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Jahresurlaub – Nichtanrechnung behördlich angeordnete Corona-Quarantäne

Arbeitsgericht Bremen-Bremerhaven – Az.: 6 Ca 6035/21 – Urteil vom 08.06.2021

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Rechtsstreits.

3. Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 778,11 EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine Gutschrift von Urlaubstagen für einen Zeitraum, in dem der Kläger sich in angeordneter Quarantäne befunden hat.

Der Kläger ist seit dem 02.05.1984 bei der Beklagten als KfZ-Schlosser mit einem Bruttomonatsgehalt i.H.v. 4.214,76 € brutto und einer wöchentlichen Arbeitszeit von 35 Stunden beschäftigt.

Auf der Jahresurlaubskarte des Klägers war für den Zeitraum vom 28.12.2020 bis zum 31.12.2020 Urlaub eingetragen. Dies Karte ist vom Kläger und seinem Vorgesetzten unterzeichnet (Vgl. Bl. 9 d.A.). Der Urlaub wurde dem Kläger am 04.11.2020 genehmigt.

In dem Zeitraum vom 21.12.2020 bis zum 04.01.2021 unterlag der Kläger einer Quarantäne-Anordnung des zuständigen Gesundheitsamts Bremen (vgl. 50 der Akte).

Der Kläger machte eine Gutschrift der vier Urlaubstage mit E-Mail vom 15.01.2021 geltend (vgl. Bl. 12 d.A.).

Der Kläger trägt vor, er habe infolge der Quarantäne-Anordnung seinen Urlaub nicht zur Erholung nutzen können. Er ist der Auffassung, dass ihm der Urlaub entsprechend § 9 BUrlG gutgeschrieben werden müsse. Eine Analogie sei angezeigt, weil die angeordnete Quarantäne mit der Krankheit im Sinne von § 9 BUrlG vergleichbar sei. Der Kläger beruft sich insbesondere auf die Entscheidung des BGH vom 30.11.1978, Az.: III ZR 43/77.

Der Kläger beantragt: Die Beklagte wird verurteilt, dem Urlaubskonto des Klägers 4 Tage Resturlaub gutzuschreiben.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Die Beklagte ist der Auffassung, dass § 9 BUrlG auf den vorliegenden Fall nicht entsprechend angewendet werden könne. Urlaub bedeute Freistellung von der Arbeit. Sinn und Zweck des Urlaubs sei die Erholung. Diese könne grundsätzlich auch dadurch erreicht werden, dass die arbeitsfreie Zeit zu Hause verbracht werde. Die Möglichkeit, Fernreisen oder sonstige Aktivitäten außerhalb der Wohnung entfalten zu können, sei nicht Voraussetzung für eine wirksame Urlaubsgewährung. Bei § 9 BUrlG handele es sich um eine abschließende Sonderregelung, die nicht analogiefähig sei. Die Beklagte beruft sich insbesondere auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG, Urteil vom 25.08.2020, AZ.: 9 AZR 612/19).

Wegen des weiteren Sachvortrages wird auf die wechselseitigen Schriftsätze sowie die Protokolle zu den mündlichen Verhandlungen verwiesen

Entscheidungsgründe

Die zulässige Klage ist unbegründet.

I.

Dem Kläger steht der geltend gemachte Anspruch nicht zu.

1.)

Der Urlaubsanspruch ist durch entsprechende Gewährung des Urlaubs für die Tage vom 28.12.2020 bis 31.12.2020 erfüllt worden und damit erloschen, § 362 BGB.

2.)

Die streitgegenständlichen Urlaubstage mussten dem Kläger nicht gemäß § 9 BUrlG gutgeschrieben werden. Nach dem sich aus der Akte ergebenden Sachvortrag war der Kläger an diesen Tagen nicht erkrankt, sodass die Norm nicht unmittelbar Anwendung finden kann.

3.)

Diese Urlaubstage werden dem Kläger auch nicht analog § 9 BUrlG nicht angerechnet, weil eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG auf die behördlich angeordnete Quarantäne nach § 30 IfSG abzulehnen ist (wie hier: ArbG Halle (Saale), Urteil vom 23. Juni 2021 – 4 Ca 285/21 –, Rn. 30, juris; ArbG Bonn, Urteil vom 07.07.2021 – Az.: 2 Ca 504/21 – juris; Hein/Tophof: Folgen einer Quarantäneanordnung während bewilligten Urlaubs, NZA 2021, 601 ff.; BeckOK ArbR/Lampe, 60. Ed. 1.6.2021, BUrlG § 9 Rn. 1; a.A.: Hohenstatt/Krois: Lohnrisiko und Entgeltfortzahlung während der Corona-Pandemie, NZA 2020, 413, 416; Hohenstatt/Krois in: Arbeitsrecht in Zeiten von Corona (Hohenstatt/Sittard Hrsg), 1. Auflage 2020, Lohnrisiko, Entgeltfortzahlung und die Hoffnung auf staatliche Entschädigung, Rn. 10; Neumann/Fenski/Kühn/Neumann, 12. Aufl. 2021, BUrlG § 9 Rn. 7; FAQ des Bundesministeriums für Gesundheit v. 25.6.2021 – „Ansprüche auf Ersatz des Verdienstausfalls für Arbeitnehmer und Selbständige“, https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/C/Coronavirus/FAQs_zu_56_IfSG_BMG.pdf).

a.

Gegen einen Analogieschluss spricht bereits, dass es sich bei der Regelung um eine nicht analogiefähige Ausnahmevorschrift handelt.

Der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub selbst hat ausschließlich die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgelts zum Gegenstand. Hierauf ist die Erfüllungshandlung des Arbeitgebers bezogen. Einen darüberhinausgehenden „Urlaubserfolg“ schuldet er dem Arbeitnehmer nicht (BAG, Urt. v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19, NZA 2020, 1633, 1635 – Rn. 28).

Mit der Festlegung des Urlaubszeitraums (und der vorbehaltlosen Zusage des Urlaubsentgelts) hat der Arbeitgeber als Schuldner das nach § 7 Abs. 1 BUrlG Erforderliche getan (§ 243 Abs. 2 BGB). Alle danach eintretenden urlaubsstörenden Ereignisse fallen entsprechend § 275 Abs. 1 BGB als Teil des persönlichen Lebensschicksals grundsätzlich in den Risikobereich des einzelnen Arbeitnehmers. Nur soweit der Gesetzgeber oder die Tarifvertragsparteien – wie in §§ 9, 10 BUrlG – besondere Regelungen zur Nichtanrechnung von Urlaub treffen, findet eine Umverteilung des Risikos zugunsten des Arbeitnehmers statt. Die Bestimmungen der §§ 9, 10 BUrlG sind nicht verallgemeinerungsfähige Ausnahmevorschriften. Ihre entsprechende Anwendung auf andere urlaubsstörende Ereignisse oder Tatbestände, aus denen sich eine Beseitigung der Arbeitspflicht des Arbeitnehmers ergibt, kommt grundsätzlich nicht in Betracht. Somit trägt regelmäßig der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht (vollständig) realisiert. Dieses Risiko wird regelmäßig durch innere und äußere Umstände beeinflusst, die dem persönlichen Lebensbereich des Arbeitnehmers zuzuordnen sind (st. Rspr. BAG, Urt. v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19, NZA 2020, 1633, 1636 – Rn. 29; BAG, Urteil vom 10.05.2005 – 9 AZR 251/04, AP BUrlG § 8 Nr. 4, Rn. 27 ff.; vgl. bereits BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92, NZA 1995, 174, 175; BAG, Urteil vom 11. Januar 1966 – 5 AZR 383/65 –, Rn. 23, juris).

b.

Auch die allgemeinen Voraussetzungen für eine Analogie liegen nicht vor.

Zur wortsinnübersteigenden Gesetzesanwendung durch Analogie bedarf es einer besonderen Legitimation. Die analoge Anwendung einer Norm setzt voraus, dass eine vom Gesetzgeber unbeabsichtigt gelassene Lücke vorliegt und diese Planwidrigkeit auf Grund konkreter Umstände positiv festgestellt werden kann. Andernfalls könnte jedes Schweigen des Gesetzgebers – also der Normalfall, wenn er etwas nicht regeln will – als planwidrige Lücke aufgefasst und diese im Wege der Analogie von den Gerichten ausgefüllt werden. Analoge Gesetzesanwendung erfordert darüber hinaus, dass der gesetzlich ungeregelte Fall nach Maßgabe des Gleichheitssatzes und zur Vermeidung von Wertungswidersprüchen nach der gleichen Rechtsfolge verlangt wie die gesetzessprachlich erfassten Fälle. Richterliche Rechtsfortbildung darf nicht dazu führen, dass ein Gericht seine eigene materielle Gerechtigkeitsvorstellung an die Stelle derjenigen des Gesetzgebers setzt. Nach Art. 20 Abs. 2 S. 2 GG wird die Staatsgewalt vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt. Die Aufgabe der Rechtsprechung beschränkt sich darauf, den vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck eines Gesetzes auch unter gewandelten Bedingungen möglichst zuverlässig zur Geltung zu bringen oder eine planwidrige Regelungslücke mit den anerkannten Auslegungsmethoden zu füllen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den Wortlaut des Gesetzes hintenanstellt und sich über den klar erkennbaren Willen des Gesetzgebers hinwegsetzt, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (BAG, Urt. v. 10.12.2013 – 9 AZR 51/13, NZA 2014, 196 198, Rn. 23 m.w.N.). Oder in den Worten des BGH: Eine Analogie ist nur zulässig, wenn das Gesetz eine planwidrige Regelungslücke enthält und der zu beurteilende Sachverhalt in rechtlicher Hinsicht so weit mit dem Tatbestand vergleichbar ist, den der Gesetzgeber geregelt hat, dass angenommen werden kann, der Gesetzgeber wäre bei einer Interessenabwägung, bei der er sich von den gleichen Grundsätzen hätte leiten lassen wie bei dem Erlass der herangezogenen Gesetzesvorschrift, zu dem gleichen Abwägungsergebnis gekommen (BGH, Urteil vom 13. 3. 2003 – I ZR 290/00, NJW 2003, 1932, 1933). Erforderlich sind daher eine planwidrige Regelungslücke sowie eine vergleichbare Interessenlage.

b.

Auch gemessen an diesen Maßstäben ist eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG für den Fall der behördlich angeordneten Quarantäne nach § 31 IfSG abzulehnen.

aa.

Für eine Analogie fehlt es an der planwidrigen Regelungslücke.

Mit § 9 BUrlG hat der deutsche Gesetzgeber einen hergebrachten Grundsatz des Urlaubsrechts mit Wirkung zum 01.01.1963 kodifiziert (BT-Drs. IV/785, 4). Dieser Grundsatz bezog sich jedoch allein auf das Verhältnis zwischen Krankheit und Urlaub, nicht jedoch auf darüberhinausgehende Fälle – insbesondere eine Quarantäne. Dabei hatte der Gesetzgeber das seinerzeit bereits Geltung beanspruchende Bundesseuchengesetz vor Augen und hat den Fall der Quarantäne weder explizit geregelt noch in den Gesetzesmaterialien erwähnt (BT-Drs. IV/785, 4; vgl. Hein/Tophof, NZA 2021, 601, 603).

Diesen Rechtsgedanken hat der Gesetzgeber seinerzeit allein auf die in § 10 BUrlG geregelten Kur- und Heilverfahren (heute: Maßnahmen der medizinischen Vorsorge oder Rehabilitation) erweitert (vgl. BGBl I Nr. 1 v. 12.01.1963, S. 3). Der Gesetzgeber wollte damit die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 01. März 1962 (Az.: 5 AZR 191/61 –, BAGE 12, 311) in geltendes Recht übertragen (BT-Drs. IV/785, 4). Die mit dieser Regelung kodifizierte Ausnahme vom oben skizzierten Grundsatz der Risikoverlagerung ist jedoch – soweit ersichtlich – die einzige Ausnahme, die in der höchstrichterlichen arbeitsgerichtlichen Rechtsprechung anerkannt wurde. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Entscheidung aus einer Zeit stammt, in der das Bundesurlaubsgesetz noch nicht verabschiedet war und insoweit nicht aussagekräftig sein kann. Nach Verabschiedung des Bundesurlaubsgesetzes hat die arbeitsgerichtliche Rechtsprechung eine Erweiterung dieser Ausnahmeregeln grundsätzlich abgelehnt. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien hier nur folgende Beispiele genannt:

o Erkrankung des Kindes – § 45 SGB V (LAG Berlin-Brandenburg Urt. v. 10.11.2010 – 11 Sa 1475/10, BeckRS 2011, 70897)

o Beschäftigungsverbot für Schwangere – vor Inkrafttreten der gesetzlichen Regelung in § 24 S. 2 MuSchG (§ 17 S. 2 MuSchG a.F.) (BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92, NZA 1995, 174, 176)

o Helfer des Technischen Hilfswerks (THW) wird während seines Erholungsurlaubs zum Dienst für das THW herangezogen (BAG, Urteil vom 10.05.2005 – 9 AZR 251/04, AP BUrlG § 8 Nr. 4, Rn. 27 ff.).

Im Hinblick auf den vorliegenden Fall der Quarantäne durch behördliche Anordnung hätte der Gesetzgeber mehrfach Gelegenheit gehabt z.B. bei Inkrafttreten oder bei einer der zahlreichen Änderungen des Infektionsschutzgesetzes im Zuge der aktuellen Corona-Pandemie eine Ausnahme von der oben dargestellten grundsätzlichen Risikoverteilung bei der Gewährung von Urlaub zu kodifizieren. Dies hat er nicht getan, was eindeutig für das Fehlen einer planwidrigen Regelungslücke spricht (Hein/Tophof, NZA 2021, 601, 603).

Dass der Gesetzgeber neben den in § 9, 10 BUrlG geregelten Ausnahmefällen durchaus auch andere Fallkonstellationen von der oben dargestellten grundsätzlichen Risikoverteilung auszunehmen in der Lage ist, zeigt die zwischenzeitlich kodifizierte Regelung in § 24 S. 2 MuSchG (§ 17 S. 2 MuSchG a.F.).

Den Ausnahmecharakter von § 9 BUrlG unterstreicht zudem die ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts, die bei Vorliegen von Arbeitsunfähigkeit eine analoge Anwendung bei bereits gewährtem Arbeitszeitausgleich (statt genommenem Urlaub) ablehnt (vgl. nur BAG, Urteil vom 11. 9. 2003 – 6 AZR 374/02, NZA 2004, 738, 740).

Von einer planwidrigen Regelungslücke kann vor diesem Hintergrund nicht die Rede sein (vgl. LAG Berlin-Brandenburg Urt. v. 10.11.2010 – 11 Sa 1475/10, BeckRS 2011, 70897; Hein/Tophof, NZA 2021, 601, 602 f.).

bb.

Neben der planwidrigen Regelungslücke fehlt es an einer vergleichbaren Interessenlage.

[1.]

Für eine analoge Gesetzesanwendung muss eine typische Vergleichbarkeit und nicht der im Einzelfall festzustellende Grad der Beeinträchtigung ausschlaggebend sein. Aus diesem Grund kann eine analoge Anwendung nur dann in Betracht kommen, wenn typischerweise eine mit der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit vergleichbare Beeinträchtigung vorliegt (BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92, NZA 1995, 174, 176; so auch Hein/Tophof, NZA 2021, 601, 602).

Fragt man vor diesem Hintergrund auf der einen Seite nach den typischerweise mit einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit einhergehenden Beeinträchtigungen, stellt man fest, dass die Beeinträchtigungen höchst unterschiedlich ausfallen können. Der krankheitsbedingt im Koma liegende Arbeitnehmer hat ungleich stärkere Beeinträchtigungen als der infolge einer hohen Arbeitsbelastung oder Mobbings psychisch kranke Arbeitnehmer, dessen Symptome sich nur am Arbeitsplatz zeigen (vgl. zur Anwendbarkeit von § 9 BUrlG: ErfK/Gallner, 21. Aufl. 2021, BUrlG § 9 Rn. 4; NK-ArbR/Franz Josef Düwell, 1. Aufl. 2016 Rn. 14, BUrlG § 9 Rn. 14 – str.). Ersterer ist massiv an der freien Gestaltung und im Erholungswert seines Urlaubs beeinträchtigt; Letzterer kann fast unbeeinträchtigt sein. Zwischen diesen Extremen gibt es beliebig viele Abstufungen. Eine für einen Analogieschluss erforderliche typischerweise gegebene Beeinträchtigungslage ist damit nicht feststellbar.

Zwar ist der Klägerseite auf der anderen Seite beizugeben, dass bei einer behördlich angeordneten Quarantäne die Selbstbestimmung über die Art und Weise die Urlaubszeit zu verbringen eingeschränkt ist. Der Erholungswert des Urlaubes kann gleichwohl gewährleistet sein. Auch in den eigenen vier Wänden sind viele denkbare Urlaubsgestaltungsmöglichkeiten realisierbar (z.B. lesen, anderen „Indoor“-Hobbies nachgehen, Fernsehen etc.). Auf einem Grundstück mit Garten wäre der Erholungswert noch größer. Zudem müsste im Einzelfall berücksichtigt werden, inwiefern die Gestaltungsmöglichkeiten im allgemeinen gerade zu Zeiten allgemeiner pandemiebedingter Einschränkungen (z.B. Ausgangssperren) noch vorhanden sind. Dabei möchte die Kammer nicht falsch verstanden werden: Nicht jeder hat einen Garten und nicht jeder möchte seinen Urlaub zu Hause verbringen. Gerade die mit der Quarantäne verbundenen Reisebeschränkungen dürften für viele Betroffene sehr beeinträchtigend sein.

Der Blick auf die Interessenlage(n) zeigt jedoch, dass auf beiden Seiten die Klaviatur der Beeinträchtigungen voll ausgespielt wird. In diesem Feld findet man beliebig viele Vergleichspaare von Einzelbeispielen die im Hinblick auf den Grad der Beeinträchtigung entweder zur einen oder zur anderen Seite überwiegen.

Gerade in derart diffusen Interessenlagen ist es Aufgabe des (legitimierten) Gesetzgebers bestimmte Sachverhalte durch Generalisierung (Typisierung) einer einheitlichen Regelung zuzuführen. Die Gestaltungsmacht der Judikative durch Rechtsfortbildung im Wege der Analogie ist hier beschränkt.

Die Kammer folgt daher der Linie des Bundesarbeitsgerichts, das zurecht nicht nur grundsätzlich eine analoge Anwendung von § 9 BUrlG ausschließt, sondern in Anwendung dieser Maßstäbe insbesondere die im vorliegenden Kontext relevanten Reisebeschränkungen dem persönlichen Lebensrisiko eines Arbeitnehmers zuordnet (BAG, Urteil vom 25. August 2020 – 9 AZR 612/19 –, Rn. 26 ff., juris).

[2.]

Und um es noch einmal deutlich zu sagen: Allein eine Beeinträchtigung des „Urlaubserfolges“ kann nach dem oben Ausgeführten nicht zu einer analogen Anwendung von § 9 BUrlG führen.

Neben den bereits oben zitierten Beispielen aus der arbeitsrechtlichen Rechtsprechung sind beliebig viele Beispiele denkbar, in denen Ereignisse nach Gewährung des Erholungsurlaubs den „Urlaubserfolg“ beeinträchtigen und damit für den betroffenen Arbeitnehmer sehr bedauerlich sind: Der in die Alpen gereiste Skifahrer kann wegen massiven Schneefalls das Hotel für eine Woche nicht verlassen. Das Wetter während des Sommerurlaubs an der Nordsee war eine Katastrophe. Es werden bundesweite (nächtliche) Ausgangssperren verhangen. Der Arbeitnehmer kommt in Kontakt mit einem Corona-infizierten und muss in Quarantäne.

Die Ursache für den missglückten Urlaub ist wie bei einer Erkrankung auch beim Kontakt mit einer infizierten Person, der allgemeinen Infektionslage oder schlicht der Naturgewalt stets das Schicksal. Auf diesen Nenner heruntergebrochen wären sämtliche Beispiele und Fallgruppen mit der hinter § 9 BUrlG stehenden Interessenlage vergleichbar.

Dies liefe im Ergebnis darauf hinaus, dass Urlaub nur dann anzurechnen (erfüllt) wäre, wenn der Arbeitnehmer seinen Urlaub vollkommen selbstbestimmt hat und erholt ist. Damit wäre jedoch im Ergebnis immer ein „Urlaubserfolg“ geschuldet, was nicht der Gesetzeslage entspricht (siehe oben).

[3.]

Aus diesem Grund kann die Kammer auch der vom Kläger zitierten Entscheidung des Bundesgerichtshofs (BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 – juris) nicht folgen.

Dabei erkennt auch der BGH in seiner Entscheidung die oben dargestellte gesetzliche Risikoentscheidung grundsätzlich an (BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 –, Rn. 13, juris):

„Zwar gibt es keinen allgemeinen Rechtssatz, daß der Arbeitgeber in den Fällen, in denen der Erholungsurlaub durch andere, nicht auf Krankheit des Arbeitnehmers beruhende Umstände beeinträchtigt oder vereitelt wird, zur Nachgewährung von Urlaub verpflichtet ist (BAG AP § 1 BUrlG (Nachurlaub) Nr 1; Boldt/Röhsler aaO Rdn 2 zu § 9 BUrlG; Rdn 32 zu § 3 BUrlG; Stahlhacke aaO Rdn 28 zu § 1 BUrlG). Aus der gesetzlichen Regelung in §§ 9, 10 BUrlG ist vielmehr zu entnehmen, daß im Grundsatz die Nichtanrechnung der Urlaubszeit auf die dort genannten Fallgestaltungen beschränkt bleiben muß.“

Der BGH führt dann jedoch unter Berufung auf das BAG (Urteil vom 11. Januar 1966 – 5 AZR 383/65) und den Sinn und Zweck des im Bundesurlaubsgesetz garantierten Urlaubsanspruchs unter Berücksichtigung der den Ausnahmetatbeständen der §§ 9, 10 BUrlG zugrundeliegenden gesetzlichen Wertungen aus:

„Erholungsurlaub im Sinne des Bundesurlaubsgesetzes ist die Freistellung des Arbeitnehmers von seiner sich aus dem Arbeitsvertrag ergebenden Arbeitspflicht und Dienstpflicht unter gleichzeitiger Weiterzahlung der Vergütung durch den Arbeitgeber (Boldt/Röhsler aaO Rdn 9 zu § 1 BUrlG). Zu einer echten Erholung gehört eine Sphäre der Selbstbestimmung, der persönlichen Freiheit und des Lebensgenusses (BAG AP Nr 1 zu § 611 BGB „Urlaub und Kur“; Boldt/Röhsler aaO Rdn 10). Der in § 9 BUrlG festgelegte Grundsatz, daß im Hinblick auf den Erholungszweck Tage, an denen der Arbeitnehmer arbeitsunfähig krank ist, auf den Erholungsurlaub nicht angerechnet werden dürfen, trägt dem Umstand Rechnung, daß ein Arbeitnehmer, der erkrankt ist, sich nicht zugleich erholen kann. Urlaub und Erkrankung schließen einander aus (Boldt/Röhsler aaO Rdn 5 zu § 9 BUrlG).

Ein Ausscheider im Sinne des § 2d BSeuchG ist zwar grundsätzlich nicht krank im Sinne des BUrlG. Die Grenzen zu einer Krankheit im sozialversicherungsrechtlichen Sinne sind indes fließend, wie der Sachverhalt beweist, der der Entscheidung des Bundessozialgerichts in NJW 1971, 1908 zugrunde lag. So heißt es auch in der amtlichen Begründung zu § 48 des Regierungsentwurfs eines Bundesseuchengesetzes (= dem heutigen § 49 BSeuchG; BT-Drucks III/1888 vom 27. Mai 1960), Ausscheider, Ausscheidungsverdächtige und Ansteckungsverdächtige seien „vom Schicksal in ähnlicher Weise betroffen wie Kranke“ (ähnlich schriftl. Bericht des Ausschusses für Gesundheitswesen vom 17. April 1961 – BT-Drucks III/2662 -: Der Betroffene Personenkreis könne „in etwa den Kranken gleichgestellt werden“). Das zeigt sich bei Ausscheidern nicht nur in den Beschränkungen der Berufsausübung, sondern auch in den strengen hygienischen Auflagen, denen sie unterworfen sind (vgl. dazu: Merkblatt für Ausscheider, herausgegeben vom Bundesgesundheitsamt, abgedr. bei Seyffertitz/Thomaschewski, Kommentar zum Bundesseuchengesetz, Stand 1. Oktober 1968 Bd I Anh 15). Diese Auflage, zu denen insbesondere die dauernde Desinfektion der benutzten sanitären Anlagen zählt, schließen, wie die Revision mit Recht hervorhebt, zB Aufenthalte in Gemeinschaftseinrichtungen und Hotels aus und führen dazu, daß der Betroffene sich unter anderen Personen und in fremden Räumen nicht zwanglos und frei bewegen kann. Das legt die Möglichkeit nahe, daß sich der Betroffene in dieser Zeit nicht so erholen kann, wie es dem Urlaubszweck entspricht, nämlich in freier, selbstgewählter Gestaltung der Urlaubszeit.

Die Ähnlichkeit dieser Beschränkungen mit denjenigen, die auf einer Krankheit im medizinischen Sinne beruhen, rechtfertigt es, den in § 9 BUrlG enthaltenen Rechtsgedanken auf Fälle der vorliegenden Art entsprechend anzuwenden, allerdings mit der Maßgabe, daß im Einzelfall die Prüfung zulässig ist, ob durch die Beschränkungen die Gestaltung, die der Betroffene seinem Erholungsurlaub üblicherweise gegeben hätte, tatsächlich erheblich beeinträchtigt worden ist.“

(BGH, Urteil vom 30. November 1978 – III ZR 43/77 –, Rn. 14 – 16, juris)

Die obigen Ausführungen zeigen jedoch, dass das Erreichen eines bestimmten Erholungszwecks gerade nicht geschuldet ist und auch in vielen anderen Konstellationen, die unstreitig nicht zur analogen Anwendung von § 9 BUrlG berechtigen, nicht erreicht wird. Gerade das Schicksal, auf das sich der BGH berufen hat, ist kein geeignetes Vergleichbarkeitskriterium (siehe oben). Auch die Ausführungen des BGH zu den konkreten Beeinträchtigungen sind einzelfallbezogen und damit für eine (nicht vorhandene) typische Interessenlage nicht aussagekräftig. Bezeichnenderweise wird mit strengen hygienischen Auflagen, wie dauernder Desinfektion der sanitären Anlagen argumentiert, die im hier vorliegenden Fall der Quarantäne wegen eines Corona-Verdachts gerade nicht einschlägig sind.

In seiner Entscheidung stützte sich der Bundesgerichtshof zudem maßgeblich auf das Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 11.01.1966 – 5 AZR 383/65, AP § 1 BUrlG – Nachurlaub – Nr. 1. Dort wird die Möglichkeit zur analogen Anwendung von § 9 BUrlG jedoch – unter Verweis auf ältere Rechtsprechung für Fälle vor dem Inkrafttreten des BUrlG – auf Fälle beschränkt, in denen der Lohn für den auf Grund bestimmter Ereignisse eintretenden Arbeitsausfall kraft Gesetzes unabdingbar weiterzuzahlen ist. Die gesetzliche Fortzahlungspflicht hat das Bundearbeitsgericht in der älteren Rechtsprechung als geeigneten Maßstab zur Differenzierung anerkannt – im Urteil vom 11.01.1966 (Az.: 5 AZR 383/65, AP § 1 BUrlG – Nachurlaub – Nr. 1) aber schon unentschieden offengelassen. Später hat das Bundesarbeitsgericht explizit erklärt, dass es an seiner alten Rechtsprechung zu sonstigen urlaubstörenden Fällen, in denen für den Arbeitsausfall kraft Gesetzes unabdingbar weiterzuzahlen sei, nicht weiter festhalten wolle (BAG, Urteil vom 09.08.1994 – 9 AZR 384/92, NZA 1995, 174, 176). Der Entscheidung des Bundesgerichtshofs ist daher auch unter diesem Gesichtspunkt der Boden entzogen.

dd.

Das gefundene Ergebnis ist auch nicht im Wege einer richtlinien- bzw. europarechtskonformen Auslegung zu korrigieren. Weder Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG noch Art. 31 Abs. 2 EU-Grundrechtecharta stehen dem gefundenen Ergebnis entgegen.

[1.]

Nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG treffen die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen, damit jeder Arbeitnehmer einen bezahlten Mindestjahresurlaub von vier Wochen nach Maßgabe der Bedingungen für die Inanspruchnahme und die Gewährung erhält, die in den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und/oder nach den einzelstaatlichen Gepflogenheiten vorgesehen sind.

Der Wortlaut der Regelung adressiert das vorliegende Problem nicht im Ansatz. Die Regelung steht unter dem Vorbehalt der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften und einzelstaatlichen Gepflogenheiten. Nach den deutschen Rechtsvorschriften trägt regelmäßig der Arbeitnehmer das Risiko, dass sich der Urlaubszweck nach der Urlaubsgewährung durch den Arbeitgeber nicht (vollständig) realisiert (siehe oben).

So betont das Bundesarbeitsgericht – in der oben bereits mehrfach zitierten Entscheidung – unter direkter Bezugnahme auf die Richtlinie und die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs, dass sich der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub ausschließlich auf die Freistellung von der Arbeitspflicht und die Zahlung des Urlaubsentgeltes bezieht. Ein darüberhinausgehender Urlaubserfolg ist nicht geschuldet (BAG, Urt. v. 25.8.2020 – 9 AZR 612/19, NZA 2020, 1633, 1635 – Rn. 28).

Dabei verkennt die Kammer nicht, dass nach ständiger Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs der in Art. 7 RL 2003/88/EG verankerte Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub es dem Arbeitnehmer ermöglichen soll, sich von der Ausübung der ihm nach seinem Arbeitsvertrag obliegenden Aufgaben zu erholen und über einen Zeitraum der Entspannung und Freizeit zu verfügen (vgl. EuGH v. 6.11.2018 – C-684/16, ECLI:EU:C:2018:874 = NJW 2019, 495 = NZA 2018, 1474 Rn. 32 – Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften; v. 20.7.2016 – C-341/15, ECLI:EU:C:2016:576 = NZA 2016, 1067 Rn. 34 m.w.N. – Maschek). Dies kann mit dem Bundesarbeitsgericht jedoch nur so verstanden werden, dass durch die Freistellung und die Zahlung des Urlaubsentgeltes allein die Möglichkeit der Erholung und Entspannung gegeben sein muss. Auch Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie fordert nicht, dass der Arbeitgeber (in jedem Fall) einen Erholungserfolg schuldet.

[2.]

Auch Art. 31 Abs. 2 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union gebietet kein anderes Ergebnis. Danach hat jede Arbeitnehmerin und jeder Arbeitnehmer u.a. das Recht auf bezahlten Jahresurlaub. Die Anrechnung von Quarantänezeiten auf bereits gewährten Urlaub verletzt dieses Recht nicht.

4.)

Vor diesem Hintergrund kann offenbleiben, ob tatsächlich tatbestandlich eine behördliche Quarantäne angeordnet wurde, was die Beklagte in ihrem letzten Schriftsatz nicht mehr mit hinreichender Deutlichkeit bestritten hat.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO. Der Wert des Streitgegenstands war gemäß § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen, seine Höhe folgt aus § 42 GKG und 3 ff ZPO. Gemäß § 62 Abs. 1 ArbGG ist das Urteil vorläufig vollstreckbar. Die Berufung war gemäß § 64 Abs. 3 Nr. 1 ArbGG gesondert zuzulassen.

 

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