Kläger nur dann ein schuldhaftes Fehlverhalten gegen seine arbeitsvertraglichen Pflichten vorgeworfen werden, wenn – wozu es an konkretem Vortrag des Beklagten mangelt – der Kläger überhaupt mit den einzelnen Fällen befasst war, er also Kenntnis von den Glasschäden, des Diebstahls, der Veräußerung und den weiteren Schäden hatte. Eine pauschale Garantiehaftung für den verantworteten Bereich kommt nicht in Betracht. Darüber hinaus hat das Arbeitsgericht zu Recht betont, dass das von dem Beklagten gerügte jahrelange steuerbare Fehlverhalten des Klägers, welches zu keiner Zeit von der Insolvenzschuldnerin beanstandet wurde, mangels konkreter Aufgabenbeschreibung keine so schwere Pflichtverletzung darstellt, dass für den Kläger erkennbar selbst die erstmalige Hinnahme durch den Arbeitgeber ausgeschlossen war. Ordentliche und außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen regelmäßig eine Abmahnung voraus. Einer solchen bedarf es nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes nur dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach einer Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (BAG, Urt. v. 20.05.2021- 2 AZR 596/20 – m. w. N.).

3. Aufgrund der festgestellten Unwirksamkeit der Kündigungen vom 27.03.2020 und 14.07.2020 ist der Beklagte verpflichtet, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Leiter Einkauf weiter zu beschäftigen (vgl.: BAG, Beschl. v. 27.02.1985 – GS 1/84 -) und dem Kläger ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu erteilen (vgl.: BAG, Urt. v. 04.11.2015 – 7 AZR 933/13 -). Streiten die Parteien gerichtlich über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses, besteht ein triftiger Grund für die Erteilung eines Zwischenzeugnisses. Der Anspruch hierauf entfällt erst mit rechtskräftigem Abschluss des Beendigungsrechtsstreits.

4. Die Widerklage auf Zahlung von 89.640,91 EUR ist weder aus § 280 Abs. 1 BGB noch aus sonstigen Rechtsgründen begründet, denn ein zumindest im Sinne des § 276 Abs. 1 BGB schuldhaftes Fehlverhalten des Klägers hinsichtlich der Anmeldung von Glasschäden an den Kraftfahrzeugen gegenüber der Versicherung des Unternehmens, der Abmeldung von gestohlenen und veräußerten Fahrzeuge bei der Kfz-Versicherung und dem Finanzamt sowie der Mitteilung von an Dienstwagen entstandene Vollkaskoschäden gegenüber der Kfz-Versicherung ist bereits deshalb nicht feststellbar, weil es an hinreichender Darlegung mangelt, dass der Kläger überhaupt mit den einzelnen Fällen befasst war, er also Kenntnis von den Glasschäden, des Diebstahls, der Veräußerung und den Schäden hatte. Darüber hinaus hat der Beklagte mit der Berufungsbegründung nicht ansatzweise die Bedenken des Arbeitsgerichts zur Schlüssigkeit der Forderungshöhe ausgeräumt. Das Arbeitsgericht hat bereits darauf hingewiesen, dass die schlichten tabellarischen Aufstellungen auf der Grundlage von Rechnungsdatum, Kennzeichen und Rechnungssumme ohne Erläuterung des jeweiligen zugrunde liegenden Sachverhalts zur schlüssigen Schadensbegründung nicht geeignet sind.

III. Die Kostenentscheidung beruht auf den § 97 Abs. 1 ZPO.

IV. Die Revision wurde nicht zugelassen, da die gesetzlichen Zulassungsvoraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG nicht vorliegen.

Hinweis: Informationen in unserem Internetangebot dienen lediglich Informationszwecken. Sie stellen keine Rechtsberatung dar und können eine individuelle rechtliche Beratung auch nicht ersetzen, welche die Besonderheiten des jeweiligen Einzelfalles berücksichtigt. Ebenso kann sich die aktuelle Rechtslage durch aktuelle Urteile und Gesetze zwischenzeitlich geändert haben. Benötigen Sie eine rechtssichere Auskunft oder eine persönliche Rechtsberatung, kontaktieren Sie uns bitte.

Unsere Hilfe im Arbeitsrecht

Wir sind Ihr Ansprechpartner in Sachen Arbeitsrecht. Vom Arbeitsvertrag bis zur Kündigung. Nehmen Sie noch heute Kontakt zu uns auf.

Rechtsanwälte Kotz - Kreuztal

Wissenswertes aus dem Arbeitsrecht einfach erklärt

Weitere interessante arbeitsrechtliche Urteile

Unsere Kontaktinformationen

Rechtsanwälte Kotz GbR

Siegener Str. 104 – 106
D-57223 Kreuztal – Buschhütten
(Kreis Siegen – Wittgenstein)

Telefon: 02732 791079
(Tel. Auskünfte sind unverbindlich!)
Telefax: 02732 791078

E-Mail Anfragen:
info@ra-kotz.de
ra-kotz@web.de

Rechtsanwalt Hans Jürgen Kotz
Fachanwalt für Arbeitsrecht

Rechtsanwalt und Notar Dr. Christian Kotz
Fachanwalt für Verkehrsrecht
Fachanwalt für Versicherungsrecht
Notar mit Amtssitz in Kreuztal

Bürozeiten:
MO-FR: 8:00-18:00 Uhr
SA & außerhalb der Bürozeiten:
nach Vereinbarung

Für Besprechungen bitten wir Sie um eine Terminvereinbarung!