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Korruptionsverdacht eines Arbeitnehmers – Strafanzeige des Arbeitgebers

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 3 Sa 411/18 – Urteil vom 15.04.2019

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.10.2016 – 11 Ca 3256/16 – aufgehoben.

2. Die Klage wird abgewiesen.

3. Die Klägerin hat die Kosten beider Rechtszüge zu tragen.

4. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits streiten darüber, ob das beklagte Land verpflichtet ist, der Klägerin die Kosten eines Verteidigers zu erstatten, nachdem auf Veranlassung des beklagten Landes gegen sie ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren eingeleitet worden ist.

Die Klägerin ist seit 2001 bei dem beklagten Land, dort beim C. (LBB), als Sachbearbeiterin in der Abteilung Portfolio-/Facilitymanagement beschäftigt. Zu ihren Aufgaben gehört es, Verkaufsexposés zu versenden, Begehungen mit Kaufinteressierten durchzuführen, Kaufangebote entgegenzunehmen sowie die Leerstandsverwaltung.

Am 05.03.2015 meldete sich ein Anrufer unter dem Namen „Sch.“ bei der Leiterin der Niederlassung des LBB in K.. Der Anrufer teilte mit, er habe Informationen über eine Mitarbeiterin des beklagten Landes, die er im Rahmen eines persönlichen Gesprächs mit der Angerufenen allein weitergeben wolle. Zu diesem Gespräch kam es am 10.03.2015 in einem Café. Über das Gespräch fertigte Frau B. einen Aktenvermerk, über dessen Inhalt die Parteien des vorliegenden Rechtsstreits nicht streiten. Auf den Inhalt des Vermerks wird Bezug genommen (Bl. 182 ff. d. A.). In diesem Gespräch erklärte der Anrufer, sein Nachname sei tatsächlich nicht Sch., sondern P.. Er legte zu Beginn des Gesprächs einen auf diesen Namen lautenden Presseausweis vor. Ausweislich der Gesprächsnotiz sprach Herr P. während des gesamten Gesprächs „langsam und thematisch sprunghaft“. Herr P. war mit Urteil des Amtsgerichts K. vom 01.12.2014 (AZ: 33 Ds 2030 JS 57568/12) rechtskräftig zur Zahlung einer Geldstrafe wegen versuchten Betruges zulasten der Geschädigten, Frau B.-L., im Zusammenhang mit der Veräußerung einer Immobilie verurteilt worden. Im zugrundeliegenden Strafverfahren hatte die Klägerin als Zeugin ausgesagt. Das beklagte Land hatte ihr insoweit eine Aussagegenehmigung erteilt. Nach der schriftlichen Urteilsbegründung beruhten die dort maßgeblichen Feststellungen zum Tatgeschehen im Wesentlichen auf den Angaben der Klägerin sowie denen von Frau B.-L.. Hinsichtlich der Einzelheiten wird auf die Urteilsabschrift Bezug genommen (Bl. 102 ff. d. A.).

Korruptionsverdacht eines Arbeitnehmers - Strafanzeige des Arbeitgebers
(Symbolfoto: Atstock Productions/Shutterstock.com)

Herr P. äußerte gegenüber Frau B.-D., die Klägerin habe verschiedentlich im Zusammenhang mit ihrer Tätigkeit für das beklagte Land einzelne Kaufinteressenten bevorzugt und dafür unrechtmäßig Gegenleistungen angenommen. Er, P., sei im Rahmen der Veräußerung der ehemaligen Polizeiinspektion K. im Jahre 2008 als Vermittler für den Modedesigner P. tätig geworden und habe ein Angebot über 2.000.000,00 EUR erstellt. Für die Betreuung dieses Objekts sei die Klägerin zuständig gewesen, die ihn, P., auch zur Unterbreitung eines Angebots aufgefordert habe. Die Klägerin habe gemeinsam mit ihrem Mann an mehreren Modenschauen des Designers P. teilgenommen. Im Rahmen eines gemeinsamen Abendessens, an dem auch er, P., teilgenommen und für das er auch gezahlt habe, habe die Klägerin „angeboten, zu helfen“. Man habe über einen lila Pelzmantel im Wert von 17.000,00 EUR gesprochen, den die Klägerin wenige Tage später auch tatsächlich getragen habe. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die Klägerin tatsächlich einen lilafarbenen Pelzmantel besitzt. Im Verlauf des Gesprächs kam Herr P. nochmals auf die Veräußerung der Polizeiinspektion K. zurück. Er sei mehrfach mit der Klägerin und einer weiteren Interessentin, Frau B.-L., vor Ort gewesen. Die Klägerin habe bemerkt, dass „Geld zu holen“ sei. Es sei eine enge Beziehung entstanden, aus der sich das Angebot entwickelt habe, das Bad der Klägerin zu sanieren. Dafür gebe es Belege. Frau B.-L. habe nach dem Verkauf u. a. die Klägerin zu einem Essen eingeladen. Auch während der Dienstzeit hätten Treffen stattgefunden. Die Polizeiinspektion K. ist – unstreitig – durch den LBB im Jahr 2008 im Rahmen eines Bieterverfahrens zum Höchstgebot an Frau B.-L. und ihre Schwester verkauft worden. Im Zusammenhang mit der Angebotsunterbreitung wurde Herr P. als derjenige genannt, der die Erwerber über das Bieterverfahren informiert hatte. Im Jahr 2008 habe die Klägerin ihm, P., auch den K. Hof in K. angeboten. Zu einem Kauf durch den vom ihm vertretenen Interessenten sei es aber nicht gekommen. Bei allen Verhandlungsterminen sei die Klägerin anwesend gewesen. Sie hätten jeweils mit einem Essen in einem Restaurant geendet, dessen Kosten er, P., getragen habe. Tatsächlich ist das Objekt K. Hof bis heute nicht veräußert worden. Der von Herrn P. benannte Interessent bekundete 2008 schriftlich Interesse, zu einer verbindlichen Abgabe eines Angebots kam es nicht.

Er, P., habe im Rahmen einer Modenschau Tombola-Lose für 100,00 EUR gekauft. Die Klägerin habe eine Pelzstola gewonnen, die sie später gegen einen Ledermantel umgetauscht habe. Dieser Vorfall liege noch nicht lange zurück. Im Zusammenhang mit dem „Projekt Weinbauschule W.“ seien Abmachungen getroffen worden, die nicht nachvollziehbar seien. So habe Herr P. am Anfang keine Pacht zahlen müssen. Im Zusammenhang mit der Veräußerung eines Grundstücks habe die Klägerin während der Verhandlungen geäußert, einen Rasenmäher zu benötigen, den sie auch erhalten habe. Die Klägerin habe auch entgeltlich Arbeiten für Herrn P. durchgeführt. Herr P. hatte die Weinbauschule W. im Rahmen eines Bieterverfahrens 2009 erworben. Der LBB erklärte 2013 den Rücktritt von diesem Kaufvertrag. Beide Vorgänge sind öffentlich bekannt geworden; insoweit wird auf eine entsprechende Meldung, Bl. 143 der A., Bezug genommen. Die Klägerin verfügte über eine Nebentätigkeitsgenehmigung für die Vermittlung von Versicherungs- und Bausparverträgen, wobei sie die dadurch erzielte monatliche Vergütung mit 100,00 EUR angab. Außerdem verfügte sie über eine Nebentätigkeitsgenehmigung für „die gelegentliche Erarbeitung von Nutzungskonzepten für Gebäude und Grundstücke“. Insofern gab sie monatliche Einnahmen in Höhe von 300,00 EUR an. Die Klägerin erstellte ein Finanzierungskonzept für das Unternehmen „Chateau de Luxe A. P. GmbH“ und stellte hierfür einen Betrag in Höhe von 2.201,50 EUR in Rechnung. Demselben Unternehmen stellte sie für eine Warenlieferung 1.054,42 EUR in Rechnung.

Des Weiteren äußerte Herr P. gegenüber Frau B.-D., die Klägerin habe ihm angetragen, gemeinsam in Urlaub zu fahren und ihm gegenüber erwähnt, sie brauche einen neuen Wagen, worauf er jeweils aber nicht reagiert habe.

Herr P. gab des Weiteren an, einen Prozess gegen Frau B.-L. zu führen, wobei er sich zum Gegenstand nicht äußere. Während dieses Prozesses sei ihm auch die Klägerin begegnet.

Am 12.03.2015 informierte die Niederlassungsleiterin, Frau B.-D., u. a. die Geschäftsleitung des LBB über das Gespräch mit Herrn P.. Mit Schreiben vom 23.03.2015 wandte sich ein Mitarbeiter des LBB in dessen Namen an die Staatsanwaltschaft K.. Unter Bezugnahme auf den Gesprächsvermerk vom 11.03.2015 wurden Einzelheiten zu den von Herrn P. benannten Objekten und zur Funktion der Klägerin mitgeteilt. Es werde gebeten, den mitgeteilten Sachverhalt im Rahmen der – staatsanwaltschaftlichen – Zuständigkeit zu prüfen. Hinsichtlich der Einzelheiten des Inhalts des Schreibens vom 23.03.2015 wird auf Bl. 146 ff. d. A. Bezug genommen.

Mit Schreiben vom 08.04.2015, hinsichtlich dessen weiteren Inhalts auf Bl. 107 d. A. Bezug genommen wird, teilte der zuständige Mitarbeiter des LBB auf entsprechende Anfrage der Staatsanwaltschaft mit, dass keine weiteren Tatsachen zum streitgegenständlichen Sachverhalt ermittelt werden konnten. In diesem Schreiben heißt es u. a.:

„Die bisher benannten Umstände sind so unkonkret, dass nur durch Befragungen eventuell informierter Mitarbeiter in der Niederlassung weitere Umstände ermittelt werden könnten. Diese Vorgänge würden aber nicht nur einem größeren Mitarbeiterkreis bekannt, sondern wohl auch Frau A.. Diesen Weg werden wir deshalb erst nach einer Konkretisierung der bisherigen ungenauen Angaben des Anzeigenerstatters erwägen.“

Mit Schreiben vom 21.03.2016 benachrichtigte die Staatsanwaltschaft die Beklagte von der beabsichtigten Einstellung des Ermittlungsverfahrens gemäß § 170 Abs. 2 StPO. Bezüglich sämtlicher in Betracht kommender Straftaten sei Verfolgungsverjährung eingetreten. Darüber hinaus könne hinsichtlich der überwiegenden Anzahl der von Herrn P. erhobenen Vorwürfen nicht mit der für eine Anklageerhebung erforderlichen Sicherheit nachgewiesen werden, dass die Klägerin sich strafbar gemacht habe. Hinsichtlich des Inhalts des Schreibens vom 21.03.2016 im Übrigen wird auf Bl. 151 ff. d. A. Bezug genommen.

Am 09.05.2016 übersandte der nunmehrige Prozessbevollmächtigte der Klägerin, der sie auch im Rahmen des staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens vertreten hatte, eine Rechnung über die dort fällig gewordene Vergütung in Höhe von 3.674,96 EUR brutto. Zugrunde lag eine Vergütungsvereinbarung gemäß § 3 RVG; die Klägerin zahlte den Rechnungsbetrag.

Mit Einstellungsnachricht vom 02.06.2015 hat die Staatsanwaltschaft den Parteien des vorliegenden Rechtsstreits mitgeteilt, dass das Verfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt werde.

Mit der dem beklagten Land am 11.11.2016 zugestellten Klage macht die Klägerin die Erstattung der entstandenen Kosten der Rechtsverteidigung geltend.

Die Klägerin hat vorgetragen, das beklagte Land habe aufgrund der ihm obliegenden Fürsorgepflicht nicht ohne weitere Ermittlungsmaßnahmen, wie insbesondere der vorherigen Anhörung der Klägerin, Strafanzeige erstatten dürfen. Die geltend gemachte Forderung sei bereits aufgrund dieser Nebenpflichtverletzung als Schadensersatzanspruch begründet. Selbst wenn man – weitergehend – eine leichtfertige Anzeigeerstattung fordere, sei die Klage begründet. Schon aufgrund der äußeren Umstände sei erkennbar gewesen, dass Herr P. aufgrund seiner auch auf ihre, der Klägerin, hin erfolgte Aussage zustande gekommene Verurteilung sie belastende, unrichtige Angaben getätigt habe. Beide Umstände – nämlich die erfolgte Verurteilung und die Aussage der Klägerin im Verfahren – seien der Niederlassungsleiterin, Frau B.-D., aufgrund der durch sie erteilten, aktenkundigen Aussagegenehmigung auch bekannt gewesen. Aus den dem LBB zur Verfügung stehenden Akten sei eindeutig erkennbar, dass die sie belastende Aussage des Herrn P. frei erfunden sei.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des streitigen Vorbringens der Klägerin im erstinstanzlichen Rechtszug wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Seiten 8, 9 der angefochtenen Entscheidung (=Bl. 326/327 d. A.) Bezug genommen.

Die Klägerin hat beantragt, das beklagte Land zu verurteilen, an sie 3.674,96 EUR nebst Zinsen in Höhe von 5 %-Punkten über dem jeweiligen Basiszinssatz ab Rechtshängigkeit zu zahlen.

Das beklagte Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat vorgetragen, auch bei Bestehen einer arbeitsvertraglichen Beziehung sei ein Schadensersatzanspruch wegen erfolgter Anzeigeerstattung nur denkbar, wenn die dort gemachten Angaben wissentlich unwahr seien oder sie leichtfertig erfolge. Dies gelte auch und insbesondere für staatliche Stellen. Diese seien aufgrund der geltenden Vorschriften zur Korruptionsbekämpfung gehalten, möglichst frühzeitig und bei bloßen Verdachtsfällen Strafanzeige zu erstatten. Ausgehend von diesem Maßstab sei ein Anspruch der Klägerin nicht gegeben. Denn bereits die finanzielle Verflechtung der Klägerin mit Herrn P. als Käufer einer im Eigentum des beklagten Landes stehenden Immobilie werfe im insoweit maßgeblichen Zusammenhang Fragen auf. Dies sei vor der entsprechenden Mitteilung durch Herrn P. nicht bekannt gewesen. Die durch Herrn P. mitgeteilten Sachverhalte seien auch keineswegs vollumfänglich durch den zur Verfügung stehenden Aktenbestand aufzuklären gewesen. Dies gelte namentlich bezüglich der Anwesenheit der Klägerin auf Modenschauen, der Essenseinladungen, dem Erwerb von Tombola-Losen sowie dem Umstand, dass die Klägerin einen hochpreisigen Pelz getragen und von einem Vertragspartner geschenkt bekommen habe.

Auch die Staatsanwaltschaft sei ausweislich des Inhalts des Schreibens vom 21.03.2016 davon ausgegangen, dass aufgrund der Aussage Herrn P.s ein Tatverdacht bezüglich der dort benannten Straftatbestände gegeben gewesen sei. Dieser sei erst durch die nachfolgenden Ermittlungsmaßnahmen und die widersprüchlichen Angaben im Rahmen der polizeilichen Vernehmung ausgeräumt worden.

Das Arbeitsgericht K. hat das beklagte Land daraufhin durch Urteil vom 23.10.2018 – 11 Ca 3256/16 – verurteilt, an die Klägerin 1142,40 EUR zzgl. Zinsen zu zahlen und im Übrigen die Klage abgewiesen. Hinsichtlich des Inhalts von Tatbestand und Entscheidungsgründen wird auf Bl. 320-339 d. A. Bezug genommen.

Gegen das ihm am 19.11.2018 zugestellte Urteil hat das beklagte Land durch am 06.12.2018 beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt. Es hat die Berufung durch am 15.01.2019 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz begründet.

Das beklagte Land wiederholt sein erstinstanzliches Vorbringen und hebt insbesondere hervor,

lediglich ein kleiner Kreis von Leitungsmitarbeitern beim LBB habe Kenntnis von den Korruptionsvorwürfen gegen die Klägerin erhalten. Der LBB habe weder die Klägerin zu den Vorwürfen befragt, noch Ermittlungen durch Befragung von Arbeitskollegen der Klägerin in der Niederlassung K. durchgeführt. Die Staatsanwaltschaft habe das Ermittlungsverfahren gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt. Wenn die Klägerin durch die Entgegennahme des Pelzes im Wert von 17.000,00 EUR sich eines Vergehens der Vorteilsannahme, Bestechlichkeit oder Bestechung schuldig gemacht habe, so die Staatsanwaltschaft, sei insoweit jedenfalls Verfolgungsverjährung eingetreten. Die Staatsanwaltschaft habe Herrn P. zuvor als Zeugen befragt; bei dieser Befragung habe er teilweise widersprüchliche Angaben gegenüber denjenigen gemacht, die er bei der Niederlassungsleiterin getätigt hatte.

Maßgeblich zu berücksichtigen sei, dass die Landesregierung Rheinland-Pfalz eine Verwaltungsvorschrift zur Bekämpfung der Korruption in der öffentlichen Verwaltung erlassen habe. In ihrer seinerzeitigen Fassung habe sie u. a. folgenden Wortlaut gehabt:

„8.2 Meldung eines Korruptionsverdachts, Vertrauensanwalt

Die Bediensteten haben die dienstliche Verpflichtung, bei konkretem Korruptionsverdacht unverzüglich den zuständigen Dienstvorgesetzten zu unterrichten. Dieser ist verpflichtet, umgehend die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Die Strafverfolgungsbehörden sind in ihrer Ermittlungsarbeit zu unterstützen. Soweit Geheimnisträgerinnen und Geheimnisträger betroffen sind, haben die zuständigen Dienstvorgesetzten auch die Geheimschutzbeauftragen zu informieren.“

Der Klägerin sei ein Abdruck der bei ihrer Einstellung gültigen Vorschrift zur Korruptionsbekämpfung ausgehändigt worden. Den Empfang und die Kenntnisnahme habe sie am 24.03.2001 bestätigt.

Entgegen der Auffassung der Klägerin und des Arbeitsgerichts sei vorliegend nicht von einer schuldhaften Nebenpflichtverletzung des beklagten Landes auszugehen. Die insoweit anerkannten Grundsätze zur Verschwiegenheitspflicht für Arbeitnehmer (§ 3 Abs. 2 TV-L) könnten nicht spiegelbildlich auf eine Verschwiegenheitspflicht des Arbeitgebers gegenüber einem Arbeitnehmer angewandt werden, weil insoweit die Interessenlage eine andere sei. Eine Nebenpflicht des Arbeitgebers, eine Strafanzeige zu unterlassen, könne folglich auch nicht aus der Treuepflicht abgeleitet werden. Richtig sei allerdings, dass auch den Arbeitgeber Nebenpflichten träfen und es die Fürsorgepflicht gebiete, nicht grundlos einen Arbeitnehmer zu schädigen. Eine solche grundlose Schädigung sei dann gegeben, wenn für die Erstattung einer Strafanzeige keinerlei Veranlassung gegeben gewesen sei. Wenn dagegen, wie vorliegend, Verdachtsmomente dafür gegeben seien, dass ein Arbeitnehmer Straftaten in der Erbringung der Arbeitsleistung im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis begangen habe, so dürfe ein verständiger Arbeitgeber Strafanzeige erstatten. Eine vertragliche Nebenpflicht, die dies verbiete, sei nicht erkennbar. Zu berücksichtigen sei zudem, dass eine von der Klägerin unterstellte Nebenpflicht vorliegend abgedungen sei. Dies sei zumindest durch die Inbezugnahme der Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zur Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung erfolgt. Die Klägerin habe ausdrücklich am 24.03.2001 bestätigt, dass sie auf die Inhalte zur Korruptionsbekämpfung der Landesregierung hingewiesen wurde. Das beklagte Land habe damit erkennbar die Verwaltungsvorschrift in das Arbeitsverhältnis einbezogen. Zudem handele es sich lediglich um eine Konkretisierung der allgemeinen vertraglichen Pflichten des § 3 Abs. 3 TV-L, der ebenfalls der Korruptionsbekämpfung im Öffentlichen Dienst diene. Bürger, die solche zusätzlichen Leistungen nicht aufbringen können, sollten keinen Grund zu der Befürchtung haben, von Angestellten des öffentlichen Dienstes benachteiligt zu werden. Die Abdingung einer etwaigen Nebenpflicht, die es dem beklagten Land ermögliche, zur Korruptionsbekämpfung auch Strafanzeigen zu erstatten, sei auch interessengerecht. Angesichts der staatlichen Bindung an Gesetz und Recht, der Verankerung der Korruptionsbekämpfung in zahlreichen internationalen, nationalen und landesrechtlichen Vorschriften, sei die Notwendigkeit der Korruptionsbekämpfung anerkannt. Folgerichtig bestehe sogar die Verpflichtung, eine effektive Korruptionsbekämpfung im Inland durchzusetzen. Wenn ein Arbeitgeber befürchten müsse, wenn er Strafanzeige erstatte, mit Kosten belegt zu werden, so sei er besser beraten, im Zweifel keine Strafanzeige zu erstatten. Damit werde das Prinzip der größtmöglichen Wirksamkeit von Vorschriften der Korruptionsbekämpfung aber verletzt. Die Verwaltungsvorschrift sei auch ein verhältnismäßiges Mittel zur Korruptionsbekämpfung. Vorliegend sei kein Fehlverhalten des beklagten Landes gegeben; eine Nebenpflicht sei nicht verletzt worden. Ein konkreter Korruptionsverdacht gegen die Klägerin habe bestanden, sodass der Dienstvorgesetzte nach Ziffer 8.2. Abs. 1, Satz 2 der Vorschrift zur Korruptionsbekämpfung verpflichtet gewesen sei, umgehend die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Ein Ermessen komme dem LBB dabei nicht zu. Im Rahmen einer ordnungsgemäßen Verwaltung müsse die Leitung des LBB dann Strafanzeige erstatten; ein Spielraum bestehe nicht.

Zudem müsse berücksichtigt werden, dass im Rahmen berücksichtigungsfähiger und -pflichtiger Nebenpflichten aus dem Arbeitsverhältnis nur die Interessen des Arbeitnehmers schutzwürdig seien, die für das Arbeitsverhältnis relevant seien. Der Arbeitgeber sei zudem im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip keineswegs verpflichtet, eigene überwiegende und schutzwürdige Interessen zu vernachlässigen. Notwendig sei vielmehr stets eine Interessenabwägung dahin, dass das Schutzinteresse des Arbeitnehmers überwiege. Davon könne vorliegend nicht ausgegangen worden sein, vielmehr sei das Vorgehen des beklagten Landes verhältnismäßig, nämlich geeignet, erforderlich und schließlich verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. Zwar sei zu Gunsten der Klägerin zu berücksichtigen, dass sie ein berechtigtes Interesse daran hatte, sich nicht grundlos einem Strafverfahren ausgesetzt zu sehen. Allerdings müsse in diesem Zusammenhang berücksichtigt werden, dass die Staatsanwaltschaft kraft Gesetzes verpflichtet sei, sowohl die be- als auch die entlastende Sachverhaltsaufklärung zu betreiben (§ 160 Abs. 2 StPO). Dies sei vorliegend gerade auch bei der Klägerin erfolgt. Das Interesse des beklagten Landes liege dagegen im Schutz des Rechtsstaates vor der Käuflichkeit eines Verwaltungs- und Gerichtshandelns. Rechtsgut sei also unmittelbar der Rechtsstaat, die Demokratie und der Staat in seiner Legitimität als solcher. Zu berücksichtigen sei auch, dass der LBB keinen rechtlichen Spielraum gehabt habe, sondern nach den Vorschriften des Landes zur Korruptionsbekämpfung diese Regelung anzuwenden und die Staatsanwaltschaft einzuschalten gehabt habe. Des Weiteren treffe es nicht zu, dass durch eine Befragung der Klägerin die Sachverhaltsaufklärung nicht „entscheidend“ behindert worden wäre. Denn insoweit habe die Gefahr bestanden, dass die Klägerin potentielle Beweismittel vernichte, insbesondere Datenträger usw. Es treffe auch nicht zu, dass der Verdacht von der Klägerin abgefallen wäre, wenn dem LBB bekannt gewesen sei, dass die Klägerin in einem Strafprozess den Zeugen P. belastet habe. Letztlich treffe es nicht zu, zu berücksichtigen sei auch, dass ein Arbeitnehmer sich einen Vertrauenskredit aufbaue, nicht korrupt zu handeln. Denn bei Korruption könne ein Arbeitnehmer auch nach langer Betriebszugehörigkeit und langjährigem rechtskonformen Verhalten nicht darauf vertrauen, zunächst abgemahnt zu werden. Insoweit stünden dem im Rahmen der Interessenabwägung die hohen Rechtsgüter des Schutzes vor Bestechlichkeit oder anderen Korruptionsdelikten entgegen.

Abschließend sei darauf hinzuweisen, dass ein Verschulden des beklagten Landes nicht gegeben sei. Der LBB sei gemäß der Verordnung zur Korruptionsbekämpfung verpflichtet gewesen, den Sachverhalt der Staatsanwaltschaft anzuzeigen. Damit scheide eine schuldhafte Verletzung einer unterstellten Nebenpflicht aus.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens des beklagten Landes im Berufungsverfahren wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 15.01.2019 (Bl. 357-368 d. A.) nebst Anlage (Bl. 369 d. A.) Bezug genommen.

Das beklagte Land beantragt:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.10.2018, 11 Ca 3256/16, abgeändert, soweit es der Klage stattgegeben hat.

Die Klage wird abgewiesen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung des beklagten Landes gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 23.10.2018 – 11 Ca 3256/16 – zurückzuweisen.

Die Klägerin verteidigt die angefochtene Entscheidung unter Wiederholung ihres erstinstanzlichen Vorbringens und hebt insbesondere hervor,

die Behauptung, dass beim Bestehen bloßer Verdachtsmomente ein verständiger Arbeitgeber unmittelbar Strafanzeige erstatten dürfe, ohne zuvor eigene Sachverhaltsaufklärung zu betreiben, sei in sich widersprüchlich. Ein verständiger Arbeitgeber werde genau dies nicht tun. Die allgemeine Fürsorge- und Rücksichtnahmepflichten des Arbeitgebers als Korrelat der Einordnung der Arbeitnehmerpersönlichkeiten in die betriebliche Organisation und ihrer Unterordnung unter die organisatorische Weisungsmacht des Arbeitgebers, sei vorliegend weder insgesamt, noch in Teilen abbedungen worden. Unabhängig davon, ob eine Abbedingung der allgemeinen Fürsorge- und Rücksichtnahmepflichten überhaupt statthaft sei, sei eine solche durch die Erklärung der Klägerin vom 04.06.2001 nicht erfolgt. Die Verwaltungsvorschrift wirke nicht dergestalt in das Arbeitsverhältnis hinein, dass sie die diesem immanenten Nebenpflichten außer Kraft setzen könne. Zudem verpflichte der Inhalt der Verwaltungsvorschrift das beklagte Land keineswegs, ohne weitere Sachverhaltsermittlungen eine Strafanzeige zu erstatten. Lediglich bei einem konkreten Korruptionsverdacht, nicht aber bereits bei Vorliegen von für Korruption sprechenden Indizien, sei eine Verpflichtung der Bediensteten gegeben, unverzüglich den zuständigen Dienstvorgesetzten zu unterrichten, der sodann verpflichtet sei, umgehend die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Mehr als Indizien zu Lasten der Klägerin seien vorliegend aber nicht gegeben gewesen. Insoweit genügten die Anschuldigungen des Zeugen P. insbesondere nicht. Das Verhalten des beklagten Landes sei insoweit auch widersprüchlich, weil es selbst in dem Schreiben an die Staatsanwaltschaft vom 08.04.2015 mitgeteilt habe, die bisher benannten Umstände seien so unkonkret, dass nur durch Befragungen evtl. informierter Mitarbeiter in der Niederlassung weitere Umstände ermittelt werden könnten. Eine andere Sichtweise aufgrund völkerrechtlicher Vorschriften gegen Korruption sei nicht geboten. Die im Übrigen nach allen Rechtsgrundlagen zwingend vorgesehene Verhältnismäßigkeitsprüfung sei durch das erstinstanzliche Gericht rechtsfehlerfrei erfolgt. Eine interne Anhörung der Klägerin sei ein ebenso geeignetes Mittel zur Sachverhaltsaufklärung gewesen, wie die unmittelbare Erstattung einer Strafanzeige. Dass dem so sei, folge schon daraus, dass auch die Staatsanwaltschaft nichts anderes getan habe, als die Klägerin (schriftlich) anzuhören und das Verfahren daraufhin ohne weitergehende Ermittlungen einzustellen. Die erfolgte Strafanzeige sei folglich mangels Erforderlichkeit unverhältnismäßig gewesen. Auch an der Angemessenheit im engeren Sinne fehle es vorliegend. Denn insoweit sei zumindest zu berücksichtigen, dass die Eignung einer Anhörung der Klägerin – intern – allenfalls geringfügig hinter der eines staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahrens zurückbleibe. Hinzukomme der von der Klägerin aufgrund des lange Zeit unbelasteten Arbeitsverhältnisses erdiente Vertrauenskredit. Denn, dass eine Mitarbeiterin, deren Arbeitsverhältnis bereits seit langen Jahren ohne Beanstandung bestehe, tatsächlich korrupt sei, sei von vornherein weniger wahrscheinlich, als dies bei einem nur sehr kurzem oder bereits vorgelastetem Arbeitsverhältnis der Fall sein könne. Im Zusammenhang mit den unter dubiosen Umständen erfolgten Anschuldigungen, die zudem lückenhaft, widersprüchlich und unkonkret gewesen seien und außerdem bereits durch eigene Nachforschungen des beklagten Landes hätten teilweise und bei weiteren Nachforschungen noch weitergehend hätten entkräftet werden können, ergebe sich nur eine äußerst geringe Wahrscheinlichkeit einer tatsächlichen Tatbegehung durch die Klägerin. Wenn man diese äußerst geringe Wahrscheinlichkeit im Rahmen der Angemessenheitsprüfung ins Verhältnis zur Eingriffsintensität der erfolgten Strafanzeige stelle, ergebe sich ohne weiteres deren Unverhältnismäßigkeit. Schließlich könne der Umstand, dass die Staatsanwaltschaft das Verfahren nicht wegen erwiesener Unschuld eingestellt habe, für die Klägerin nicht nachteilig berücksichtigt werden, weil das staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren allein den Zweck habe, zu überprüfen, inwieweit ein Strafanspruch des Staates bestehe. Etwaige Unschuldsermittlungen seien nicht Ziel des Ermittlungsverfahrens. Letztlich sei auch von einem Verschulden des beklagten Landes auszugehen, denn die Unverhältnismäßigkeit der unmittelbaren Strafanzeige ohne vorherige zumutbare eigene Sachverhaltsermittlung sei offenkundig und ohne weiteres erkennbar. Dies gelte umso mehr, als das beklagte Land, der LBB, über eine eigene Rechtsabteilung verfüge und dieser die Bearbeitung der Angelegenheit übertragen habe. Eine Verpflichtung zur unmittelbaren Erstattung der Strafanzeige habe nicht bestanden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Klägerin im Berufungsverfahren wird auf die Berufungserwiderungsschrift vom 20.02.2019 (Bl. 373-378 d. A.) Bezug genommen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den vorgetragenen Inhalt der Schriftsätze der Parteien, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung waren, sowie die zu den Akten gereichten Schriftstücke verwiesen.

Schließlich wird Bezug genommen auf das Sitzungsprotokoll vom 15.04.2019.

Entscheidungsgründe

I.

Das Rechtsmittel der Berufung ist nach §§ 64 Abs. 1, 2 ArbGG statthaft. Die Berufung ist auch gem. §§ 64 Abs. 6, 66 Abs. 1 ArbGG in Verbindung mit §§ 518, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II.

Das Rechtsmittel der Berufung hat auch in der Sache Erfolg.

Denn entgegen der Auffassung der Klägerin steht ihr kein Schadensersatzanspruch gemäß §§ 280 Abs. 1, 241 Abs. 2 BGB gegenüber dem beklagten Land zu, sodass die Klage voll umfänglich unbegründet ist. Auf die Berufung des beklagten Landes war die angefochtene Entscheidung des Arbeitsgerichts daher aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Das beklagte Land hat die ihm gegenüber der Klägerin obliegenden Rücksichtnahmepflichten nicht verletzt, indem es Strafanzeige erstattet hat, ohne zuvor innerbetriebliche Aufklärungsmaßnahmen durchzuführen.

Das Arbeitsgericht ist insoweit zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass zu den Nebenpflichten eines Arbeitsverhältnisses insbesondere die vertragliche Rücksichtnahmepflicht gemäß § 241 Abs. 2 BGB gehört; sie wird durch die Grundrechte näher ausgestaltet. Kollidierende Grundrechte der Vertragsparteien sind in ihrer Wechselwirkung zu sehen und so zu begrenzen, dass die bei der Ausformung der vertraglichen Rücksichtnahmepflicht geschützten Rechtspositionen für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (praktische Konkordanz).

Insoweit gilt hinsichtlich der Nebenpflichten des Arbeitgebers folgendes:

Den Arbeitgeber treffen zahlreiche Nebenpflichten im bestehenden Arbeitsverhältnis, die mit der traditionellen Fürsorgepflicht des Arbeitgebers weder treffend noch abschließend umschrieben werden. Nebenpflichten des Arbeitgebers können sich aus Gesetzen, Kollektivverträgen, ausdrücklichen einzelvertraglichen Vereinbarungen oder aus dem allgemeinen Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) und dessen bereichsspezifischen Konkretisierungen ergeben. In § 241 Abs. 2 BGB ist klargestellt, dass auch die sog. Schutzpflichten, Rücksichtnahmepflichten, Inhalt des Schuldverhältnisses sein können. Aus dieser Norm ergibt sich allerdings keine Ausweitung der Nebenpflichten (ErfK/Preis § 611 BGB Rn. 610; s. BAG 21.12.2017 – 8 AZR 853/16, EzA-SD 11/2018 S. 5 = NZA 2018, 708; 07.06.2018 – 8 AZR 96/17, EzA § 241 BGB 2002 Nr. 7 = NZA 2019, 44).

Nach § 241 Abs. 2 BGB kann das Schuldverhältnis nach seinem Inhalt jeden Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichten. Der Inhalt der Rücksichtnahmepflichten kann nicht in einem abschließenden Katalog benannt werden, sondern ist anhand der Umstände des Einzelfalls zu bestimmen. Dies gilt auch bei Vertragsverhandlungen, bei denen die Parteien durchaus gegenläufige Interessen haben können. § 241 Abs. 2 BGB zwingt nicht zu einer Verleugnung der eigenen Interessen, sondern zu einer angemessenen Berücksichtigung der Interessen der Gegenseite. So obliegt dem Arbeitgeber bspw. zwar keine allgemeine Pflicht, die Vermögensinteressen des Arbeitnehmers wahrzunehmen. Nach § 241 Abs. 2 BGB kann der Arbeitgeber aber verpflichtet sein, von sich aus geeignete Hinweise zu geben bzw. entsprechende Aufklärung zu leisten (BAG 07.02.2019 – 6 AZR 75/18 – EzA § 312 BGB 2002 Nr. 4 = NZA 2019, 688; s. Dörner/Luczak/Wildschütz/Baeck/Hoß, Handbuch des Arbeitsrechts 15. Aufl. 2019, Kap. 3 Rdnr. 2152 ff).

Zahlreiche Nebenleistungspflichten des Arbeitgebers hängen unmittelbar mit der Hauptleistungspflicht zusammen (Lohnabrechnung, Abführung von Sozialversicherungsbeiträgen; BAG 29.03.2001 NZA 2003, 105). Diese Nebenleistungspflichten gehören zu den allgemeinen Vertragsförderpflichten. Davon zu unterscheiden sind zahlreiche Schutzpflichten, die überwiegend im Arbeitsrecht durch spezialgesetzliche Regelungen konkretisiert sind. Schutzpflichten zur Wahrung von Rechtsgütern des Arbeitnehmers (Leben, Gesundheit, Persönlichkeitsrecht, Eigentum), die im Zusammenhang mit dem Arbeitsvertrag unter Beeinflussung durch den Arbeitgeber bestehen, sind ebenfalls dem allgemeinen Schuldrecht nicht fremd, wie jetzt aus § 241 Abs. 2 BGB (Schutzpflichten als Rücksichtnahmepflichten) hervorgeht (ErfK/Preis § 611 BGB Rn. 615).

Diese Nebenpflichten werden als Integritätspflichten verstanden (Picker AcP 183 (1983),393ff. u.JZ 1987, 1947 ff.), die sich wechselseitig z.B. aus § 241 Abs. 2 BGB (und § 242 BGB) ableiten lassen (s. BAG 24.03.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 34 = NZA 2011, 1029).

Diese Pflichten bilden das Korrelat der Einordnung der Arbeitnehmerpersönlichkeit in die betriebliche Organisation und ihrer Unterordnung unter die organisatorische Weisungsmacht des Arbeitgebers.

Der Arbeitgeber muss seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis so erfüllen, seine Rechte so ausüben und die im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis stehenden Interessen des Arbeitnehmers so wahren, wie dies unter Berücksichtigung der Belange des Betriebes und der Interessen der anderen Arbeitnehmer des Betriebes nach Treu und Glauben billigerweise verlangt werden kann (Kort NZA 1996, 854 ff.).

Zu beachten ist, dass die Vertragspartner daneben beide zur Rücksichtnahme und zum Schutz bzw. zur Förderung des Vertragszwecks verpflichtet sind. Bei der Konkretisierung der vertraglichen Rücknahmepflicht sind allerdings die grundrechtlichen Rahmenbedingungen hinreichend zu beachten (BAG 24.06.2004 EzA § 1 KSchG Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 65).

Gegenstand ist der Schutz der Arbeitnehmerinteressen, die infolge der Einordnung des Arbeitnehmers in den Betrieb und die Belegschaft einer besonderen Gefährdung unterliegen.

Die allgemeine Pflicht, dass die Parteien eines Schuldverhältnisses zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet sein können (§241 Abs. 2 BGB), verdichtet sich wegen der besonderen persönlichen Bindung der Vertragspartner eines Arbeitsverhältnisses regelmäßig zu einer Vielzahl von Nebenleistungspflichten wie Unterlassungs- und Handlungspflichten. Allgemeine Sorgfalts-, Obhuts-, Fürsorge-, Aufklärungs- und Anzeigepflichten dienen dazu, die Erbringung der Hauptleistung vorzubereiten und zu fördern, die Leistungsmöglichkeit zu erhalten und den Leistungserfolg zu sichern (BAG 28.10.2010 EzA § 611 BGB 2002 Arbeitnehmerhaftung Nr. 3). Der konkrete Inhalt der Rücksichtnahmepflicht ergibt sich aus dem jeweiligen Arbeitsvertrag und seinen spezifischen Anforderungen; einer besonderen Vereinbarung bedarf es insoweit nicht (BAG 24.03.2011 EzA § 626 BGB 2002 Nr. 34 = NZA 2011, 1029).

Da sich die Schutzpflichten des Arbeitgebers aus der vertraglichen Sonderbindung der Vertragsparteien ergeben, sind nur die Interessen des Arbeitnehmers schutzwürdig, die für das Arbeitsverhältnis relevant sind. Ferner ist der Arbeitgeber im Hinblick auf das Verhältnismäßigkeitsprinzip keineswegs verpflichtet, eigene überwiegende und schutzwerte Interessen zu vernachlässigen (BAG 24.10.2018 – 10 AZR 69/18, EzA-SD 1/2019 S. 8 = NZA 2019, 161); notwendig ist insoweit eine Interessenabwägung dahin, dass das Schutzinteresse des Arbeitnehmers überwiegt.

Ein genereller Verzicht des Arbeitnehmers auf die Einhaltung der Schutzpflichten im Arbeitsvertrag widerspricht im Übrigen i. d. R. sowohl § 138 Abs. 1 als auch § 138 Abs. 2 BGB.

Bei einer Verletzung der Schutzpflicht durch den Arbeitgeber kommen Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers aus §§ 280 ff., 241 Abs. 2 BGB (s. BAG 24.09.2009 – 8 AZR 444/08, JurionRS 2009, 31300) nach Maßgabe der §§ 276, 278 BGB, u. U. auch gem. §§ 823, 831 BGB in Betracht.

Inhalt und Umfang der Haftung richten sich nach §§ 249 ff., 618, 842-846, 831 BGB. Gemäß § 253 BGB kommt auch ein Anspruch auf Entschädigung in Betracht.

Für Fälle, in denen ein Arbeitnehmer Strafanzeige gegen den Arbeitgeber aufgrund innerbetrieblicher Vorgänge erstattet und damit insbesondere entsprechende Missstände anprangert („Whistleblowing“), gilt Folgendes:

Im Mittelpunkt steht die Entwicklung von Kriterien dafür, ob und inwieweit der Arbeitnehmer im konkreten Einzelfall mit und ohne vertragliche Verschwiegenheitspflicht berechtigt ist, den Arbeitgeber bei öffentlichen Stellen anzuzeigen bzw. an die Öffentlichkeit zu gehen. Einerseits übt der Arbeitnehmer mit einer Strafanzeige ein staatsbürgerliches Recht aus, ohne das die Aufklärung von Wirtschaftskriminalität oft kaum möglich wäre, andererseits können derartige Handlungen die Rücksichtnahmepflicht gem. § 241 Abs. 2 BGB verletzen (KR/Rachor, 12. Aufl., § 1 KSchG; DLW/Dörner, Kap. 3 Rdnr. 447 ff.).

Dabei ist davon auszugehen, dass der Arbeitgeber nicht darauf vertrauen kann, wegen eines gesetzwidrigen Verhaltens nicht angezeigt zu werden. Mit einer nicht wissentlich unwahren oder leichtfertig falschen Anzeige einer Straftat verletzt der Arbeitnehmer, auch aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten nicht seine Rücksichtnahmepflicht gegenüber dem Arbeitgeber (EGMR 21.07.2011 – 28274/08, EzA-SD 16/2011 S. 3 LS = NZA 2011, 1269; ErfK/Preis § 611a BGB; Ulber NZA 2011, 962; Schlachter RdA 2012, 109; krit. Forst NJW 2011, 3477; s. BVerfG 02.07.2001 – 1 BvR 2049/00, NZS 2001, 888, 890; LAG Düsseld. 17.01.2001 – 11 Sa 1422/01, BeckRS 2004, 42537 = DB 2002, 1612; Deiseroth AuR 2002, 161 ff.; Müller NZA 2002, 424, 437). Dem Arbeitnehmer darf kein Nachteil daraus entstehen, dass er seine staatsbürgerlichen Pflichten erfüllt, z.B. eine Zeugenaussage bei der Staatsanwaltschaft macht (BAG 07.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502; LAG SA 14.02.2006 – 8 Sa 385/05, LAGE BGB 2002 § 612a Nr. 2 – BeckRS 2006, 41644; ErfK/Preis § 611a BGB Rn. 716). Das verfassungsrechtlich geschützte Verhalten des Arbeitnehmers ist auch bei „freiwilligen“ Anzeigen zu berücksichtigen (BVerfG 02.07.2001 – 1 BvR 2049/00, NZA 2001, 888, 890). Als berechtigte Interessenwahrnehmungspflicht ist jedoch andererseits anzuerkennen, dass der Arbeitnehmer vor Erstattung einer Anzeige den Arbeitgeber auf ihm bisher nicht bekanntes bzw. nicht grob fahrlässig unbekannt gebliebenes gesetzwidriges Verhalten in seinem Betrieb hinweist (s. § 9 Abs. 2 ArbSchG; ErfK/Preis § 611a BGB Rn. 716; Preis/Reinfeld AuR 1989, 370; MünchArbR/Reichold § 54 Rn. 41; Müller NZA 2002, 424, 436).

Auch die an sich berechtigte Anzeige darf nicht missbräuchlich ausgeübt werden (Übermaßverbot: ErfK/Preis § 611a BGB Rn. 717; MünchArbR/Reichold § 54 Rn. 41; Müller NZA 2002, 424, 436). Wenn bei objektiver Betrachtung erwartet werden kann, der Arbeitgeber werde einer Beschwerde nachgehen, darf der Arbeitnehmer nicht unmittelbar eine Anzeige erheben (BAG 03.07.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427). Gerechtfertigt ist die Anzeige aber andererseits jedenfalls dann, wenn der Versuch, innerbetriebliche Abhilfe zu schaffen, erfolglos geblieben ist (LAG Köln 10.07.2003 – 5 Sa 151/03, BeckRS 2003, 13701 – MDR 2004, 41; Preis/Reinfeld AuR 1989, 372; Münch ArbR/Reichold § 54 Rn. 41). Dabei kann nicht generell davon ausgegangen werden, dass bei implementierten Compliance-Systemen stets zunächst der Versuch einer innerbetrieblichen Klärung zu fordern ist. Denn zwar verfügen die meisten deutschen Unternehmen über durchaus erfolgreiche und leistungsfähige Compliance-Systeme. Deren Effizienz wird aber in der betrieblichen Praxis durchaus kontrovers diskutiert; ein Whistle-Blower-System kann von den Mitarbeitern z.B. als (überraschende) Misstrauensbekundung seitens der Unternehmensführung verstanden werden, ein anonymes Postfach wie die Einladung oder Aufforderung zum Denunziantentum (Möhrle/Weinen CCZ 2016, 253; s. DLW/Dörner, Kap. 3 Rdnr. 447.8). Mangelnde Transparenz darüber, was mit Hinweisen in einem Hinweisgebersystem eigentlich geschieht, wie verantwortlich geprüft und verfahren wird, kann zudem zu Gerüchtebildung führen und diffuses Misstrauen fördern. Das gilt erst recht dann, wenn unklar ist, ob die Information, die dem Hinweissystem übergeben wird, erkennbar ohne Umwege in das Headquarter gelangt, was ebenfalls zu mangelnder Akzeptanz führen kann (Möhrle/Weinen CCZ 2016, 253). Vor diesem Hintergrund kann nur auf die konkreten Umstände des Einzelfalls, also auf die tatsächliche betriebliche Praxis und ihre – für den betroffenen Arbeitnehmer vor Ort erkennbar gelebte – faktische Effizienz I.S. des ernsthaften und auch erfolgreichen Bemühens um das Beheben innerbetrieblicher Missstände abgestellt werden (s. Gerdemann RdA 2019, 19 ff). Voraussetzung ist also, dass der Arbeitgeber einen effektiven, dem Persönlichkeitsschutz des Arbeitnehmers gerecht werdenden Weg im Rahmen institutioneller Präventionsmaßnahmen bereitgestellt hat (KR/Fischermeier § 626 BGB Rn. 424, Forst NJW 2011, 3481; s. KR/Rachor § 1 KschG Rn. 462; Günther NZA 2010, 367 ff.; Dann/Mengel NJW 2010, 3265 ff.).

Der Vorrang innerbetrieblicher Abhilfe ist auch dann zu verneinen, wenn dem Arbeitgeber die Gesetzwidrigkeit bekannt ist, von ihm gebilligt wurde, die Beseitigung objektiv unmöglich ist oder vom Arbeitgeber nicht erwartet werden kann (LAG BW 03.02.1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756; ErfK/Preis § 611a BGB Rn. 717). Das Gleiche gilt, wenn der Verstoß von den gesetzlichen Vertretern des Arbeitgebers begangen wurde (BAG 07.12.2006 – 2 AZR 400/05, NZA 2007, 502). Bei Straftaten dagegen, die sich gegen den Arbeitnehmer selbst richten, kann die Anzeige nicht arbeitsvertraglich unzulässig sein. Ebenso ist es, wenn sich der Arbeitnehmer durch die Nichtanzeige strafbar macht (BAG 03.07.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427; ErfK/Preis § 611a BGB Rn. 717). Anders ist es aber dann, wenn der Anzeigende aus zu missbilligenden und verwerflichen Motiven (Rache, Schädigungsabsicht) heraus handelt (BAG 03.07.2003 – 2 AZR 235/02, NZA 2004, 427; 04.07.1991 – 2 AZR 80/91, BeckRS 1991, 30738133; LAG Hessen 12.12.1987 LAGE § 626 BGB Nr. 28; LAG BW 03.02.1987 – 7 (13) Sa 95/86, NZA 1987, 756; LAG Hamm 24.02.2001 – 17 Sa 1669/10, BeckRS 2011, 77061). Führt die Anzeige jedoch nicht zum Beweis des behaupteten Vorwurfs, kann sich der Arbeitnehmer Schadensersatzforderungen des Arbeitgebers ausgesetzt sehen (ErfK/Preis § 611a BGB Rn. 717), es sei denn, dass die Anzeige nicht wider besseren Wissens oder leichtfertig erhoben wurde (LAG Hamm 21.07.2011 – 17 Sa 1669/10, BeckRS 2011, 78049; DLW/Dörner, Kap. 3 Rdnr. 447.9).

Eine Übertragung dieser Grundsätze auf den vorliegenden, „umgekehrten Fall“, betreffend die Haftung wegen einer Anzeige des Arbeitgebers zum Nachteil des Arbeitnehmers, wie vom Arbeitsgericht in der angefochtenen Entscheidung vorgenommen, kommt allerdings nur sehr eingeschränkt in Betracht.

Richtig ist allerdings, dass ein Arbeitgeber – wie ein Arbeitnehmer – durch die Erstattung einer Strafanzeige ein verfassungsrechtlich gebilligtes Recht wahrnimmt. Ihm dürfen ebenso wie einem Arbeitnehmer durch eine nichtwissentliche unwahre oder leichtfertige Strafanzeige keine Nachteile erwachsen, sollte die der Anzeige zugrunde liegende Behauptung sich nachträglich als unrichtig oder nicht aufklärbar erweisen. Maßgeblich ist jedenfalls, dass auch im Verhältnis Arbeitgeber/Arbeitnehmer die vertraglichen Rücksichtnahmepflichten dahingehend zu konkretisieren sind, dass sich die Anzeige nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf ein Verhalten darstellen darf. Kann bereits der Arbeitnehmer aus Gründen der Verhältnismäßigkeit gehalten sein, vor Erstattung einer Strafanzeige zunächst unternehmensintern Abhilfe zu suchen, gilt dies auch für den Arbeitgeber. Andererseits gilt aber auch insoweit, dass der innerbetrieblichen Aufklärung nicht stets Vorrang einzuräumen ist. Dies gilt insbesondere dann, wenn für den Arbeitnehmer erkennbar für den Arbeitgeber besonders schutzwürdige Rechtsgüter betroffen sind einerseits und andererseits sich die Strafanzeige als verhältnismäßig erweist. Insoweit ist allerdings bereits vorab darauf hinzuweisen, dass das beklagte Land keineswegs nur Strafanzeige gegen die Klägerin erstattet hat, sondern durchaus auch Bemühungen unternommen hat, den Sachverhalt intern aufzuklären. Die insoweit gewonnenen Ergebnisse wurden der Staatsanwaltschaft unverzüglich übermittelt. Entgegen der Auffassung der Klägerin kommt in diesem Zusammenhang der Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zur Korruptionsprävention in der öffentlichen Verwaltung erhebliche Bedeutung zu. Zwar trifft es zu, dass diese Vorschriften für öffentliche Arbeitgeber keinen Anlass bieten, grundsätzlich vom maßgeblichen Beurteilungsrahmen abzuweichen. Denn bei Verwaltungsvorschriften handele es sich nicht um Rechtsnormen, sondern um innerdienstliche Richtlinien, denen keine verbindliche Außenwirkung zukommt. Von daher trifft es zunächst im Grundsatz zu, dass die in ihr für Vertreter des beklagten Landes festgelegte Verhaltensregeln nicht geeignet sind, im Verhältnis zur Klägerin verbindliche Wirkung zu entfalten. Andererseits sind sie für das Arbeitsverhältnis der Parteien aber nicht ohne Bedeutung. Denn insbesondere Ziffer 8 (Vorgehen bei Auftreten eines Korruptionsverdachts) enthält ein abgestuftes Verfahren beim Auftreten von Indizien einerseits und der Feststellung eines Korruptionsverdachts andererseits. Danach haben die Vorgesetzten beim Vorliegen von Indizien den insoweit für eine Korruption sprechenden Umständen nachzugehen; weitergehend besteht die dienstliche Verpflichtung, bei konkreten Korruptionsverdacht unverzüglich den zuständigen Dienstvorgesetzten zu unterrichten, der seinerseits verpflichtet ist, umgehend die Strafverfolgungsbehörden einzuschalten. Diese abgestufte Vorgehensweise entspricht in besonderem Maße dem Verhältnismäßigkeitsprinzip; nicht außer Acht gelassen werden darf insoweit auch, dass die Klägerin den Erhalt dieser Verwaltungsvorschriften ausdrücklich bestätigt hat. Auch wenn damit keine einvernehmliche Vertragsänderung bezogen auf den Arbeitsvertrag erfolgt ist, wurde der Klägerin als Arbeitnehmerin doch eindringlich deutlich gemacht, welche besondere Bedeutung die Bekämpfung von Korruption für das beklagte Land als ihren Arbeitgeber hat. Sie musste also von vornherein bei Vorliegen entsprechender Umstände mit der insbesondere in Ziffer 8 beschriebenen Vorgehensweise des beklagten Landes rechnen, also auch einer umgehenden Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden. Derartigen Verwaltungsvorschriften kann arbeitsrechtlich insbesondere die Funktion einer Selbstbindung des Arbeitgebers zukommen, z.B. bei der Ausübung von billigem Ermessen (§ 315 BGB; Direktionsrecht; s. BAG 24.10.2018 – 10 AZR 19/18).

Vor diesem Hintergrund war das beklagte Land nach Auffassung der Kammer nicht verpflichtet, vor Anzeigeerstattung weitergehende als tatsächlich geschehene unternehmensinterne Ermittlungen durchzuführen. Die hinreichend gewichtigen Belange des beklagten Landes bestehen in dem umfassenden Bemühen der Korruptionsbekämpfung, das bei Vorliegen eines konkreten Tatverdachts eine unmittelbare Anzeigeerstattung bei gleichzeitiger Mitwirkung an der Sachverhaltsaufklärung, wie dargelegt, nicht als eine unverhältnismäßige Reaktion auf den dem beklagten Land zur Kenntnis gelangten Lebenssachverhalt darstellt. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts kann die bloße Befragung der Klägerin nicht als milderes Mittel zur Zielerreichung (Sachverhaltsaufklärung) bei erheblich niedrigerer Eingriffsintensität angesehen werden. Ob das Ansehen der Klägerin durch ein staatsanwaltschaftliches Ermittlungsverfahren weniger gefährdet wird, als durch eine betriebsinterne Sachverhaltsaufklärung, lässt sich nicht ohne weiteres feststellen. Denn auch durch betriebsinterne Ermittlungsmaßnahmen, also zwingend nicht nur das Überprüfen von Aktenvorgängen, sondern auch die Befragung von Mitarbeitern des beklagten Landes, werden zwangsläufig Dritte involviert, wobei vorliegend aufgrund der im Einzelnen betroffenen Personen ohnehin auch der Kontakt zu externen Dritten unvermeidbar gewesen wäre. Entscheidend für das Vorliegen eines konkreten Tatverdachts ist dabei nicht, dass ein Anfangsverdacht für die Durchführung von Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft bejaht wurde. Daraus folgt, insoweit ist dem Arbeitsgericht zu folgen, keineswegs, dass die Anzeigeerstattung dem beklagten Land als einziges Mittel zur Sachverhaltsaufklärung zur Verfügung stand und eine vorherige Anhörung der Klägerin schlechterdings ausschloss. Allerdings ist unerheblich, ob eine Befragung als milderes Mittel gegenüber der Anzeigeerstattung die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in nicht hinnehmbarer Weise erschwert hätte. Maßgeblich ist vielmehr, dass unabhängig davon, ob Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft oder aber betriebsinterne Ermittlungen durchgeführt worden wären, je nach deren Umfang eine Vielzahl externer und interner Personen involviert gewesen wäre; die Wahl der Vorgehensweise wirkt sich insoweit auf die Zahl der betroffenen Personen nach Auffassung der Kammer nicht aus. Demgegenüber hat die Einbeziehung der Staatsanwaltschaft den Vorteil, dass sie von vornherein zur objektiven Ermittlung in jeder Hinsicht verpflichtet ist (§ 160 StPO), also auch Tatsachen zugunsten der Beschuldigten nachgehen muss. Zum anderen bestehen wesentlich weitergehende Möglichkeiten, um die erforderliche Sachverhaltsaufklärung durch die Einvernahme von Zeugen zu betreiben. Des Weiteren ist in diesem Zusammenhang nach Auffassung der Kammer zu berücksichtigen, dass das Kernanliegen der Korruptionsbekämpfung auch darin besteht, das Vertrauen der Staatsbürger in die redliche Arbeitsweise der Verwaltung zu schützen. Die Arbeitstätigkeit der Klägerin vollzieht sich im Wesentlichen auch im außerbetrieblichen Raum, in dem sie es mit am Abschluss von Rechtsgeschäften mit dem beklagten Land interessierten Personen zu tun hat, die häufig untereinander im Wettbewerb stehen. Vor diesem Hintergrund wirken betriebsinterne Ermittlungen, ob zu Recht oder zu Unrecht, bedarf keiner Entscheidung, nach außen hin wesentlich weniger vertrauenerweckend, als die Durchführung von staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen. Folglich ist vorliegend nach Auffassung der Kammer davon auszugehen, dass nach Maßgabe des hier zu entscheidenden konkreten Lebenssachverhalts ein konkreter Tatverdacht gegen die Klägerin gegeben war, der als so schwerwiegend anzusehen ist, dass das beklagte Land durch die Weiterleitung des Vorgangs an die Staatsanwaltschaft nicht gegen das Verhältnismäßigkeitsprinzip verstoßen hat.

Bei der Beurteilung der insoweit maßgeblichen Umstände ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin mit dem Modedesigner P. sowohl im Rahmen einer Nebentätigkeit, als auch in Ausübung ihrer arbeitsvertraglichen Verpflichtungen verbunden war. Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Klägerin diesen Umstand zu keinem Zeitpunkt dem beklagten Land angezeigt hat. Des Weiteren ist unstreitig, dass der Klägerin eine Pelzstola zugeeignet wurde, die mit 17.000,–€ einen beträchtlichen Wert darstellt. Nachdem bei dieser konkreten Ausgangssituation erhebliche und teilweise detaillierte, die Klägerin belastende Informationen hinzu kamen, kann entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts nicht davon ausgegangen werden, dass von vornherein erhebliche Zweifel an der Stichhaltigkeit der Vorwürfe bestanden, Zweifel von einer Intensität, die trotz der für das beklagte Land verbindlichen Verwaltungsvorschrift eine Einschaltung der Staatsanwaltschaft als fernliegend erscheinen lassen musste. Denn auch wenn der insoweit maßgebliche Herr P. rechtskräftig wegen versuchten Betruges verurteilt wurde, ist damit keineswegs die Gewissheit verbunden, dass die detaillierten Angaben zu einzelnen Vorgängen betreffend die Klägerin vollständig frei erfunden waren. Dem steht nicht entgegen, dass Teile der durch Herrn P. mitgeteilten Informationen anhand des Aktenbestandes des beklagten Landes nachprüfbar waren. Denn das gilt eben nur für Teile, wie vom Arbeitsgericht zutreffend angenommen, und berücksichtigt nicht hinlänglich die unstreitig bestehenden zuvor dargestellten unstreitigen Umstände. Insoweit kommt es weniger darauf an, ob die Gefahr bestand, dass die Klägerin nach entsprechender Befragung durch das beklagte Land Beweise vernichten würde, denn eine entsprechende Möglichkeit hätte bei staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen ebenso bestanden. Im Hinblick auf das rechtlich erhebliche Schutzgut korruptionsfreier Verwaltung und die konkrete Arbeitstätigkeit der Klägerin erschien deshalb das Vorgehen des beklagten Landes als verhältnismäßig zur Wahrnehmung berechtigter eigener Interessen.

Ausdrücklich nicht folgt die Kammer der Auffassung des Arbeitsgerichts, dass sich der insoweit maßgebliche Prüfungsmaßstab deshalb zugunsten der Klägerin verschoben hat, weil das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis langjährig beanstandungsfrei verlaufen ist. Ein Erfahrungssatz des Inhalts, dass ein entsprechendes Vertrauensguthaben vor vertragswidrigen Verhaltensweisen schützt, besteht nicht.

Etwas anderes folgt auch nicht aus einer wie inhaltlich auch immer gearteten „entsprechenden“ Anwendung der zum Whistleblowing bezüglich Anzeigen des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber entwickelten Grundsätze. Denn vorliegend ist die Strafanzeige keineswegs leichtfertig erfolgt; das beklagte Land hat ausweislich des Akteninhalts der Staatsanwaltschaft auch keine unwahren Tatsachen mitgeteilt. Das beklagte Land hat die Klägerin nicht grundlos durch die Strafanzeige geschädigt; es kann keineswegs davon ausgegangen werden, dass dafür keinerlei Veranlassung gegeben war. Da vorliegend konkreter Tatverdacht bestand, dass die Klägerin Straftaten während der Erbringung der Arbeitsleistung im Zusammenhang mit dem Arbeitsverhältnis begangen hatte, durfte ein verständiger Arbeitgeber vorliegend Strafanzeige erstatten. Eine vertragliche Nebenpflicht, die nach Maßgabe der hier feststehenden konkreten Umstände dies verbieten könnte, besteht nicht.

Dagegen kann entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht davon ausgegangen werden, dass eine vertragliche Abbedingung einer gleichwohl als bestehend anerkannten entsprechenden Nebenpflicht gegeben ist. Diesen Anforderungen genügt insbesondere die Inbezugnahme der Verwaltungsvorschrift der Landesregierung zur Korruptionsbekämpfung in der öffentlichen Verwaltung nicht. Denn die Klägerin hat lediglich bestätigt, dass sie auf die Inhalte der Vorschrift hingewiesen wurde. Eine einvernehmliche Vertragsänderung ist damit, wie bereits dargelegt, nicht verbunden.

Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren die Grundrechtsträgerschaft des beklagten Landes in Abrede gestellt hat, ist dem zwar grundsätzlich zu folgen. An dem maßgeblichen Abwägungsmaßstab des Verhältnismäßigkeitsprinzips (Geeignetheit, Erforderlichkeit, Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne) ändert dies aufgrund der gleichwohl grundsätzlich gleichwertigen beiderseitigen dem Arbeitsverhältnis zugrunde liegenden Interessen nichts. Das weitere Vorbringen der Klägerin im Berufungsverfahren macht insoweit deutlich, dass sie mit dem Arbeitsgericht der Auffassung ist, dass die Voraussetzungen für das Erstatten einer Strafanzeige nach Maßgabe des Verhältnismäßigkeitsprinzips vorliegend nicht gegeben sind. Dem folgt die Kammer aus den im Einzelnen dargelegten Gründen aber nicht. Dabei ist abschließend darauf hinzuweisen, dass maßgeblich für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Handelns des beklagten Landes der Zeitpunkt der Inkenntnissetzung von den maßgeblichen Umständen ist, nicht aber eine ex-post-Betrachtung. Angesichts der von Herrn P. benannten vielen tatsächlichen Einzelheiten in Verbindung mit unstreitig feststehenden Umständen war die Vorgehensweise des beklagten Landes nicht unverhältnismäßig.

Insoweit kommt es folglich nicht darauf an, ob ein Verschulden des beklagten Landes zu bejahen ist; entgegen der Auffassung des beklagten Landes ist allerdings keineswegs davon auszugehen, dass dies aufgrund der Verwaltungsvorschrift betreffend die Korruptionsbekämpfung von vornherein ausgeschlossen gewesen wäre. Denn zum einen bedeutet diese Verwaltungsvorschrift keine inhaltliche Veränderung des Arbeitsverhältnisses mit den im einzelnen dargelegten Einschränkungen; zum anderen enthalten Ziffer 8.1, 8.2 durchaus Wertungsspielräume, nämlich insoweit, als es um die Bewertung eines Lebenssachverhalts im Hinblick auf das bloße Vorliegen von Indizien einerseits bzw. eines konkreten Tatverdachts andererseits geht.

Ebenso wenig bedarf es einer Entscheidung, ob vorliegend überhaupt davon ausgegangen werden kann, dass die erforderliche Kausalität zwischen einer – hier unterstellten – Nebenpflichtsverletzung des beklagten Landes und dem eingetretenen Schaden substantiiert vorgetragen worden ist. Denn bei Anwendung der Grundsätze rechtmäßigen Alternativverhaltens wäre auch nach dem Vorbringen der Klägerin es jedenfalls nicht zu beanstanden gewesen, wenn das beklagte Land innerbetriebliche Aufklärungsmaßnahmen unternommen hätte. Tatsächliches Vorbringen dafür, dass sie dann von der Beauftragung eines Rechtsanwalts zur Vertretung ihrer Interessen Abstand genommen hätte, fehlt allerdings.

Nach alledem war die angefochtene Entscheidung auf die Berufung des beklagten Landes aufzuheben und die Klage insgesamt abzuweisen.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Für eine Zulassung der Revision war nach Maßgabe der gesetzlichen Kriterien des § 72 ArbGG keine Veranlassung gegeben.

 

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