I. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.05.2021 – Az. 18 Ca 7522/22 – teilweise abgeändert:
1. Auf Antrag der Beklagten wird das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2021 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 81.178,50 EUR brutto aufgelöst.
2.Im Übrigen wird die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.
II. Die Kosten des Rechtsstreits haben die Parteien jeweils zu 50 % zu tragen.
III. Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand
Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung, welche die Beklagte auf verhaltens- und personenbedingte Gründe stützt, einen Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers sowie einen von der Beklagten hilfsweise gestellten Auflösungsantrag.
Die Beklagte ist ein Unternehmen der chemischen Industrie und beschäftigt am Standort Q. etwa 5.800 Mitarbeiter.
Der am 05.07.1973 geborene, verheiratete und zwei Kindern zum Unterhalt verpflichtete, schwerbehinderte Kläger hat ein Studium zum Wirtschaftsingenieur absolviert und ist seit dem 01.05.2000 bei der Beklagten auf der Grundlage eines Arbeitsvertrags vom 29.02.2000, Bl. 17 d. A., beschäftigt. Er wurde zuletzt als Product Manager O. gegen ein monatliches Bruttoentgelt in Höhe von 5.430,00 EUR zuzüglich eines 13. Monatsentgelts in gleicher Höhe und eines jährlichen Bonus in Höhe von 10.588,50 EUR brutto (bei 100%iger Zielerreichung) eingesetzt.
Seit 2017 kam es zu Unstimmigkeiten zwischen den Parteien, nachdem der Kläger gemeint hatte, dass ihm nach einer Neuausrichtung der Vergütungsstruktur ein höheres Entgelt zustünde. Im Nachgang bot die Beklagte dem Kläger im September 2017 den Abschluss eines Aufhebungsvertrags an, den dieser aber ablehnte.
Die Beklagte erteilte dem Kläger mit Schreiben vom 16.10.2017, Bl. 139 d. A., eine Abmahnung (im Folgenden: Abmahnung I). Sie warf ihm darin vor, dass er – nachdem eine Bitte um vorzeitige Beendigung der Arbeit bzw. Arbeit im Homeoffice abgelehnt worden sei – am 10.10.2017 um 16:00 Uhr weisungswidrig an einem Treffen nicht teilgenommen und sich von zu Hause in ein anderes Meeting eingewählt habe. In dem Abmahnungsschreiben untersagte die Beklagte dem Kläger, ohne Abstimmung mit Frau W. oder Herrn Y. außerhalb des betrieblichen Arbeitsplatzes tätig zu sein.
Am 23.10.2017 fehlte der Kläger bei einem Termin zum sogenannten P.. Die Beklagte mahnte den Kläger mit Schreiben vom 01.02.2018 (im Folgenden: Abmahnung II), Bl. 141 d. A., mit der Begründung ab, dass er eine E-Mail mit Kritik von der Abteilungs-Vorgesetzten H. vom 22.01.2018 Kollegen gezeigt und um deren Zustimmung gebeten habe, dass die Bewertung der Vorgesetzten unverständlich sei.
Mit Schreiben vom 02.07.2018 (im Folgenden: Abmahnung III), Bl. 143 d. A., erteilte die Beklagte dem Kläger eine weitere Abmahnung mit dem Vorwurf, dass er Arbeitsanweisungen, seine Aufgaben im Rahmen des vorgegebenen Zeitplans zu erledigen, nicht nachgekommen sei.
Sodann mahnte sie ihn mit Schreiben vom 07.09.2018 (im Folgenden: Abmahnung IV), Bl. 147 d. A., wegen des Vorwurfs ab, dass er an zwei Telefonkonferenzen am 24.08.2018 und 03.09.2018 jeweils ohne vorherige Absage nicht teilgenommen habe.
Hiernach erteilte sie ihm mit weiterem Schreiben vom 07.09.2018 eine Abmahnung (im Folgenden: Abmahnung V), Bl. 149 d. A., mit dem Vorwurf, dass er sich in einer E-Mail an seinen unmittelbaren Vorgesetzten M. respektlos und in unangemessener Weise geäußert habe.
Ab dem 17.09.2018 war der Kläger arbeitsunfähig krank. Die Parteien vereinbarten eine stufenweise Wiedereingliederung für die Zeit vom 29.10. bis zum 16.12.2018 mit einer steigenden Stundenzahl von drei bis sechs Stunden am Tag, wobei Beginn und Ende nicht festgelegt wurden. Die beteiligten Führungskräfte wiesen dem Kläger in der Wiedereingliederung wöchentlich einen individuellen Aufgabenplan zu.
Am 07.11.2018 nahm der Kläger an einem Termin zu einer seiner Projektaufgaben teil, die im Wiedereingliederungsplan nicht aufgeführt waren. Herr M. forderte ihn daraufhin auf, sich in der Wiedereingliederung an den wöchentlichen Aufgabenplan zu halten. Der Kläger versandte am selben Tag um 19:07 Uhr und um 19:09 Uhr jeweils eine E-Mail von seiner dienstlichen E-Mail-Adresse. Herr M. forderte ihn mit E-Mail vom 12.11.1018 nochmal dazu auf, die Aufgaben des wöchentlichen Aufgabenplans zu erledigen. Am Mittwoch, dem 14.11.2018, versandte der Kläger jedoch erneut nach 19:00 Uhr drei weitere dienstliche E-Mails. Herr M. forderte ihn mit E-Mail vom 15.11.2018 dazu auf, die überfälligen Aufgaben des Wiedereingliederungsplans unverzüglich zum Abschluss zu bringen. Der Kläger versandte am Montag, dem 19.11.2018, um 22:07 Uhr eine E-Mail von seiner dienstlichen E-Mail-Adresse. Herr M. forderte ihn mit E-Mail vom 26.11.2018 dazu auf, die offenen Punkte aus der Projektübersicht des Wiedereingliederungsplans umgehend zu bearbeiten, dabei die ärztlich verordneten Arbeitszeiten einzuhalten und am späten Nachmittag oder Abend keine E-Mails mehr zu verschicken. Am Montag, dem 26.11.2018, um 19:23 Uhr und am Dienstag, dem 04.12.2018, um 20:25 Uhr versandte der Kläger jedoch erneut dienstliche E-Mails.
Am 06.11.2018 wurde für den 06.12.2018 ein Meeting auf 15.30 Uhr zu Einsparpotentialen der Abteilung des Klägers (AI Europa) angesetzt, wofür der Kläger Daten und Inhalte erstellte und eine Präsentation vorbereite. Mit E-Mail vom 06.12.2018 um 15:05 Uhr sagte er seine Teilnahme an dem Treffen mit acht Teilnehmern mit der Begründung ab, dass seine Wiedereingliederung an diesem Tag um 15:00 Uhr ende.
Er versandte am Montag, dem 10.12.2018, zwischen 17:50 Uhr und 20:15 Uhr erneut vier dienstliche E-Mails sowie am folgenden Dienstag um 16:49 Uhr und am Mittwoch um 16:45 Uhr um 17:11 jeweils eine weitere. Herr M. forderte ihn daraufhin am 12.12.2018 erneut auf, die ärztlich angewiesenen Arbeitszeiten einzuhalten.
Der Kläger nahm an einem für Donnerstag, dem 13.12.2018, um 15:00 Uhr angesetzten Personalgespräch nicht teil, nachdem er mit E-Mails vom 10.12.2018, und 11.12.2018 mitgeteilt hatte, dass er das Gespräch mangels bestimmter Unterlagen als sinnlos erachte und die Abteilungsvorgesetzte H. ihn wieder einladen könne, wenn ihm die Unterlagen vorlägen. Obwohl Frau W. ihn darauf hinwiesen hatte, dass aus ihrer Sicht kein Anlass für eine Terminverschiebung bestehe und der Termin von ihr erwünscht sei, erschien der Kläger nicht.
Am Donnerstag, dem 13.12.2018, um 15.19 Uhr versandte der Kläger eine E-Mail von seiner dienstlichen E-Mail-Adresse. Herr M. teilte ihm am 13.12.2018 um 16:24 Uhr per E-Mail mit, dass er es nicht nachvollziehbar finde, warum er zum wiederholten Mal entgegen ausdrücklicher Anweisungen außerhalb der ärztlich angewiesenen Arbeitszeiten E-Mails verschicke. Der Kläger versandte sodann am Donnerstag, dem 13.12.2018, zwischen 16:38 Uhr und 21:01 Uhr fünf sowie am Samstag, dem 15.12.2018, um 05:46 Uhr und um 07:44 Uhr weitere zwei E-Mails von seiner dienstlichen E-Mail-Adresse.
Die Beklagte hörte am 20.02.2019 mit inhaltsgleichen Schreiben vom 19.02.2019, Bl. 164 d. A., den bei ihr bestehenden Betriebsrat sowie die Schwerbehindertenvertretung zum Ausspruch einer „verhaltensbedingten, fristgerechten Kündigung“ an.
Am 01.03.2019 stellte sie einen Antrag auf Zustimmung zu einer ordentlichen, verhaltensbedingten Kündigung bei dem zuständigen Inklusionsamt. In zwei Stellungnahmen an das Inklusionsamt vom 25.03.2019, Bl. 337 ff. d. A., und vom 30.09.2019, Bl. 347 ff. d. A., erläuterte die Prozessbevollmächtigte des Klägers, dass dieser aufgrund einer langjährigen psychischen Erkrankung, J., schwerbehindert sei. Die psychische Abgeschlagenheit habe auch die Krankschreibung verursacht, nach der die Wiedereingliederung (erfolgreich durchgeführt worden sei). Des Weiteren nahm sie zu den einzelnen Vorwürfen Stellung und erläuterte, dass die Verhaltensweisen Ausdruck seiner Erkrankungen seien. Das Inklusionsamt holte eine Stellungnahme der behandelnden Ärztin C., ein. In der Stellungnahme vom 09.10.2019, Bl. 197 d. A., wird die Frage, des Inklusionsamtes, ob es möglich sei, durch eine weitere Behandlung/Therapie eine Änderung seines Verhaltens zu erwirken und wie lange dies dauern würde, wie folgt beantwortet:
„Herr F. ist krankheitseinsichtig und weiterhin motiviert, mit seinen Schwächen umzugehen zu lernen. Eine langfristige fachärztliche Behandlung ist notwendig.“
In dem vom Inklusionsamt eingeholten psychiatrischen Gutachten von Prof. Dr. I. N. vom 19.02.2020, Bl. 198 d. A., heißt es auszugsweise:
„[…] Nach Angaben von Herrn X. setze er sich im Rahmen der zwanghaften Persönlichkeitsanteile unter Druck, alle seine Aufgaben bei der Arbeit möglichst schnell, strukturiert und gründlich zu machen. Er bestehe darauf, seine Arbeitsweise zu bestimmen und wenn seine Aufgaben in der Firma unklar sind, sei er verunsichert. Durch die oft mangelnde Sensibilität für Feinheiten von zwischenmenschlichen Interaktionsprozessen im Rahmen der VJ. Persönlichkeitsanteile kommt es zu unpassendem Verhalten in sozialen Situationen. […]“
Zu der Frage der Behandlung der Erkrankung sowie der Aussicht auf Besserung verhält sich das Gutachten nicht. In einer Stellungnahme des Integrationsfachdienstes vom 30.03.2020, Bl. 205 d. A., wurden eine Umsetzung und die Unterstützung durch einen Job Coach empfohlen.
Das Inklusionsamt erklärte am 28.10.2020 die Zustimmung zur Kündigung, Bl. 214 d. A. Die Begründung des Bescheids erfolgte erst später, mit Schreiben vom 11.05.2021, Bl. 406 ff. d. A. Darin heißt es auszugsweise:
„[…] Die Antragstellerin schildert, dass der Antragsgegner darauf besteht, seine eigene Arbeitsweise zu bestimmen, seine Beeinträchtigung lässt keine Befolgung von Regeln und Vorgaben zu. Durch das Gutachten wird dieses Verhalten bestätigt indem dort festgestellt wird, dass die Beeinträchtigungen des Antragsgegners im Bereich der sozialen Merkmale liegen. Die Antragstellerin hat in regelmäßigen Gesprächen mit dem Antragsgegner erfolglos versucht, Lösungen zu finden. Sie hat mit dem Antragsgegner ein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt. […] Einige Merkmale der Behinderung des Antragsgegners wie Eigensinn, Starrsinn oder Perfektionismus beeinträchtigen sein Verhalten so sehr, dass ein kollegiales sozialkompatibles, respektvolles Miteinander mit Vorgesetzten und Kollegen nicht möglich ist. Ob es ihm gelingt, dieses Verhalten in absehbarer Zukunft zu verändern, ist nicht ersichtlich.
Die Beschäftigung des Antragsgegners auf einem anderen Arbeitsplatz bei der Antragstellerin ist aus Sicht des LVR-Inklusionsamtes nicht möglich. […]“
Während seiner Freistellung bewarb sich der Kläger auf 47 verschiedene bei der Beklagten ausgeschriebene Stellen. Nach einem der durchgeführten Bewerbungsgespräche kritisierte der Kläger in einer E-Mail vom 30.04.2020, Bl. 285 f. d. A., u.a. die Gesprächsführung.
Auf seinem privaten Profil bei der Plattform LinkedIn bezeichnete sich der Kläger im April 2020 als bei der Beklagten beschäftigter „UU. (Deutsche Übersetzung: „WY.“). Eine neue Fabrik eines Wettbewerbers der Beklagten kommentierte er mit folgendem Post, vgl. Bl. 288 d. A.:
„Wow what a Power House. Guess it is a wet dream for every production guy. So now you can offer even lower prices due to big production volumes“
Deutsche Übersetzung: „Wow, was für ein Power House. Ich schätze, das ist ein feuchter Traum für jeden Produktionsmitarbeiter. So können Sie jetzt noch niedrigere Preise wegen der großen Produktionskapazitäten anbieten“
Mit Schreiben vom 04.11.2020 hörte die Beklagte den Betriebsrat erneut, nunmehr zu einer beabsichtigten ordentlichen verhaltensbedingten Kündigung sowie „vorsorglich“ zu einer personenbedingten Kündigung, an, Bl. 217 d. A. Ob die Beklagte auch die Schwerbehindertenvertretung erneut angehört hat, ist zwischen den Parteien streitig.
Sie kündigte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 13.11.2020, Bl. 23 d. A., dem Kläger am selben Tag zugegangen, zum 31.12.2021.
Der Kläger hat sich mit seiner am 24.11.2020 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen, der Beklagten am 08.12.2020 zugestellten Klage gegen die Kündigung vom 13.11.2020 gewehrt und seine Weiterbeschäftigung begehrt.
Er hat die Auffassung vertreten, es fehle an einem Kündigungsgrund. Die Abmahnungen seien zum Teil unberechtigt. Im Übrigen sei das Verhalten, das ihm darin vorgeworfen werde, Ausdruck seiner Erkrankung. Zur Abmahnung I hat er behauptet, entgegen der Behauptung der Beklagten gar nicht mehr von zu Hause aus gearbeitet, sondern sich krankheitsbedingt abgemeldet zu haben. Die in der Abmahnung II erhobene Kritik sei ebenfalls unberechtigt, da er die E-Mail seiner Vorgesetzten nicht Kollegen gezeigt oder sie mit ihnen erörtert habe. Soweit ihm in der Abmahnung III vorgeworfen worden sei, Aufgaben nicht im Rahmen des Zeitplans erledigt zu haben, hat er erklärt, dass er sich wegen vorheriger Abmahnungen blockiert gefühlt habe. Auch das in der Abmahnung IV gerügte Verhalten, die Nichtteilnahme an Telefonkonferenzen, sei auf den zunehmenden Stress und die Arbeitsbelastung zurückzuführen gewesen. Ähnliches gelte für die in der Abmahnung V gerügten Äußerungen, die vor dem Hintergrund seiner psychischen Erkrankung zu erklären seien. Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Vorbringens zu den Abmahnungen zugrundeliegenden Sachverhalten wird auf die Ausführungen im klägerischen Schriftsatz vom 02.02.2021, Bl. 291 ff. d. A., verwiesen.
Der Kläger hat weiter gemeint, aufgrund seiner Krankschreibung sei er nicht dazu verpflichtet gewesen, an dem Personalgespräch am 13.12.2018 teilzunehmen. Er hat behauptet, dass das Treffen vom 06.12.2018 aufgrund seiner genauen Vorbereitung erfolgreich ohne seine persönliche Teilnahme durchgeführt worden sei. Er habe während der Wiedereingliederung vom 29.10. bis 16.12.2018 keine wesentliche Arbeit zu Hause erbracht. Seine von der Beklagten vorgelegten E-Mails belegten nichts anderes.
Der Kläger hat bestritten, dass die Schwerbehindertenvertretung und der Betriebsrat vor Ausspruch der Kündigung ordnungsgemäß beteiligt worden sind. In der Anhörung des Betriebsrats fehlten insbesondere seine Stellungnahmen zu den Vorwürfen, die er im Rahmen des Verfahrens bei dem Inklusionsamt abgegeben habe.
Er hat beantragt,
1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 13.11.2020 beendet wird,
2. hilfsweise für den Fall des Obsiegens mit dem Klageantrag zu 1., die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens als O. weiter zu beschäftigen.
Die Beklagte hat beantragt,
1. die Klage abzuweisen,
2. das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2021 gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 58.825,00 EUR brutto nicht überschreiten sollte, aufzulösen.
Der Kläger hat beantragt, den Auflösungsantrag zurückzuweisen.
Die Beklagte hat die Auffassung vertreten, die Kündigung vom 13.11.2020 sei aus verhaltens- oder personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.
Ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund liege angesichts der vorangegangenen Abmahnungen vor, weil der Kläger bezüglich des Personalgesprächs vom 13.12.2020 eine Arbeitsverweigerung angedroht und durchgeführt, seine Teilnahme an dem Treffen vom 06.12.2018 kurzfristig abgesagt und weisungswidrig außerhalb des in der Wiedereingliederung festgelegten Stundenumfangs von zu Hause aus gearbeitet habe. Die Beklagte hat behauptet, dass die kurzfristige Absage des Treffens am 06.12.2018 ihre Arbeitsorganisation empfindlich gestört und ein sinnvolles Arbeiten zunichtegemacht habe, zumal der Kläger eine tragende Rolle in dem Treffen habe übernehmen sollen. Der Kläger habe noch weitere konkrete Störungen des Betriebsablaufs verursacht. Am 14.12.2018 habe er für erhebliche Irritation gesorgt, indem er – vermeintlich im Namen von Kollegen – von den Führungskräften per Mail die Vorlage von schriftlichen Stellungnahmen gefordert habe. Seine Vorgesetzten und Kollegen empfänden sein Verhalten als störend, respektlos und betriebsschädigend.
Auch nach Einleitung des Verfahrens beim Inklusionsamt sei der Kläger wiederholt mehrfach negativ aufgefallen, indem er bei Bewerbungen auf freie Arbeitsplätze versucht habe, den am Bewerbungsprozess Beteiligten seine Wünsche zum Verfahren aufzuzwingen, und die Beteiligten nachträglich unangemessen kritisiert habe. Für die Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Darlegungen der Beklagten im Schriftsatz vom 12.01.2021, Bl. 66 ff. d. A. Auch Äußerungen auf einer sozialen Medienplattform (Linkedin), Bl. 287 f. d. A., seien sozial auffällig und für sie schädlich gewesen.
Aufgrund des Verhaltens des Klägers und seiner Persönlichkeit sei jedenfalls der Auflösungsantrag begründet.
Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage stattgegeben und den Auflösungsantrag abgewiesen. Zu berücksichtigen sei, dass die ihm vorgeworfenen (vermeintlichen) Versäumnisse während der Wiedereingliederungsphase stattgefunden hätten, während derer die Arbeitspflicht geruht habe. Das Erscheinen zu einem Personalgespräch könne der Arbeitgeber während der Arbeitsunfähigkeit nur verlangen, wenn hierfür ein dringender betrieblicher Bedarf bestehe und die Anwesenheit des Arbeitnehmers dringend erforderlich sowie diesem zumutbar sei. Dass diese Voraussetzungen erfüllt seien, habe die Beklagte nicht dargelegt. Auch die kurzfristige Absage des dienstlichen Treffens am 06.12.2018 stelle keine Pflichtverletzung dar. Mit der Nichteinhaltung der Wiedereingliederungszeiten habe der Kläger zwar gegen arbeitsvertragliche Pflichten verstoßen. Insoweit fehle es aber an einer vorangegangenen einschlägigen Abmahnung. Die in der Vergangenheit erteilten Abmahnungen beträfen weisungswidriges Verhalten im normalen Arbeitsverhältnis. Zudem bestehe wohl ein Zusammenhang mit der Krankheit, so dass davon auszugehen sei, dass sich die Vertragsverletzung nach der Wiedererlangung der Arbeitsfähigkeit nicht wiederholen werde. Die Kündigung sei auch nicht aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt, da sowohl die Schwerbehindertenvertretung als auch das Inklusionsamt nur zu einer verhaltensbedingten Kündigung beteiligt worden seien. Die Kündigung sei daher wegen Verstoßes gegen § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX und § 168 SGB IX unwirksam. Der pauschale Verweis auf die Begründung der Kündigung genüge als Rechtfertigung für den Auflösungsantrag nicht. Vor diesem Hintergrund sei der Weiterbeschäftigungsantrag des Klägers erfolgreich.
Gegen das ihr am 21.06.2021 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 14.07.2021 Berufung eingelegt und diese am 23.08.2021 (Montag) begründet.
Sie meint, die Kündigung sei entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts wirksam. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass während der Wiedereingliederungsphase Nebenpflichten bestünden, gegen die der Kläger mit dem Nichterscheinen zu Terminen verstoßen habe. Sie könne nicht damit rechnen, dass der Kläger seine Aufgaben erfülle und sich an vereinbarte Absprachen halte. Zudem habe der Kläger seine Genesung gefährdet. Sein Nichterscheinen bei dem Treffen am 06.12.2018 sei nachteilig gewesen, da es aufgrund der im Vorfeld von ihm übernommenen Datenaufbereitung schlicht nicht habe stattfinden können. Ergänzend behauptet die Beklagte, der Kläger habe am 08.01.2018 ohne Abstimmung mit den zuständigen Kollegen nicht benötigte Handelsware bestellt und später – als Probleme mit der Lagerung entstanden seien – die entsprechende E-Mail kommentarlos an einen Kollegen weitergeleitet. Auch dies zeige sein sozial inadäquates Verhalten. Überdies sei er vor den geschilderten Pflichtenverstößen mehrfach, insbesondere mit den Abmahnungen vom 10.10.2017 und vom 07.09.2018, einschlägig abgemahnt und damit vorgewarnt worden. Im Übrigen mache ein Abmahnungserfordernis nur Sinn, wenn das Verhalten steuerbar sei, was vorliegend – gutachterlich attestiert – nicht der Fall sei.
Sie sei aufgrund der Vorfälle in der Vergangenheit, der fruchtlosen Abmahnungen sowie der zutage getretenen Diagnosen vor dem Ausspruch der Kündigung zu der Überzeugung gelangt, dass eine Änderung des Verhaltens nicht zu erwarten gewesen sei. Da der Kläger nach eigener Aussage darauf bestehe, seine Arbeitsweise selbst zu bestimmen und da er in der Vergangenheit mehrfach Anweisungen nicht befolgt habe, sei davon auszugehen, dass er zukünftig dauerhaft nicht in der Lage sei, weisungsgebunden zu arbeiten. Die Erkrankungen des Klägers, die J. sowie die HU. bzw. NB. seien grundsätzlich nicht heilbar. Auch mit einer Besserung sei nicht zu rechnen, da die Behandlungen und jahrelangen Therapien in der Vergangenheit nicht geholfen hätten. Sie gehe davon aus, dass der Kläger dauerhaft nicht in der Lage sei, weisungsgebunden Arbeit zu leisten, da er darauf bestehe, seine Arbeitsweise selbst zu bestimmen. Diese Prognose beziehe sich auf sämtliche bei ihr bestehende Arbeitsplätze, weil eine fremdbestimmte Arbeit Grundvoraussetzung aller bei ihr zur Verfügung stehenden Positionen sei. Wie auch der Betriebsrat und das Inklusionsamt zutreffend festgestellt hätten, gebe es keine anderen Arbeitsplätze, auf denen der Kläger eingesetzt werden könne. Die Kündigung sei daher aus personenbedingten Gründen gerechtfertigt.
Die Arbeitnehmervertretungen und das Inklusionsamt seien ordnungsgemäß beteiligt worden. Da sowohl der Betriebsrat als auch die Schwerbehindertenvertretung das Verfahren bei dem Inklusionsamt von Beginn an begleitet hätten, seien sie zu jeder Zeit hinreichend informiert gewesen. Zudem sei der Kläger im Rahmen des Inklusionsamtsverfahrens von den Gremien kontaktiert worden. Seine Stellungnahmen seien im Termin vor dem Inklusionsamt am 06.09.2019 ausgiebig erörtert worden. Alle vom Inklusionsamt eingeholten fachlichen Stellungnahmen seien den Gremien übermittelt worden. Die abschließende Stellungnahme der Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 29.04.2020 sei den Gremien dann mit dem Anhörungsschreiben vom 04.11.2020 übersandt worden. Die entsprechende Kopie sei der Betriebsratsvorsitzenden mit der Bitte übergeben worden, diese an die Schwerbehindertenvertretung weiterzuleiten. Dies sei auch geschehen. Die Beurteilung, ob es sich um eine verhaltens- oder eine personenbedingte Kündigung handele, obliege den Gerichten und stelle lediglich eine rechtliche Subsumtion dar. Das Arbeitsgericht habe zudem ignoriert, dass sie die Schwerbehindertenvertretung sogar nochmals angehört habe, nämlich durch Übersendung einer Abschrift der weiteren Anhörung des Betriebsrats vom 04.11.2020, Bl. 217 d. A.
Dasselbe gelte für die Information des Inklusionsamts. Die Frage der Schuldhaftigkeit eines Verhaltens sei kein Sachumstand, der von der Arbeitgeberseite vorzutragen sei. Diese habe sich zudem erst im Laufe der behördlichen Sachverhaltsermittlung ergeben. Dass das Inklusionsamt in seiner Begründung nur mit der einer verhaltensbedingten Kündigung auseinandergesetzt habe, liege außerhalb ihrer Einflusssphäre.
Jedenfalls rechtfertigen seine Verhaltensauffälligkeiten den Auflösungsantrag. Die Gründe, die eine dem Betriebszweck dienliche weitere Zusammenarbeit nicht erwarten ließen, müssten nicht in einem Verhalten des Arbeitnehmers, schon gar nicht in einem schuldhaften, liegen. Die Auflösungsgründe lägen in seiner Persönlichkeit und seinem Verhalten, das erhebliche Zweifel an seiner persönlichen Eignung aufkommen ließen. Auch nach dem Ausspruch der Kündigung habe das Verhalten des Klägers gezeigt, dass sich sein Krankheitsbild verschlechtert habe, er sich krankhaft auf einen vermeintlichen Anspruch auf Gehaltserhöhung fixiere und keine Aussicht auf Besserung der auffälligen unzumutbaren Verhaltensweisen bestehe.
So habe er sich anlässlich seiner Kandidatur für den Betriebsrat per E-Mail unmittelbar an den Vorstand gewandt und dann angekündigt, dass er wegen eines Wahlstandes von 3×3 m mit einem 7,5t LKW ins Werk einfahren werde. Dabei habe er angekündigt:
„Des Weiteren bringe ich meinen SN. zu Werbezwecken mit. Er ist aber gänzlich ungefährlich und ich werde ihn an der Leine haben“.
Auf seinem LinkedIn-Profil beschreibe er sich als „UNFASSBARGUT“. Ihr, der Beklagten, habe er in diversen Posts öffentlich vorgeworfen, die Betriebsratswahl zu beeinflussen, so z.B. mit dem Post:
„Kein Zutritt mehr für mich!!!!! Soll damit die BR-Wahl beeinflusst werden!? / Damit ist klar: Keine faire Wahlwerbung mehr möglich!“
Kollegen und Vorgesetzte seien von ihm in aggressiver, unangemessener, bloßstellender Form kontaktiert worden. So habe der Kläger am 16.07.2022 an seinen Vorgesetzten Herrn M. angeschrieben und erneut eine Gehaltserhöhung sowie eine Beschäftigung auf einer Senior-Stelle gefordert. Weiter habe er formuliert:
„Ich schlage vor, dass wir uns zu Beginn mit Ihnen im Beisein meiner Anwältin, Frau QS. und der SBV, Herrn TO., besprechen. Ziel sollte auch sein, dass Sie Ihr Führungsverhalten mit 5 Abmahnungen reflektieren. […]“
Eine von ihr im Prozess zuvor als Zeugin benannte Kollegin habe er wie folgt angeschrieben:
„[…] Ich finde es sehr irritierend, dass Du falsche Aussagen über mich verbreitet hast. Manche verstehen darunter ein strafbares Mobbing. Ich schlage also vor, dass wir uns im Beisein meiner Anwältin, der Schwerbehindertenvertretung, HR, Corporate Compliance und Betriebsrat über Deine unberechtigten Anschuldigungen austauschen, sobald ich wieder im Betrieb bin. Ziel sollte sein, dass Du Dein unkollegiale Verhalten reflektierst und Dich erklärst. […]“
Nachdem Herr M. und die Kollegin diese E-Mails bei ihr, der Beklagten, gemeldet hätten, habe der Kläger u.a. den Datenschutzbeauftragten, Vorstandsmitglieder und den HR-Director GY. angeschrieben. Den beiden Mitarbeitern sowie der Beklagten habe er mit Schreiben vom 26.08.2022 Verstöße gegen die DSGVO vorgeworfen:
„[…] Ich bitte Sie in Ihren Rollen als Datenschutzbeauftragten und Corporate Compliance darum, den Sachverhalt eingehend im Hinblick auf DSGVO zu untersuchen und mir Rückmeldung im Rahmen meines Auskunftsanspruchs zu geben. […] Nunmehr tauchen beide Nachrichten in einem aktuellen Schriftsatz der Anwälte Z. von Herrn XP. auf. Ich hatte ihre beiden Mitarbeiter explizit in der Nachricht auf die Einhaltung der DSGVO hingewiesen. Insbesondere habe ich eine Weiterleitung/Abphotographieren, Verwenden, Zitieren etc. explizit verboten. […] Die Weitergabe erfolgte somit vorsätzlich und im vollen Wissen um den DSGVO Umstand. […]“
Auch den Vorstandsvorsitzenden habe der Kläger am 03.09.2022 in unangemessener Weise angeschrieben:
„Lieber KQ.,
[…] Was mich aber als LB. und Teileigentümer sehr beschämt ist das „neue“ KI.. […] Mir treibt es die Schamesröte über dieses Produkt ins Gesicht als LB. und Teileigentümer. […]“
Im Verlauf eines Augustwochenendes habe der Kläger insgesamt knapp 20 E-Mails an die Beklagte, u.a. zwei Vorstandsmitglieder, geschrieben und diverse Forderungen gestellt: Einsicht in die Personalakte, Auszahlung des Guthabens von der OU. Karte, Finanzierung einer Ausbildung zum Systemischen Coach bei TV., Teilnahme am so genannten ESP, Inanspruchnahme des so genannten MEGA Programms für einen gesundheitlichen Check, Überweisung des Firmenanteils an der „KZV“, Nutzung eines Firmenfahrrads, Inanspruchnahme eines Ausbildungszuschusses.
Mit E-Mail vom 07.09.2022 habe er erneut u.a. den Rechtsabteilungsleiter und zwei Vorstandsmitglieder angeschrieben, auf seinen mehr als sieben Tage zurückliegenden Antrag auf Aushändigung der Niederschrift seiner Arbeitsbedingungen nach dem NachwG hingewiesen, auf ein Bußgeld bei Nichterfüllung hingewiesen und erklärt:
„[…] Man kann nunmehr die Frage stellen, ob HR Deutschland bei OU. nicht willens ist, sich an Gesetze zu halten (verhaltensbedingt) oder aus Unwissenheit nicht fähig ist (personenbedingt). Aufgrund Ihrer Ausbildung als Jurist kann man wohl nur Unwillen vermuten, sich an Gesetze zu halten. […] Die Sachlage kann eventuell nur durch Compliance bei OU. bewertet werden. Vielleicht kann eine Aufstellung von Gesetzen & BVs (nicht vollständig) die Herausforderungen für Ihre Abteilung darstellen, zur Reflektion Ihrerseits beitragen: […] Ich hoffe, diese Auflistung ist hilfreich für Sie. Die Materie ist ja auch sehr umfangreich und kann sicherlich für den einen oder anderen Mitarbeiter in Ihrem Bereich eine Überforderung darstellen. […]“
All dies zeige, dass eine Zusammenarbeit – trotz jahrelanger Therapie und vermeintlicher Kooperationsbereitschaft – ausgeschlossen sei. Die Kolleginnen und Kollegen hätten Sorge vor weiteren wirren und unberechtigten Anschuldigungen und Drohungen. Es bestehe eine akute Angst vor physischen und psychischen Folgen im Fall einer Rückkehr des Klägers an den Arbeitsplatz. Eine dem Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit sei aufgrund der gesundheitlichen Einschränkungen des Klägers nicht mehr zu erwarten.
Die Beklagte beantragt, das Urteils des Arbeitsgerichts Düsseldorf vom 26.05.2021 – Az. 18 Ca 7522/20 – abzuändern und die Klage abzuweisen, hilfsweise, das Arbeitsverhältnis zum 31.12.2021 gegen Zahlung einer Abfindung, deren Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird, aber 58.825,00 EUR brutto nicht überschreiten sollte, aufzulösen.
Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Er verteidigt das erstinstanzliche Urteil. Er rügt die Verspätung hinsichtlich des Vortrags der Beklagten zur Bestellung von Handelsware im Januar 2018 und legt dar, warum ihm in diesem Zusammenhang kein Pflichtenverstoß vorzuwerfen sei. Auch die Vorwürfe in den ihm erteilten Abmahnungen seien überwiegend unberechtigt. Die vermeintlichen Verstöße während der Wiedereingliederung hätten – da es sich um einen neuen Abschnitt gehandelt habe – zuvor gesondert abgemahnt werden müssen. Für die Einzelheiten der klägerischen Stellungnahme hierzu wird auf seine Ausführungen auf Seite 11 ff. in der Berufungserwiderung vom 19.10.2021, Bl. 575 ff. d. A., verwiesen.
Zur Teilnahme an dem Personalgespräch am 13.12.2018 sei er nicht verpflichtet gewesen. Bezüglich des Termins sei er aufgrund seiner fundierten Vorbereitung einerseits und der Hinweise auf die Pflicht zum Einhalten der Wiedereingliederungszeiten zum anderen davon ausgegangen, dass seine Nichtteilnahme Herrn M. und Frau W. klar gewesen sei. Er habe allerdings versäumt, den Termin im Outlook abzulehnen. Entgegen der Behauptung der Beklagten sei der Temin auch ohne ihn erfolgreich durchgeführt worden. Er habe auch nicht gegen den Wiedereingliederungsplan verstoßen. Dies ergebe sich schon daraus, dass keine bestimmten Zeiten (Beginn und Ende) festgelegt worden seien und damit nicht klar gewesen sei, ob er sein Stundenkontingent überschritten habe. Entgegen ihrer Darstellung habe die Beklagte sich zu keinem Zeitpunkt in besonderer Weise um ihn bzw. seine Integration oder ein Coaching bemüht.
Der Kläger ist der Meinung, die Beklagte könne nicht im laufenden Prozess von einer verhaltensbedingten zu einer personenbedingten Kündigung wechseln bzw. die Kündigung auf beide Gründe stützen. Wenn die Kündigung – wie vorliegend – einen völlig neuen Charakter erhalte, sei der Ausspruch einer neuen Kündigung erforderlich.
Eine negative Prognose sei nicht gerechtfertigt. Aus dem Gutachten des Integrationsfachdienstes ergebe sich, dass er auf einem anderen Arbeitsplatz unter Zuhilfenahme eines Jobcoachs weiterarbeiten könne. Frau RO. habe ebenfalls festgestellt, dass er krankheitseinsichtig und motiviert sei, mit seinen Schwächen umzugehen zu lernen. In dem Verfahren vor dem Inklusionsamt hätten auch der Betriebsrat und die Schwerbehindertenvertretung eine Weiterbeschäftigung für möglich gehalten. Es sei keine festgestellte oder unstreitige Tatsache, dass er nicht in der Lage sei, fremdbestimmte Arbeitsleistungen zu erbringen. Die – zum Teil zudem streitigen – Fälle in der Vergangenheit ließen diese pauschale Schlussfolgerung nicht zu. Die Beklagte lasse unberücksichtigt, dass er, der Kläger, regelmäßig ordnungsgemäße Arbeit abgeliefert habe. Eine aktuelle Zukunftsprognose und Interessenabwägung könne die Beklagte schon deswegen nicht treffen, da er seit dem 21.01.2019 freigestellt sei. Er selbst habe seitdem seine Behandlungen und Therapien fortgesetzt und nehme regelmäßig an Coaching-Sitzungen teil.
Die Kündigung sei auch mangels ordnungsgemäßer Beteiligung der Arbeitnehmervertretungen unwirksam. Dem Anhörungsschreiben seien fehlerhaft nicht die Stellungnahmen seiner Prozessbevollmächtigten an das Inklusionsamt beigefügt gewesen. Da hierin zu den einzelnen Vorwürfen Stellung genommen werde, stelle schon das Vorenthalten dieser Unterlagen einen Unwirksamkeitsgrund dar. Es müsse mangels Beweises zudem davon ausgegangen werden, dass die Schwerbehindertenvertretung nicht nochmals zeitnah vor Ausspruch der Kündigung angehört worden sei.
Auch liege keine Zustimmung des Inklusionsamts zu einer personenbedingten Kündigung vor.
Einen Auflösungsgrund habe die Beklagte nicht dargetan, sondern im Wesentlichen die Kündigungsgründe wiederholt und zum Teil verzerrt und überzogen dargestellt. Sein Verhalten im Zusammenhang mit dem Gespräch am 30.04.2020 lasse keinen anderen Schluss zu. Er habe nämlich erfahren, dass andere Bewerber sich nicht einem Interview in dieser Form hätten unterziehen müssen. Den Englisch-Test und einige Fragen habe er angesichts seiner langjährigen Berufs- und Auslandserfahrung als erniedrigend empfunden. Ebenso wenig sei zu beanstanden, dass er sich mit Blick auf die praktische Umsetzung der Weiterbeschäftigung an seine Vorgesetzten gewandt habe, da ein Arbeitsverhältnis bestenfalls unbelastet und frei von Abmahnungen begonnen werde. Dass er als juristischer Laie irritiert gewesen sei über das Zeugnisangebot einer Kollegin sei verständlich. Insoweit habe er sich nur ein klärendes Gespräch gewünscht. Die Beklagte stelle ein verzerrtes, unrichtiges Bild dar und suggeriere, dass von ihm als psychisch kranken Menschen eine Gefahr ausgehe. Angebliche Sorgen von Kollegen seien nur pauschal behauptet. Tatsächlich habe er zu keiner Zeit Drohungen ausgesprochen. Die Ankündigung des geplanten Besuchs des Werksgeländes zur Wahlwerbung sei keine Drohung. Es sei klar gewesen, dass es sich bei „RN. nicht um einen echten Leoparden gehandelt habe. Die Beklagte habe ihm zunächst nicht den geforderten Zugang und die Sachausstattung für eine Kandidatur zum Betriebsrat gewährt. Dass er sich in seiner Verzweiflung an den Leiter HR gewandt habe, sei darauf zurückzuführen, dass sein Vorgesetzter und Frau YE. auf seine Anfragen zur Umsetzung des passiven Wahlrechts nicht reagiert hätten. Die hohe Zahl an E-Mails sei durch die Beklagte selbst herausgefordert worden, da ihm nie geantwortet worden sei. Eine negative Zukunftsprognose gebe es nicht. Sein Gesundheitszustand habe sich sogar verbessert, so dass nur noch ein Kontrolltermin pro Quartal notwendig und geplant sei, die Medikation schrittweise zu reduzieren.
Die erkennende Kammer hat gemäß Beschluss vom 27.01.2022 zunächst Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeuginnen Frauke YE. und QS. sowie der Zeugen TH. TO. und OG.. Für das Ergebnis dieser Beweisaufnahme wird auf das Protokoll der Sitzung vom 27.01.2022, Bl. 785 ff. d.A. verwiesen. Gemäß Beschluss vom 10.02.2022 hat die Kammer sodann weiteren Beweis erhoben durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen der Einzelheiten wird auf das Gutachten des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie FE. vom 01.04.2022, Bl. 848 ff. d. A., seine ergänzenden Stellungnahmen vom 29.05.2022, Bl. 917 ff. d. A., und 02.11.2022, Bl. 1165 d. A., sowie die mündliche Erläuterung im Termin gemäß Protokoll der Sitzung vom 02.03.2023, Bl. 1254 ff. d.A. Bezug genommen. Es wird zudem verwiesen auf die Stellungnahmen der Parteien zu dem Sachverständigengutachten. Die Beklagte hat zwei von ihr eingeholte Privatgutachten von Frau GC., Bl. 1024 ff., und Herrn DF., Bl. 1033 ff. d. A., zur Akte gereicht und darauf hingewiesen, dass nach der Einschätzung beider Gutachter aufgrund der gravierenden Diagnose bei dem Kläger keine Verhaltensänderung zu erwarten sei. Sie hat geltend gemacht, in dem Gutachten fänden sich Mängel, so dass es jedenfalls zu ergänzen sei. Der Kläger hat ebenfalls Fehler in der Gutachtenerstellung gerügt und die Einholung eines weiteren Gutachtens beantragt.
Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsprotokolle beider Instanzen Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung hat teilweise Erfolg, soweit die Beklagte die Auflösung des Arbeitsverhältnisses mit dem Kläger begehrt und sich gegen die Weiterbeschäftigung des Klägers wehrt. Im Übrigen ist die Berufung unbegründet.
A. Die nach § 64 Abs. 2 ArbGG an sich statthafte Berufung ist innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Die Begründung genügt den Anforderungen des § 520 Abs. 3 ZPO.
B.Die Berufung der Beklagten ist unbegründet, soweit sie sich gegen die dem Kündigungsschutzantrag stattgebende Entscheidung richtet. Denn die von ihr ausgesprochene ordentliche, verhaltensbedingte Kündigung vom 13.11.2020 war nicht sozial gerechtfertigt im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG. Soweit die Beklagte für die Kündigung hilfsweise personenbedingte Gründe anführt, kann sie sich hierauf nicht berufen, da sie den bei ihr bestehenden Betriebsrat hierzu nicht ordnungsgemäß gemäß § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG angehört hat. Das Arbeitsverhältnis war jedoch nach Maßgabe der §§ 9, 10 KSchG durch das Gericht gegen Zahlung einer Abfindung aufzulösen.
I. Das Arbeitsverhältnis ist durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 13.11.2020 nicht wirksam beendet worden.
1. Die Kündigung gilt nicht gemäß §§ 4, 7, 13 Abs. 1 S. 2 KSchG als wirksam, denn der Kläger hat mit der am 24.11.2020 beim Arbeitsgericht Düsseldorf eingegangenen und der Beklagten am 08.12.2020 zugestellten Klage (vgl. § 253 Abs. 1 ZPO i.V.m. § 495 ZPO, § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG) die dreiwöchige Frist des § 4 S. 1 KSchG gewahrt.
2. Die Kündigung ist nicht aus verhaltensbedingten Gründen im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.
a)Die verhaltensbedingte Kündigung scheitert nicht bereits daran, dass die Beklagte es versäumt hätte, vor dem Ausspruch der Kündigung den Betriebsrat gemäß § 102 Abs. 1 Satz 1 BetrVG und die Schwerbehindertenvertretung nach § 178 Abs. 2 Satz 1, 3 SGB IX anzuhören.
Dass überhaupt Anhörungen dieser beiden Gremien stattgefunden haben, ist zwischen den Parteien nicht streitig. Ebenso bestehen keine Zweifel an der Richtigkeit der den Gremien mitgeteilten objektiven Daten (Beschäftigungsdauer, Lebensalter, Unterhaltspflichten, Schwerbehinderung, Kündigungsfrist).
Nach dem Ergebnis der in der Berufungsinstanz durchgeführten Beweisaufnahme steht fest, dass die Anhörungen inhaltlich auch im Übrigen den von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts entwickelten Anforderungen genügen.
aa)Der Arbeitgeber hat dem Betriebsrat „die Gründe für die Kündigung“ im Sinne von § 102 Abs. 1 Satz 2 BetrVG mitzuteilen. Entsprechende Anforderungen an den Inhalt der Anhörung gelten auch, soweit die Schwerbehindertenvertretung vor dem Ausspruch der Kündigung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 1, 3 SGB IX zu unterrichten ist (vgl. BAG 13.12.2018 – 2 AZR 378/18 – Rn. 21). Er muss den Sachverhalt, den er zum Anlass für die Kündigung nehmen will, so umfassend beschreiben, dass sich diese ohne zusätzliche eigene Nachforschungen ein Bild über die Stichhaltigkeit der Kündigungsgründe machen und beurteilen kann, ob es sinnvoll ist, Bedenken zu erheben. Der Arbeitgeber muss die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Der Inhalt der Unterrichtung ist nach ihrem Sinn und Zweck grundsätzlich subjektiv determiniert (vgl. BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 15; BAG 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 14). Der Betriebsrat bzw. die Schwerbehindertenvertretung soll die Stichhaltigkeit und Gewichtigkeit der Kündigungsgründe überprüfen, um sich über sie eine eigene Meinung bilden zu können (vgl. BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 14; BAG 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 15). Der Arbeitgeber muss daher die Umstände mitteilen, die seinen Kündigungsentschluss tatsächlich bestimmt haben. Dem kommt er dann nicht nach, wenn er bewusst einen unrichtigen oder unvollständigen – und damit irreführenden – Kündigungssachverhalt schildert, der sich bei der Würdigung durch das Gremium zum Nachteil des Arbeitnehmers auswirken kann (vgl. BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 16; 31. Juli 2014 – 2 AZR 407/13 – Rn. 46). Die subjektive Überzeugung des Arbeitgebers von der Relevanz oder Irrelevanz bestimmter Umstände ist für den Umfang der Unterrichtung auch dann nicht maßgeblich, wenn dadurch der Zweck der Anhörung verfehlt würde. Der Arbeitgeber darf ihm bekannte Umstände, die sich bei objektiver Betrachtung zugunsten des Arbeitnehmers, also entlastend, auswirken können, dem Gremium nicht deshalb vorenthalten, weil sie für seinen eigenen Kündigungsentschluss nicht von Bedeutung waren (vgl. BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 19; BAG 23.10.2014 – 2 AZR 736/13 – Rn. 15). In diesem Sinne ist die Anhörung – ausgehend vom subjektiven Kenntnisstand des Arbeitgebers – auch objektiv, das heißt durch Sinn und Zweck der Anhörung, determiniert (vgl. BAG 05.12.2019 – 2 AZR 240/19 – Rn. 43 f.; BAG 16.07.2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 89; GK-BetrVG/Raab, 11. Auflage, 2018, § 102 Rn. 75, 79 und 111; APS/Koch, 6. Auflage, 2021, § 102 BetrVG Rn. 124).
Auch eine vorangegangene Abmahnung und ihr Anlass sind zur Kenntnis zu bringen, da sie für die Beurteilung des Kündigungssachverhalts von ausschlaggebender Bedeutung sind. Hat der Arbeitnehmer gegenüber einer Abmahnung eine Gegendarstellung zur Personalakte gereicht, ist der Arbeitgeber zu einer entsprechenden Mitteilung verpflichtet (vgl. BAG 31.8.1989 – 2 AZR 453/88 – Rn. 44; BAG 02.11.1983 – 7 AZR 65/82 – Rn. 34; Bader, Die Anhörung des Betriebsrats – eine Darstellung anhand der neueren Rechtsprechung, NZA-RR 2000, 57 m.w.N.).
Der Arbeitgeber kann hierbei Tatsachen, die er dem Betriebsrat bzw. der Schwerbehindertenvertretung nicht mitgeteilt hat, die dem Gremium jedoch bekannt sind, in den Kündigungsschutzprozess einführen (vgl. zu § 102 BetrVG: BAG 27.02. 1997 – 2 AZR 302/96 – Rn. 25). Das Gremium muss vom Arbeitgeber allerdings so viel erfahren, dass er – auch unter Rückgriff auf vorhandene Kenntnisse – die eingeräumten Rechte bezogen auf die konkret beabsichtigte Kündigung ausüben kann (vgl. zu § 178 SGB IX: OVG Berlin-Brandenburg 15.11.2017 – OVG 4 S 26.17 – Rn. 8). Er muss also selbst dann, wenn er alles weiß, vom Arbeitgeber zumindest erfahren, auf welchen kündigungsrechtlich relevanten Tatsachenkomplex die Kündigung gestützt wird. Dann müssen die Einzelheiten des Hergangs nicht noch einmal ausdrücklich mitgeteilt werden (vgl. zu § 102 BetrVG: BAG 11.12.2003 – 2 AZR 536/02 – Rn. 29 m.w.N.).
bb)Ausgehend von diesen Grundsätzen genügt die Anhörung beider Gremien durch die Beklagte den dargelegten Anforderungen.
Zum beabsichtigten Ausspruch einer verhaltensbedingten Kündigung hat die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung und den Betriebsrat zunächst mit Schreiben vom 19.01.2019 und den Betriebsrat (insoweit unstreitig) nochmals mit Schreiben vom 04.11.2020 angehört. Die (vermeintlichen) Pflichtverletzungen des Klägers, die die Beklagte zum Ausspruch der Kündigungen veranlasst haben, werden darin ebenso geschildert wie die Abmahnungen und die dem aus Sicht der Beklagten zugrundeliegenden Sachverhalte.
Die Anhörungen sind nicht deshalb fehlerhaft, weil die Beklagte – wie der Kläger rügt – die Stellungnahmen, die seine Prozessbevollmächtigte im Rahmen des Inklusionsamtsverfahrens verfasst hat, den Gremien nicht zugänglich gemacht hätte.
Richtig ist im Ausgangspunkt, dass seine Darstellung der kündigungsrelevanten Sachverhalte zu den entlastenden Umständen gehört, über die die Gremien vor Ausspruch informiert werden müssen. Die Kammer konnte allerdings im Ergebnis offenlassen, ob die Gremien, wie die Beklagte behauptet, die schriftlichen Stellungnahmen des Klägers vom Inklusionsamt erhalten haben bzw. ob diese im Rahmen der dort durchgeführten Besprechung erörtert wurden. Denn nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht fest, dass sowohl der Betriebsrat als auch die Schwerbehinderung von der klägerischen Darstellung vor Ausspruch der Kündigung auf andere Weise Kenntnis erhalten haben.
Die Kammer hat die Zeuginnen YE. und QS. sowie die Zeugen TO. und OG. zum Inhalt der Anhörungen sowie ihren Kenntnissen vom Kündigungssachverhalt vernommen. Nach den protokollierten Aussagen der vernommenen Personen ist die Kammer überzeugt, dass die Gremien, denen die Beklagte die aus ihrer Sicht für die Kündigungen maßgeblichen Gesichtspunkte mitgeteilt hat, auch über die entlastenden Umstände, insbesondere über die Einlassungen des Klägers zu den ihm gemachten Vorwürfen, ausreichend informiert waren.
(1) Gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO hat das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlung und des Ergebnisses einer etwaigen Beweisaufnahme zu entscheiden, ob eine tatsächliche Behauptung für wahr oder nicht wahr zu erachten ist. Die Beweiswürdigung ist also auf eine individuelle Würdigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und des Ergebnisses der Beweisaufnahme zu gründen. Nach § 286 Abs. 1 ZPO ist bei umfassender Würdigung der erhobenen Beweise Ziel der Würdigung die Beantwortung der Frage, ob eine streitige Behauptung als erwiesen angesehen werden kann, ob also das Gericht von der Wahrheit der behaupteten Tatsache überzeugt ist. Absolute Gewissheit ist nicht zu verlangen (vgl. BGH 16.4.2013 – VI ZR 44/12 – Rn. 7; Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage, 2022, § 286 Rn. 19).
(2) Die Aussagen der Zeuginnen YE. und QS. waren zur Frage des Inhalts der konkreten Anhörungen weitgehend unergiebig.
(a) Die bei der Beklagten zuständige Mitarbeiterin im Bereich JQ., die Zeugin Frauke YE., hat ausweislich des Protokolls der Sitzung vom 27.01.2022 ausgesagt, bei ihr sei es regelmäßig so, dass bei einer Abmahnung ein Gespräch mit dem Betroffenen in Anwesenheit u.a. eines Vertreters des Betriebsrats und – bei Schwerbehinderung – der Schwerbehindertenvertretung stattfinde. Da zum Zeitpunkt der Abmahnungen die Schwerbehinderung des Klägers noch nicht bekannt gewesen sei, sei nur der Betriebsrat vertreten gewesen. Im Rahmen des Verfahrens vor dem Inklusionsamt sei zwar der Schwerbehindertenvertreter anwesend gewesen, hier seien die Vorwürfe und die Abmahnungen aber nach ihrer Erinnerung nicht mehr konkret besprochen worden.
(b) Die Betriebsratsvorsitzende QS. hat ausgesagt, sie wisse über den genauen Inhalt der Anhörung nichts, da die Beteiligung bei Kündigungen bei der Beklagten dem so genannten Kündigungsschutzausschuss (vgl. § 28 Abs. 1 BetrVG) übertragen sei und sie diesem nicht angehöre.
(3) Nach den Aussagen der Zeugen OG. und TO. ist die Kammer jedoch überzeugt, dass beide Gremien die von dem Kläger als entlastend angesehenen Umstände bereits aus dessen eigenen Schilderungen kannten und dass die Beklagte hiervon aufgrund des bei ihr üblichen Prozederes auch ausgehen durfte.
Im Einzelnen:
(a) Der Vorsitzende des Kündigungsschutzausschusses, der Zeuge OG., hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2022 ausgesagt, dass der Ausschuss den Kläger – wie in diesen Fällen üblich – im Rahmen des Beteiligungsverfahrens vor Ausspruch der von der Beklagten beabsichtigten Kündigung eingeladen und ihm Gelegenheit gegeben habe, seine Sicht der Dinge zu schildern. Die Beklagte wisse, dass dies bei Kündigungen so gehandhabt werde. Aufgrund der Schilderungen des Klägers sei der Betriebsrat zu dem Ergebnis gelangt, dass nur eine der Abmahnungen gerechtfertigt gewesen sei.
Des Weiteren hat der Zeuge – nach einer Prüfung der Daten in seinem Kalender – ausgesagt, dass er an der Besprechung mit Vertretern des Inklusionsamts am 06.06.2019 teilgenommen habe.
Die Kammer hat die Aussage des Zeugen Klink als glaubhaft bewertet. Ruhig und ohne erkennbare Unsicherheit hat er flüssig geschildert, wie der Ausschuss den Kläger im Rahmen des Anhörungsverfahrens eingeladen und sich seine Sicht der Dinge angehört habe. Zwar musste der Zeuge sich während seiner Vernehmung an einer Stelle korrigieren. Diese Korrektur betraf aber allein seine Erinnerung an das Verfahren vor dem Inklusionsamt und nicht das Anhörungsverfahren bei der Beklagten. Zudem hat die Kammer seinen Umgang mit der Erinnerungslücke als authentisch bewertet. Der Eindruck von Unvoreingenommenheit wurde dadurch eher bestätigt.
Die Kammer geht auf der Grundlage der glaubhaften Aussage des Zeugen davon aus, dass der Betriebsrat nicht nur über die Vorwürfe aus der Sicht der Beklagten, sondern auch über die Einwände und Rechtfertigungen des Klägers hinreichend informiert war. Da es im Betrieb, wie der Zeuge glaubhaft vermittelt hat, üblich ist, dass der Kündigungsschutzausschuss im Rahmen des Anhörungsverfahrens eine Stellungnahme des Betroffenen einholt, ist der Beklagten auch nicht der Vorwurf zu machen, sie habe dem Betriebsrat bewusst entlastende Umstände vorenthalten.
(b) Der Vertreter der schwerbehinderten Menschen, der Zeuge TH. TO., hat ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vom 27.01.2022 ausgesagt, dass er zwar nicht in seiner Funktion als Schwerbehindertenvertreter, aber als damaliges Mitglied des Betriebsrats bei den Gesprächen aus Anlass der Erteilung von Abmahnungen anwesend gewesen sei. Zwar habe sich der Kläger in einigen Abmahnungsgesprächen nicht geäußert. Er habe dann aber jeweils im Nachgang, mit ihm, dem Zeugen TO., hierüber gesprochen. Von dem kompletten Sachverhalt, der der Kündigung zugrunde gelegen habe, habe er sodann im Rahmen des formellen Anhörungsverfahrens Kenntnis erhalten. In diesem Zusammenhang habe er nochmals Gespräche mit dem Kläger geführt, in denen dieser seine Sicht der Dinge geschildert habe. Auch die beiden Stellungnahmen der Klägervertreterin zu den Kündigungsvorwürfen und den Abmahnungen, die diese im Rahmen des Inklusionsamtsverfahrens verfasst habe, seien ihm bekannt.
An der Glaubhaftigkeit der Aussage des Zeugen TO. hatte die Kammer ebenfalls keinen durchgreifenden Zweifel. Der Zeuge konnte sich an die Abläufe im Vorfeld der Kündigung gut erinnern. Seine Aussage wies Details auch zum Randgeschehen auf (runder Tisch). Wenn ihm Einzelheiten erst im Laufe der Vernehmung einfielen (z.B. Kenntnis von schriftlichen Stellungnahmen; Durchführung des Gesprächs mit dem Inklusionsamt in den Räumlichkeiten der Beklagten) oder wenn er vom Kläger darauf hingewiesen wurde (Schweigen des Klägers in Abmahngesprächen), hat er gelassen reagiert und seine Aussage entsprechend präzisiert oder richtiggestellt. Dieses Aussageverhalten verstärkte den Eindruck der Kammer, dass der Zeuge bemüht war, keine falschen Erklärungen abzugeben, Unsicherheiten offenlegte und sich der Richtigkeit seiner Erinnerung im Übrigen gewiss war. Es ergaben sich keine Hinweise darauf, dass der Zeuge ein bestimmtes Interesse am Ausgang des Verfahrens hatte oder sonst voreingenommen war.
Aufgrund der Aussage des Zeugen steht zur Überzeugung der Kammer fest, dass auch die Schwerbehindertenvertretung zu der beabsichtigten verhaltensbedingten Kündigung ordnungsgemäß angehört wurde. Neben den von der Beklagten mitgeteilten Kündigungsvorwürfen hat sie im Rahmen der – im Betrieb üblichen – Rücksprache mit dem betroffenen Kläger seine Sicht der Dinge erfahren und war somit auch über die (vermeintlich) entlastenden Umstände informiert. Darauf, ob die Schwerbehindertenvertretung später im Rahmen des Inklusionsamtsverfahren auch noch Kenntnis von den schriftlichen Stellungnahmen der Beklagtenvertreterin erhalten hat, kam es vor diesem Hintergrund nicht an.
b) Die verhaltensbedingte Kündigung ist auch ansonsten formell ordnungsgemäß. Insbesondere hat die Beklagte die gemäß § 168 SGB IX erforderliche Zustimmung des Integrationsamts (in Nordrhein-Westfalen: Inklusionsamt) eingeholt.
c) Die Kündigung ist jedoch nicht durch verhaltensbedingte Gründe sozial gerechtfertigt.
aa)Für eine verhaltensbedingte Kündigung genügen solche im Verhalten des Arbeitnehmers liegenden Umstände, die bei verständiger Würdigung in Abwägung der Interessen der Vertragsparteien zumindest die Kündigung als billigenswert und angemessen erscheinen lassen. Als verhaltensbedingter Grund ist insbesondere eine rechts- oder (vertrags-)widrige Pflichtverletzung aus dem Arbeitsverhältnis geeignet, wobei regelmäßig Verschulden erforderlich ist; die Leistungsstörung muss dem Arbeitnehmer vorwerfbar sein. Insofern genügt ein Umstand, der einen ruhig und verständig urteilenden Arbeitgeber zur Kündigung bestimmen kann (vgl. BAG 17.01.2008 – 2 AZR 536/06 – Rn. 13; BAG 21.11.1996 – 2 AZR 357/95 – Rn. 20; BAG 21.05.1992 – 2 AZR 10/92 – Rn. 27; BAG 17.01.1991 – 2 AZR 375/90 – Rn. 23; LAG Rheinland-Pfalz 16.04.2015 – 5 Sa 638/14 – Rn. 50).
Das Verschulden des Arbeitnehmers stellt im Regelfall ein taugliches Abgrenzungskriterium zwischen verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung dar. Normalerweise liegt dann, wenn der Arbeitnehmer sich anders verhalten kann, aber nicht anders verhalten will, ein verhaltensbedingter Kündigungsgrund nahe und im umgekehrten Fall, wenn der Arbeitnehmer sich nicht anders verhalten kann, ein personenbedingter Kündigungsgrund. Dies gilt allerdings nicht ausnahmslos. So kann das Fehlen der fachlichen Eignung als personenbedingter Kündigungsgrund persönlich vorwerfbar sein, wenn sich der Arbeitnehmer etwa die erforderliche fachliche Eignung schuldhaft nicht verschafft oder durch Fortbildungsmaßnahmen nicht aufrechterhalten hat. Für die Abgrenzung zwischen verhaltensbedingter und personenbedingter Kündigung ist maßgeblich, wo das Schwergewicht der Störung liegt bzw. aus welchem der Bereiche Störung kommt (vgl. BAG 21.01.1999 – 2 AZR 665/98 – Rn. 16 ff.; BAG 13.03.1987 – 7 AZR 724/85 – Rn. 31) und ob für die Zukunft weitere derartige Pflichtverstöße in einem unzumutbaren Ausmaß zu erwarten sind.
b)Ausgehend von diesen Grundsätzen kann die Beklagte die von ihr ausgesprochene Kündigung nicht auf verhaltensbedingte Gründe stützen.
Offenlassen konnte die Kammer, ob die einzelnen von der Beklagten angeführten Handlungen des Klägers jeweils objektiv Pflichtverletzungen darstellten und ob entsprechende Verstöße in der Vergangenheit abgemahnt wurden.
Denn die dem Kläger von der Beklagten vorgeworfenen Handlungen beruhen nach dem vorgetragenen Sachverhalt nicht auf steuerbarem Verhalten. Nach dem Ergebnis des ärztlichen Gutachtens von GQ. vom 19.02.2020, das das Inklusionsamt im Rahmen des Beteiligungsverfahrens eingeholt hat, besteht ein klarer Zusammenhang zwischen der Behinderung des Klägers (NB. und aktuell remittierte depressive Störung) und den von der Beklagten mit der Kündigung sanktionierten Verhaltensauffälligkeiten. Diese Beurteilung, die durch die Ausführungen des gerichtlich bestellten Sachverständigen im Rahmen seines Gutachtens bestätigt werden, hat die Beklagte – auch nach entsprechendem Hinweis in der Sitzung vom 11.11.2021 – nicht substantiiert angegriffen.
Das von der Beklagten beanstandete Verhalten ist dem Kläger damit subjektiv nicht vorwerfbar. Da die Pflichtverletzungen Ausfluss einer Erkrankung sind, liegt das Schwergewicht der Störung nicht im Bereich des Verhaltens, sondern im Bereich der persönlichen Eignung.
Die Kündigung ist nach alledem nicht durch verhaltensbedingte Gründe sozial gerechtfertigt.
3. Auf personenbedingte Gründe im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG kann die Beklagte ihre Kündigung – unabhängig davon, ob diese zum Zeitpunkt des Ausspruchs bestanden – nicht stützen.
a)Die Kammer konnte im Ergebnis dahinstehen lassen, ob die Kündigung, wie das Arbeitsgericht gemeint hat, auch mangels erforderlicher Zustimmung des Integrationsamtes (in Nordrhein-Westfalen: Inklusionsamt) wegen Verstoßes gegen § 168 SGB IX unwirksam ist. Hiergegen spricht aus Sicht der Kammer, dass das Inklusionsamt zum Zeitpunkt der Zustimmung sämtliche die Kündigung aus Sicht der Beklagten rechtfertigenden Umstände – einschließlich der gesundheitlichen Einschränkungen – kannte und der auf dieser Grundlage ausgesprochenen Kündigung die Zustimmung erteilt hat. Es ist also von der Beklagtengerade keine „andere“ Kündigung ausgesprochen worden als die, über die das Inklusionsamt befunden hat. Ob das Inklusionsamt seinerseits richtig entschieden hat und der Bescheid wirksam ist, ist von den Arbeitsgerichten nicht zu überprüfen.
b)Die Kündigung ist jedenfalls unwirksam, weil die Beklagte die Schwerbehindertenvertretung zu dem personenbedingten Kündigungsgrund nicht ordnungsgemäß nach § 178 Abs. 2 Satz 1, 3 SGB IX angehört hat.
Das Anhörungsschreiben vom 19.01.2019 bezog sich ausweislich seines insoweit eindeutigen Wortlauts auf eine beabsichtigte Kündigung aus verhaltensbedingten Gründen. Die Beklagte hat nicht den Beweis erbracht, dass sie die Schwerbehindertenvertretung – wie den Betriebsrat – mit Schreiben vom 04.11.2020 auch zu einer beabsichtigten (hilfsweisen) personenbedingten Kündigung angehört hat.
a)Der Schwerbehindertenvertreter, der Zeuge TH. TO., hat zwar ausgesagt, dass er das an den Kündigungsschutzausschuss gerichtete Anhörungsschreiben vom 04.11.2020 kenne. Auf nähere Nachfrage des Gerichts, ob er selbst dieses Schreiben erhalten habe, konnte er sich hieran jedoch nicht erinnern. Auch war ihm nicht mehr bewusst, ob er überhaupt in einen „zweiten Durchlauf“ einbezogen wurde. Er hat gemeint, dass er von der „zweiten Kündigung“ erst später – nach seiner krankheitsbedingten Abwesenheit – erfahren habe. Im Rahmen seiner weiteren Vernehmung hat der Zeuge erklärt, dass er sich auch nicht erinnern könne, dass ihm das Schreiben vom 04.11.2020 am 06.11.2020 ausgehändigt worden sei. Üblicherweise schreibe er eine Stellungnahme zu einer Anhörung. Da dies nicht gesehen sei, gehe er eher davon aus, dass er nicht angehört worden sei.
Die Kammer hat die Aussage des Zeugen auch insoweit als glaubhaft bewertet. Der Zeuge war sichtlich bemüht, sich die Abläufe in Erinnerung zu rufen und konnte hierbei auch Randgeschehen (Rückkehr aus Heidelberg, Nachmittag im Büro) wiedergeben. Da er sich erinnerte, in dem Zeitraum krank gewesen zu sein, hat er seine Kalendernotizen herangezogen. Gleichwohl konnte er den Erhalt des Anhörungsschreibens nicht bestätigen. Er hat plausibel und glaubwürdig erläutert, warum er im Gegenteil eher davon ausgegangen ist, das Schreiben nicht erhalten zu haben.
b)Die Betriebsratsvorsitzende, die Zeugin QS., hat in ihrer Vernehmung die Übergabe des Schreibens an den Zeugen TO. ebenfalls nicht bestätigten können. Sie hat im Gegenteil ausgesagt, sie halte es für unwahrscheinlich, dass sie ein solch offizielles Schreiben in das Funktionspostfach der Schwerbehindertenvertretung gelegt habe. Es sei möglicherweise so gewesen, dass sie dieses einer anderen Kollegin ausgehändigt habe, die es ihrerseits an die Schwerbehindertenvertretung hätte weitergeben sollen. Genaueres konnte sie hierzu aber nicht sagen.
Die Zeugin machte auf die Kammer einen glaubwürdigen Eindruck. Sie wirkte während ihrer Vernehmung unbefangen und ruhig. Erkennbar bemüht, sich an die lange zurückliegenden Vorgänge zu erinnern, hat sie die im Betrieb üblichen Abläufe geschildert. Über das konkrete Geschehen konnte sie jedoch nur Vermutungen anstellen. Dass die hierbei einen Geschehensablauf als möglich beschrieben hat, bei dem auch sie selbst eine Mitverantwortung für das „Verschwinden“ des Anhörungsschreibens träfe, spricht aus Sicht der Kammer ebenfalls für ihre Aufrichtigkeit. Ihre Einlassung, sich an die Übergabe des Schreibens an den Zeugen TO. nicht erinnern zu können, erschien der Kammer glaubhaft.
Der Beklagten ist es mithin nicht gelungen zu beweisen, dass die Schwerbehindertenvertretung zum beabsichtigten Ausspruch einer personenbedingten Kündigung angehört worden ist.
II. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien war auf Antrag der Beklagten gemäß §§ 9, 10 KSchG zum 31.12.2021 gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 81.178,50 EUR aufzulösen.
1. Der Auflösungsantrag der Beklagten ist der erkennenden Kammer zur Entscheidung angefallen. Die Beklagte hat diesen in zulässiger Weise für den Fall des Unterliegens mit dem Kündigungsschutzantrag betreffend die Kündigung vom 13.11.2020 gestellt. Diese innerprozessuale Bedingung ist eingetreten.
2. Der Auflösungsantrag ist nicht von vornherein deshalb ausgeschlossen, weil die auf personenbedingte Gründe gestützte Kündigung – wie oben dargelegt – wegen fehlender Beteiligung der Schwerbehindertenvertretung gemäß § 178 Abs. 2 Satz 3 SGB IX unwirksam ist.
Zwar kann ein Arbeitgeber eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG nur dann verlangen, wenn die Unwirksamkeit einer ordentlichen Kündigung allein auf ihrer Sozialwidrigkeit beruht (vgl. BAG 31.07.2014 – 2 AZR 434/13 – Rn. 44; BAG 24.11.2011 – 2 AZR 429/10 – Rn. 19 m.w.N.). Es ist aber unschädlich, wenn der Arbeitgeber zusätzlich weitere Kündigungssachverhalte geltend macht, die aus anderen Gründen die Unwirksamkeit der Kündigung begründen. Das Bundesarbeitsgericht hat entschieden, dass dann, wenn die Kündigung wegen fehlender Anhörung des Betriebsrats nur insoweit unwirksam ist, als sie auf krankheitsbedingte Gründe gestützt wird, die verhaltensbedingte Kündigung aber „nur“ hinsichtlich ihrer materiellen Berechtigung scheitert, dies die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gemäß § 9 KSchG nicht ausschließt (vgl. BAG 21.09.2000 – 2 AZN 576/00 – Rn. 7f.; dem folgend: BeckOK ArbR/Pleßner, Stand 01.12.2021, § 9 KSchG Rn. 58; Linck/Krause/Bayreuther/Linck, KSchG, 16. Auflage, 2019, § 9 Rn. 18; Boewer: Ausgewählte Aspekte des Kündigungsschutzprozesses, RdA 2001, 380).
Um einen ebensolchen Fall handelt es sich vorliegend: Soweit die Kündigung auf krankheitsbedingte Gründe gestützt wird, verstößt sie zwar gegen § 178 Abs. 2 Satz 1, 3 SGB IX, die verhaltensbedingte Kündigung ist jedoch „nur“ sozialwidrig.
2.Es liegen Gründe vor, die eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG auf Antrag der Beklagten rechtfertigen.
a)Das Kündigungsschutzgesetz lässt die Auflösung des Arbeitsverhältnisses bei Sozialwidrigkeit der Kündigung nur ausnahmsweise zu. Es ist nach seiner Konzeption ein Bestandsschutz- und kein Abfindungsgesetz. An die Gründe sind bei der Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers deshalb strenge Anforderungen zu stellen (vgl. BVerfG 22.10.2004 – 1 BvR 1944/01 – Rn. 26; BAG 29.08.2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 18).
Es sind die wechselseitigen Grundrechtspositionen des betroffenen Arbeitgebers und des Arbeitnehmers zu berücksichtigen und abzuwägen. So dürfen der gerichtlichen Durchsetzung von Grundrechtspositionen keine praktisch unüberwindlichen Hindernisse entgegengesetzt werden. Die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast darf den durch einfachrechtlichen Normen bewirkten Schutz grundrechtlicher Gewährleistungen nicht leerlaufen lassen (vgl. BVerfG 22.10.2004 – 1 BvR 1944/01 – Rn. 21, 23; BAG 23.06.2005 – 2 AZR 256/04 – Rn. 26).
aa)Als Auflösungsgründe für den Arbeitgeber im Sinne von § 9 Abs. 1 Satz 2 KSchG kommen Umstände in Betracht, die das persönliche Verhältnis zum Arbeitnehmer, eine Wertung seiner Persönlichkeit, Leistung oder Eignung für die ihm übertragenen Aufgaben und sein Verhältnis zu den übrigen Mitarbeitern betreffen. Die Gründe, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zwischen den Vertragspartnern nicht erwarten lassen, müssen nicht im Verhalten, insbesondere nicht im schuldhaften Verhalten des Arbeitnehmers liegen. Insofern ist schon fraglich, ob die aus § 1 Abs. 2 KSchG herzuleitende Unterscheidung zwischen betriebsbedingter, personenbedingter und verhaltensbedingter Kündigung auf eine Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach §§ 9, 10 KSchG überhaupt passt. Entscheidend ist, ob die objektive Lage bei Schluss der mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz die Besorgnis rechtfertigt, eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit sei gefährdet (BAG 29.08.2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 19; BAG 23.06.2005 – 2 AZR 256/04 – Rn. 28; LAG Köln 19.04.2005 – 9 (6) Sa 1059/04 – Rn. 53 f.; BeckOK ArbR/Pleßner, Stand 01.09.2022, § 9 KSchG Rn. 83a).
bb)Der Geeignetheit als Auflösungsgrund steht es nicht von vornherein entgegen, dass ein Sachverhalt die Kündigung selbst nicht rechtfertigen konnte. Der Arbeitgeber kann sich zur Begründung seines Auflösungsantrags auch auf Gründe berufen, auf die er zuvor – erfolglos – die ausgesprochene Kündigung gestützt hat. Dem Arbeitgeber ist es auch nicht verwehrt, Gründe vorzutragen, mit denen er im Kündigungsschutzprozess wegen fehlender Beteiligung der Arbeitnehmervertretung ausgeschlossen wäre (Gallner/Mestwerdt/ Nägele , Kündigungsschutzrecht, KSchG § 9 Rn. 73). In diesen Fällen muss er indes im Einzelnen vortragen, weshalb die unzureichenden Kündigungsgründe einer den Betriebszwecken dienlichen weiteren Zusammenarbeit entgegenstehen sollen (BAG 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 19 mwN.; BAG 19.11.2015 – 2 AZR 217/15 – Rn. 60; BAG 02.06.2005 – 2 AZR 234/04 -Rn. 28; ErfK/Kiel, 23. Auflage, 2023, § 9 KSchG Rn. 23). Der Vortrag des Arbeitgebers muss so beschaffen sein, dass sich das Gericht, wollte es die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf dieses Vorbringen stützen, nicht in Widerspruch zu seiner Beurteilung des Kündigungsgrundes als unzureichend setzen müsste (BVerfG 15.12.2008 – 1 BvR 347/08 – Rn. 14; BAG 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 19). So kann etwa der Anlass, der zur Kündigung geführt hat, die schlechte Prognose für eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit verstärken. Die Kündigungsgründe sind insoweit zu berücksichtigen und können geeignet sein, den sonstigen Auflösungsgründen besonderes Gewicht zu verleihen (vgl. BAG 23.06.2005 – 2 AZR 256/04 – Rn. 30).
cc) Die Begründetheit eines Auflösungsantrags ist grundsätzlich nach den Umständen zu beurteilen, die im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz vorlagen. Auf deren Grundlage ist zu fragen, ob in der Zukunft eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit zu erwarten ist (vgl. BAG 29.08.2013 – 2 AZR 419/12 – Rn. 20; Schaub ArbR-HdB, § 141. Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung Rn. 35a). Dabei muss das Gericht in einer Gesamtabwägung (vgl. hierzu auch BAG 24.05.2018 – 2 AZR 73/18 – Rn. 37) sämtliche Umstände würdigen, die vor und nach der Kündigung eingetreten sind, und zwar unabhängig davon, wann der Arbeitgeber den Auflösungsantrag gestellt hat (vgl. ErfK/Kiel, 23. Auflage, 2023, § 9 KSchG Rn. 13). Dies entspricht der Intention des Gesetzes, auch erst während der prozessualen Auseinandersetzung der Parteien auftretende Gründe für die Prognose der Qualität der weiteren Zusammenarbeit der Parteien heranziehen zu können (MAH ArbR, § 48 Der Kündigungsschutzprozess Rn. 337). Trotz der nach § 9 Abs. 2 KSchG gesetzlich angeordneten Rückwirkung hängt die Begründetheit des Antrags also nicht von einer rückschauenden Bewertung ab (ErfK/Kiel, 23. Auflage, 2023, § 9 KSchG Rn. 13)
b)In Anwendung dieser Grundsätze liegt ein Auflösungsgrund im o.g. Sinne vor.
Die Beklagte hat ihren Auflösungsantrag damit begründet, angesichts seiner vor und nach dem Ausspruch der Kündigung gezeigten Verhaltensauffälligkeiten, die – unstreitig – auf einer psychischen Erkrankung beruhten, sei davon auszugehen, dass der Kläger auf absehbare Zeit nicht in der Lage sein werde, weisungsgemäß und unter Akzeptanz konkreter Vorgaben seiner Vorgesetzten Arbeit zu erbringen und dass dies auch durch Umsetzungen auf einen anderen Arbeitslatz oder Unterstützungsmaßnahmen zu ändern sei.
Die Beklagte hat damit nicht lediglich den zur Begründung der Kündigung angeführten Sachverhalt wiederholt, sondern ihren Auflösungsantrag auf eine zukunftsgerichtete Prognose gestützt, die auf der Gesamtschau der Ereignisse – einschließlich der Geschehnisse nach Ausspruch der Kündigung – bis zum aktuellen Zeitpunkt basiert.
Diese Prognose ist gerechtfertigt.
Die Kammer verfügt für die im Rahmen der Prognoseentscheidung zu beantwortende Frage, die die gesundheitliche Beeinträchtigung des Klägers betrifft, über keine ausreichende Sachkunde und hat daher Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben.
aa) Aus § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO folgen das Recht und die Pflicht des Richters, das Sachverständigengutachten in allen Punkten einer selbständigen, eigenverantwortlichen Prüfung zu unterziehen. Richtigkeit und Vollständigkeit der dem Gutachten zugrunde gelegten Anknüpfungstatsachen sowie der vom Sachverständigen aufgrund seiner Sachkunde festgestellten Befundtatsache sind zu kontrollieren und die Schlussfolgerung des Sachverständigen auf ihre Überzeugungskraft hin zu prüfen. Dies gilt umso mehr, je schwieriger die zu beantwortende Fachfrage ist. Das Gericht hat sich die Entscheidung selbst zu erarbeiten und die Begründung selbst zu durchdenken, denn die rechtsprechende Gewalt ist den unabhängigen, nur dem Gesetz unterworfenen Richtern anvertraut (Art. 92, 97 GG); sie dürfen sich vom Sachverständigen nur helfen lassen (vgl. BGH 26.04.1955 – 5 StR 86/55 – NJW 1955, 1642; LAG Rheinland-Pfalz, 15.03.2021 – 3 Sa 397/17 – Rn. 458). Die Äußerungen des Sachverständigen sind insgesamt auf Vollständigkeit, Schlüssigkeit sowie Widerspruchsfreiheit in sich – gerade auch bei mehreren Äußerungen – und zu anderen, auch außergerichtlichen Gutachten nachzuvollziehen und zu überprüfen (vgl. BGH 02.07.2013 – VI ZR 110/13 – Rn. 7; BGH 21.01.2009 – VI ZR 170/08 – Rn. 7; BGH 03.12.2008 – IV ZR 20/06 – Rn. 8; LAG Rheinland-Pfalz 02.09.2019 – 3 Sa 527/16 – Rn. 357). Bei der inhaltlichen Beurteilung ist zu beachten, dass das Gericht gerade deshalb ein Sachverständigengutachten eingeholt hat, weil es sich selbst nicht für ausreichend sachkundig hält (vgl. BGH 18.11.2020 – VIII ZR 123/20 – Rn. 69). Einwendungen der Parteien sind, soweit nicht offensichtlich unbegründet, ernst zu nehmen. Das Gericht hat schließlich gemäß § 281 Abs. 1 Satz 2 ZPO die für seine Überzeugung leitenden Gründe im Urteil darzustellen; dieses muss erkennen lassen, dass das Gericht das Vorbringen der Parteien zu den Ausführungen des Sachverständigen zur Kenntnis genommen hat und diese in die Beurteilung Einzug gefunden haben.
bb)In Anwendung dieser Grundsätze steht zur Überzeugung der Kammer im Sinne des § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO fest, dass der Kläger auf absehbare Zeit (innerhalb eines Zeitraums von bis zu 24 Monaten) nicht mehr in der Lage sein wird, fremdbestimmt und unter Akzeptanz konkreter Vorgaben der Beklagten Arbeit zu erbringen bzw. dass diese Fähigkeit erheblich eingeschränkt sein wird und dass dies auch nicht durch Umsetzungen auf einen anderen Arbeitslatz oder Unterstützungsmaßnahmen zu ändern ist.
(1)In seinem Ausgangsgutachten hat der Sachverständige zunächst klar, vollständig, nachvollziehbar und schlüssig dargelegt, dass der Kläger an einer Persönlichkeitsstörung mit J., HU. und JN. Anteilen sowie einer aktuell remittierten depressiven Störung leide. Bei dieser gemischten Persönlichkeitsstörung sei eine grundlegende und nachhaltige Veränderung oder Verbesserung in absehbarer Zeit nicht zu erwarten. Er hat zudem festgestellt, dass insbesondere die narzisstischen Anteile der Störung die von der Beklagten beanstandeten Verhaltensauffälligkeiten verursacht hätten. Dass der Kläger in der Vergangenheit in der Lage war, eine überdurchschnittliche Leistung zu erbringen und nicht auffällig wurde, ist danach damit zu erklären, dass der hohe Selbstanspruch im Rahmen der HU. bzw. VJ. Persönlichkeitsanteile während dieser Zeit im Vordergrund stand. Mit dem Verlust des externen Selbstwertbezugs rückten, so der Sachverständige, die narzisstischen Persönlichkeitsanteile in den Vordergrund. Die Fähigkeit, weisungsgebunden und fremdbestimmt zu arbeiten, besteht danach nur, solange die JN. Persönlichkeitsanteile ausreichend befriedigt werden. Dann kommt es zu einem sich selbst verstärkenden Kreislauf, der in erhöhter Leistungsbereitschaft mündet. Im Fall einer Unterbrechung des Systems werden wiederum die narzisstischen Persönlichkeitsanteile getriggert.
(2)Ausgehend von diesen Diagnosen hat der Sachverständige in der Ergänzung zu seinem Ausgangsgutachten festgestellt, dass es sich um ein stabiles Störungsbild handele, bei dem weder mit einer Verschlimmerung, noch mit einer grundlegenden Verbesserung zu rechnen sei. Zu den beanstandeten Verhaltensweisen sei es in einer Ausnahmesituation gekommen, in der der Kläger Maßnahmen der Beklagten als unfair und ungerechtfertigt empfunden habe – womit er in Teilen vor dem Arbeitsgericht Recht bekommen habe. Vor dem Hintergrund, dass der Kläger davor 17 Jahre weitgehend störungsfrei Arbeit geleistet habe, sei abzuleiten, dass dies in einem „kollegialen und von gegenseitigem Respekt geprägten beruflichen Umgang“ auch zukünftig zu erwarten sei.
In Vorbereitung der Sitzung, zu der der Sachverständige zur Erläuterung seines Gutachtens geladen worden war, ist er um eine Konkretisierung bzw. Klarstellung gebeten worden, ob das gefundene Ergebnis auch gilt, wenn der (streitige) Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt wird. Mit Blick auf die von der Beklagten mitgeteilten zwischenzeitlich eingetretenen weiteren Vorfälle ist er zudem gebeten worden, dazu Stellung zu nehmen, ob sich an dem gefundenen Ergebnis etwas durch die Einbeziehung dieses Sachverhalts ändert.
Der Sachverständige hat hierzu ausgeführt, die berichteten Ereignisse zeigten, dass sich die persönlichkeitsstörungsbedingten Verhaltensauffälligkeiten zugespitzt hätten, die einen mitunter verhöhnenden und auch bedrohlichen Charakter hätten. Das im Normalfall zu erwartende deeskalierende Verhalten sei nicht mehr ersichtlich. Der Kläger habe ein Feindbild entwickelt, das er primär bekämpfen wolle, um eine narzisstische Befriedigung zu erreichen. Seine im Ausgangsgutachten getroffene Einschätzung, die auf der Grundannahme beruht habe, dass sich der Kläger um ein kollegiales und von gegenseitigem Respekt geprägtes Miteinander bemühen wolle, sei nicht mehr aufrecht zu erhalten.
(3)An der Sachkunde des Sachverständigen bestehen keine Zweifel. Er verfügt als Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie über die anerkannte Ausbildung auf dem medizinischen Fachgebiet, die erforderlich ist, um die Erkrankung des Klägers zu erfassen und zu beurteilen.
Dass er die Diagnosen fachkundig hergeleitet und auf dieser Grundlage das Verhalten des Klägers erklärt hat, wird von den Parteien, auch soweit sie sich auf den Sachverstand privater Gutachter stützen, im Grundsatz nicht in Zweifel gezogen. Anhaltspunkte dafür, dass die vom Sachverständigen für die Diagnosestellung angewandten Methoden nicht dem Stand von Wissenschaft und Forschung entsprechen, liegen nicht vor. In Übereinstimmung mit dem Gutachten von Frau Prof. Dr. Neuner hat der Sachverständige festgestellt, dass der Kläger an einer kombinierten Persönlichkeitsstörung leidet. Zwar hat der Kläger in der mündlichen Verhandlung darauf hingewiesen, dass Frau GQ. in ihrem Gutachten lediglich die HU. und die VJ. Anteile dieser Störung festgestellt habe. Ob und inwiefern die von dem Sachverständigen erstellte Diagnose, nach der auch JN. Anteile zu erkennen sind, unrichtig sein soll, wurde aber weder näher dargelegt, noch ergeben sich hierfür Anhaltspunkte. Der Sachverständige hat im Gegenteil auf die Nachfrage der Klägervertreterin unter Bezugnahme auf den vorgetragenen Sachverhalt nachvollziehbar erläutert, welche Verhaltensweisen klar als JN. Anteile einzuordnen sind und inwiefern diese in den letzten Jahren verstärkt in den Vordergrund getreten sind.
(4)Der Sachverständige hat die Beweisfrage richtig erfasst und – unter Berücksichtigung auch der Ergänzungen sowie der Erläuterungen in der Sitzung vom 02.03.2023 – vollständig bearbeitet.
(a)Soweit der Sachverständige in seinen schriftlichen Ausführungen meist auf die Darstellung aus Sicht des Klägers abgestellt hat, entspricht dies den Vorgaben im gerichtlichen Beweisbeschluss. Denn dem Sachverständigen ist von dem Gericht in Bezug auf die streitig vorgetragenen Umstände kein feststehender Sachverhalt unterbreitet worden. Nach dem Gutachtenauftrag war daher zunächst zu unterstellen, dass der Vortrag des Klägers zutrifft, bevor – wenn die Prognose nicht getroffen werden kann – zusätzlich zu untersuchen war, ob sich etwas ändert, wenn der Vortrag der Beklagten als richtig unterstellt wird. Der Sachverständige hat bereits im Gutachten deutlich gemacht und im Rahmen seiner Anhörung in der mündlichen Verhandlung nochmals näher erläutert, dass das zuletzt gefundene Ergebnis unabhängig von der Richtigkeit des jeweiligen Sachvortrags richtig ist. Er hat ausgeführt, dass die Diagnose zwar ggf. – je nachdem, welcher Sachvortrag als richtig zu unterstellen sei – etwas mehr oder weniger „unterstrichen“ werde, dass aber die getroffene Prognose hiervon unabhängig getroffen werden könne.
(b)Im Hinblick auf die Frage, ob durch behinderungsgerechten Einsatz, z.B. eine Umsetzung oder eine Unterstützung in Form eines Jobcoachings, eine Stabilisierung des Gesundheitszustandes zu erreichen sei, hat er sein schriftliches Gutachten im Rahmen der mündlichen Erläuterung ergänzt und die Frage klar dahingehend beantwortet, dass durch derartige Maßnahmen die erwartete Destabilisierung nicht vermieden werden könne. Da die krankhaften Reaktionen durch sämtliche Unwägbarkeiten hervorgerufen werden könnten, sei das Verhaltensmuster nicht dauerhaft zu beeinflussen. Die getroffene Prognose umfasst somit auch die nach dem Beweisbeschluss zu treffende zusätzliche Feststellung, dass die getroffene Prognose auch unter Einbeziehung der o.g. Maßnahmen gilt.
(5)Soweit in dem schriftlichen Gutachten vereinzelt scheinbar zwischen Rechts- und Tatfrage nicht konsequent getrennt wurde, handelt es sich ersichtlich um bloße Formulierungsunsicherheiten, die darauf beruhen, dass der Sachverständige unbewusst juristische Begrifflichkeiten zur Beschreibung tatsächlicher Situationen verwandt bzw. vom Kläger im Rahmen seiner Untersuchung benutzte Formulierungen übernommen hat. Letzteres ist insbesondere deswegen nicht zu beanstanden, weil der Sachverständige nach dem Gutachtenauftrag zunächst zu unterstellen hatte, dass der Vortrag des Klägers zutrifft, bevor ggf. zusätzlich zu untersuchen war, ob sich bei Richtigkeit des Beklagtenvortrags etwas ändern würde. Dies hat der Sachverständige, wie dargelegt, getan. Soweit er in seiner Zusammenfassung erklärt hat, den Kollegen könne nicht „abverlangt“ werden, sich dem vom Krankheitsbild des Klägers geprägten Verhalten auszusetzen, so dass eine günstige Prognose „hinsichtlich einer weiteren gedeihlichen Zusammenarbeit [] nicht mehr attestiert werden“ könne, stellt dies ebenfalls keine unzulässige rechtliche Bewertung dar. Der Sachverständige hat hierzu nachvollziehbar mündlich erläutert, dass er die im allgemeinen Sprachgebrauch übliche Formulierung verwandt habe, um auszudrücken, dass das Sozialverhalten des Klägers nicht nur gegenüber Vorgesetzten, sondern auch gegenüber Kollegen stark vom „Normalbild“ abweiche. Es sei wichtig festzustellen, dass es ihm auch an sozial-interaktionellen Fähigkeit mangele. Mit der Aussage hat der Sachverständige somit die Schilderung der Auswirkungen des Krankheitsbildes nachvollziehbar abgerundet und ist damit im Rahmen der von ihm zu beantwortenden Beweisfragen geblieben.
(6)Schließlich sind die gutachterlichen Feststellungen auch nicht in sich widersprüchlich.
(a)Die von der Beklagten erhobene Rüge, das Gutachten sei widersprüchlich, weil darin einerseits für die Zeit vor 12017 davon ausgegangen sei, dass es „keine Hinweise auf Verstöße im Sinne des Arbeitsrechtes“ gegeben habe und der Kläger „seiner beruflichen Tätigkeit vollumfänglich“ nachgekommen sei, andererseits aber der einjährige Aufenthalt in einer LVR-Tagesklinik erwähnt werde, ist unbegründet. Wie der Sachverständige auch im Rahmen seiner mündlichen Erläuterung nochmal deutlich gemacht hat, haben sich die Auswirkungen des Krankheitsbildes im Laufe der Jahre verändert. Während er in früheren Jahren, so der Sachverständige, vor allem mit Erschöpfung reagiert habe, seien Verhaltensauffälligkeiten im Sinne von Pflichtverstößen in dieser Zeit noch nicht aufgetreten. Diese Ausführungen stehen nicht in Widerspruch zu einander, sondern erklären nachvollziehbar die Entwicklung der Erkrankung.
(b)Das Gutachten ist auch nicht deswegen in sich widersprüchlich, weil der Sachverständige darin zunächst eine positive Prognose gestellt und diese später revidiert hat.
Richtig ist, dass der Sachverständige in seinem Ausgangsgutachten bereits einen dauerhaften und in absehbarer Zeit nicht zu verändernden Bestand des Störungsbildes festgestellt hat, aber zunächst davon ausgegangen ist, der Kläger werde wieder in der Lage sein, fremdbestimmt und unter Akzeptanz von Vorgaben zu arbeiten. Diese positive Prognose hat der Sachverständige in seiner ergänzenden Stellungnahme vom 02.11.2022 revidiert.
Trotz dieser auf den ersten Blick gegensätzlichen Aussagen des Sachverständigen ist das Gutachten jedoch in sich schlüssig. Hierbei ist die Besonderheit der dem Gutachter unterbreiteten Fragestellung zu berücksichtigen: Für die Begründetheit des Auflösungsantrags kommt es, wie dargelegt, auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung an. Entsprechend hat der Beweisbeschuss explizit auf den „aktuellen Zeitpunkt“ abgestellt. Um dem Rechnung tragen zu können, waren zur Beantwortung der Beweisfrage alle bis zur letzten mündlichen Verhandlung eingetretenen Umstände zu berücksichtigen.
(aa)Der Sachverständige hat in der Verhandlung vom 02.03.2023 seine schriftlichen Ausführungen ergänzt und für die Kammer einsichtig erklärt, warum die zwischenzeitlich eingetretenen Umstände ihn dazu veranlasst haben, die Beweisfrage zuletzt negativ zu beantworten: Durch die nachträglich bekannt gewordenen Umstände sei das Ausmaß des Agierens des Klägers deutlicher erkennbar geworden. Seine ursprüngliche Einschätzung, dass der Kläger trotz seiner manifesten Störung willens und in der Lage sei, deeskalierend mit Arbeitgeber und Kollegen umzugehen, sei hierdurch widerlegt worden. Es sei offenbar geworden, dass die Kränkung von ihm derart massiv wahrgenommen werde und sich das „Feindbild OU.“ so verfestigt habe, dass er darauf mit dem Ausleben aversiver Affekte reagieren müsse.
Damit wird deutlich, dass die zuletzt getroffene Prognose nicht im Widerspruch zu der ursprünglichen Feststellung steht. Vielmehr wird sie aus den ursprünglichen Feststellungen logisch und überzeugend hergeleitet. Der Sachverständige hatte – unter Hinweis auf das über lange Strecken weitgehend ungestörte Arbeitsverhältnis – zunächst nachvollziehbar die verbleibende Restunsicherheit im Hinblick auf die zukünftige Entwicklung positiv bewertet. Diese Ungewissheit war aber durch die späteren Ereignisse beseitigt worden, so dass die Prognose danach negativ ausfallen musste.
(bb)Der Plausibilität des gefundenen Ergebnisses steht nicht entgegen, dass der Kläger kein weiteres Mal persönlich untersucht worden ist. Anschaulich hat der Sachverständige insofern erklärt, wofür eine persönliche Untersuchung im Rahmen einer Gutachtenerstellung erforderlich ist und warum sie im konkreten Fall nicht wiederholt werden musste. Bei der Untersuchung einer psychischen Erkrankung gehe es, so der Sachverständige, vor allem darum, die gestellte Diagnose umfassend zu überprüfen und diese u.a. durch ein persönliches Erleben der Reaktionen des Patienten abzusichern. Eine zweite Untersuchung sei entbehrlich, wenn – wie vorliegend – ein tief verankertes, unveränderliches Störungsbild festgestellt worden und eine Änderung innerhalb eines relativ kurzen Zeitraums nicht zu erwarten sei. Diese Erläuterung hat die Kammer überzeugt.
(7)Dem Antrag des Klägers, die Beweisaufnahme fortzusetzen und ein weiteres psychiatrisches Gutachten einzuholen, war nicht zu entsprechen. Das Gericht wäre gemäß § 412 Abs. 1 ZPO verpflichtet gewesen, ein neues Gutachten zu beauftragen, wenn es das bisherige für ungenügend erachtet hätte. Ein ungenügendes Gutachten liegt vor, wenn es die Beweisfrage nicht vollständig abarbeitet, nicht aufzuklärende Widersprüche enthält, von unzutreffenden tatsächlichen Voraussetzungen ausgeht, der Sachverständige nicht die erforderliche Sachkunde hat oder wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse vorliegen, die von dem Sachverständigen bei der Begutachtung nicht berücksichtigt wurden (vgl. BGH 29.11.1995 – VIII ZR 278/94 – Rn. 14; Zöller/Greger, ZPO, 34. Auflage, 2022, § 412 Rn. 2; Kern/Diehm-Förster, ZPO, 2. Auflage, 2020, § 412 Rn. 1). Ist das Gutachten widersprüchlich oder werden hiergegen Einwendungen erhoben, sind die Widersprüche zunächst durch Befragung des Sachverständigen zu klären und die Einwendungen auszuräumen. Erst wenn sich insoweit keine Klarheit erzielen lässt oder die Einwendungen auch nach der Erläuterung begründet erscheinen, ist ein weiteres Gutachten erforderlich. (vgl. BGH 26.02.2020 – IV ZR 220/19 – Rn. 12; BGH 16.01.2001 – VI ZR 408/99 – Rn. 19; BGH 09.01.1996 – VI ZR 70/95 – Rn. 13 ff.; BGH 06.03.1986 – III ZR 245/84 – Rn. 40; BGH 19.05.1981 – VI ZR 220/79 – Rn. 8).
Im Streitfall liegen die dargelegten Voraussetzungen für die Einholung eines weiteren Gutachtens nicht vor. Wie oben ausführlich dargelegt, verfügt der Sachverständige über die erforderliche Sachkunde und hat sein Gutachten auf der Basis wissenschaftlich anerkannter Methoden erstellt. Die getroffenen Aussagen zur Prognose sind nur auf den ersten Blick gegensätzlich. Die Änderung der Einschätzung wird schlüssig und einleuchtend aus dem weiteren Geschehen hergeleitet.
cc)Unter Berücksichtigung der von dem Sachverständigen getroffenen Prognose sowie unter Würdigung sämtlicher Umstände des Falles ist eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht zu erwarten.
Wie sich aus den gutachterliche Feststellungen ergibt, führt die Persönlichkeitsstörung in Verbindung mit dem von ihm entwickelten „Feindbild“ dazu, dass der Kläger immer wieder in ein destruktives Verhaltensmuster verfallen wird. Auch dann, wenn der Arbeitgeber und die Kollegen auf seine Erkrankung Rücksicht nehmen, der Kläger also z.B. in einem anderen Arbeitsumfeld eingesetzt und das Verhalten ihm gegenüber objektiv stets angemessen und fair ist, wird es nach der Prognose des Sachverständigen zu „krankheitsbedingten Ausfällen“ kommen. Diese werden sich – ausgehend von seinem Verhalten in der Vergangenheit sowie den Feststellungen des Sachverständigen – zum einen darin äußern, dass der Kläger von ihm nicht als richtig empfundene Vorgaben durch Vorgesetzte schlicht nicht umzusetzen bereit ist. Die Rückkehr des Klägers in den Betrieb hätte zur Folge, dass Vorgesetzte bei der Erteilung von Weisung jederzeit mit einer Verweigerungshaltung des Klägers rechnen müssten. Zum anderen ist – hierauf hat der Sachverständige im Rahmen der mündlichen Erläuterung nochmals hingewiesen – davon auszugehen, dass der Kläger auch im kollegialen Miteinander immer wieder sozial inadäquat und destruktiv agieren wird, Vorgesetzten und Kollegen gegenüber respektlos, verhöhnend und drohend auftritt.
Die beschriebene, auf absehbare Zeit fortbestehende Unfähigkeit, sich bei der Beklagten in eine arbeitsplatzbezogene Hierarchie einzuordnen, sich in ein kollegiales Umfeld einzufügen, hat zur Folge, dass ein vertrauensvolles Miteinander nicht möglich ist.
Die Kammer verkennt nicht, dass zum einen bei der Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers an die Gründe für die Auflösung eines Arbeitsverhältnisses strenge Anforderungen zu stellen sind und dass zum anderen dem Kläger sein Fehlverhalten nicht vorwerfbar sind. Sie hat gewürdigt, dass es sich bei den zu erwartenden „Verhaltensauffälligkeiten“ nicht unbedingt und in jedem Einzelfall um schwerwiegende Pflichtverletzungen handelt. In ihrer – nicht konkret planbaren – Wiederholung beeinträchtigen die mit der Persönlichkeitsstörung verbundenen Verhaltensmuster die im Arbeitsverhältnis unverzichtbare Zusammenarbeit aber massiv. Die ständig bestehende Gefahr, dass der Kläger sich aufgrund einer von ihm empfundenen Kränkung pflichtwidrig verhält, sei es durch das Ignorieren von Vorgaben, sei es durch beleidigende oder bedrohlich wirkende Äußerungen, steht einer gedeihlichen Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses entgegen.
4. Das Arbeitsverhältnis war zum Ablauf der Kündigungsfrist gegen Zahlung einer Abfindung in Höhe von 81.178,56 EUR brutto aufzulösen.
a) Für die Abfindung ist zunächst das unstreitige monatliche Bruttogehalt (§ 10 Abs. 3 KSchG) des Klägers 6.764,88 EUR zu Grunde zu legen, das dem Kläger zum Auflösungszeitpunkt, im Monat Dezember 2021, zustand. Der arbeitsleistungsbezogene Bonus sowie das 13. Monatsentgelt waren hierbei anteilig zu berücksichtigen (APS/Biebl, 6. Auflage, 2021, § 10 KSchG Rn. 16; ErfK/Kiel, 23. Auflage, 2023, § 10 KSchG Rn. 2; Linck/Krause/Bayreuther-Link, KSchG, 16. Auflage, 2019, § 10 Rn. 11).
b)Im Übrigen sind für die Bemessung der Höhe der Abfindung die konkreten Umstände des Einzelfalls heranzuziehen. Kriterien sind dabei u.a. die Dauer des Beschäftigungsverhältnisses (vgl. BAG 18.03.1993 – 8 AZR 331/92 – Rn. 54), eine etwaige neue berufliche Situation des Arbeitnehmers sowie das Maß der Sozialwidrigkeit der Kündigung (vgl. BAG 21.06.2012 – 2 AZR 694/11 – Rn. 40). Als mindernd kann berücksichtigt werden, wenn der Arbeitnehmer den Auflösungsgrund schuldhaft herbeigeführt hat (vgl. BAG 18.03.1993 – 8 AZR 331/92 – Rn. 54; BAG 10.10.2002 – 2 AZR 240/01 – Rn. 41 a.E.). Zu beachten ist weiter die Höchstgrenze des § 10 Abs. 1 KSchG bzw. die erhöhten Höchstgrenzen nach § 9 Abs. 2 KSchG.
b)In Anwendung dieser Grundsätze erachtet die erkennende Kammer eine Abfindung in Höhe des nach § 10 Abs. 1 KSchG zulässigen Maximalbetrags von zwölf Monatsverdiensten als angemessen. Dies entspricht knapp 0,58 Monatsverdiensten pro vollem Beschäftigungsjahr. Die Kammer hat hierbei sämtliche Umstände des Einzelfalls in den Blick genommen. Sie ist bei der Bemessung zunächst von der – verhältnismäßig langen – Betriebszugehörigkeit von mehr als 21 Jahren ausgegangen, die einem hohen sozialen Besitzstand entspricht. Die Kammer hat zudem berücksichtigt, dass die (verhaltensbedingte) Kündigung der Beklagten weder ein besonders geringes noch ein besonders hohes Maß an Sozialwidrigkeit aufweist, was eine Abfindungshöhe im mittleren Rahmen rechtfertigt. Da die Umstände, die den Auflösungsgrund bilden, nicht auf steuerbarem, schuldhaftem Verhalten des Klägers beruhen, war eine Minderung nicht angezeigt. Mit Blick auf sein Alter liegt der Kläger bereits nah an der erweiterten Obergrenze gemäß § 10 Abs. 2 Satz 1 KSchG. Auch wenn die Arbeitsmarkbedingungen derzeit grundsätzlich eher gut sind, wird es für den Kläger aufgrund seines Alters und seiner Behinderung schwierig sein, eine annähernd gleichwertige Stelle zu finden. Auch unter Berücksichtigung dieser beruflichen Situation nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erscheint es der Kammer angemessen, den zulässigen Rahmen bis zur gesetzlichen Höchstgrenze auszuschöpfen.
III.Der lediglich hilfsweise für den Fall des Obsiegens gestellte Antrag auf Weiterbeschäftigung fiel nicht zur Entscheidung an.
B. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.
C.Für eine Zulassung der Revision an das Bundesarbeitsgericht bestand angesichts der dafür geltenden Voraussetzungen des § 72 Abs. 2 ArbGG keine Veranlassung.