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Kleinbetrieb – Kündigung – Verstoß gegen Treu und Glauben – Maßregelungsverbot

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 Sa 83/19 – Urteil vom 14.01.2020

I. Das Versäumnisurteil vom 05. November 2019 wird aufrechterhalten.

II. Der Kläger trägt auch die weiteren Kosten des Berufungsverfahrens.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit zweier ordentlicher Kündigungen.

Der 1972 geborene, verheiratete Kläger, dem ein Grad der Behinderung von 100 zuerkannt ist, ist seit dem 02. November 2016 bei dem Beklagten als Berufskraftfahrer beschäftigt. Beim Beklagten sind regelmäßig nicht mehr als sieben Arbeitnehmer ausschließlich der Auszubildenden angestellt.

Der Beklagte hat mit am gleichen Tag beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung – Integrationsamt eingehendem Antrag vom 11. Juni 2018 die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers beantragt. Das Integrationsamt hat der ordentlichen Kündigung mit Bescheid vom 10. Juli 2018 (Bl. 15 ff. d. A.) zugestimmt. Ausweislich des Auslieferungsbelegs (Bl. 94 d. A.) wurde der Bescheid der Beklagten am 11. Juli 2018 per Einschreiben zugestellt. Die gegen den zustimmenden Bescheid in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 23. Januar 2019 vom Kläger angestrengte Klage hat das Verwaltungsgericht Koblenz mit Urteil vom 13. September 2019 – XXX – (Bl. 255 ff. d. A.) abgewiesen. Wegen der Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 260 ff. d. A. verwiesen.

Die Parteien haben bereits in der Vergangenheit gerichtlich über die Wirksamkeit einer Kündigung und über Vergütungsansprüche des Klägers gestritten. Der seit 06. August 2017 arbeitsunfähige Kläger übersandte der Beklagten mit Aufforderungsschreiben vom 20. Juni 2018 einen Wiedereingliederungsplan (Bl. 25 d. A.) im Hinblick auf seine stufenweise Wiedereingliederung in das Erwerbsleben beginnend ab 04. Juni 2018. Zweitinstanzlich behauptet der Kläger, der Wiedereingliederungsplan sei dem Beklagten – anders als erstinstanzlich unstreitig nicht am 25. Juni 2018, sondern schon – am 21. Juni 2018 zugegangen.

Der Beklagte kündigte das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12. Juli 2018, dem Kläger am 13. Juli 2018 zugegangen, ordentlich zum 15. August 2018. Der Kläger hat gegen die Kündigung am 26. Juli 2018 beim Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Kündigungsschutzklage erhoben, welche dem Beklagten am 02. August 2018 zugestellt worden ist.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mangels Antragstellung des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 25. Oktober 2018 im Wege des Versäumnisurteils vom gleichen Tag abgewiesen. Der Kläger hat gegen das am 31. Oktober 2018 zugestellte Versäumnisurteil mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 31. Oktober 2018 Einspruch eingelegt.

Der Beklagte sprach am 09. Januar 2019 erneut eine dem Kläger am 11. Januar 2019 zugegangene ordentliche Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus, gegen die sich der Kläger in vorliegendem Verfahren mit Kündigungsschutzantrag gemäß Schriftsatz vom 24. Januar 2019 zur Wehr gesetzt hat.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die Kündigung sei ohne Zustimmung des Integrationsamtes erfolgt, da diese erst am 16. Juli 2018 beim Klägervertreter eingegangen sei. Zudem sei die Kündigung rechtsmissbräuchlich, da der Beklagte den Antrag auf Zustimmung gegenüber dem Integrationsamt mit der Geltendmachung von Forderungen durch den Kläger im Klagewege begründet habe. Zudem sei der Antrag unmittelbar auf die Aufforderung des Klägers erfolgt, einer Wiedereingliederung zuzustimmen. Zwar sei es zutreffend, dass er in einer WhatsApp-Nachricht dem Beklagten mitgeteilt habe, wenn er bis heute Abend nicht seinen Restlohn inkl. der Verdienstbescheinigung für die Krankenkasse für das Krankengeld habe, werde er sämtliche Belege der AZ und dem öffentlichen Anzeiger übergeben, um mal klarzustellen, was für ein toller Arbeitgeber er sei. Allerdings sei diese WhatsApp, die erst vom 17. August 2018 datiere und die vorher ausgesprochen Kündigung nicht rechtfertigen könne, eine Konsequenz dessen gewesen, dass der Beklagte trotz mehrfacher Zusage die Zahlung nicht vorgenommen und auch die Verdienstbescheinigung nicht übersandt habe. Dem Mitarbeiter Z. habe er nur gesagt, er sei schwerbehindert, weshalb der Beklagte ihn nicht einfach so vor die Tür setzen könne, nicht jedoch, dass er deshalb machen könne, was er wolle. Krankmeldungen habe er – vor Ablauf des 6-Wochen-Zeitraums – immer pünktlich über seine Ehefrau bzw. über die Kanzlei des Klägervertreters eingereicht. Er sei nicht mit firmeneigenen Pkws zu Vorstellungsgesprächen bei anderen Arbeitgebern gefahren, sondern habe sich lediglich anlässlich von Pausen beim Be- und Entladen bei den Disponenten der auf dem Gelände der Firma Y. ansässigen Firmen W., V. und U. vorgestellt. Den Wiedereingliederungsplan habe er zunächst erfolglos versucht, bei einem anderen Arbeitgeber durchzuführen, nachdem der Beklagte sich geweigert habe, ihn zu beschäftigen, was durch das nochmalige beim Termin des Integrationsamt gegenüber seinem Prozessbevollmächtigten geäußerte Hausverbot Niederschlag gefunden habe. Er habe auch noch keine neue Beschäftigung. Auf Facebook habe er nicht die Unwahrheit über den Beklagten geschrieben; zudem habe der Beklagte die Informationen unter Verstoß gegen die DSGVO erreicht. Dass sich die Speditionsfirma T. bemüht habe, Förderungen für den behindertengerechten Umbau im Fahrzeug zu erlangen, habe er zu Recht positiv herausgestellt. Der Beklagte habe kein BEM durchgeführt, sondern seine Wiedereingliederung verweigert. Er habe hingegen nicht mutwillig Schäden an Firmenfahrzeugen verursacht. Am 15. Februar 2017 sei kein Schaden, am 27. Mai 2017 beim Rangieren ein für einen Fuhrbetrieb normaler Schaden eingetreten. Er werde als Behinderter diskriminiert.

Der Kläger hat zuletzt beantragt, das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 25. Oktober 2018 aufzuheben und

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 12. Juli 2018 nicht aufgelöst worden ist,

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis nicht durch die Kündigung vom 09. Januar 2019 aufgelöst worden ist, sondern zu unveränderten Bedingungen fortbesteht.

Der Beklagte hat beantragt, das Versäumnisurteil vom 25. Oktober 2018 aufrecht zu erhalten und die weitergehende Klage abzuweisen.

Der Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die ordentliche Kündigung, zu der er die Zustimmung des Integrationsamts erst am 11. Juli 2018 erhalten habe, sei – wenngleich das Kündigungsschutzgesetz nicht gelte – aus verhaltensbedingten Gründen ausgesprochen worden und nicht rechtsmissbräuchlich. Der Kläger habe dem Beklagten – wie von ihm selbst eingeräumt – per WhatsApp gedroht und sich gegenüber dem Kollegen Z. bereits in 2017 dahingehend geäußert, dass er in der Firma machen könne, was er wolle, da der Chef ihn eh nicht rausbekomme, weil er schwerbehindert sei. Die Krankmeldungen des Klägers seien immer viel zu spät eingereicht worden (zum Beispiel die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 29. März 2018 erst am 05. April 2018, die vom 27. April 2018 erst am 02. Mai 2018, die vom 31. Juli 2018 erst am 06. August 2018, am 29. Juni 2018 habe sich der Kläger erst um 16.01 Uhr krank gemeldet), obwohl es für ihre Planung extrem wichtig sei, bereits am Morgen einer Erkrankung zu wissen, ob der Mitarbeiter zur Arbeit erscheine oder nicht. Der Kläger habe in einem Zeitraum von vier Monaten mehrere – im Einzelnen dargelegte – Unfälle mit einem Gesamtschaden von 8.000,00 Euro verursacht. Die Aufforderung zur Wiedereingliederung ab 04. Juni 2018 sei erst am 25. Juni 2018 vorgelegt worden, was zeige, wie sehr sich der Kläger für das Arbeitsverhältnis interessiere. Am 30. Juni 2018 habe der Kläger für jedermann öffentlich zugänglich über Facebook verkündet, dass er zukünftiger Schwertransportfahrer bei einer anderen Spedition sei. Zugleich habe er dort wahrheitswidrig behauptet, aufgrund einer Krebserkrankung mit System gekündigt worden zu sein. Auch habe der Kläger Firmenfahrzeuge für Vorstellungsgespräche bei Disponenten genutzt; er sei für eine reine Tätigkeit im Bau beschäftigt gewesen und habe sich nicht in der Nähe von Verwaltungsgebäuden aufgehalten, zumal er beim Be- und Entladen den Kipper manuell habe bedienen müssen und währenddessen nicht habe Vorstellungsgespräche führen können. Die Schwerbehindertensituation des Klägers sei ihr im Übrigen erst nach Ausspruch der allerersten Kündigung bekannt geworden. Das BEM spiele mangels Anwendbarkeit des KSchG keine Rolle; im Betrieb gebe es auch keinen leidensgerechten Arbeitsplatz, so dass ein BEM ohne Aussicht auf Ergebnis gewesen sei.

Das Arbeitsgericht hat das Versäumnisurteil vom 25. Oktober 2018 mit Urteil vom 31. Januar 2019 aufrechterhalten und die weitergehende Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen angeführt, die Kündigung vom 12. Juli 2018 habe das Arbeitsverhältnis zum 15. August 2018 beendet. Die Kündigung scheitere nicht an § 168 ff. SGB IX, da das Integrationsamt der Kündigung mit Bescheid vom 10. Juli 2018 zugestimmt habe. Die Kündigung, für die das Kündigungsschutzgesetz nicht gelte, verstoße nicht gegen § 242 BGB. Die Einwände des Klägers seien unbegründet. Der Kläger sei dem substantiierten Vorbringen des Beklagten zum Zeitpunkt des Eingangs des Wiedereingliederungsgesuchs, der verspätet vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen und zu den Facebook-Äußerungen des Klägers nur pauschal bzw. mit Datenschutzargumenten entgegengetreten. Abgesehen davon, dass ein Arbeitnehmer, der öffentliche Erklärungen poste, auf den Schutz seiner Daten verzichtet habe, böten bereits die dargelegten Umstände ohne weiteres Anlass, an der gedeihlichen Zusammenarbeit im Kleinbetrieb zu zweifeln. Dem zweiten Kündigungsschutzantrag fehle angesichts der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 15. August 2018 die Substanz. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 127 f. d. A. verwiesen.

Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 15. Februar 2019 zugestellte Urteil mit am 13. März 2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit am gleichen Tag bei Gericht eingegangenem Schriftsatz vom 13. Mai 2019 begründet.

Aufgrund Säumnis des Klägers im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05. November 2019 hat die Berufungskammer auf Antrag des Beklagten die Berufung im Wege des Versäumnisurteils zurückgewiesen. Der Kläger hat gegen das seinem Prozessbevollmächtigten am 11. November 2019 zugestellte Versäumnisurteil am 08. November 2019 Einspruch eingelegt.

Der Kläger trägt zweitinstanzlich nach Maßgabe seiner Berufungsbegründungsschrift vom 13. Mai 2019, hinsichtlich deren weiteren Inhaltes auf Bl. 163 ff. d. A. ergänzend Bezug genommen wird, vor,

das erstinstanzliche Gericht habe übersehen, dass die Kündigung gegen das Maßregelungsverbot des § 612 a BGB verstoße. Auf die Aufforderung zur Wiedereingliederung mit Schreiben vom 20. Juni 2018 am 21. Juni 2018 sei im unmittelbaren Zusammenhang und als tragender Beweggrund die Kündigung erfolgt. Unerheblich für den Anspruch des behinderten Arbeitnehmers auf Wiedereingliederung sei, ob diese am ersten oder am letzten Tag geltend gemacht werde. Die vom Beklagten hilfsweise herangezogenen Kündigungsgründe seien teilweise (WhatsApp aus Sommer 2017, Schäden) älter als ein Jahr, so dass diese irrelevant seien. Auch das unterlassene BEM zeige, dass der Beklagte kein Interesse an der Rückkehr des Klägers habe. Der Facebook-Post sei nur im geschlossenen Bereich sichtbar für „Freunde“. Der Beklagte könne seine Kündigung vom 09. Januar 2019 angesichts des ausgesprochenen Hausverbotes auch nicht auf die verspätete Vorlage von Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen stützen.

Der Kläger beantragt zuletzt,

I. das Versäumnisurteil vom 05. November 2019 aufzuheben,

II. das Urteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 31. Januar 2019 – Az.: 7 Ca 493/18 – wird wie folgt abgeändert:

1. Das Versäumnisurteil des Arbeitsgerichts Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – vom 25. Oktober 2018 – Az.: 7 Ca 493/18 – wird aufgehoben.

2. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 12. Juli 2018 nicht aufgelöst worden ist.

3. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 09. Januar 2019 nicht aufgelöst worden ist.

Der Beklagte beantragt zuletzt, das Versäumnisurteil vom 05. November 2019 aufrecht zu erhalten.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 14. Juni 2019, auf die Bezug genommen wird (Bl. 186 ff. d. A.), zweitinstanzlich unter Wiederholung und Vertiefung seines erstinstanzlichen Sachvortrags im Wesentlichen wie folgt,

der Kläger befinde sich mittlerweile im Arbeitsverhältnis zum dritten Arbeitgeber, zuletzt bei der Firma S. und poste auf seinem öffentlichen Facebook-Profil (nicht im sog. geschlossenen Bereich) fleißig Bilder seiner Tätigkeit und Statusmeldungen an die Kollegen (Bl. 210 ff. d. A.) und habe durch die öffentlichen Posts auf seinen Datenschutz verzichtet. Er scheine davon auszugehen, dass ihm seine Eigenschaft als Schwerbehinderter Tür und Tor öffne. Die Kündigung sei keinesfalls sittenwidrig oder treuwidrig erfolgt. Der Kläger habe ein zunehmend respektloses Verhalten gezeigt, was eine Zusammenarbeit schlichtweg unzumutbar mache. Das am 25. Juni 2018 vorgelegte Wiedereingliederungsgesuch sei nicht ausschlaggebend für die Kündigung gewesen, da bereits am 11. Juni 2018 die Zustimmung zur beabsichtigten Kündigung beantragt worden sei.

Im Übrigen wird wegen des Sach- und Streitstandes im Berufungsverfahren ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften vom 05. November 2019 und 14. Januar 2020 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

Die Berufung ist zulässig, in der Sache jedoch nicht erfolgreich.

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist insoweit statthaft, wurde vom Kläger nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 15. Februar 2019 mit am 13. März 2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 13. Mai 2019, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, rechtzeitig und noch ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO). Durch den Einspruch des Klägers gegen das Versäumnisurteil vom 05. November 2019 ist der Rechtsstreit gemäß § 342 ZPO in die Lage zurückversetzt worden, in der er sich vor der Säumnis befunden hat. Der Einspruch ist gemäß §§ 64 Abs. 7, 59 ArbGG statthaft, sowie fristgerecht eingelegt worden.

II. Das die Berufung zurückweisende Versäumnisurteil vom 05. November 2019 war aufrecht zu erhalten, da die Berufung nicht begründet ist. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Recht abgewiesen. Die streitgegenständliche ordentliche Kündigung des Beklagten vom 12. Juli 2018 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis unter Einhaltung der ordentlichen Kündigungsfrist gemäß § 622 Abs. 1 BGB zum 15. August 2018 beendet. Der Kündigungsschutzklage gegen die zweite Kündigung vom 09. Januar 2019, die der anwaltlich vertretene Kläger ausdrücklich unbedingt erhoben hat, blieb der Erfolg aufgrund der bereits zuvor erfolgten Beendigung des Arbeitsverhältnisses verwehrt.

1. Die Kündigung gilt nicht bereits infolge nicht rechtzeitiger Klageerhebung gemäß § 7 KSchG als von Anfang an rechtswirksam. Der Kläger hat gegen die Kündigung am 26. Juli 2018 fristgerecht innerhalb von drei Wochen nach Zugang beim Arbeitsgericht Mainz – Auswärtige Kammern Bad Kreuznach – Klage erhoben, welche dem Beklagten am 02. August 2018 alsbald zugestellt worden ist. Er hat die auch für Kündigungen im Kleinbetrieb anwendbare (vgl. KR-Klose 12. Aufl. § 4 KSchG Rn. 17 mwN) Klagefrist des § 4 Satz 1 KSchG eingehalten.

2. Die Kündigung ist nicht sozialwidrig iSd. § 1 Abs. 2 KSchG. Die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes finden auf das Arbeitsverhältnis nach § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG keine Anwendung, da der Beklagte unstreitig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer mit Ausnahme der Auszubildenden beschäftigt.

3. Der Wirksamkeit der Kündigung steht nicht eine fehlende Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 168 SGB IX entgegen, da das Integrationsamt seine Zustimmung zur streitgegenständlichen Kündigung mit Bescheid vom 10. Juli 2018 erteilt hat. Dass der Bescheid dem Beklagten am 11. Juli 2018 – wie aus dem Auslieferungsbelegt ersichtlich – per Einschreiben zugestellt worden ist, hat der Kläger im Berufungsverfahren nicht mehr in Abrede gestellt. Auch zuvor hatte er den Zugangszeitpunkt im Übrigen nur unter Verweis auf den späteren Eingang des Zustimmungsbescheides beim Klägervertreter unsubstantiiert einfach und damit unerheblich bestritten (§ 138 Abs. 2, 3 ZPO). Unabhängig davon, dass das Verwaltungsgericht Koblenz die Anfechtungsklage mit Urteil vom 13. September 2019 – XXX – abgewiesen hat, hatten Widerspruch und Anfechtungsklage des Klägers gegen die Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung gemäß § 172 Abs. 4 SGB IX keine aufschiebende Wirkung.

4. Die Kündigung ist nicht deshalb nach § 134 BGB nichtig, weil sie gegen das Maßregelungsverbot (§ 612 a BGB) verstieße. Selbst wenn man mangels ersichtlichen Hinweises des Arbeitsgerichtes nach § 6 Satz 2 KSchG (vgl. BAG 18. Januar 2012 – 6 AZR 407/10 – Rn. 17 mwN, zitiert nach juris) davon ausgeht, dass der Kläger sich noch im Berufungsverfahren erstmals auf das Maßregelungsverbot berufen durfte (vgl. BAG 04. Mai 2011 – 7 AZR 252/10 – Rn. 20. mwN, vgl. BAG 20. Januar 2016 – 6 AZR 601/14 – Rn. 14, zitiert nach juris) und dem Berufungsgericht hierdurch eine eigene Sachentscheidungsbefugnis erwachsen ist (vgl. BAG 04. Mai 2011 – 7 AZR 252/10 – Rn. 27 ff. aaO), liegt ein Verstoß nach § 612 a BGB nicht vor

4.1. Nach § 612 a BGB darf der Arbeitgeber einen Arbeitnehmer bei einer Maßnahme nicht deshalb benachteiligen, weil dieser in zulässiger Weise seine Rechte ausübt. Als Maßnahme kommt auch eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses in Betracht. Sie kann sich als Benachteiligung wegen einer zulässigen Rechtsausübung darstellen. Das Maßregelungsverbot ist verletzt, wenn zwischen der Rechtsausübung und der Benachteiligung ein unmittelbarer Zusammenhang besteht. Dafür muss die zulässige Rechtsausübung der tragende Grund, dh. das wesentliche Motiv für die benachteiligende Maßnahme gewesen sein. Es reicht nicht aus, dass die Rechtsausübung nur der äußere Anlass für sie war (BAG 10. April 2014 – 2 AZR 812/12 – Rn. 63, 19. April 2012 – 2 AZR 233/11 – Rn. 47; 12. Mai 2011 – 2 AZR 384/10 – Rn. 38, jeweils zitiert nach juris). Den klagenden Arbeitnehmer trifft die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass er wegen seiner Rechtsausübung von dem verklagten Arbeitgeber durch den Ausspruch der Kündigung benachteiligt worden ist. Hierzu hat der Arbeitnehmer unter Beweisantritt einen Sachverhalt vorzutragen, der einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Kündigung durch den Arbeitgeber und einer vorangehenden zulässigen Ausübung von Rechten indiziert. Der Arbeitgeber hat sich sodann nach § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu diesem Vortrag zu erklären. Sind danach entscheidungserhebliche Behauptungen des Arbeitnehmers streitig, sind grundsätzlich die vom Arbeitnehmer angebotenen Beweise zu erheben (LAG Rheinland-Pfalz 25. Februar 2014 – 6 Sa 463/13 – Rn. 34, zitiert nach juris; BAG 22. Mai 2003 – 2 AZR 426/02 – Rn. 13, zitiert nach juris).

4.2. Nach diesen Grundsätzen ist ein Verstoß gegen das Maßregelungsverbot nicht gegeben. Der Kläger hat bereits keinen Sachverhalt vorgetragen, der einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen einer zulässigen Rechtsausübung seinerseits und der danach erfolgten Kündigung des Beklagten indizieren würde. Soweit er sich darauf berufen hat, der Beklagte habe seinen Antrag auf Wiedereingliederung vom 20. Juni 2018 zum Anlass für seine Kündigung genommen, vermochte die Berufungskammer dies nicht nachzuvollziehen. Unabhängig davon, ob der Beklagte den Antrag des Klägers auf Wiedereingliederung ab dem 04. Juni 2018 – wie erstinstanzlich noch unstreitig – per Fax am 25. Juni 2018 (vgl. Faxkopie mit Kopfzeile vom 25.06.2018, Bl. 25 d. A.) oder – wie zweitinstanzlich vom Kläger behauptet – am 21. Juni 2018 erhalten hat, hatte er zu diesem Zeitpunkt die Zustimmung zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung bereits am 11. Juni 2018 beim Integrationsamt beantragt, so dass kein Indiz für einen Zusammenhang zwischen dem Wiedereingliederungsantrag und dem Kündigungsausspruch besteht. Dies gilt umso mehr, als der Beklagte seinen Antrag beim Integrationsamt auf andere Gründe gestützt und ua. geltend gemacht hat, den Kläger entlassen zu wollen, weil er Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen nach Lust und Laune erst Tage später eingereicht habe, mit dem Lkw zu Vorstellungsgesprächen gefahren sei, und Schäden an den Fahrzeugen des Beklagten hervorgerufen habe, für die man als kleiner Betrieb nicht finanziell zumutbar aufkommen könne. Vor diesem Hintergrund kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine zulässige Rechtsausübung des Klägers der tragende Grund für die Kündigung gewesen ist.

5. Die Kündigung verletzt auch nicht das Gebot von Treu und Glauben (§ 242 BGB). Hiervon ist das Arbeitsgericht zutreffend ausgegangen.

5.1. Der Grundsatz von Treu und Glauben in § 242 BGB bildet eine allen Rechten, Rechtslagen und Rechtsnormen immanente Inhaltsbegrenzung. Eine gegen diesen Grundsatz verstoßende Rechtsausübung oder Ausnutzung einer Rechtslage ist wegen der darin liegenden Rechtsüberschreitung als unzulässig anzusehen. Die Vorschrift des § 242 BGB ist aber auf Kündigungen neben § 1 KSchG nur in beschränktem Umfang anwendbar. Das Kündigungsschutzgesetz hat die Voraussetzungen und Wirkungen des Grundsatzes von Treu und Glauben konkretisiert und abschließend geregelt, soweit es um den Bestandsschutz und das Interesse des Arbeitnehmers an der Erhaltung seines Arbeitsplatzes geht. Eine Kündigung verstößt deshalb nur dann gegen § 242 BGB, wenn sie Treu und Glauben aus Gründen verletzt, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind (BAG 05. Dezember 2019 – 2 AZR 107/19 – Rn. 12, 22. April 2010 – 6 AZR 828/08 – Rn. 41, 28. August 2003 – 2 AZR 333/02 – Rn. 16, jeweils zitiert nach juris). Es geht vor allem darum, Arbeitnehmer vor willkürlichen oder auf sachfremden Motiven beruhenden Kündigungen zu schützen, zB vor Diskriminierungen iSv. Art. 3 Abs. 3 GG. Schließlich darf auch ein durch langjährige Mitarbeit erdientes Vertrauen in den Fortbestand eines Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben. Der Vorwurf willkürlicher, sachfremder oder diskriminierender Ausübung des Kündigungsrechts scheidet dagegen aus, wenn ein irgendwie einleuchtender Grund für die Rechtsausübung vorliegt (BAG 28. August 2003 – 2 AZR 333/02 – Rn. 17, aaO). Die gebotene Berücksichtigung des durch langjährige Beschäftigung entstandenen Vertrauens erfordert, dass der Grund für Kündigungen gegenüber langjährig beschäftigten Arbeitnehmern auch angesichts der Betriebszugehörigkeit „einleuchten“ muss. Es kann deshalb als treuwidrig zu werten sein, wenn der Arbeitgeber die Kündigung auf auch im Kleinbetrieb eindeutig nicht ins Gewicht fallende einmalige Fehler eines seit Jahrzehnten beanstandungsfrei beschäftigten Arbeitnehmers stützen will. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen derjenigen Tatsachen, aus denen sich die Treuwidrigkeit ergibt, liegt unter Berücksichtigung der Grundsätze der abgestuften Darlegungs- und Beweislast beim Arbeitnehmer (vgl. BAG 25. April 2001 – 5 AZR 360/99 – Rn. 29; LAG Rheinland-Pfalz 21. Mai 2019 – 6 Sa 21/19 – Rn. 39 ff., mwN, zitiert nach juris).

5.2. Gemessen hieran stand dem Beklagten ein die Treuwidrigkeit der Kündigung nach § 242 BGB ausschließender einleuchtender Kündigungsgrund im dargestellten Sinne zur Seite. Der Beklagte hat im Einzelnen unter Angabe von Daten vorgetragen, der Kläger habe sich mehrfach verspätet krankgemeldet. Der Kläger hat dem keinen substantiierten Sachvortrag entgegengesetzt, sondern lediglich pauschal behauptet, Krankmeldungen immer pünktlich über seine Ehefrau oder seinen Prozessbevollmächtigten eingereicht zu haben. Da er konkrete Einzelheiten hierzu nicht vorgetragen hat, gilt der Vortrag des Beklagten gemäß § 138 Abs. 2, 3 ZPO als zugestanden. Soweit der Kläger geltend gemacht hat, der Beklagte könne sich nicht auf die verspäteten Krankmeldungen berufen, da er zuletzt im Termin vor dem Integrationsamt ein Hausverbot erteilt habe, hat er nicht dargelegt, zu welchem Zeitpunkt dies der Fall gewesen sein soll. Angesichts der Tatsache, dass der Kläger seine weitere Erkrankung nach den Behauptungen des Beklagten überwiegend bereits im Frühjahr 2018 verspätet angezeigt hat und zu diesem Zeitpunkt ein Verfahren vor dem Integrationsamt noch nicht anhängig gewesen ist, bleibt der Einwand des Klägers überdies ohne Erfolg. Unstreitig ist ebenfalls, dass der Kläger Schäden an Firmenfahrzeugen verursacht hat. Unabhängig davon, ob der Kläger diese Schäden mutwillig verursacht hat oder nicht, liegt auch hierin ein Grund, der eine Treuwidrigkeit der Kündigung ausschließt. Dass die Voraussetzungen für die soziale Rechtfertigung einer verhaltensbedingten Kündigung nach § 1 Abs. 2 KSchG vorliegen, ist im Kleinbetrieb des Beklagten gerade nicht erforderlich. Unter dem Gesichtspunkt der Verhältnismäßigkeit war auch nicht ausnahmsweise eine vorherige vergebliche Abmahnung erforderlich (vgl. BAG 28. März 2003 – 2 AZR 333/02 – Rn. 33, aaO). Aus welchen Gründen der Kläger meint, wegen seiner Schwerbehinderung diskriminiert worden zu sein, erschloss sich der Berufungskammer nicht. Ob die Kündigung auch deshalb nicht als treuwidrig zu betrachten ist, weil der Kläger nach bestrittener Behauptung des Beklagten bereits im Jahr 2017 gegenüber seinem Kollegen Z. geäußert hat, er könne in der Firma machen, was er wolle, da der Beklagte ihn wegen seiner Schwerbehinderung nicht kündigen könne, kann ebenso dahinstehen, wie die Relevanz der Behauptungen des Beklagten zu den Äußerungen des Klägers in sozialen Netzwerken und zu dessen unstreitiger Androhung, den Beklagten in der Presse diskreditieren zu wollen.

B

Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe die eine Zulassung der Revision iSd § 72 Abs. 2 ArbGG veranlasst hätten, bestehen nicht.

 

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