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Fristlose Verdachtskündigung wegen Arbeitgeberwechsel

ArbG Erfurt – Az.: 4 Ca 863/21 – Urteil vom 17.11.2021

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 10.05.2021 nicht beendet wird.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzrechtsstreits zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als stellvertretender Abteilungsleiter Interieur-Fertigung weiter zu beschäftigen.

3. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

4. Der Streitwert beträgt 18.957,12 €.

Tatbestand

Mit der vorliegenden Klage wendet sich der Kläger gegen eine außerordentlich und hilfsweise ordentlich ausgesprochene Kündigung seines Arbeitsverhältnisses.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit dem 01.06.2016 zuletzt als stellvertretender Abteilungsleiter Interieur-Fertigung mit einer Bruttomonatsvergütung i.H.v. …in Vollzeit beschäftigt.

Im Rahmen des elektronischen Lohnsteuerabzugsabgleichs für die Abrechnung des Monats April 2021 stellte die Beklagte fest, dass für den Kläger mit Wirkung zum 01.04.2021 ein Wechsel des Hauptarbeitgebers gemeldet wurde. Die zuständige Mitarbeiterin der Lohnbuchhaltung kontaktierte unverzüglich telefonisch den Kläger und fertigte hierüber eine Telefonnotiz, wie sie sich aus der Anlage B3 Bl. 82 d. A. ergibt. Im Anschluss an das Telefonat unterrichtete die Mitarbeiterin den Vorgesetzten des Klägers, .., welcher seinerseits den Generalbevollmächtigten der Beklagten … informierte. Dieser sprach den Kläger im Rahmen eines Telefonats am 06.05.2021 auf eine Nebenbeschäftigung an. Ihm gegenüber erklärte der Kläger, dass er keine Tätigkeit aufgenommen, keine Unterschrift geleistet habe und er sich die Ummeldung nicht erklären könne. Auch … fertigte über das Telefonat eine Gesprächsnotiz, wie sich aus Bl. 93 d. A. ergibt.

Mit Schreiben vom 10.05.2021 hörte die Beklagte den bei ihr existierenden Betriebsrat zur fristlosen und hilfsweise ordentlichen Kündigung des Klägers an. Gegenüber dem Betriebsrat begründete die Beklagte die Kündigung vor allem mit dem Wechsel der Haupttätigkeit, für den es – anders als bei bloßen Nebentätigkeiten – keinen Anspruch auf Zustimmung gebe; hieraus vermute die Beklagte den Verstoß gegen das Arbeitszeitgesetz und gegen das Konkurrenzverbot. Darüber … sein pflichtwidriges Verhalten abgestritten habe und dadurch das Vertrauen in ein korrektes dienstliches Verhalten unwiederbringlich zerstört sei. Hinsichtlich des Inhalts der Anhörung wird auf die Anl. B7 Bl. 89 – 91 d. A. verwiesen.

Der Betriebsrat bestätigte unter dem 11.05.2021: „Zur Kenntnis genommen“.

Das Kündigungsschreiben vom 10.05.2021 wurde dem Kläger am 11.05.2021 gegen 18:00 Uhr persönlich übergeben.

Mit Schreiben ohne Datum, dessen Kenntnisnahme der Betriebsrat mutmaßlich mit E-Mail vom 12.11.2021 bestätigte, hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einem gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwurf des Arbeitszeitbetruges am 17.04.2021 an. Hinsichtlich des Inhalts wird auf die Anl. B9, Bl. 144 d.A. verwiesen.

Der Kläger trägt unter anderem vor, der Kläger mache das Fehlen eines wichtigen Grundes, die fehlende soziale Rechtfertigung der fristgerechten Kündigung und die Nichteinhaltung der Frist des § 626 Abs. 2 BGB geltend.

Der Kläger hätte im gesamten Jahr 2021 bis zur streitgegenständlichen Kündigung über seine Tätigkeit für die Beklagte hinaus keine Erwerbsbeschäftigung vereinbart, begonnen oder ausgeübt. Weder als Nebenbeschäftigung, noch als Hauptbeschäftigung.

Insbesondere habe es keine Neben– oder Hauptbeschäftigung bei dem Baufachbetrieb mit Zimmerei von … gegeben, auf dessen irrtümliche Anmeldung eines Arbeitsverhältnisses sich die Beklagte immer wieder beziehe. Der Kläger hätte an einer solchen Anmeldung auch nicht mitgewirkt. Vielmehr habe sich der Kläger im Jahr 2016 parallel zu der Beklagten auch bei dem Baufachbetrieb von … beworben, sich dann aber für das nunmehr gekündigte Arbeitsverhältnis bei der Beklagten entschieden. Anknüpfend an die damalige Bewerbung hätte … den Kläger einige Zeit vor der Kündigung gefragt, ob er zukünftig Interesse an einer Nebenbeschäftigung habe, worauf sich der Kläger hinhaltend geäußert habe, da … zu diesem Zeitpunkt eine Anfrage für einen Carport auf dem Grundstück der Lebensgefährtin des Klägers bearbeitet hätte. In der Folge sei es dann wohl ohne Zutun des Klägers zu einem Missverständnis zwischen Herrn … und dessen Sekretariat gekommen, so dass letztlich das Steuerbüro des Baufachbetriebs von … den Kläger auf Basis der Informationen aus der Bewerbung 2016 als neuen Arbeitnehmer angemeldet hätte. Zumindest sei dies dem Kläger von Herrn … im Nachgang so geschildert worden. Auch der Beklagten sei nach Auskunft von … noch im Mai 2021 ein entsprechendes Erklärungsschreiben zugegangen.

Für eine entsprechende Verdachtskündigung fehle es bereits an einem ausreichenden Verdacht. Es sei der Beklagten aus ihrem eigenen Unternehmensalltag bekannt, dass für die ihr zur Kenntnis gekommene Anmeldung des Klägers dessen aktive Mitwirkung nicht notwendig wäre. Der Kläger hätte gegenüber der Beklagten noch immer wahrheitsgemäß verneint, eine Neben- oder Hauptbeschäftigung vereinbart, begonnen oder ausgeübt zu haben. Dies gelte sowohl gegenüber …., als auch gegenüber dem Geschäftsführer der Beklagten.

Statt den Kläger sofort eine Lüge zu unterstellen, hätte die Beklagte zumindest nahe liegende Klärungsmöglichkeiten ergreifen und bei dem angemeldeten Baufachbetrieb nachfragen müssen.

Selbst wenn der Kläger eine Neben- oder Hauptbeschäftigung beim Baufachbetrieb von … ausgeübt hätte, hätte dies keine Kündigung ohne einschlägige Abmahnung gerechtfertigt. Beim Baufachbetrieb von … handele es sich nicht um ein Unternehmen, das am Markt in Konkurrenz mit der Beklagten trete. Die Beklagte sei ein hochspezialisiertes und international tätiges Unternehmen für die Ausstattung von Behördenfahrzeugen und kein thüringischer Baufachbetrieb.

Der Kläger habe auch nicht versucht, … ein Dokument unterzuschieben, um sich eine Gehaltserhöhung zu erschleichen. Ein Zusammenhang zwischen der Abmahnung und den nunmehr vorgetragenen Gründen für die fristlose Kündigung werde nicht gesehen. Die erteilte Abmahnung sei insoweit nicht einschlägig.

Insoweit die Beklagte dem Kläger nunmehr auch noch vorwerfe, ohne Grund am 17.04.2021 eingestempelt und sodann nur Tätigkeiten ohne betrieblichen Zusammenhang erledigt zu haben, sei dies ebenfalls unzutreffend. Der Anlass dafür, dass der Kläger am 17.04.2021 in die Firma gekommen sei, wäre gewesen, dass ein Mitarbeiter an den CNC-Maschinen Überstunden gemacht hätte und hierfür nach den Vorgaben im Betrieb eine zweite Person anwesend hätte sein müssen, was ansonsten nicht der Fall gewesen wäre. Der Kläger habe dabei die eingestempelte Zeit genutzt, um den Auszubildenden der Beklagten … auf dessen Bitte beim Gesellenstück zu unterstützen. Teil des Gesellenstücks wäre es gewesen, eine händische Zeichnung in eine computergestützte CAD-Zeichnung zu übertragen, wofür der Kläger bei der Beklagten der Experte und Ansprechpartner gewesen wäre.

Bei dem Gesellenstück habe sich allerdings nicht um die von der Beklagten angesprochenen Federwippen gehandelt. Die Pläne für die Federwippen hätte der Kläger in seiner Freizeit für den Kollegen … erstellt und seien vom Kläger am 17.04.2021 nur in das Computersystem der Beklagten geladen bzw. entsprechend umgewandelt worden. Hierfür hätten die vom Kläger für Pausen zustehenden Zeiten ausgereicht, die der Kläger am 17.04.2021 auch nicht anders für sich genutzt hätte. Sinn des Hochladens wäre es gewesen, eine Entscheidungsgrundlage dafür zu treffen, ob der Kollege die Federwippen bei der Beklagten in Maschinenleerlaufzeiten für sich produzieren lassen dürfe. Entsprechende Produktionsfreigaben für Mitarbeiterprojekte habe die Beklagte regelmäßig erteilt. Der Kläger hätte insoweit beispielsweise auch für folgende von der Beklagten dann produzierte Projekte von Mitarbeitern mit Wissen und Wollen der Beklagten entsprechende Vorarbeiten geleistet:

Eine ordnungsgemäße Anhörung des Betriebsrats sei nicht erfolgt. Die Beklagte begrenze ihre Anhörung auf begangene Pflichtverletzungen, also auf die Anhörung zu einer Tatkündigung. Diese sei durch die Einlassung des Klägers widerlegt. Dabei vermittle die Beklagte gegenüber dem Betriebsrat den bewusst falschen Eindruck, dass der Abgleich der elektronischen Lohnsteuermerkmale für sich allein einen Nachweis für die Ausübung einer weiteren Haupttätigkeit erbringen könne, während sie dem Betriebsrat gleichzeitig unzutreffende Informationen zuleite, um den Betriebsrat möglichst weit gegen den Kläger aufzubringen. So sei dem Kläger unberechtigterweise und ohne begründeten Verdacht unterstellt worden, er habe „Daten der Möbelproduktion zu seinen Gunsten abgegriffen“ und die Systeme der Beklagten bereits für seine weitere Haupttätigkeit missbraucht. Um erklären zu können, wie dies zeitlich alles möglich gewesen sei, sei dem Kläger eine tatsächlich nicht erfolgte Umstellung des Arbeitsverhältnisses mit der Beklagten auf „Teilzeit“ angedichtet worden.

Hinsichtlich des angeblichen Unterschiebens einer Gehaltserhöhung sei dem Betriebsrat bei der Anhörung sogar verschwiegen worden, dass der Kläger wegen dieses Vorwurfs bereits abgemahnt worden sei.

Der Kläger beantragt zuletzt:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die fristlose Kündigung der Beklagten vom 10.05.2021 nicht beendet wird.

2. Im Fall des Obsiegens mit dem Antrag zu 1. wird die Beklagte verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als stellvertretenden Abteilungsleiter Interieur-Fertigung weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt K l a g e a b w e i s u n g .

Sie führt unter anderem aus, im Rahmen des elektronischen Lohnsteuerabzugsabgleichs für die Abrechnung des Monats April 2021 habe die Beklagte festgestellt, dass der Kläger mit Wirkung zum 01.04.2021 einen Wechsel des Hauptarbeitgebers vorgenommen hätte. Auf Nachfrage der zuständigen Mitarbeiterin wegen einer Zweitbeschäftigung habe der Kläger ihr gegenüber im Telefonat vom 06.05.2021 eingeräumt, eine Weiterbeschäftigung aufgenommen zu haben. Auf Nachfrage habe der Kläger angegeben, er würde für eine Zimmerei technische Zeichnungen vornehmen.

Die Mitarbeiterin habe unmittelbar im Anschluss an das Telefonat den Vorgesetzten des Klägers unterrichtet, der seinerseits den Generalbevollmächtigten … informiert hätte. Herr … habe seinerseits telefonischen Kontakt mit dem Kläger aufgenommen. …, habe der Kläger im Rahmen des Telefonats das weitere Beschäftigungsverhältnis abgestritten und angegeben „Nein es ist noch nichts unterschrieben“. Die Angabe des Klägers, es handele sich bei der Meldung um ein Versehen, stelle sich erkennbar als bloße Schutzbehauptung dar.

Der arbeitsvertragliche Zustimmungsvorbehalt gelte ausschließlich für Nebenbeschäftigungen. Auch unter Berücksichtigung des Zustimmungsvorbehalts hätte dem Kläger kein Zustimmungsanspruch auf Aufnahme einer anderweitigen Hauptbeschäftigung gegen seine Arbeitgeberin zugestanden.

Die Angabe des Klägers gegenüber dem … er habe keine Beschäftigung aufgenommen, stelle sich als Lüge gegenüber seinem Arbeitgeber dar. Die Lüge stelle einen eigenen arbeitsrechtlichen Verstoß dar.

Im Rahmen der weiteren Überprüfung ergebe sich der dringende Verdacht, dass der Kläger gegebenenfalls sogar während seiner Arbeitszeit die Konstruktionssysteme der Beklagten für eigene private und oder anderweitige gewerbliche Tätigkeiten genutzt hätte.

Die Beklagte habe eine Prüfung auf Auffälligkeiten bei der Nutzung des … vorgenommen. Es habe sich herausgestellt, dass der Kläger beispielsweise am 17.04.2021 als einziger Mitarbeiter der Konstruktion in der Interieur-Fertigung in der Zeit von 05:48 Uhr bis 13:06 Uhr im Betrieb der Beklagten tätig gewesen wäre. Für diesen Zeitraum habe er sich  eingestempelt, so dass es sich um zu vergütende Arbeitszeit handeln würde. Aus der Konstruktionsdatenbank des BINZ IMOS ergäbe sich, dass in diesem Zeitraum eine Federwippe Schaf, eine Federwippe Lkw und eine Federwippe Käfer über die Systeme der Beklagten konstruiert worden seien. Diese Konstruktion stehe erkennbar in keinerlei Zusammenhang mit der Interieur-Fertigung der Beklagten, für welche der Kläger tätig gewesen wäre.

Nach dem Arbeitsvertrag sei es dem Kläger untersagt, während der Dauer des Arbeitsverhältnisses für ein im Wettbewerb mit der Beklagten stehendes Unternehmen tätig zu sein.

In diesem Zusammenhang sei zu berücksichtigen, dass der Kläger im Dezember 2020 versucht hätte, sich eine Gehaltserhöhung zu erschleichen. Er habe seinem vorgesetzten Kollegen, dem Zeugen …. eine angeblich von der Geschäftsleitung genehmigt, persönliche Gehaltserhöhung auf 5.000,– EUR pro Monat untergeschoben und suggeriert, dass die Geschäftsleitung der Gehaltserhöhung bereits zugestimmt hätte. Der Zeuge … habe den Betrugsversuch erkannt und das Dokument wiederum seinem Vorgesetzten dem Produktionsleiter … weitergeleitet. Im Rahmen des sich daran anschließenden Personalgesprächs zwischen dem Zeugen …und dem Kläger habe der Kläger erklärt, dass er dieses Dokument dem Zeugen … untergeschoben habe, um belegen zu können, dass der Zeuge … ohnehin jedes Dokument ohne genau Augenscheinnahme unterzeichnen würde. Selbst die gegenüber dem Zeugen … geäußerte Schutzbehauptung sei geeignet, dem Beklagten die Loyalität des Klägers gegenüber Mitarbeitern und Unternehmen einmal mehr abzusprechen. Im Rahmen des Personalgesprächs habe Zeuge … den Kläger deutlich drauf hingewiesen, dass es sich bei dem versuchten Erschleichen einer Gehaltserhöhung um einen erheblichen arbeitsvertraglichen Verstoß handeln würde, der im Wiederholungsfall auch zur außerordentliche Kündigung des Beschäftigungsverhältnisses führen können. Diese Abmahnung sei einschlägig, da sie ebenfalls auf illoyalem und täuschendem Verhalten beruhe. Der Zeuge … sei als Produktionsleiter berechtigt, selbständig Abmahnungen vorzunehmen.

Der Produktionsleiter … habe hinsichtlich dieses Vorfalls eine Aktennotiz vorgenommen, jedoch nicht die Geschäftsführerin oder den Generalbevollmächtigten informiert.

Auf dieser Grundlage habe die Beklagte den Betriebsrat angehört. Der Betriebsrat habe eine Stellungnahme unter dem 11.05.2021 abgelehnt.

Selbst wenn man zu dem Ergebnis gelangen würde, die Aufnahme einer weiteren Vollzeitbeschäftigung sei nicht nachweisbar und der Kläger demnach nicht der Lüge gegenüber seinem Vorgesetzten zu überführen, sei der für eine Kündigung notwendige hinreichende Verdacht begründet. Auch die Einlassung des Baufachbetriebes … lasse den begründeten Verdacht nicht entfallen.

Der Kläger wäre bei der Beklagten in der Möbelfertigung beschäftigt. Seine Tätigkeit decke sich daher mit dem Tätigkeitsbereich des Baufachbetriebes …

Unwahr sei einmal mehr, dass der Kläger am 17.04.2021 in die Firma gekommen sei, weil er einen Mitarbeiter an den … Maschinen hätte unterstützen müssen. Es wären an diesem Tag zwei weitere Mitarbeiter im Maschinenraum sowie ein Mitarbeiter in der Konstruktion und damit ausreichend Mitarbeiter zugegen gewesen. Es habe keinerlei betriebliche Veranlassung für den Kläger gegeben, die Unterstützungsleistungen an der CNC-Maschine zu erbringen.

Herr …. habe am 15.11.2021 mitteilen lassen, dass das Thema der Konstruktion von Kinderspielzeug zwischen ihm und dem Kläger im Januar 2021 aufgekommen sei. Der Kläger habe … sodann am Mittwoch den 17.03.2021 13:31 Uhr einen Konstruktionsvorschlag gesandt, der auf einem … erstellt worden sei. Sowohl Konstruktion und Versand seien während der Arbeitszeit erfolgt.

Den nochmalig überarbeiteten Entwurf einer Federwippe habe der Kläger dem Zeugen …dann per WhatsApp in eben der bereits erwähnten Arbeitszeit am 17.04.2021 im Zeitraum zwischen 06:42 Uhr und 08:48 Uhr übersandt.

Wegen weiterer Einzelheiten des Parteienvortrags wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist begründet. Hinsichtlich des Kündigungsschutzantrages wird aufgrund des ursprünglich gestellten allgemeinen Feststellungsantrags und der Begründung ersichtlich, dass er sich nicht nur gegen die fristlose Kündigung vom 10.05.2021 richtet, sondern auch gegen die darin enthaltene hilfsweise ordentliche Kündigung.

1. Die Kündigung vom 10.05.2021 ist als Verdachtskündigung weder außerordentlich noch ordentlich wirksam, da die Beklagte der ihr im Rahmen der Verdachtskündigung obliegenden Aufklärungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (z.B. Urteil vom 23.6.2009, 2 AZR 474/07) kann nicht nur eine erhebliche Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung einen wichtigen Grund zur außerordentlichen Kündigung darstellen. Eine Verdachtskündigung liegt vor, wenn und soweit der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren bzw. vertragswidrigen Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört. Eine Verdachtskündigung ist nur dann zulässig, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen, die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zu zerstören und der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (st. Rspr., statt vieler: Senat 13. März 2008 – 2 AZR 961/06 – Rn. 14 mwN, AP BGB § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 43 = EzA BGB 2002 § 626 Verdacht strafbarer Handlung Nr. 6). Dabei ist die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers Wirksamkeitsvoraussetzung der Verdachtskündigung. Die Kündigung verstieße anderenfalls gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie wäre nicht ultima ratio (Senat 13. September 1995 – 2 AZR 587/94 – BAGE 81, 27, 34). Für die ordentliche Verdachtskündigung gelten keine abweichenden Maßstäbe (vgl. Senat 27. November 2008 – 2 AZR 98/07 – NZA 2009, 604).

Im vorliegenden Fall stützt die Beklagte den Verdacht einer weiteren Hauptbeschäftigung des Klägers neben seiner Hauptbeschäftigung bei der Beklagten lediglich auf die im Rahmen des elektronischen Lohnsteuerabzugsabgleichs erhaltene Meldung über den Wechsel des Hauptarbeitgebers. Dieser Umstand führte zur telefonischen Nachfrage des Generalbevollmächtigten … gegenüber dem Kläger am 06.05.2021. Der Kläger äußerte diesem gegenüber inhaltlich, dass er keine weitere Beschäftigung ausübe, er diesbezüglich keine Unterschrift geleistet hätte und sich die Ummeldung nicht erklären könne. Welche weiteren Aufklärungsversuche die Beklagte im Rahmen dieses Telefonats vorgenommen hat, sind nicht erkennbar. Auch im Anschluss wurden offensichtlich keine weiteren Aufklärungsversuche unternommen, insbesondere erfolgte auch keine Anfrage bei dem die Meldung auslösenden Arbeitgeber.

Auf einen Verdacht einer außerdienstlichen Nutzung der Planungssysteme der Beklagten durch den Kläger, der Verrichtung außerdienstlicher Tätigkeiten während der Arbeitszeit sowie der Ausübung von Konkurrenztätigkeit kann die Kündigung nicht gestützt werden, da zu diesen Vorwürfen eine Anhörung des Klägers nicht erkennbar durchgeführt wurde.

2. Die Kündigung vom 10.05.2021 ist auch nicht das Tatkündigung wirksam, da Arbeitsvertragsverletzungen nicht in ausreichendem Umfang dargelegt und nachgewiesen worden.

Die Beklagte hat nicht dargelegt und nachgewiesen, dass der Kläger neben seiner Tätigkeit bei der Beklagten eine Beschäftigung bei einem anderen Arbeitgeber aufgenommen hat – unabhängig vom zeitlichen Umfang. Zwar erscheint die Einlassung des Klägers, er habe im Telefonat gegenüber der Personalabteilungsmitarbeiterin jegliche anderweitige Beschäftigung verneint, angesichts des vorgelegten Aktenvermerks über das Telefongespräch wenig glaubwürdig. Dies allein führt jedoch keinen Beweis über den Umfang und damit die Schwere eines arbeitsvertraglichen Pflichtenverstoßes. Allein die Nicht-Beantragung einer Zustimmung zur Nebenbeschäftigung vermag ohne weitere Umstände zu Inhalt und Umfang dieser Nebenbeschäftigung sowie deren Auswirkung auf betriebliche Belange eine außerordentliche oder ordentliche Kündigung nicht zu begründen. Auch für die Durchführung einer konkreten Konkurrenztätigkeit durch den Kläger sind keine überprüfbaren Angaben vorgetragen worden. Im Rahmen der Tatkündigung genügt der Verdacht allein nicht.

Auch eine dem Kläger vorgeworfene Lüge gegenüber dem Generalbevollmächtigten im Telefongespräch vom 06.05.2021 ist nicht nachgewiesen. Weder wurde eine vom Kläger abgestrittene anderweitige Beschäftigung nachgewiesen noch wurde die Ableistung einer Unterschrift für ein anderes Arbeitsvertragsverhältnis nachgewiesen. Darüber hinaus wurde auch nicht nachgewiesen, dass der Kläger maßgeblichen Einfluss auf die steuerliche Ummeldung des Hauptarbeitgebers genommen hat oder hierüber auch nur informiert war.

Ein Arbeitszeitbetrug am 17.04.2021 lässt sich nur in geringem Umfang als nachgewiesen ansehen und zwar für das vom Kläger selbst eingeräumte Hochladen und Umwandeln der Federwippen in die Konstruktionsdatenbank der Beklagten in Absprache mit dem Mitarbeiter … Der zeitliche Umfang für diese Handlung konnte von der Beklagtenvertretung auch in der mündlichen Verhandlung nicht annähernd umrissen werden. Vor allem vor dem unstreitigen Hintergrund, dass der Kläger in der Vergangenheit schon für verschiedene andere Kollegen Konstruktionen gefertigt und der Produktion übergeben hat, kann dieser Verstoß ohne vorausgegangene Abmahnung keinen Kündigungsgrund darstellen.

Ein Arbeitszeitbetrug am 17.03.2021 kann nicht als Kündigungsgrund berücksichtigt werden, da hierüber der Betriebsrat nicht angehört wurde.

3. Die Kündigung ist auch unwirksam, da die Betriebsratsanhörung fehlerhaft durchgeführt wurde. Die Kammer hält es bereits für bedenklich, dass in der Betriebsratsanhörung der gemeldete Wechsel des Hauptarbeitgebers gleichgesetzt wird mit der Aufnahme einer anderweitigen Hauptbeschäftigung, um dies als Verstoß gegen die arbeitsvertraglichen Pflichten zu werten. Dabei wird gegenüber dem Betriebsrat der Eindruck erweckt, dass der gemeldete Wechsel des Hauptarbeitgebers die eigentliche Vertragspflichtverletzung ist, obwohl der Kläger hierauf keinerlei Einfluss nehmen konnte, da er gegenüber dem Finanzamt keine derartige Meldung abgeben kann.

Darüber hinaus wird die Offensichtlichkeit einer arbeitsvertragswidrigen Änderung des Hauptarbeitgebers und einer widerrechtlichen Nutzung der … Systeme mit der wahrheitswidrigen Angabe begründet, dass der Kläger seine Arbeitszeit erst kürzlich auf Teilzeit umgestellt habe. Unstreitig liegt eine Teilzeitbeschäftigung des Klägers nicht vor und es sind auch keine Umstände erkennbar, die auf eine versehentliche Falschangabe hin- deuten. Die Kammer muss daher von einer bewussten Fehlinformation gegenüber dem Betriebsrat ausgehen.

Schließlich steht auch nicht eindeutig fest, dass die Kündigung erst an den Kläger übergeben wurde, nachdem das Anhörungsverfahren abgeschlossen war. Der Betriebsrat wurde am 10.05.2021 zur Kündigung angehört; übergeben wurde die Kündigung an den Kläger bereits am Abend des 11.05.2021 also vor Ablauf der Fristen des § 102 BetrVG. Auf dem zur Akte gereichen Anhörungsschreiben wurde vom Vorsitzenden des Betriebsrats unter dem 11.05.2021 lediglich die Kenntnisnahme des Betriebsrats bestätigt. Inwieweit dies als endgültige Stellungnahme des Betriebsrats vor Ablauf der Fristen und damit als Abschluss des Anhörungsverfahrens zu verstehen ist, lässt sich weder dem Wortlaut dieser Bestätigung noch einem darüber hinausgehenden Beklagtenvortrag zur entsprechenden Auslegung dieser Bestätigung entnehmen.

4. Der Kläger hat Anspruch auf Weiterbeschäftigung bis zur rechtskräftigen Entscheidung über den Kündigungsschutzantrag entsprechend der Entscheidung des Großen Senats des BAG vom 27.02.1985 (GS 1/84).

5. Die Kosten des Rechtsstreites sind gem. den §§ 46 Abs. 2 Satz 1 ArbGG, 91 Abs. 1 ZPO der unterlegenen Beklagten aufzuerlegen.Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 61 Abs. 1 ArbGG, 42 Abs. 2 GKG. In Ansatz gebracht wurden drei Bruttomonatsgehälter für die Bestandsstreitigkeit sowie ein weiteres für den Weiterbeschäftigungsantrag.

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