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Fristlose verhaltensbedingte Verdachtskündigung – Manipulationshandlungen bei Auftragsvergabe

Landesarbeitsgericht Schleswig-Holstein – Az.: 3 Sa 29/11 – Urteil vom 31.08.2011

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 13.01.2011 – 3 Ca 1526 d/10 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Die erstinstanzlichen Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte; die Kosten zweiter Instanz werden dem Kläger auferlegt.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung mit dem Vorwurf des Betrugs zu Lasten der Beklagten bzw. einer eigennützigen Beteiligung hieran im Rahmen eines umfangreichen Manipulationssystems.

Der Kläger nahm am 01.07.2003 bei der Beklagten seine Tätigkeit als Bezirksleiter für den Außendienst auf. Er erhielt ein Entgelt von zuletzt 4.837,50 EUR brutto zuzüglich Firmenwagen, Boni und Tankdeputat.

Die Beklagte betreibt in Deutschland an diversen Standorten über 500 Tankstellen unter dem Namen „S.“. Sie ist eine Tochter eines polnischen Mineralölkonzerns.

Die Aufgaben der Instandhaltung, des Ausbaus und der Erneuerung des Tankstellennetzes werden bei der Beklagten durch die Abteilung „Bau und Technik“ wahrgenommen. Die Abwicklung erfolgt durch Fremdvergabe an Drittfirmen. Nach firmeninternen Richtlinien ist u.a. ab einem Auftragsvolumen von 2.000,00 EUR vor Auftragsvergabe jeweils ein Zweitangebot von einem anderen Anbieter einzuholen.

Leiter des Geschäftsbereichs „Bau und Technik“ war lange Jahre der mittlerweile gekündigte Herr G. Dieser Geschäftsbereich ist unterteilt in die drei Gebiete Nord, Ost und West, für die jeweils Gebietsleiter zuständig sind. Das Gebiet West umfasst den Bereich Köln/Bonn/Aachen mit einem Volumen von rund 200 Tankstellen. Der dortige Gebietsleiter war der ebenfalls gekündigte Herr S.

Der Kläger war als Bezirksleiter im Außendienst unter anderem für den Vertrieb im Gebiet West (Köln, Bonn, Aachen) zuständig, aber nicht der Abteilung „Bau und Technik“ unterstellt.

Die Beklagte erhebt gegen mehrere Mitarbeiter aus der Abteilung „Bau und Technik“ den Vorwurf der Manipulation bei der Auftragsvergabe zum Nachteil der Beklagten. Sie hat Strafantrag gestellt. Es läuft nach wie vor ein umfangreiches Ermittlungsverfahren bei der Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel zum Aktenzeichen 590 Js 48098/2010. Der Gebietsleiter West, Herr S., ist zwischenzeitlich aufgrund des Vorwurfes der Manipulation von Angeboten sowie des Verdachts betrügerischen Handelns zu Lasten der Beklagten fristlos aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden. Gegenüber dem Kläger wird der Verdacht der Beteiligung an einem Manipulationssystem zugunsten bevorzugter Auftragnehmer sowie das Ziehen von persönlichen Vorteilen hieraus erhoben. Gestützt werden diese Vorwürfe auf diversen E-Mail-Schriftwechsel sowie die Tatsache, dass der Kläger Dateien auf dem ihm auch zur privaten Nutzung überlassenen Notebook unwiederbringlich gelöscht hat. Ferner hegt die Beklagte – gestützt auf aufgefundene Unterlagen – den Verdacht, dass der Beklagten über ein Tankstellenbauvorhaben Bauleistungen in Rechnung gestellt wurden, die tatsächlich nicht an der Tankstelle, sondern an der Privatadresse des Klägers ausgeführt worden sein sollen.

Der von der Beklagten zur Akte gereichte E-Mail-Schriftwechsel betrifft folgende 4 Komplexe:

1. Heizlüfter-Waschstraße, Köln:

Am 07.01.2010 mailte die Firma B. & W. GmbH & Co. KG an den Mitarbeiter S. der Beklagten ein Angebot über die Erneuerung von Heizlüftern über 6.195,25, EUR (Bl. 56 d. A.), welches auch dem Kläger per E-Mail zuging (Anlage B 1 a). Am 11.01.2010 mailte die Firma B. & W. GmbH & Co. KG an den Mitarbeiter S. ein Zweitangebot der Firma N. Haustechnik über 6.287,20 EUR (Anlage B 1 d und B 1 c, Bl. 60 bis 63 d. A). Am 19.02.2010 sandte der Kläger diese beiden Angebote als PDF-Anlagen an den Abteilungsleiter der Abteilung „Bau und Technik“ mit dem Kommentar „anbei 2 Angebote für die TS. Heizlüfter in der Halle muss erneuert werden.“ (Anlage B 1 e, Bl. 63 d. A.). Die Waschanlage stand schon Wochen lang still.

2. Einbruchmeldeanlage S.:

Am 24.05.2010 erhielt der Kläger ein Angebot der Firma Z. für eine Einbruchmeldeanlage, welches er am 25.05.2010 an den Mitarbeiter der Abteilung „Bau und Technik“ S. weitergeleitet hat mit dem Zusatz „Bitte den Auftrag vergeben!!! An der TS. Ganz wichtig.“ (Anlage B 2 a, B 2 b, B 2 c, Bl. 68, 69 ff. d. A.). Der Mitarbeiter S. leitete diese Mail des Klägers an die Firma Z. weiter unter gleichzeitiger Benachrichtigung des Klägers mit dem Zusatz „Moin, Gegenangebot???“ (Anlage B 2 c).

3. Heizlüfter, Waschanlage, V.-L.:

Am 03.03.2009 erhielt der Kläger ein Angebot der Firma B. & W. GmbH & Co. KG für einen Heizlüfter für die Tankstelle über 4.761,73 EUR. Der Zusatz lautet „Moin M., hier das Angebot für den Heizlüfter in V.. Gegenangebote folgen“ (Anlage B 3 a, Bl. 72 d. A). Diese Mail leitete der Kläger am gleichen Tag kommentarlos an den Abteilungsleiter „Bau und Technik“, Herrn G., weiter (Anlage B 3 a und B 3 b).

4. Malerarbeiten Tankstelle S.:

Dort war es zu einem Pächterwechsel ohne durchgeführte Malerarbeiten gekommen. Am 30.07.2010 sandte der Mitarbeiter S. an einen Auftragnehmer, die Firma A.Malerbetrieb eine E-Mail mit der Aufforderung: „Moin, bitte Gegenangebot in Abstimmung mit Herrn I.“ (Anlage B 3 c).

Der Geschäftsführer Herr W. der Firma B. & W. GmbH & Co. KG ist ein Jugendfreund des Klägers.

Nach Durchsicht des Schriftverkehrs im August 2010 entstand bei der Beklagten der Verdacht, dass der Kläger an einer betrügerischen Auftragsvergabe der Abteilung „Bau und Technik“ beteiligt gewesen sein könnte. Er wurde von dem neuen Leiter des Geschäftsbereichs und dem Tankstellendirektor zu diesen Vorwürfen zunächst am 20.08.2010 befragt. Nach weiteren E-Mail-Auswertungen und Mitarbeiterbefragungen wurde der Kläger sodann am 30.09.2010 von der Personalleiterin und dem Prozessbevollmächtigten der Beklagten zu den Vorwürfen und gesammelten Verdachtsmomenten angehört. Der Kläger wies eine Beteiligung seinerseits von sich. Er habe mit etwaigen Machenschaften nichts zu tun, vielmehr etwaige aufgelaufene E-Mails lediglich – überwiegend ungelesen – weitergeleitet.

Der Kläger wurde nach diesem Gespräch mit sofortiger Wirkung freigestellt und aufgefordert, das ihm überlassene Notebook zurückzugeben. Nach Rückgabe des Notebooks stellte die Beklagte fest, dass der Kläger am 03.10.2010 einen umfangreichen Dateiordner mit diversen Unterdateien unwiederbringlich gelöscht hatte.

Die Beklagte sprach mit Schreiben vom 05.10.2010 die fristlose, hilfsweise fristgemäße Kündigung aus (Anlage K 5, Bl. 10 d. A.). Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben. Das ist im Wesentlichen mit der Begründung geschehen, es bestünden zwar einige Verdachtsmomente gegenüber dem Kläger. Aus den vorgetragenen Fakten lasse sich jedoch kein hinreichender, dringender Tatverdacht für eine Beteiligung des Klägers an diesem System oder gar an klägerisches Handeln zum eigenen Vorteil herleiten. Zudem sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB nicht eingehalten. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf Tatbestand, Anträge und Entscheidungsgründe des erstinstanzlichen Urteils verwiesen.

Gegen dieses, der Beklagten am 25.01.2011 zugestellte Urteil hat sie noch am gleichen Tage Berufung eingelegt, die nach Fristverlängerung bis zum 26.04.2011 am 26.04.2011 per Fax/29.04.2011 im Original begründet wurde.

Am 27. Juli 2011 übermittelte die Staatsanwaltschaft bei dem Landgericht Kiel dem Prozessvertreter der Beklagten Unterlagen, die sie im Rahmen ihrer Ermittlungen gegen die F. T. GmbH gefunden hatte. Es handelt sich unter anderem um ein Angebot vom 29.06.2009 betreffend Pflasterarbeiten auf einer Tankstelle in Le., L. Straße 176 (Anlage BK 5, Bl. 180 f). Weiter handelt es sich um eine Rechnung zu diesem Bauvorhaben zur Rechnungs-Nr. 20094297 vom 09.11.2009, betreffend einen Leistungszeitraum 31.08.2009 bis 09.09.2009. Die in der Rechnung abgerechneten Mengenangaben und Materiallieferungen stimmen nicht mit dem Angebot überein. In der Rechnung ist auch die Position enthalten:

„Terrassenplatten, terracotta, 40×40 liefern und verlegen 80,64 qm 2.056,32 EUR“  (Bl. 178 d. A.).

Angebot und Rechnung waren beigefügt: Bautagesberichte, Gesprächsnotizen, Lieferangebote- und Aufträge, Aufmaßskizzen und Lieferscheine betreffend ein Bauvorhaben I., H. 9, 5… Le.. Das ist der Wohnort des Klägers. In einer undatierten Gesprächsnotiz heißt es:

„Anschrift: M. I.

Telefon: 0172…

Betrifft:

1. Platten … Farbe hat Herr I. geschickt

2. ……..“ (Bl. 190 d. A.).

Mit Datum vom 19.08.2009 sandte die Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH an das K. & G. Bau-Center eine Auftragsbestätigung und bat neben anderem u.a. um Anlieferung von Aqua-Terrassenplatten, terrakotta 40/40/5 cm, wassergestrahlt, imprägniert, 85,0 qm an das Bauvorhaben I., H. 9, 5… Le. (Bl. 193 d. A.). Mit Datum vom 28.08.2009 bestätigte die Firma K. & G. GmbH & Co. KG den erteilten Auftrag mit Anlieferungsdatum 31.08.2009, u. a. für Aqua-Terrassenplatten, terrakotta 80,64 qm – Gesamtpreis 1.346,69 EUR zuzüglich Mehrwertsteuer (Bl. 195 d. A.). Ausweislich eines Bau-Tagesberichtes vom 02.09.2009 wurden an diesem Tage beim Bauvorhaben Le., H. 9, u.a. terrassenplatten gelegt (Bl. 187 d. A.).

Am 28.07.2011 führte der bei der Beklagten beschäftigte Zeuge C. V. in Le. eine Ortsbesichtigung durch. Er stellte fest, dass auf der Tankstelle keinerlei Aqua-Terrassenplatten verlegt worden sind. Auf der Auffahrt der Wohnanschrift des Klägers sind Aqua-Terrassenplatten, terracotta, verlegt.

Nach diesen Feststellungen führte die Beklagte diese Erkenntnisse mit Schriftsatz vom 22.08.2011 in das vorliegende Verfahren ein und stützt die ausgesprochene Kündigung auch hierauf.

Die Beklagte ist der Ansicht, bereits aus der vorgelegten E-Mail-Korrespondenz lasse sich ein begründeter, dringender Verdacht ableiten, dass der Kläger an einem zu Lasten der Beklagten entwickelten, betrügerischen System beteiligt gewesen sei. Der Kläger habe zusammen mit anderen Arbeitskollegen dafür Sorge getragen, dass bevorzugten Auftragnehmern Aufträge verschafft und der erforderliche Wettbewerb ausgeschaltet worden sei. Unter seiner Beteiligung seien Scheinangebote und fingierte Gegenangebote eingeholt worden. Ganz überwiegend habe die Firma B. & W. GmbH & Co. KG, mit deren Geschäftsführer der Kläger befreundet ist, den Auftrag erhalten. Der Kläger habe sich auch auf betrügerische Weise vorsätzlich gegenüber der Beklagten bereichert, indem an dem vom Kläger bewohnten Privatobjekt H. 9, Le., Baumaßnahmen ausgeführt worden seien, die über die F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH der Beklagten als Bauleistungen an einer Tankstelle mit Rechnungs-Nr. 20094297 vom 09.11.2009 in Rechnung gestellt wurden. Diese Rechnung sei auf Anweisung des damaligen Mitarbeiters S. im Dezember 2009 beglichen worden. Desweiteren habe der Kläger das Eigentum der Beklagten an dem ihm überlassenen Arbeitsmittel, dem Notebook, vorsätzlich beschädigt und so weitere Unterlagen und Verdachtsmomente gelöscht. All das rechtfertige den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. Die zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB sei gewahrt. Es sei nicht auf die Kenntnisse des Leiters des Bereichs „Bau und Technik“ und des Tankstellendirektors im August 2010, sondern auf die per Ende September zusammengestellten und ausgewerteten Kenntnisse der Personalleiterin abzustellen. Erst Ende September 2010 hätten sich die Verdachtsmomente gegenüber dem Kläger derart erhärtet, dass seitens der Personalleiterin das Anhörungsgespräch am 30.09.2010 durchgeführt wurde. Nach Erhalt des Laptops sowie der Feststellung, dass der Kläger am 03.10.2010 Dateien unwiederbringlich gelöscht hat, sei dann umgehend am 05.10.2010 die außerordentliche Kündigung ausgesprochen worden.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Aufhebung des Urteils des Arbeitsgerichts Elmshorn vom 13.01.2011 – 3 Ca 1526 d/10 – abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er hält das angefochtene Urteil sowohl in tatsächlicher als auch in rechtlicher Hinsicht für zutreffend. Er bestreitet den Vorwurf einer Beteiligung an und auch einer Kenntnis von Manipulationshandlungen durch Mitarbeiter der Abteilung „Bau und Technik“ bei der Auftragsvergabe. Auf die Auftragsvergabe habe er keinen Einfluss gehabt, vielmehr allenfalls lediglich erhaltene E-Mail-Korrespondenz weitergeleitet, größtenteils ohne diese zu lesen. Er habe nur private Dateien auf dem PC gelöscht. Die dienstliche E-Mail-Korrespondenz sei der Beklagten über deren Server stets zugänglich gewesen und zugänglich geblieben. Die unter der Rechnungs-Nr. 20094297 abgerechneten Leistungen der Firma F. T. stünden in keinerlei Verbindung zur Wohnanschrift des Klägers. Das könne bereits den Mengenangaben sowie dem sich aus den Bau-Tagesberichten ergebenden Gesamtarbeitsaufwand entnommen werden. Im Übrigen werde der Rechnungsausgleich durch die Beklagte bestritten. Auch sei die Frist des § 626 Abs. 2 BGB versäumt.

Das Gericht hat Beweis erhoben zu den neuen Vorwürfen der behaupteten strafrechtlich relevanten Abrechnung von privaten Baumaßnahmen zu Lasten der Beklagten durch Vernehmung des Zeugen C. V.. Hinsichtlich des konkreten Beweisthemas sowie des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 31.08.2011 verwiesen.

Im Übrigen wird Bezug genommen auf den mündlich vorgetragenen Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig. Sie ist form- und fristgerecht eingelegt und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist auch begründet worden. In der Sache war die Berufung unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens der Beklagten vom 22.08.2011 erfolgreich. Die außerordentliche Kündigung ist wirksam. Die Klage war daher abzuweisen.

I. Die außerordentliche Kündigung der Beklagten vom 05.10.2010 hat das Arbeitsverhältnis des Klägers wirksam aufgelöst, da der dringende Verdacht besteht, dass sich der Kläger an Manipulationshandlungen von Mitarbeitern der Beklagten bei der Auftragsvergabe und Abrechnung zu Lasten der Beklagten beteiligt und zudem eigenen Nutzen gezogen hat.

1. Gem. § 626 Abs. 1 BGB kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, auf Grund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Grundsätzlich kann nach der Rechtssprechung des Bundesarbeitsgerichtes nicht nur eine erwiesene Vertragsverletzung, sondern auch schon der schwerwiegende Verdacht einer strafbaren Handlung oder einer sonstigen Verfehlung ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung gegenüber dem verdächtigten Arbeitnehmer sein. Eine Verdachtskündigung liegt dann vor, wenn und sobald der Arbeitgeber seine Kündigung damit begründet, gerade der Verdacht eines (nicht erwiesenen) strafbaren Verhaltens habe das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses erforderliche Vertrauen zerstört (ständige Rsp d. BAG; vgl. nur BAG v. 26.09.2002 – 2 AZR 424/02 = AP Nr. 37 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG v. 05.04.2001 – 2 AZR 217/00 = AP Nr. 34 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG v. 20.08.1997 – 2 AZR 620/96 = AP Nr. 27 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; BAG v. 14.09.1994 – 2 AZR 164/94 = AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Der Verdacht einer strafbaren Handlung stellt gegenüber dem Vorwurf, der Arbeitnehmer habe die Tat begangen, einen eigenständigen Kündigungsgrund dar. Bei der Verdachtskündigung sind objektive Tatsachen, die für den Verlust des zur Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses notwendigen Vertrauens ursächlich sind, der Kündigungsgrund. § 626 Abs. 1 BGB lässt im Falle des Verdachts einer Straftat eine außerordentliche Kündigung dann zu, wenn sich starke Verdachtsmomente auf objektive Tatsachen gründen; wenn die Verdachtsmomente geeignet sind, das für die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses geforderte Vertrauen zu zerstören und wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen hat, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat (vgl. BAG AP Nr. 23, 24 und 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung). Der Verdacht muss objektiv durch bestimmte, im Zeitpunkt der Kündigung vorliegende (Indiz-) Tatsachen begründet sein. Der Verdacht muss sich aus Umständen ergeben, die so beschaffen sind, dass sie einen verständigen und gerecht abwägenden Arbeitgeber zum Ausspruch der Kündigung veranlassen können. Er muss darüber hinaus schwerwiegend sein. Es ist zu prüfen, ob eine große Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der gekündigte Arbeitnehmer eine Straftat begangen hat (LAG Schleswig-Holstein v. 25.02.2004 – 3 Sa 491/03; KR-Fischermeier, Gemeinschaftskommentar zum KSchG, Rz. 212 u. 214 zu § 626 BGB sowie KR-Etzel, Rz. 508 zu § 1 KSchG, jeweils m.w.N).

2. Vor diesem rechtlichen Hintergrund sind hier unter Berücksichtigung des gesamten, aktenkundigen Sachverhalts starke, schwerwiegende, auf objektive Tatsachen gründende Verdachtsmomente gegeben, dass der Kläger an einem zu Lasten der Beklagten entwickelten betrügerischen System beteiligt gewesen ist.

a. Das Arbeitsgericht ist noch zutreffend davon ausgegangen, dass weder die vorgelegte E-Mail-Korrespondenz noch die Löschung des Dateiordners auf dem Notebook bereits einen derartigen, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigenden dringenden Verdacht begründen.

(1) In Sachen Heizlüfter, Waschstraße Köln, kann dem Kläger aus der vorgelegten E-Mail-Korrespondenz nur nachgewiesen werden, dass er die beiden Angebote der Firma B. & W.GmbH & Co. sowie der Firma N. Haustechnik an den zuständigen Mitarbeiter der Abteilung „Bau und Technik“ kommentarlos weitergeleitet hat. Eine eigene Beteiligung des Klägers ergibt sich hieraus nicht. Der Kläger hat auch den Auftrag nicht vergeben. Hierfür war er nicht zuständig.

(2) Auch für den Vorgang betreffend die Einbruchmeldeanlage S. ergibt sich aus der E-Mail-Korrespondenz nichts anderes. Der Kläger hat am 24.05.2010 ein Angebot der Firma Z. angenommen und weitergeleitet. Zu weiteren eigenen Aktivitäten des Klägers hat die Beklagte insoweit nichts vorgetragen.

(3) Gleiches gilt für eine Mitwirkung des Klägers in Sachen Bearbeitung des Vorgangs Heizlüfter/Waschstraße F./L.. Der Kläger hat die E-Mail vom 03.03.2009 weitergeleitet. Bösgläubigkeit und weitere Aktivitäten des Klägers in diesem Zusammenhang sind seitens der Beklagten nicht substantiiert dargelegt.

(4) In Bezug auf den Vorgang „Malerarbeiten Tankstelle S.“ vom 30.07.2010 ergeben sich ebenfalls keine konkreten Tatsachen für eine Schlussfolgerung auf eine etwaige Beihilfe oder Kenntnis des Klägers von manipulierter Auftragsvergabe durch die Mitarbeiter der Abteilung „Bau und Technik“.

(5) Die Tatsache, dass der Kläger unmittelbar vor Rückgabe seines Notebooks Dateiordner unwiederbringlich gelöscht hat, lässt zwar berechtigte Fragen nach dem „warum“ entstehen. Da die dienstlichen E-Mails jedoch unstreitig auf dem Server der Beklagten gespeichert sind, der Kläger zudem das Notebook auch privat nutzen durfte, mag sein Handeln zwar „verdächtig“ erscheinen, es ist jedoch nicht als schwerwiegende, eine außerordentliche Kündigung rechtfertigende arbeitsvertragliche Pflichtverletzung einzuordnen.

(6) Auch in der Gesamtwürdigung dieser Sachverhalte ergibt sich aus der Faktenlage zwar das Aufkommen gewisser Verdachtsmomente gegenüber dem Kläger an der Kenntnis einer manipulativen Auftragsvergabe durch Mitarbeiter der Abteilung „Bau und Technik“. Ein dringender Tatverdacht aus diesen Fakten lässt sich jedoch auch nach Auffassung der Berufungskammer hieraus nicht herleiten.

b. Der wichtige, die streitbefangene Verdachtskündigung rechtfertigende Grund ergibt sich jedoch aus der Würdigung des nachgeschobenen Sachverhaltes um die die Durchführung und Abrechnung von Bauleistungen an der Auffahrt des vom Kläger bewohnten Hauses. Insoweit liegt nach der Überzeugung der Kammer ein dringender Tatverdacht vor, dass der Kläger sich zum eigenen Vorteil und zu Lasten der Beklagten an einem System einer manipulativen Auftragsvergabe und Abrechnung beteiligt hat. Das ergibt sich aus dem Tatsachenkomplex „Angebot und Abrechnung zur Rechnungs-Nr. 20094297 – betreffend die Tankstelle L. Straße 176, Le.“ sowie „Bauvorhaben an der Privatadresse des Klägers, H. 9, Le. – Lieferung und Verlegung von 80,64 qm Terrassenplatten, terracotta“. Es liegen schwerwiegende, auf konkrete Tatsachen begründete Verdachtsmomente vor, dass der Kläger unter anderem 80,64 qm Terrassenplatten an seine Privatanschrift hat liefern und dort verlegen lassen, die nicht ihm, vielmehr seiner Arbeitgeberin, versteckt in der Abrechnung eines Tankstellenbauvorhabens in Rechnung gestellt und letztendlich auch von ihr bezahlt wurden. Insoweit ist es unbeachtlich, ob das vom Kläger bewohnte Haus ihm oder Verwandten gehört. Aus den Unterlagen ergeben sich zur Überzeugung der Kammer dringende Verdachtsmomente, dass der Kläger persönlich in dieser Angelegenheit einschließlich deren Abrechnung über die Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH involviert war.

(1) Die Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH wurde in der Vergangenheit seit 2004 gerade in der Region West, in der auch der Kläger zuständig war, in einer Vielzahl von Fällen zur Durchführung von Baumaßnahmen auf Tankstellen der Beklagten beauftragt. Sie war und ist Gegenstand staatsanwaltschaftlicher Ermittlungen. Etwaige familiäre Bindungen dahingestellt, hatte der Kläger jedenfalls zweifelsfrei private persönliche Kontakte zum Geschäftsführer dieser Firma, wie die E-Mail-Korrespondenz der Anlage BK 7 (Bl. 206 – 209 d.A.) zeigt.

(2) Am 29.06.2009 unterbreitete diese Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH der Beklagten ein Angebot zur Durchführung von Pflasterarbeiten auf der Tankstelle Le., L. Straße 176 (Anlage BK 5, Bl. 180 f. d. A.). Dieses Angebot enthält keine Terrassenplatten. Der Auftrag wurde ihr vom damaligen Gebietsleiter West der Beklagten, Herrn S., erteilt. Mit Datum vom 09.11.2009 – Rechnungs-Nr. 20094297 – rechnete die Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH für einen Leistungszeitraum 31.08.2009 bis 09.09.2009 diesen Auftrag ab. Die Rechnung enthält weit höhere qm-Angaben für durchgeführte Pflasterarbeiten nebst Untergrundarbeiten als das Angebot. Darüber hinaus enthält sie auch die Lieferung und das Verlegen von 80,64 qm Terrassenplatten, terracotta (Anlage BK 3, Bl. 177, 178 d. A.), obgleich diese nicht auf der Tankstelle L. Str. 176, Le. vorhanden sind. Demgegenüber wurden aber exakt 80,64 qm Terrassenplatten, terrakotta an die Privatanschrift des Klägers geliefert, und zwar genau zum gleichen Bauzeitraum. Allein diese Fakten sprechen bereits für sich.

(3) Sie sind belegt. Den von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmten Unterlagen waren beigefügt Auftrag, Bau-Tagesberichte, Gesprächsnotizen, Lieferangebote und Lieferaufträge sowie Lieferscheine betreffend das Bauvorhaben H. 9, Le., der Wohnanschrift des Klägers, Leistungszeitraum 31.08. bis 09.09.2009 (Bl. 182 bis 202 d. A.). Ausweislich dieses Anlagenkonvoluts holte die Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH mit Datum vom 05.06.2009 unter anderem ein Angebot ein für 80,64 qm Aqua-Terrassenplatten, terrakotta (Bl. 91 d. A.). In dem Konvolut befindet sich weiter die Gesprächsnotiz über ein Gespräch mit dem Kläger, M. I., zum Thema Farbe der Terrassenplatten.

Mit Datum vom 19.08.2009 bestätigte die Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH für das Bauvorhaben Familie I., H. 9 in Le. das Angebot und bat um Lieferung unter anderem von Aqua-Terrassenplatten, terrakotta, 85 qm, Liefertermin 31.08.2009 (Bl. 193 d. A.). Mit Datum vom 28.08.2009 bestätigte die Firma K. & G. unter anderem die Bestellung von 80,64 qm Aqua-Terrassenplatten, terrakotta und deren Anlieferung am 31.08.2009 an die H. 9 in Le. (Bl. 195 d. A.). Ausweislich eines Bau-Tagesberichtes vom 02.09.2009 wurden in der H. 9 am 02.09.2009 u. a. Terrassenplatten gelegt (Bl. 187 d. A.). 80,64 qm Terrassenplatten, terrakotta wurden sodann der Beklagten von der F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH am 09.11.2009 für Pflasterarbeiten in der L. Straße 176, Le. in Rechnung gestellt. Terrassenplatten, terrakotta befinden sich auf der Auffahrt H. 9 in Le.. Auf dem Tankstellengelände L. Straße 176 in Le. liegen keinerlei Terrakotta-Terrassenplatten.

(4) Vor diesem tatsächlichen Hintergrund ergibt sich für das Gericht der dringende Verdacht, dass die an der Privatanschrift des Klägers verlegten 80,64 qm terrakottafarbenen Terrassenplatten über die Firma F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH, eingearbeitet in die Abrechnung über das Bauvorhaben L. Straße 176 der Beklagten in Rechnung gestellt und die Familie des Klägers hierdurch rechtswidrig begünstigt wurde. Es ist ersichtlich, dass die Aufmaße in dem Angebot der F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH vom 29.06.2009 nicht ansatzweise mit den tatsächlich abgerechneten Arbeiten und dem dort ausgewiesenen Lieferumfang der Materialien übereinstimmen. Insoweit kann dahingestellt bleiben, ob die sich aus den Bau-Tagesberichten ergebenden Stundenzahlen ausschließlich oder nur teilweise dem Bauprojekt unter der Privatanschrift des Klägers H. 9 in Le. zuzuordnen sind oder nicht. In Auswertung aller Unterlagen steht jedenfalls zur Überzeugung der Kammer ein dringender Verdacht fest, dass auch unter Berücksichtigung der an die Privatanschrift des Klägers gelieferten Materialien mindestens ein Teil der Materialien zu Lasten der Beklagten in die Rechnung über das Bauvorhaben L. Straße 176, Le. „eingearbeitet“ wurden. Es sind 80,64 qm Terrassenplatten, terrakotta am 31.08.2009 an die Privatanschrift des Klägers geliefert worden. Die Anlieferung und Verlegung von exakt 80,64 qm Terrassenplatten, terrakotta im Leistungszeitraum 31.08. bis 09.09.2009 wurden der Beklagten in Rechnung gestellt. Hieraus ergibt sich der dringende Verdacht für die Berufungskammer, dass der Kläger zum eigenen Vorteil an einem Manipulationssystem zu Lasten der Beklagten beteiligt war. Ausweislich der Gesprächsnotiz war der Kläger in der Bestellung und Auswahl der Terrassenplatten auch persönlich involviert.

(5) Die Bezahlung der an die Beklagte gerichteten, die 80,64 qm enthaltenden Rechnung Nr. 20094297 wurde durch den ehemaligen Bezirksleiter Herrn S. freigegeben. Eine an die Privatanschrift des Klägers H. 9 in Le. gerichtete Rechnung über im Sommer 2009 verlegte 80,64 qm terrakottafarbene Terrassenplatten existiert nicht. Obgleich letztendlich nicht entscheidungserheblich, hat die Beklagte nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme sowie in Auswertung der im Termin zur Akte gereichten Zahlungsunterlagen auch hinreichend belegt, dass diese Rechnung vom 09.11.2009 beglichen wurde. Das belegt die Anlage BK 9. In dem Gesamtzahlungsbetrag an die F. T. Hoch- und Tiefbau GmbH von 37.126,25 EUR ist der Rechnungsbetrag in Höhe von 9.683,86 EUR, zuzuordnen der Rechnungs-Nr. 20094297 ausgewiesen. Dieser „Gesamt-Teilbetrag von 37.126,25 EUR ist ausgewiesen in dem Gesamtzahlungsausgang in Höhe von 293.976,11 EUR, mithin darin enthalten.

(6) Angesichts der dringenden Verdachtsmomente und der Schwere des gegenüber dem Kläger erhobenen Vorwurfs der Beteiligung an einer Straftat zu Lasten der Beklagten, ist der Beklagten auch unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalles sowie unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zumutbar. Die arbeitsvertragliche Rücksichtnahmepflicht ist auf Basis der Verdachtsmomente schwerwiegend verletzt und das in den Kläger gesetzte Vertrauen in erheblicher Weise missbraucht worden. Der Kläger konnte auch nicht ansatzweise davon ausgehen, der Arbeitgeber würde dieses Verhalten als ein nicht erhebliches, den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdendes Fehlverhalten werten. Abgesehen davon liefe die Beklagte im Falle einer Weiterbeschäftigung auch nur bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist Gefahr, dass in dieser Zeit ggf. Verdeckungshandlungen vorgenommen würden. Dass sie damit rechnen musste, gilt umso mehr als der Kläger bereits auf dem Laptop Dateien unwiederbringlich gelöscht hat, nachdem er zu den Kündigungsvorwürfen angehört worden ist.

Ein wichtiger Grund für den Ausspruch einer außerordentlichen Verdachtskündigung ist daher gegeben.

II. Die außerordentliche Kündigung ist auch nicht verfristet. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts ist die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB eingehalten.

1. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts reicht erst eine zuverlässige und möglichst vollständige Kenntnis des Kündigungssachverhalts für den Beginn der Zwei-Wochen-Frist aus. Dabei stellt § 626 Abs. 2 Satz 2 BGB ausschließlich auf die Kenntnis des Kündigungsberechtigten ab (BAG vom 07.09.1983 – 7 AZR 196/82 – zitiert nach juris).

2. Unter Berücksichtigung des zweitinstanzlichen ergänzenden Vorbringens der Beklagten in der Berufungsbegründung erlangte die Personalleitung der Beklagten erst letztendlich Ende September 2010 umfassende Kenntnis der abgelaufenen Aktivitäten ihrer Mitarbeiter. Sie hat nach dem ersten im August mit dem Kläger nicht von der Personalabteilung geführten Gespräch die den Kläger betreffende E-Mail-Korrespondenz nochmals gezielt überprüft und ausgewertet. Die Beklagte sichtete den gesamten auf ihrem Server befindlichen E-Mail-Verkehr der zurückliegenden Jahre und hatte in dieser Zeit Kontakt zur Staatsanwaltschaft. Erst nach Abschluss ihrer weiteren Ermittlungen erfolgte das abschließende Anhörungsgespräch des Klägers unter Beteiligung der Personalleiterin am 30.09.2010, in deren Nachgang am 05.10.2010 die außerordentliche Kündigung ausgesprochen worden ist. Vor diesem tatsächlichen Hintergrund ist die Zwei-Wochen-Frist des § 626 Abs. 2 BGB erfüllt.

3. Das gilt auch in Bezug auf die erst mit Schriftsatz vom 22.08.2011 nachgeschobenen Kündigungsgründe betreffend die terrakottafarbenen Terrassenplatten. Kündigungsgründe, die bei Ausspruch einer Kündigung vorlagen, dem Kündigenden jedoch noch nicht bekannt waren, können im Laufe des arbeitsgerichtlichen Verfahrens zur Stützung der Kündigung uneingeschränkt nachgeschoben werden. Die Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB ist dabei unbeachtlich. Maßgeblich ist allein, ob der Kündigungsgrund bereits vor Ausspruch der außerordentlichen Kündigung objektiv vorlag (BAG vom 07.09.1983 – 7 AZR 196/82 – zitiert nach juris, Rz 15 mwN).

4. Die Informationen, die die Beklagte von der Staatsanwaltschaft am 27. Juli 2011 erhalten hat, betreffen auch keinen neuen, vollständig anders gelagerten Kündigungsvorwurf. Der Kündigungsgrund wird seitens der Beklagten hier nicht ausgewechselt, vielmehr mittels weiterer Tatsachen erhärtet. Die Beklagte hat dem Kläger stets vorgehalten, er habe sich zum eigenen Vorteil an Manipulationshandlungen bei der Vergabe und Abwicklung von Aufträgen beteiligt. Damit hat die Beklagte mit ihrem neuen Vorbringen aus dem Schriftsatz vom 22.08.2011 den Kündigungsgrund nicht ausgewechselt, vielmehr erhärtende Tatsachen vorgebracht.

5. Es ist auch unbeachtlich, dass die Beklagte ihre neuen Erkenntnisse vom 20. Juli 2011 erst mit Schriftsatz vom 22.08.2011 vorgebracht hat.

Neu bekannt gewordene Kündigungsgründe brauchen nicht innerhalb der Ausschlussfrist des § 626 Abs. 2 BGB in den Prozess eingeführt werden. Der Gekündigte hat kein schutzwürdiges Interesse daran, dass weitere Kündigungsgründe innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der maßgebenden Umstände nachgeschoben werden. Ist bereits eine außerordentliche Kündigung aus anderen Gründen ausgesprochen worden, so kann der Gekündigte nicht mehr damit rechnen, dass die Kündigung später nicht auch noch auf weitere, bislang unentdeckte Gründe gestützt wird (BAG vom 23.03.1984 – 7 AZR 323/82 – zitiert nach juris, Rz. 18 mwN).

III. Auch die weitere Voraussetzung für die Wirksamkeit einer Verdachtskündigung, die Anhörung des Arbeitnehmers, ist hier erfüllt.

1. Die Beklagte hat den Kläger sowohl am 20.08.2010 als auch am 30.09.2010 umfassend zu dem aufgedeckten Manipulationssystem angehört. Der Kläger ist definitiv und unbestritten am 30.09.2010 befragt worden, ob er irgendwelche persönlichen Vorteile aus den Geschäftsbeziehungen und Auftragsabwicklungen erhalten habe, was von diesem verneint wurde (Schriftsatz vom 26.04.2011, Seite 9, Bl. 144 d. A.).

2. Auch vor Einführung des neuen Kündigungssachverhaltes im August 2011 bedurfte es keiner erneuten Anhörung des Klägers. Ist die Kündigung bereits ausgesprochen, kann die Stellungnahme des Arbeitnehmers den Kündigungsentschluss nicht mehr beeinflussen. Eine erneute Anhörung des Klägers vor dem Nachschieben der Gründe ist jedenfalls hier nicht erforderlich, da der Kläger in der Vergangenheit bereits wiederholt gerade gezielt befragt worden ist, ob er irgendwelche persönlichen Vorteile aus Auftragsabwicklungen gezogen habe. Da es auch bei den nachgeschobenen Kündigungsgründen um derartige persönliche Vorteile bei Auftragsabwicklungen und keinen vollständig neuen Kündigungsgrund ging, hat die Beklagte den Kläger bereits insgesamt zum Kündigungsgrund angehört.

IV. Aus den genannten Gründen war der Kündigungsschutzantrag unter Berücksichtigung des neuen zweitinstanzlichen Vorbringens begründet. Auf die Berufung der Beklagten war daher das erstinstanzliche Urteil abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG liegen nicht vor, so dass die Revision nicht zuzulassen war. Vorliegend handelt es sich ausschließlich um eine Einzelfallentscheidung.

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