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Krankheitsbedingte Kündigung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 Sa 244/20 – Urteil vom 05.10.2021

I. Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz – 7 Ca 3900/19 – vom 29. Juli 2020 wie folgt abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02. Dezember 2019 nicht aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Verfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Versandmitarbeiterin weiterzubeschäftigen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits erster und zweiter Instanz trägt die Beklagte.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen, auf krankheitsbedingte Gründe gestützten Kündigung der Beklagten.

Die 1976 geborene, einem Kind zum Unterhalt verpflichtete, alleinerziehende Klägerin steht bei der Beklagten, einem Unternehmen des Online-Versandhandels mit Sitz in C-Stadt mit regelmäßig mehr als zehn Mitarbeitern mit Ausnahme der Auszubildenden, seit dem 05. November 2012 in einem Arbeitsverhältnis als vollzeitbeschäftigte Versandmitarbeiterin zu einem durchschnittlichen Bruttomonatsgehalt von zuletzt ca. 2.500,00 EUR. Im Betrieb der Beklagten ist ein Betriebsrat gewählt.

In den Jahren 2013 und 2014 war die Klägerin an 53 und 64 vollen Sollarbeitstagen wegen häufiger Kurzerkrankungen arbeitsunfähig erkrankt. Die Beklagte leistete in 2013 für 49 Tage Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, im Jahr 2014 für 64 Tage. Im Jahr 2015 war gegenüber der Klägerin ein Beschäftigungsverbot erteilt, danach befand sie sich in Mutterschutz, sowie anschließend in Elternzeit. In den Jahren 2016 und 2017 nahm die Klägerin jeweils ganzjährig Elternzeit bis 14. März 2018. Am 15. März 2018 nahm die Klägerin ihre Beschäftigung bei der Beklagten wieder auf. Im Anschluss fehlte die Klägerin im Jahr 2018 an insgesamt 78 vollen Sollarbeitstagen wegen häufiger Kurzerkrankungen, für die die Beklagte vollumfänglich Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leistete. Bis 02. Dezember 2019, dem Tag, unter dem die vorliegend streitgegenständliche Kündigung datiert, fehlte die Klägerin im Jahr 2019 an 39 Sollarbeitstagen wegen häufiger Kurzerkrankungen arbeitsunfähig bei voller Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall, sowie darüber hinaus bis zum Jahresende für weitere 17 Sollarbeitstage, für welche die Beklagte ebenfalls Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall entrichtete. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist am 29. Februar 2020 war die Klägerin vom 10. Januar bis 20. Februar 2020 an weiteren 30 entgeltfortzahlungspflichtigen Sollarbeitstagen erkrankt, sowie vom 21. bis 29. Februar 2020, ohne dass die Beklagte noch zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet gewesen wäre. Wegen der den Erkrankungen der Klägerin im Einzelnen zugrundeliegenden Diagnosen wird auf die Aufstellung auf Bl. 129 ff. d. A. verwiesen.

Die Beklagte lud die Klägerin mit Schreiben vom 07. Mai 2019 zu einem Erstgespräch im Rahmen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) ein. Wegen des Einladungsschreibens wird auf Bl. 88 ff. d. A. Bezug genommen. Nach Annahme der Einladung durch die Klägerin fand am 27. Mai 2019 ein Gespräch im Rahmen des bEM statt. Im Anschluss daran bescheinigte der die Klägerin untersuchende Betriebsarzt am 05. Juni 2019, keine gesundheitlichen Bedenken zu haben, es bestehe Arbeitstauglichkeit, lediglich in der Abteilung Z. könne die Klägerin aktuell nicht arbeiten. Nach einem weiteren bEM-Gespräch am 03. Juli 2019 wurde das Eingliederungsmanagement beendet.

Die Beklagte hörte den Betriebsrat mit Schreiben vom 21. November 2019 zur beabsichtigten ordentlichen Kündigung der Klägerin an. Wegen der Einzelheiten des Anhörungsbogens wird auf Bl. 106 ff. d. A. Bezug genommen. Der Betriebsrat widersprach der Kündigung mit Schreiben vom 22. November 2019 mit der Begründung, nach seiner Einschätzung sei das zu kurze bEM nicht ordnungsgemäß durchgeführt worden.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin mit Schreiben vom 02. Dezember 2019 ordentlich zum 29. Februar 2020. Hiergegen hat sich die Klägerin mit am 18. Dezember 2019 beim Arbeitsgericht Koblenz erhobener Kündigungsschutzklage gewendet, die der Beklagten am 03. Dezember 2021 zugestellt worden ist. Zugleich hat die Klägerin ihre Weiterbeschäftigung verlangt.

Die Klägerin hat erstinstanzlich im Wesentlichen geltend gemacht, die Kündigung sei unwirksam. Es liege keine negative Gesundheitsprognose vor. Die Erkrankungen aus den Jahren 2013, 2014, 2018 und 2019 resultierten zu einem wesentlichen Anteil – mit Ausnahme im Einzelnen angeführter Krankheitszeiten wegen akuter Infekte der oberen Atemwege – aus ihrer Grunderkrankung, einer Autoimmunerkrankung. Die Grunderkrankung sei im Jahr 2018 durch eine medikamentöse Therapie eingestellt worden, so dass ab August 2018 bis auf zwei Tage keine weiteren Fehlzeiten mehr aufgetreten seien. Erstmals im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Problemen am Arbeitsplatz sei sie wieder an ihrer Grunderkrankung erkrankt. Die Atemwegserkrankungen seien im Wesentlichen Erkältungskrankheiten während der Erkältungszeit gewesen, die in keiner Weise über dem Durchschnitt bei der Beklagten lägen. Die Fehlzeit vom 04. bis 18. Mai 2019 resultiere aus einem nicht wiederholungsgeeigneten Darmverschluss. Für das Jahr 2019 verblieben daher nur 28 Fehltage, was für eine negative Prognose nicht genüge. Der Betriebsrat sei nicht ordnungsgemäß angehört worden, da ihm die Umstände ihres Einsatzes nach der Untersuchung durch den Betriebsarzt – sie sei erst zum 19. August 2019 aus der Abteilung Z. umgesetzt worden – nicht mitgeteilt worden seien.

Die Klägerin hat beantragt,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02. Dezember 2019 nicht beendet wird,

2. im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1., die Beklagte zu verurteilen, sie bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Versandmitarbeiterin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Kündigung sei wirksam. Es bestehe angesichts der Fehlzeiten der Klägerin und der Tatsache, dass diese in jedem Jahr ihrer Arbeit die 6-Wochen-Grenze (30 Sollarbeitstage) überschritten habe, eine negative Gesundheitsprognose, die die Klägerin nicht erschüttert habe. Die Fehlzeiten in den Jahren 2018 und 2019 hätten nach der von der Klägerin vorgelegten Diagnosen-Übersicht nicht jeweils überwiegend auf der Autoimmunerkrankung beruht. Es ergebe sich vielmehr eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit, da die zur Arbeitsunfähigkeit führenden Krankheiten breit gefächert seien und dass, wie sich spätestens am 28. November 2019 gezeigt habe, auch das Grundleiden keineswegs ausgeheilt sei. Die von der Klägerin angegebenen Atemwegsinfektionen bzw. Erkältungen seien auffallend häufig, schwerwiegend und nicht nur zu Erkältungszeiten aufgetreten und hätten in den Jahren 2018 und 2019 zu insgesamt 88 Fehltagen geführt. Auch dies zeige eine persönliche konstitutionelle Schwächung der Klägerin und deren besondere Krankheitsanfälligkeit. Bestätigt werde dies durch die Krankheitsbilder aus den Jahren 2013 und 2014, die ebenfalls breit gefächert seien. Die Entwicklung nach dem Kündigungszugang könne berücksichtigt werden, da sie die Prognose im Kündigungszeitpunkt bestätige. Durch die mit den krankheitsbedingten Fehlzeiten verbundenen Lohnfortzahlungskosten und den damit einhergehenden erheblichen wirtschaftlichen Belastungen würden die betrieblichen Belangte erheblich beeinträchtigt. Allein bis zum 20. November 2019 habe sie für 220 krankheitsbedingte Fehltage 24.9121,64 Euro Lohnfortzahlung (im Einzelnen aufgeschlüsselt) geleistet. Da die Krankmeldung der häufig für kurze Zeiten erkrankten Klägerin oft über die Krankenhotline kurz vor Schichtbeginn erfolge und die Auswertung und Weitergabe der Krankmeldungen einen gewissen Zeitraum in Anspruch nehme, liege zudem ein organisatorischer Mehraufwand vor, der den Workflow und die Produktivität beeinträchtige. Zugleich müssten Kollegen der Klägerin Überstunden leisten, die der – mit erheblichem Mehraufwand einhergehenden – Zustimmung des Betriebsrats bedürften. Der Betriebsrat sei – wie der vorgelegte Anhörungsbogen nebst Anlagen zeige – ordnungsgemäß durch Mitteilung aller erforderlichen Tatsachen angehört worden. Entgegen ihrem Vorbringen sei die Klägerin im unmittelbaren Anschluss an die betriebsärztliche Empfehlung vom 05. Juni 2019 nicht mehr in der Abteilung Z. beschäftigt worden, sondern in anderen Bereichen wie der Abteilung Y. oder X. Lediglich in der Kalenderwoche 39/2019 habe sie für zwei Stunden im Bereich Z. gearbeitet, da der als Gruppenleiter zuständige Manager sich erst nach Schichtbeginn darüber bewusst geworden sei, dass sie anders zu beschäftigen sei. Dieser Irrtum sei dann schnellstmöglich korrigiert worden. Auch eine abschließende Interessenabwägung sei nicht zugunsten der Klägerin ausgefallen, da das Arbeitsverhältnis seit Beginn ganz erheblich durch die massiven Fehlzeiten der Klägerin geprägt und ein bEM mit anschließender leidensgerechter Beschäftigung erfolglos geblieben sei.

Das Arbeitsgericht hat die Klage mit Urteil vom 29. Juli 2020 abgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der Kündigungsschutzantrag sei unbegründet, der Weiterbeschäftigungsantrag daher nicht zur Entscheidung angefallen. Es sei eine negative Gesundheitsprognose gegeben. Die Fehlzeiten der Vergangenheit indizierten weitere Fehlzeiten in der Zukunft. Entgegen der Auffassung der Klägerin bedürfe es keines dreijährigen Referenzzeitraums. Die Klägerin habe in 2018 78 Tage und in 2019 bis zum Kündigungsausspruch 39 Tage krankheitsbedingt gefehlt, vor ihrer Elternzeit in 2013 53 und in 2014 64 Tage. Die dadurch gegebene Indizwirkung hinsichtlich künftiger Fehlzeiten habe sie nicht erschüttert. Zu ihrer Grunderkrankung sei nicht ersichtlich, warum sie erst nach über fünf Jahren in 2018 – unsubstantiiert vorgetragen: – medikamentös eingestellt worden sein solle. Letztlich komme es darauf jedoch nicht an, weil die Klägerin nicht erläutert habe, warum sie trotz medikamentöser Einstellung in 2019 „wegen der streitgegenständlichen Probleme am Arbeitsplatz“ schon vor Kündigungsausspruch und auch längerfristig wieder erkrankt sei. Die Beklagte habe daher davon ausgehen dürfen, dass die medikamentös gut eingestellte Klägerin, sofern sie am Arbeitsplatz verstärkt unter Druck oder Stress gerate, wieder krankheitsbedingt ausfallen werde, da ihre Autoimmunerkrankung erneut durchbreche. Legitimerweise dürfe der Arbeitgeber davon ausgehen, dass der Arbeitnehmer auch mit Stress und Drucksituationen umgehe und keiner besonderen Schulung bedürfe, andernfalls er umgehend wieder arbeitsunfähig erkranken werde. Hinsichtlich der Atemwegserkrankungen verkenne die Klägerin, dass sie nicht nur „zu Erkältungszeiten“, sondern darüber hinaus und in erheblichen Zeiträumen gefehlt habe, was für eine generelle Krankheitsanfälligkeit spreche. Auch wenn die Fehlzeiten in 2019 bis zum Kündigungszugang knapp unter dem 6-Wochen-Zeitraum lägen, sei eine hinreichende negative Zukunftsprognose gegeben, da die Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung bereits wieder wegen ihres Grundleidens erkrankt gewesen sei und die Erkrankung nach der Kündigung noch 17 Tage und in 2020 noch weitere 36 Tage angehalten habe, womit die Prognose im Kündigungszeitpunkt bestätigt sei. Die betrieblichen Ablaufstörungen lägen in den erheblichen Entgeltfortzahlungskosten. Es sei auch nicht ersichtlich, warum die Kündigung ausnahmsweise unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls unverhältnismäßig sein solle. Der Betriebsrat sei nach dem Grundsatz der subjektiven Determinierung auch dann ordnungsgemäß beteiligt worden, wenn ihm nicht mitgeteilt worden sein sollte, dass die Klägerin erst ab August 2019 aus der Abteilung Z. herausgenommen worden sein solle. Der Umstand sei im Übrigen irrelevant, da die Klägerin trotz fehlender Umsetzung nicht erkrankt gewesen sei. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe wird auf Bl. 197 ff. d. A. verwiesen.

Die Klägerin hat gegen das am 05. August 2020 zugestellte Urteil mit am 25. August 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 24. August 2020 Berufung eingelegt und diese mit Schriftsätzen vom 21. und 29. September 2020, bei Gericht eingegangen am 22. und 29. September 2020, begründet.

Die Klägerin macht zur Begründung ihrer Berufung nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 21. September 2020 (Bl. 228 ff. d. A.) und ihrer Schriftsätze vom 29. September 2020 (Bl. 259 f. d. A.), 04. März 2021 (Bl. 302 d. A.), 11. März 2021 (Bl. 312 f. d. A.), 22. April 2021 (Bl. 321 d. A.) und vom 30. August 2021 (Bl. 386 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens geltend,

das Arbeitsgericht habe zu Unrecht bemängelt, es sei nicht dargelegt worden, warum sie erst nach über fünf Jahren medikamentös hinsichtlich ihres Grundleidens eingestellt worden sei. Die ersten Symptome seien in 2012 aufgetreten. Sie habe immer wieder Schübe bezüglich Hautveränderungen, Gelenkschmerzen und andere Beschwerden erlitten und sei von Arzt zu Arzt gegangen, ohne dass eine genaue Ursache habe gefunden werden können. Sie habe eine Vielzahl von Facharztterminen wahrgenommen, für die sie als Kassenpatienten längere Wartezeiten habe auf sich nehmen müssen. Erst Ende 2013 und Anfang 2014 habe durch eine Hautbiopsie festgestellt werden können, dass eine Vaskulitis vorliege, gegen deren Entzündungen ihr Hausarzt Dr. E. ihr Kortisonpräparate (Prednisolon) in Stoßtherapie verschrieben habe. Dann habe er sie Anfang 2014 mit dem Medikament Methotrexat behandelt, wobei sie die Medikamente auf ärztlichen Rat im Juli 2014 aufgrund ihrer Schwangerschaft habe absetzen müssen. Im März 2015 sei sie Mutter geworden und habe drei Jahre Elternzeit genommen. In dieser Zeit seien lediglich zweimal Entzündungen aufgetreten, die allerdings wesentlich leichter gewesen seien als bisher. Nach ihrem Wiedereinstieg nach der Elternzeit im März 2018 habe sie die Beklagte gebeten, nicht oder gegebenenfalls nur stundenweise in der Abteilung Z. beschäftigt zu werden, da dort größere Gehwege zu bewältigen seien, was für die Entzündungen der Beine kontraproduktiv sei. Die Entzündungen seien wieder aufgetreten, weshalb sie mit einer hohen Dosis Kortison (Prednisolon) habe behandelt werden müssen. Ein nachhaltiger Behandlungserfolg durch Methotrexat sei durch die Schwangerschaft verhindert worden. Das Arbeitsgericht habe verkannt, dass ihr Grundleiden allein wegen der von der Beklagten beabsichtigten Kündigung wieder ausgebrochen sei. Ende November hätten ihr Mitglieder des Betriebsrates gesagt, dass gegen sie eine Kündigung im Gange sei und diese Drucksituation kurz vor Weihnachten für sie als alleinerziehende Mutter habe zu einem Wiederauftreten der Krankheitssymptome geführt, da auch seelische Komponenten Auswirkungen auf das Immunsystem hätten und letztlich auch den rheumatheologischen Krankheitsverlauf verstärken dürften. Relevant sei im Übrigen der Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung. Eine Indizwirkung werde für Fehlzeiten danach nicht gesehen, da diese im Zusammenhang mit der von der Beklagten gewählten Repressalien gestanden hätten. Letztlich dürfte es allerdings bereits deshalb hierauf nicht ankommen, weil bereits im Oktober 2019 Dr. E. veranlasst habe, dass sie in einer Spezialklinik in W-Stadt, einem Vaskulitis-Zentrum, behandelt werde, wobei sie den entsprechenden Termin allerdings erst Ende Februar 2020 (27. Februar bis 05. März 2020) erhalten habe. Mit der stationären Behandlung sei eine besondere Therapiemaßnahme ergriffen worden, die grundsätzlich die Gefahr der Wiederholung ausschließe und die Grunderkrankung somit keine prognosefähige Erkrankung mehr darstelle. Nach dem Klinikaufenthalt sei wieder Methotrexat angesetzt worden. Gleiches gelte für die Arteriitis, welche ebenfalls ganzheitlich im Klinikum W-Stadt mit behandelt worden sei. Durch die eingeleitete Krankenhausbehandlung seien die Fehlzeiten ab dem 28. November 2019 hinsichtlich der sonstigen Dermatomyositis, der Varizen und der Arteriitis abzuziehen. Die Entscheidung des Arbeitsgerichts sei auch unzutreffend, soweit sie sich auf die Fehlzeiten der Klägerin wegen Erkältungskrankheiten und Atemwegserkrankungen beziehe. Ein Großteil der Erkrankungen zumindest für das Jahr 2019, die die Atemwege betroffen hätten, sei bereits deshalb nicht prognosefähig, weil sie auf einer Erkrankungswelle beruht hätten. Tatsächlich habe die Klägerin im November 2019 an einem hartnäckigen Husten gelitten, wobei sogar ein Pilz auf der Zunge festgestellt worden sei und sie habe drei verschiedene Antibiotika nehmen müssen, bis ihr ein bestimmtes geholfen habe. Auch ein Kortisonspray habe sie nehmen müssen. Eine vom Lungenfacharzt festgestellte Hyperreaktivität sei entsprechend behandelt worden, sodass auch insoweit eine Wiederholungsgefahr für die Zukunft gebannt sei. Eine generelle Krankheitsanfälligkeit bestehe bei ihr nicht. Zuletzt hat die Klägerin den sie behandelnden Hausarzt zweitinstanzlich nicht mehr als Zeugen benannt. Zum vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten macht sie geltend, der Gutachter komme zu dem eindeutigen Ergebnis, dass unter Berücksichtigung zeitgemäßer medizinischer Kenntnisse aus rheumatologisch-internistischer Sicht ihre Gesundheitsprognose weder zum jetzigen Zeitpunkt, noch zum Zeitpunkt der Kündigung als negativ zu bezeichnen gewesen sei, nachdem die aus rheumatologisch-internistischer Sicht zur Verfügung stehenden Behandlungsoptionen sowohl medikamentöser Art, als auch im Sinne einer stationären Rehabilitationsmaßnahme bzw. ambulanter rheumatologischer Betreuung bislang nicht ansatzweise ausgeschöpft worden seien. Eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit habe das Gutachten nicht diskutiert, weil eine solche nicht vorliege. Eine Vernehmung ihres behandelnden Hausarztes sei nicht sachgerecht, da dieser nur etwas zu den von ihm diagnostizierten Erkrankungen und zur Dauer der Arbeitsunfähigkeit sagen könne, nichts allerdings im Sinne der Beweisfrage. Das Arbeitsgericht habe auch verkannt, dass sich die Arbeitsunfähigkeitszeiten in den einzelnen Jahren in der entsprechenden Kurve nach unten entwickelt hätten und die für die Entgeltfortzahlung relevanten Fehlzeiten den Sechs-Wochenzeitraum unterschritten. Die Kündigung sei auch unwirksam, da sie unverhältnismäßig sei. Die Beklagte habe das betriebliche Eingliederungsmanagement vorschnell abgebrochen. In der von der Beklagten erstinstanzlich vorgelegten ärztlichen Bescheinigung des Betriebsarztes sei eine Nachuntersuchung im Juni 2020 vorgesehen gewesen. Jedenfalls habe die Beklagte eine Nachuntersuchung durch den arbeitsmedizinischen Dienst veranlassen müssen, spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Arbeitsunfähigkeitszeiten im November 2019 wieder angestiegen seien. Schließlich sei die Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam. In der Betriebsratsanhörung stehe fälschlich, die Klägerin habe eine Einladung der Beklagten zum bEM am 7. Mai 2019 nicht wahrgenommen, was unstreitig nicht richtig sei, da im Einladungsschreiben kein konkreter Termin genannt gewesen sei. Dem Betriebsrat sei der Sachverhalt grob fahrlässig oder vorsätzlich falsch dargestellt worden.

Die Klägerin beantragt,

1. das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 29. Juli 2020 wird abgeändert. Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 02. Dezember 2019 nicht beendet wird.

2. Im Falle des Obsiegens mit dem Antrag zu 1 wird die Beklagte verurteilt, bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Versandmitarbeiterin weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte, die Berufung zurückzuweisen,

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Berufungserwiderung vom 01. Juli 2020 (Bl. 264 ff. d. A.) und ihrer Schriftsätze vom 24. Februar 2021 (Bl. 297 f. d. A.), 27. April 2021 (Bl. 325 d. A.) und vom 13. August 2021 (Bl. 373 d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, und trägt unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens zweitinstanzlich vor,

das Arbeitsgericht habe zu Recht die die negative Prognose stützende weitere Entwicklung nach Kündigungsausspruch in 2019 berücksichtigt. In erster Instanz habe die Klägerin nicht schlüssig dargelegt, durch welche konkreten Therapiemaßnahmen welche Erkrankung behandelt worden sei und auch keine Ausheilung behauptet. Auch in der Berufungsbegründung sei die historische Schilderung ihrer Autoimmunerkrankung undifferenziert. Warum die Behandlung mit Methotrexat geeignet gewesen sei, die Symptome zu bekämpfen und die Arbeitsfähigkeit wiederherzustellen, trage die Klägerin nicht vor. Auch wenn nachvollziehbar sei, dass wegen einer bis 2015 anhaltenden Schwangerschaft das Medikament abzusetzen gewesen sei, erkläre sich nicht, inwieweit die Therapie erfolgreich gewesen sein solle, wenn drei Jahre danach 15 Fehltage auf das Grundleiden zurückzuführen sei. Es verbleibe bei unsubstantiierten Behauptungen der Klägerin. Die erst nach Ausspruch der Kündigung erfolgte Behandlung in W-Stadt, hinsichtlich derer es auch an substantiiertem Vortrag zu den Therapiemaßnahmen fehle, sei unerheblich. Es werde bestritten, dass das Neuauftreten der Dermatomyositis der Klägerin auf die Kündigungssituation zurückzuführen sei. Die Klägerin gebe selbst an, dass auch private Faktoren zu einer Verschlechterung ihres Zustandes geführt hätten. Wenn die Klägerin besonders stressempfindlich sei, sei auch künftig bei besonderen Belastungssituationen mit krankheitsbedingten Fehlzeiten zu rechnen. Dies werde durch den Vortrag der Klägerin bestätigt, dass es ihr – ohne Berufstätigkeit – während der Elternzeit gesundheitlich gut gegangen sei. Auch für die Atemwegserkrankungen sei von einer negativen Prognose auszugehen, denen eine Wiederholungsgefahr immanent sei. Die Einschätzung der Klägerin, durch eine pauschal angeführte Behandlung durch den Lungenfacharzt sei eine Wiederholungsgefahr gebannt, werde entschieden bestritten. Zum vom Berufungsgericht eingeholten Sachverständigengutachten macht die Beklagte geltend, das Ergebnis des Gutachtens stehe den Angaben des Hausarztes der Klägerin im Schreiben vom 20. Februar 2021 (Bl. 295 d. A.), mit dem er seiner zunächst auf Benennung der Klägerin erfolgten Ladung zur mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht entgegengetreten sei, diametral entgegen. Er habe angegeben, dass die Klägerin auch künftig häufig kurz erkranken werde, da sie chronisch krank sei. Als jahrelang behandelnder Arzt der Klägerin habe er einen umfassenden Einblick in deren Krankengeschichte. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb der Gutachter zu einem konträren Ergebnis komme. Es sei ein weiteres unabhängiges Sachverständigengutachten notwendig. Dem eingeholten Sachverständigengutachten sei nicht zu folgen. Der Gutachter führe aus, dass unter körperlicher und psychischer Belastung vermehrt Schübe einer rheumatischen Erkrankung auftreten könnten und es daher denkbar sei, dass auch unter aktuell ausreichend wirksamer Therapie entsprechende Schübe aufgrund neuer Belastung (Arbeitsalltag) bei der Klägerin auftreten. Es sei nicht plausibel, dass er dennoch aufgrund grundsätzlich hypothetisch bestehender weiterer Therapiemöglichkeiten zu dem Ergebnis komme, dass eine negative Prognose nicht gerechtfertigt sei. Dies sei auch im Hinblick auf sämtliche Fehlzeiten und Fehlgründe der Vergangenheit nicht nachzuvollziehen. Das Gutachten sei bereits nicht vollständig, weil der Gutachter eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit der Klägerin nicht in Betracht ziehe. Die Klägerin weise trotz ihrer Behandlung in 2018 und 2019 mit Methotrexat zahlreiche Fehlzeiten aufgrund von Infektionserkrankungen auf, obwohl dieses Medikament nach Darstellung des Gutachters nur ein gering erhöhtes Infektionsrisiko zur Folge habe. Betriebliche Beeinträchtigungen habe das Arbeitsgericht rechtsfehlerfrei bejaht. Das Überwiegen ihres Beendigungsinteresses im Rahmen der Interessenabwägung ergebe sich aus den massiven Fehlzeiten, dem Fehlen einer beanstandungsfreien Beschäftigungszeit, dem Fehlen einer Schwerbehinderteneigenschaft, dem verhältnismäßig jungen Alter der Klägerin und den vergeblichen Bemühungen der Beklagten anlässlich des ordnungsgemäßen bEM. Dass im Juni 2020 eine weitere arbeitsmedizinische Untersuchung ins Auge gefasst gewesen sei, ändere nichts am Abschluss des bEM-Verfahrens, sondern sei ein routinemäßiger Vorgang gewesen. Das Zuwarten um ein Jahr sei ihr auch nicht zuzumuten gewesen. Von einer „Zäsur“ des in zeitlicher Nähe zum Kündigungsausspruch liegenden bEM sei nicht auszugehen. Das Arbeitsgericht habe zutreffend erkannt, dass der Betriebsrat ordnungsgemäß angehört worden sei. Die Fehlangabe zu einem angeblich von der Klägerin nicht wahrgenommenen bEM-Termin am 07. Mai 2019 sei versehentlich erfolgt, was sich bereits daraus ergebe, dass die ausführlichen Erstanschreiben im Betrieb – dem Betriebsrat bekannt – immer ohne Termin erfolgten. Dies sei auch bei der Klägerin so gewesen. Eine Fehlvorstellung sei beim Betriebsrat nicht hervorgerufen worden. Es sei ohnehin ein negativer Eindruck nicht entstanden, da der Hinweis ergangen sei, dass die Klägerin dem bEM zugestimmt habe. Es liege eine vermeidbare und unbewusste Fehlinformation vor, die nicht zur Unwirksamkeit der Betriebsratsanhörung führen könne.

Die Berufungskammer hat aufgrund Beweisbeschlusses vom 09. Februar 2021, zuletzt idF. vom 05. Oktober 2021 (Bl. 290 f. und 395 d. A.) Beweis erhoben zur Behauptung der Beklagten, zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs sei auch künftig mit häufigen Kurzerkrankungen der Klägerin von mehr als sechs Wochen jährlich wie in den Jahren 2014, 2018 und 2019 zu rechnen gewesen, insbesondere aufgrund ihres Grundleidens (Dermatomyositis, Varizen, Arteriitis) und weil aufgrund einer generellen Krankheitsanfälligkeit der Klägerin mit Infektionskrankheiten der oberen Atemwege zu rechnen gewesen sei durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und durch Vernehmung des zuletzt von der Beklagten benannten Hausarztes der Klägerin Dr. E. als sachverständigen Zeugen. Wegen des Inhalts des einholten Sachverständigengutachtens des Dr. med. F. vom 07. Juli 2021 (Bl. 336 ff. d. A.) wird auf den Akteninhalt verwiesen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme durch Vernehmung des sachverständigen Zeugen Dr. E. wird auf die Sitzungsniederschrift vom 05. Oktober 2021 (Bl. 395 ff. d. A.) verwiesen.

Im Übrigen wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

Die Berufung der Klägerin ist zulässig und auch in der Sache erfolgreich.

I. Die Berufung der Klägerin ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG), wurde von der Klägerin nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 05. August 2020 mit am 25. August 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 24. August 2020 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und mit Schriftsätzen vom 21. und 29. September 2020, bei Gericht eingegangen am 22. und 29. September 2020, rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).

II. Die Berufung der Klägerin ist begründet. Das Arbeitsgericht hat die Klage zu Unrecht abgewiesen. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 02. Dezember 2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet und die Klägerin kann ihre Weiterbeschäftigung bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens verlangen. Auf die Berufung der Klägerin war die erstinstanzliche Entscheidung im aus dem Tenor ersichtlichen Umfang abzuändern.

1. Die von der Beklagten aus krankheitsbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung vom 02. Dezember 2019, die die Klägerin innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen hat und welche daher auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen war, hat das Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet. Sie ist – nachdem das Kündigungsschutzgesetz aufgrund Betriebsgröße und Beschäftigungsdauer der Klägerin nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG Anwendung findet – nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

1.1. Eine mit häufigen (Kurz-) Erkrankungen des Arbeitnehmers begründete Kündigung ist sozial nur gerechtfertigt, wenn im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Prognose stützen, es werde auch künftig zu Erkrankungen im bisherigen – erheblichen – Umfang kommen – erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen – zweite Stufe. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber angesichts der Belange des Arbeitnehmers gleichwohl hingenommen werden müssen (vgl. BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 29, 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16; jeweils zitiert nach juris).

1.2. Entgegen der Auffassung des Arbeitsgerichts ist – nach von der Berufungskammer durchgeführter Beweisaufnahme – bereits in der ersten Stufe die von der Beklagten angestellte negative Gesundheitsprognose, auch in Zukunft sei mit Erkrankungen der Klägerin im bisherigen Umfang zu rechnen, nicht berechtigt.

1.2.1. Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (vgl. insgesamt BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 17, mwN, zitiert nach juris). Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich; ist eine Arbeitnehmervertretung gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen. (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 23; 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 32, zitiert nach juris). Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung ist der Zeitpunkt der Kündigungserklärung (BAG 27. Februar 2020 – 8 AZR 215/19 – Rn. 70; 26. Januar 2017 – 2 AZR 61/16 – Rn. 33, 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 32, jeweils zitiert nach juris). Es ist aber – insbesondere, wenn dem Kündigungsgrund ein prognostisches Element innewohnt – nicht unzulässig, die spätere Entwicklung in den Blick zu nehmen, soweit sie die Prognose bestätigt (BAG 23. Januar 2014 – 2 AZR 582/13 – Rn. 32, 13. Mai 2004 – 2 AZR 36/04 – Rn. 27, jeweils zitiert nach juris).

1.2.2. Dies zugrunde gelegt ist das Arbeitsgericht im Ergebnis zunächst zutreffend davon ausgegangen, dass die Beklagte ausreichende Fehlzeiten der Klägerin in der Vergangenheit dargelegt hat, denen eine Indizwirkung hinsichtlich künftiger Fehlzeiten zukommt. Abzustellen ist vorliegend – nachdem Anhaltspunkte, die einen abweichenden kürzeren Referenzzeitraum rechtfertigen würden, nicht gegeben sind – auf die letzten drei Jahre der Beschäftigung der Klägerin. Im Jahr 2014 als letztem Jahr ihrer Tätigkeit vor der Elternzeit war die Klägerin bereits ausweislich ihrer eigenen Aufstellung zu ihren Fehlzeiten (Bl. 129 ff. d. A.) in Übereinstimmung mit den Darlegungen der Beklagten (Bl. 72 d. A.) an 64 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt, wobei die von ihr vorgetragenen Diagnosen überwiegend auf ihrem Grundleiden einer Autoimmunerkrankung beruhten (Vaskulitis, Arteriitis, Krankheit mit Systembeteiligung des Bindegewebes, Dermatomyositis, perophere Gefäßkrankheiten, Gelenkschmerz Knöchel/Fuß) und sie lediglich drei Tage wegen einer Gastroenteritis/Kolitis gefehlt hat. Nach Wiederaufnahme ihrer Tätigkeit im Jahr 2018 fehlte die Klägerin nach dem übereinstimmenden Vortrag der Parteien wegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit an insgesamt 78 Arbeitstagen und zwar an 11 Tagen (01. bis 11. August 2018, 16. und 17. November 2018) wegen einer Dermatomyositis/ Arteriitis/ Krankheit mit Systembeteiligung des Bindegewebes und im Übrigen wegen Infekten der oberen Atemwege. Die Fehlzeiten der Klägerin, die durch häufige Kurzerkrankungen begründet waren, betrugen damit in diesen beiden Jahren mehr als 6 Wochen. Auch in 2019 erreichten die Fehlzeiten der Klägerin wegen häufiger Kurzerkrankungen bis zum Ausspruch der Kündigung ein Ausmaß, das 6 Wochen übersteigt. Zwar hat die Fehlzeit der Klägerin vom 04. bis 18. Mai 2019 (11 Arbeitstage) wegen eines Darmverschlusses mangels Wiederholungseignung außer Betracht zu bleiben, weshalb lediglich 28 Fehltage verbleiben. Allerdings war die Klägerin bereits ab dem 18. November 2018 ua. wegen ihres Grundleidens erkrankt und blieb dies auch nach Ausspruch der Kündigung bis 27. Dezember 2019, so dass die spätere bestätigende Entwicklung der Fehlzeiten im Hinblick auf die anzustellende Zukunftsprognose zu berücksichtigen war.

1.2.3. Die Klägerin hat die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten jedenfalls in der Berufungsinstanz erschüttert.

a) Es bestehen Bedenken, ob das Arbeitsgericht erstinstanzlich zu Recht angenommen hat, die Klägerin habe die Indizwirkung ihrer Fehlzeiten nicht erschüttert und deshalb von der Einholung eines Sachverständigengutachtens abgesehen hat. Hierbei hat es die fallende Tendenz der Grundleiden-bedingten Fehlzeiten der Klägerin und ihr Vorbringen, dieses sei ab 2018 so gut eingestellt gewesen, dass zuletzt bis zum Kündigungszugang (unstreitig) lediglich geringe Fehlzeiten aufgetreten und künftig bei entsprechender Medikation keine Fehlzeiten wie in der Vergangenheit zu erwarten gewesen seien, nicht berücksichtigt. Trägt der Arbeitnehmer selbst konkrete Umstände für seine Beschwerden und deren Ausheilung oder Abklingen vor, so müssen diese geeignet sein, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern; er muss jedoch nicht den Gegenbeweis führen, dass nicht mit weiteren häufigen Erkrankungen zu rechnen sei (BAG 06. September 1989 – 2 AZR 19/89 – Rn. 31, zitiert nach juris). Ähnliches gilt für die vom Arbeitsgericht vorgenommene Bewertung, die Klägerin leide offenbar an einer erhöhten Krankheitsanfälligkeit der oberen Atemwege, weshalb künftig weiter mit Fehlzeiten im Umfang von 2018 zu rechnen sei, obgleich die Klägerin unter Verweis auf ihren behandelnden Hausarzt vorgebracht hat, sie leide nicht unter einer besonderen Krankheitsanfälligkeit und die Fehlzeiten in 2019 insgesamt rückläufig waren. Geht man von ausreichend substantiiertem Vorbringen der Klägerin aus, hätte über die Behauptung der Beklagten, auch in Zukunft sei mit Fehlzeiten der Klägerin im bisherigen Umfang zu rechnen gewesen, Beweis durch Vernehmung des behandelnden Hausarztes und Einholung eines Sachverständigengutachtens erhoben werden müssen, weil dem Arbeitsgericht die eigene Sachkunde für die medizinische Beurteilung fehlte (vgl. BAG 16. August 1990 – 2 AZR 174/90 – Rn. 30, zitiert nach juris).

b) Ungeachtet dessen ist es der Klägerin jedenfalls im Berufungsverfahren gelungen, die Indizwirkung ihrer Fehlzeiten in der Vergangenheit für die Zukunft zu erschüttern. Sie hat in der Berufungsbegründungsschrift vorgetragen, bereits vor Ausspruch der Kündigung habe ihr behandelnder Hausarzt Dr. E. im Oktober 2019 als besondere Therapiemaßnahme veranlasst, dass sie wegen ihrer Grunderkrankung im Vaskulitis-Zentrum W-Stadt behandelt werde, wobei sie den Termin dort jedoch erst Ende Februar 2020 erhalten habe. Mit dem stationären Aufenthalt vom 27. Februar 2020 bis 05. März 2020 seien ihre Grundleiden so therapiert worden, dass die Gefahr der Wiederholung ausgeschlossen werde. Dieses Vorbringen der Klägerin ist im Hinblick auf ihre Grunderkrankung geeignet, die negative Zukunftsprognose durch die Fehlzeiten in der Vergangenheit zu erschüttern, obgleich der Klinikaufenthalt erst nach Ausspruch der Kündigung stattgefunden hat. Sprechen schon im Zeitpunkt der Kündigung – wie vorliegend die vom behandelnden Arzt im Oktober 2019 veranlasste Einweisung in die Spezialklinik – objektive Umstände dafür, dass die Arbeitsunfähigkeit möglicherweise von absehbarer Dauer sein wird, kann keine negative Prognose gestellt werden (vgl. zur dauerhaften Erkrankung: BAG 21. Februar 2001 – 2 AZR 558/99 – Rn. 21, zitiert nach juris). Soweit die Klägerin im Berufungsverfahren geltend gemacht hat, die vom Lungenfacharzt festgestellte Hyperreagilibität sei ebenfalls so behandelt worden, dass mit den erkältungsbedingten Ausreißern nach oben nicht mehr zu rechnen sei, vermag auch dieser Vortrag die negative Zukunftsprognose zu erschüttern. Die Berufungskammer war in Ermangelung eigener medizinischer Sachkunde im Hinblick auf die Frage einer negativen Zukunftsprognose für die Klägerin gehalten, in eine Beweisaufnahme durch Einholung eines medizinischen Sachverständigengutachtens und ergänzender Vernehmung des zuletzt von der Beklagten gegenbeweislich benannten Hausarztes der Klägerin als sachverständigem Zeugen einzutreten.

1.2.4. Nach durchgeführter Beweisaufnahme unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen steht zur Überzeugung der Berufungskammer gemäß § 286 Abs. 1 Satz 1 ZPO fest, dass die nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG zur sozialen Rechtfertigung erforderliche negative Gesundheitsprognose bei der Klägerin zum Zeitpunkt des Kündigungszugangs nicht vorgelegen hat. Es war am 02. Dezember 2019 künftig nicht mit häufigen Kurzerkrankungen der Klägerin von jährlich insgesamt mehr als sechs Wochen zu rechnen.

a) Der Gutachter Dr. med. F. kam in seinem Sachverständigengutachten vom 07. Juli 2021 (im Folgenden: SVG) zu dem Schluss, dass aus rheumatologisch-internistischer Sicht die Gesundheitsprognose der Klägerin zum Zeitpunkt der Kündigung nicht als negativ bezeichnet werden kann. Er hat zur Erstellung seines ausführlichen Gutachtens die Klägerin am 11. Juni 2021 persönlich eingehend untersucht, eine Anamnese (einschließlich Sozialanamnese) erstellt (S. 2, 3 SVG), ihren beruflichen Werdegang, ihre derzeitige Medikation und den Krankheitsverlauf erfragt (S. 4 – 6 SVG) und eine eingehende körperliche Untersuchung vorgenommen (S. 7 f. SVG). Weiter hat der Gutachter eine laborchemisch-immunologische Diagnostik betrieben (S. 9 SVG) und von der Klägerin mitgebrachte medizinische Befunde ausgewertet (S. 10 f. SVG). Im Anschluss hat er zum Krankheitsbild der Klägerin – teilweise unter Einschränkung der Diagnosen des behandelnden Hausarztes der Klägerin – dahingehend Stellung genommen, dass er davon ausgeht, dass die Klägerin unter einer leukozytoklastischen Vaskulitis der Haut leidet, Verdacht auf eine unklassifizierbare, bisher nicht manifeste Kollagenose mit Raynaud-Syndrom, Arthralgien und auffälliger Kapillarmikoskopie besteht, ein hyperreagibles Bronchialsystem und Nikotinabusus vorliegt. Soweit der Klägerin von ihrem Hausarzt abweichend davon Dermatomyositis und Arteriitis bescheinigt worden ist, hat der Gutachter festgestellt, diese Diagnosen sachlich nicht nachvollziehen zu können und diese als Schübe der gesicherten Vaskulitis bzw. Kollagenose zugeordnet. Er hat sodann widerspruchsfrei und nachvollziehbar dargelegt, dass Autoimmunerkrankungen wie die der Klägerin durch die Fehlregulation des Immunsystems für sich genommen mit einer erhöhten Anfälligkeit für Infekte einhergehen und auch die Therapie zu einer erhöhten Infektanfälligkeit führen kann, dass insbesondere der Einsatz von Glukokortikoiden (Prednisolon) in höheren Dosierungen eines der größten Infektionsrisiken darstellen und Tagesdosen von 10 mg Prednisolon und mehr zu einem mehr als verdoppelten Risiko für schwere Infektionen führen. Werde die Erkrankung hochdosiert mit Glukokortikoiden behandelt, führe dies zwar zu einer raschen Kontrolle der Erkrankung, in der Folge jedoch zu einer entsprechenden Infektanfälligkeit und bei wiederholtem Vorgehen resultiere ein Circulus vitiosus. Übliche Therapiestrategien hätten zum Ziel, durch Einsatz spezifischer Medikamente, zB Methotrexat, das Immunsystem so zu regulieren, dass die Einnahme von Glukokortikoiden (Prednisolon) entweder komplett vermieden werde oder nicht mehr als 5 mg/Tag liege. Auch wenn bei der Verwendung klassischer immunmodulatorischer Therapien wie zB Methotrexat möglicherweise ein leicht erhöhtes Risiko für Infektionen vorhanden sei, sei dieses durch die adäquate Kontrolle der entzündlichen Aktivität und das Vermeiden höherer Dosen von Glukokortikoiden aufgehoben und es gebe bezüglich des allgemeinen Infektionsrisikos nur eine geringe Erhöhung gegenüber der Allgemeinbevölkerung. Der Gutachter hat festgestellt, dass bei der Klägerin lange Zeit keine adäquate medikamentöse Therapie erfolgt und die erste rheumatologische Beurteilung erst während des stationären Aufenthalts (in W-Stadt) vorgenommen worden ist. Nachdem das zwar Jahre zuvor eingesetzte Methotrexat wegen der Schwangerschaft der Klägerin abgesetzt worden sei, sei es aufgrund der Schübe der rheumatischen Erkrankung zum Einsatz von Prednisolon (mit einer von der Klägerin eingangs geschilderten Anfangsdosis 50 mg/Tag) gekommen, was wiederum zu infektiösen Komplikationen geführt habe und einen Großteil der Arbeitsunfähigkeitszeiten erkläre. Mit der adäquaten stabilen immunmodulatorischen moderaten Therapie, die die Klägerin nunmehr aktuell erhalte, könnten über 80 % der Fehlzeiten nach Einschätzung des Gutachters vermieden werden und zwar auch dann, wenn man davon ausgehe, dass unter körperlicher und psychischer Belastung vermehrt Schübe einer rheumatischen Erkrankung aufträten, da noch diverse Möglichkeiten zum Therapieausbau ohne die Gefahr schwerer infektiöser Komplikationen bestünden.

b) Aufgrund dieser plausiblen Darstellungen und Erläuterungen des Gutachters geht die Berufungskammer davon aus, dass zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht mit künftigen Fehlzeiten der Klägerin wie in der Vergangenheit zu rechnen war. Der Gutachter hat zunächst nachvollziehbar den Krankheitsverlauf der Klägerin im Zusammenhang mit den ergriffenen Therapiemaßnahmen erläutert. Im Jahr 2014 gehen die Fehlzeiten der Klägerin überwiegend auf Erkrankungen im unmittelbaren Zusammenhang mit ihrer Autoimmunerkrankung zurück. Im Jahr 2014 wurde die Klägerin zunächst mit Prednisolon, dann erfolgreich mit Methotrexat behandelt, jedoch nur bis Juli 2014, da die Therapie wegen ihrer Schwangerschaft unterbrochen werden musste. Dies erklärt, dass es folgerichtig im Verlauf von 2014 wieder vermehrt zu Ausbrüchen im Zusammenhang mit ihrem Grundleiden kam. In den Jahren 2018 und 2019 lagen solche Krankheiten nur in geringem Umfang vor, dafür jedoch Infekte der oberen Atemwege. Nachdem die Klägerin im Termin zur mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer am 05. Oktober 2021 ausdrücklich und unwidersprochen klargestellt hat, dass sie in den Jahren 2018 und 2019 – vom sachverständigen Zeugen Dr. E. bestätigt – erneut in Stoßtherapie mit hohen Dosen Prednisolon (50 mg/Tag als Anfangsdosis) behandelt worden ist, erklärt sich nach den einleuchtenden Erläuterungen des Sachverständigen Dr. F., dass diese hohe Dosis eines Glukokortikoids zwar zu einer jeweils raschen Eindämmung der Erkrankungen im direkten Zusammenhang mit dem Grundleiden führte, jedoch weitergehend zur Folge hatte, dass bei der Klägerin aufgrund ihrer durch die Therapie erhöhten – und nicht durch eine allgemeine – Infektanfälligkeit gehäuft Infektionskrankheiten der oberen Atemwege auftraten und es aufgrund einer Stresssituation im Zusammenhang mit der streitgegenständlichen Kündigung zudem erneut zusätzlich zum Ausbrechen der Grunderkrankung kam. Erstmals nach ihrem stationären Aufenthalt in der Fachklinik – Vaskulitis-Zentrum – W-Stadt Ende Februar bis Anfang März 2020 wurde bei der Klägerin Ende April 2020 eine dauerhafte, angemessene immunmodulatorische Therapie mit Methotrexat eingeleitet, die nach den Ausführungen des Sachverständigen Dr. F. derzeit moderat dosiert ist und daher bei Verschlechterung der gesundheitlichen Situation noch ausgebaut werden kann. Auch wenn dieser Therapie-Erfolg bei der Klägerin erst im Frühjahr 2020 eingetreten ist, ist der zugrundeliegende Therapieansatz infolge der rheumatologischen Beurteilung in der Spezialklinik, der eine negative Gesundheitsprognose der Klägerin bereits ausschließt, von der Berufungskammer zu berücksichtigen. Unstreitig hat der behandelnde Hausarzt der Klägerin Dr. E. den stationären Aufenthalt bereits im Oktober 2019 und damit weit vor Zugang der Kündigung angestoßen und es kam lediglich deshalb zu einer verzögerten Behandlung der Klägerin, weil diese auf einen Therapie-Platz in der Fachklinik warten musste.

Die Aussage des zuletzt von der Beklagten als sachverständigen Zeugen benannten behandelnden Hausarztes der Klägerin Dr. E. führt nach der Überzeugung der Berufungskammer nicht zu einem abweichenden Ergebnis. Zwar hat der Zeuge bei seiner Vernehmung im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 05. Oktober 2021 bekundet, es sei immer wieder mit Krankheiten der Klägerin aufgrund ihrer immunologischen Grunderkrankung zu rechnen. Dass die Klägerin an einer immunologischen Grunderkrankung leidet, die – anders als bei Menschen ohne chronische Erkrankung – auch in Zukunft die Gefahr krankheitsbedingter Ausfälle mit sich bringen kann, ist zwischen den Parteien jedoch grundsätzlich nicht streitig. Die Beweisfrage, dass auch in Zukunft mit krankheitsbedingten Ausfallzeiten von mehr als sechs Wochen zu rechnen ist, konnte der Zeuge angesichts seiner durchgeführten Therapiemaßnahmen auf ausdrückliches Befragen der Vorsitzenden demgegenüber nicht bejahen und hat ausgesagt, er könne nicht konkret sagen, dass die Klägerin künftig vier, sechs oder acht Wochen erkranken werde, da das von Mensch zu Mensch verschieden sei und von unterschiedlichen Faktoren abhänge. Der Zeuge wurde nicht als Sachverständiger aufgrund seines Fachwissens um Schlussfolgerungen gebeten, sondern hat bei seiner Vernehmung – wenn auch aufgrund sachverständiger Kenntnisse – lediglich im Zusammenhang mit seiner bei der Klägerin vorgenommenen Behandlung eigene Wahrnehmungen von Tatsachen bekundet. Soweit er hierbei ergänzend angegeben hat, es könne sowohl im Zusammenhang mit Prednisolon, als auch bei Methotrexat-Gaben möglicherweise zu erhöhten Infektanfälligkeiten kommen, steht dies im Einklang mit den Ausführungen des sachverständigen Gutachters Dr. F., der ein (nur) leicht erhöhtes Risiko für Infektionen bei Methotrexat-Therapien festgehalten hat, welches jedoch durch das Vermeiden höherer Dosen von Glukokortikoiden aufgehoben werde. Dass der Zeuge Dr. E. einen derartigen Schluss nicht gezogen hat, liegt in der Natur seiner lediglich zeugenschaftlichen Vernehmung zu von ihm wahrgenommenen Tatsachen, da er die Klägerin bis zum Aufenthalt in der Fachklinik zuletzt in den Jahren 2018 und 2019 selbst gerade nicht mit Methotrexat behandelt hat. Selbst wenn er an dieser Stelle fachlich – stillschweigend – anderer Auffassung als der Sachverständige gewesen sein und die Infektanfälligkeit bei Gabe beider Medikamente als gleich hoch betrachten sollte, obliegt die Bewertung der vorliegenden Tatsachen nicht dem sachverständigen Zeugen, sondern dem sachverständigen Gutachter im Rahmen seiner Aufgabe, dem Berufungsgericht die für die Entscheidung notwendigen Einschätzungen zur Verfügung zu stellen (vgl. LAG Rheinland-Pfalz 10. Januar 2008 – 11 Sa 579/07 – Rn. 132, zitiert nach juris). Auch wenn die chronisch obstruktive Lungenerkrankung der Klägerin, die auch der Sachverständige in sein Gutachten aufgenommen hat, Atemwegserkrankungen begünstigen kann, hat der Zeuge nicht aufgrund von ihm wahrgenommener Tatsachen nachvollziehbar bekundet, warum bei der Klägerin wie von ihm ausgesagt „unabhängig von den Ursachen eine grundsätzlich erhöhte Infektanfälligkeit“ vorliegen soll. Die Berufungskammer folgt daher aus den bereits dargestellten Gründen dem ausführlich begründeten Sachverständigengutachten, nach dem die erhöhte Infektanfälligkeit der Klägerin in der Vergangenheit überwiegend durch die ergriffenen Therapiemaßnahmen ausgelöst wurde. Soweit die Beklagte im Termin zur mündlichen Verhandlung Bedenken hinsichtlich der Glaubwürdigkeit des von ihr benannten Zeugen daraus abgeleitet hat, dass die Klägerin während der Zeit im Warteraum dem Zeugen das Gutachten des Sachverständigen zur Verfügung gestellt und ein reger Austausch zwischen der Klägerin und dem Zeugen stattgefunden habe, vermochte sich die Berufungskammer dem nicht anzuschließen. Der Zeuge hatte zum einen während seiner Aussage angesichts des Zeitablaufs Schwierigkeiten, sich an Einzelheiten ohne Zuhilfenahme seiner mitgebrachten Unterlagen (IPad) zu erinnern, so dass eine Informationsweitergabe zugunsten der Klägerin, wie durch die Beklagtenseite befürchtet, jedenfalls nicht ausführlich erfolgt sein kann. Zum anderen erwies sich die Zeugenaussage inhaltlich in keiner Weise als parteiisch in Bezug auf die Klägerin als Patientin des sachverständigen Zeugen. Die Ausführungen des Sachverständigengutachtens konnte der Zeuge, der bekundet hat, es „überflogen“ zu haben, ersichtlich aufgrund der Kürze der Zeit nicht vollumfänglich durchdringen, nachdem er angegeben hat, der Gutachter habe sich mit der immunologischen Grunderkrankung der Klägerin nicht befasst, was nicht den Tatsachen entspricht. Auch hieraus lässt sich eine fehlende Glaubwürdigkeit des Zeugen nicht herleiten.

c) Die Einwendungen der Beklagten gegen das Gutachten des Sachverständigen Dr. F. stellen dessen Schlussfolgerungen nicht in Frage, insbesondere war die Einholung eines weiteren sachverständigen Gutachtens angesichts der durchweg nachvollziehbaren und folgerichtigen Ausführungen des Sachverständigen Dr. E. nicht angezeigt. Aus welchen Gründen der Gutachter zu einem abweichenden Ergebnis kommt als der Zeuge Dr. E. wurde bereits ausführlich gewürdigt (vgl. A II 1.2.4. a) und b)). Soweit die Beklagte bemängelt, auch der Gutachter gehe davon aus, dass mit weiteren Fehlzeiten bei Stress oder aus ähnlichen Gründen zu rechnen sei, übersieht sie, dass das Gutachten plausibel darlegt, dass aufgrund der nunmehr erstmals dauerhaft durchgeführten immunmodulatorischen Therapie auch Erkrankungen aufgrund derartiger Ereignisse erfolgversprechend behandelt werden können, da die Therapie bislang nur moderat erfolgt und noch weitere Optionen beinhaltet, so dass jedenfalls mit Fehlzeiten im Umfang der Vergangenheit nicht zu rechnen ist. Wenn die Beklagte beanstandet, der Gutachter habe eine allgemeine Krankheitsanfälligkeit der Klägerin nicht in Betracht gezogen, ergibt sich Gegenteiliges aus der laborchemischen-immunologischen Diagnostik (S. 9 SVG, Bl. 344 d. A.), der zufolge die Untersuchung keinen Hinweis auf einen klassischen Immundefekt ergeben hat, der eine Infektanfälligkeit bedingen würde. Soweit die Beklagte schließlich anführt, auch unter Behandlung mit Methotrexat sei es in den Jahren 2018 und 2019 zu zahlreichen Arbeitsunfähigkeiten gekommen, hat sie zuletzt – nach Klarstellung durch die Klägerin in Übereinstimmung mit den Angaben des Zeugen Dr. E. unter Berücksichtigung seiner Behandlungsunterlagen – nicht in Abrede gestellt, dass in 2018 und 2019 eine Behandlung mit Methotrexat tatsächlich nicht stattgefunden hat.

1.3. Nachdem es bereits an einer negativen Zukunftsprognose der Klägerin iSd. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG fehlt, kommt es darauf, ob die weiteren Voraussetzungen für eine soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung vorlagen, nicht mehr entscheidungserheblich an, auch nicht ob die Beklagte ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) nach § 167 Abs. 2 SGB IX durchgeführt hat. Ebenso kann dahinstehen, ob die Kündigung wegen nicht ordnungsgemäßer Anhörung des Betriebsrates nach § 102 Abs. 1 Satz 3 BetrVG unwirksam war. Die Kündigung der Beklagten vom 02. Dezember 2019 hat das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht wirksam beendet.

2. Da das Arbeitsverhältnis nicht durch die streitgegenständliche Kündigung beendet worden ist, hat die Klägerin bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens einen Anspruch, zu unveränderten Arbeitsbedingungen weiter beschäftigt zu werden gemäß §§ 611, 242 BGB, Art. 1 und 2 GG (vgl. BAG GS 27. Februar 1985 – GS 1/84).

B

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

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