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Höhe Mutterschutzlohn bei starken Schwankungen des monatlichen Arbeitsentgelts

ArbG Köln – Az.: 18 Ca 3348/20 – Urteil vom 08.09.2021

1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 9.582,52 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 313,28 seit dem 01.08.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.09.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.10.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.11.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.12.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.01.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 213,60 seit dem 01.02.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 84,44 seit dem 01.05.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.06.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.07.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.08.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.09.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.10.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.11.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.12.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.01.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.02.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.03.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.04.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.05.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.06.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.07.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.08.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.09.2021,

zu zahlen;

2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 968,94 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 153,28 seit dem 01.02.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 177,82 seit dem 01.03.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 308,76 seit dem 01.04.2020 und
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 229,08 seit dem 01.05.2020

zu zahlen;

3. Es wird festgestellt, dass die Beklagte verpflichtet ist, an die Klägerin ab dem 01.09.2021 für die Dauer des Beschäftigungsverbots in der Stillzeit einen Betrag in Höhe von EUR 15,24 brutto täglich als MSG- Pauschale zu zahlen.

4. Die Beklagte trägt die Kosten des Rechtsstreits.

5. Der Streitwert beträgt 21.524,26 EUR.

6. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Höhe des der Klägerin zustehenden Mutterschutzlohnes sowie über die Höhe des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld.

Die Klägerin ist Februar 2017 der Beklagten als Flugbegleiterin beschäftigt. Sie ist gemäß dem Tarifvertrag Saisonalitätsmodelle Kabine Nr. 2 (TV SMK, vgl. Anlage B 1 zum SS v. 30.09.2020, Bl. 66 ff. d.A.) in Teilzeit mit einem Jahresarbeitszeitquotienten von 83% der Vollzeitbasis (gemäß Manteltarifvertrag) beschäftigt, wobei die Beschäftigung in den „Sommermonaten“ März bis Oktober im Umfang von 100% der tariflichen Vollzeit und von November bis Februar – durch Gewährung von zusätzlichen Freistellungstagen – im Umfang von 66% der tariflichen Vollzeit erfolgt. Die Klägerin erhält als Entgelt neben den festen Entgeltbestandteilen (Grundgehalt, Schichtzulage, Zuschuss Jobticket) und diversen Sonderzahlungen – die für die streitgegenständlichen Zeiträume zwischen den Parteien nicht streitig sind – als variable Entgeltbestandteile sogenannte Mehrflugstundenvergütungen sowie Bordverkaufsprovisionen. Für die Wintermonate November bis Februar sieht der Tarifvertrag zur Überleitung der Saisonalitätsmodelle für die Mitarbeiter der Kabine der Deutschen Lufthansa AG (TV Überleitung SMK, vgl. Anlage K4 zur Klageschrift, Bl. 29 d. A.) – beginnend mit dem Monat November 2019 – zudem eine monatliche Zahlung von jeweils 400,00 EUR vor.

Im Zeitraum Mai 2018 bis April 2019 erhielt die Klägerin folgende Bruttozahlungen als Mehrflugstundenvergütung bzw. Bordverkaufsprovisionen:

Monat Summe aus Mehrflugstundenvergütung und Bordverkaufsprovisionen in EUR

  • Mai 2018 893,39
  • Juni 2018 766,41
  • Juli 2018 413,30
  • August 2018 641,63
  • September 2018 857,45
  • Oktober 2018 873,70
  • November 2018 552,46
  • Dezember 2018 379,80
  • Januar 2019 0,00
  • Februar 2019 45,00
  • März 2019 53,80
  • April 2019 9,80
Höhe Mutterschutzlohn bei starken Schwankungen des monatlichen Arbeitsentgelts
(Symbolfoto: G-Stock Studio/Shutterstock.com)

Im März 2019 wurde die Klägerin schwanger. Der Eintritt ihrer Schwangerschaft wurde auf den 23.05.2019 bestimmt. Ab dem 10.07.2019 bestand schwangerschaftsbedingt ein Beschäftigungsverbot. Die Beklagte zahlte für den Zeitraum 10.-31.07.2019 die anteiligen fixen Entgeltbestandteile sowie als „Tg. Pauschale Mehrarbeit“ bezeichnete 22,00 EUR als Mutterschutzlohn bezüglich der variablen Entgeltbestandteile. Für die Monate August 2019 bis Oktober 2019 zahlte die Beklagte neben den fixen Entgeltbestandteilen jeweils 30,00 EUR als „Tg. Mehrarbeit Pauschale“ zum Ausgleich der entfallenen variablen Entgeltbestandteile. In November und Dezember 2019 zahlte sie zusätzlich jeweils 400,00 EUR als Winterzulage und für den Zeitraum 01.-15.01.2020 insgesamt 15,00 EUR als Tg. Mehrarbeit Pauschale und 200,00 EUR Winterzulage. Am 19.02.2020 gebar die Klägerin ihr Kind. Für den Zeitraum 16.01.2020 – 28.02.2020 zahlte die Beklagte kalendertäglich 39,67 EUR als Zuschuss zum Mutterschaftsgeld („Tg. Zuschuss. Muttersch. G.“) einschließlich anteiliger Winterzulage und in den Monaten Februar und März 2020 kalendertäglich 32,43 EUR. Im Anschluss an die Mutterschutzfrist nach Entbindung bestand aufgrund fehlender Gefährdungsbeurteilung – bis zum Kammertermin – erneut ein Beschäftigungsverbot für die ihr Kind stillende Klägerin. Die Beklagte zahlte ab diesem Zeitpunkt bis August 2021 wiederum bezogen auf die variablen Entgeltbestandteile als „Tg. Mehrarbeit Pauschale“ Mutterschutzlohn in Höhe von 30,00 EUR monatlich.

Die Klägerin ist der Auffassung, dass bei der Berechnung ihres Mutterschutzlohns ein längerer als der gesetzlich vorgesehene dreimonatige Referenzzeitraum (§ 18 Satz 2 MuSchG) heranzuziehen sei, weil ihre variable Vergütung über das Jahr saisonbedingt stark schwanke und sie bei Zugrundelegung ihres Verdiensts in Februar bis April 2019 über einen unzumutbar langen Zeitraum Mutterschutzlohn auf niedrigstem Gehaltsniveau erhalte. Es sei allein angemessen, auf den Jahresdurchschnitt der vollen Kalendermonate vor Eintritt der Schwangerschaft abzustellen. Dann ergebe sich eine durchschnittliche variable Vergütung in Höhe von 15,24 EUR täglich bzw. 457,20 EUR monatlich. Eine Kürzung von Mutterschutzlohn und Zuschuss zum Mutterschaftsgeld um ihren Teilzeitfaktor sei zudem unzulässig.

Sie beantragt – nach Rücknahme eines in das Ermessen des Gerichts gestellten Entschädigungsantrags (Mindestbetrag 500,00 EUR) – zuletzt:

1. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von EUR 9.582,52 brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 313,28 seit dem 01.08.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.09.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.10.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.11.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.12.2019,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.01.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 213,60 seit dem 01.02.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 84,44 seit dem 01.05.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.06.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.07.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.08.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.09.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.10.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.11.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.12.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.01.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.02.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.03.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.04.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.05.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.06.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.07.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.08.2021,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 427,20 seit dem 01.09.2021,

zu zahlen;

2. die Beklagte zu verurteilen, an sie einen Betrag in Höhe von EUR 968,94 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz

  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 153,28 seit dem 01.02.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 177,82 seit dem 01.03.2020,
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 308,76 seit dem 01.04.2020 und
  • auf einen Betrag i. H. v. EUR 229,08 seit dem 01.05.2020

zu zahlen;

3. festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, an sie ab dem 01.09.2021 einen Betrag in Höhe von EUR 15,24 brutto täglich als MSG- Pauschale während des Beschäftigungsverbots in der Stillzeit zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass für die Berechnung des Mutterschutzlohns in den Zeiten vor und nach den Mutterschutzfristen gemäß § 18 Satz 2 MuSchG auf den Referenzzeitraum Februar bis April 2019 abzustellen sei. Aus den in diesen Monaten gezahlten variablen Entgeltbestandteilen (insgesamt in Höhe von 108,60 EUR) errechne sich ein Monatsschnitt von 36,20 EUR. Dieser sei um den Beschäftigungsquotienten von 83% zu reduzieren, so dass sich bezüglich der variablen Entgeltbestandteile ein täglicher Mutterschutzlohn in Höhe von 1,00 EUR und dementsprechend 30,00 EUR im Monat errechne. Die in den Wintermonaten November bis Februar geschuldete Winterzulage in Höhe von monatlich 400,00 EUR habe sie der Klägerin sowohl während des Bestehens der Beschäftigungsverbote als auch im Zeitraum der Mutterschutzfristen vor und nach der Entbindung – dann als Teil des „Tg. Zuschuss Mutterschaftsgeld“ – gezahlt und damit jeweils den tariflichen Anspruch erfüllt (vgl. insb. Seite 7 und 14 d. SS v. 30.09.2020, Bl. 59 und 62R d.A.).

Eine Abweichung vom dem gesetzlich vorgesehenen Referenzzeitraum zur Ermittlung des Mutterschutzlohns sei nicht geboten. Die Vorschrift des § 18 Satz 2 MuSchG sei aufgrund ihres eindeutigen Wortlauts weder abweichend auslegungsfähig noch individuell anpassbar. Die unterjährigen Schwankungen in den Flugeinsätzen würden innerhalb des Jahres ausgeglichen. Zu berücksichtigungsfähigen Entgeltkürzungen aufgrund von Kurzarbeit, Arbeitsausfall oder unverschuldeter Arbeitsversäumnis sei es nicht gekommen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf einen Mehrflugstundenvergütung auslösenden Einsatz. Es sei auch deshalb nicht angezeigt, den Referenzzeitraum zu verändern, weil die Höhe der jeweils erzielten Bordverkaufsprovisionen unter anderem vom Einsatz der Klägerin abhänge.

Im Rahmen der Berechnung des Mutterschutzlohnes müsse zudem der nach § 18 Satz 2, 21 MuSchG berechnete Durchschnittsverdienst um den Beschäftigungsquotienten der Klägerin reduziert werden, weil der Mutterschutzlohn auch für Freistellungstage gezahlt und ohne Kürzung eine Überkompensation eintreten werde.

Wegen des weiteren Vortrags der Parteien wird auf den Inhalt der wechselseitigen Schriftsätze sowie der Terminsprotokolle verwiesen.

Entscheidungsgründe

I. Der Klageantrag zu 1. ist zulässig und begründet. Die Klägerin kann gemäß § 18 MuSchG von der Beklagten die geltend gemachten Restzahlungen auf den Mutterschutzlohn für die (teilweise anteiligen) Monate Juli 2019 bis August 2021 nebst Zinsen verlangen.

1. Nach § 18 Satz 1 MuSchG erhält eine Frau, die wegen eines Beschäftigungsverbots außerhalb der Schutzfristen vor oder nach der Entbindung teilweise oder gar nicht beschäftigt werden darf, von ihrem Arbeitgeber Mutterschutzlohn. Die Kausalität muss eine ausschließliche in dem Sinne sein, dass die Frau ohne die Einwirkung des Beschäftigungsverbots ihren vollen Vergütungsanspruch gehabt hätte, dieser also nicht durch anderweitige Umstände entfallen oder gemindert wäre (zu § 11 MuSchG aF: BAG, Urteil vom 17. Oktober 2013 – 8 AZR 742/12 -, Rn. 35, juris; Brose/Weth/Volk/Volk, 9. Aufl. 2020, MuSchG § 18 Rn. 29 mwN). Als Mutterschutzlohn wird nach § 18 Satz 2 MuSchG das durchschnittliche Arbeitsentgelt der letzten drei abgerechneten Kalendermonate vor dem Eintritt der Schwangerschaft gezahlt.

2. Die Klägerin wurde vom 10.07.2019 bis zum 15.01.2020 aufgrund eines schwangerschaftsbedingten Beschäftigungsverbots (wohl § 16 Abs. 1 MuSchG) und vom 24.04.2020 bis zum 31.08.2021 aufgrund eines betrieblichen Beschäftigungsverbots (§ 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG) nicht beschäftigt. Anderweitige Umstände, die zu einem Entfallen von Vergütungsansprüchen geführt hätten, sind nicht ersichtlich. Insbesondere haben die Parteien übereinstimmend vorgetragen, dass die Klägerin nicht von einer Kurzarbeitsregelung erfasst war.

3. Die Klägerin konnte danach für die genannten Zeiträume die Zahlung von Mutterschutzlohn von der Beklagten verlangen, was zwischen den Parteien nicht streitig ist. Der Streit betrifft nur die Höhe des auf die variablen Entgeltbestandteile entfallenden Teils des Mutterschutzlohns.

4. Für die Berechnung des der Klägerin mit Blick auf die variablen Vergütungsansprüche zu zahlenden Mutterschutzlohns war nach Auffassung der Kammer auf den Durchschnitt ihrer – durchgängig abgerechneten – variablen Entgelte im Zeitraum Mai 2018 bis April 2019 abzustellen.

Zwar ist in § 18 Satz 2 MuSchG grundsätzlich ein dreimonatiger Referenzzeitraum für die Ermittlung des durchschnittlichen Verdients bei der Berechnung des Mutterschutzlohns vorgesehen. Weil das Arbeitsentgelt der Klägerin in Bezug auf die variablen Entgeltbestandteile aufgrund der Volatilität der Flugeinsätze indes über das Kalenderjahr sehr starken Schwankungen unterworfen war (zwischen 893,39 EUR in Mai 2018 und 0,00 EUR in Januar 2019 bzw. zwischen 2.371 EUR im Zeitraum August 2018 bis Oktober 2018 und 108,60 EUR in Februar bis April 2019), kann der Gesetzeszweck bei einer Beschränkung auf den der Schwangerschaft vorangehenden Dreimonatszeitraum nicht verwirklicht werden. Dieser liegt darin, der schwangeren oder stillenden Beschäftigten bei Beschäftigungsverboten vor den Schutzfristen wie auch während der Schutzfristen im Ergebnis durchgehend Leistungen in Höhe des früheren durchschnittlichen Arbeitsentgelts zu gewähren (vgl. Gesetzesbegründung BT-Drs. 18/8963 S. 40). Die Klägerin würde bei Zugrundelegung des nach dem Gesetzeswortlaut vorgesehenen Referenzzeitraums weniger als ein Zehntel ihres im Zwölfmonatszeitraum von Mai 2018 bis April 2019 durchschnittlich erzielten variablen Entgelts beziehen. Mangels tariflich oder vertraglich festgelegter monatlicher Arbeitszeiten kann weder von einem Arbeitsausfall noch (anders als möglicherweise in dem der Entscheidung des LAG Köln vom 21. Dezember 2011 – 8 Sa 1328/10 -, Rn. 51 zugrunde liegenden Sachverhalt) einer unverschuldeten Arbeitsversäumnis im Sinne von § 21 Abs. 2 Nr. 2 MuSchG ausgegangen werden.

Es ergibt sich, dass das gesetzgeberische Ziel der Verdienstsicherung – bei Beibehaltung der Berechnungsmethode (Referenzprinzip statt Entgeltausfallprinzip) nur durch eine angemessene Verlängerung des Referenzzeitraums zu erreichen ist (vgl. dahingehend auch: Rancke, Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit – Betreuungsgeld, MuSchG § 18 Rn. 38; Däubler/Hjort/Schubert/Wolmerath, Arbeitsrecht, MuSchG § 21 Rn. 4; BeckOK ArbR/Dahm, 60. Ed. 1.6.2021, MuSchG § 18 Rn. 17; C. W. Hergenröder in: Henssler/Willemsen/Kalb, Arbeitsrecht Kommentar, 9. Aufl. 2020, § 18 MuSchG, Rn. 6). Angesichts des die Gesetzesauslegung begrenzenden Wortlauts aus Sicht des Normadressaten (vgl. BVerfG, Nichtannahmebeschluss vom 28. Juli 2015 – 2 BvR 2558/14 -, Rn. 61, juris) kommt insoweit nur eine richterliche Rechtsfortbildung in Betracht. Hierfür bestehen nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts erweiterte richterliche Gestaltungsmöglichkeiten, wenn es darum geht, verfassungsmäßigen Rechten des Einzelnen zum Durchbruch zu verhelfen (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 – 1 BvR 472/14 -, BVerfGE 138, 377-397, Rn. 41). So liegt es im Falle der in § 18 MuSchG vorgesehenen Verdienstsicherung bei schwangerschafts- bzw. stillzeitbedingtem Beschäftigungsverbot. Diese soll einen möglichst umfangreichen Entgeltschutz bewirken und verhindern, dass abhängig beschäftigte Frauen unter Inkaufnahme von gesundheitlichen Gefährdungen zum Zwecke der Existenzsicherung während der Beschäftigungsverbote gleichwohl arbeiten (vgl. BAG, Urteil vom 14. Dezember 2011 – 5 AZR 439/10 -, Rn. 18; Rancke, Mutterschutz – Elterngeld – Elternzeit – Betreuungsgeld, MuSchG vor § 18 Rn. 4; Brose/Weth/Volk/Volk, 9. Aufl. 2020, MuSchG § 18 Rn. 2). Sie dient damit dem Gesundheitsschutz der schwangeren oder stillenden Frau und ihres Kindes einerseits und der selbstbestimmten Entscheidung der Frau über ihre Erwerbstätigkeit andererseits und sic hert ihre Rechte aus Art. 2 Abs. 2 und Art. 12 Abs. 1 GG.

Die Rechte der Beklagten, die als Arbeitgeberin durch den höheren finanziellen Aufwand zur Bestreitung des Mutterschutzlohns betroffen ist, treten hinter den Belangen der Klägerin und ihres Kindes zurück. Umso klarer eine nach vorstehenden Grundsätzen gebotene Rechtsfortbildung dem Gericht durch die Verfassung vorgezeichnet ist umso weiter reicht die Befugnis der Gerichte, diese Position – auch unter Belastung einer gegenläufigen, aber schwächeren Rechtsposition – durchzusetzen (BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2015 – 1 BvR 472/14 -, BVerfGE 138, 377-397, Rn. 42). Die vom Gesetzgeber mit der Neufassung des Mutterschutzgesetzes – auch – intendierte Erleichterung der Umsetzung der mutterschutzrechtlichen Vorgaben (vgl. BT-Drs. 18/8963 S. 40) beschränkt sich auf eine administrative Vereinfachung für die Arbeitgeber, da durch Vereinheitlichung der Berechnungsvorgaben (in § 21 MuSchG nF) der zuvor gegebene Mehraufwand entfällt (vgl. BR-Drs. 230/16 S. 104). Es handelt sich nicht um ein ausschlaggebendes Gegeninteresse der Beklagten, auch wenn nunmehr gegebenenfalls eine Einzelfallbetrachtung notwendig wird. Die finanzielle Mehrbelastung bei abweichendem Referenzzeitraum greift zwar in ihre Rechte ein (Art. 2 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG), wird durch das Umlageverfahren und den Erstattungsanspruch nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 und 2 AAG aber weitgehend relativiert.

Die Kammer hat – wie auch von der Klägerin vertreten und zur Bezifferung ihrer Anträge berechnet – eine Erstreckung des für die Berechnung ihres Durchschnittsverdiensts heranzuziehenden Zeitraums auf die zwölf der Schwangerschaft unmittelbar vorangehenden, abgerechneten Kalendermonate für angemessen gehalten. Angesichts der Gesamtdauer der möglichen Beschäftigungsverbote und der sich jährlich wiederholenden saisonalen Schwankungen im Einsatz und Verdienst der Klägerin erscheint eine Entgeltsicherung auf dem Niveau des der Schwangerschaft vorangegangenen Jahres – unter Beachtung dauerhafter Entgeltsteigerungen (§ 21 Abs. 4 MuSchG) – als sachgerecht und generalisierbar.

Dass die Höhe der erzielten Bordverkaufsprovisionen auch von der Arbeitsleistung der Klägerin abhängt, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Es ist nicht erkennbar, dass die geringe Höhe der variablen Vergütung in Februar bis April 2019 aufgrund verminderter persönlichen Leistungserbringung oder ungewöhnlich langer Krankheitszeiten zustande gekommen wäre. Vielmehr sind auch aus Sicht der Beklagten (vgl. Seite 11 d. SS v. 30.09.2020, Bl. 61 d.A.) in diesem Zeitraum von der Klägerin trotz der geringen Anzahl an Flugstunden relativ hohe Bordverkaufsprovisionen erzielt worden.

Hinsichtlich der Berechnung des Klagebetrags im Einzelnen bezieht die Kammer sich auf die Darlegungen der Klägerin (vgl. Seite 4 d. SS v. 10.12.2020, Bl. 91 d.A.), wobei anzumerken ist, dass der von ihr zugrunde gelegte Monatsschnitt von 457,20 EUR (statt 457,23 EUR) Ergebnis einer doppelten Rundung ist. Die Kammer hat die Klage insoweit als abschließend verstanden.

Dass ihr aufgrund entsprechend ihrem Teilzeitfaktor gebotener Quotierung der Auslösegrenze eine höhere Mehrflugstundenvergütung zugestanden hätte, hat die Klägerin nicht geltend gemacht.

Eine Quotierung des Mutterschutzlohns um die Teilzeitquote der Klägerin oder den „Beschäftigungsquotienten“ von 83% war entgegen der Auffassung der Beklagten nicht geboten. Durch die Durchschnittsberechnung (Gesamtverdienst im Referenzzeitraum / Anzahl der Monate / 30 Kalendertage) ist bereits sichergestellt, dass auch für arbeitsfreie Tage nicht der an einem Arbeitstag erzielte Verdienst angesetzt wird.

5. Die von der Beklagten in den Monaten November 2019 bis Februar 2020 sowie November 2020 bis Februar 2021 jeweils geleistete Winterzulage führte nicht zur Erfüllung der jeweiligen Ansprüche der Klägerin aus § 18 bzw. § 20 MuSchG. Die Beklagte hat im Kammertermin ausdrücklich erklärt, diese Leistungen zur Vermeidung einer Diskriminierung der Klägerin wegen des Geschlechts auf den tariflichen Anspruch aus § 1 (1) TV Überleitung SMK geleistet zu haben. Die entsprechenden Zahlungen konnten aufgrund der damit feststehenden besonderen Tilgungsbestimmung nicht als Erfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) der streitgegenständlichen Ansprüche gewertet werden, wenngleich die Kammer davon ausgeht, dass die Winterzulage alleine im Synallagma zur Arbeitsleistung steht und ein entsprechender Zahlungsanspruch der Klägerin während der Dauer der Beschäftigungsverbote nicht bestand (§§ 275 Abs. 1, 326 Abs. 1 BGB).

6. Der Zinsanspruch folgt – bei Fälligkeit zum 27. oder 28. des jeweiligen Monats – jeweils aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

II. Auch der Klageantrag zu 2. ist begründet. Die Klägerin kann gemäß §§ 20 Abs. 1, 21 MuSchG von der Beklagten für den Zeitraum 16.01.2020 bis 23.04.2020 einen weiteren Zuschuss zum Mutterschaftsgeld in beantragter Höhe nebst Zinsen verlangen. Auf die klägerische Berechnung wird Bezug genommen (vgl. Seite 3 f. d. SS v. 25.02.021, Bl. 111 f. d.A.). Hinsichtlich der Einbeziehung der durchschnittlichen variablen Entgeltbestandteile gilt das unter I. Gesagte entsprechend. Den Referenzzeitraum nach § 20 Abs. 1 Satz 2 MuSchG bildeten die Monate Oktober bis Dezember 2019. Hierdurch änderte sich die Höhe der zugrunde zu legenden durchschnittlichen Variable nicht, da die in diesem Zeitraum gezahlte Tg. Mehrarbeit Pauschale aus dem Durchschnitt der Monate Mai 2018 bis April 2019 zu berechnen war. Eine Teilerfüllung (§ 362 Abs. 1 BGB) durch Zahlung der anteiligen Winterpauschale für den Zeitraum 16.01. – 28.02.2020 ist nicht eingetreten, weil die Beklagte ausweislich ihrer ausdrücklichen Erklärung – auch im Kammertermin – die entsprechende Aufstockung der als „Tg. Zuschuss. Muttersch. G.“ bezeichneten Leistungen um die anteilige Winterzulage nicht in Erfüllung der klägerischen Ansprüche gemäß § 20 MuSchG, sondern als tariflich geschuldete Zahlung geleistet hat.

Soweit die Klägerin in ihrem Antrag die Verurteilung der Beklagten zur Zahlung einer Nettovergütung geltend gemacht hat, hat die Kammer dies als bloß klarstellende Aufnahme einer Rechtsauffassung im Antrag verstanden. Eine Aufnahme in den Urteilstenor hatte zu unterbleiben, weil die Gerichte für Arbeitssachen nicht mit Bindung für die Steuerbehörden und Finanzgerichte sowie die Krankenkassen festlegen können, ob ein Betrag abgabenpflichtig ist oder nicht (vgl. zuletzt BAG, Urteil vom 24. Februar 2021 – 10 AZR 130/19 -, Rn. 34 ff., juris). Das Bestehen einer Nettolohnabrede stand nicht im Raum.

Der Zinsanspruch folgt wiederum aus §§ 286, 288 Abs. 1 BGB.

III. Der Klageantrag zu 3. ist zulässig und begründet.

1. Der Feststellungsantrag ist als Zwischenfeststellungsklage gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. § 256 Abs. 2 ZPO zulässig. Die zur Entscheidung gestellte Rechtsfrage ist für die Entscheidung über den Klageantrag zu 1. vorgreiflich und hat Bedeutung für zukünftige Mutterschutzlohnansprüche der Klägerin. Entgegen der Auffassung der Beklagten (vgl. Seite 4 f. des SS v. 08.01.2021, Bl. 99R f. d.A.) fehlt es dem Feststellungsantrag nicht an der notwendigen Bestimmtheit. Es ist ohne weiteres erkennbar, dass die Klägerin Bezahlung eines auf die variablen Entgeltbestandteile entfallenden Mutterschutzlohns für die Dauer des aktuell noch nach § 13 Abs. 1 Nr. 3 MuSchG bestehenden Beschäftigungsverbots verlangt.

2. Der Antrag ist auch begründet. Aufgrund der gebotenen Erstreckung des Referenzzeitraums des § 18 Satz 2 MuSchG auf die Monate Mai 2018 bis April 2019 ergibt sich für die Fortdauer des bestehenden Beschäftigungsverbots ein durchschnittlicher Mutterschutzlohn-Tagessatz in Höhe von 15,24 EUR.

IV. Die Beklagte hat gemäß § 46 Abs. 2 ArbGG iVm. §§ 91 Abs. 1 Satz 1, 269 Abs. 3 Satz 2 ZPO die Kosten des Rechtstreits zu tragen, wobei die Kammer hinsichtlich der Teilklagerücknahme auf den Rechtsgedanken des § 92 Abs. 2 Nr. 1 und Nr. 2 ZPO abgestellt hat.

V. Der Streitwert war nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen und ist mit dem Wert der Zahlungsanträge sowie – entsprechend der Anregung der Klägerin – mit dem 24-fachen monatlichen Betrag des festgestellten Tagessatzes bemessen.

VI. Die Berufung war aufgrund grundsätzlicher Bedeutung nach § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG gesondert zugelassen.

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