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Krankheitsbedingte Dienstunfähigkeit – Verfall von Urlaubsansprüchen

VG Karlsruhe – Az.: 4 K 10252/18 – Urteil vom 27.11.2019

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.

Tatbestand

Der Kläger begehrt die finanzielle Abgeltung von Urlaubstagen, die aufgrund krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit nicht genommen werden konnten.

Der am … 1958 geborene Kläger war zuletzt als Polizeihauptmeister (PHM) beim Polizeirevier … tätig. Seine Arbeitszeit war regelmäßig auf fünf Wochenarbeitstage verteilt. Nachdem er bereits seit dem 07.05.2013 arbeitsunfähig erkrankt war, wurde er mit Wirkung zum 01.05.2018 vorzeitig in den Ruhestand versetzt. Die Summe seiner Bezüge in den letzten drei Monaten vor Eintritt in den Ruhestand betrug 11.960,- Euro.

Mit Schreiben vom 11.05.2018 teilte das Polizeipräsidium Karlsruhe dem Kläger mit, dass dem Landesamt für Besoldung und Versorgung gemeldet worden sei, dass der Kläger Anspruch auf finanzielle Abgeltung von insgesamt 27 Urlaubstagen (20 Tage für das Jahr 2017 und 7 Tage für den anteiligen Jahresurlaub 2018) habe. Das Schreiben enthielt den Hinweis, dass der Erholungsurlaub für die Kalenderjahre bis einschließlich 2014 am 31.12.2016 verfallen sei und für den Erholungsurlaub ab dem Jahr 2015 eine Verfallsfrist von 15 Monaten nach dem Ende des Urlaubsjahres gelte.

Da der Prozessbevollmächtigte des Klägers bereits mit Schreiben vom 07.05.2018 die Erteilung eines rechtsmittelfähigen Bescheids über die Festsetzung der Urlaubsvergütung des Klägers beantragt hatte, erging unter dem 22.05.2018 eine Verfügung des Polizeipräsidiums Karlsruhe, mit der erneut mitgeteilt wurde, dass das Landesamt für Besoldung und Versorgung die Höhe der finanziellen Abgeltung der Urlaubstage auf der Grundlage von 27 Tagen ermitteln werde, wobei 20 Tage auf das Jahr 2017 und 6,67 – aufgerundet auf 7 – Tage anteilig auf vier Monate aus dem Jahr 2018 entfielen. Die Begründung entsprach derjenigen im Schreiben vom 11.05.2018. Die Verfügung wurde dem Kläger am 30.05.2018 zugestellt.

Der Kläger erhob mit Schreiben vom Montag, dem 02.07.2018 (vorab per Telefax am selben Tag gesendet) Widerspruch gegen den Bescheid vom 22.05.2018 und begründete diesen mit weiterem Schreiben vom 30.07.2018 (ebenfalls vorab per Telefax gesendet) dahingehend, dass der nicht verfallene Urlaub, der wegen Dienstunfähigkeit nicht genommen werden konnte, zu vergüten sei. Der Urlaub des Jahres 2014 sei zum 31.12.2016 verfallen, der Urlaub für 2015 sei zum 31.12.2017 verfallen und der Urlaub für das Jahr 2016 verfalle zum 31.12.2018. Es seien daher insgesamt 47 Urlaubstage zu vergüten (je 20 Tage für 2016 und 2017 sowie 7 Tage für das Jahr 2018).

Das Polizeipräsidium Karlsruhe beantwortete das Schreiben des Klägers vom 30.07.2018 unter dem 31.07.2018 und teilte mit, dass der Urlaub aus dem Jahr 2016 bereits zum Zeitpunkt der vorzeitigen Versetzung des Klägers in den Ruhestand verfallen gewesen und deshalb nicht mehr zu vergüten sei. Gemäß der Regelung in § 25 Abs. 1 AzUVO verfalle der Urlaub aus dem Jahr 2016, wenn er nicht bis zum 30.09.2017 bzw. bei krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit, wenn er nicht bis zum 31.03.2018 genommen worden sei.

Mit Schreiben vom 08.08.2018 teilte der Kläger dem Polizeipräsidium Karlsruhe mit, dass er dessen Rechtsauffassung nicht teile. Der Urlaub aus dem Jahr 2016 habe krankheitsbedingt weder im Jahr 2016 noch im Zeitraum bis zum 30.09.2017 in Anspruch genommen werden können. Ein Verfall dieses Urlaubsanspruchs zum 31.03.2018 setze voraus, dass der Urlaub in der Zeit vom 30.09.2017 bis zum 31.03.2018 hätte genommen werden können, dies sei im Fall des Klägers aufgrund seiner Erkrankung jedoch nicht möglich gewesen.

Der Widerspruch wurde daraufhin mit Schreiben des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 28.09.2018 zurückgewiesen. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass sich der Anspruch auf Vergütung von Urlaubstagen, die aufgrund von Dienstunfähigkeit bis zum Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis nicht in Anspruch genommen werden konnten und noch nicht verfallen sind, aus § 25a AzUVO ergebe. Da der Anspruch mit Ablauf des Tages entstehe, an dem der Beamte aus dem Dienstverhältnis ausscheide, sei die Anzahl der Urlaubstage maßgeblich, die mit Ablauf des 30.04.2018 vom Kläger erworben und weder genommen worden noch verfallen seien. Die Inanspruchnahme und der Verfall des Erholungsurlaubs richte sich nach § 25 Abs. 1 AzUVO. Danach verfalle der Anspruch auf Erholungsurlaub, der wegen Dienstunfähigkeit nicht genommen werden konnte, mit Ablauf des 31. März des übernächsten Jahres nach Entstehen des Urlaubsanspruchs. Der Urlaub des Klägers aus dem Jahr 2016, der wegen Dienstunfähigkeit nicht genommen werden konnte, sei mit Ablauf des 31.03.2018 verfallen und habe aufgrund des Ausscheidens des Klägers aus dem Dienstverhältnis mit Ablauf des 30.04.2018 nicht mehr berücksichtigt werden können. Maßgeblich seien daher die Jahre 2017 und (anteilig) 2018. Der Rechtsauffassung des Klägers, wonach der Verfall des Urlaubsanspruchs erst mit Ablauf des übernächsten Kalenderjahres nach dem Jahr, in dem der Anspruch entstanden ist, eintrete, könne nicht gefolgt werden. Dies ergebe sich bereits aus dem Wortlaut des § 25 Abs. 1 AzUVO. Diese Vorschrift berücksichtige seit 01.01.2014 die aktuelle unionsrechtliche Entwicklung zum Verfall und zur Vergütung von Urlaub, der aus gesundheitlichen Gründen nicht in Anspruch genommen werden konnte. Der Widerspruchsbescheid wurde dem Kläger am 04.10.2018 zugestellt.

Am Montag, den 05.11.2018 hat der Kläger Klage erhoben. Zur Begründung beruft er sich auf das Schreiben vom 30.07.2018 und führt aus, dass der Beklagte § 25a AzUVO unzutreffend ausgelegt habe.

Der Kläger beantragt, dem Kläger eine weitere Urlaubsvergütung für 20 Arbeitstage zu gewähren und den Bescheid des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 22.05.2018 sowie dessen Widerspruchsbescheid vom 28.09.2018 aufzuheben, soweit sie dem entgegenstehen.

Das beklage Land beantragt, die Klage abzuweisen.

Zur Begründung verweist es auf den Widerspruchsbescheid vom 28.09.2018.

Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Verfahrensakte des Polizeipräsidiums Karlsruhe Bezug genommen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Verpflichtungsklage ist unbegründet.

I.

Die Klage ist gemäß § 42 Abs. 1 Alt. 2 VwGO statthaft und auch im Übrigen zulässig.

II.

Die Klage ist jedoch nicht begründet. Der Bescheid des Polizeipräsidiums Karlsruhe vom 22.05.2018 und dessen Widerspruchsbescheid vom 28.09.2018 sind rechtmäßig und verletzen den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 5 S. 1 VwGO). Dem Kläger steht kein Anspruch auf finanzielle Abgeltung von 20 Urlaubstagen aus dem Jahr 2016 zu.

1.

Grundlage des Anspruchs auf finanzielle Abgeltung von Urlaubstagen ist § 25a Abs. 1 S. 1 und 2 i.V.m. Abs. 3 AzUVO. Danach sind den aus dem Dienstverhältnis ausgeschiedenen Beamten von Amts wegen nicht verfallene Tage an Erholungsurlaub zu vergüten, die wegen Dienstunfähigkeit infolge Krankheit bis zur Beendigung des Dienstverhältnisses nicht genommen werden konnten. Zu vergüten sind dabei im Kalenderjahr 20 Urlaubstage vermindert um die in dem jeweiligen Kalenderjahr genommenen und aus demselben Kalenderjahr oder aus einem vorangegangenem Kalenderjahr stammenden Tage an Jahresurlaub. Der Vergütungsanspruch entsteht mit dem Ablauf des Tages, an dem der Beamte aus dem Dienstverhältnis ausscheidet.

Der Beklagte hat mit dem angefochtenen Bescheid sowie mit dem Widerspruchsbescheid festgelegt, dass dem Landesamt für Besoldung und Versorgung zur konkreten Berechnung des Vergütungsanspruchs des Klägers insgesamt 27 Tage für die Jahre 2017 (20 Tage) und 2018 (7 Tage) mitgeteilt würden. Der Kläger hat die Ermittlung der abzugeltenden Urlaubstage für die Jahre 2017 und 2018 nicht beanstandet, sondern zusätzlich gefordert, dass auch für das Jahr 2016 eine Abgeltung von 20 Urlaubstagen zu erfolgen habe, da er diesen Urlaub aufgrund seiner Erkrankung nicht habe nehmen können.

2.

Eine Verjährung des Anspruchs auf Abgeltung von Urlaubstagen aus dem Jahr 2016 ist nicht eingetreten. Nach § 25a Abs. 3 S. 2 AzUVO ist § 6 LBesG entsprechend anzuwenden, wonach Ansprüche in drei Jahren verjähren. Nach § 6 S. 2 LBesG beginnt die Verjährung mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist.

3.

Im Zeitpunkt des Ausscheidens des Klägers aus dem Dienstverhältnis – am 30.04.2018 – war der Urlaubsanspruch des Jahres 2016 allerdings bereits verfallen und demnach gemäß § 25a Abs. 1 S. 1 AzUVO nicht zu vergüten.

a)

Der Urlaubsanspruch verfällt nach § 25 Abs. 1 S. 2 AzUVO, wenn er nicht bis zum 30. September des nächsten Jahres oder, wenn er bis dahin wegen Dienstunfähigkeit infolge Krankheit nicht genommen werden konnte, nicht bis zum 31. März des übernächsten Jahres genommen worden ist. Der Regelfall nach § 25 Abs. 1 S. 2 Alt. 1 AzUVO ist demnach der Verfall des Jahresurlaubs am 30.09. des Folgejahres. Da der Kläger jedoch während des gesamten Jahres 2016 und auch im Jahr 2017 bis zu seinem Ausscheiden aus dem Dienstverhältnis zum 30.04.2018 krankheitsbedingt dienstunfähig war, ist sein Urlaub aus dem Jahr 2016 nicht bereits am 30.09.2017 verfallen. Der Stichtag, zu dem der Jahresurlaub des Klägers aus dem Jahr 2016 verfallen ist, war nach § 25 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 AzUVO der 31.03.2018.

b)

Die Regelung des § 25 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 AzUVO setzt entgegen der vom Kläger vertretenen Rechtsauffassung nicht voraus, dass der Beamte in dem Zeitraum zwischen dem 30. September des Folgejahres und dem 31. März des übernächsten Jahres in der Lage gewesen sein musste, den Urlaub tatsächlich in Anspruch zu nehmen. Vielmehr handelt es sich bei dem Verfall nach 15 Monaten um eine strikte Ausschlussregelung, die auch dann greifen soll, wenn der Urlaub infolge dauerhafter Krankheit nicht genommen werden konnte (vgl. VG Freiburg, Urteil vom 23.05.2017 – 3 K 2036/15 –, beck online).

Diese Auslegung des § 25 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 AzUVO wird auch durch eine Gegenüberstellung des aktuellen Normtextes mit den vorherigen Fassungen dieser Norm bestätigt. Die aktuell geltende Formulierung, wonach ein Verfall zum 31.03. des übernächsten Jahres eintritt, wenn der Urlaub infolge Krankheit nicht genommen werden kann, gilt seit dem 01.01.2014.

Im Zeitraum vom 01.01.2006 bis zum 24.09.2009 war in § 25 Abs. 1 S. 2 AzUVO lediglich der Verfall nicht genommenen Urlaubs zum 30. September des Folgejahres vorgesehen. Eine längere Verfallsfrist für den Fall der krankheitsbedingten Verhinderung einer Inanspruchnahme gab es nach der damaligen Formulierung nicht. Die Rechtsprechung ging seinerzeit davon aus, dass der Verfall zum Stichtag 30. September des Folgejahres auch dann eintrete, wenn eine Inanspruchnahme infolge Krankheit nicht möglich war (VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 27.10.2008 – 4 S 3099/07 –, juris Rn. 5).

Die Vorgaben des Europarechts – Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rats vom 04.11.2003 über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung (Richtlinie 2003/88/EG) – und die diesbezügliche Rechtsprechung des EuGH führten jedoch dazu, dass der Verfall des Urlaubs gemäß § 25 Abs. 1 S. 2 AzUVO nach einem Übertragungszeitraum von nur neun Monaten in Fällen der fortdauernden krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit als unionsrechtswidrig angesehen werden musste (VG Karlsruhe, Urteil vom 29.11.2012 – 6 K 1108/12 – , beck online m.w.N.). Dies hatte zur Folge, dass bei richtlinienkonformer Auslegung auch eine Ansammlung zahlreicher Urlaubstage aus länger zurückliegenden Urlaubsjahren möglich war, wenn ein Beamter wegen Dienstunfähigkeit nicht in der Lage war, seinen Urlaub tatsächlich anzutreten (VG Karlsruhe, a.a.O.). Um genau dies zu verhindern, wurde mit Wirkung ab dem 25.09.2009 die Formulierung des § 25 Abs. 1 AzUVO, wonach ein Verfall zum 30. September des Folgejahres eintreten solle, um einen neuen Satz 3 ergänzt, der folgenden Wortlaut hatte:

„Erholungsurlaub, der bis dahin wegen Dienstunfähigkeit infolge Krankheit nicht genommen werden konnte, kann nach Wiederaufnahme des Dienstes im laufenden oder nächsten Kalenderjahr genommen werden“.

Diese für den Beamten günstige Regelung war bis zum 31.12.2013 gültig und wurde mit Änderungsverordnung vom 16.09.2014 rückwirkend zum 01.01.2014 durch die aktuelle Formulierung des § 25 Abs. 1 S. 2 AzUVO ersetzt. Die Änderungsverordnung enthielt in § 2 eine Übergangsregelung für den Erholungsurlaub der Kalenderjahre bis 2014, auf den die bis zum 31.12.2013 geltende Fassung des § 25 Abs. 1 S. 3 AzUVO entsprechend anwendbar bleiben sollte.

Der im Zeitraum zwischen dem 25.09.2009 und dem 31.12.2013 – sowie nach der Übergangsregelung auch noch für das Urlaubsjahr 2014 – gültige Wortlaut enthielt zwar die Formulierung: „nach Wiederaufnahme des Dienstes“, dies war allerdings ausschließlich auf die Möglichkeit der tatsächlichen Inanspruchnahme des Urlaubs bezogen. Ein Beamter, der während des laufenden Urlaubsjahres sowie im Zeitraum bis zum 30. September des Folgejahres infolge krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit seinen Urlaub nicht nehmen konnte und anschließend wieder dienstfähig wurde, hatte nach der damaligen Vorschrift die Möglichkeit, bis zum 31. Dezember des übernächsten Jahres den Urlaub noch anzutreten. Auch nach dieser Normfassung war es jedoch so, dass ein Verfall des Urlaubsanspruchs nicht unter der Bedingung der Wiedererlangung der Dienstfähigkeit stand. Vielmehr verfiel in den Fällen der fortdauernden krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit über den Übertragungszeitraum (31. Dezember des übernächsten Jahres) hinaus der Jahresurlaub auch nach der damaligen Fassung des § 25 Abs. 1 S. 3 AzUVO, welche den Zweck verfolgte, den Vorgaben des Unionsrechts zu genügen und zugleich eine zeitlich unbegrenzte Ansammlung von Urlaubsansprüchen zu verhindern. Dieses Ergebnis wird letztlich auch vom Kläger nicht in Abrede gestellt, denn er führte in seiner Widerspruchsbegründung vom 30.07.2018, auf die er im Rahmen der Klagebegründung ausdrücklich Bezug genommen hat, aus: „Der Urlaub des Jahres 2014 verfällt zum 31.12.2016“.

Mit Blick auf die Änderungshistorie der Norm ist demnach festzuhalten, dass die aktuelle Fassung des § 25 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 AzUVO bei krankheitsbedingter Verhinderung der Inanspruchnahme des Erholungsurlaubs für die Urlaubsjahre seit 2015 anwendbar ist und einen Verfall des Jahresurlaubs nach Ablauf von 15 Monaten (zum 31.März des übernächsten Jahres) auch bei fehlender Wiedererlangung der Dienstfähigkeit vorsieht.

4.

Aus dem Europarecht – Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG – ergibt sich ebenfalls kein Anspruch des Klägers auf finanzielle Abgeltung der krankheitsbedingt nicht genommenen Urlaubstage des Jahres 2016.

Der EuGH hat aus Art. 7 Abs. 2 der Richtlinie 2003/88/EG einen Anspruch auf Abgeltung eines unionsrechtlich gewährleisteten Mindesturlaubs von vier Wochen (20 Tagen) Erholungsurlaub bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses hergeleitet und auch Voraussetzungen, Umfang und Grenzen dieses Anspruchs bestimmt. Diese Auslegung des Unionsrechts ist für die nationalen Gerichte nach Art. 267 Abs. 1 lit. a AEUV bindend (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 18.04.2013 – 4 S 341/12 –, beck online, m.w.N.).

Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG ist auch auf Beamte anwendbar, da die Unterscheidungen des nationalen Rechts zwischen den Begriffen „Arbeiter“, „Angestellter“ und „Beamter“ für die Auslegung des Unionsrechts ebenso wenig geeignet sind wie die Frage, ob das Beschäftigungsverhältnis öffentlichem oder privatem Recht unterliegt (VGH Baden-Württemberg, a.a.O. Rn. 15; VGH München, Beschluss vom 29.02.2016 – 6 ZB 15.2493 –, beck online Rn. 11; VG Karlsruhe, Urteil vom 29.11.2012 – 6 K 1108/12 –, beck online).

Ein Verfall des Urlaubsanspruchs mit Auswirkungen auf den unionsrechtlichen Urlaubsabgeltungsanspruch tritt allerdings dann ein, wenn nationalstaatlich ein hinreichend langer Übertragungszeitraum geregelt und dieser abgelaufen ist. In diesen Fällen ist die Entstehung eines Urlaubsabgeltungsanspruchs nach Unionsrecht ausgeschlossen (vgl. VGH Baden-Württemberg a.a.O.). Ein solcher Fall ist vorliegend gegeben, da der nach § 25 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 AzUVO für die Fälle krankheitsbedingter Dienstunfähigkeit vorgesehene Übertragungszeitraum für den Jahresurlaub des Klägers aus dem Jahr 2016 am 31.03.2018 endete und dieser Urlaubsanspruch entsprechend verfiel.

Der in § 25 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 AzUVO geregelte Übertragungszeitraum von 15 Monaten ist hinreichend lang, so dass nach dessen Ablauf auch kein unionsrechtlicher Urlaubsabgeltungsanspruch geltend gemacht werden kann.

Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG ist dahingehend auszulegen, dass er einzelstaatlichen Rechtsvorschriften oder Gepflogenheiten wie etwa Tarifverträgen nicht entgegensteht, die die Möglichkeit für einen während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähigen Arbeitnehmer, Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln, dadurch einschränken, dass sie einen Übertragungszeitraum von 15 Monaten vorsehen, nach dessen Ablauf der Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub erlischt (EuGH, Große Kammer, Urteil vom 22.11.2011 – C-214/10 -, NJW 2012, 290 ff Rn. 44). Zwar muss jeder nach nationalem Recht bestimmte Übertragungszeitraum den spezifischen Umständen Rechnung tragen, in denen sich ein Arbeitnehmer befindet, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, so dass der Übertragungszeitraum die Dauer des Bezugszeitraums, für den er gewährt wird, deutlich überschreiten muss (EuGH, a.a.O. Rn. 38). Hierdurch soll verhindert werden, dass dem Arbeitnehmer wegen der Unmöglichkeit, tatsächlich bezahlten Jahresurlaub zu nehmen, jeder Genuss des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub, selbst in finanzieller Form, vorenthalten wird (VGH München, a.a.O. m.w.N.). Allerdings muss der Übertragungszeitraum zugleich den Arbeitgeber vor der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiträumen und den Schwierigkeiten schützen, die sich daraus für die Arbeitsorganisation ergeben können (EuGH, a.a.O. Rn. 39). Ein Übertragungszeitraum von 15 Monaten ist länger als der Bezugszeitraum, an den er anknüpft. Eine entsprechende Vorschrift kann so verstanden werden, dass sie auf der Erwägung beruht, dass der Zweck der Urlaubsansprüche bei Ablauf der dort vorgesehenen Fristen nicht mehr vollständig erreicht werden kann (EuGH, a.a.O. Rn. 41).

Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der auf Vorlage des BAG hin ergangenen Entscheidung des EuGH vom 06.11.2018 (- C-684/16 -, juris), die sich mit den Vorschriften des BUrlG bzw. des TVöD befasst und in dem Urteil des BAG vom 19.02.2019 (- 9 AZR 541/15 -, juris) umgesetzt wird. Nach dieser Entscheidung soll Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG dahingehend ausgelegt werden, dass er einer nationalen Regelung entgegensteht, wonach der Umstand, dass ein Arbeitnehmer im Bezugszeitraum keinen Antrag auf Wahrnehmung seines gemäß diesen Bestimmungen erworbenen Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub gestellt hat, automatisch, ohne dass zuvor geprüft würde, ob der Arbeitnehmer tatsächlich in die Lage versetzt wurde, diesen Anspruch wahrzunehmen, dazu führt, dass er diesen Anspruch und entsprechend den Anspruch auf die finanzielle Vergütung für den bei Beendigung des Arbeitsverhältnisses nicht genommenen bezahlten Jahresurlaub verliert (EuGH, a.a.O., juris Rn. 55). In dem dort zu entscheidenden Fall ging es allerdings um eine Weigerung des Arbeitgebers, eine Vergütung für bezahlten Jahresurlaub zu zahlen, der zum Zeitpunkt der Beendigung des Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien aufgrund fehlender Beantragung nicht genommen worden war (EuGH, a.a.O., juris Rn. 21). Eine krankheitsbedingte Verhinderung an der tatsächlichen Inanspruchnahme des Urlaubs war nach dem dortigen Sachverhalt nicht gegeben. Der EuGH hat entschieden, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer, etwa durch angemessene Aufklärung, tatsächlich in die Lage zu versetzen hat, den Urlaubsanspruch wahrzunehmen (EuGH, a.a.O., juris Rn. 61). Dieser Verpflichtung des Arbeitgebers kann in denjenigen Fällen, in denen der Arbeitnehmer aufgrund fortdauernder Krankheit tatsächlich nicht in der Lage ist, seinen Urlaub anzutreten, keine Bedeutung zukommen. Im Fall des Klägers hätte eine rechtzeitige Aufklärung des Dienstherrn dahingehend, dass die im Jahr 2016 nicht genommenen Urlaubstage zum 31.03.2018 verfallen würden, den Kläger nicht in die Lage versetzen können, den Urlaub in Anspruch zu nehmen. Der Kläger war nicht durch mangelnde Aufklärung bzw. fehlende arbeitgeberseitige Aufforderung an der Inanspruchnahme des Urlaubs gehindert, sondern allein wegen seiner fortdauernden krankheitsbedingten Dienstunfähigkeit.

Gerade für den Fall der fortdauernden Erkrankung, die einer tatsächlichen Inanspruchnahme des Urlaubs entgegensteht, hat der EuGH im Jahr 2017 nochmals bekräftigt, dass eine längere Abwesenheit wegen Krankschreibung eine Ausnahme von dem in Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG aufgestellten Grundsatz rechtfertigen kann, wonach ein Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub nicht erlischt, wenn der Arbeitnehmer nicht in der Lage war, seinen Urlaub zu nehmen (EuGH, Urteil vom 29.11.2017 – C-214/16 -, juris). Es würde nicht mehr dem Zweck des Anspruchs auf bezahlten Jahresurlaub entsprechen, wenn ein Arbeitnehmer, der während mehrerer Bezugszeiträume in Folge arbeitsunfähig ist, berechtigt wäre, unbegrenzt alle während dieses Zeitraums seiner Abwesenheit von der Arbeit erworbenen Ansprüche auf bezahlten Jahresurlaub anzusammeln (EuGH, a.a.O., juris Rn. 54). In diesem Zusammenhang wurde nochmals klargestellt, dass mit Blick auf den Schutz des Arbeitgebers, der sich der Gefahr der Ansammlung von zu langen Abwesenheitszeiten des Arbeitnehmers ausgesetzt sieht, eine einzelstaatliche Rechtsvorschrift, die ein Erlöschen des Urlaubsanspruchs nach Ablauf eines Übertragungszeitraums von 15 Monaten vorsieht, mit Art. 7 der Richtlinie 2003/88/EG vereinbar ist (EuGH, a.a.O., juris Rn. 55). Von dem Grundsatz, dass der Arbeitgeber, der einen Arbeitnehmer nicht in die Lage versetzt, seinen Anspruch auf bezahlten Jahresurlaub auszuüben, die sich hieraus ergebenden Folgen zu tragen hat, kann im Fall des Ansammelns von Urlaubsansprüchen aus Krankheitsgründen abgewichen werden (EuGH, a.a.O., juris Rn. 56).

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.

BESCHLUSS

Der Streitwert wird gemäß § 52 Abs. 1 GKG auf 3.680 € festgesetzt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 25.06.2014 – 2 B 57.13 -, beck online Rn. 9).

Hinsichtlich der Beschwerdemöglichkeit gegen die Streitwertfestsetzung wird auf § 68 Abs. 1 Satz 1, 3 und 5 GKG verwiesen.

 

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