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Krankheitsbedingte Kündigung bei häufigen Kurzerkrankungen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 6 Sa 124/20 – Urteil vom 26.01.2021

I. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 19. Februar 2020 – Az.: 4 Ca 2571/19 – wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

II. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen auf krankheitsbedingte Gründe gestützten Kündigung.

Der 1964 geborene, ledige Kläger, dem ein Grad der Behinderung von 50 zuerkannt ist, ist bei der Beklagten seit dem 5. Mai 1987 auf der Grundlage des schriftlichen Arbeitsvertrags vom gleichen Tag (Bl. 4 ff. d. A) als Produktionsmitarbeiter in A-Stadt beschäftigt. Er bezieht zuletzt eine Bruttomonatsvergütung von durchschnittlich 3.900,00 Euro.

Die Beklagte betreibt ein Maschinenbauunternehmen mit weltweit etwa 6.000 Arbeitnehmern. Im Betrieb A-Stadt beschäftigt die Beklagte weit mehr als zehn Arbeitnehmer mit Ausnahme der Auszubildenden. Es sind ein Betriebsrat und eine Schwerbehindertenvertretung gewählt.

Seit dem Jahr 2014 hatte der Kläger folgende krankheitsbedingten Fehlzeiten an von der Beklagten im Einzelnen nach Beginn und Ende dargestellten Daten (vgl. Bl. 37 ff. d. A):

  • 2014:  56 Arbeitstage
  • 2015:  61,71 Arbeitstage
  • 2016:  44 Arbeitstage
  • 2017:  52 Arbeitstage
  • 2018:  92,68 Arbeitstage
  • 2019 (bis 19. Juni 2019): 66 Arbeitstage

Die Fehltage des Klägers beruhten überwiegend auf Kurzerkrankungen, bei denen es sich nicht um Folgeerkrankungen handelte. Der Kläger leidet an Diabetes mellitus und erkrankte in den Jahren von 2017 bis 2019 zudem an verschiedenen Krankheiten von Rückenbeschwerden bis zu Infektionen der oberen Atemwege oder Bronchitis (vgl. Diagnosen gemäß Mitteilung der Krankenkasse des Klägers vom 30. Dezember 2019, Bl. 76 d. A). Im Jahr 2018 fehlte der Kläger an 29 Arbeitstagen wegen einer 30-tägigen Rehabilitationsmaßnahme aufgrund seiner Diabetes-Erkrankung. Ob die Fehltage vom 21. Juni bis 18. Juli 2017 und vom 04. Oktober bis 14. Oktober 2017 auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen sind, ist zwischen den Parteien streitig. Die Beklagte leistete an den Kläger im Zeitraum vom 01. Januar 2014 bis 19. Juni 2019 Entgeltfortzahlung in Höhe von insgesamt 71.305,74 Euro brutto wie folgt:

  • 2014: 10.270,28 Euro
  • 2015: 11.438,35 Euro
  • 2016: 8.435,56 Euro
  • 2017: 9.920,85 Euro
  • 2018: 17.846,38 Euro
  • 2019 (bis 19. Juni): 13.394,33 Euro

Seit Juli 2015 wird der Kläger nach vorangegangenen Gesprächen infolge seiner gesundheitsbedingten Einschränkungen am Arbeitsplatz „Entstücken Nislide Salz“ (ohne Besteigung der Öfen) in Wechselschicht mit Nachtschicht beschäftigt. Nach dem Reha-Entlassungsbericht vom 26. Juli 2018 konnte der Kläger noch als Produktionsmitarbeiter mit mehr als 6 Stunden täglicher Arbeitszeit und mehr mit mittelschweren Tätigkeiten überwiegend im Stehen, im Gehen und im Sitzen eingesetzt werden, in Tagschicht, in Früh- und Spätschicht und in Nachtschicht. Zuletzt kann der Kläger aus gesundheitlichen Gründen keine Tätigkeit mit überwiegendem Sitzen mehr verrichten. Der Arbeitsplatz, den der Kläger seit 2015 innehat, erfüllt das Leistungsprofil aus dem Reha-Entlassungsbericht vom 26. Juli 2018 und verlangt kein überwiegendes Sitzen. Der Kläger nutzt zuletzt an seinem Arbeitsplatz – wie andere Mitarbeiter mit entsprechendem Bedarf auch – einen speziell angepassten Gehörschutz, sowie für ihn angefertigte Sicherheitsschuhe und die betriebsübliche Handcreme. Er trägt von ihm privat angeschaffte Kompressionsstrümpfe. Im Betrieb werden Hebekräne verwendet, da Gewichte von über 100 kg zu bewegen sind.

Die Beklagte lud den Kläger mit verschiedenen Einladungen im Zeitraum von Ende 2015 bis Mitte 2018 zu Gesprächen über ein betriebliches Eingliederungsmanagement (bEM) ein. Der Kläger, der in Abrede stellt, alle Einladungen erhalten zu haben, nahm keine Einladung wahr. Mit Schreiben vom 20. August 2018 (Bl. 50 – 52 ff. d. A) bot die Beklagte dem Kläger ein Gespräch im Rahmen des bEM an, auf das der Kläger nicht reagierte. Wegen der Einzelheiten des Anschreibens nebst Anlagen wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Am 07. Januar 2019 beantragte der Kläger gemäß der im Betrieb geltenden Betriebsvereinbarung BV 141 Schichtbetrieb/ 7 Tage-Modell mit Bringeschichten (Bl. 94 ff. d. A., im Folgenden: BV 141), unverzüglich auf seine Bringschichten im Rahmen der 7-Tage-Woche zu verzichten und seine Arbeitszeit auf 32,6 Wochenstunden zu verkürzen. Ein Personalgespräch Anfang Februar 2019, zu dem der Kläger eingeladen war, sagte er ab. Zu einem weiteren Termin am 19. März 2019 erschien der Kläger nicht.

Am 17. Juni 2019 fand ein Personalgespräch zwischen dem Kläger und der Beklagten statt, an welchem neben drei Vertretern der Beklagten auch die Schwerbehindertenvertretung und ein Mitglied des Betriebsrats teilnahmen (Bl. 41 d. A). Dem Kläger wurde ein ausschließlicher Einsatz in der Frühschicht angeboten, was der Kläger ablehnte. Der Kläger erklärte sich bereit, ein Gespräch mit der Betriebsärztin der Beklagten Dr. Z. zu führen, welches noch am selben Tag stattfand. Den Verhaltensempfehlungen der Betriebsärztin zur Gesundheitsvorsorge, das Rauchen einzustellen, Sport zu machen, viel an die frische Luft zu gehen und abzunehmen, vermochte sich der Kläger nicht anzuschließen.

Mit E-Mail vom 26. Juni 2019 (Bl. 56 ff. d. A) hörte die Beklagte die Schwerbehinder-tenvertretung zur beabsichtigten Kündigung des Klägers an. Wegen des Inhaltes des Anhörungsschreibens wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Die Beklagte beantragte mit Schreiben vom 26. Juni 2019, eingegangen am 05. Juli 2019, beim Landesamt für Soziales, Jugend und Versorgung – Integrationsamt – (im Folgenden: Integrationsamt) die Zustimmung zur ordentlichen Kündigung des Klägers aus krankheitsbedingten Gründen. Das Integrationsamt, welches zur Sachverhaltsermittlung ua. eine schriftliche Stellungnahme der Betriebsärztin der Beklagten vom 02. August 2019 (Bl. 46 ff. d. A.) eingeholt hatte, erteilte die Zustimmung zur Kündigung mit Bescheid vom 15. August 2019 (Bl. 17 ff. d. A.). Wegen der Einzelheiten der Begründung des Bescheides einschließlich der Stellungnahme der Betriebsärztin wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Mit vom 08. August 2019 datierendem Schreiben (Bl. 54 d. A.) hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten ordentlichen, fristgerechten Kündigung des Klägers an. Der Betriebsrat quittierte den Empfang des Schreibens unter dem 07. August 2019. Hinsichtlich des Inhaltes des Anhörungsschreibens wird auf den Akteninhalt verwiesen.

Mit Schreiben vom 15. August 2019, dem Kläger zugegangen am selben Tag, erklärte die Beklagte die Kündigung des Arbeitsverhältnisses zum 31. März 2020.

Mit am 3. September 2019 beim Arbeitsgericht Koblenz eingereichter Kündigungsschutzklage wendet sich der Kläger gegen die Kündigung.

Der Kläger hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, die Fehltage seien zutreffend, allerdings seien die Fehltage vom 21. Juni bis 18. Juli 2017 und vom 04. bis 14. Oktober 2017 auf einen Arbeitsunfall zurückzuführen, da er umgeknickt und gestürzt sei und sich einen zwischenzeitlich verheilten Haarriss am Steißbein und eine Verletzung am Fußgelenk zugezogen habe (vgl. Bl. 65 ff. d. A.). Seine Gesundheitsprognose sei nicht eindeutig negativ, da sich sein Blutzucker positiv entwickele und bei seiner letzten Untersuchung am 18. November 2019 bei 9,8% Hb gelegen habe (vgl. Bl. 67 ff. d. A.). Die Beklagte habe aus unbekannten Gründen entgegen seines Antrags seine Arbeitszeit nicht verkürzt. Die angebotene Frühschicht hätte zu einer Verlängerung seiner Arbeitszeit von 35 auf 37,5 Wochenstunden geführt. Das bEM-Einladungsschreiben vom 20. August 2018 habe er nur in Gestalt des dreiseitigen Anschreibens erhalten – weitere Anlagen seien nicht beigefügt gewesen. Das von der Beklagten behauptete Erinnerungsschreiben vom 10. September 2018 habe er nicht erhalten. Die bEM-Einladungen seien nicht ordnungsgemäß gewesen, da ein Hinweis auf das Hinzuziehen der Rehabilitationsträger, Betriebsärzten, Arbeitssicherheitsfachkräften und des Integrationsamtes gefehlt habe. Außerdem habe das Schreiben die Freiwilligkeit des Gesprächs betont und keinerlei Erklärung über Konsequenzen bei seiner Verweigerung und auch keinen Hinweis zur Datenerhebung und den Zielen des bEM beinhaltet.

Der Kläger hat beantragt, es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die ordentliche Kündigung vom 15. August 2019 nicht zum 31. März 2020 aufgelöst wird und das Arbeitsverhältnis unverändert fortbesteht.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage wird abgewiesen.

Die Beklagte hat erstinstanzlich im Wesentlichen vorgetragen, der Arbeitsunfall als Ursache für die Fehlzeiten vom 26. Juni bis 18. Juli 2017 werde bestritten, er ergebe sich nicht aus der Personalakte. Auch beim Herausrechnen der Fehlzeit verbleibe eine Fehlzeit von 63,68 Arbeitstagen. Die Behauptung des Klägers, sein Blutzucker entwickele sich positiv, könne anhand der von ihm vorgelegten Protokolle und des Wiederanstiegs in der Vergangenheit nicht nachvollzogen werden, von einem gut eingestellten Diabetes könne in 2018 und 2019 jedenfalls nicht ausgegangen werden. Die krankheitsbedingte Kündigung sei wegen der zu erwartenden weiteren hohen Lohnfortzahlungskosten gerechtfertigt. Auch sei mit Blick auf die zu erwartenden weiteren Fehlzeiten ein reibungsloser Betriebsablauf in keiner Weise gewährleistet. Beim Antrag des Klägers vom 07. Januar 2019 habe es ich um einen Antrag im Zusammenhang mit der BV 141 zur Umsetzung des TV T-ZUG der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz gehandelt, nicht um einen Antrag nach dem TzBfG. Alle seitens der Beklagten gemachten Angebote habe der Kläger bekanntermaßen abgelehnt. Der Kläger habe das Procedere beim bEM aus der Vergangenheit gekannt. Auch sei ihm mit Erinnerungsschreiben vom 10. September 2018 (Bl. 53 d. A.) eine Erläuterung versprochen worden, auch zu diesem Termin sei der Kläger aber nicht erschienen. Es sei unerheblich, ob die bEM-Einladungsschreiben formal ordnungsgemäß seien, denn auch nach Einschätzung der Betriebsärztin Dr. Z. vom 2. August 2019 (auszugsweise vorgelegt: Bl. 46 ff. d. A.) werde der Kläger bereits seit dem Jahr 2015 an einem für ihn „leidensgerechten Arbeitsplatz“ eingesetzt. Betriebsrat und Schwerbehindertenvertretung seien ordnungsgemäß angehört worden. Der Betriebsrat habe der Kündigung nicht widersprochen und keine Stellungnahme im Verfahren vor dem Integrationsamt abgegeben. Die Schwerbehindertenvertretung habe die Leidensgerechtigkeit des Arbeitsplatzes des Klägers bestätigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage mit Urteil vom 19. Februar 2020 stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, der zulässige Kündigungsschutzantrag sei begründet. Ob der Betriebsrat ordnungsgemäß beteiligt sei, lasse sich dem Vortrag der Beklagten nicht mit der nötigen Sicherheit entnehmen, da es einige Fragen aufwerfe, dass das Anhörungsschreiben vom „08. August 2019“ datiere, die Kündigung aber bereits vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG am 15. August 2019 ausgesprochen worden sei. Die Schwerbehindertenvertretung sei ordnungsgemäß angehört worden. Die nach § 168 SGB IX notwendige Zustimmung des Integrationsamtes sei zwar eingeholt worden, allerdings habe die Beklagte nichts zu den notwendigen zeitlichen Abläufen am 15. August 2019, was die Klageerwiderung zusätzlich schmälere, da die Zustimmung vor Ausspruch der Kündigung erteilt sein müsse, vorliegend dem Vortrag der Beklagten aber nicht entnommen werden könne, ob dies der Fall gewesen sei. Die Kündigung sei zudem unverhältnismäßig. Zwar sei eine negative Zukunftsprognose gegeben. Auch würden die betrieblichen Interessen der Beklagten durch die zu erwartenden krankheitsbedingten Fehlzeiten allein schon durch die zu erwartenden hohen Kosten der Entgeltfortzahlung von mehr als sechs Wochen beeinträchtigt. Ausnahmsweise sei im Rahmen einer umfassenden Interessenabwägung eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu verneinen, wenn die künftig zu erwartenden Ausfallzeiten durch andere geeignete und mildere Mittel als eine Kündigung vermieden oder erheblich reduziert werden könnten. Zur Ermittlung solcher Maßnahmen sei das betriebliche Eingliederungsmanagement nach § 167 Abs. 2 Satz eins SGB IX vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung durchzuführen, wenn der Arbeitnehmer – wie vorliegend der Kläger – innerhalb eines Jahres mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig gewesen sei. Die Beklagte habe vorliegend mit Schreiben vom 20. August 2018 kein ordnungsgemäßes bEM eingeleitet. Die Zustimmung des Integrationsamts im Bescheid vom 15. August 2019 helfe über die fehlerhafte Einleitung des bEM-Verfahrens nicht hinweg, da das Integrationsamt offenbar nicht im erforderlichen Umfang geprüft habe, ob Möglichkeiten einer alternativen Beschäftigung vorlägen. Angesichts des fehlerhaft eingeleiteten bEM könne sich die Beklagte nicht pauschal darauf berufen, ihr seien keine alternativ der Erkrankung angemessene Einsatzmöglichkeiten bekannt. Sie habe auch darlegen müssen, dass auch bei Beiziehung der gesetzlich vorgesehenen Hilfen zur medizinischen Rehabilitation iSv. § 42 SGB IX künftige Fehlzeiten hätten verhindert werden können. Diese Anforderungen erfülle der Vortrag der Beklagten nicht. Welche anderen leidensgerechten Arbeitsplätze in Betracht gekommen wären, sei für das Gericht, dass die betrieblichen Gegebenheiten nicht kenne, nicht ersichtlich gewesen. Die Kündigung erweise sich daher als unverhältnismäßig. Wegen der weiteren Einzelheiten der Entscheidungsgründe der erstinstanzlichen Entscheidung wird auf S. 6 – 22 des Urteils (Bl. 124 – 140 d. A.) verwiesen.

Die Beklagte hat gegen das am 10. März 2020 zugestellte Urteil mit am 08. April 2020 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom gleichen Tag Berufung eingelegt und diese innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 25. Mai 2020, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, begründet.

Die Beklagte macht zur Begründung ihrer Berufung nach Maßgabe ihrer Berufungsbegründungsschrift vom 25. Mai 2020 (Bl. 163 ff. d. A.), hinsichtlich deren weiteren Inhaltes ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, unter Wiederholung und Vertiefung ihres erstinstanzlichen Vorbringens im Wesentlichen geltend,

das Arbeitsgericht gehe noch zutreffend von einer negativen Gesundheitsprognose und vom Vorliegen exorbitant hoher Entgeltfortzahlungskosten als betriebliche Beeinträchtigung aus. Unzutreffend stelle das Gericht fest, dass die Möglichkeit einer vor Ablauf der Wochenfrist des § 102 Abs. 2 Satz 1 BetrVG ausgesprochenen Kündigung bestehe. Bereits aus der schriftlichen Empfangsbestätigung des Betriebsrates vom 07. August 2019 ergebe sich, dass dies nicht der Fall sei. Die Anhörung sei am 07. August 2019 im Rahmen der Personalausschusssitzung dem Betriebsratsvorsitzenden W. übergeben worden, was auch im Protokoll der Sitzung festgehalten sei (Vorlage des Protokolls, Zeugnis Y. und W.). Das gedruckte Datum enthalte einen Tipp-Fehler. Ähnlich verhalte es sich mit der Anmerkung des Gerichts zu den zeitlichen Abläufen am 15. August 2019 im Hinblick auf den Zustimmungsbescheid. Der HR-Senior Specialist Y. habe den Bescheid am 15. August 2019 persönlich beim Integrationsamt abgeholt und im Anschluss die Kündigung in den Briefkasten des Klägers eingeworfen (Zeugnis Y.). Das Gericht habe trotz des im Berufungsverfahrens wiederholten Vortrags zur fehlenden leidensgerechten Beschäftigungsmöglichkeit keinen Hinweis erteilt, dass es diesen Vortrag für unzureichend erachte. Wäre ein solcher Hinweis ergangen, habe sie noch genauer darlegen können, dass es einen solchen Arbeitsplatz nicht gebe bzw. dass sich der Kläger mit keiner anderen leidensgerechten Variante einverstanden erklärt habe. Auch die Reha-Maßnahme habe den gewünschten Erfolg nicht erbracht, technische Arbeitshilfen (Gehörschutz, speziell anzuwendende Handcreme, speziell angefertigte 3-D-gedämmte Sicherheitsschuhe, Kompressionsstrümpfe, Hebekräne, elektrisch höhenverstellbare Schreibtische und ergonomische Stehmatten) ebenfalls nicht; weitere Hilfsmittel gebe es nicht. Formal leichtere Arbeitsplätze wie der der sog. ASIA-Kontrolle seien aufgrund des Krankheitsbild des Klägers nicht leidensgerecht; dort müsse der Kläger zwangsläufig mehr sitzen und es bestünden höhere Anforderungen an die Konzentration und das Sehvermögen. All dies habe die Betriebsärztin dem Integrationsamt in der bereits erstinstanzlich vorgelegten Stellungnahme vom 02. August 2019 (vollständig vorgelegt: Bl. 200 ff. d. A.) erläutert, so dass sich das Integrationsamt hiermit auch auseinandergesetzt habe. Auch der Schwerbehindertenvertreter und der Prozessbevollmächtigte des Klägers sei vor dem Integrationsamt davon ausgegangen, dass es im gesamten Produktionsbereich einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz nicht gebe. Bezüglich der zwischen 2017 und 2019 nur einmal aufgetretenen Bronchitis sei auszuführen, dass weder der jetzige Arbeitsplatz, noch ein anderer Arbeitsplatz in der Produktion etwa durch die vorherrschende Luftqualität eine erhöhte Gefahr der Erkrankung an Bronchitis darstelle. Einem Einsatz ausschließlich in Tag- oder Frühschicht habe der Kläger sich verweigert. Selbst wenn daher die Einladungsschreiben zum bEM-Gespräch nicht regelkonform gewesen sein sollten, sei der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gewahrt.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 19. Februar 2020 – Az.: 4 Ca 2571/19 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen,

Er verteidigt das angefochtene Urteil und begründet seine Anschlussberufung nach Maßgabe seines Schriftsatzes vom 01. Juli 2020 (Bl. 221 ff. d. A.), hinsichtlich dessen weiteren Inhaltes ergänzend auf den Akteninhalt Bezug genommen wird, und trägt zweitinstanzlich im Wesentlichen vor,

die Fehlzeiten aus den Jahren 2017 bis 2019 stammten mit Ausnahme der Fehltage vom 21. Juni 2017 bis 18. Juli 2017 und den acht Fehltagen vom 04. Oktober bis 14. Oktober 2017 (Arbeitsunfall) von Folgen seiner damals schlecht bis nicht eingestellten Diabetes Mellitus. Richtig sei weiterhin, dass eine vollständige Genesung nicht zu erwarten sei. Er sei jedoch inzwischen medikamentös eingestellt und habe seine Gewohnheiten umgestellt, wie vom Betriebsarzt gewünscht abgenommen, fahre regelmäßig Fahrrad. Seit Januar 2019 habe er keine schwereren Gesundheitsstörungen gehabt, nur ca. 3 – 4 Krankheitstage und regulär gearbeitet. Sein Blutzucker habe sich wie vorgetragen verbessert. Die nicht auszuschließenden gesundheitlichen Störungen gingen jedoch nur unwesentlich über das Maß hinaus, das bei der Beschäftigung eines jeden Schwerbehinderten zu erwarten sei. Er könne zu den Ausführungen zur Übergabe der Betriebsratsanhörung am 07. August 2019 und zur Abholung des Zustimmungsbescheids beim Integrationsamt am 15. August 2019 nichts zur Sache vortragen und müsse daher den Vortrag der Beklagten mit Nichtwissen bestreiten. Der Vortrag zu fehlenden alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten sei falsch, er habe bereits im Januar 2019 eine Arbeitszeitverkürzung beantragt, die bei der Beklagten üblich und normalerweise nach Alter und Betriebszugehörigkeit vergeben würden. Nach seiner Kenntnis sei den Anträgen jüngerer Mitarbeiter mit kürzerer Betriebszugehörigkeit entsprochen worden, wozu die Beklagte sich nicht einlasse. Etwa die Hälfte der Belegschaft habe einen Gehörschutz wie seinen, die Hautcreme sei allen Mitarbeitern in der Produktion verschrieben worden. Bei den Sicherheitsschuhen handele es sich nicht um orthopädische Schuhe oder ähnliches, sondern das Modell, dass er seit langem trage, er habe nur einen Disk-Verschluss bekommen statt Schnürsenkel. Die Kompressionsstrümpfe habe er privat organisiert. Die Hebekräne würden von allen verwendet, da Gewichte über 100 kg zu bewegen seien. Einen höhenverstellbaren Schreibtisch verwende er nicht, da er nicht am Schreibtisch arbeite. Ungeachtet der Tatsache, dass die Beklagte fehlerhafte bEM-Einladungsschreiben verwende, habe er eine Mitwirkung an seiner Eingliederung nicht abgelehnt, sondern nur wiederholt Gespräche abgelehnt, wenn von ihm präferierte Betriebsratsmitglieder oder Schwerbehindertenvertreter nicht verfügbar gewesen seien. Er habe sich nur dem Schichtwechsel verweigert, weil dieser zu einer Erhöhung seiner Wochenarbeitsstunden geführt hätte. Die Gespräche mit der Betriebsärztin habe er zu keinem Zeitpunkt verweigert. Die rechtliche Funktion eines bEM sei ihm nicht bekannt gewesen. Die Beklagte habe keine auf ihn zugeschnittene individuellen Maßnahmen ergriffen, den Arbeitsplatz leidensgerecht zu gestalten. Nach alledem wäre eine krankheitsbedingte Kündigung auch unverhältnismäßig. Auch ohne völlige Genesung sei die Gesundheitsprognose nicht schlecht, eine Wiederholung der Kosten der Lohnfortzahlung wie bisher sei nicht zu erwarten und zu seinen Gunsten sei sein Dienstalter von 32 Jahren und sein Lebensalter von 55 Jahren sowie seine Behinderung zu berücksichtigen.

Im Übrigen wird hinsichtlich des Sach- und Streitstandes zweiter Instanz ergänzend auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie die Sitzungsniederschrift Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

A

Die Berufung der Beklagten ist zulässig, in der Sache jedoch nicht erfolgreich.

I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist statthaft (§ 64 Abs. 2 Buchstabe c ArbGG), wurde von der Beklagten nach Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am 10. März 2020 mit am gleichen Tag beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz vom 08. April 2020 form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 519 ZPO) und innerhalb verlängerter Berufungsbegründungsfrist mit Schriftsatz vom 25. Mai 2020, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, rechtzeitig und ordnungsgemäß begründet (§ 66 Abs. 1 Satz 1, 2 und 5, § 64 Abs. 6 ArbGG iVm. § 520 ZPO).

II. Die Berufung der Beklagten ist unbegründet. Das Arbeitsgericht hat der Kündigungsschutzklage zu Recht stattgegeben. Die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 15. August 2019 hat das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis nicht wirksam beendet.

1. Die von der Beklagten aus krankheitsbedingten Gründen ausgesprochene Kündigung vom 15. August 2019, die der Kläger innerhalb der Drei-Wochen-Frist des § 4 Satz 1 KSchG mit einer Kündigungsschutzklage angegriffen hat und die daher auf ihre Wirksamkeit zu überprüfen war, hat das Arbeitsverhältnis nicht beendet. Sie ist – nachdem das Kündigungsschutzgesetz aufgrund Betriebsgröße und Beschäftigungsdauer des Klägers nach §§ 1 Abs. 1, 23 Abs. 1 Satz 3 KSchG Anwendung findet – nicht gemäß § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG aus personenbedingten Gründen sozial gerechtfertigt.

1.1. Eine mit häufigen (Kurz-) Erkrankungen des Arbeitnehmers begründete Kündigung ist sozial nur gerechtfertigt, wenn im Kündigungszeitpunkt Tatsachen vorliegen, die die Prognose stützen, es werde auch künftig zu Erkrankungen im bisherigen – erheblichen – Umfang kommen – erste Stufe. Die prognostizierten Fehlzeiten müssen außerdem zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen – zweite Stufe. Im Rahmen der gebotenen Interessenabwägung – dritte Stufe – ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber angesichts der Belange des Arbeitnehmers gleichwohl hingenommen werden müssen (vgl. BAG 16. Juli 2015 – 2 AZR 15/15 – Rn. 29, 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 16; jeweils zitiert nach juris).

1.2. Mit dem Arbeitsgericht nimmt die Berufungskammer an, dass die in der ersten Stufe zu prüfende negative Gesundheitsprognose der Beklagten, auch in Zukunft sei mit Erkrankungen der Klägerin in erheblichem Umfang zu rechnen, berechtigt ist.

a) Treten während der letzten Jahre jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber darf sich deshalb auf der ersten Prüfungsstufe zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Alsdann ist es Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Er genügt dieser prozessualen Mitwirkungspflicht schon dann, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt, und wenn er diese von ihrer Schweigepflicht entbindet. Je nach Erheblichkeit des Vortrags ist es dann Sache des Arbeitgebers, den Beweis für die Berechtigung einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (vgl. insgesamt BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 17, mwN, zitiert nach juris). Vorbehaltlich besonderer Umstände des Einzelfalls ist für die Erstellung der Gesundheitsprognose ein Referenzzeitraum von drei Jahren maßgeblich. Ist eine Arbeitnehmervertretung gebildet, ist auf die letzten drei Jahre vor Einleitung des Beteiligungsverfahrens abzustellen (25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 23, zitiert nach juris). Maßgeblicher Zeitpunkt zur Beurteilung der Wirksamkeit der Kündigung ist der Zeitpunkt der Kündigungserklärung (BAG 27. Februar 2020 – 8 AZR 215/19 – Rn. 70; 26. Januar 2017 – 2 AZR 61/16 – Rn. 33, jeweils zitiert nach juris).

b) Nach diesen Grundsätzen ist hinsichtlich des Gesundheitszustandes des Klägers von einer negativen Zukunftsprognose auszugehen. Der Kläger war im Referenzzeitraum von 07./08. August 2016 bis 07./08. August 2019 – auch dann, wenn man den nach seiner Behauptung auf einen Betriebsunfall zurückzuführenden Erkrankungszeitraum mangels Wiederholungsgefahr nicht berücksichtigt – jährlich mehr als sechs Wochen arbeitsunfähig erkrankt. Diese Fehlzeiten aufgrund häufiger Kurzerkrankungen indizieren künftige Fehlzeiten im bisherigen Umfang, ohne dass der Kläger die Indizwirkung erschüttert hätte. Der Kläger hat im Berufungsverfahren angeführt, bis auf den Arbeitsunfall hätten alle Fehlzeiten im Zusammenhang mit seiner Diabetes-Erkrankung gestanden. Soweit er hinsichtlich einer Besserung seiner gesundheitlichen Situation behauptet hat, seit Januar 2019 nur noch ca. 3 – 4 Tage arbeitsunfähig gewesen zu sein, stehen dem bereits die von der Krankenkasse des Klägers mitgeteilten Fehlzeiten entgegen, nach denen er von Ende Januar bis Ende Februar 2019 und von Ende März bis 09. Mai 2019, sowie vom 07. Juli bis 02. August 2019 erkrankt war (Bl. 65 d. A.). Der Kläger selbst räumt dementsprechend auch ein, dass hinsichtlich seiner chronischen Erkrankung eine vollständige Genesung nicht zu erwarten ist. Die von ihm angeführte am 18. November 2019 nach Kündigungszugang festgestellte Verbesserung seiner Blutzuckerwerte (9,8 % Hb) vermag die Indizwirkung der Fehlzeiten in der Vergangenheit nicht zu erschüttern. Unabhängig davon, dass eine nachträglich angestoßene Entwicklung des Blutzuckerwertes nach dem maßgeblichen Zeitpunkt der Beurteilung bei Kündigungszugang keinen Einfluss auf die negative Zukunftsprognose haben könnte, lag der Blutzuckerwert des Klägers nach der von ihm vorgelegten Tabelle (Bl. 67 f. d. A.) schon im September 2018 (8,8 % Hb) niedriger als im November 2019 und stieg im Anschluss daran wieder, so dass die vom Kläger angeführte Schwankung nicht als ausschlaggebend betrachtet werden kann. Da der Kläger auch nicht vorgetragen hat, dass seine Ärzte seine gesundheitliche Entwicklung zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung positiv beurteilt hätten, muss es bei der negativen Gesundheitsprognose bleiben. Dass der Kläger nach Kündigungszugang den von ihm zuvor abgelehnten Gesundheitsempfehlungen der Betriebsärztin nachgekommen sein mag, abgenommen hat und regelmäßig Sport treibt, vermag hieran nichts zu ändern.

1.3. Ebenfalls zu Recht hat das Arbeitsgericht angenommen, dass die danach zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten für jährlich mehr als sechs Wochen als wirtschaftliche Belastung geeignet sind, zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten zu führen (vgl. BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 15, zitiert nach juris).

1.4. Die Kündigung ist dennoch sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht „ultima ratio“ und deshalb unverhältnismäßig. Die Beklagte ist ihren Pflichten aus § 167 Abs. 2 SGB IX nicht ordnungsgemäß nachgekommen, ohne dass sie dargelegt hätte, es habe im Kündigungszeitpunkt kein milderes Mittel als die Kündigung gegeben, um der in der Besorgnis weiterer Fehlzeiten bestehenden Vertragsstörung entgegenzuwirken.

a) Der Arbeitgeber, der für die Verhältnismäßigkeit der Kündigung nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Darlegungs- und Beweislast trägt, kann sich – besteht keine Verpflichtung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM) – zunächst darauf beschränken zu behaupten, für den Arbeitnehmer bestehe keine alternative Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Erklärung umfasst den Vortrag, Möglichkeiten zur leidensgerechten Anpassung des Arbeitsplatzes seien nicht gegeben. Der Arbeitnehmer muss hierauf erwidern, insbesondere darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine anderweitige Beschäftigung vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne. Dann ist es Sache des Arbeitgebers, hierauf seinerseits zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 25 mwN, zitiert nach juris).

b) Trifft den Arbeitgeber – weil der Arbeitnehmer innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig war – gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX die Verpflichtung, ein bEM als rechtlich regulierten, verlaufs- und ergebnisoffenen „Suchprozess“ durchzuführen, der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll (vgl. BAG 10. Dezember 2009 – 2 AZR 400/08 – Rn. 20, zitiert nach juris), so ist es seine Sache, die Initiative zur Durchführung des bEM zu ergreifen (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 31, aaO). Dazu gehört, dass er den Arbeitnehmer zuvor nach § 167 Abs. 2 Satz 3 SGB IX auf die Ziele des bEM sowie Art und Umfang der dabei erhobenen Daten hingewiesen hat; der Hinweis erfordert eine Darstellung der Ziele, die inhaltlich über eine bloße Bezugnahme auf die Vorschrift des 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX hinausgeht. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann, daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können. Dem Arbeitnehmer muss mitgeteilt werden, welche Krankheitsdaten – als sensible Daten iSv. § 3 Abs. 9 BDSG – erhoben und gespeichert und inwieweit und für welche Zwecke sie dem Arbeitgeber zugänglich gemacht werden. Nur bei entsprechender Unterrichtung kann vom Versuch der ordnungsgemäßen Durchführung eines bEM die Rede sein (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 32, aaO).

Hat der Arbeitgeber die gebotene Initiative nicht ergriffen, will sich jedoch darauf berufen, dass ein tatsächlich durchgeführtes bEM kein positives Ergebnis hätte erbringen können, so muss er zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit einer auf krankheitsbedingte Fehlzeiten gestützten Kündigung die objektive Nutzlosigkeit des bEM darlegen und ggf. beweisen. Dazu muss er umfassend und detailliert vortragen, warum weder ein weiterer Einsatz auf dem bisherigen Arbeitsplatz, noch dessen leidensgerechte Anpassung oder Veränderung möglich gewesen seien und der Arbeitnehmer auch nicht auf einem anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit habe eingesetzt werden können, warum also ein bEM im keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten (vgl. BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn. 39, aaO; 20. März 2014 – 2 AZR 565/12 – Rn. 34; 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – Rn. 25, jeweils zitiert nach juris). Ist es dagegen denkbar, dass ein bEM ein positives Ergebnis erbracht, das gemeinsame Suchen nach Maßnahmen zum Abbau der Fehlzeiten also Erfolg gehabt hätte, muss sich der Arbeitgeber regelmäßig vorhalten lassen, er habe „vorschnell“ gekündigt (BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – Rn.40, aaO)

Das Bundesarbeitsgericht hat dem Arbeitgeber – im Hinblick auf eine ohne vorheriges Präventionsverfahren ausgesprochene verhaltensbedingte Kündigung – eine Darlegungserleichterung zugebilligt, wenn das Integrationsamt gemäß 168 SGB IX (zuvor: § 85 SGB IX) seine Zustimmung erteilt hat, da aufgrund der Prüfung der Rechte des schwerbehinderten Arbeitnehmers vor der durch mehrere Instanzen nachprüfbaren Entscheidung des Integrationsamtes nur bei Vorliegen besonderer Anhaltspunkte davon ausgegangen werden könne, dass ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX die Kündigung hätte verhindert können (vgl. noch zu § 84 Abs. 1 SGB IX: BAG 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 40; 7. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 – Rn. 27, zitiert nach juris).

c) Nach diesen Grundsätzen erweist sich die Kündigung vom 15. August 2019 vorliegend als unverhältnismäßig.

aa) Die Beklagte war gemäß § 167 Abs. 2 Satz 1 SGB IX verpflichtet, ein bEM durchzuführen, da der Kläger vor Ausspruch der Kündigung unstreitig innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen arbeitsunfähig war.

bb) Die Beklagte hat ein bEM vor Ausspruch der Kündigung nicht durchgeführt. Sie kann sich nicht darauf berufen, der Kläger habe einem bEM nicht zugestimmt. Der Arbeitgeber ist nur dann berechtigt, ein betriebliches Eingliederungsmanagement wegen der fehlenden Zustimmung des Arbeitnehmers zu unterlassen, wenn er den betroffenen Arbeitnehmer zuvor regelkonform um Zustimmung zur Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements ersucht hat (BAG 17. April 2019 – 7 AZR 292/17 – Rn. 38, zitiert nach juris). Dies ist vorliegend nicht der Fall. Unmittelbar vor Ausspruch der Kündigung hat die Beklagte den Kläger nicht mehr eingeladen, an einem bEM teilzunehmen, obwohl er nach dem letzten von ihr veranlassten Anschreiben vom 10. September 2019 erneut länger als sechs Wochen wegen Krankheit arbeitsunfähig war. Selbst wenn man zu ihren Gunsten eine Einladung am 20. August 2018 als grundsätzlich ausreichend erachten wollte, hat das Arbeitsgericht zutreffend erkannt, dass diese Einladung der Beklagten den Anforderungen an die ordnungsgemäße Einleitung eines bEM-Verfahrens nicht erfüllt, da weder darauf hingewiesen wurde, welche Art und welcher Umfang von Daten erhoben werden sollten, noch der Hinweis enthalten war, dass die Zustimmung zum bEM könne auch ohne Einverständnis zur Beteiligung der betrieblichen Interessenvertretung erteilt werden. Die Berufungskammer nimmt zur Vermeidung von Wiederholungen auf die diesbezüglichen Ausführungen des Arbeitsgerichts unter B IV 2. B bb (S. 10 des Urteils = Bl. 128 d. A.) Bezug, macht sie sich zu eigen und stellt dies ausdrücklich fest (§ 69 Abs. 2 ArbGG). Die Beklagte erhebt in der Berufungsinstanz Einwendungen gegen diese Wertung nicht.

cc) Das Arbeitsgericht nimmt zu Recht an, dass dem Bescheid des Integrationsamtes vom 15. August 2019 keine Indizwirkung dafür zu kommt, dass auch ein bEM kein positives Ergebnis hätte bringen können. Selbst wenn man ausweislich der Formulierung des Bescheides davon ausgeht, dass das Integrationsamt über die von der Beklagten bereits erstinstanzlich zur Akte gereichte schriftliche Stellungnahme der Betriebsärztin vom 02. August 2019 (Bl. 46 ff. d. A.) verfügt hat, in der diese sich auch mit alternativen Arbeitsplätzen wie beispielsweise der ASIA-Kontrolle auseinandersetzt, ergibt sich aus der Begründung des Bescheids, dass eine Arbeitszeitverkürzung als mögliche, kündigungsrechtlich beachtliche Beschäftigungsalternative im Verwaltungsverfahren nicht ausreichend geprüft worden ist. Die Betriebsärztin teilte in ihrer dem Integrationsamt vorliegenden Stellungnahme vom 02. August 2019 (Bl. 48 d. A.) mit, der derzeitige Arbeitsplatz des Klägers sei leidensgerecht mit Ausnahme der Arbeitsorganisation, dh. der Kläger solle nur Tagschicht oder Frühschicht eingesetzt werden oder seine Arbeitszeit reduzieren durch den Wegfall der Bringedienste, was er aber nicht wolle. Auf Nachfrage des Integrationsamtes hat die Betriebsärztin ausweislich der Angaben im Bescheid – mit E-Mail vom 13. August 2019 dem diametral entgegengesetzt ausgeführt, eine Anpassung der Arbeitszeit werde „sehr wahrscheinlich in keiner Weise“ die Arbeitsunfähigkeitszeiten ändern. Da das Integrationsamt diesen Widerspruch ersichtlich nicht weiter aufgeklärt hat und da die Angabe, der Kläger sei nicht willens gewesen, seine Arbeitszeit durch Wegfall der Bringedienste zu reduzieren, angesichts seines genau dem entsprechenden Antrag vom 07. Januar 2019 offensichtlich unzutreffend ist, vermag auch die Berufungskammer von einer Indizwirkung des Zustimmungsbescheids nicht auszugehen.

dd) Die Beklagte ist der ihr danach obliegenden Verpflichtung, die objektive Nutzlosigkeit eines bEM darzulegen und gegebenenfalls zu beweisen, nicht nachgekommen. Sie hat auch im Rechtsstreit lediglich zu einer Beschäftigung des Klägers in der ASIA-Kontrolle als alternativem Arbeitsplatz vorgetragen und sich im Übrigen auf den pauschalen Vortrag beschränkt, ansonsten über keine leidensgerechten Arbeitsplätze zu verfügen. Unabhängig davon, ob sie ihrer Vortragslast damit genügen könnte, hat die Beklagte jedenfalls nicht dargelegt, dass und aus welchen Gründen eine Reduzierung der Arbeitszeit des Klägers nicht möglich wäre, oder aber nicht dazu beitragen könnte, künftige Fehlzeiten zu verhindern. Die in § 167 Abs. 2 SGB IX vorgesehene Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden werden kann, erfordert bei schwerbehinderten Arbeitnehmern und ihnen gleichgestellten Beschäftigten die Prüfung, ob die Arbeitsunfähigkeit durch eine iSv. § 164 SGB IX leidensgerechte Beschäftigung überwunden werden kann. Hierunter fällt auch die – in § 167 Abs. 5 Satz 3 SGB IX als Anspruch ausgestaltete – Möglichkeit einer Beschäftigung in zeitlich reduziertem Umfang. Die Verminderung der Arbeitszeit stellt eine mögliche Maßnahme zur Arbeitsplatzerhaltung dar, welche im Wege des bEM ermittelt werden kann (vgl. noch zu §§ 81, 84 SGB IX: BAG 20. November 2014 – 2 AZR 664/13 – Rn. 46 mwN, zitiert nach juris). Selbst wenn man davon ausgeht, dass eine Versetzung in die Frühschicht als leidensgerechte Beschäftigung ausscheidet, da der Kläger sich hiergegen auch in vorliegendem Rechtsstreit wegen einer verbundenen Erhöhung der wöchentlichen Arbeitszeit wendet, ist nicht ersichtlich, aus welchen Gründen eine Arbeitszeitverkürzung durch Wegfall der Bringezeiten iSd. BV 141 iVm. TV T-Zug der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz nicht zu einer Verbesserung der Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers führen können soll. Den entsprechenden Antrag des Klägers vom 07. Januar 2019 hat die Beklagte nicht, jedenfalls aber nicht positiv beschieden, obwohl die Betriebsärztin in ihrer Stellungnahme vom 02. August 2019 mitgeteilt hat, dass die Arbeitsorganisation der Leidensgerechtigkeit des Arbeitsplatzes des Klägers „Entstücken Nislide Salz“ (mit Wechselschicht und Nachtschicht) entgegensteht und eine Arbeitszeitreduktion durch Wegfall der Bringeschichten Abhilfe schaffen könnte. Ebenso wenig hat die Beklagte dargelegt, aus welchen Gründen die Betriebsärztin zuletzt zu ihrer gegenteiligen Einschätzung kam, eine derartige Maßnahme führe „sehr wahrscheinlich in keiner Weise“ zu einer Reduktion der Fehlzeiten, was immerhin eine Verbesserung der Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht ausschließt. Soweit sie sich darauf berufen hat, der Kläger habe keinen Antrag auf Reduzierung der Arbeitszeit nach dem TzBfG gestellt, erschloss sich nicht, warum nicht auch eine Arbeitszeitreduktion durch Wegfall der Bringezeiten iSd. BV 141 iVm. TV T-Zug der Metall- und Elektroindustrie Rheinland-Pfalz zielführend sein könnte. Dass ein bEM vor diesem Hintergrund ein positives Ergebnis nicht hätte erbringen können, vermochte die Berufungskammer nicht zu erkennen. Die Beklagte muss sich daher nach den dargelegten Grundsätzen (A II 1.4. b) vorhalten lassen, dass sie „vorschnell“ gekündigt hat.

ee) Nachdem der Kläger sich im Rechtsstreit vorliegend ausdrücklich auf eine leidensgerechte Beschäftigung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz, jedoch unter Wegfall der Bringeschichten der Arbeitszeitreduktion gemäß seinem Antrag vom 07. Januar 2019 berufen hat, ergibt sich im Übrigen auch unter Zugrundelegung der allgemeinen Regelungen zur Darlegungs- und Beweislast (vgl. A II 1.4. a) zu einer leidensgerechten Weiterbeschäftigungsmöglichkeit des Klägers kein anderes Ergebnis. Die Beklagte hat auf den Vortrag des Klägers nicht erwidert und dargelegt, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich ist. Die Kündigung erweist sich auch insoweit als unverhältnismäßig, da die Beklagte nicht dargelegt hat, dass sie das mildeste Mittel war, den Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers zu begegnen.

2. Da die Kündigung bereits nicht sozial gerechtfertigt iSd. § 1 Abs. 2 KSchG ist, bedurfte es einer weiteren Aufklärung, ob die Bedenken des Arbeitsgerichts gegen die ordnungsgemäße Beteiligung des Betriebsrates vor Kündigungsausspruch gemäß § 102 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1, 2 BetrVG und hinsichtlich einer bei Kündigungszugang beim Kläger vorliegenden Zustimmung des Integrationsamtes gemäß §§ 168, 171 Abs. 3 SGB IX durchgreifen, nicht.

B

Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 Abs. 1 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision im Sinne des § 72 Abs. 2 ArbGG sind nicht gegeben.

 

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