Ein gekündigter Domkapellmeister forderte seinen Job zurück, doch die Frage der Honorarkräfte bei Mitarbeiterzahl wurde für seinen Fall entscheidend. Ob die freien Musiklehrer zur Belegschaft gehörten, entschied darüber, ob der Kündigungsschutz für ihn überhaupt galt.
Übersicht:
- Der Fall vor Gericht
- Zählen freie Musiklehrer als Mitarbeiter beim Kündigungsschutz?
- Warum war die Kündigung formal überhaupt gültig?
- Wie ermittelte das Gericht die genaue Mitarbeiterzahl?
- Sind Honorarkräfte nicht doch heimliche Arbeitnehmer?
- Bilden Stiftung und Erzdiözese keinen gemeinsamen Betrieb?
- Wieso bekam der Domkapellmeister trotzdem ein Zwischenzeugnis?
- Die Urteilslogik
- Benötigen Sie Hilfe?
- Experten Kommentar
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Wie viele Mitarbeiter muss mein Arbeitgeber haben, damit der Kündigungsschutz gilt?
- Werden Honorarkräfte und freie Mitarbeiter bei der Berechnung der Mitarbeiterzahl mitgezählt?
- Wie muss ich reagieren, wenn das Kündigungsschreiben formal fehlerhaft erscheint?
- Unter welchen Voraussetzungen bilden zwei getrennte Unternehmen einen rechtlichen Gemeinschaftsbetrieb?
- Welche Ansprüche habe ich nach einer Kündigung, wenn das Kündigungsschutzgesetz nicht greift?
- Glossar
- Das vorliegende Urteil
Zum vorliegenden Urteil Az.: 2 Ca 230/24 | Schlüsselerkenntnis | FAQ | Glossar | Kontakt
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Arbeitsgericht Freiburg (Breisgau)
- Datum: 29.10.2024
- Aktenzeichen: 2 Ca 230/24
- Verfahren: Kündigungsschutzklage und Zeugnisanspruch
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht, Kündigungsschutz, Vertragsrecht
- Das Problem: Ein Domkapellmeister klagte gegen seine Kündigung durch den kirchlichen Träger der Dommusik. Er wollte gerichtlich feststellen lassen, dass sein Arbeitsvertrag trotz der Kündigung weiterbesteht und forderte ein Zwischenzeugnis.
- Die Rechtsfrage: Gilt das Kündigungsschutzgesetz für diesen kirchlichen Betrieb? Entscheidend war die Frage, ob die auf Honorarbasis tätigen Lehrkräfte bei der Zählung der Mitarbeiter mitzurechnen sind.
- Die Antwort: Die Kündigung ist wirksam, weil das Kündigungsschutzgesetz nicht anwendbar war. Das Gericht entschied, dass die Honorarkräfte keine Arbeitnehmer sind und der Betrieb damit zu klein für den vollen Kündigungsschutz ist. Der Kläger erhielt aber Anspruch auf ein Zwischenzeugnis.
- Die Bedeutung: Das Urteil bestätigt, dass die Zurechnung von Honorarkräften zum Personalbestand arbeitsrechtlich streng geprüft wird. Kleinere Betriebe, die viele freie Mitarbeiter beschäftigen, sind dadurch oft vom strengen gesetzlichen Kündigungsschutz ausgenommen.
Der Fall vor Gericht
Zählen freie Musiklehrer als Mitarbeiter beim Kündigungsschutz?
Ein Domkapellmeister, seit über zwanzig Jahren das musikalische Herz eines berühmten Münsters, erhält seine Kündigung. Ein Schock, aber er wähnt sich sicher – geschützt durch das deutsche Kündigungsschutzgesetz. Sein Arbeitgeber, eine kirchliche Stiftung, sieht das anders. Sie sei ein Kleinbetrieb, zu klein für den Kündigungsschutz. Damit beginnt ein juristisches Zahlenspiel, bei dem es um eine Frage geht: Ist eine freie Musiklehrerin, die zweimal die Woche Geigenunterricht gibt, eine Arbeitnehmerin? Die Antwort entscheidet darüber, ob eine jahrzehntelange Karriere endet. Das Arbeitsgericht Freiburg musste diese Frage klären.
Warum war die Kündigung formal überhaupt gültig?
Der Domkapellmeister attackierte zunächst die Form. Die Kündigung kam auf dem Briefpapier der Erzdiözese, nicht auf dem der Stiftung, die formal seine Arbeitgeberin war. Unterschrieben hatte der Dompropst mit einer Einzelvollmacht. Der Musiker rügte diese Vertretung als unwirksam. Ein kluger juristischer Ansatzpunkt.

Das Gericht durchkreuzte diese Argumentation mit zwei Hieben. Zuerst legte es die Erklärung aus Sicht eines objektiven Empfängers aus, wie es das Gesetz in § 133 BGB vorsieht. Der Inhalt des Schreibens bezog sich eindeutig auf das Arbeitsverhältnis mit der Stiftung. Die beigelegte Vollmacht untermauerte, wer hier im Namen des Arbeitgebers handelte. Der fremde Briefkopf allein machte die Erklärung nicht ungültig.
Der entscheidende Punkt war ein anderer. Wer eine Kündigung wegen fehlender Vertretungsmacht zurückweisen will, muss das unverzüglich tun. Das verlangt § 174 BGB. Der Domkapellmeister versäumte diese sofortige Rüge. Spätestens mit der Klageerwiderung im Prozess machte die Stiftung dann unmissverständlich klar, dass sie hinter der Kündigung steht. Juristen nennen diesen Akt Genehmigung (§§ 177, 184 BGB). Eine einmal genehmigte Erklärung wird wirksam – ganz gleich, ob die ursprüngliche Vollmacht perfekt war oder nicht. Die formalen Einwände waren vom Tisch.
Wie ermittelte das Gericht die genaue Mitarbeiterzahl?
Jetzt begann die eigentliche Rechenarbeit. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) greift erst, wenn ein Betrieb regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (§ 23 Abs. 1 KSchG). Liegt die Zahl darunter, kann der Arbeitgeber ohne Angabe von sozialen Gründen ordentlich kündigen.
Das Gericht analysierte die Personalstruktur der Domsingschule. Es zählte nicht einfach Köpfe, sondern rechnete die Arbeitszeitanteile zusammen. Elf festangestellte Teilzeitkräfte ergaben zusammen 7,75 Vollzeitstellen. Das Gericht zählte fairerweise noch einen Domorganisten (plus 0,5) und eine neu geschaffene, für den Betrieb typische Stimmbildnerstelle (plus 0,5) hinzu. So kam es auf eine Summe von 8,75. Damit war die magische Grenze von 10,0 noch nicht erreicht. Eine Büroleiterposition, die in den letzten drei Jahren nur elf Monate besetzt war, wertete das Gericht als nicht „regelmäßig“ beschäftigt und ließ sie aus der Rechnung heraus. Das Ergebnis: Der Domkapellmeister genoss keinen allgemeinen Kündigungsschutz.
Sind Honorarkräfte nicht doch heimliche Arbeitnehmer?
Der Domkapellmeister sah das anders. Er argumentierte, die zahlreichen freien Lehrkräfte der Domsingschule seien in Wahrheit Arbeitnehmer. Sie nutzten die Räume, bekämen Schüler zugewiesen und er selbst mache als Leiter Vorgaben. Würden diese Honorarkräfte mitzählen, wäre die Schwelle von zehn Mitarbeitern locker übersprungen.
Das Gericht folgte dieser Sicht nicht. Es prüfte den Status der freien Mitarbeiter anhand des Arbeitnehmerbegriffs aus § 611a BGB. Das Kernkriterium ist die persönliche Abhängigkeit, insbesondere die Weisungsgebundenheit bezüglich Zeit, Ort und Inhalt der Arbeit. Die Richter stellten fest: Die Instrumentallehrer, Stimmbildner und Früherzieherinnen waren Fachexperten. Sie erhielten keine detaillierten Anweisungen zur Lehrmethode oder zum Lehrplan. Der Austausch mit dem Domkapellmeister über Schülerfortschritte war Kooperation, keine arbeitsrechtliche Weisung. Die bloße Organisation – wie die Bereitstellung von Räumen oder die Zuweisung von Schülern – macht aus einem selbstständigen Musiklehrer noch keinen Arbeitnehmer. Diese Abgrenzung ist ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts.
Auch das viel beachtete „Herrenberg-Urteil“ des Bundessozialgerichts, das Musikschullehrer als sozialversicherungspflichtig eingestuft hatte, änderte nichts. Das Arbeitsgericht betonte: Arbeitsrecht und Sozialversicherungsrecht verfolgen unterschiedliche Ziele. Die arbeitsrechtliche Einordnung als Arbeitnehmer bleibt eine eigenständige Prüfung, die sich auf die Weisungsgebundenheit im Vertragsverhältnis konzentriert.
Bilden Stiftung und Erzdiözese keinen gemeinsamen Betrieb?
Ein letzter Versuch des Klägers war die Behauptung, sein Arbeitgeber – die kleine Stiftung – und die riesige Erzdiözese bildeten einen „Gemeinschaftsbetrieb„. Wäre das der Fall gewesen, hätte man alle Arbeitnehmer beider Institutionen zusammenzählen müssen. Der Kündigungsschutz wäre ihm sicher gewesen.
Auch hier stellte das Gericht klare Kriterien auf. Ein Gemeinschaftsbetrieb liegt nur vor, wenn Betriebsmittel und Mitarbeiter von einer einheitlichen Leitung gemeinsam für einen arbeitstechnischen Zweck eingesetzt werden. Es muss einen gemeinsamen Leitungsapparat geben, der über wesentliche Personalfragen entscheidet. Das Gericht fand dafür keine Anhaltspunkte. Die Domsingschule hatte eigene Räume, eine eigene Dienstplanung und eine getrennte Organisation. Personelle Überschneidungen in der Leitungsebene oder die Abwicklung von Gehältern über die Bistumskasse reichten nicht aus, um eine solch enge Verflechtung anzunehmen. Die Stiftung blieb ein eigenständiger Betrieb – ein Kleinbetrieb.
Wieso bekam der Domkapellmeister trotzdem ein Zwischenzeugnis?
Obwohl die Kündigungsschutzklage scheiterte, war der Gang zum Gericht für den Domkapellmeister nicht völlig umsonst. Er hatte auch die Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses verlangt. Diesem Antrag gab das Gericht statt. Die anwendbare kirchliche Arbeitsvertragsordnung (§ 41 Abs. 2 AVO) sieht einen solchen Anspruch bei einem triftigen Grund vor. Die bevorstehende Beendigung des Arbeitsverhältnisses nach einer so langen Dienstzeit war ein solcher Grund. Der Einwand der Stiftung, der Musiker hätte das Zeugnis erst außergerichtlich anfordern müssen, zählte nicht. Die Stiftung hatte seit Klageerhebung genug Zeit zur Ausstellung gehabt und nichts getan. So wurde sie zur Erteilung des Zwischenzeugnisses verurteilt. Die Kosten des Rechtsstreits teilte das Gericht entsprechend dem jeweiligen Sieg und der Niederlage auf: Der Domkapellmeister trug drei Viertel, die Stiftung ein Viertel.
Die Urteilslogik
Das Arbeitsrecht zieht eine scharfe Grenze zwischen Arbeitnehmern und Selbstständigen, deren Status direkt über die Anwendbarkeit grundlegender Schutzgesetze entscheidet.
- Entscheidendes Kriterium der Zurechnung: Honorarkräfte gelten nur dann als Arbeitnehmer im Sinne des Kündigungsschutzgesetzes, wenn sie persönlich weisungsgebunden arbeiten; die bloße Organisation der Tätigkeit, wie die Zuweisung von Schülern oder die Nutzung von Betriebsmitteln, begründet keine Zählpflicht für den Arbeitgeber.
- Genehmigung heilt Formfehler: Der Empfänger einer Kündigung muss einen Mangel in der Vertretungsmacht sofort (unverzüglich) zurückweisen; versäumt er diese Rüge, kann der Arbeitgeber die Kündigung nachträglich genehmigen und sie so rechtswirksam machen.
- Anforderungen an den Gemeinschaftsbetrieb: Eine Zusammenrechnung der Mitarbeiterzahl aus formal getrennten Organisationseinheiten setzt voraus, dass eine gemeinsame, einheitliche Leitung Personal und Betriebsmittel für einen arbeitstechnischen Zweck steuert.
Diese Grundsätze verdeutlichen, dass die korrekte Definition des Arbeitnehmerstatus und des Betriebsbegriffs ausschlaggebend für die Geltung des Kündigungsschutzes im Kleinbetrieb ist.
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Experten Kommentar
Viele Arbeitgeber, die mit freien Mitarbeitern arbeiten, spekulieren oft auf einen Rechenfehler. Dieses Urteil bestätigt klar: Wer die Zehn-Personen-Grenze im Kleinbetrieb knacken will, muss beweisen, dass die Honorarkraft wirklich weisungsgebunden ist. Die Abgrenzung ist schwierig, aber die Botschaft ist eindeutig: Die bloße Zuweisung von Schülern oder die Nutzung der Betriebsmittel reichen nicht aus, um spezialisierte Musiklehrer für den Kündigungsschutz mitzuzählen. Das Gericht hält konsequent daran fest, dass Sozialversicherungsrecht und Arbeitsrecht getrennte Wege gehen. Kleine Betriebe gewinnen damit die Gewissheit, dass sie ihre Personalstruktur auf Grundlage des strikten Kriteriums der Weisungsgebundenheit planen können.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Wie viele Mitarbeiter muss mein Arbeitgeber haben, damit der Kündigungsschutz gilt?
Der allgemeine Kündigungsschutz greift erst, wenn Ihr Betrieb regelmäßig mehr als zehn Mitarbeiter in Vollzeitäquivalenten beschäftigt. Die genaue Mitarbeiterzahl berechnet sich nicht nach Köpfen, sondern nach dem tatsächlichen Arbeitszeitanteil der Angestellten. Nur wenn die Zahl 10,01 oder mehr erreicht, findet das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) Anwendung.
Die Regelung soll Kleinbetriebe vor übermäßiger bürokratischer Belastung schützen und basiert auf § 23 Abs. 1 KSchG. Bei der Ermittlung der Mitarbeiterzahl werden Teilzeitkräfte anhand ihres Stundenanteils gewertet. Eine Kraft, die 20 Stunden pro Woche arbeitet, zählt zum Beispiel als 0,5 Vollzeitäquivalent (FTE). Entscheidend ist außerdem, dass die Positionen „regelmäßig“ besetzt sind; kurzfristige Aushilfen oder unregelmäßig besetzte Stellen bleiben oft unberücksichtigt.
Wie streng diese Zählweise ist, zeigt die Prüfung der Personalstruktur in einem Gerichtsurteil. Obwohl elf festangestellte Teilzeitkräfte gezählt wurden, ergab die Umrechnung in Arbeitszeitanteile nur 8,75 Vollzeitäquivalente. Weil die Schwelle von 10,0 nicht erreicht wurde, genoss der gekündigte Arbeitnehmer keinen allgemeinen Kündigungsschutz. Selbst minimale rechnerische Abweichungen entscheiden somit darüber, ob der Schutz des KSchG überhaupt greift.
Beschaffen Sie sich die Personalübersicht und rechnen Sie die vertraglichen Wochenstunden aller Kollegen umgehend in Vollzeitäquivalente um.
Werden Honorarkräfte und freie Mitarbeiter bei der Berechnung der Mitarbeiterzahl mitgezählt?
Leider zählt das Arbeitsgericht Honorarkräfte und freie Mitarbeiter nicht zur relevanten Mitarbeiterzahl für den Kündigungsschutz. Bei der Berechnung, ob ein Betrieb die Schwelle von zehn Mitarbeitern überschreitet, zählt nur, wer echter Arbeitnehmer ist. Selbst wenn zahlreiche freie Mitarbeiter täglich in den Räumlichkeiten anwesend sind, zählt für das Gericht einzig die vertraglich vereinbarte persönliche Abhängigkeit.
Entscheidend für die Einstufung ist das Kernkriterium der Weisungsgebundenheit, wie es § 611a BGB festlegt. Nur wer persönlich weisungsgebunden in Bezug auf Zeit, Ort und Inhalt der Arbeitsleistung tätig ist, gilt als Arbeitnehmer und zählt mit. Fachexperten, etwa selbstständige Trainer oder Musiklehrer, die ihre Lehrmethoden frei wählen, erfüllen dieses Kriterium oft nicht. Der bloße Austausch über den Fortschritt von Projekten oder Schülern wird juristisch als Kooperation, nicht als zwingende arbeitsrechtliche Weisung gewertet.
Die Bereitstellung von Betriebsmitteln oder die Zuweisung von Schülern an freie Mitarbeiter stellt keine arbeitsrechtliche Weisung dar, sondern dient der Organisation. Die bloße Organisation macht aus einem selbstständigen Vertragspartner noch keinen Arbeitnehmer. Achten Sie darauf, dass eine mögliche Einstufung als scheinselbstständig im Sozialversicherungsrecht für den Kündigungsschutz irrelevant ist und immer eine eigenständige Prüfung erfordert.
Erstellen Sie eine Liste aller freien Mitarbeiter und prüfen Sie kritisch, ob diese Anweisungen zur genauen Lehrmethode oder zur verbindlichen Arbeitszeit erhalten.
Wie muss ich reagieren, wenn das Kündigungsschreiben formal fehlerhaft erscheint?
Wenn Ihr Kündigungsschreiben offensichtliche Formfehler aufweist – etwa, weil eine nicht bevollmächtigte Person unterschrieben hat – ist die schnelle Reaktion entscheidend. Eine Kündigung, die von einer Person ohne Originalvollmacht unterzeichnet wurde, müssen Sie unverzüglich zurückweisen. Versäumen Sie diese sofortige Reaktion, riskieren Sie, dass der anfängliche Formfehler später keine Rolle mehr spielt und die Kündigung wirksam wird.
Der Gesetzgeber verlangt nach § 174 BGB eine sofortige Zurückweisung der Kündigung, falls dem Schreiben keine Originalvollmachtsurkunde des Unterzeichners beigefügt war. Die Frist für diese sogenannte Rügepflicht beträgt in der Regel nur wenige Tage. Allein formelle Mängel, wie der Gebrauch eines falschen Briefkopfes, machen die Erklärung nicht automatisch ungültig. Gerichte beurteilen den Inhalt objektiv und prüfen, ob aus Empfängersicht klar ist, welches Arbeitsverhältnis beendet werden soll.
Trotz anfänglicher Formfehler kann der Arbeitgeber die Erklärung im Nachhinein wirksam machen. Dies geschieht, wenn er die Kündigung nachträglich genehmigt, zum Beispiel im Zuge des Kündigungsschutzprozesses. Weil Sie die unverzügliche Rüge versäumt haben, gilt die Kündigung ab diesem Moment als geheilt und ist formal nicht mehr angreifbar. Das Versäumen der kurzen Frist ist daher oft fatal für die Strategie, eine Kündigungsschutzklage allein auf Formfehler zu stützen.
Ist die Vertretungsmacht zweifelhaft, senden Sie sofort ein Einschreiben an den Arbeitgeber, um die Kündigung gemäß § 174 BGB wegen fehlender Vollmacht zurückzuweisen.
Unter welchen Voraussetzungen bilden zwei getrennte Unternehmen einen rechtlichen Gemeinschaftsbetrieb?
Die Anforderungen an einen Gemeinschaftsbetrieb sind streng. Er liegt nur vor, wenn formal getrennte Unternehmen Betriebsmittel und Personal nicht nur kooperativ, sondern unter einer einheitlichen, gemeinsamen Leitung zusammenfassen. Entscheidend ist, dass diese Leitung die Personalhoheit beider Einheiten zentralisiert wahrnimmt und auf die Erreichung eines übergeordneten Betriebszwecks abzielt. Verwaltungstechnische Verflechtungen alleine reichen dafür nicht aus.
Der zentrale Nachweis ist die Existenz einer gemeinsamen Leitungsstruktur, die in wesentlichen Personalangelegenheiten – insbesondere bei Einstellungen, Entlassungen und Versetzungen – bindende Entscheidungen für beide Firmen trifft. Bloße organisatorische oder verwaltungstechnische Verflechtungen genügen nicht. Wenn die große Muttergesellschaft lediglich die Gehaltsabrechnung der kleinen Tochter abwickelt, begründet dies keinen gemeinsamen Betrieb im Sinne des Arbeitsrechts. Der Hauptkonzern muss direkt und operativ in die Personalpolitik der kleineren Einheit eingreifen.
Konkret: Existiert in der kleinen Einheit weiterhin eine eigene Dienstplanung, eine lokale Führungskraft entscheidet über Arbeitsanweisungen, und die Organisation bleibt getrennt, liegt kein Gemeinschaftsbetrieb vor. Selbst wenn sich Vorstandsmitglieder beider Firmen personell überschneiden, kann die rechtliche Trennung bestehen bleiben, sofern die Einheiten organisatorisch unabhängig agieren. Die Unternehmen müssen ihre Mitarbeiter tatsächlich gemeinsam für einen übergeordneten, arbeitstechnischen Zweck einsetzen, damit die gemeinsame Leitung bejaht wird.
Um einen Gemeinschaftsbetrieb nachzuweisen, dokumentieren Sie präzise, welche Führungskraft die letztgültigen Entscheidungen über Ihre Einstellung und Ihre konkreten Arbeitsbedingungen getroffen hat.
Welche Ansprüche habe ich nach einer Kündigung, wenn das Kündigungsschutzgesetz nicht greift?
Selbst wenn Sie Ihre Kündigungsschutzklage wegen eines zu kleinen Betriebs verlieren, bedeutet dies nicht das Ende aller Ansprüche. Das Kündigungsschutzgesetz (KSchG) regelt lediglich die soziale Rechtfertigung der Kündigung. Viele wichtige Nebenansprüche bleiben davon unberührt und können vor Gericht erfolgreich geltend gemacht werden, da sie unabhängig von der Betriebsgröße sind. Das gilt insbesondere für alle Ansprüche, die direkt aus dem Arbeitsvertrag oder dem Bürgerlichen Gesetzbuch (BGB) entstehen.
Ein zentraler, unabhängiger Anspruch ist das Recht auf ein qualifiziertes Zeugnis, welches auf den allgemeinen Regelungen des BGB (§ 630 BGB) beruht. Dieses Recht erlischt nicht durch den Verlust des allgemeinen Kündigungsschutzes. Bei der bevorstehenden Beendigung eines langjährigen Arbeitsverhältnisses liegt stets ein triftiger Grund vor, ein qualifiziertes Zwischenzeugnis zu verlangen, da Sie dies dringend für Ihre weiteren Bewerbungen benötigen. Interne Regelwerke, wie kirchliche Arbeitsvertragsordnungen, bestätigen diesen Anspruch oft zusätzlich.
Konkret zeigte sich dies im Fall des Domkapellmeisters. Obwohl er die Kündigungsschutzklage verlor, verurteilte das Gericht seinen Arbeitgeber zur Erteilung eines qualifizierten Zwischenzeugnisses. Dieses Urteil belegt, dass der Gang zum Arbeitsgericht nicht umsonst ist, um notwendige Unterlagen zu erhalten. Selbst wenn Sie nur mit einem Teilanspruch gewinnen, führt der Teilerfolg zur Aufteilung der Gerichtskosten, wodurch sich Ihr finanzielles Risiko reduziert.
Setzen Sie Ihrem ehemaligen Arbeitgeber unverzüglich eine Frist, etwa zehn Tage, um das qualifizierte Zwischen- oder Endzeugnis schriftlich auszustellen.
Hinweis: Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung darstellt und ersetzen kann. Alle Angaben im gesamten Artikel sind ohne Gewähr. Haben Sie einen ähnlichen Fall und konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren. Wir klären Ihre individuelle Situation und die aktuelle Rechtslage.
Glossar
Juristische Fachbegriffe kurz erklärt
Auslegung nach dem objektiven Empfänger
Juristen wenden die Auslegung nach dem objektiven Empfänger (§ 133 BGB) an, um zu bestimmen, wie eine rechtliche Erklärung, wie beispielsweise eine Kündigung, von einem verständigen und unbeteiligten Dritten wahrgenommen werden musste. Dieses juristische Prinzip stellt sicher, dass im Rechtsverkehr nicht der geheime Wille des Erklärenden zählt, sondern die Wirkung, die das Geschriebene oder Gesagte beim Empfänger erzeugen musste.
Beispiel: Obwohl die Kündigung des Domkapellmeisters auf dem Briefpapier der Erzdiözese verschickt wurde, legte das Gericht die Erklärung nach dem objektiven Empfänger so aus, dass sie sich eindeutig auf das Arbeitsverhältnis mit der Stiftung bezog.
Gemeinschaftsbetrieb
Ein Gemeinschaftsbetrieb liegt vor, wenn rechtlich selbstständige Unternehmen ihre Betriebsmittel und Mitarbeiter unter einer einheitlichen, gemeinsamen Leitung zusammenführen und so einen übergeordneten arbeitstechnischen Zweck verfolgen. Das Gesetz stellt hohe Anforderungen an diese Einheitlichkeit, da nur so sichergestellt werden kann, dass der Kündigungsschutz und die Betriebsgröße korrekt über alle beteiligten Unternehmen hinweg ermittelt werden.
Beispiel: Die Stiftung und die Erzdiözese bildeten keinen Gemeinschaftsbetrieb, weil es keine gemeinsame Leitungsstruktur gab, die in wesentlichen Personalfragen bindende Entscheidungen für die Domsingschule traf.
Genehmigung
Als Genehmigung (§§ 177, 184 BGB) bezeichnen Juristen die nachträgliche Zustimmung des Arbeitgebers zu einer ursprünglich unwirksamen Willenserklärung, etwa einer Kündigung, die ohne die nötige Vertretungsmacht ausgesprochen wurde. Durch diese nachträgliche Billigung wird der anfängliche formelle Mangel geheilt, wodurch die Erklärung rückwirkend ab dem Zeitpunkt ihrer Abgabe als wirksam gilt.
Beispiel: Da der Domkapellmeister die Kündigung nicht unverzüglich zurückwies, konnte die Stiftung die Erklärung nachträglich im Kündigungsschutzprozess genehmigen und den Formfehler damit beseitigen.
Unverzügliche Rügepflicht (§ 174 BGB)
Die unverzügliche Rügepflicht ist eine strenge Frist, die dem Empfänger einer Kündigung auferlegt, diese sofort abzulehnen, falls dem Schreiben keine Originalvollmacht des Unterzeichners beigefügt war. Der Gesetzgeber verlangt diese sofortige Reaktion, meist innerhalb weniger Tage, um dem Arbeitgeber zügig Rechtsklarheit über die Gültigkeit der Erklärung zu verschaffen.
Beispiel: Der Domkapellmeister versäumte die Frist zur unverzüglichen Rügepflicht gegen die Unterschrift des Dompropstes, weshalb er den formalen Mangel der fehlenden Vollmacht nicht mehr erfolgreich geltend machen konnte.
Vollzeitäquivalent (FTE)
Das Vollzeitäquivalent (FTE) ist eine Berechnungsgrundlage im Kündigungsschutzrecht, welche die Arbeitszeitanteile von Teilzeitkräften addiert, um die tatsächliche Anzahl an Vollzeitstellen im Betrieb zu ermitteln. Erst wenn der Wert des Vollzeitäquivalents die Schwelle von 10,0 überschreitet, findet das Kündigungsschutzgesetz Anwendung und schützt die Arbeitnehmer vor sozial ungerechtfertigten Kündigungen.
Beispiel: Obwohl die Domsingschule mehr als zehn Teilzeitkräfte beschäftigte, ergab die Umrechnung in Vollzeitäquivalente lediglich 8,75 Stellen, weshalb der Betrieb als Kleinbetrieb galt.
Weisungsgebundenheit
Die Weisungsgebundenheit ist das entscheidende Kriterium, welches den echten Arbeitnehmer von einem selbstständigen Vertragspartner (wie einem Honorarlehrer) unterscheidet. Dieser Begriff beschreibt das Ausmaß der persönlichen Abhängigkeit, die sich insbesondere auf Vorgaben bezüglich Zeit, Ort und Inhalt der konkreten Arbeitsleistung bezieht.
Beispiel: Die freien Musiklehrer der Domsingschule galten nicht als Arbeitnehmer, weil ihnen keine detaillierten Anweisungen zur Lehrmethode erteilt wurden und sie somit nicht persönlich weisungsgebunden waren.
Das vorliegende Urteil
ArbG Freiburg (Breisgau) – Az.: 2 Ca 230/24 – Urteil vom 29.10.2024
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