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Jobwechsel und alter Arbeitsvertrag: Was das BAG-Urteil für Tarifbindung, Gehaltsanspruch und Schutz bei Versetzung bedeutet

Plötzlich weniger Geld auf dem Konto – obwohl Sie eigentlich denselben Job machen? Was auf den ersten Blick wie ein Irrtum wirkt, kann bei einer Versetzung in eine andere Tarifregion schnell Realität werden. Ein neues Urteil des Bundesarbeitsgerichts deckt auf, wie alte Arbeitsverträge und Tarifklauseln im Verborgenen zur Gehaltsfalle oder doch zum unerwarteten Schutz für Arbeitnehmer werden können. Wer wissen will, warum jahrzehntealte Papiere über das heutige Gehalt entscheiden, sollte jetzt weiterlesen.

BAG-Urteil: Statische Tarifbindung bei Versetzung
Das BAG-Urteil: Auch nach Versetzung bleibt die Tarifbindung aus dem Altvertrag in statischer Form bestehen. | Symbolbild: KI generiertes Bild

Das Wichtigste: Kurz & knapp

  • Kein automatischer Wechsel zum neuen Tarifvertrag bei Versetzung: Wer vor 2002 einen Arbeitsvertrag mit Verweis auf einen bestimmten Tarifvertrag hat und durch den Arbeitgeber in ein anderes Tarifgebiet versetzt wird, behält die Ansprüche aus dem alten Tarifvertrag – allerdings „eingefroren“ auf dem Stand vor der Versetzung.
  • Betroffen sind Arbeitnehmer mit Altverträgen (vor 2002) mit Bezug auf einen bestimmten Tarifvertrag, die in ein anderes Tarifgebiet versetzt werden.
  • Praktische Folgen: Das Gehalt und besondere Leistungen (wie eine Altersvorsorge) werden weiterhin nach den alten Tarifregeln berechnet, aber ohne spätere Tariferhöhungen oder Verbesserungen. Der neue Tarif vor Ort gilt nicht automatisch, außer es wird ausdrücklich im Vertrag vereinbart.
  • Hintergrund: Das Gericht schützt langjährige Arbeitnehmer davor, durch eine Versetzung plötzlich schlechter gestellt zu werden, sofern ihr Vertrag keine automatische Anpassung an den jeweils geltenden Tarif vorsieht.
  • Gültig für Arbeitsverträge, die vor dem 1.1.2002 geschlossen wurden.

Quelle: Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 11.12.2024 (Az. 4 AZR 44/24)

Jobwechsel, alter Vertrag: Gehaltsfalle oder alter Schutz? Bundesarbeitsgericht klärt Tarif-Chaos nach Versetzung

Ein neuer Arbeitsort, doch plötzlich weniger Geld auf dem Konto? Für viele langjährige Mitarbeiter kann eine betriebsbedingte Versetzung unerwartete finanzielle Nachteile bringen, selbst wenn der Arbeitsvertrag eigentlich Sicherheit verspricht. Ein aktuelles Urteil des Bundesarbeitsgerichts (BAG) wirft ein Schlaglicht auf eine komplexe arbeitsrechtliche Frage: Was passiert mit alten Vertragsklauseln, die auf Tarifverträge verweisen, wenn der Mitarbeiter in ein Gebiet mit einem ganz anderen Tarifvertrag wechselt? Die Antwort ist nicht immer einfach und hat weitreichende Folgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Stellen Sie sich Herrn M. vor. Seit Jahrzehnten arbeitet er zuverlässig in einem metallverarbeitenden Betrieb. Er ist kein Gewerkschaftsmitglied, aber sein Arbeitsvertrag aus dem Jahr 1990 sichert ihm zu, dass für sein Arbeitsverhältnis die „Tarifbestimmungen für Arbeiter der Metallindustrie in Nordwürttemberg und Nordbaden“ gelten. Solche Klauseln sind keine Seltenheit. Arbeitgeber nutzen sie oft, um auch nicht-organisierte Mitarbeiter an die im Betrieb üblichen tariflichen Bedingungen zu binden – das schafft Einheitlichkeit. Herr M. profitierte davon, sein Lohn stieg über die Jahre entsprechend der Tarifentwicklung, und er baute Ansprüche auf tarifliche Sonderleistungen wie eine Alterssicherung auf.

Doch dann die Nachricht: Sein Werk am Standort L in Baden-Württemberg wird teilweise geschlossen. Herr M. soll bleiben, aber an den Standort S in Rheinland-Pfalz wechseln. Ein Schock, aber immerhin eine Perspektive. Die Firma schickt ihm ein Schreiben, weist ihm die neue Tätigkeit zu und nennt die neue Entgeltgruppe – dieses Mal nach dem Tarifvertrag für Rheinland-Pfalz. Gleichzeitig versichert das Schreiben: „Auf Ihre tarifvertraglich zugesicherte und entgeltgruppenbezogene Grundvergütung hat der Wechsel […] keine Auswirkung.“ Und: „Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen arbeitsvertraglichen Bedingungen.“ Herr M. ist erleichtert, packt seine Kisten und fängt am neuen Standort an.

Die erste Gehaltsabrechnung bringt die Ernüchterung. Zwar gleicht der Arbeitgeber die Differenz im Grundgehalt zwischen der alten und der neuen, niedrigeren Entgeltgruppe aus. Aber andere Lohnbestandteile und vor allem die Berechnung seiner wertvollen Alterssicherung erfolgen nun rein nach dem rheinland-pfälzischen Tarif. Unter dem Strich hat Herr M. spürbar weniger Geld zur Verfügung. Sein Gesamtverdienst liegt unter dem Betrag, der ihm nach den Regeln seines alten Tarifvertrags aus Nordwürttemberg/Nordbaden als Alterssicherung zugesagt worden war. Herr M. ist verunsichert. Galt sein alter Vertrag plötzlich nicht mehr? Oder nur noch teilweise? Er beschließt, die Sache nicht auf sich beruhen zu lassen. Sein Fall landete schließlich vor dem höchsten deutschen Arbeitsgericht, dem Bundesarbeitsgericht in Erfurt (Az. 4 AZR 44/24).

Das Labyrinth der Vertragsklauseln: Was steht wirklich im Arbeitsvertrag?

Um Herrn M.s Situation und das Urteil des BAG zu verstehen, müssen wir einen Blick auf die rechtlichen Grundlagen werfen. Im Zentrum stehen sogenannte Bezugnahmeklauseln im Arbeitsvertrag.

Was ist eine Bezugnahmeklausel?

Das ist eine Regelung im individuellen Arbeitsvertrag, die festlegt, dass bestimmte externe Regelwerke – meist Tarifverträge oder Betriebsvereinbarungen – auf das Arbeitsverhältnis Anwendung finden sollen.

Warum gibt es sie?

Tarifverträge gelten rechtlich zwingend eigentlich nur für Mitglieder der abschließenden Gewerkschaft und des Arbeitgeberverbandes (oder wenn der Tarifvertrag für allgemeinverbindlich erklärt wurde). Mit einer Bezugnahmeklausel kann der Arbeitgeber die Geltung dieser Regeln auch auf nicht gewerkschaftlich organisierte Arbeitnehmer wie Herrn M. ausdehnen. Das vereinfacht die Lohnabrechnung und sorgt für Gleichbehandlung im Betrieb.

Statisch vs. Dynamisch:

Eine statische Klausel verweist auf einen Tarifvertrag in einer ganz bestimmten Fassung (z. B. „in der Fassung vom 1. Mai 2010“). Spätere Änderungen dieses Tarifvertrags gelten dann nicht automatisch.

Eine dynamische Klausel verweist auf den Tarifvertrag „in seiner jeweils gültigen Fassung“. Das bedeutet: Künftige Tarifänderungen (z. B. Lohnerhöhungen) schlagen automatisch auf das Arbeitsverhältnis durch. Das ist die häufigere Variante.

Herr M.s Vertrag enthielt eine dynamische Klausel, da kein konkretes Datum genannt wurde. Er verwies auf die Tarifverträge für Nordwürttemberg/Nordbaden (NW/NB) „in ihrer jeweiligen Fassung“.

Der Knackpunkt: Alte Verträge und die „Gleichstellungsabrede“

Jetzt wird es juristisch etwas kniffliger, aber entscheidend für Herrn M.s Fall: Sein Arbeitsvertrag stammte aus dem Jahr 1990, also vor einer wichtigen Gesetzesänderung im Jahr 2002 (Schuldrechtsreform). Für solche „Altverträge“ hat das Bundesarbeitsgericht über Jahre eine besondere Auslegungsregel entwickelt, die es aus Gründen des Vertrauensschutzes auch heute noch anwendet.

Man ging bei diesen alten Klauseln oft davon aus, dass der tarifgebundene Arbeitgeber mit der Bezugnahme vor allem eines wollte: Seine nicht-organisierten Mitarbeiter mit den organisierten gleichstellen – daher der Begriff „Gleichstellungsabrede“. Der Arbeitnehmer sollte so gestellt werden, als ob er Gewerkschaftsmitglied wäre und der Tarifvertrag deshalb für ihn gelten würde.

Der Clou dieser Rechtsprechung: Das BAG las in diese alten Gleichstellungsabreden quasi eine automatische „Notbremse“ oder auflösende Bedingung hinein. Die Dynamik – also die automatische Anpassung an künftige Tarifänderungen – sollte nur so lange gelten, wie die „Gleichstellung“ auch Sinn ergibt. Sie sollte enden, wenn die Voraussetzungen dafür wegfallen.

Wann fällt die Voraussetzung weg?

Klassischer Fall: Der Arbeitgeber tritt aus dem Arbeitgeberverband aus und ist selbst nicht mehr an den Tarifvertrag gebunden.

Oder – und das ist der Kern des Falls von Herrn M. – der Arbeitnehmer wird an einen Ort versetzt, der außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs des im Vertrag genannten Tarifvertrags liegt.

Genau das passierte Herrn M. durch seine Versetzung von Baden-Württemberg (Tarifgebiet NW/NB) nach Rheinland-Pfalz (anderes Tarifgebiet). Die Logik des BAG: Die Fiktion, Herrn M. solle wie ein Gewerkschaftsmitglied im NW/NB-Gebiet behandelt werden, ließ sich nicht mehr aufrechterhalten, als er dort gar nicht mehr arbeitete. Damit trat die „auflösende Bedingung“ ein.

Die große Frage: Was passiert nach dem Ende der Dynamik?

Hier lag der eigentliche Streitpunkt zwischen Herrn M. und seinem Arbeitgeber, und hier musste das BAG Klarheit schaffen. Der Arbeitgeber argumentierte: Wenn die Dynamik endet und Herr M. jetzt in Rheinland-Pfalz arbeitet, dann müssen doch logischerweise die dort geltenden Tarifverträge (ERA RP) zur Anwendung kommen. Die Bezugnahmeklausel müsse sich quasi automatisch auf den neuen, nun räumlich relevanten Tarif umstellen.

Herr M. sah das anders. Er pochte auf die Zusage im Vertrag bezüglich der NW/NB-Tarife und insbesondere auf seine daraus resultierende Alterssicherung.

Die Vorinstanzen waren sich uneins:

Das Arbeitsgericht wies die Klage ab (folgte tendenziell dem Arbeitgeber).

Das Landesarbeitsgericht (LAG) gab Herrn M. recht, aber mit einer überraschenden Begründung: Es sah in dem Versetzungsschreiben mit der Formulierung „Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen […] Bedingungen“ eine Art neue vertragliche Vereinbarung. Diese habe die alte Klausel weitestgehend bestätigt und neu belebt, sodass die NW/NB-Tarife sogar weiterhin dynamisch gelten müssten, trotz des Ortswechsels.

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts: Statisch statt dynamisch, aber der alte Tarif bleibt!

Das Bundesarbeitsgericht gab Herrn M. im Ergebnis ebenfalls Recht, wies aber die Begründung des LAG zurück und stellte die Rechtslage auf eine andere, präzisere Grundlage. Die Kernaussagen des BAG (Urteil vom 11.12.2024, Az. 4 AZR 44/24):

  • Es ist eine Gleichstellungsabrede in einem Altvertrag: Das BAG bestätigte, dass die Klausel in Herrn M.s Vertrag von 1990 nach den alten Regeln als Gleichstellungsabrede mit eingebauter auflösender Bedingung zu verstehen ist. Der Vertrauensschutz für diese alten Auslegungsregeln gilt weiter.
  • Versetzung löst die Bedingung aus: Der Wechsel nach Rheinland-Pfalz beendete die Dynamik der Bezugnahme auf die NW/NB-Tarife zum 1. Oktober 2021. Der Zweck der „Gleichstellung“ im NW/NB-Gebiet war entfallen.
  • Kein automatischer Tarifwechsel: Ganz wichtig: Die Klausel verwies spezifisch auf die „Tarifbestimmungen für […] Nordwürttemberg und Nordbaden“. Sie enthielt keine Anhaltspunkte dafür, dass sie automatisch auf jeweils geltende Tarifverträge am neuen Einsatzort wechseln sollte (eine sogenannte „große dynamische Bezugnahme“ oder „Tarifwechselklausel“). Solch ein weitreichender Automatismus müsste klar im Vertrag stehen. Der Arbeitgeber konnte sich also nicht darauf berufen, nun einfach den RP-Tarif anwenden zu dürfen.
  • Die Folge ist statische Anwendung: Wenn die Dynamik endet, fällt nicht die gesamte Bezugnahme weg. Stattdessen wird sie statisch. Das bedeutet: Die Tarifverträge für Nordwürttemberg/Nordbaden gelten für Herrn M. weiter, aber eingefroren in der Fassung, die am 30. September 2021 (dem Tag vor dem Wechsel) gültig war.
  • Kein neuer Vertrag durch Versetzungsschreiben: Das BAG widersprach dem LAG deutlich. Das Schreiben vom März 2021 war keine neue Vertragsvereinbarung. Es war die Ausübung des Weisungsrechts (Direktionsrecht) des Arbeitgebers nach § 106 Gewerbeordnung. Der Arbeitgeber teilte Herrn M. mit, wo und zu welchen konkreten Aufgaben er künftig arbeiten soll. Die Erwähnung der neuen Eingruppierung nach RP-Tarif und der Satz „Im Übrigen verbleibt es bei den bisherigen Bedingungen“ änderten nichts am Grundcharakter als Weisung. Eine Weisung konkretisiert nur die Arbeitspflicht, ändert aber nicht den zugrunde liegenden Vertrag selbst. Eine Vertragsänderung hätte ein klares Angebot und eine Annahme erfordert. Die Formulierung zur Beibehaltung der Bedingungen interpretierte das BAG nur als Klarstellung, dass andere Aspekte (Urlaub, etc.) unverändert bleiben sollten, nicht aber als Bestätigung einer fortgesetzten dynamischen Geltung des NW/NB-Tarifs.

Im Klartext für Herrn M.: Er hat weiterhin Anspruch auf seine Alterssicherung nach den Regeln des Manteltarifvertrags (MTV) NW/NB.

Aber: Basis ist der MTV NW/NB in der Fassung vom 30. September 2021. Zukünftige Verbesserungen oder Änderungen dieses Tarifvertrags nach diesem Datum kommen ihm nicht mehr automatisch zugute. Seine Ansprüche sind weitestgehend auf diesem Stand „eingefroren“. Trotzdem war das für ihn ein Erfolg, denn dieser eingefrorene Anspruch war höher als das, was der Arbeitgeber ihm nach dem RP-Tarif zahlen wollte.

Was bedeutet „statische“ Anwendung genau? Ein Beispiel:

Dynamisch (vor der Versetzung): Angenommen, der NW/NB-Tarifvertrag wurde 2022 und 2023 erhöht. Herr M. hätte diese Erhöhungen automatisch bekommen.

Statisch (nach der Versetzung): Herr M. erhält weiterhin Leistungen nach dem NW/NB-Tarif, aber auf dem Stand vom 30.09.2021. Die Tariferhöhungen von 2022 und 2023 im NW/NB-Gebiet wirken sich auf sein Gehalt nicht mehr aus. Er partizipiert nicht mehr an der zukünftigen Entwicklung dieses Tarifvertrags.

Warum ist dieses Urteil so wichtig? Folgen für Arbeitnehmer und Arbeitgeber

Die Entscheidung des BAG hat erhebliche praktische Bedeutung, insbesondere in Branchen mit hoher Mobilität und unterschiedlichen regionalen Tarifverträgen, wie der Metall- und Elektroindustrie.

Für Arbeitnehmer mit Altverträgen (vor 2002 geschlossen):

Schutz erworbener Rechtspositionen: Das Urteil zeigt, dass auch nach einer Versetzung in ein anderes Tarifgebiet wertvolle Ansprüche aus dem alten Tarifvertrag (wenn auch nur statisch) erhalten bleiben können. Man fällt nicht automatisch auf das Niveau des (möglicherweise schlechteren) neuen Tarifs zurück.

Wichtigkeit der genauen Klausel: Entscheidend ist, was genau im Arbeitsvertrag steht. Verweist die Klausel spezifisch auf einen bestimmten Tarif (wie bei Herrn M.)? Oder enthält sie vielleicht doch eine Formulierung, die einen Tarifwechsel vorsieht?

Achtung beim Versetzungsschreiben: Nicht alles, was der Arbeitgeber schreibt, ist eine Vertragsänderung. Eine reine Weisung ändert nicht die Grundvereinbarungen. Arbeitnehmer sollten bei Unklarheiten oder finanziellen Nachteilen nach einer Versetzung genau prüfen (lassen), ob die Abrechnung korrekt ist.

Fristen beachten: Wichtig ist auch, Ansprüche rechtzeitig geltend zu machen! Tarifverträge enthalten oft Ausschlussfristen (z. B. 3 oder 6 Monate), innerhalb derer Ansprüche schriftlich eingefordert werden müssen, sonst verfallen sie. Herr M. hatte seine Ansprüche rechtzeitig angemeldet.

Für Arbeitgeber:

Risiko Altverträge: Das Urteil ist eine Mahnung: In den Personalakten schlummern möglicherweise zahlreiche Altverträge mit Gleichstellungsabreden. Bei Versetzungen dieser Mitarbeiter über Tarifgrenzen hinweg droht die „statische“ Weitergeltung alter, möglicherweise teurer Tarifregelungen.

Versetzungsmanagement überdenken: Sich bei Versetzungen allein auf das Weisungsrecht zu verlassen und nebenbei neue Entgeltdaten mitzuteilen, ist riskant. Die Formulierung „Im Übrigen bleibt alles beim Alten“ kann, wie das BAG zeigt, auf andere Art interpretiert werden als vielleicht beabsichtigt.

Klarheit durch Änderungsverträge: Wer als Arbeitgeber sicherstellen will, dass am neuen Standort vollständig das dort geltende Tarifwerk (und nur dieses) zur Anwendung kommt, muss handeln. Der sicherste Weg ist der Abschluss eines klaren Änderungsvertrages mit dem Arbeitnehmer anlässlich der Versetzung. Dieser Vertrag sollte die alte Bezugnahmeklausel ausdrücklich aufheben oder modifizieren und die Geltung des neuen Tarifwerks vereinbaren.

Personalabteilungen müssen sensibilisiert sein: Die Unterschiede zwischen Alt- und Neuverträgen sowie die spezifische Rechtsprechung zu Gleichstellungsabreden müssen bekannt sein und bei Personalmaßnahmen wie Versetzungen berücksichtigt werden. Ein Audit älterer Verträge kann sinnvoll sein.

Keine automatische Änderung durch stillschweigendes Handeln

Das BAG stellte auch klar, dass Herr M. seine Rechte nicht dadurch verloren hat, dass er zunächst widerspruchslos am neuen Standort arbeitete und die niedrigere Vergütung für einige Monate hinnahm. Eine stillschweigende Vertragsänderung oder Verwirkung von Ansprüchen kommt nur unter strengen Voraussetzungen in Betracht, die hier bei Weitem nicht erfüllt waren. Allein der Zeitablauf von wenigen Monaten genügt nicht, um ein schutzwürdiges Vertrauen des Arbeitgebers zu begründen, der Arbeitnehmer sei mit der neuen Regelung dauerhaft einverstanden.

Fazit: Alte Verträge werfen lange Schatten

Das Urteil des Bundesarbeitsgerichts im Fall 4 AZR 44/24 ist eine wichtige Klarstellung im komplexen Zusammenspiel von Arbeitsverträgen, Tarifrecht und betrieblicher Mobilität. Es bestätigt den besonderen Status von Altverträgen mit Gleichstellungsabreden und zeigt, dass eine Versetzung nicht automatisch zu einem kompletten Wechsel des anwendbaren Tarifrechts führt. Stattdessen kann der ursprünglich vereinbarte Tarifvertrag „eingefroren“ weitergelten.

Für Arbeitnehmer wie Herrn M. bedeutet dies, dass über Jahrzehnte erworbene tarifliche Ansprüche nicht ohne Weiteres durch eine Versetzung verloren gehen. Gleichzeitig müssen sie sich bewusst sein, dass die Anbindung an die zukünftige Entwicklung dieses alten Tarifs enden kann.

Für Arbeitgeber unterstreicht das Urteil die Notwendigkeit eines sorgfältigen und proaktiven Vertragsmanagements. Wer bei Versetzungen Rechtssicherheit über die geltenden Arbeitsbedingungen haben will, sollte dies durch klare vertragliche Vereinbarungen schaffen und sich nicht auf die Interpretation alter Klauseln oder die Wirkung von Weisungsschreiben verlassen. Der Teufel steckt oft im Detail – und in Verträgen, die älter sind als die letzte Rechtsreform.

Häufig gestellte Fragen (FAQ) zum Thema

1. Was genau ist eine „Gleichstellungsabrede“?

Eine Gleichstellungsabrede ist eine Klausel im Arbeitsvertrag (typischerweise vor 2002), mit der ein tarifgebundener Arbeitgeber einen nicht gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer so stellen will, als ob der für den Betrieb maßgebliche Tarifvertrag kraft Gewerkschaftsmitgliedschaft für ihn gelten würde. Das BAG interpretiert diese Klauseln so, dass ihre Dynamik (automatische Anpassung an Tarifänderungen) endet, wenn die Voraussetzungen für diese Gleichstellung wegfallen (z.B. durch Versetzung aus dem Tarifgebiet).

2. Gilt diese Rechtsprechung auch für neuere Arbeitsverträge (nach 2002)?

Nein, nicht direkt. Die spezielle Auslegungsregel mit der impliziten auflösenden Bedingung wendet das BAG aus Vertrauensschutzgründen nur auf Altverträge (vor dem 1.1.2002) an. Bei neueren Verträgen prüft das BAG strenger, ob eine dynamische Bezugnahme tatsächlich gewollt und klar formuliert ist. Die bloße Absicht der Gleichstellung genügt hier nicht mehr ohne Weiteres für die Annahme einer auflösenden Bedingung. Für Neuverträge gelten die allgemeinen Regeln zur Auslegung von Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB).

3. Was bedeutet „statische“ Anwendung eines Tarifvertrags praktisch?

Statisch bedeutet „eingefroren“. Der Tarifvertrag gilt weiter, aber nur in der Fassung, die zu einem bestimmten Stichtag (im Fall von Herrn M.: der Tag vor der wirksamen Versetzung) aktuell war. Zukünftige Lohnerhöhungen, geänderte Arbeitszeitregelungen oder neue Sonderleistungen, die nach diesem Stichtag in dem Tarifvertrag vereinbart werden, gelten für den Arbeitnehmer nicht mehr automatisch.

4. Ändert sich etwas, wenn ich selbst Gewerkschaftsmitglied bin?

Ja, potenziell. Wenn Sie Mitglied der zuständigen Gewerkschaft sind und Ihr Arbeitgeber Mitglied im tarifschließenden Arbeitgeberverband ist (oder ein Haustarifvertrag gilt), dann gilt der Tarifvertrag für Sie unmittelbar und zwingend kraft Gesetzes (§ 4 Abs. 1 Tarifvertragsgesetz – TVG). Eine arbeitsvertragliche Bezugnahmeklausel ist dann oft nur deklaratorisch. Bei einer Versetzung in ein anderes Tarifgebiet stellt sich dann die Frage, ob Sie weiterhin unter den alten Tarif fallen (z.B. wenn der Betrieb dorthin verlegt wird) oder ob durch den Wechsel des Arbeitsortes der neue Tarifvertrag Anwendung findet (weil der alte räumlich nicht mehr passt). Hier gelten primär die Regeln des TVG, nicht die der arbeitsvertraglichen Bezugnahme. Die Situation kann komplex sein und hängt vom Einzelfall ab.

5. Mein Arbeitgeber hat mich versetzt und zahlt jetzt weniger. Was soll ich tun?

Prüfen Sie Ihren Arbeitsvertrag: Wann wurde er geschlossen? Enthält er eine Bezugnahmeklausel? Auf welchen Tarifvertrag wird verwiesen?

Vergleichen Sie Ihre Gehaltsabrechnungen vor und nach der Versetzung. Wo genau liegen die Unterschiede?

Informieren Sie sich über die geltenden Tarifverträge an Ihrem alten und neuen Arbeitsort.

Wichtig: Machen Sie Ihre Ansprüche schriftlich bei Ihrem Arbeitgeber geltend und beachten Sie dabei unbedingt eventuelle Ausschlussfristen aus dem Arbeits- oder Tarifvertrag!

Suchen Sie rechtzeitig Rechtsrat bei einem Fachanwalt für Arbeitsrecht oder Ihrer Gewerkschaft. Unser Experte steht Ihnen jederzeit für eine erste Ersteinschätzung und eine weitere Vertretung zur Seite. Fordern Sie noch heute unsere Ersteinschätzung an.

6. Kann mein Arbeitgeber die Bezugnahmeklausel einfach ändern?

Nein, eine bestehende Vertragsklausel kann der Arbeitgeber nicht einseitig ändern. Änderungen des Arbeitsvertrags bedürfen grundsätzlich der Zustimmung beider Seiten (Arbeitgeber und Arbeitnehmer), also eines Änderungsvertrags. Eine Ausnahme kann eine sogenannte Änderungskündigung sein, die aber an strenge Voraussetzungen geknüpft ist. Eine reine Weisung im Rahmen des Direktionsrechts (§ 106 GewO) ändert den Vertrag nicht.

7. Was ist, wenn im Versetzungsschreiben steht, dass jetzt der neue Tarif gilt?

Wenn das Schreiben klar als Angebot zur Vertragsänderung formuliert ist (z.B. „Wir bieten Ihnen an, ab dem [Datum] unter Geltung des Tarifvertrags XY weiterzuarbeiten. Bitte bestätigen Sie Ihr Einverständnis…“) und Sie dieses Angebot annehmen (ausdrücklich oder ggf. durch widerspruchslose Weiterarbeit unter den neuen Bedingungen, wobei hier Vorsicht geboten ist!), kann dies die alte Klausel ersetzen. Wenn es aber wie im Fall von Herrn M. eher wie eine einseitige Mitteilung im Rahmen einer Versetzungsweisung klingt, ist es rechtlich oft keine Vertragsänderung, wie das BAG klargestellt hat. Die genaue Formulierung ist entscheidend.

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