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Gleichbehandlungsgrundsatz – Streichung Arbeitszeitguthaben- tarifvertragliche Pausenzeitenkürzung

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 6 Sa 2331/10 – Urteil vom 04.03.2011

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Neuruppin vom 14.09.2010 – 2 Ca 1262/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Der Kläger steht als Sortierer mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 18 Stunden in einem Arbeitsverhältnis zur Beklagten, auf das deren Tarifverträge kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme Anwendung finden.

Bis zum 31. März 2008 sah TV Nr. 111 eine Erholungszeit von 3,50 Minuten pro Stunde vor, wovon 3,14 Minuten als bezahlte Kurzpause galten. Durch TV Nr. 142a wurden Erholungszeit und Kurzpausenanteil mit Wirkung vom 1. April 2008 auf 2,25 bzw. 2,03 Minuten pro Stunde gekürzt. Die sich daraus ergebene Verlängerung der Arbeitszeit wurde für die Betriebsstätte des Klägers erst durch neue Dienstpläne ab 12. Juli 2008 umgesetzt. Das sich daraus errechnende Arbeitszeitminus von 4,66 Stunden brachte die Beklagte unter dem 31. Oktober 2008 von dem zu dieser Zeit auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers ausgewiesenen Guthaben von 1,17 Stunden in dieser Höhe in Abzug, wogegen sich der Kläger mit Schreiben vom 3. Dezember 2008 wandte.

Gleichbehandlungsgrundsatz - Streichung Arbeitszeitguthaben- tarifvertragliche Pausenzeitenkürzung
(Symbolfoto: Von This Is Me/Shutterstock.com)

Das Arbeitsgericht Neuruppin hat die Beklagte verurteilt, auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers eine Zeitgutschrift von 1,17 Stunden vorzunehmen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, dass die Beklagte für eine korrekte Einarbeitung der verkürzten Kurzpausen in die Dienstpläne beweisfällig geblieben sei, weshalb der Vortrag des Klägers als richtig zu unterstellen sei, dass sich nach dem 31. März 2008 zunächst keine Änderung seiner Tätigkeit ergeben habe. Außerdem hätte die Beklagte mit einer einseitigen Änderung der Dienstpläne gegen das Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats aus § 87 Abs. 1 Nr. 2 BetrVG verstoßen, wodurch sich die Rechtsstellung des Klägers nicht hätte verschlechtert werden dürfen.

Gegen dieses ihr am 6. Oktober 2010 zugestellte Urteil richtet sich die am 4. November 2010 eingelegte und am 6. Januar 2011 nach entsprechender Verlängerung der Begründungsfrist begründete Berufung der Beklagten. Sie betont, die bisherigen Dienstpläne gerade nicht einseitig an die neuen tarifvertraglichen Regelungen angepasst zu haben. Dies habe zur Folge gehabt, dass der Kläger weniger als die geschuldete Wochenarbeitszeit erbracht habe. Diese Arbeitszeitschuld sei entweder gemäß § 22 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 3 MTV–DP AG innerhalb von 12 Monaten nachzuarbeiten gewesen oder hätte mit bereits erbrachten Arbeitszeiten verrechnet werden können. Soweit es in unterschiedlichem Umfang zu Kürzungen der Arbeitszeitkonten gekommen sei, beruhe dies darauf, dass sich nur im Umfang der jeweiligen Zeitguthaben gleichartige Forderungen gegenüber gestanden hätten. Sie sei dem Kläger gegenüber nicht verpflichtet, ihre Rechte gegenüber anderen Arbeitnehmern geltend zu machen, sofern überhaupt die rechtliche Möglichkeit eines Minussaldos auf den Arbeitszeitkonten bestehe.

Die Beklagte beantragt, die Klage unter Änderung des angefochtenen Urteils abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verweist darauf, in der Zeit ab 1. April 2008 nicht weniger gearbeitet zu haben als zuvor. Lediglich der bezahlte Anteil der gleich langen Pause habe sich verringert. Für eine Anwendung des § 22 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 3 MTV–DP AG sei deshalb kein Raum. Der Kläger verweist auf zwei gleich gelagerte Fälle, in denen eine andere Kammer des LAG Berlin-Brandenburg einen Verstoß gegen den arbeitsvertraglichen Gleichbehandlungsgrundsatz darin gesehen habe, dass die Beklagte ihre Arbeitnehmer je nach Stand des Arbeitszeitkontos im Kürzungszeitpunkt unterschiedlich behandelt habe.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf den Tatbestand des angefochtenen Urteils und die in der Berufungsinstanz gewechselten Schriftsätze Bezug genommen.

Zu der vom Gericht im Verhandlungstermin angesprochenen Frage des Annahmeverzuges hat die Beklagte um Schriftsatznachlass gebeten.

Entscheidungsgründe

1. Die Berufung ist unbegründet.

Der Kläger kann von der Beklagten verlangen, seinem Arbeitszeitkonto die unter dem 31. Oktober 2008 gestrichenen 1,17 Stunden wieder gutzuschreiben.

1.1 Es war nicht erkennbar, dass das am 31. Oktober 2008 auf dem Arbeitszeitkonto des Klägers ausgewiesene Guthaben in der Zeit vom 1. April bis 11. Juli 2008 dadurch entstanden ist, dass der Kläger an einer Vielzahl einzelner Tage über die zunächst unverändert gebliebene dienstplanmäßige Arbeitszeit hinaus wegen gesteigerten Arbeitsanfalls gearbeitet hat. Dann allerdings hätte die Gutschrift von 1,17 Stunden eine schlichte Fehlbuchung dargestellt, weil der Kläger nach dem am 1. April 2008 in Kraft getretenen TV Nr. 142a eine um 1,11 Minuten pro Stunde längere Arbeitszeit schuldete. Hatte sich die Überschreitung der dienstplanmäßigen Arbeitszeit dagegen auf wenige Tage konzentriert oder hatte der Kläger sein Guthaben in der Zeit vor dem 1. April oder nach dem 11. Juli 2008 erworben, hätte nur eine entsprechend geringere oder gar keine Fehlbuchung vorgelegen.

1.2 Der mit einem Guthaben von 1,17 Stunden auf seinem Arbeitszeitkonto von der Beklagten ausgewiesene Anspruch des Klägers auf entsprechende Freistellung für vorgeleistete Arbeit (dazu BAG Urteil vom 19.03.2008 – 5 AZR 328/07 – AP BGB § 611 Feiertagsvergütung Nr. 1 R 10) ist von der Beklagten nicht zum Erlöschen gebracht worden.

Die Beklagte konnte die vorgenommene Streichung des Zeitguthabens des Klägers nicht auf § 22 Abs. 1 UAbs. 1 Satz 3 MTV–DP AG stützen, wonach eine abweichende Einteilung der regelmäßigen Arbeitszeit innerhalb von 12 Monaten auszugleichen ist. Sofern diese Vorschrift überhaupt den Fall erfasst, dass es in Folge einer abweichenden Einteilung der regelmäßigen Arbeitszeit zu deren Unterschreitung und damit zu einem Minus auf dem Arbeitszeitkonto gekommen ist, wogegen die Praxis der Beklagten spricht, scheiterte ein Ausgleich im vorliegenden Fall doch daran, dass es zu dieser Unterschreitung dadurch gekommen war, dass die Beklagte aus Gründen der zwingenden Mitbestimmung gem. § 87 Abs. 1 Nr. 2 und Abs. 2 BetrVG gehindert gewesen war, den Kläger zu einer der tarifvertraglichen Neuregelung entsprechenden zeitlichen Mehrarbeit einzuteilen. Damit hatte sich das von ihr gem. § 615 Satz 3 BGB zu tragende Risiko eines Arbeitsausfalls verwirklicht, das auch den Fall einer rückwirkenden tarifvertraglichen Neuregelung umfasst. Folge war eine entsprechende Anwendung von Satz 1 dieser Bestimmung. Danach behält der Arbeitnehmer als zur Arbeitsleistung Verpflichteter nicht nur seinen Anspruch auf die vereinbarte Vergütung, sondern ist er auch nicht zur Nachleistung verpflichtet.

Zu dieser Frage über die mündlichen Erörterungen hinaus auch noch schriftsätzlich Stellung zu nehmen, brauchte der Beklagten nicht gem. § 139 Abs. 1 ZPO nachgelassen zu werden, weil der Klage ohnehin noch aus einem weiteren Grunde stattzugeben war.

1.3 Der Anspruch des Klägers auf die begehrte Zeitgutschrift ergab sich zumindest aufgrund des arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatzes.

1.3.1 Dieser inzwischen gewohnheitsrechtlich und auch vom Gesetzgeber in § 1b Abs. 1 Satz 4 BetrAVG anerkannte Grundsatz verbietet bei freiwilligen Leistungen des Arbeitgebers eine sachwidrige Schlechterstellung einzelner Arbeitnehmer oder Arbeitnehmergruppen und gibt einem solcherart benachteiligten Arbeitnehmer einen Anspruch auf die entsprechende Leistung (BAG, Urteil vom 14.03.2007 – 5 AZR 420/06 – BAGE 122, 1 = AP BGB § 242 Gleichbehandlung Nr. 204 zu II 2a der Gründe). Einer freiwilligen Leistung steht es gleich, wenn der Arbeitgeber bestehende Ansprüche nur gegenüber einzelnen oder einer Gruppe von Arbeitnehmern geltend gemacht hat (vgl. BAG, Urteil vom 26.10.1995 – 6 AZR 125/95 – BAGE 81, 207 = AP BAT-O § 1 Nr. 7 zu I 2b bb der Gründe).

1.3.2 So verhielt es sich im vorliegenden Fall.

1.3.2.1 Die Beklagte hat ihre vermeintlichen Ansprüche erkennbar nur in Höhe des jeweiligen Arbeitszeitguthabens der Arbeitnehmer mit Stand 31. Oktober 2008 im Wege von dessen entsprechender Kürzung durchzusetzen versucht. Damit hat sie zugleich von der Geltendmachung weitergehender Ansprüche abgesehen, die dadurch mit Ablauf der sechsmonatigen Ausschlussfrist des § 38 Abs. 1 Satz 1 MTV-DP AG erloschen sind.

1.3.2.2 Dieses Vorgehen der Beklagten war der Kammer aufgrund des eigenen Aktenbildes erkennbar. Eine Bestätigung ergab sich aus einem weiteren, gleichzeitig verhandelten Verfahren zum Aktenzeichen 6 Sa 2230/10. Damit war die Praxis der Beklagten bereits gerichtskundig i.S.v. § 291 ZPO, was eine entsprechende Darlegung des Klägers sogar entbehrlich gemacht hätte (vgl. Saenger, ZPO, 4. Aufl. 2011, § 291 R 10; Musielak/Huber, ZPO, 7. Aufl. 2009, § 291 R 4 F 14; MK-ZPO/Prütting, 3. Aufl. 2007, § 291 R 13). Dieser hat sich indessen mit seiner Berufungserwiderung ebenfalls auf ein solches Vorgehen der Beklagten unter Bezugnahme auf zwei Entscheidungen der Kammer 9 vom 12. November 2010 – 9 Sa 1239/10 und 9 Sa 1240/10 – berufen. Schließlich hat die Beklagte dies ihrerseits dadurch bestätigt, dass sie zu ihrer Rechtfertigung vorgebracht hat, es hätten sich nur im Umfang der jeweiligen Zeitguthaben gleichartige Forderungen gegenüber gestanden.

1.3.2.3 Einen sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung hat die Beklagte nicht anzuführen vermocht (ebenso in einem ähnlich gelagerten Fall LAG Hamm vom 16.12.2009 – 18 Sa 985/09 – zu I 2 b aa (2) der Gründe). Dass andere Arbeitnehmer über kein oder nur ein geringeres Arbeitszeitguthaben als der Kläger verfügten, hätte die Beklagte nicht gehindert, von diesen wegen Unterschreitung der tarifvertraglichen Arbeitszeit etwa rechtsgrundlos gezahlte Arbeitsvergütung gem. § 812 Abs. 1 Satz 1 Alt. 1 BGB zurückzuverlangen. Dies hat sie jedoch nicht einmal vorsorglich getan, nachdem sich der Kläger gegen die Streichung seines Arbeitszeitguthabens gewandt hatte. Soweit die Beklagte gemeint hat, es könne durch das Gebot der Rücksichtnahme gem. § 241 Abs. 2 BGB gerechtfertigt sein, niemanden in einen arbeitszeitlichen Schuldsaldo zu treiben, insbesondere wenn es um die Folgen einer tarifvertraglichen Reduzierung bezahlter Pausenanteile gehe, hätte dies keinesfalls ausgeschlossen, zumindest noch solche Neuguthaben zu berücksichtigen, die in der Folgezeit im Rahmen der tarifvertraglichen Ausschlussfrist erworben wurden. Dementsprechend hat die Beklagte selbst ausgeführt, die Arbeitszeitschuld sei entweder gem. § 22 Abs. 1 u Abs. 1 Satz 3 MTV-DP AG innerhalb von 12 Monaten nachzuarbeiten gewesen oder hätte mit bereits erbrachten Arbeitszeiten verrechnet werden können.

2. Die Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen.

Die Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG für eine Zulassung der Revision waren nicht erfüllt.

 

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