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Kleinbetriebsklausel bei Unternehmen mit Matrixstruktur

Landesarbeitsgericht Köln – Az.: 6 Sa 1066/20 – Urteil vom 22.04.2021

I.   Auf die Berufung des Klägers wird die Entscheidung des Arbeitsgerichts Köln vom 08.09.2020 – 6 Ca 1079/20 – abgeändert und wie folgt neu gefasst:

1.   Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.01.2020 beendet worden ist.

2.   Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger über den 30.04.2020 hinaus zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Solution Architect am Standort K weiter zu beschäftigen.

II.   Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

III.   Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Wirksamkeit einer Kündigung und um einen Antrag auf Weiterbeschäftigung. Dabei sind sich die Parteien insbesondere über die Frage uneinig, ob auf das zwischen ihnen bestehende Arbeitsverhältnis das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet.

Der Kläger war bei der Beklagten unter Anrechnung von Vorbeschäftigungszeiten seit dem 15.09.2015 beschäftigt. Vereinbart war eine Tätigkeit als SAP-Berater/Solution Architekt und ein Bruttomonatseinkommen in Höhe von zuletzt 10.416,66 EUR.  In der Arbeitsvertragsurkunde heißt es auszugsweise: „Der Arbeitsort ist K und bei Projektarbeit vor Ort die jeweiligen Standorte der Kunden bundesweit. Die Gesellschaft behält sich vor … zumutbare Tätigkeiten im Unternehmen zu übertragen. … Die Lage der Arbeitszeit – Beginn und Ende der Arbeitszeit und die Regelung der Pausen – wird von der Gesellschaft bestimmt und dem Mitarbeiter jeweils gesondert bekannt gemacht.“ Der Arbeitsvertrag wurde nach dem Wortlaut der Urkunde abgeschlossen zwischen der M L , Niederlassung K , R straße 6, 5 K und dem Kläger. Für die Arbeitgeberin hat der „Vice President – Revenue Assurance P K unterzeichnet. Der Kläger hat seine Unterschrift in Lo geleistet.

Die Beklagte ist ein weltweit tätiger Anbieter für IT-Dienstleistungen und IT-Lösungen mit einem jährlichen Umsatz von ca. 1 Milliarden USD und über 20.000 Beschäftigten. Der Hauptsitz der Beklagten findet sich in I und den U . Sie unterhält weltweit „Büros“. In D findet sich ein solches Büro in Mü in der H gasse.  Eine ehemalige Niederlassung in K ist – in der Zeit nach Zugang der hier streitigen Kündigung – aufgegeben worden. In D beschäftigt die Beklagte ca. 200 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter. Der Standort in K war eine im Handelsregister eingetragene Zweigniederlassung. In dieser K Zweigniederlassung war zuletzt nur der Kläger als einziger Arbeitnehmer beschäftigt. Das Unternehmen der Beklagten ist in einer Matrixstruktur organisiert. Es bilden sich also je nach Kundenwunsch nicht auf Dauer angelegte Teams zur gemeinsamen Projektarbeit.

Mit Schreiben vom 29.01.2020 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis zum 30.04.2020. Das Kündigungsschreiben bezeichnet im Adressfeld als Absender die Niederlassung K in der Fußnote heißt es aber „H straße 5 in 8 Mü „. Unterzeichnet wurde das Kündigungsschreiben von Ir A als „Ständiger Vertreter M L Zweigniederlassung D „.

Mit der seit dem 19.02.2020 anhängigen Klage hat sich der Kläger gegen die von der Beklagten ihm gegenüber ausgesprochene Kündigung gewandt.

Zur Begründung der Klage hat der Kläger vorgetragen, die Kündigung sei bereits mangels Vorlage einer Original-Vollmacht nach der durch ihn unverzüglich erfolgten Zurückweisung gemäß § 174 BGB unwirksam. Das Kündigungsschutzgesetz finde Anwendung und dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG lägen nicht vor. Die Kündigung sei daher gemäß § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam. Die Beklagte beschäftige in D 200 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, also im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG weit mehr als für die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes notwendig. Es habe sich bei der Niederlassung in K nicht um einen abgrenzbaren Kleinbetrieb gehandelt. Dieser Standort, also mangels weiterer Kolleginnen und Kollegen „er selbst“, sei kein „Betrieb“ im Sinne der gängigen Definition. Er sei regelmäßig in Projekten eingesetzt gewesen. Dort habe er immer mit anderen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Beklagten zusammengearbeitet. Einen selbständig geführten Bereich Business Objects habe es bei der Beklagten nie gegeben und er sei auch nicht nur in diesem Rahmen beschäftigt gewesen. Es sei zwar richtig, dass sein Vorgesetzter in E sitze. Dies mache ihn selbst aber nicht zum Kleinbetrieb. Jedenfalls sei die Regelung in § 23 KSchG verfassungskonform so auszulegen, dass ein Mindestmaß an Kündigungsschutz gewährt werden müsse und gewährt werde. Die Beklagte stelle einen multinationalen Konzern in einer Matrixstruktur mit tausenden von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern dar. Ein Unternehmen wie dieses sei nicht gemeint, wenn das Kündigungsschutzgesetz Kleinbetriebe privilegiere.

Die Kündigung sei nicht aufgrund dringender betrieblicher Erfordernisse erfolgt. Das Beschäftigungsbedürfnis für ihn sei nicht entfallen. Es gebe viele von der Beklagten noch weiterhin betriebene Projekte, die die Tätigkeit eines Solution Architects erforderten. Dabei könne nicht von einer allgemeingültigen Definition des Begriffs „Solution Architect“ ausgegangen werden. Außerdem enthalte der Arbeitsvertrag eine weite Versetzungsklausel. Damit könnten ihm auch Tätigkeiten zugewiesen werden, die mit der Tätigkeit des Solution Architects nur vergleichbar seien. Es kämen daher auch Beschäftigungen in Betracht als Project Manager, als Delivery Manager, als Pre-Sales Manager, als Head of Pre-Sales, als Technical Architect, als Program / Solution Architect, als Principal Consultant und als Director Consultant.

Unter der Anwendung des KSchG sei dann auch eine Sozialauswahl vorzunehmen gewesen. Von einer solchen Sozialauswahl habe die Beklagte pflichtwidrig ganz abgesehen.

Der Kläger hat beantragt,

1.   festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die im Namen der Beklagten erklärte Kündigung vom 29.01.2020 beendet wird;2. die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 30.04.2020 hinaus als Solution Architect in der Niederlassung K weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt,   die Klage abzuweisen.

Sie hat vorgetragen, der Kläger sei am Standort K der einzige Mitarbeiter gewesen. Dabei sei er für den Bereich SAP Business Objects Beratung zuständig gewesen. In diesem Bereich sei er in D allein und es gebe nur im Ausland weitere Mitarbeiter. Der Kläger sei nur seinem Vorgesetzten Ia Mo in E weisungsmäßig unterstellt gewesen. Dieser Vorgesetzte sei zuständig für personelle und soziale Angelegenheiten, wie zum Beispiel die Erteilung von Urlaub und für die Übertragung von spezifischen Aufgaben. Soweit der Kläger in Projekten tätig gewesen sei, sei die Abstimmung nicht nur mit dem Vorgesetzten in E , sondern auch mit dem jeweiligen Projektverantwortlichen erfolgt. Es gebe im Übrigen keinen Austausch mit anderen Betrieben oder Betriebsteilen in D – auch nicht für die Regelungsbereiche Urlaub oder Krankheitsvertretung. Auch während des Urlaubs des Klägers habe es keinen Austausch mit d Kollegen gegeben. Der Kläger sei nach alledem der einzige d Annex eines in E ansässigen Betriebes. Der Bereich SAP Business Objects Beratung sei organisatorisch abgrenzbar und stelle daher einen Kleinbetrieb dar. Die Kündigung sei von ihr ausgesprochen worden, weil sie sich entschlossen habe, den Bereich SAP Business Objects Beratung in D einzustellen und in E zu konzentrieren. Die Entscheidung habe der Leiter der Unternehmensabteilung „Package Solutions“, welcher der Kläger zugeordnet gewesen sei, im Dezember 2019 gefällt. In D gebe es keine Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten. Sie habe dem Kläger sogar noch eine Tätigkeit in den U angeboten. Der Kläger sei aber nicht bereit gewesen, dieses Angebot anzunehmen.

Mit dem Urteil vom 08.09.2020 hat das Arbeitsgericht Köln die Klage abgewiesen. Die Kündigung sei nicht gemäß § 174 BGB unwirksam, denn die Vertretungsbefugnis des Unterzeichnenden ergebe sich aus dem Handelsregister. Die Kündigung sei auch nicht gemäß § 1 KSchG unwirksam, denn das Kündigungsschutzgesetz sei nicht anwendbar. Der Kläger habe zwar vorgetragen, dass er im Projektgeschäft tätig gewesen sei und dass er mit anderen Mitarbeitern der Beklagten an Projekten gearbeitet habe. Zu der Kernfrage, ob nämlich eine einheitliche Leitung in personellen und sozialen Angelegenheiten vorliege, habe der Kläger sich aber nicht geäußert. Der Kläger habe insbesondere nicht vorgetragen, welcher größeren organisatorischen Einheit er sich zuordne. Auch sei nicht ersichtlich, dass die Beklagte mit ihrer Unternehmensstruktur den Kündigungsschutz umgehe und deshalb so zu stellen sei, als sei das Kündigungsschutzgesetz anwendbar.

Gegen dieses ihm am 20.10.2020 zugestellte Urteil hat der Kläger am 18.11.2020 Berufung eingelegt und hat diese nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 20.01.2020 begründet.

Der Kläger trägt nunmehr vor, entgegen der Auffassung der Beklagten und des Arbeitsgerichts finde das Kündigungsschutzgesetz nach seiner Auffassung Anwendung. Die Beklagte unterhalte mit der Niederlassung D einen Betrieb im Inland und er sei in diesen Betrieb eingegliedert. Zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe die Beklagte mindestens 141 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer in D beschäftigt. 80 % aller d Beschäftigten seien ursprünglich dem K Standort zugeordnet gewesen. Bis zur Eröffnung und Eintragung der Niederlassung in Mü im Dezember 2018 seien nämlich sämtliche Mitarbeiterverträge in D auf den Standort K abgeschlossen worden. Zum 30.06.2019 sei der Standort K dann aufgegeben worden. Danach habe sich Mü zum Dreh- und Angelpunkt entwickelt. In Mü würden nun sämtliche Personalakten der d Beschäftigten geführt und verwaltet, auch die seine. Von dort würden sämtliche Zeugnisse geschrieben. Alle sozialversicherungsrechtlichen und steuerrechtlichen Angelegenheiten, würden von Mü aus erledigt. Krankmeldungen seien an Mü zu richten. Abrechnung und Lohnbuchhaltung würden von Mü aus in Zusammenarbeit mit O C gewährleistet. Gleiches gelte für Spesen und Dienstreisen. Gleiches gelte ebenfalls für die Ausgabe und Koordination von Telefonen und Laptops. Die Niederlassung in Mü würde von der Zeugin B als General Office Management and Human Resources Management geführt.

Er habe Produktdemonstrationen durchgeführt auf Anweisung des General Manager S Sa . Die d Niederlassung lade regelmäßig die d Mitarbeiter zu Weihnachtsfeiern, Oktoberfesten und anderen besonderen Ereignissen ein. Im Handelsregister Mü seien zwei Personen als Einzelvertretungsberechtigt eingetragen gewesen, nämlich Herr S Sa (wohne und arbeite in L ) und Herr A Ir (wohne in Es und arbeite dort bzw. in F ). Jeder d Mitarbeiterin und jedem d Mitarbeiter sei ein Development Manager zugewiesen gewesen. Die meisten für die d Mitarbeiter zuständigen Development Manager säßen in D , sein Development Manager, Ia Mo , habe in E gesessen. Die Development Manager seien zuständig für die Karriere-Entwicklung, für disziplinarische Aufgaben, für das Führen von Mitarbeitergesprächen, für Beförderungsempfehlungen, für Empfehlungen zur Gehaltsanpassung und für Urlaubsgenehmigungen. Bevor der Zeuge Ia Mo sein Development Manager geworden sei, sei diese Funktion durch den in K ansässige S Sa ausgefüllt gewesen. Wegen des spezifischen Projektgeschäfts seien Urlaubsanträge immer zunächst mit dem Kunden abzusprechen gewesen. Er habe sich selbst um Urlaubsvertretung kümmern müssen. Außerhalb der Projektarbeit sei es in der Regel der Kollege C Lo gewesen mit Sitz in K . Es gebe kaum jemanden, dem die Beklagte Büroräume zugewiesen habe. Feste Arbeitsplätze gebe es nicht, sondern ausschließlich Desksharing. Die Arbeit der d Mitarbeiter sei durch Projektarbeit geprägt. Dabei würden die Mitarbeiter standortübergreifend ausgewählt. Maßgeblich für die Auswahl sei das Resourcing-Team. Dieses überprüfe die Verfügbarkeit der Mitarbeiter mit den vom Kunden gewünschten Profilen und melde die Mitarbeiternamen an das Projektteam, das eine Vorauswahl für eine Teamzusammenstellung treffe. In der Regel würden dann dem Kunden die Kandidatenprofile zur Verfügung gestellt. Nach abschließender Abstimmung mit dem Kunden werde dann das Team zusammengestellt. Er sei in den folgenden Projekten mit unterschiedlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern eingebunden gewesen: Go (Bayreuth, 2017) 10 Teammitglieder, davon 5 aus D ; Go (Köln 2017/2018) 10 Teammitglieder, davon 2 aus D ; Le (Köln, 2019) 4 Teammitglieder davon 2 aus D .

Werde diese Organisationsstruktur der Betrachtung zugrunde gelegt, dann könnten sein Development Manager und er nicht als eigenständiger Betrieb aufgefasst werden. Er sei nicht als „einziger d Annex“ einem in E ansässigen Betrieb zugehörig. Er gehöre vielmehr zum Bereich „Package Solution“. In diesem Bereich seien in D mindestens 20 weitere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigt. Dieser Bereich gehöre zum Betrieb der deutschen Niederlassung in Mü .

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Köln vom 08.09.2020 – 6 Ca 1079/20 – abzuändern und

1.   festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht durch die im Namen der Beklagten erklärte Kündigung vom 29.01.2020 beendet wird;

2.   die Beklagte zu verurteilen, den Kläger über den 30.04.2020 hinaus als Solution Architect in der Niederlassung K weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie trägt vor, es sei zwar richtig, dass die Arbeitsverhältnisse der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von der Niederlassungszentrale in Mü administriert würden. Dies erschöpfe sich aber in der buchhalterischen Abwicklung. Eine einheitliche Leitung in sozialer und personeller Hinsicht finde sich nicht in Mü . Das Unternehmen sei in D in mehrere Betriebe aufgegliedert. Diese seien für verschiedene Geschäftsbereiche und sogar Produktbereiche aufgestellt. Die Mitarbeiter seien in unterschiedlichen Strukturen im Ausland eingebettet. Der Kläger als Teil seines Kleinbetriebs teile mit den übrigen Mitarbeitern der Delivery ebensowenig Betriebsmittel wie mit denjenigen Mitarbeitern aus dem Pre-Sales-Bereich oder dem Sales-Bereich. Der Kläger habe mit seiner Berufungsbegründung unstreitig gestellt habe, dass der Zeuge Ia Mo als sein Development Manger die Arbeitgeberfunktionen von E aus ausübe. Damit trete die Tatsache deutlich hervor, dass er nicht zu einem d Betrieb gehören könne. Die beiden Vertreter der Mü Niederlassung seien lediglich rechtliche Vertreter nach d Recht. Sie hätten keinerlei Vorgesetzten-Funktion. Ihre Kompetenzen erschöpften sich in der rechtsgeschäftlichen Vornahme von Vertragsabschlüssen und Kündigungen. Sie handelten ausschließlich auf Weisung aus dem Ausland

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.  Die Berufung des Klägers ist zulässig, weil sie statthaft (§ 64 Abs. 1 und 2 ArbGG) und frist- sowie formgerecht eingelegt und begründet worden ist (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 S. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO).

II.  Das Rechtsmittel hatte auch in der Sache Erfolg. Jedenfalls nach dem weitern Vortrag in der Berufungsinstanz steht fest, dass auf das Arbeitsverhältnis der Parteien das Kündigungsschutzgesetz Anwendung findet. An dessen Voraussetzungen gemessen erweist sich die streitgegenständliche Kündigung als sozialwidrig und daher als unwirksam. Folglich war auch der vom Kläger gestellte Weiterbeschäftigungsantrag begründet.

1.  Das Kündigungsschutzgesetz findet Anwendung. Die Beklagte, eine weltweit operierende Gesellschaft i Rechts mit einer Niederlassung zuletzt nur noch in Mü , beschäftigt in dem Betrieb, in dem der Kläger tätig ist, mehr als zehn Arbeitnehmer im Sinne des § 23 KSchG. Der Kläger ist kein solitärer eigener Betrieb innerhalb des Unternehmens sondern Teil einer Matrixstruktur. Jedenfalls fehlt es an einer im prozessualen Sinne erheblichen Einlassung der Beklagten zur Behauptung des Klägers, er sei im Rahmen einer derartigen Matrixstruktur in einem Betrieb mit mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt. Hilfsweise kann festgestellt werden, dass nach den Maßstäben des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts die von der Beklagten geltend gemachte Organisationsform ihres Unternehmens kündigungsschutzrechtlich zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führt.

a.  Nach § 138 Abs. 3 ZPO steht fest, dass der Kläger im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG in einem Betrieb tätig ist, in dem mehr als 10 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt werden. Selbst wenn der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts folgend angenommen wird, es sei der Arbeitnehmer, der die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsache trägt, er sei in einem Betrieb mit insgesamt mehr als zehn Arbeitnehmern beschäftigt, ist es die Arbeitgeberin, die auf einen entsprechenden Vortrag des Arbeitnehmers ihr Bestreiten dahin – nachvollziehbar – konkretisieren muss, wie nach ihrem Verständnis die betriebliche Organisation ihres Unternehmens aussieht. Das gilt besonders in einem Unternehmen mit Matrixstruktur wie hier. Gemäß § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG gelten „die Vorschriften des Ersten Abschnitts des Gesetzes […] nicht für Betriebe und Verwaltungen, in denen in der Regel […] zehn oder weniger Arbeitnehmer […] beschäftigt werden.“ Mit dieser negativen Formulierung stellt sich die Regelung als eine Ausnahmevorschrift zu Gunsten der Arbeitgeberin dar. Nach der allgemeinen Beweisregel, nach der jeder die Voraussetzungen der für ihn günstigen Normen darzulegen und zu beweisen hat, wäre es also die Arbeitgeberin, die vorzutragen und im Bestreitensfalle zu beweisen hätte, dass sich der Betrieb, in dem der klagende Arbeitnehmer beschäftigt war, als Kleinbetrieb im Sinne der Ausnahmevorschrift darstellt. Das Bundesarbeitsgericht ist in ständiger Rechtsprechung anderer Auffassung und weist dem klagenden Arbeitnehmer die Beweislast für die Tatsache zu, dass in dem Betrieb mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt seien und damit für die negative Tatsache, es handele sich nicht um einen Kleinbetrieb (BAG 24.2.2005 – 2 AZR 214/04 -; vgl. Moll in Ascheid/Preis/Schmidt, Kündigungsrecht, 6. Auflage 2021 Rn. 84 mwN.). Die Auswirkungen der seit langem geführten Meinungsverschiedenheit über die Darlegungs- und Beweislast im Rahmen des § 23 Abs. 1 KSchG sind allerdings gering. Das Bundesarbeitsgericht legt das Prinzip der Sachnähe und den Sphärengedanken zugrunde und billigt dem Arbeitnehmer daher auch wegen des Grundrechtsschutzes nach Art. 12 GG eine erleichterte Darlegung zu, weil dieser in der Regel keine oder nur eine ungenaue Kenntnis über die Strukturen und Verhältnisse in der Belegschaft hat (BAG 2.3.2017 – 2 AZR 427/16 -). Nach diesen Prämissen führt vorliegend die Auffassung des BAG zur Darlegungs- und Beweislast zu den Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 KSchG zu keinen anderen Ergebnissen als die Gegenmeinung. Ihr kann also gefolgt werden. Nach den vorgenannten Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast dürfen an die Darlegungslast des Arbeitnehmers zur betrieblichen Organisation keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Es reicht in der Regel aus, wenn dieser die äußeren Umstände schlüssig darlegt, die für die Annahme sprechen, dass die Betriebsstätte, in der er beschäftigt ist, über keinen eigenständigen Leitungsapparat verfügt, diese vielmehr zentral gelenkt wird. Hat der Arbeitnehmer schlüssig derartige Umstände behauptet, hat der Arbeitgeber hierauf gem. § 138 Abs. 2 ZPO im Einzelnen zu erklären, welche rechtserheblichen Umstände gegen die Annahme eines einheitlichen Leitungsapparates für mehrere Betriebsstätten sprechen. Nach dem Prinzip der Sachnähe ist regelmäßig nur der Arbeitgeber in der Lage, nähere Auskunft über die betrieblichen Führungsstrukturen zu geben (BAG 2.3.2017 – 2 AZR 427/16 – Rn. 22).

Nach diesen Grundsätzen hat der Kläger schlüssig behauptet, er selbst und alleine stelle keinen eigenständigen, aus dem Ausland gelenkten Betrieb dar, sondern er sei vielmehr in eine größere, von Mü aus gesteuerte organisatorische Einheit eingebunden, in der mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt seien. Der erste Teil der Behauptung (kein Solitär in K ) ergibt sich bereits aus den unstreitigen Tatsachen, nämlich aus der Existenz des Vorgesetzten in E , der Existenz der die Personalakte führenden Verwaltungseinrichtung in Mü und dem Wohn- und Arbeitsort  des die Kündigung unterzeichnenden Vertreters der Beklagten in Es . Es gibt folglich drei Leitungsfunktionen für den Kläger – und nicht nur für ihn – an drei verschiedenen Orten. Nach dieser vom Kläger dargelegten Aufteilung der Arbeitgeberfunktionen kann keine Rede von einem in E existierenden Betrieb sein, dessen bloßer Annex der Kläger darstellen könnte. Der zweite Teil seiner Behauptung (die Anbindung an Mü ), ergibt sich aus der Tatsache, dass der Standort in Mü die einzige in D verbliebene Niederlassung darstellt, dass dort die Personalakten geführt werden, dass die jeweiligen Teams bedarfsorientiert für begrenzte Dauer beim jeweiligen Kunden gebildet werden und dass insgesamt in D – wie erwähnt: mit der einzigen verbliebenen Niederlassung in Mü – mehr als 140 Beschäftigte für die Beklagte tätig sind.

Die Einlassungen der Beklagten hierzu sind mit Blick auf die Voraussetzungen des § 23 Abs. 1 Satz 2 KSchG unkonkret und nicht nachvollziehbar. Letzteres gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Arbeitsorganisation, die Weisungsbefugnisse und die im Einzelprojekt eingerichtete Teamzusammenstellung im Unternehmen unstreitig in einer Matrixstruktur erfolgen. Matrixstrukturen sind – wie unstreitig im international agierenden Konzern der Beklagten – so gestaltet, dass nicht jede einzelne Gruppen-/Konzerngesellschaft vertikal hierarchisch und horizontal bereichs- oder aufgabenspezifisch gegliedert ist, sondern die einzelnen Gesellschaften selbst und in ihrer Funktion als Arbeitgeber wirtschaftlich in den Hintergrund treten und vielmehr der Konzern oder die Gruppe selbst nach Aufgaben- und Funktionsbereichen gegliedert wird. In den einzelnen organisatorischen Bereichen des Konzerns/der Gruppe werden dann Mitarbeiter verschiedener Konzern-/Gruppengesellschaften gemeinsam beschäftigt. Die Berichtslinien verlaufen nicht mehr vertikal in der Anstellungsgesellschaft, sondern konzern- bzw. gruppenbezogen (Gimmy/Hügel, Kündigungsschutz für „entgrenzte“ Arbeitnehmer? NZA 2013, 764). Soweit in der Fachliteratur Matrixstrukturen mit Blick auf das Kündigungsschutzgesetz diskutiert werden, steht die Frage im Vordergrund, ob d Beschäftigte den d Kündigungsschutz aufgrund ihrer Gruppentätigkeit außerhalb D verlieren können (Gimmy/Hügel, Kündigungsschutz für „entgrenzte“ Arbeitnehmer? NZA 2013, 764) sowie die Frage, ob ggfls. zusätzlich zum d Arbeitsverhältnis ein Vertragsverhältnis zu einer weisungsgebenden ausländischen Konzerngesellschaft entstehen kann (Wisskirchen/Bissels Kündigungsschutz im Mulitinationalen Konzern bei multinational tätigen Arbeitnehmern, DB 2007, 340). Kern des Problems ist die Tatsache, dass der Matrixstruktur vieles an Indizien fehlt, was nach der klassischen und Jahrzehnte alten Definition den Betrieb ausmacht: Es fehlt eine Einheit von Betriebsmitteln; es gibt kein Bürogebäude, keine Fabrikhalle, es gibt keinen vom Arbeitgeber zur Verfügung gestellten Schreibtisch und keine „Drehbank“, es gibt keine gewachsenen und im Großen und Ganzen statischen Personalstrukturen, insbesondere keinen dauerhaft zugewiesenen Vorgesetzten oder dauerhaft unterstellte Mitarbeiter. Letzteres Phänomen ist gerade Inhalt und Zweck der Matrix, im Rahmen derer auf jeden Kundenwunsch mit immer neuen Zusammenstellungen von Teams reagiert wird, die immer wieder neue und idealerweise bedarfsgerechte und der Aufgabe dienende Berichts-, Weisungs- und Verantwortungslinien entstehend lassen. Unter Beachtung des Zwecks des Kündigungsschutzgesetzes (Schutz des Grundrechts aus Art 12 Abs. 1 GG; vgl. BVerfGE 97, 169) und insbesondere mit Blick auf den Sinn der Kleinbetriebsklausel in § 23 KSchG (besondere Berücksichtigung der jeweiligen Persönlichkeitsmerkmale, Betriebsklima, mitarbeitender Unternehmer, Vertrauensverhältnis, Finanzausstattung, Verwaltungsaufwand; vgl. BVerfGE 97, 169 Rn. 32) bedarf es in solchen Fällen im Rahmen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast auf den schlüssigen Vortrag des Arbeitnehmers einer besonders sorgfältigen Einlassung der Arbeitgeberin. Nach den Maßstäben der oben zitierten BAG-Rechtsprechung fehlt eine solche Einlassung der Beklagten. Insbesondere fehlt jeder Hinweis darauf, was sie ihrerseits in ihrem Unternehmen als Betrieb im Sinne des § 23 KSchG versteht – wenn nicht die Gesamtheit aller Beschäftigten, deren Personalakten in der Niederlassung in Mü liegen und deren Arbeitsverhältnisse zumindest steuer- und sozialversicherungsrechtlich sowie insgesamt buchhalterisch von dort administriert werden. In der Berufungserwiderung der Beklagten ist stattdessen die Rede von „Bereichen“, „Verticals“, „Horizontals“, von „Brückenköpfen“ und „Offshore-Entwicklerteams“. Unter der Überschrift „Struktur der d Niederlassung und der einzelnen Betriebe“ ist von den drei „Bereichen“ „Delivery“, „Sales“ und „Pre-Sales“ die Rede, um sogleich darauf hinzuweisen, dass der Bereich „Delivery“, dem der Kläger möglicherweise zugeordnet werden könne, nicht unter einer einheitlichen Leitung stehe. Es wird dann von zwei Mitarbeiterinnen berichtet, die „in den Mü Betrieb der Beklagten „eingegliedert“ seien, um wenig später darauf hinzuweisen, es sei nie behauptet worden der „Mü Betrieb“ habe seinerseits genug Beschäftigte, um die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzes annehmen zu können. Mitarbeiter der „Delivery“ seien im Übrigen teilweise vorübergehend „on bench“. Schließlich heißt es wörtlich in der Berufungserwiderung:

„Im Ergebnis ist die Beklagte in D somit in mehrere Betriebe aufgegliedert, die für verschiedene Geschäftsbereiche und sogar Produktbereiche gebildet sind und für die in Deutschland keine einheitliche Leitung in sozialer und personeller Hinsicht existieren, sondern deren Mitarbeiter in unterschiedliche Strukturen im Ausland eingebettet sind. Mitarbeiter in den jeweiligen Betrieben sind lediglich mit den ihnen aufgrund ihres Tätigkeitsbereichs spezifisch zugeordneten Aufgaben betraut.“

Die Beklagte scheint mit diesen Ausführungen die Auffassung ausdrücken zu wollen, dass es unter den gut 140 Beschäftigten der d Niederlassung mangels einer d Leitungsfunktion niemanden gibt, der unter den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fällt, dass eine Arbeitgeberin ihr Unternehmen also nur in einer Matrix-Struktur organisieren und international vernetzen muss, um geltend machen zu können, dass jeder ihrer Beschäftigten einen eigenen Betrieb im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG darstelle, dass es jedenfalls keine übergeordnete Betriebsstruktur gebe und dass das Kündigungsschutzgesetz folglich für die gesamte Belegschaft unanwendbar sei. Die Beklagte trägt wörtlich vor, es gebe zwar „Betriebe“ aber mangels verstetigter Leitungsfunktion gebe es eben keine Betriebe im Sinne des § 23 KSchG. Diese Widersprüchlichkeit ist für die Erheblichkeit ihrer Einlassungen schädlich.

Jedenfalls soweit die Beklagte vorträgt, der Kleinbetrieb im Bereich SAP Business Objects Beratung bestehe nur aus dem Kläger, fehlt jeder Bezug zur bekannten Betriebsdefinition. Nach der nur kursorischen und durchaus nicht selbsterklärenden Bezeichnung „SAP Business Objects Beratung“ müsste der Kläger – ganz alleine – eine organisatorische Einheit von Arbeitsmitteln darstellen, mit deren Hilfe die Arbeitgeberin (also sie) unter Zurhilfenahme von technischen und immateriellen Mitteln einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt. Aus dem Vortrag der Beklagten ergibt sich nicht einmal, jedenfalls nicht in deutscher Sprache, was konkret unter „SAP Business Objects Beratung“ zu verstehen ist. Nicht ganz deutlich werden die technischen und immateriellen Mittel, die sie spezifisch für und mit dem Kläger meint einzusetzen oder einsetzen zu wollen. Auch der von anderen abgrenzbare arbeitstechnische Zweck, den sie mit dem Einsatz des Klägers verfolgt, tritt nicht konkret zu Tage, insbesondere – mit Blick auf die Matrixstruktur – nicht seine Dauerhaftigkeit.

Zusammengefasst hat also der Kläger schlüssig die Tatsachen behauptet, die die Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes bedingen; die Einlassungen der Beklagten hierzu nach § 138 Abs. 2 ZPO genügen demgegenüber nicht den Anforderungen aus § 138 Abs. 1 ZPO zur notwendigen Vollständigkeit des Parteivortrages.

b.  Da mithin mangels hinreichenden Bestreitens der Vortrag des Klägers, er sei in einem Betrieb mit mehr als 10 Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer beschäftigt, gemäß § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig gilt, ist die Kündigung an den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu messen.

Nur hilfsweise, für den Fall, dass es für den anwendbaren Betriebsbegriff im Unternehmen der Beklagten keine hinreichend konkrete Leitungsfunktion gäbe, kann darüber hinaus festgestellt werden, dass nach den Maßstäben des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverfassungsgerichts die von der Beklagten dargestellte (Matrix-)Organisation ihres Unternehmens zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führt. Zu diesem Ausnahmetatbestand führt der 2. Senat des Bundesarbeitsgerichts wörtlich aus (BAG v. 19.07.2016 – 2 AZR 468/15 -, Rn. 20):

„§ 23 Abs. 1 KSchG stellt weiterhin auf die Betriebs- und nicht auf die Unternehmensgröße ab. Dies ist verfassungsrechtlich unbedenklich, solange dadurch nicht angesichts der vom Arbeitgeber geschaffenen konkreten Organisation die gesetzgeberischen Erwägungen für die Privilegierung des Kleinbetriebs bei verständiger Betrachtung ins Leere gehen und die Bestimmung des Betriebsbegriffs nach herkömmlicher Definition zu einer sachwidrigen Ungleichbehandlung betroffener Arbeitnehmer führte (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – zu B II 4 b bb der Gründe, BVerfGE 97, 169; BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08 – Rn. 25; APS/Moll 4. Aufl. § 23 KSchG Rn. 41; Falder NZA 1998, 1254, 1257). Der Betriebsbezug des Schwellenwerts ist demnach nicht schon immer dann zu durchbrechen, wenn sich das Unternehmen zwar in mehrere kleine, organisatorisch verselbständigte Einheiten gliedert, insgesamt aber mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt (aA Gragert/Kreutzfeldt NZA 1998, 567, 569; Kittner NZA 1998, 731). Das liefe auf eine vom Gesetzgeber nicht beabsichtigte generelle Gleichsetzung von Betrieb und Unternehmen hinaus und berücksichtigte nicht, dass auch das Bundesverfassungsgericht lediglich von Einzelfällen ausgegangen ist, die dem gesetzgeberischen Leitbild nicht entsprächen (BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08 – Rn. 24; vHH/L KSchG 15. Aufl. § 23 Rn. 36). Die Anwendung der Kleinbetriebsklausel ist auch nicht schon dann ausgeschlossen, wenn die als „Betrieb“ im kündigungsschutzrechtlichen Sinne zu verstehende Einheit nicht sämtliche vom Bundesverfassungsgericht als charakteristisch benannten Merkmale eines Kleinbetriebs erfüllt. Dieses hat lediglich typologisch Gesichtspunkte angeführt, die für einen Kleinbetrieb bezeichnend sind (BVerfG 27. Januar 1998 – 1 BvL 15/87 – zu B I 3 b bb der Gründe, BVerfGE 97, 169), ohne dass diese wie tatbestandliche Voraussetzungen einer Norm zu behandeln wären. Maßgeblich ist vielmehr eine alle Umstände des Einzelfalls einbeziehende, wertende Gesamtbetrachtung dahingehend, ob die Anwendung der Kleinbetriebsklausel nach Maßgabe des allgemeinen Betriebsbegriffs unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse dem mit ihr verbundenen Sinn und Zweck (noch) gerecht wird (BAG 28. Oktober 2010 – 2 AZR 392/08 – aaO; 13. Juni 2002 – 2 AZR 327/01 – zu II 1 d der Gründe, BAGE 101, 321).

Diese Maßstäbe zugrunde gelegt hat der 2. Senat in zwei Entscheidungen die Annahme eines solchen Ausnahmefalles abgelehnt. In der soeben zitierten Entscheidung ging es um eine Arbeitgeberin, die in D einen Betrieb mit weniger als 10 Beschäftigten unterhielt und in der Sc eine Niederlassung mit mindestens zwei weiteren Beschäftigten erworben hatte. In der Entscheidung vom 02.03.2017 – 2 AZR 427/16 – ging es um eine Fondsgesellschaft mit zwei Betriebsstätten. Während in der einen Betriebsstätte 9,5 Mitarbeiter tätig gewesen sind, gab es in der anderen Betriebsstätte eine weitere Mitarbeiterin, deren Stundenumfang zwischen den Parteien streitig war, deren Arbeitskraftanteil aber – wenn der Vortrag des Klägers als richtig unterstellt wurde – zur Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes geführt hätte. In beiden Fällen sah sich der 2. Senat also zwar veranlasst, den Umgehungsgedanken des Bundesverfassungsgerichts zu thematisieren, lehnte die Annahme eines solchen Ausnahmetatbestandes aber ab. Das war auch richtig und nachvollziehbar. Weder zeigte sich in den beiden Fällen ein Indiz für eine Umgehung des Kündigungsschutzgesetzes oder zumindest für eine interessengeleitete Nutzung der Organisationsform, noch waren die Sachverhalte allzu weit von einer tatsächlich als „Kleinbetrieb“ zu bezeichnende Organisationseinheit entfernt.

Der vorliegende Sachverhalt ist anders, jedenfalls wenn eine „die Umstände des Einzelfalls einbeziehende, wertende Gesamtbetrachtung dahingehend zugrunde gelegt wird, ob die Anwendung der Kleinbetriebsklausel nach Maßgabe des allgemeinen Betriebsbegriffs unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse dem mit ihr verbundenen Sinn und Zweck gerecht wird“ (BAG v. 19.07.2016 – 2 AZR 468/15 -, Rn. 20). Hiervon kann vorliegend nämlich keine Rede mehr sein. Die Aufweichung der üblichen betrieblichen Organisationsform durch eine unternehmensweite Matrixstruktur kann nicht zur Unanwendbarkeit des KSchG für mehr als 140 Beschäftigte führen, ohne dass damit der verfassungsrechtlich gebotene Schutz der Belegschaft umgangen würde. Die aus den genannten verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten zu berücksichtigenden Gründe für die Privilegierung des Kleinbetriebs (wie erwähnt: besondere Berücksichtigung der jeweiligen Persönlichkeitsmerkmale, Betriebsklima, mitarbeitender Unternehmer, Vertrauensverhältnis, Finanzausstattung, Verwaltungsaufwand) kann der international aufgestellte und in einer Matrixstruktur organisierte Konzern mit weltweit über 20.000 Beschäftigten nur sehr bemüht für sich geltend machen: weder spielt im Großkonzern die Persönlichkeit, also die „Chemie“ zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber eine Rolle, noch prägt das enge Zusammenarbeiten einer kleinen Beschäftigtengruppe das Betriebsklima, noch beteiligt sich der Unternehmer selbst im Betrieb an der Arbeit, noch besteht ein besonderes „familiäres“ Vertrauensverhältnis, noch ist die Finanzausstattung des Konzerns der eines Kleinunternehmers vergleichbar, noch ist der Verwaltungsaufwand einer Personalabteilung dem international agierenden Unternehmen unzumutbar. Eine Arbeitgeberin mit über 100 Beschäftigten kann dem Kündigungsschutz für alle diese Mitarbeiter nicht dadurch entgehen, dass sie ihre m Unternehmen eine Matrixstruktur gibt, ohne dass es dabei zu einer Ungleichbehandlung solcher Beschäftigter gegenüber Betrieben ohne Matrixstruktur führte.

Insgesamt kann somit zur Anwendbarkeit des Kündigungsschutzgesetzes für den vorliegenden Fall festgestellt werden, dass die Anwendbarkeitsvoraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes nach den Maßstäben des § 138 Abs. 3 ZPO als unstreitig gegeben anzunehmen sind; selbst wenn aber zu Gunsten der Beklagten angenommen würde, die Matrixstruktur des Unternehmens stehe der Annahme eines Betriebs im kündigungsrechtlichen Sinne entgegen, wäre die streitgegenständliche Kündigung dennoch an den Maßstäben des Kündigungsschutzgesetzes zu messen, weil sich anderenfalls die Matrixstruktur als eine sachwidrige Umgehung des Gesetzes darstellen würde.

2.   Die Kündigung ist nach dem somit anwendbaren § 1 Abs. 1 KSchG unwirksam, denn sie ist nicht sozial gerechtfertigt, insbesondere ist sie nicht durch dringende betriebliche Erfordernisse im Sinne des § 1 Abs. 2 KSchG bedingt. Die vorgetragene Unternehmerentscheidung betrifft nur den einen Arbeitsplatz und begründet damit nicht die Vermutung, sie sei sachgerecht und willkürfrei ( vgl. BAG v. 19.07.2016 – 2 AZR 468/15 -, Rn. 20). Das führt zu einer erhöhten Darlegungslast für die Beklagte zur Motivation für die Entscheidung, zum Inhalt der Entscheidung, zur Kausalität der Entscheidung für den Wegfall des konkreten Beschäftigungsbedürfnisses, zum Ausschluss milderer Mittel, z.B. einer Änderungskündigung und zur Umsetzbarkeit der Entscheidung, also zum unternehmerischen Konzept, das der Unternehmerentscheidung zugrunde liegt. Dieser erhöhten Darlegungslast wird der Vortrag der Beklagten nicht gerecht. Er beantwortet nicht die Frage: was ist in E wann und warum passiert, dass sich dort der Zeuge Ar Ra Gedanken zu einem einzigen Arbeitsplatz in D gemacht hat und eine – organisatorische und strategische – „Unternehmerentscheidung“ fällt, die nur und ausschließlich diesen einen Arbeitsplatz bzw. den auf diesem sitzenden Arbeitnehmer betrifft? Dazu bleibt die Frage unbeantwortet, wann der Zeuge Ra aufgrund welcher Informationen nach welchen von wem angestellten Erwägungen dem Zeugen Ia Mo was mitgeteilt hat. Da es an Antworten zu diesen Fragen fehlt und im Übrigen hierzu auch jedes Mittel der Glaubhaftmachung vermisst wird (keine Email, kein Vermerk, keine Besprechungsvorlage, keine Mitteilung der Controlling-Abteilung, keine Powerpoint-Präsentation oder ähnliches, keine flankierenden betriebswirtschaftlichen Maßnahmen), kann nicht angenommen werden, der Ausspruch der Kündigung sei sachgerecht gewesen und frei von Willkür.

Da es somit bereits an einem dringenden betrieblichen Erfordernis mangelt, kommt es auf die Frage der Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten oder der Sozialauswahl nicht an.

3.   Da die Kündigungsschutzklage nach alledem begründet ist und das Arbeitsverhältnis fortbesteht, überwiegt das Interesse des Klägers an der Weiterbeschäftigung das Interesse der Beklagten an der Nichtbeschäftigung. Mithin war auch der Antrag auf Weiterbeschäftigung aus § 611 a Abs. 1 BGB in Verbindung mit dem Arbeitsvertrag und dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers aus Art 2 GG begründet.

III.  Nach allem war die Entscheidung des Arbeitsgerichts abzuändern und der Kündigungsschutzklage sowie dem Antrag auf Weiterbeschäftigung stattzugeben. Als unterliegende Partei hat die Beklagte gemäß § 91 ZPO die Kosten des Rechtsstreits zu tragen. Gründe für eine Revisionszulassung sind nicht gegeben, da die Entscheidung auf den Umständen des vorliegenden Einzelfalls beruht und im Rahmen der Hilfsbegründung lediglich bereits ergangene Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts subsumiert.

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