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Übersicht:
- ✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Ungleiche Inflationsprämie: Krank und ohne Übernachtung – Kein Geld?
- ✔ Der Fall vor dem Arbeitsgericht Nienburg
- ✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
- ✔ FAQ – Häufige Fragen
- Was bedeutet der Gleichbehandlungsgrundsatz bei Inflationsausgleichsprämien?
- Welche Kriterien darf der Arbeitgeber für die Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie heranziehen?
- Darf der Arbeitgeber bei der Inflationsausgleichsprämie nach Krankheitstagen differenzieren?
- Ist eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern mit und ohne auswärtige Übernachtungen bei der Inflationsausgleichsprämie gerechtfertigt?
- Welche Rechte haben benachteiligte Arbeitnehmer bei einer gleichheitswidrigen Inflationsausgleichsprämie?
- § Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- ⇓ Das vorliegende Urteil vom Arbeitsgericht Nienburg
✔ Der Fall: Kurz und knapp
- Das Gericht entschied über die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie an Arbeitnehmer.
- Der Kläger, ein LKW-Fahrer, wurde länger als 60 Tage krank und erhielt deshalb keine Prämie.
- Es ging um die Zahlung einer Prämie in zwei Teilbeträgen im Oktober 2022 und Februar 2023.
- Die Prämie sollte durch Kriterien geregelt werden, darunter Betriebszugehörigkeit und Krankheitszeiten.
- Die Beklagte argumentierte, dass Prämien nur an Beschäftigte mit hohen Fahrtkosten und Übernachtungskosten gezahlt werden.
- Der Kläger erfüllte die Bedingungen aufgrund seiner Krankheitszeiten nicht.
- Das Gericht entschied zugunsten des Klägers und verurteilte den Arbeitgeber zur Zahlung der Prämie.
- Das Gericht sah die Kriterien als diskriminierend und nicht gerechtfertigt an.
- Arbeitnehmer dürfen nicht aufgrund von Krankheit von einer Prämie ausgeschlossen werden.
- Das Urteil stärkt die Position von Arbeitnehmern gegen unfaire Prämienregelungen.
Ungleiche Inflationsprämie: Krank und ohne Übernachtung – Kein Geld?
Das Prinzip der Gleichbehandlung ist ein fundamentales Konzept im Rechtssystem. Es besagt, dass alle Menschen vor dem Gesetz gleich behandelt werden müssen, unabhängig von persönlichen Merkmalen oder Besonderheiten. Dieses Prinzip kommt in vielen Rechtsbereichen zum Tragen, beispielsweise bei der Gewährung von Leistungen oder Vergünstigungen durch den Staat. Eine zentrale Frage ist dabei immer, wann eine Ungleichbehandlung gerechtfertigt sein kann. Der vorliegende Fall befasst sich mit der Frage, ob die Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie nur an gesunde Arbeitnehmer zulässig ist oder ob dies gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt. Das Urteil zu diesem Fall liefert wichtige Erkenntnisse darüber, wie der Grundsatz der Gleichbehandlung in der Praxis anzuwenden ist.
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✔ Der Fall vor dem Arbeitsgericht Nienburg
Inflationsausgleichsprämie nur für „gesunde“ Arbeitnehmer

In einem bemerkenswerten Fall vor dem Arbeitsgericht Nienburg ging es um die Frage, ob ein Arbeitgeber bei der Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie Arbeitnehmer aufgrund von Krankheit und Fahrtstrecke zur Arbeit unterschiedlich behandeln darf.
Der Kläger, ein LKW-Fahrer im Tagdienst ohne auswärtige Übernachtungen, erhielt von seinem Arbeitgeber keine Inflationsausgleichsprämie für die Monate Oktober 2022 und Februar 2023. Grund dafür waren von der Geschäftsleitung aufgestellte Kriterien. Demnach sollten nur Beschäftigte die volle Prämie erhalten, die zum Stichtag mindestens 6 Monate im Unternehmen waren, maximal 60 Krankheitstage aufwiesen und als LKW-Fahrer auswärtige Übernachtungen nachweisen konnten. Der erkrankte Kläger sah darin eine Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Zweck der Prämie rechtfertigt keine Benachteiligung Kranker
Das Gericht gab dem klagenden Arbeitnehmer Recht. Zwar dürfe ein Arbeitgeber mit einer Inflationsausgleichsprämie grundsätzlich auch den zusätzlichen Zweck verfolgen, gestiegene Fahrtkosten und nicht durch Spesen abgedeckte Übernachtungskosten auszugleichen. Dafür könne er Arbeitnehmergruppen bilden.
Allerdings müsse eine solche Gruppenbildung sachgerecht sein. Dies sei hier nicht der Fall. Die Kriterien seien weder geeignet noch erforderlich, um den angestrebten Zweck zu erreichen. Vielmehr führten sie zu unangemessenen Ergebnissen für die ausgeschlossenen Arbeitnehmer und damit zu einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.
Unzulässige Ungleichbehandlung von Tag- und Nachtschicht-Fahrern
So machte es laut Gericht keinen sachlichen Unterschied, ob ein LKW-Fahrer – wie der Kläger – nur tagsüber fahre oder auswärts übernachten müsse. Auch Tagschicht-Fahrer hätten unveränderte Arbeitsweg-Kosten wie alle anderen Beschäftigten, unabhängig von der konkreten Tätigkeit. Für ihre Schlechterstellung gebe es keine Rechtfertigung.
Benachteiligung Langzeitkranker gegenüber Neueingestellten
Ebensowenig durfte der Arbeitgeber nach Ansicht der Richter Mitarbeiter mit über 60 Krankheitstagen komplett von der Prämie ausschließen. Dies stelle eine unangemessene Ungleichbehandlung im Vergleich zu Arbeitnehmern dar, die erst seit 6 Monaten im Betrieb und damit im maßgeblichen Zeitraum kürzer von Kostensteigerungen betroffen waren. Eine sachliche Rechtfertigung für diese Differenzierung zwischen Langzeiterkrankten und Neueingestellten sei nicht erkennbar.
Anpassung „nach oben“ bei Gleichbehandlungsverstoß
Das Urteil verdeutlicht: Verletzt eine freiwillige Arbeitgeberleistung den Gleichbehandlungsgrundsatz durch sachfremde Differenzierungen, haben die benachteiligten Arbeitnehmer Anspruch auf die volle Leistung. Denn bei einer unzulässigen Gruppenbildung muss stets eine Anpassung „nach oben“ erfolgen.
Der Kläger bekam daher die ihm bislang vorenthaltene Inflationsausgleichsprämie in Höhe von jeweils 1.500 Euro brutto für Oktober 2022 und Februar 2023 nebst Verzugszinsen zugesprochen. Auch eine nur anteilige Gewährung kam nicht in Betracht.
✔ Die Schlüsselerkenntnisse in diesem Fall
Das Urteil stellt klar, dass der Gleichbehandlungsgrundsatz auch bei freiwilligen Arbeitgeberleistungen wie einer Inflationsausgleichsprämie zu beachten ist. Gruppenbildungen müssen einem legitimen Zweck dienen und sachgerecht sein. Differenzierungen nach Krankheitstagen oder Tätigkeitsart ohne sachlichen Grund sind unzulässig. Bei Gleichbehandlungsverstößen ist die Leistung für benachteiligte Arbeitnehmer „nach oben“ anzupassen. Das Urteil setzt damit Grenzen für Arbeitgeber und stärkt den Anspruch der Beschäftigten auf Gleichbehandlung.
✔ FAQ – Häufige Fragen
Das Thema: Gleichbehandlung bei Inflationsausgleichsprämie wirft bei vielen Lesern Fragen auf. Unsere FAQ-Sektion bietet Ihnen wertvolle Insights und Hintergrundinformationen, um Ihr Verständnis für dieses Thema zu vertiefen. Weiterhin finden Sie in der Folge einige der Rechtsgrundlagen, die für dieses Urteil wichtig waren.
Was bedeutet der Gleichbehandlungsgrundsatz bei Inflationsausgleichsprämien?
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz besagt, dass der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen bei der Gewährung freiwilliger Leistungen wie einer Inflationsausgleichsprämie nicht willkürlich oder sachfremd unterschiedlich behandeln darf. Vielmehr muss für eine zulässige Ungleichbehandlung bzw. Gruppenbildung stets ein sachlicher Grund vorliegen.
Der Arbeitgeber ist somit nicht verpflichtet, allen Beschäftigten eine Inflationsausgleichsprämie in gleicher Höhe zu zahlen. Er kann die Prämie auf bestimmte Arbeitnehmergruppen beschränken, sofern die Differenzierung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist. Als zulässige sachliche Gründe kommen dabei insbesondere unterschiedliche Entgelt- bzw. Gehaltsgruppen oder soziale Aspekte wie der Familienstand in Betracht, da untere Einkommensgruppen und Familien von den Preissteigerungen besonders stark betroffen sind.
Unzulässig wären hingegen Differenzierungen nach Kriterien wie individueller Leistung, körperlicher Belastung, Betriebszugehörigkeit, Probezeit oder Fehlzeiten wegen Krankheit, da diese in keinem Zusammenhang mit dem Zweck der Inflationsausgleichsprämie stehen, die gestiegenen Lebenshaltungskosten abzumildern.
Der Arbeitgeber muss die Gründe und sachlichen Kriterien für eine Ungleichbehandlung offenlegen und anhand von Tatsachen belegen können. Dies hat auch das Arbeitsgericht Paderborn in einem aktuellen Urteil bekräftigt. In dem Fall hatte ein Unternehmen die Inflationsausgleichsprämie nur an Mitarbeiter gezahlt, die zuvor auf Sonderzahlungen verzichtet hatten. Das Gericht sah darin keinen Verstoß gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, weil der Arbeitgeber mit der Beschränkung bezweckte, die Arbeitsbedingungen zwischen den beiden Gruppen anzugleichen.
Für die betriebliche Praxis bedeutet dies, dass Arbeitgeber den mit der Inflationsausgleichsprämie verfolgten Zweck genau definieren und dokumentieren sollten, um eine Ungleichbehandlung rechtfertigen zu können. Fehler bei der Gewährung der Prämie können nicht nur zum Verlust der steuerlichen Privilegierung führen, sondern auch Zahlungsansprüche der benachteiligten Arbeitnehmer auslösen.
Welche Kriterien darf der Arbeitgeber für die Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie heranziehen?
Der Arbeitgeber darf bei der Entscheidung über die Auszahlung einer Inflationsausgleichsprämie nur sachgerechte und erforderliche Kriterien heranziehen, um einen legitimen Zweck zu erreichen. Diese Kriterien dürfen keine unangemessene Benachteiligung einzelner Arbeitnehmergruppen bewirken.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz ist dabei zwingend zu beachten. Dieser besagt, dass vergleichbare Sachverhalte gleich behandelt werden müssen, soweit nicht sachliche Gründe eine Ungleichbehandlung rechtfertigen. Eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen ist unzulässig.
Als Beispiel wäre es unzulässig, die Inflationsausgleichsprämie nur an gesunde Arbeitnehmer auszuzahlen und kranke Arbeitnehmer auszuschließen. Der Gesundheitszustand ist kein sachgerechtes Kriterium für die Gewährung der Prämie und würde eine unangemessene Benachteiligung darstellen.
Zulässige Differenzierungskriterien könnten hingegen die Dauer der Betriebszugehörigkeit, die Eingruppierung oder die Leistung der Arbeitnehmer sein, sofern diese Kriterien sachlich gerechtfertigt sind und in einem angemessenen Verhältnis zum verfolgten Zweck stehen. Der Arbeitgeber muss die Auswahl der Kriterien sorgfältig begründen und dokumentieren können.
Empfehlenswert ist es, die Kriterien für die Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie in einer Betriebsvereinbarung oder einzelvertraglichen Regelung transparent und nachvollziehbar festzulegen. So lässt sich die Einhaltung des Gleichbehandlungsgrundsatzes am besten gewährleisten und Streitigkeiten vermeiden.
Darf der Arbeitgeber bei der Inflationsausgleichsprämie nach Krankheitstagen differenzieren?
Nach dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz darf der Arbeitgeber bei der Gewährung der Inflationsausgleichsprämie nicht ohne sachlichen Grund zwischen Arbeitnehmern differenzieren. Eine Ungleichbehandlung von Mitarbeitern mit längeren Krankheitszeiten ist in der Regel unzulässig.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen in vergleichbarer Lage. Eine Differenzierung zwischen Arbeitnehmergruppen ist nur gerechtfertigt, wenn sie einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist.
Krankheitstage allein stellen kein zulässiges Differenzierungskriterium dar. Der Sinn und Zweck der Inflationsausgleichsprämie besteht darin, die Beschäftigten angesichts der gestiegenen Lebenshaltungskosten zu entlasten. Vor diesem Hintergrund wäre es sachfremd, Arbeitnehmer mit Krankheitszeiten von der Prämie auszunehmen. Gerade diese Gruppe ist von den finanziellen Zusatzbelastungen in gleichem Maße betroffen.
Eine Differenzierung nach Krankheitstagen würde den mit der Prämie verfolgten Zweck konterkarieren. Sie wäre nicht erforderlich, um das Ziel eines Inflationsausgleichs zu erreichen. Im Gegenteil, sie würde erkrankte Mitarbeiter in unsachlicher Weise benachteiligen.
Als Beispiel: Ein Arbeitnehmer war im Bezugszeitraum 4 Wochen krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Alle anderen Mitarbeiter erhalten eine Inflationsausgleichsprämie von 1.500 €, er geht leer aus. Diese Ungleichbehandlung verstößt gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz, da sie aus sachfremden Erwägungen erfolgt und den Zweck der Prämie verfehlt.
Ist eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern mit und ohne auswärtige Übernachtungen bei der Inflationsausgleichsprämie gerechtfertigt?
Eine Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern mit und ohne auswärtige Übernachtungen bei der Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie ist in der Regel nicht gerechtfertigt.
Der allgemeine arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet eine willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber vergleichbaren Arbeitnehmern. Eine Ungleichbehandlung ist nur dann zulässig, wenn hierfür sachlich gerechtfertigte Gründe vorliegen. Dabei müssen die Differenzierungskriterien einem legitimen Zweck dienen und die Ungleichbehandlung muss zur Erreichung dieses Ziels geeignet, erforderlich und angemessen sein.
Der Umstand, dass bestimmte Arbeitnehmer im Rahmen ihrer Tätigkeit auswärtige Übernachtungen in Anspruch nehmen, stellt für sich genommen noch keinen sachlichen Grund dar, der eine Bevorzugung bei der Inflationsausgleichsprämie rechtfertigen könnte. Entscheidend ist vielmehr, ob die betroffenen Arbeitnehmergruppen im Hinblick auf den Zweck der Sonderzahlung vergleichbar sind.
Die Inflationsausgleichsprämie dient dazu, die Arbeitnehmer von den finanziellen Belastungen durch die allgemeine Preissteigerung zu entlasten. Von den erhöhten Lebenshaltungskosten sind grundsätzlich alle Arbeitnehmer in ähnlicher Weise betroffen, unabhängig davon, ob sie im Rahmen ihrer Tätigkeit auswärtige Übernachtungen wahrnehmen oder nicht. Eine Differenzierung nach diesem Kriterium läuft dem sozialen Zweck der Inflationsausgleichsprämie zuwider und führt zu sachlich nicht gerechtfertigten Ergebnissen.
Etwas anderes kann allenfalls dann gelten, wenn mit den Übernachtungen außerhalb des Wohnorts besondere inflationsbedingte Mehraufwendungen verbunden sind, die bei den übrigen Arbeitnehmern nicht anfallen. Dies wäre etwa der Fall, wenn die Übernachtungs- und Verpflegungskosten von den Arbeitnehmern selbst getragen werden müssen. Erstattet der Arbeitgeber diese Aufwendungen jedoch ohnehin gesondert, fehlt es an einem sachlichen Grund für eine Bevorzugung bei der Inflationsausgleichsprämie.
Gewährt ein Arbeitgeber die Inflationsausgleichsprämie nur an Arbeitnehmer mit auswärtigen Übernachtungen, ohne dass hierfür ein objektiver Grund vorliegt, können die benachteiligten Arbeitnehmer eine Anpassung nach oben und damit die Zahlung der vollen Prämie verlangen. Dies folgt aus dem Grundsatz der Gleichbehandlung. Um Ansprüche auf eine Anpassung zu vermeiden, sollten Arbeitgeber die Inflationsausgleichsprämie daher entweder allen Arbeitnehmern in gleicher Höhe gewähren oder ganz auf die Sonderzahlung verzichten.
Welche Rechte haben benachteiligte Arbeitnehmer bei einer gleichheitswidrigen Inflationsausgleichsprämie?
Wenn ein Arbeitgeber bei der Gewährung einer Inflationsausgleichsprämie gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz verstößt, indem er sachlich nicht gerechtfertigte Differenzierungen zwischen Arbeitnehmergruppen vornimmt, haben benachteiligte Arbeitnehmer einen Anspruch auf Gleichbehandlung. Das bedeutet, sie können die Zahlung der vollen Prämie in der Höhe verlangen, die der am meisten begünstigten Vergleichsgruppe gewährt wurde. Es erfolgt also eine Anpassung „nach oben“ auf den Betrag, den die Arbeitnehmer erhalten hätten, wären sie nicht benachteiligt worden.
Zusätzlich zur Nachzahlung der vorenthaltenen Prämie können betroffene Arbeitnehmer auch Verzugszinsen geltend machen, wenn der Arbeitgeber mit der Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie in Verzug geraten ist. Der Verzugszinssatz beträgt fünf Prozentpunkte über dem Basiszinssatz. Die Zinsen fallen ab dem Zeitpunkt an, zu dem die Prämie fällig war.
Um Ansprüche wegen Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes durchzusetzen, müssen benachteiligte Arbeitnehmer aktiv werden und diese gegenüber dem Arbeitgeber geltend machen. Reagiert der Arbeitgeber nicht oder lehnt er die Forderung ab, bleibt nur der Weg einer Klage vor dem Arbeitsgericht. Dabei tragen die Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Ungleichbehandlung. Der Arbeitgeber muss dann darlegen und beweisen, dass sachliche Gründe die Ungleichbehandlung rechtfertigen.
Als Beispiel dient ein Fall, in dem ein Unternehmen die Inflationsausgleichsprämie nach Kriterien wie Betriebszugehörigkeit, Vollzeit/Teilzeit und Vergütungshöhe gestaffelt hatte. Das Arbeitsgericht Hagen entschied, dass diese Differenzierungen den Gleichbehandlungsgrundsatz verletzen, weil sie nicht durch den Zweck der Prämie gerechtfertigt seien, inflationsbedingte Härten auszugleichen. Die benachteiligte Klägerin hatte daher Anspruch auf die höchste gezahlte Prämie.
Arbeitgeber sollten daher bei der Gestaltung einer Inflationsausgleichsprämie genau prüfen, ob Differenzierungen wirklich durch den Zweck der Leistung gerechtfertigt sind und einer gerichtlichen Überprüfung standhalten. Andernfalls riskieren sie Zahlungsklagen und müssen im Zweifel allen Arbeitnehmern die Prämie in voller Höhe gewähren.
§ Relevante Rechtsgrundlagen des Urteils
- § 611a BGB (Vertragstypische Pflichten beim Arbeitsvertrag): Regelt die gegenseitigen Pflichten von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. Hieraus ergibt sich die Verpflichtung des Arbeitgebers zur Zahlung der vereinbarten Vergütung, einschließlich freiwilliger Leistungen wie Prämien, sofern diese zugesagt wurden.
- § 75 BetrVG (Gleichbehandlungsgrundsatz): Dieser Paragraph verpflichtet den Arbeitgeber zur Wahrung der Grundsätze von Recht und Billigkeit sowie zur Gleichbehandlung der Beschäftigten. Eine Ungleichbehandlung ist nur bei sachlich gerechtfertigten Gründen zulässig.
- § 307 BGB (Inhaltskontrolle von AGB im Arbeitsvertrag): Bezieht sich auf die Inhaltskontrolle von arbeitsrechtlichen Vereinbarungen. Benachteiligende Regelungen können unwirksam sein, wenn sie ohne sachlichen Grund erfolgen, wie zum Beispiel die Ungleichbehandlung bei freiwilligen Prämien.
- AGG (Allgemeines Gleichbehandlungsgesetz): Verhindert Diskriminierung aufgrund bestimmter Merkmale wie Geschlecht, Alter, Religion oder Behinderung. Eine Ungleichbehandlung aufgrund von Krankheit könnte hierunter fallen, wenn sie nicht sachlich gerechtfertigt ist.
- § 823 BGB (Schadensersatzpflicht): Kann relevant werden, wenn durch die ungerechtfertigte Ungleichbehandlung ein Schaden entstanden ist, der ersetzt werden muss. Der Kläger hätte unter Umständen Anspruch auf Schadensersatz.
- § 4 TVG (Tarifvertragsgesetz): Regelungen aus Tarifverträgen könnten einschlägig sein, sofern sie für den Betrieb oder die Arbeitnehmer gelten. Diese Vereinbarungen haben Vorrang vor einzelvertraglichen Abreden.
- § 612a BGB (Maßregelungsverbot): Verbietet Benachteiligungen eines Arbeitnehmers, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Falls der Kläger durch den Krankheitszeitraum benachteiligt wurde, könnte dies als Maßregelung gewertet werden.
- Zinsregelungen nach §§ 288, 247 BGB: Legen fest, dass im Verzugsfall Zinsen zu zahlen sind. Im vorliegenden Fall wurde ein Zinssatz von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab einem bestimmten Datum geltend gemacht, was nach diesen Vorschriften begründet ist.
⇓ Das vorliegende Urteil vom Arbeitsgericht Nienburg
ArbG Nienburg – Az.: 1 Ca 155/23 – Urteil vom 29.02.2024
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Abrechnungszeitraum 01.10.2022 bis 31.10.2022 einen Betrag in Höhe von 1.500,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Abrechnungszeitraum 01.02.2023 bis 28.02.2023 einen Betrag in Höhe von 1.500,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2023 zu zahlen.
3. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.
4. Der Streitwert wird auf 3.000,00 Euro festgesetzt.
5. Die Berufung wird nicht besonders zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie.
Der Kläger ist seit dem 17.03.2004 bei der Beklagten als Fahrer im Güterkraftverkehr beschäftigt, zuletzt mit einem Bruttomonatslohn in Höhe von 2.500,00 EUR nebst Zulagen. Er wurde im Tagverkehr eingesetzt und musste zur Erbringung seiner Arbeitsleistung nicht auswärtig übernachten.
Die Beklagte gehört zur B.-Unternehmensgruppe. Sie sowie ein weiteres Unternehmen dieser Gruppe führen LKW-Transporte durch, während bei den anderen Unternehmen keine LKW-Fahrer angestellt sind. Für die gesamte Unternehmensgruppe wurde im Oktober 2022 von Seiten der Gesellschafter die Entscheidung getroffen, eine Inflationsausgleichsprämie zu zahlen. Die Zahlung sollte in zwei Teilbeträgen, im Oktober 2022 und im Februar 2023, erfolgen. Die operative Geschäftsführung wurde mit der Aufstellung von Kriterien beauftragt, nach der die Auszahlungen erfolgen sollte. Die Festlegung der Kriterien für die Zahlung im Oktober 2022 erfolgte dann im Rahmen einer Besprechung am 27.10.2022. Für die drei Speditionsbetriebe – somit auch für die Beklagte – wurden folgende Kriterien aufgestellt:
1. Anspruch auf die volle Prämie sollte nur nach sechsmonatiger Betriebszugehörigkeit bestehen;
2. Das Arbeitsverhältnis musste noch mindestens bis zum 31.12.2022 fortbestehen;
3. Die Arbeitsunfähigkeitszeiten (mit Ausnahme von etwaigen aufgrund Arbeitsunfällen) durften 60 Tage nicht überschreiten;
4. LKW-Fahrer sollten lediglich Anspruch auf die Prämie haben, soweit auswärtige Übernachtungen anfallen.
Bei der Beurteilung, ob die Kriterien eingehalten sind, wurde auf den Zeitraum 01.01.2022 bis 31.10.2022 abgestellt.
Für die die im Februar 2023 gezahlte Inflationsausgleichsprämie wurden − nach dem insoweit nicht bestrittenen Vortrag der Beklagten − nahezu identische Kriterien wie für die Oktoberzahlung im Rahmen einer Besprechung am 21.02.2023 für die gesamte Unternehmensgruppe festgelegt. Vortrag zum Betrachtungszeitraum und einem Stichtag erfolgte nicht.
Hinsichtlich beider Teilzahlungen war bei der Aufstellung der Kriterien im Wesentlichen überlegt worden, dass insbesondere die Arbeitnehmer von der Inflationsausgleichsprämie profitieren sollten, die wegen ihres Fahrtweges zur Arbeit bzw. zusätzlicher Kosten aufgrund von Übernachtungen, die nicht durch Spesen abgedeckt waren, erhöhte Kosten zu tragen haben.
Der Kläger war im Jahr 2022 an mehr als 60 Tagen arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2023 war der Kläger durchgehend vom 01.11.2022 bis zum 24.02.2023 erkrankt.
Die Beklagte zahlte mit den Abrechnungen für die Monate Oktober 2022 und Februar 2023 jeweils eine Inflationsausgleichsprämie in Höhe von 1.500,00 EUR an diejenigen ihrer Beschäftigten aus, welche alle Kriterien kumulativ erfüllten. Die anderen Arbeitnehmer erhielten keine – auch keine anteilige − Zahlung. Bei Teilzeitbeschäftigten wurde die Höhe der Prämie pro rata temporis gekürzt.
Dem Kläger wurde die Inflationsausgleichsprämie in beiden Monaten nicht gezahlt.
Der Kläger stützt die von ihm geltend gemachten Ansprüche auf Zahlung der Inflationsausgleichsprämie auf den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz. Er ist der Ansicht, dass die Begründung für die Zahlung der Inflationsausgleichsprämie allein in den gestiegenen Lebenshaltungskosten liege. Die Beklagte habe eine sachfremde Gruppenbildung vorgenommen. Der Ausschluss von Langzeitkranken bei der Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie widerspreche dem Sinn und Zweck der streitgegenständlichen Sonderzahlung, da die Lebenshaltungskosten sich auch bei Arbeitsunfähigkeit nicht änderten und die Prämie auch keinen Fitnessbonus darstelle. Das Kriterium für die Auszahlung der Inflationsausgleichsprämie, dass bei der Beklagten beschäftigte Lkw-Fahrer auswärtige Übernachtungen vorweisen müssten, sei nicht nachvollziehbar, zumal die inflationsbedingten Belastungen unabhängig davon vorlägen, ob auswärtige Übernachtungen erfolgen.
Der Kläger beantragt,
1. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Abrechnungszeitraum 01.10.2022 bis 31.10.2022 einen Betrag in Höhe von 1.500,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.11.2022 zu zahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an den Kläger für den Abrechnungszeitraum 01.02.2023 bis 28.02.2023 einen Betrag in Höhe von 1.500,00 EUR brutto nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 11.03.2023 zu zahlen.
Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beklagte ist der Auffassung, der Charakter der streitgegenständlichen Sonderzahlung als Inflationsausgleichsprämie im Sinne des § 3 Nr. 11c EStG führe nicht zu einer Unwirksamkeit einschränkender Regelungen. Darüber hinaus lägen der Zahlung der Inflationsausgleichsprämie im Streitfall sachgerechte Kriterien zugrunde.
Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien wird ergänzend auf den Inhalt der gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen und die Sitzungsprotokolle Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Klage ist begründet.
I.
Die Klage ist zulässig, insbesondere streitgegenständlich hinreichend bestimmt i.S.d. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO.
II.
Die Klageanträge sind vollumfänglich begründet. Der Kläger hat gegen die Beklagte Anspruch auf Zahlung einer Inflationsausgleichsprämie in Höhe von jeweils 1.500,00 Euro für die Monate Oktober 2022 und Februar 2023 nebst den jeweiligen Verzugszinsen. Der Anspruch folgt aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz.
1.
Der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz verbietet dem Arbeitgeber eine sachfremde Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer gegenüber anderen Arbeitnehmern in vergleichbarer Lage. Gewährt der Arbeitgeber auf Grund einer abstrakten Regelung eine freiwillige Leistung nach einem erkennbar generalisierenden Prinzip und legt er gemäß dem mit der Leistung verfolgten Zweck die Anspruchsvoraussetzungen für die Leistung fest, darf er einzelne Arbeitnehmer von der Leistung nur ausnehmen, wenn dies sachlichen Kriterien entspricht (BAG, Urteil v. 27. 5. 2004 – 6 AZR 129/03, NZA 2004, 1399). Damit verbietet er nicht nur die willkürliche Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer innerhalb der Gruppe, sondern auch eine sachfremde Gruppenbildung (BAG, Urteil vom 31.08.2005 − 5 AZR 517/04, NZA 2006, 265). Der Arbeitgeber muss bei freiwilligen Leistungen daher die Anspruchsvoraussetzungen so abgrenzen, dass ein Teil der Arbeitnehmer von der Vergünstigung nicht sachwidrig oder willkürlich ausgeschlossen wird (BAG, Urteil v. 08.03.1995 – 10 AZR 208/94, NZA 1996, 418). Eine sachfremde Benachteiligung einzelner Arbeitnehmer liegt nicht vor, wenn sich nach dem Zweck der Leistung Gründe ergeben, die es unter Berücksichtigung aller Umstände rechtfertigen, diesen Arbeitnehmern die allen anderen Arbeitnehmern gewährte Leistung vorzuenthalten.
Der Gleichbehandlungsgrundsatz findet im Bereich der Vergütung unter Beachtung des Grundsatzes der Vertragsfreiheit Anwendung, wenn Arbeitsentgelte durch eine betriebliche Einheitsregelung generell angehoben werden und der Arbeitgeber die Leistungen nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip gewährt, wenn er bestimmte Voraussetzungen oder einen bestimmten Zweck festlegt (st. Rspr., vgl. statt vieler BAG, Urteil v. 03.09.2014 − 5 AZR 6/13, NZA 2015, 222). Dem Arbeitgeber ist es verwehrt, einzelne Arbeitnehmer oder Gruppen von ihnen aus unsachlichen oder sachfremden Gründen von einer Erhöhung der Arbeitsentgelte auszuschließen. Nach dem mit der Gehaltserhöhung verfolgten Zweck ist zu beurteilen, ob der ausgeschlossene Personenkreis zu Recht ausgenommen wird (BAG, Urteil v. 17.05.1978 − 5 AZR 132/77, NJW 1979, 181). Steht eine Gruppenbildung fest, hat der Arbeitgeber die Gründe für die Differenzierung offen zu legen und so substantiiert darzutun, dass die Beurteilung möglich ist, ob die Gruppenbildung sachlichen Kriterien entspricht. Sind die Unterscheidungsmerkmale nicht ohne weiteres erkennbar, legt der Arbeitgeber seine Differenzierungsgesichtspunkte nicht dar oder ist die unterschiedliche Behandlung nach dem Zweck der Leistung nicht gerechtfertigt, erwächst der benachteiligten Arbeitnehmergruppe ein Anspruch darauf, nach Maßgabe der begünstigten Arbeitnehmergruppe behandelt zu werden und die vorenthaltene Leistung zu erhalten (vgl. BAG, Urteil v. 17.03.2010 − Az. 5 AZR 168/09, NZA 2010, 696; sowie v. 13.04.2011 − 10 AZR 88/10, AP BGB § 611 Gratifikation Nr. 287).
2.
Bei der gebotenen Anwendung dieser Grundsätze hat die Beklagte eine sachfremde Schlechterstellung des Klägers bzw. von bei ihr angestellten Kraftfahrern, welche nicht auswärts übernachten müssen, sowie von Arbeitnehmern mit Krankheitszeiten von mehr als 60 Tagen vorgenommen.
a)
Der Anwendungsbereich des Gleichbehandlungsgrundsatzes ist eröffnet. Die Beklagte hat die Inflationsausgleichsprämie freiwillig nach einem bestimmten erkennbaren und generalisierenden Prinzip ausgezahlt. Die Beklagte gehört zur B.-Unternehmensgruppe, zu der des Weiteren noch die B.-T. GmbH, die W. GmbH sowie die B. T. GmbH und die B. L. GmbH gehören. Für die gesamte Unternehmensgruppe wurde im Oktober 2022 von Seiten der Gesellschafter die Entscheidung getroffen, eine Inflationsausgleichsprämie zu zahlen. Unter anderem die Beklagte leistete im Oktober 2022 und Februar 2023 Inflationsausgleichsprämien an ihre Arbeitnehmer und nahm – unter Berücksichtigung der Vorgaben der Leitung der Unternehmensgruppe − bestimmte Arbeitnehmergruppen, welche die von ihr festgelegten Kriterien nicht erfüllten, vom Kreis der Anspruchsberechtigten für die Inflationsausgleichsprämie vollständig aus.
b)
Der Charakter der streitgegenständlichen Sonderzahlung als Inflationsausgleichsprämie i.S.d. § 3 Nr. 11c EStG führt nicht zur Unwirksamkeit einschränkender Regelungen bzw. zusätzlicher Voraussetzungen.
aa)
Gemäß § 3 Nr. 11c EStG sind zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn vom Arbeitgeber in der Zeit vom 26. Oktober 2022 bis zum 31. Dezember 2024 in Form von Zuschüssen und Sachbezügen gewährte Leistungen zur Abmilderung der gestiegenen Verbraucherpreise bis zu einem Betrag von 3.000,00 Euro steuerfrei.
bb)
Der in § 3 Nr. 11c EStG genannte Zweck der Abmilderung gestiegener Verbraucherpreise ist nicht absolut. Diese in der Vorschrift benannte Zwecksetzung ist weder ihrem Wortlaut nach, noch unter Berücksichtigung ihres Sinns und Zwecks ausschließlich zu verstehen. Ansonsten würde sich unter Berücksichtigung der alleinigen Finanzierungsverantwortung des Arbeitgebers die Frage stellen, welchen Erfolg die Norm überhaupt haben könnte (vgl. ArbG Essen, Urteil v. 12.10.2023 – 1 Ca 1371/23, BeckRS 2023, 30104, ArbG Paderborn Urteil v. 06.07.2023 – 1 Ca 54/23, BeckRS 2023, 20093 sowie Uffmann, NZA 2023, 65 ff.). Die Regelung in § 3 Nr. 11c EStG schließt mithin keine zusätzliche Zwecksetzung aus, sondern verlangt lediglich, dass es sich um Zuschüsse handelt, die „zusätzlich zum ohnehin geschuldeten Arbeitslohn“ gezahlt werden, sodass sie bspw. nicht als Lohnersatzleistung gezahlt werden dürfen.
cc)
Der Arbeitgeber darf daher mit einer Inflationsausgleichsprämie unter Berücksichtigung des in § 1 Nr. 11c EStG definierten Zwecks auch zusätzliche bzw. einschränkende Ziele verfolgen. Denn die Zahlung der in § 3 Nr. 11c EStG geregelten Inflationsausgleichsprämie darf grundsätzlich über den gesetzlich vorgesehenen Zweck der Abmilderung gestiegener Verbraucherkosten hinaus mit weitergehenden Zwecken verbunden werden, welche mit solchen Einschränkungen verfolgt werden. Somit grundsätzlich auch das Ziel, die gestiegenen Kosten der Fahrtwege zwischen Wohn- und Arbeitsort bzw. durch Spesen nicht abgedeckte Kosten im Rahmen von auswärtigen Übernachtungen abzumildern.
c)
Die mit der ersten Teilzahlung im Oktober 2022 durch die Beklagte vorgenommene Ungleichbehandlung verschiedener Gruppen der bei ihr beschäftigten Arbeitnehmer ist jedoch sachlich nicht gerechtfertigt. Entsprechendes gilt für die zweite Teilzahlung im Februar 2023, für welche die Beklagte nach ihrem nicht näher substantiierten Vortrag nahezu identische Kriterien angewandt haben will.
aa)
Ausgehend von der erweiterten Zwecksetzung der von ihr gezahlten Inflationsausgleichsprämie durfte die Beklagte grundsätzlich unter ihren Arbeitnehmern Gruppen bilden, um dieser gerecht zu werden. Denn ein Ausgleich der inflationsbedingten Teuerungsrate muss nicht allen Arbeitnehmern gleichmäßig gewährt werden, wenn sachliche Gründe für die vorgenommene Differenzierung bestehen. Eine Gruppenbildung ist nur dann sachlich gerechtfertigt, wenn die Unterscheidung einem legitimen Zweck dient und zur Erreichung dieses Zwecks erforderlich und angemessen ist. Die unterschiedliche Leistungsgewährung muss stets im Sinne materieller Gerechtigkeit sachgerecht sein.
bb)
Dies ist vorliegend nicht der Fall.
Die von der Geschäftsleitung der Unternehmensgruppe festgelegte und von der Beklagten übernommenen Zwecksetzung wurde bei der Gruppenbildung durch Aufstellung der vorgenannten Kriterien nicht sachgerecht berücksichtigt. Sie ist zum einen nicht geeignet, den aufgestellten Zweck des Ausgleichs erhöhter Kosten für Arbeitswege und Übernachtungen zur erreichen und daher hierfür nicht erforderlich und zum anderen führt sie zu unangemessenen Ergebnissen für die ausgeschlossenen Arbeitnehmer. Hieraus folgt die Verletzung des Gleichbehandlungsgrundsatzes.
(1)
Der Kläger hat auch als Lkw-Fahrer in Tagschicht Anspruch auf die Inflationsausgleichsprämie. Denn für die Ungleichbehandlung der beiden Arbeitnehmergruppen „Lkw-Fahrer“ und „Nicht-Lkw-Fahrer“ sind sachliche – und erst recht keine diese rechtfertigenden – Gründe von der Beklagten weder vorgetragen, noch ersichtlich. Auch die – wie der Kläger – in Tagschicht arbeitenden Lkw-Fahrer der Beklagten, welche im Rahmen ihrer Arbeitstätigkeit nicht auswärts übernachten müssen, haben − ebenso wie sämtliche anderen Arbeitnehmer der Beklagten − unveränderte Arbeitswege, welche der für alle gleichen Kostensteigerung unterliegen. Es macht insoweit keinen Unterschied, ob ein Arbeitnehmer als Lkw-Fahrer in Tagschicht arbeitet oder auswärts übernachten muss oder ob er Aufgaben in Verwaltung der Beklagten bzw. eine andere Tätigkeit mit örtlich gebundenem Arbeitsplatz ausübt.
(2)
Die Beklagte durfte den Kläger auch nicht deshalb vom Kreis der Anspruchsberechtigten ausnehmen, weil er mehr als 60 Tage im Betrachtungszeitraum arbeitsunfähig erkrankt war. Denn der Ausschluss der Gruppe der im Betrachtungszeitraum über 60 Tage erkrankten Arbeitnehmer ist − ungeachtet der Unbestimmtheit der Regelung hinsichtlich der Frage, ob es sich um Arbeits- oder Kalendertage handeln sollte − sachlich nicht gerechtfertigt.
Offensichtlich schließt die Beklagte diese Gruppe von Arbeitnehmern vom Kreis der Begünstigten deshalb aus, weil während der Arbeitsunfähigkeit keine Kosten aufgrund von Fahrtwegen zur Arbeit bzw. nicht durch Spesen abgedeckte Kosten ihrer Lkw-Fahrer im Rahmen von Auswärtsübernachtungen anfallen.
Hierin liegt jedoch eine unangemessene Differenzierung zwischen Arbeitsunfähigkeitszeiten und Zeiten nicht erbrachter Arbeitsleistung aufgrund eines noch nicht bestehenden Arbeitsverhältnisses im Betrachtungszeitraum 01.01.2022 bis 31.10.2022 bzw. 01.05.2022 bis 28.02.2023.
Die von der Beklagten vorgenommene Gruppenbildung in Form des vollständigen Ausschlusses von Arbeitnehmern mit mehr als 60 Krankheitstagen aus dem Kreis der Anspruchsberechtigten ist als sachwidrig zu bewerten, weil keine Gründe vorliegen, welche dies im Rahmen der benannten – geschweige denn der gesetzlichen − Zwecksetzung rechtfertigen können. Im Gegensatz zu den Arbeitnehmern mit mehr als 60 Krankheitstagen sollten Arbeitnehmer, die an dem von der Beklagten nicht näher benannten Stichtag genau sechs Monate im Betrieb beschäftigt waren, die volle Prämie erhalten. Die Kammer geht insoweit von dem für die Beklagte günstigsten Stichtag im Rahmen des von ihr für die erste Teilzahlung benannten sowie für die zweite Teilzahlung entsprechend angenommenen Betrachtungszeitraumes aus, mithin dem letzten Tag dieses Zeitraumes (31.10.2022 bzw. 28.02.2023). Somit hätte ein Arbeitnehmer, der zum jeweiligen Stichtag gerade die geforderte sechsmonatige Betriebszugehörigkeit erreicht hätte Anspruch auf die volle Inflationsausgleichsprämie, obwohl er im Betrachtungszeitraum ggf. erst diese sechs Monate erhöhte Fahrtkosten für den Arbeitsweg zum Betrieb der Beklagten gehabt hatte. Hingegen sollte ein im gesamten Betrachtungszeitraum bei der Beklagten Beschäftigter jeglichen Anspruch auf diese Prämie verlieren, sobald er zwei (bei Zugrundelegung von 60 Kalendertagen Arbeitsunfähigkeit) bzw. ca. drei Monate (bei Zugrundelegung von 60 Arbeitstagen Arbeitsunfähigkeit) arbeitsunfähigkeitsbedingt nicht zur Arbeit erscheinen konnte und ihm damit ggf. Fahrtkosten erspart blieben. Für diese Ungleichbehandlung ist zur Erzielung des von der Beklagten verfolgten Zweckes kein rechtfertigender Grund vorgetragen oder ersichtlich. Insoweit ist auch zu berücksichtigen, dass allein der Umstand, dass ein Arbeitnehmer für einen bestimmten Zeitraum erkrankt war, keinen Differenzierungsgrund darstellt, wenn er zu einem Anspruchsausschluss statt der unter Berücksichtigung des § 4a EFZG zulässigen anteiligen Kürzung führt (vgl. hierzu BAG, Urteil v. 09.06.1982 – 5 AZR 501/80, AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 51 zu allgemeinen Lohnerhöhungen im Betrieb).
d)
Rechtsfolge einer Verletzung des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes ist die Korrektur der arbeitgeberseitig bestimmten gleichbehandlungswidrigen Voraussetzung. In der Folge hat der Kläger Anspruch auf die Zahlung der Inflationsausgleichprämie in voller Höhe, mithin 1.500,00 Euro. Denn bei Vorliegen einer sachwidrigen Gruppenbildung hat für die von der sachwidrigen Differenzierung betroffenen Arbeitnehmer stets eine Anpassung nach oben stattzufinden. Deshalb kommt auch keine nachträgliche zeitanteilige Zahlung in Betracht.
e)
Die Zinsenentscheidung ergibt sich aus §§ 286, 288, 247 BGB. Die Beklagte zahlte die erste Teilzahlung der Inflationsausgleichsprämie mit dem Gehalt für Oktober 2022 und die zweite Teilzahlung mit dem Gehalt für Februar 2023 an ihre Beschäftigten aus. Die monatliche Vergütung ist zum 10. des Folgemonats zur Zahlung fällig.
III.
1.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 46 Abs. 2 ArbGG. Danach hat die Beklagte als unterlegene Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
2.
Der festzusetzende gemäß § 61 Abs. 1, § 46 Abs. 2 ArbGG, §§ 3 ff. ZPO, § 42 Abs. 2 S. 1 im Urteil Wert der Zahlungsanträge beläuft sich gemäß § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i. V. m. §§ 3 Halbs. 1, 4 Abs. 1 Halbs. 2, 5 Halbs. 1 ZPO auf den Wert der jeweiligen Hauptforderung.
3.
Die Berufung war nicht besonders zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 64 Abs. 3 ArbGG nicht vorliegen.