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Grobe Fehlerhaftigkeit einer Sozialauswahl – Interessenausgleich mit Namensliste

Streit um Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung nach Interessenausgleich mit Namensliste

Zusammenfassung: Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer betriebsbedingten Kündigung nach Interessenausgleich mit Namensliste. Die Klägerin, eine langjährige Mitarbeiterin, wurde im Rahmen eines Personalabbaus entlassen. Sie behauptet, die soziale Auswahl sei grob fehlerhaft, da sie mit einem weniger sozial schutzwürdigen Mitarbeiter vergleichbar sei, der nicht gekündigt wurde. Die Beklagte hält die Kündigung für sozial gerechtfertigt, da die Klägerin aufgrund ihrer vertraglichen Situation nicht mit dem anderen Mitarbeiter vergleichbar sei. Das Arbeitsgericht München hat die Klage abgewiesen, da die Kündigung sozial gerechtfertigt sei und die soziale Auswahl keine groben Fehler aufweise. Die Klägerin hat daraufhin Berufung eingelegt und begründet, dass die Änderungsvereinbarung vom Dezember 2020 die ursprüngliche Versetzungsklausel nicht aufgehoben habe und sie daher mit dem anderen Mitarbeiter vergleichbar sei. Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.


Landesarbeitsgericht München – Az.: 3 Sa 13/22 – Urteil vom 12.05.2022

1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 25.10.2021 – 17 Ca 2864/21 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

&7623 Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen betriebsbedingten Kündigung nach Interessenausgleich mit Namensliste.

Die am 00.00.0000 geborene und verheiratete Klägerin ist bei der Beklagten, die mit zwei weiteren Unternehmen einen gemeinsamen Betrieb bildet, seit dem 01.02.2012 beschäftigt. Nach § 1 Abs. 1 des Anstellungsvertrags vom 19.12.2013 / 07.01.2014 (Anlage K2, Bl. 17 ff. d. A.) wurde die Klägerin mit Wirkung zum 01.02.2014 als „Mitarbeiter im telemedizinischen Servicecenter“ tätig. § 1 dieses Anstellungsvertrags einhielt vier weitere Absätze. Der 5. Absatz lautete:

„Der Arbeitgeber ist berechtigt, dem Mitarbeiter aus betrieblichen Gründen unter Wahrung der Interessen des Mitarbeiters eine andere gleichwertige Tätigkeit oder ein anderen Aufgabengebiet zu übertragen oder den Mitarbeiter an einem anderen Ort einzusetzen, soweit dies den Fähigkeiten und Kenntnissen des Mitarbeiters entspricht.“

In dieser Funktion war die Klägerin als „Teamleiterin Telematrie Team“ für die Leitung eines fünfköpfigen Teams zuständig. Bei der Beklagen werden die Begriffe Teamleiter und Teammanager synonym verwandt. Durch Versetzungsmeldung vom 04.12.2019 (Anlage B1, Bl. 83 d. A.) wies die Beklagte der Klägerin zum 01.01.2020 die Position „Assistenzteamleitung“ in der Organisationseinheit Kundenservice zu. Spätestens ab Mitte 2020 nahm die Klägerin probeweise die Aufgabe als Teamleiterin Kundenservice wahr. Durch Änderungsvereinbarung vom 04.12./12.12.2020 vereinbarten die Parteien Folgendes (Anlage B2, Bl. 84 f. d.A.):

„Der Anstellungsvertrag vom 19.12.2013, zuletzt geändert am 04.11.2020 (richtig: 04.12.2019), wird wie folgt zum 01.01.2021 geändert:

§ 1 Aufgabengebiet

Der Mitarbeiter wird zukünftig in der Organisationseinheit Kundenservice als Teammanager eingesetzt.

§ 3 Arbeitszeit

Als Teammanager gilt für Sie Vertrauensarbeitszeit. …

§ 18 Schlussbestimmungen

Die übrigen Bestimmungen des Anstellungsvertrags vom 19.12.2013 bleiben unberührt.“

Am 04.03.2021 schloss die Beklagte mit dem bei ihr bestehenden Betriebsrat einen Interessenausgleich mit Namensliste (Anlage K6, Bl. 30 ff. d. A.) zum Personalabbau von 30 der ursprünglich 155 Arbeitnehmer. Für die Sozialauswahl der zu kündigenden Arbeitnehmer und für die Erstellung der Namensliste bildeten die Betriebsparteien fünf Vergleichsgruppen und bestimmten in § 5.1 des Interessenausgleichs weiter:

„Es wurde keine Vergleichsgruppe für den nicht-medizinisch tätigen Teamleiter im Kundenservice (Kundenservice / Admin / Telemetrie) gebildet, da es keine vergleichbaren Arbeitnehmer zu diesem gibt.“ (Bl. 34 d. A.)

Dies bezog sich auf die Klägerin auf dem Arbeitsplatz Teamleiterin Kundenservice.

Die Klägerin ist in der Anlage 1 zum Interessenplan bei zuerkannten 91 Sozialauswahlpunkten namentlich genannt. Sie erhielt zuletzt bei einem Arbeitszeitvolumen von 85 % eine jährliche Vergütung von 36.789,24 € brutto.

Nach Anhörung des Betriebsrats mit Schreiben vom 25.02.2021 / 26.02.2021 (Anlage B6, Bl. 101 ff. d. A.) und Massenentlassungsanzeige vom 04.03.2021 (Anlage B9, Bl. 117 ff. d.A.) kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis aus betriebsbedingten Gründen fristgemäß zum 30.06.2021 (Anlage K4, Bl. 26 f. d. A.). Nicht gekündigt wurde dem Teamleiter Logistik / Lager, dem Mitarbeiter M. Dieser ist der Ehegatte der Personalleiterin/ Operation Managerin, geboren am 15.09.1965, ohne unterhaltsberechtigte Kinder und seit Februar 2016 bei der Beklagten beschäftigt. Bei Anwendung des Punkteschemas aus dem Interessenausgleich wären Herrn M. 75 Punkte bei der Sozialauswahl zuerkannt worden.

Mit ihrer rechtzeitig erhobenen Kündigungsschutzklage hat die Klägerin die soziale Rechtfertigung der Kündigung bestritten. Die soziale Auswahl sei grob fehlerhaft i. S. d. § 1 Abs. 5

S. 2 KSchG, weil es die Beklagte unterlassen habe, im Interessenausgleich eine Vergleichsgruppe der nichtmedizinischen Teamleiter zu bilden. Die Versetzungsklausel in § 1 Abs. 5 des Anstellungsvertrags vom 19.12.2013/07.01.2014 sei zu keinem Zeitpunkt eingeschränkt worden. Statt der Klägerin hätte dem als Teamleiter beschäftigten Mitarbeiter M., der weniger sozial schutzwürdig sei, gekündigt werden müssen. Des Weiteren hat die Klägerin Weiterbeschäftigung begehrt.

Die Beklagte hat für ihren erstinstanzlichen Klageabweisungsantrag die Auffassung vertreten, dass die Kündigung sozial gerechtfertigt sei. Die Sozialauswahl nach § 1 Abs. 3 u. 5 KSchG sei in Bezug auf die Klägerin und im Vergleich mit dem Mitarbeiter M. nicht fehlerhaft. Schon gar nicht liege ein grober Fehler vor. Die arbeitsvertragliche Austauschbarkeit der Klägerin im Verhältnis zu dem Mitarbeiter M. sei nicht gegeben. Ausweislich des Änderungsvertrags vom 04.12.2020 / 12.12.2020 sei die Klägerin auf eine Tätigkeit „in der Organisationseinheit Kundenservice als Teammanager“ beschränkt.

Das Arbeitsgericht München hat durch Urteil vom 25.10.2021 – 17 Ca 2864/21 – die Klage abgewiesen. Die Kündigung sei sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 5 und Abs. 3 KSchG, was allein noch zwischen den Parteien streitig gewesen sei. Die soziale Auswahlstelle kein evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG dar. Die fehlende rechtliche Einsetzbarkeit der Klägerin auf dem Arbeitsplatz des Mitarbeiters M. sei nicht grob fehlerhaft verkannt worden. Zwar mag es gegebenenfalls zweifelhaft sein, ob es dem übereinstimmenden Willen der Vertragsparteien bei Abschluss der Änderungsvereinbarung vom Dezember 2020 entsprochen haben mag, auch eine Versetzung – trotz der guten Erfahrungen, die beide Seiten bei den vorangegangenen Einsätzen der Klägerin unstreitig gemacht hätten – auszuschließen. Die Einschätzung der Beklagten, eine solche Versetzungsmöglichkeit sei durch die arbeitsvertragliche Änderungsvereinbarung nun aber ausgeschlossen worden, erscheine keinesfalls evident falsch. Dementsprechend sei auch der Weiterbeschäftigungsantrag abzuweisen.

Gegen dieses, ihrem Prozessbevollmächtigten am 22.12.2021 zugestellte Urteil hat die Klägerin am 10.01.2022 Berufung bei Landesarbeitsgericht München eingelegt und diese nach Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist bis zum 22.03.2022 am 22.03.2022 begründet.

Die streitgegenständliche Kündigung sei unwirksam. Ihre Sozialwidrigkeit ergebe sich aus der groben Fehlerhaftigkeit der getroffenen Sozialauswahl. Grobe Fehlerhaftigkeit im Sinne des § 1 Abs. 5 KSchG sei nur bei der Kernfrage der Sozialauswahl, wie der Vergleich zwischen dem Mitarbeiter Herr M. (75 Punkte) und der Klägerin (91 Punkte) ausgehe, zu prüfen. Demgegenüber habe die Auslegung der Änderungsvereinbarung nichts mit der Privilegierung des Arbeitgebers bei der Sozialauswahl/Namensliste nach § 1 Abs. 5 KSchG zu tun. Die Klägerin und der Mitarbeiter Herr M. hätten in eine gemeinsame Sozialauswahl einbezogen werden müssen, weil die Versetzungsklausel des Anstellungsvertrags i. d. F. vom 19.12.2013/07.01.2014 nicht aufgrund der Änderungsvereinbarung vom 04.12./12.12.2020 weggefallen sei. Bei der Analyse der Änderungsvereinbarung vom 04.12./12.12.2020 ergebe sich, dass nur präzise, punktuelle, explizit genannte Änderungen ab 01.01.2021 wirksam werden sollten. Nur diese könnten die alten vertraglichen Regelungen verdrängen. Deshalb seien nur § 1 Abs. 1 u. 2 des Anstellungsvertrags i. d. F. vom 19.12.2013/07.01.2014 durch die Neuregelung der Arbeitsaufgabe in § 1 der Änderungsvereinbarung vom 04.12.2020/12.12.2020 definiert worden und seine § 1 Abs. 3, Abs. 4 u. Abs. 5 einschließlich der dort geregelten Versetzungsklausel blieben unverändert erhalten.

Die Klägerin beantragt sinngemäß:

1. Das Urteil des Arbeitsgerichts München vom 25.10.2021, Az: 17 Ca 2864/21, wird abgeändert.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Klägerin bei der Beklagten nicht durch ordentliche Kündigung der Beklagten vom 09.03.2021 mit Wirkung zum 30.06.2021 geendet hat.

3. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als Teammanager vertragsgerecht weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die streitgegenständliche Kündigung sei sozial gerechtfertigt, weil sie die soziale Auswahl im Sinne des § 1 Abs. 5 S. 2 i.V.m. § 1 Abs. 3 KSchG wahre. Der Prüfungsmaßstab der groben Fahrlässigkeit im Sinne des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG beschränke sich nach der ständigen Rechtsprechung des BAG nicht auf die sozialen Indikatoren und deren Gewichtung. Vielmehr werde auch die Bildung der auswahlrelevanten Gruppen nur auf ihre grobe Fehlerhaftigkeit überprüft. Die Beklagte habe ohne grobe Fehlerhaftigkeit im vorliegenden Fall davon ausgehen dürfen, dass die Klägerin schon aufgrund ihrer vertraglichen Situation nicht mit dem Mitarbeiter Herr M. vergleichbar sei. Denn die Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern sei u. a. nur zu bejahen, wenn es dem Arbeitgeber möglich sei, den Arbeitnehmer einseitig im Rahmen seines Direktionsrecht auf den anderen Arbeitsplatz umzusetzen oder zu versetzen (arbeitsvertragliche/rechtliche Austauschbarkeit). Dass die Annahme der Beklagten, es liege keine vertragliche Austauschbarkeit vor, nicht grob fehlerhaft gewesen sei, ergebe sich im vorliegenden Fall schon deshalb, weil die Parteien seit dem Kammertermin in der ersten Instanz nur noch über diese Vertragsauslegung stritten. Die ursprüngliche Versetzungsklausel sei in der Änderungsvereinbarung vom 04.12.2020/12.12.2020 nicht mehr vorgesehen. Der Schluss der Klägerin, nur klare, explizite Regelungen der Änderungsvereinbarung könnten die bisherigen vertraglichen Regelungen verdrängen, sei nicht nachvollziehbar. Die Änderungsvereinbarung regele eindeutig, dass der Klägerin nur die vertraglich definierte Tätigkeit zugewiesen werden solle, und zwar ohne Versetzungsmöglichkeit. Hätten die Parteien eine Versetzungsmöglichkeit regeln und eine Konkretisierung auf eine Tätigkeit „in der Organisationseinheit Kundenservice als Teammanager“ vermeiden wollen, hätten sie dies ausdrücklich in der Änderungsvereinbarung aufnehmen müssen. Gleiches gelte für die weiter angesprochenen Regelungen in § 1 Abs. 3 bis 5 des Anstellungsvertrags i. d. F. vom 19.12.2013 / 07.01.2014.

Wegen des weiteren Vorbringens der Parteien wird auf die Schriftsätze der Klägerin vom 23.03.2022 (Bl. 227 – 239 d. A.) und der Beklagten vom 14.04.2022 (Bl. 246 – 257 d. A) und das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 12.05.2022 (Bl. 258 – 261 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist unbegründet.

I.

Die nach § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte Berufung ist form- und fristgemäß eingelegt und begründet worden, §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i. V. m. §§ 519, 520 ZPO, und damit zulässig.

II.

Die Berufung ist jedoch nicht begründet. Das Arbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 09.03.2021 mit Wirkung zum 30.06.2021 aufgelöst worden ist. Die Kündigung ist rechtswirksam, da sie sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 3, Abs. 5 S. 2 KSchG ist. Weitere Unwirksamkeitsgründe sind zwischen den Parteien nicht streitig. Dementsprechend war der Weiterbeschäftigungsantrag unbegründet.

1. Die Kündigung ist nicht deswegen unwirksam, weil die von der Beklagten getroffene Sozialauswahl grob fehlerhaft ist.

a) Nach § 1 Abs. 3 S. 1 KSchG ist eine Kündigung trotz Vorliegens dringender betrieblicher Erfordernisse sozial ungerechtfertigt, wenn der Arbeitgeber bei der Auswahl der Arbeitnehmer die Dauer der Betriebszugehörigkeit, das Lebensalter, die Unterhaltspflichten und die Schwerbehinderung des Arbeitnehmers nicht oder nicht ausreichend berücksichtigt hat. Bei einer Kündigung auf Grund einer Betriebsänderung nach § 111 BetrVG, wie sie hier unstreitig vorliegt, kann die soziale Auswahl der Arbeitnehmer nur auf grobe Fehlerhaftigkeit überprüft werden.

Die Sozialauswahl ist grob fehlerhaft, wenn eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG vorliegt und der Interessenausgleich jede soziale Ausgewogenheit vermissen lässt (vgl. BAG, Urteil vom 19.07.2012 – 2 AZR 352/11 – Rn. 34; Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 516/11 – Rn. 45; Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 478/13 – Rn. 27). Anders als nach § 1 Abs. 4 KSchG, der nur die Bewertung der „sozialen Gesichtspunkte nach § 1 Abs. 3“ KSchG und nicht anderer Auswahlfaktoren einer weitergehenden Prüfung entzieht, ist nach § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG die von den Betriebsparteien in diesem Fall selbst abschließend getroffene Sozialauswahl in jeder Hinsicht an diesem eingeschränkten Maßstab zu messen (vgl. Kreft in MünchHdb ArbR, Band 2: Individualarbeitsrecht II. 5. Aufl. 2021, § 115, Rn. 44). Dies entspricht dem Willen des Gesetzgebers, wie sich aus der Gesetzesbegründung zu § 1 Abs. 5 KSchG ergibt: „Die Überprüfung der Sozialauswahl ist auf grobe Fehlerhaftigkeit beschränkt. Das betrifft die Richtigkeit der Sozialauswahl in jeder Hinsicht, also auch die Frage der Vergleichbarkeit der Arbeitnehmer …“ (zitiert nach Kreft in MünchHdb ArbR, Band 2: Individualarbeitsrecht II. 5. Aufl. 2021, § 115, Rn. 44; hierauf abstellend BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 420/09 – Rn. 29). Auch der Sinn und Zweck des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG rechtfertigen diese Auffassung. Durch

§ 1 Abs. 5 S. 2 KSchG soll den Betriebspartnern ein weiter Spielraum bei der Sozialauswahl eingeräumt werden. Dabei geht das Gesetz davon aus, das durch die Gegensätzlichkeit der von den Betriebspartnern vertretenen Interessen und durch die auf beiden Seiten vorhandenen Kenntnis der betrieblichen Verhältnisse gewährleistet ist, dass dieser Spielraum angemessen und vernünftig genutzt wird. Nur wo dies nicht der Fall ist, sondern der vom Gesetzgeber gewährte Spielraum verlassen wird, so dass der Sache nach nicht mehr von einer „sozialen“ Auswahl die Rede sein kann, darf grobe Fehlerhaftigkeit angenommen werden (vgl. BAG, Urteil vom 03.04.2008 – 2 AZR 879/06 – Rn. 16).

Deshalb bezieht sich der Maßstab der groben Fehlerhaftigkeit auch auf die Bildung des auswahlrelevanten Personenkreises (vgl. BAG, Urteil vom 03.04.2008 – 2 AZR 879/06 – Rn. 29; LAG Rheinland-Pfalz, Urteil vom 10.01.2017 – 8 Sa 221/16 – Rn. 29; aus der Literatur etwa Kreft in MünchHdb ArbR, Band 2: Individualarbeitsrecht II. 5. Aufl. 2021, § 115, Rn. 44; kritisch Ch. Weber in Boecken/Düwell/Diller/Hanau, Gesamtes Arbeitsrecht, 1. Aufl. 2016, § 1 KSchG, Rn. 1468 m. w. Nachw.). Solange gut nachvollziehbare und ersichtlich nicht auf Missbrauch zielende Überlegungen für die – etwa sogar etwa auch fehlerhaft – getroffene Eingrenzung des auswahlrelevanten Personenkreises sprechen, ist die Grenze der groben Fehlerhaftigkeit unterschritten (vgl. BAG, Urteil vom 03.04.2008 – 2 AZR 879/06 – Rn. 17).

Eine grob fehlerhafte Bildung der Vergleichsgruppe kann etwa vorliegen, wenn die Betriebsparteien den auswahlrelevanten Personenkreis der austauschbaren und damit vergleichbaren Arbeitnehmer willkürlich bestimmt oder nach unsachlichen Gesichtspunkten eingegrenzt haben, so dass an sich vergleichbare Arbeitnehmer bei der Sozialauswahl gänzlich außen vor gelassen werden (vgl. LAG Hamm, Urteil vom 05.06.2003 – 4 (16) Sa 1976/02 – unter 1.1. der Gründe), wenn der Kreis der auswahlrelevanten Personen evident verkannt wurde (vgl. BAG, Urteil vom 27.09.2012 – 2 AZR 516/11 – Rn. 45) oder wenn Arbeitnehmer aus der Vergleichbarkeit ausscheiden, die sich erst auf einem bestimmten Arbeitsplatz einarbeiten müssen (vgl. LAG Düsseldorf, Urteil vom 06.07.2011 – 7 Sa 1859/10 – Selbst wenn dem Interessenausgleich aber ein grober Fehler anhaftet, kommt für die es wegen der Rechtswirkung des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG noch nicht zwingend zur Unwirksamkeit der Kündigung. Ein mangelhaftes Auswahlverfahren kann zu einem richtigen – nicht grob fehlerhaften – Auswahlergebnis führen. Entscheidend ist deshalb, dass sich die getroffene Auswahl gerade mit Blick auf den klagenden Arbeitnehmer als grob fehlerhaft erweist, weil ein bestimmter, mit dem gekündigten vergleichbaren Arbeitnehmer in dem nach dem Gesetz erforderlichen Maße weniger schutzwürdig ist (vgl. BAG, Urteil vom 26.03.2015 – 2 AZR 478/13 – Rn.27).

b) Die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, aus denen sich die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl ergibt, liegt grundsätzlich beim Arbeitnehmer, § 1 Abs. 3 S. 3 KSchG. Der Prüfungsmaßstab der groben Fehlerhaftigkeit ändert an der Verteilung der Darlegungslast nichts. Erfüllt der Arbeitgeber seine Auskunftspflicht nach § 1 Abs. 3 S. 3 HS. 2 KSchG, trägt der Arbeitnehmer deshalb die volle Darlegungslast für die Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl. Dabei reicht es nicht aus, dass er die gesetzliche Vermutung erschüttert, er muss vielmehr das Gegenteil beweisen (zu allem vgl. BAG, Urteil vom 17.11.2005 – 6 AZR 107/05 – Rn. 29 m. w Nachw.).

c) Der Klägerin, der seitens der Beklagten ausreichend Auskunft gegeben worden ist, ist es nicht gelungen, die grobe Fehlerhaftigkeit der Sozialauswahl durch die Betriebsparteien darzulegen.

aa) Die Klägerin hat geltend gemacht, die grobe Fehlerhaftigkeit beziehe sich lediglich auf die gesetzlichen Kriterien zur Sozialauswahl. Dieser Auffassung kann auf der Grundlage der ständigen Rechtsprechung des BAG, wie sie vorstehend dargestellt wurde, nicht gefolgt werden. Die Klägerin begründet dies auch nicht aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG, dessen Gesetzesmaterialien, dem Sinn und Zweck oder dem systematischen Zusammenhang der gesetzlichen Regelung. Das Zitat einer Kommentierung zu § 1 Abs. 4 KSchG trägt nicht, weil der für die soziale Auswahl maßgebliche § 1 Abs. 5 S. 2 KSchG eine Beschränkung der groben Fahrlässigkeit auf soziale Gesichtspunkte anders als § 1 Abs. 4 KSchG nicht vorsieht.

bb) Eine grob fehlerhafte Bildung der Vergleichsgruppe liegt nicht deswegen vor, weil die Klägerin bei der Sozialauswahl außen vor gelassen wurde. Die Betriebsparteien haben weder willkürlich noch aus unsachlichen Gesichtspunkten angenommen, dass es an einer Vergleichbarkeit des Klägers mit dem Mitarbeiter Herr M. fehlt.

(1) Die Vergleichbarkeit von Arbeitnehmern bestimmt sich nach der tätigkeitsbezogenen und der arbeitsvertraglichen Austauschbarkeit der Arbeitnehmer (vgl. BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 420/09 – Rn. 31). An der arbeitsvertraglichen Austauschbarkeit fehlt es, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer nicht einseitig auf einen anderen Arbeitsplatz um- oder versetzen kann (vgl. BAG, Urteil vom 10.06.2010 – 2 AZR 420/09 – Rn. 31; Urteil vom 02.06.2005 – 2 AZR 480/04 – unter B. I. 4. a) aa) der Gründe).

(2) Die Klägerin konnte nicht einseitig auf den Arbeitsplatz des Mitarbeiters M versetzt werden. Im Änderungsvertrag vom 04.12./12.12.2020 fehlt es an der erforderlichen Versetzungsklausel. Dies folgt aus der Auslegung des Änderungsvertrags.

Geht man zu Gunsten der Klägerin davon aus, dass wegen der nur einmaligen Verwendung der Änderungsvereinbarung vom 04.12./12.12.2020 eine individuelle Willenserklärung vorliege, wäre sie nach §§ 131, 157 BGB so auszulegen, wie die Parteien sie nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung der Verkehrssitte verstehen mussten. Dabei ist vom Wortlaut auszugehen, zur Ermittlung des wirklichen Willens der Parteien sind jedoch auch die außerhalb der Vereinbarung liegenden Umstände einzubeziehen, soweit sie einen Schluss auf den Sinngehalt der Erklärung zulassen. Vor allem sind die bestehende Interessenlage und der mit dem Rechtsgeschäft verfolgte Zweck zu berücksichtigen. Im Zweifel ist der Auslegung der Vorzug zu geben, die zu einem vernünftigen, widerspruchsfreien und den Interessen beider Vertragspartner gerecht werdenden Ergebnis führt. Haben alle Beteiligte eine Erklärung übereinstimmend in demselben Sinne verstanden, so geht der wirkliche Wille dem Wortlaut des Vertrags und jeder anderweitigen Interpretation vor und setzt sich auch gegenüber einem völlig eindeutigen Vertragswortlaut durch (vgl. BAG, Urteil vom 18.05.2010 – 3 AZR 373/08 – unter I. 3 c) aa) der Gründe).

Danach konnte die Klägerin nicht auf den Arbeitsplatz des Teamleiters Logistik / Lager versetzt werden. Der Wortlaut des § 1 der Änderungsvereinbarung vom 04.12./12.12.2020 enthält im Gegensatz zur früheren Regelung in § 1 des Anstellungsvertrags i. d. F. vom 19.12.2013/ 07.01.2014 keinen Versetzungsvorbehalt. § 1 der Änderungsvereinbarung lässt sich auch nicht entnehmen, dass an den früheren Regelungen festgehalten werden sollte, wie dies durch die Wiedergaben von Punkten („…“) nach der Aufgabenvereinbarung möglich gewesen wäre. Dabei zeigt die Formulierung in § 3 (richtig § 4) mit der Überschrift „Arbeitszeit“, dass die Parteien sehr wohl bei Bedarf umfassende Regelungen getroffen haben. Etwaige Formulierungsfehler oder Unsauberkeiten in den weiteren Paragraphen der Änderungsvereinbarung lassen einen Rückschluss auf den Inhalt des § 1 der Änderungsvereinbarung nicht zu. Die Klägerin hat auch nicht Umstände vorgebracht, die bei der Auslegung heranzuziehen wären. Sie beschränkt sich vielmehr auf Annahmen, wie ein Arbeitgeber allgemein zum Zeitpunkt des Vertragsschlusses unter den Bedingungen einer Pandemie eine Änderungsvereinbarung getroffen hätte. Erforderlich wäre gewesen, dass die Klägerin dem Gericht die den Vertragsschluss begleitende Umstände vorträgt, aus denen sich die konkreten Erwägungen der Beklagten in der damaligen Situation ermitteln ließen (zur Zulässigkeit der Berücksichtigung derartiger Umstände vgl. BAG, Urteil vom 18.05.2010 – 3 AZR 373/08 – unter I. 3 c) aa) der Gründe).

Gegen eine evidente, ins Auge springende erhebliche Abweichung von den Grundsätzen des § 1 Abs. 3 KSchG spricht zudem, dass die Frage, ob die arbeitsvertragliche Regelungen der Parteien eine Versetzungsklausel enthalten oder nicht, von der Klägerin auf vier Seiten ihrer Berufungsschrift erörtert wird.

2. Aufgrund der Wirksamkeit der streitgegenständlichen Kündigung war der Weiterbeschäftigungsanspruch unbegründet.

III.

Die Klägerin hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung gemäß § 97 Abs. 1 ZPO zu tragen.

IV.

Es bestand kein Grund im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG, die Revision zum Bundesarbeitsgericht zuzulassen.

 

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