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Krankheitsbedingte Kündigung bei langandauernder Erkrankung – Negativprognose

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 2 Sa 297/19 – Urteil vom 11.03.2021

I. Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein – Auswärtige Kammern B-Stadt – vom 06.06.2019 – 5 Ca 688/18 – abgeändert:

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24.08.2018 nicht zum 31.10.2018 aufgelöst worden ist.

2. Die Beklagte wird verurteilt, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Montagearbeiter weiterzubeschäftigen.

II. Die Kosten des Rechtsstreits (1. und 2 Instanz) hat die Beklagte zu tragen.

III. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung.

Der 1977 geborene, verheiratete und zwei minderjährigen Kindern zum Unterhalt verpflichtete Kläger war aufgrund Arbeitsvertrags vom 31. März 2011 (Bl. 17 – 20 d. A.) seit dem 01. April 2011 bei der Beklagten an deren Standort W-Stadt zuletzt als Montagearbeiter beschäftigt. Die Beklagte beschäftigt in ihrem Betrieb in W-Stadt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer.

Ab dem Jahr 2012 sind beim Kläger folgende krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeitszeiten (Arbeitstage = AT) aufgetreten:

2012:

89 AT (mit Entgeltfortzahlung)

2013:

45 AT (mit Entgeltfortzahlung)

2014:

durchgehend erkrankt (14 AT mit Entgeltfortzahlung)

2015:

durchgehend erkrankt (ohne Entgeltfortzahlung)

2016:

bis 08. April 2016:

68 AT (ohne Entgeltfortzahlung)

21. Juni bis 19. Juli 2016:

Betriebsunfall (21 AT mit Entgeltfortzahlung)

21. bis 22. Juli 2016:

Betriebsunfall (2 AT mit Entgeltfortzahlung)

13. bis 14. Oktober 2016:

2 AT (mit Entgeltfortzahlung)

13. bis 16. Dezember 2016:

4 AT (mit Entgeltfortzahlung)

Gesamt:

97 AT (29 AT mit Entgeltfortzahlung)

74 AT ohne Berücksichtigung des Betriebsunfalls (6 AT mit Entgeltfortzahlung)

2017:

24. März bis 13. April 2017:

15 AT (mit Entgeltfortzahlung)

02. Juni 2017:

1 AT (mit Entgeltfortzahlung)

10. bis 21. Juli 2017:

10 AT (mit Entgeltfortzahlung)

31. August bis 15. September 2017:

12 AT (mit Entgeltfortzahlung)

18. September bis 13. Oktober 2017:

19 AT (mit Entgeltfortzahlung)

seit 06. November 2017:

durchgehend erkrankt

bis 31. Dezember 2017:

38 AT (19 AT mit Entgeltfortzahlung)

Gesamt:

95 AT (76 AT mit Entgeltfortzahlungskosten)

Zuletzt fehlte der Kläger seit dem 06. November 2017 durchgehend krankheitsbedingt.

Zur Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) wurde mit dem Kläger am 16. Januar 2015 ein Gespräch geführt (Protokoll vom 16. Januar 2015, Bl. 54 bis 58 d. A.). Eine von ihm am 13. Januar 2015 begonnene Wiedereingliederung brach er am 13. Februar 2015 ab. Eine Wiedereingliederung für die Zeit vom 18. Mai bis 14. Juni 2015 wurde von ihm am 03. Juni 2015 abgebrochen. Nachdem er aufgrund seiner durchgehenden Arbeitsunfähigkeit am 14. Juni 2015 ausgesteuert worden war, fand am 30. Oktober 2015 ein weiteres BEM-Gespräch statt (Protokoll vom 30. Oktober 2015 = Bl. 60 – 64 d. A.). Eine für die Zeit vom 23. November bis 06. Dezember 2015 angesetzte stufenweise Wiedereingliederung brach er am 01. Dezember 2015 ab. Am 25. Februar 2016 fand ein weiteres BEM-Gespräch statt (Protokoll vom 25. Februar 2016 = Bl. 65, 66 d. A.). Nachdem er in der Zeit vom 29. März bis 08. April 2016 eine Wiedereingliederung im Bereich TE/OSI mit leichteren Tätigkeiten in der „Vormontage Cockpit“ und in der „Kommissionierung Cockpit“ erfolgreich abschloss, wurde er ab 01. Juli 2016 in diesen Bereich versetzt. Am 19. Januar 2017 und 12. Februar 2018 wurden weitere BEM-Gespräche geführt (Protokolle vom 19. Januar 2017 und 12. Februar 2018 = Bl. 67 und 68 d. A.). Schließlich fand am 06. Juni 2018 ein BEM-Gespräch statt (Protokoll vom 06. Juni 2018 = Bl. 70, 71 d. A.) Eine in der Zeit vom 02. bis 27. Juli 2018 erneut geplante Wiedereingliederungsmaßnahme brach er am 23. Juli 2018 ab. Nach dieser gescheiterten Wiedereingliederung entschied sich die Beklagte zu der krankheitsbedingten Kündigung und wollte den Betriebsrat anhören. In der Zwischenzeit war der Vorgesetzte vom Kläger informiert worden, dass dieser eine Rehabilitationsmaßnahme beantragt habe und bis mutmaßlich 20. August 2018 krank sei. Mit Schreiben vom 01. August 2018 (Bl. 76 d. A.) wurde der Kläger von der Beklagten aufgefordert, bis spätestens zum 10. August 2018 nachzuweisen, dass er eine Reha beantragt habe. Per E-Mail vom 06. August 2018 (Bl. 77 d. A.) teilte der Betriebsrat, Herr N., der Beklagten unter Verweis auf das Schreiben vom 01. August 2018 an den Kläger mit, dass dieser frühestens nach der Urlaubsrückkehr seines Arztes bzw. Orthopäden diesbezüglich konkrete Aussagen tätigen könne. Mit Schreiben vom 07. August 2018 (Bl. 78 d. A.) wurde der Kläger von der Beklagten aufgefordert, bis zum 13. August 2018 schriftlich mitzuteilen, bei welchem Arzt er die Reha beantragt habe, wie lange dieser in Urlaub sei und wann er den Antrag auf Reha gestellt habe. Daraufhin erhielt die Beklagte eine weitere Mail des Betriebsratsmitglieds Herrn N., der erneut darauf verwies, dass der Kläger frühestens nach der Rückkehr seines Orthopäden über eine eventuelle Reha-Maßnahme berichten werde und diese Entscheidung nur von einem Facharzt getroffen werden könne (Bl. 79 d. A.).

Mit Bescheid vom 22. August 2018 (Bl. 23 – 25 d. A.) wurde auf den am 21. Juni 2018 eingegangenen Antrag des Klägers festgestellt, dass der Grad der Behinderung 30 beträgt seit 21. Juni 2018.

Mit Schreiben vom 24. August 2018 (Bl. 26 d. A.) kündigte die Beklagte das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis zum 31. Oktober 2018.

Hiergegen wendet sich der Kläger mit seiner am 14. September 2018 beim Arbeitsgericht Ludwigshafen am Rhein – Auswärtige Kammern B-Stadt – eingegangenen Kündigungsschutzklage. In der Klageschrift verwies der Kläger darauf, dass er einen Grad der Behinderung von 30 habe.

Mit dem Abhilfebescheid vom 22. Februar 2019 (Bl. 398, 399 d. A.) wurde dem Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22. August 2018 abgeholfen und das Vorliegen der Schwerbehinderteneigenschaft mit einem Grad der Behinderung von 50 seit 21. Juni 2018 festgestellt.

Unter dem 20. November 2018 vereinbarten die Parteien eine Prozessbeschäftigung, nach der der Kläger „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht bis zum Abschluss des erstinstanzlichen Verfahrens“ weiterbeschäftigt wird (Bl. 236 d. A.). Daraufhin nahm der Kläger am 07. Januar 2019 seine Arbeit wieder auf und wurde von der Beklagten bis zur Verkündung des erstinstanzlichen Urteils am 06. Juni 2019 auf der Grundlage der vereinbarten Prozessbeschäftigung beschäftigt.

Wegen des wechselseitigen Vorbringens der Parteien erster Instanz wird auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein – Auswärtige Kammern B-Stadt – vom 06. Juni 2019 – 5 Ca 688/18 – Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. August 2018 nicht zum 31. Oktober 2018 aufgelöst worden ist,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn zu unveränderten Bedingungen weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Mit Urteil vom 06. Juni 2019 hat das Arbeitsgericht die Klage abgewiesen. Wegen der Begründung des Arbeitsgerichts wird auf die Entscheidungsgründe seines Urteils verwiesen.

Gegen das ihm am 10. Juli 2019 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts hat der Kläger mit Schriftsatz vom 08. August 2019, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 09. August 2019 eingegangen, Berufung eingelegt und diese mit Schriftsatz vom 06. September 2019, beim Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz am 10. September 2019 eingegangen, begründet.

Der Kläger trägt vor, das Arbeitsgericht sei aufgrund falscher Beweiswürdigung zu dem Ergebnis gekommen, dass der krankheitsbedingten Kündigung eine Negativprognose zugrunde liege. Seine Beweiswürdigung habe das Arbeitsgericht lediglich auf den schriftsätzlichen Vortrag der Parteien gestützt, der zwar hinsichtlich der Krankheitszeiten an sich unstreitig sei, jedoch hinsichtlich der Krankheitsgründe und Schwere der Erkrankungen, insbesondere hinsichtlich der betrieblichen Veranlassung der Krankheit, zwischen den Parteien streitig gewesen sei. Weiterhin habe das Arbeitsgericht nicht zwischen Kurzerkrankungen und Langzeiterkrankungen im Rahmen der Feststellung der Negativprognose unterschieden. Obwohl er im Jahr 2018 einer Langzeiterkrankung unterlegen gewesen sei, habe das Gericht lediglich auf die Voraussetzungen einer negativen Prognose aufgrund Kurzzeiterkrankungen abgestellt. Es habe damit außer Betracht gelassen, dass er im Jahr 2018 aufgrund psychischer Erkrankung arbeitsunfähig gewesen sei und diese psychischen Beschwerden betrieblich veranlasst gewesen seien. Eine zutreffende Unterscheidung und Bewertung der Krankheitszeiten hätte zu keiner negativen Prognose geführt. Es sei keinesfalls davon auszugehen gewesen, dass die Arbeitsfähigkeit nicht innerhalb der nächsten 24 Monate wiederhergestellt werden könne. Im Übrigen sei die Prognose aufgrund der Prozessbeschäftigungsphase erschüttert. Ebenso würden keine Anhaltspunkte vorliegen, die häufige Kurzzeiterkrankungen und damit verbundene erhöhte Entgeltfortzahlungsleistungen befürchten ließen. Weiter habe das Arbeitsgericht die Beeinträchtigung von betrieblichen Interessen lediglich festgestellt, ohne diese zu begründen. Es bleibe daher völlig ungewiss, auf welche der vorgetragenen Punkte sich das Arbeitsgericht bezüglich der Beeinträchtigung betrieblicher Interessen beziehe. Nach der Aufstellung der Beklagten in ihrem Schriftsatz vom 27. November 2019 entbehre es jeglicher Nachvollziehbarkeit, dass es in einem mehrere tausend Mitarbeiter starken Betrieb durch seine Erkrankung zu Ablaufstörungen gekommen sein solle. Zum einen habe ausweislich der Aufstellung oftmals nur er gefehlt, zum anderen dürfe die Arbeitsunfähigkeit anderer Arbeitnehmer nicht ihm zum Nachteil gereichen. Die ausschließlich im Jahr 2017 aufgetretenen hohen Entgeltfortzahlungskosten seien absolut einmalig gewesen. Das Arbeitsgericht habe fälschlicherweise hinsichtlich der in der Vergangenheit aufgetretenen Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht nach Kurz- und Langzeiterkrankungen unterschieden. Während es sich bei den vereinzelten Fehlzeiten im Zeitraum vom 13. Oktober 2016 bis einschließlich 13. Oktober 2017 um mehrere Kurzerkrankungen mit wechselnden Ursachen gehandelt habe, seien seine Arbeitsunfähigkeitszeiten bis einschließlich 08. April 2016 und ab dem 06. November 2017 als Langzeiterkrankungen zu werten. Seit dem 06. November 2017 habe er an Schmerzen im Oberarm gelitten, welche operativ hätten behandelt werden müssen. Da er hieran über einen Zeitraum von über einem halben Jahr gelitten habe, sei insoweit von einer lang anhaltenden Krankheit zu sprechen. Im BEM-Gespräch vom 06. Juni 2018 habe er eindeutig klargemacht, dass in absehbarer Zeit keine weiteren krankheitsbedingten Fehlzeiten zu erwarten seien. Seine vorher über einen langen Zeitraum bestehenden Probleme in seinem rechten Arm bestünden zu diesem Zeitpunkt nicht mehr, er sei schmerzfrei gewesen. Zuletzt habe er insoweit eine physiotherapeutische Behandlung erfolgreich abgeschlossen, wonach seine Arbeitsunfähigkeit zum 20. Juni 2018 habe enden sollen. Die von ihm getätigte Prognose habe sich auch als zutreffend herausgestellt. Zwar sei er in der Folge im August 2018 erneut arbeitsunfähig erkrankt, jedoch sei dies auf die psychischen Belastungen, die mit der Konfrontation mit einer bevorstehenden Kündigung seines Arbeitsverhältnisses einhergingen, zurückzuführen, nicht aber auf die zuvor bestehenden körperlichen Probleme. Im Rahmen des Prozessarbeitsverhältnisses habe er seine Arbeitsleistung für die Beklagte erbracht. Würden schon im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung objektive Umstände dafür sprechen, dass die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in absehbarer Zeit sicher oder zumindest möglich sei, sei die Kündigung schon mangels Negativprognose unwirksam. Solche objektiven Umstände seien durch seine Berichte im Rahmen des BEM-Gesprächs von seiner erfolgreich durchgeführten Operation sowie der abgeschlossenen physiotherapeutischen Behandlung eindeutig gegeben. Im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung habe überhaupt keine negative Prognose hinsichtlich seines Gesundheitsstandes vorgelegen, weder gestützt auf die Kurzerkrankungen in der Zeit vom 13. Oktober 2016 bis 13. Oktober 2017, noch hinsichtlich der letztmaligen Langzeiterkrankung ab dem 06. November 2017. Weder durch die zurückliegenden Kurz- noch die beiden Langzeiterkrankungen seien bei der Beklagten erhebliche Beeinträchtigungen entstanden. Hinsichtlich der Kurzerkrankungen habe die Beklagte keine erheblichen Beeinträchtigungen durch Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen im Jahr im maßgeblichen Referenzzeitraum von drei Jahren darlegen können. Lediglich im Jahr 2017 sei dieser Wert erreicht worden. In den Jahren 2015 und 2018 habe die Beklagte nicht für einen einzigen Tag Entgeltfortzahlung leisten müssen. Im Jahr 2016 habe er mit Ausnahme der Zeiten für Betriebsunfälle lediglich an sechs Tagen Entgeltfortzahlung erhalten. Demnach sei einzig im Jahr 2017 der maßgebliche Schwellenwert überschritten. Soweit die Beklagte die Kosten für Urlaubstage anführe, sei darauf zu verweisen, dass sein Urlaubsanspruch bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit nach 15 Monaten verfalle. Es sei also keinesfalls so, dass ein dauerhaft erkrankter Arbeitnehmer vor Beendigung des Arbeitsverhältnisses über Jahre hinweg Urlaubsansprüche in beliebiger Höhe ansammeln könne. Die Ergebnisbeteiligung stelle einen regulären Teil des Arbeitsentgelts dar, unabhängig davon, ob er sich zum Auszahlungszeitpunkt im Krankenstand befinde oder nicht. Diese werde lediglich mit Verzögerung an die Arbeitnehmer ausgezahlt, nachdem die Unternehmensbilanz über den Berechnungszeitraum erstellt worden sei. Auch vermöge der Vortrag der Beklagten über die mit seiner Arbeitsunfähigkeit einhergehende Störung der Betriebsabläufe nicht zu überzeugen. Es wirke weit hergeholt, dass sein Fehlen unmittelbar zu einem „Bandstopp“ führen würde, was pro Minute Kosten von ca. 20.000,00 EUR verursachen würde. Hier scheitere es bereits an der Kausalität, zumindest habe die Beklagte nicht genau dargelegt, wie er durch seine Fehlzeiten solche Folgen konkret verursacht haben solle. Sämtliche Ausführungen würden insoweit gewissermaßen im luftleeren Raum schweben, eine konkrete Störung der Betriebsabläufe allein wegen seines Fehlens könne die Beklagte nicht belegen. Sie umschreibe vielmehr die allgemeinen Risiken von Fehlern durch unqualifiziertes Personal. Lediglich durch die Krankmeldung am ersten Tag seiner letztmaligen längerfristigen Erkrankung am 06. November 2017 mache sie konkret geltend, dass hierdurch ein Herr S. für etwa drei Stunden auf seinem Arbeitsplatz habe angelernt werden müssen, was keine allzu erhebliche Störung der Betriebsabläufe darzustellen vermögen. Im Hinblick darauf, dass die Beklagte nach ihrer Darstellung durchgängig ca. 21 % mehr Personal als benötigt eingestellt habe, sei nicht nachvollziehbar, wieso gerade sein Fehlen erhebliche Betriebsstörungen verursachen solle. Hinsichtlich seines Sonderkündigungsschutzes habe das Arbeitsgericht unrichtigerweise darauf abgestellt, dass er diesen nur dann geltend machen könne, wenn zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung bereits ein Bescheid über die Schwerbehinderteneigenschaft vorliegen würde. Dabei habe das Arbeitsgericht außer Betracht gelassen, dass der eingreifende Sonderkündigungsschutz auch dann vorliege, wenn im Zeitpunkt des Kündigungszugangs die Stellung des Antrages auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft mindestens drei Wochen zurückliege. Der Arbeitgeber habe regelmäßig keinen Vertrauensschutz, wenn er über den Antrag vor Kündigungsausspruch informiert worden sei. Aufgrund eines am 06. Juni 2018 geführten Gesprächs seien die Vorgesetzten darüber informiert worden, dass er einen Antrag auf Verschlechterung bzw. einen Widerspruch gegen den alten Bescheid aus 2015 bezüglich seiner Behinderung gestellt habe. Er habe sein Recht, sich auf das Vorliegen eines Sonderkündigungsschutzes zu berufen, nicht verwirkt. Die Beklagte habe gewusst oder zumindest wissen können und müssen, dass er zum Kündigungszeitpunkt beim Landratsamt A-Stadt einen Verschlimmerungsantrag gestellt habe, um ihm eine Schwerbehinderung zu attestieren. Die Beklagte hätte daher vor Ausspruch der Kündigung die Zustimmung des Integrationsamtes einholen müssen, so dass die Kündigung nach § 134 BGB nichtig sei.

Der Kläger beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen am Rhein – Auswärtige Kammern B-Stadt – vom 06. Juni 2019 – 5 Ca 688/18 – abzuändern und

1. festzustellen, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 24. August 2018 nicht zum 31. Oktober 2018 aufgelöst worden ist,

und für den Fall des Obsiegens mit dem Kündigungsschutzantrag zu 1)

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits zu unveränderten Bedingungen als Montagearbeiter weiterzubeschäftigen.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie erwidert, das Arbeitsgericht habe zutreffend ausgeführt, dass der Kläger nicht habe aufzeigen können, dass die seit 2012 aufgetretenen krankheitsbedingten Fehlzeiten auf Krankheitsursachen beruht hätten, die in der Zukunft nicht mehr auftreten würden. Insbesondere sei der Kläger unstreitig seit dem 06. November 2017 durchgehend und auch noch im Zeitpunkt des Kündigungszugangs arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Zudem sei zutreffend festgestellt worden, dass ihr Vorbringen bezüglich der auf chronische Erkrankungen schließenden jeweiligen Krankheitsverläufe mangels substantiierten Gegenvortrages als zugestanden gelte. Der Kläger habe keine näheren Ausführungen dahingehend gemacht, dass nach konkreten Aussagen der von der Schweigepflicht zu entbindenden behandelnden Ärzte von einer Heilung von bestimmten aufgetretenen Krankheiten auszugehen sei, was Voraussetzung für die Einholung eines Sachverständigengutachtens gewesen wäre. Für den Kläger spreche auch nicht die angeführte Prozessbeschäftigung, zumal er über den Kündigungstermin hinaus weiterhin krank gewesen sei und die Arbeit erst zum 07. Januar 2019 aufgenommen habe. Denn bekanntermaßen komme es für die Beurteilung der negativen Zukunftsprognose ausschließlich auf den Zeitpunkt des Kündigungszugangs (25. August 2018) an. Die Feststellung des Arbeitsgerichts, dass beim Kläger die in der Vergangenheit aufgetretenen Erkrankungen auch in Zukunft in zumindest vergleichbarem Umfang und Ausmaß auftreten würden und dies dann zu weiteren erheblichen Belastungen im Umfang der an den Kläger in der Vergangenheit geleisteten Entgeltfortzahlungskosten führe, sei in diesem „Kausalzusammenhang“ zwischen den nicht – ausreichend – gemachten Ausführungen des Klägers zur angeblichen positiven Zukunftsprognose und den von ihr dargestellten betrieblichen Beeinträchtigungen insbesondere im Hinblick auf die in den Jahren bis zur Kündigung entstandenen Entgeltfortzahlungskosten rechtlich nicht angreifbar. Denn gerade aufgrund der nach wie vor anzunehmenden negativen Zukunftsprognose sei zu vermuten, dass der Kläger auch zukünftig mit weiteren Fehlzeiten das Arbeitsverhältnis, insbesondere durch die finanziellen Folgen im Sinne der Entgeltfortzahlung belasten werde. Dementsprechend sei auch die weitere Begründung des Arbeitsgerichts zutreffend, dass aufgrund der unstreitig seit 06. November 2017 bestandenen krankheitsbedingten Abwesenheit des Klägers keine Gegenleistungen mehr für ihre erheblichen Aufwendungen erbracht würden. Mithin sei das Arbeitsverhältnis sinnentleert gewesen bzw. es habe eine erhebliche und unzumutbare Äquivalenzstörung vorgelegen. Sie habe die Kündigung wegen einer Langzeiterkrankung und hilfsweise wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochen, und zwar aufgrund der Tatsache, dass sie nicht gewusst habe und auch nicht habe wissen können, ob und ggf. wann der Kläger seine Arbeit wiederaufnehmen könne. Für sie habe zum Zeitpunkt der Kündigung festgestanden, dass der Kläger entweder weiter fehlen würde oder aber bei Arbeitsaufnahme erneut häufige Kurzerkrankungen aufweisen würde. Im Hinblick darauf, dass der Kläger während seiner Prozessbeschäftigung wieder gearbeitet habe, berufe sie sich allerdings nicht darauf, dass im Kündigungszeitpunkt die Prognose begründet gewesen sei, dass auch in den auf die Kündigung folgenden 24 Monaten mit einer Wiedergenesung nicht habe gerechnet werden können. Der Kläger habe während der gesamten Beschäftigungsdauer massive Fehlzeiten aufgewiesen. Bei einem Betrachtungszeitraum von sieben Jahren könne man auch nicht mehr von einer vorübergehenden schicksalsbedingten Häufung sprechen, vielmehr sei eine konstitutionelle Neigung mehr als wahrscheinlich. Der Kläger habe während seiner Beschäftigung im permanenten Wechsel entweder häufige Kurzerkrankungen oder Langzeiterkrankungen aufgewiesen. Im Jahr 2017 seien an reinen Entgeltfortzahlungskosten 11.440,00 EUR angefallen. Hinzu würden noch die Sozialversicherungsabgaben kommen. Auch im Jahr 2018, in dem der Kläger nicht gearbeitet habe, habe sie für ihn 13.940,00 EUR (Weihnachtsgeld im November 2018 in Höhe von 55 % eines Gehaltes von ca. 1.885,00 EUR, im April 2019 die Ergebnisbeteiligung für das Jahr 2018 von 4.965,00 EUR und 30 Urlaubstage mit einer Vergütung von ca. 7.090,68 EUR) zahlen sowie Rückstellungen für die Betriebsrente bilden müssen. Der Kündigungsgrund liege im Falle der krankheitsbedingten Kündigung im Kern in einer gemessen an den berechtigten Erwartungen des Arbeitgebers vom Wertverhältnis der Hauptleistungen des gegenseitigen Vertrages eingetretenen Störung des Austauschverhältnisses. Entscheidend für eine Beeinträchtigung betrieblicher Interessen sei die vertragsrechtlich bestimmte Zuordnung der gegenseitigen Ansprüche. Bei der Beeinträchtigung betrieblicher Interessen könnten also nicht nur die reinen Entgeltfortzahlungskosten eine Rolle spielen, vielmehr sei auf die Kosten des einzelnen Arbeitsverhältnisses abzustellen. Im Jahr 2018 sei sie Schuldnerin von ca. drei Bruttomonatsentgelten gewesen und habe daher deutlich mehr als die sechs Wochen Entgeltfortzahlungskosten zahlen müssen. Gleiches wäre im Jahr 2019 bei dauerhaftem Fehlen passiert oder Entgeltfortzahlungskosten wären aufgetreten. Diese permanenten Kosten, die in jedem Jahr zusätzlich zu den Entgeltfortzahlungskosten angefallen seien, seien ohne bzw. kaum eine Gegenleistung erfolgt, was auf Dauer nicht zumutbar sei. Natürlich würde ein Fehlen aber auch zu betrieblichen Ablaufstörungen führen, weil ansonsten der Arbeitsplatz und das Arbeitsverhältnis überflüssig wäre. Zunächst einmal bemühe sie sich, die betrieblichen Ablaufstörungen durch einen Personalvorhalt in Grenzen zu halten, nachdem im Jahr 2018 ca. durchgängig 21 % mehr Mitarbeiter eingestellt gewesen seien als täglich anwesend erforderlich. Um die Spitzen im Sommer abzufangen, würden zum einen Ferienarbeiter eingestellt und zum anderen das Produktionsvolumen abgesenkt, wodurch man weniger Personal in der Ferienzeit benötige und sich verstärkt aus dem Personalvorhalt bedienen könne. Eine Arbeitskraft werde mit Kosten von ca. 80.000,00 EUR pro Jahr angesetzt. Die Einrichtung einer Personalreserve sei bei der Beurteilung der Zumutbarkeit der Belastung des Arbeitgebers mit erheblichen Entgeltfortzahlungskosten zu seinen Gunsten zu berücksichtigen. Zusätzlich zu der Personalreserve werde nicht zusätzlich eine Person für den Kläger eingestellt. Der Meister bekomme auch keinen festen Ersatz für den Ausfall des Klägers, sondern versuche diesen Ausfall durch eine möglichst gute Planung zu kompensieren. Am 06. November 2017, als der Kläger sich krankgemeldet habe, sei die Qualifizierung von Herrn S. aus dem Nachbarteam abgebrochen worden, damit dieser den Ausfall des Klägers an diesem Tag habe kompensieren können. Herr S. habe ca. drei Stunden angelernt werden müssen, um die Tätigkeit ausüben zu können. Durch die erforderliche Qualifizierung würden Kosten anfallen, die nicht erforderlich gewesen wären, wenn der Kläger arbeitsfähig gewesen wäre. Neue Mitarbeiter aus anderen Gruppen, die der Meister als Ersatz bekomme, seien jedoch nicht sofort vollumfänglich qualifiziert und würden eher Fehler als eingearbeitete Kollegen machen, so dass die Qualität der Arbeit leide. So komme es z.B. nach Aussage des Meisters vor, dass eine „falsche“ Heizung kommissioniert werde, was im Folgeprozess gravierende Auswirkungen habe. Wenn die Kommissionierer Fehler begehen würden, könne das auch zu Bandstopps führen. Eine Minute Bandstopp koste das Unternehmen ca. 20.000,00 EUR, weil 500 Mitarbeiter in dieser Zeit nicht arbeiten könnten. Sie habe auch nicht vorgetragen, dass jeder Tag des krankheitsbedingten Fehlens nicht ausgleichbar gewesen sei. Es habe auch Tage gegeben, an denen der Vorgesetzte habe Ersatz beschaffen können, in dem er sich andere Mitarbeiter organisiert habe. An dem von ihr beispielhaft aufgeführten Tagen sei ihm dies jedoch nicht möglich gewesen. Die Organisation von anderen Mitarbeitern bzw. die Umstrukturierung in der Gruppe koste den Meister Zeit, was zwischen zehn Minuten und einer Stunde liegen könne, wodurch Kosten anfallen würden. In der Woche des 06. November 2017, in der der Kläger sich krankgemeldet habe, habe Herrn C. M. die Freischicht gestrichen werden müssen, um das Fehlen des Klägers zu kompensieren. Sei die Urlaubs- und Freischichtvergabe durch einen hohen Krankenstand eingeschränkt und müssten die Mitarbeiter dann auch noch in Unterdeckung als Folge des Krankenstandes arbeiten, seien diese überlastet, was wiederum Auswirkungen auf den Krankenstand habe, der dann weiter ansteige. Herr C. M. sei ein Mitarbeiter, der bei Druck (= keine Freischichtvergabe, Arbeit mit untergedecktem Personal) öfter erkranke. Die Arbeit sei so geplant, dass jeder Mitarbeiter gut ausgelastet sei. Müsse die Gruppe mit einer Unterdeckung arbeiten, müssten die Kollegen die Arbeit des Fehlenden ausgleichen, was stressig sei und sich wiederum negativ auf den Krankenstand auswirke. Wäre der Kläger anwesend gewesen, hätte der Meister mehr Personal zur Verfügung gehabt und wäre in seiner Einsatzplanung und Freischicht- und Urlaubsplanung freier gewesen. Gemäß der von ihr zitierten Rechtsprechung könne nach der letzten Erkrankung mit völlig ungewissem Ausgang in dieser Ungewissheit selbst die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen liegen, zumal hier die letzte längere Erkrankung seit zehn Monaten angehalten habe. Ausweislich der vorgelegten Gesamtauskunft bezüglich Leistungen der K. sei der Kläger vor der Langzeiterkrankung im Krankenhaus wegen Problemen am Oberarm sowie wegen Asthma gewesen und arbeitsunfähig u.a. wegen Problemen am Handgelenk, Problemen an der Schulter und am Oberarm, Problemen an der Wirbelsäule sowie Rückenproblemen gewesen. Hinzu kämen Bronchitis und akute Infektionen der oberen Atemwege. Ab November 2017 – also der dann längeren Erkrankung – habe der Kläger wegen Problemen an der Halswirbelsäule, wegen Erkrankung am Ellenbogen und am Oberarm sowie wegen Asthma gefehlt. Danach müsste nicht nach weiteren betrieblichen Beeinträchtigungen gesucht werden, diese würden in dem zum Zeitpunkt der Kündigung völlig ungewissen Ausgang der Krankheit des Klägers liegen. Auch in einem Großunternehmen müsse es möglich sein, sich von Mitarbeitern zu trennen, die im Durchschnitt mehr abwesend als anwesend seien. Es könne nicht sein, dass mit dem Argument, dass ein Unternehmen in dieser Größe immer organisatorische Möglichkeiten zur Vermeidung von betrieblichen Beeinträchtigungen haben müsse, diesem eine krankheitsbedingte Kündigung in fast allen Fällen unmöglich gemacht werde. Auch könne es nicht sein, dass der Wechsel zwischen Kurzerkrankungen und Langzeiterkrankungen mit den unterschiedlichen Voraussetzungen quasi zu einer Unkündbarkeit führe. Die Behauptung des Klägers, dass sämtliche Krankheiten ausgeheilt wären, müsse nachdrücklich bestritten werden, zumal es insoweit an rechtlich überprüfbaren Ausführungen fehle und im Zweifel insoweit ein Sachverständigengutachten eingeholt werden müsse. Soweit der Kläger auf die Unterscheidung von Kurz- und Langzeiterkrankungen abstelle, sei nochmals zu betonen, dass es für sie zum Zeitpunkt der Kündigung festgestanden habe, dass der Kläger entweder weiter dauerhaft fehlen oder aber bei Arbeitsaufnahme erneut häufige Kurzerkrankungen aufweisen würde. Hinsichtlich der Ausführungen des Klägers zur Interessenabwägung sei nochmals mit Nachdruck seiner Behauptung entgegenzutreten, dass sie Mitschuld daran trage, dass es zu den wiederholten Erkrankungen gekommen sei. Hierfür fehle jedwede Grundlage. Dies werde bereits daraus ersichtlich, dass der Kläger im BEM-Gespräch vom 16. Januar 2015 gesagt habe, dass er in der Vergangenheit falsch behandelt worden sei und falsche Diagnosen gestellt worden seien. Auch im BEM-Gespräch vom 12. Februar 2018 habe der Kläger gesagt, dass seine Krankheit bereits vor dem Arbeitsverhältnis bei ihr aufgetreten sei. Weiterhin sei der Kläger starker Raucher, zumindest sei er das während der Beschäftigung bei ihr gewesen. Er habe gesundheitliche Probleme mit Asthma und Bronchitis. Völlig unzutreffend sei auch, dass angeblich ärztliche Empfehlungen nicht beachtet bzw. der Kläger an ungeeigneten Arbeitsplätzen eingesetzt worden sei. Vielmehr sei es so gewesen, dass sie nach Auftreten der gesundheitlichen Probleme beim Kläger über den werksärztlichen Dienst Fähigkeitsprofile habe erstellen lassen, nach denen der Kläger jeweils passend eingesetzt worden sei. Soweit sich der Kläger auf den von ihm reklamierten Sonderkündigungsschutz berufe, habe er dieses Recht verwirkt. Im Vorfeld sei ihr die Schwerbehinderteneigenschaft bzw. der Antrag auf Anerkennung der Schwerbehinderteneigenschaft nicht bekannt und das in der Klageschrift erwähnte Schreiben des Landratsamt A-Stadt vom 22. August 2018 als Anlage nicht beigefügt gewesen. Damit habe weder sie selbst noch ihr Prozessvertreter von diesem Umstand Kenntnis gehabt. Erst in der Gerichtsverhandlung vom 07. März 2019 habe der damalige Prozessbevollmächtigte des Klägers einen Bescheid vom 22. Februar 2019 vorgelegt, wonach der Kläger rückwirkend ab 21. Juni 2018 einen Grad der Behinderung von 50 zugesprochen bekommen habe. Auffällig sei, dass der Kläger behaupte, in dem Gespräch am 06. Juni 2018 auf eine Antragstellung hingewiesen zu haben, was nicht korrekt sei. Frau W. von der Personalabteilung habe auf Nachfrage erklärt, dass der Kläger weder erklärt habe, einen Antrag gestellt zu haben, noch dass er einen Antrag stellen werde. Dementsprechend sei auch im BEM-Protokoll vom 06. Juni 2018 nichts von einer Antragstellung vermerkt. Abgesehen davon, dass der Widerspruch nicht in einen Verschlimmerungsantrag umgedeutet, sondern vielmehr ein neuer Antrag am 21. Juni 2018 gestellt worden sei, habe der Kläger denklogisch am 06. Juni 2018 noch nicht die von ihm behauptete Erklärung abgeben können. In der Klage sei auch nur auf den Behinderungsgrad von 30 verwiesen und gerade nicht behauptet worden, dass der Kläger gleichgestellt oder schwerbehindert sei bzw. einen Antrag auf Anerkennung einer solchen Eigenschaft gestellt habe. Der Kläger habe sie nicht innerhalb von drei Wochen nach Kündigungszugang von einem etwaigen Sonderkündigungsschutz in Kenntnis gesetzt, sondern vielmehr erst in der Gerichtsverhandlung am 07. März 2019. Damit habe der Kläger sein Sonderkündigungsrecht verwirkt.

Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen sowie auf den gesamten Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die gemäß § 64 Abs. 1 und 2 Buchst. b und c ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist zulässig. Sie ist insbesondere form- sowie fristgerecht eingelegt und begründet worden (§§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. 519, 520 ZPO).

Die Berufung des Klägers hat auch in der Sache Erfolg. Die zulässige Kündigungsschutzklage ist begründet. Die Kündigung ist nicht aus den von der Beklagten angeführten krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt und damit rechtsunwirksam (§ 1 Abs. 1 i.V.m. Abs. 2 KSchG). Aufgrund des Obsiegens des Klägers mit dem Kündigungsschutzantrag ist die Beklagte zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers verpflichtet.

I. Die soziale Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen zu überprüfen, wobei zu unterscheiden ist, ob ein Fall häufiger Kurzerkrankungen oder der Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung vorliegt. Im Zeitpunkt der Kündigung vom 24. August 2018 war der Kläger seit dem 06. November 2017 und damit seit mehr als neun Monaten durchgehend arbeitsunfähig erkrankt. Auf die Grundsätze zur Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen kann hier nicht zurückgegriffen werden. Häufige Kurzerkrankungen sind in den letzten Jahren im Wesentlichen nur in etwa einem Jahr in der Zeit vom 13. Oktober 2016 bis 13. Oktober 2017 vor der Langzeiterkrankung ab dem 06. November 2017 angefallen. Die zuvor aufgetretenen Fehlzeiten im Jahr 2016 beruhten auf einem Betriebsunfall und sind daher nicht zu berücksichtigen. Davor lag in den Jahren 2014 und 2015 bis zum 08. April 2016 eine durchgehende Langzeiterkrankung des Klägers vor. Mithin ist im Streitfall aufgrund der zuletzt durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers seit dem 06. November 2017 vom Tatbestand einer lang anhaltenden Erkrankung auszugehen.

Eine Kündigung ist im Falle einer lang anhaltenden Krankheit sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG, wenn eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit vorliegt – erste Stufe -, eine darauf beruhende erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen festzustellen ist – zweite Stufe – und eine Interessenabwägung ergibt, dass die betrieblichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen – 3. Stufe – (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 12, NZA 2015, 1249).

II. Ausgehend von diesen Grundsätzen kann im Streitfall zugunsten der Beklagten unterstellt werden, dass die lange Arbeitsunfähigkeit des Klägers in der Vergangenheit eine entsprechende Indizwirkung begründet und danach im Zeitpunkt der Kündigung eine negative Prognose hinsichtlich der voraussichtlichen Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers vorgelegen hat. Gleichwohl sind die an die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung auf der zweiten Prüfungsstufe zu stellenden Anforderungen nicht erfüllt, weil auf der Grundlage des Vortrags der gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG darlegungs- und beweisbelasteten Beklagten nicht die Annahme begründet ist, die im Kündigungszeitpunkt zu erwartende weitere Arbeitsunfähigkeit des Klägers habe zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten geführt.

1. Bei krankheitsbedingter dauernder Leistungsunfähigkeit ist zwar in aller Regel ohne weiteres von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen. Die Beklagte hat allerdings nicht behauptet, im Kündigungszeitpunkt habe eine krankheitsbedingte dauernde Leistungsunfähigkeit des Klägers festgestanden. Vielmehr hat sich die Beklagte darauf berufen, die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit des Klägers sei im Kündigungszeitpunkt völlig ungewiss gewesen. Eine solche Ungewissheit steht einer krankheitsbedingten dauernden Leistungsunfähigkeit nur dann gleich, wenn jedenfalls in den nächsten 24 Monaten mit einer Genesung nicht gerechnet werden kann (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 18, NZA 2015, 1249; BAG 22. Oktober 2015 – 2 AZR 550/14 – Rn. 27, NZA-RR 2016, 243). Im Termin vom 11. März 2021 vor dem Berufungsgericht hat die Beklagte ausdrücklich erklärt, sie berufe sich im Hinblick darauf, dass der Kläger während seiner Prozessbeschäftigung wieder gearbeitet habe, nicht darauf, dass im Kündigungszeitpunkt die Prognose begründet gewesen sei, dass in den auf die Kündigung folgenden 24 Monaten mit einer Wiedergenesung nicht habe gerechnet werden können.

2. Sonstige Umstände, die eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen der Beklagten begründen könnten, lassen sich nach ihrem Vorbringen nicht feststellen.

Mit weiteren Entgeltfortzahlungskosten bei einer im Kündigungszeitpunkt zu erwartenden Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers war im Streitfall nicht zu rechnen, weil der sechswöchige Entgeltfortzahlungszeitraum nach der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers seit dem 06. November 2017 bereits im Jahr 2017 abgelaufen war und im Jahr 2018 keine weiteren Entgeltfortzahlungskosten mehr angefallen sind. Gemäß den obigen Ausführungen kann im Streitfall unter Berücksichtigung der beiden Langzeiterkrankungen (von 2014 bis zum 08. April 2016 und ab dem 06. November 2017) und der im Wesentlichen nur in einem Jahr aufgetretenen häufigen Kurzerkrankungen in der Zeit 13. Oktober 2016 bis 13. Oktober 2017 nicht auf die Grundsätze zur Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen zurückgegriffen werden. Jedenfalls lassen die in der Vergangenheit aufgetretenen Fehlzeiten nach dem grundsätzlich für die Prognose maßgeblichen Referenzzeitraum von drei Jahren (vgl. BAG 25. April 2018 – 2 AZR 6/18 – Rn. 23, NZA 2018, 1056) nicht darauf schließen, dass die Beklagte im Zeitpunkt des Kündigungszugangs damit zu rechnen hatte, an den Kläger auch zukünftig für mindestens sechs Wochen Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall leisten zu müssen. Aufgrund der nicht mehr anfallenden Entgeltfortzahlungskosten vermag auch allein das angeführte Weihnachtsgeld von ca. 55 % eines Gehaltes noch keine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen zu begründen. Gleiches gilt für die weiterhin entstehenden Urlaubsansprüche des Klägers. Gesetzliche und regelmäßig auch tarifvertragliche Urlaubsansprüche erlöschen bei fortdauernder Arbeitsunfähigkeit jeweils 15 Monate nach Ablauf des betreffenden Urlaubsjahres und wachsen daher nach Ablauf von zwei Jahren und drei Monaten typischerweise nicht weiter an (BAG 13. Mai 2015 – 2 AZR 565/14 – Rn. 22, NZA 2015, 1249). Im Streitfall kann dahingestellt bleiben, ob Sonderzahlungen – wie hier die Ergebnisbeteiligung -, die aufgrund arbeitsvertraglicher/tarifvertraglicher Regelungen trotz fortdauernder Arbeitsunfähigkeit gleichwohl zu leisten sind, überhaupt geeignet sein können, besondere wirtschaftliche Belastungen, die sich aufgrund der Arbeitsunfähigkeit künftig ergeben, zu begründen (vgl. hierzu LAG Hamburg 02. Oktober 2019 – 2 Sa 9/19 – Rn. 63, juris). Die von der Beklagten angeführte Ergebnisbeteiligung wird nach ihrer Erklärung im Termin vom 11. März 2021 bei krankheitsbedingten Fehlzeiten nur bis zum Zeitpunkt einer Aussteuerung gezahlt, d.h. ggf. anteilig für die Zeit bis zum Zeitpunkt der Aussteuerung, während nach der Aussteuerung für die danach liegenden Zeiten keine Ergebnisbeteiligung mehr bezahlt wird. Im Hinblick darauf, dass der Kläger bei Fortdauer seiner Arbeitsunfähigkeit nach dem Zeitpunkt seiner Aussteuerung im Jahr 2019 keine weiteren Ansprüche auf die Ergebnisbeteiligung mehr erwerben kann, kann bereits in Anbetracht der festgelegten Anspruchsbegrenzung nicht von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen ausgegangen werden.

Im Übrigen hat die darlegungs- und beweisbelastete Beklagte beachtliche Betriebsablaufstörungen für den Fall einer weiteren Arbeitsunfähigkeit des Klägers nicht hinreichend substantiiert und nachvollziehbar dargelegt.

Soweit die Beklagte angeführt hat, dass nach der Krankmeldung des Klägers am 06. November 2017 zu Beginn seiner zuletzt aufgetretenen lang anhaltenden Erkrankung ein Mitarbeiter (Herr S.) zur Kompensation des Ausfalls des Klägers für ca. drei Stunden habe angelernt und in der betreffenden Woche bei einem Mitarbeiter (Herr M.) zur Kompensation des Fehlens des Klägers die Freischicht habe gestrichen werden müssen, liegt darin keine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung, die auch bei weiterer Fortdauer der Arbeitsunfähigkeit des Klägers auftritt. Die Beklagte hat selbst ausgeführt, dass sie über einen erheblichen Personalvorhalt verfügt, mit dem Betriebsablaufstörungen aufgrund krankheitsbedingter Fehlzeiten vermieden werden können. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die betreffende Gruppe während der durchgehenden Arbeitsunfähigkeit des Klägers ab dem 06. November 2017 an den aufgeführten Tagen (bzw. Zeiträumen) „unterbesetzt“ hat arbeiten müssen, ist jedenfalls nicht nachvollziehbar dargelegt, welche betrieblichen Ablaufstörungen dadurch letztlich eingetreten sein sollen, insbesondere weshalb eine durch den Ausfall des Klägers ab dem 06. November 2017 bedingte Unterbesetzung der Gruppe mit ggf. welchen konkreten Auswirkungen nicht hätte überbrückt werden können. Allein der allgemeine Verweis darauf, dass das aufgrund einer Mehrbelastung der arbeitenden Kollegen zu „Stress und Unmut“ führe, reicht zur Darlegung einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen nicht aus. Zwar hat die Beklagte zutreffend angeführt, dass die Kosten einer Personalreserve ggf. im Rahmen der abschließenden Interessenabwägung zu ihren Gunsten zu berücksichtigen sind. Das ändert aber nichts daran, dass die soziale Rechtfertigung einer krankheitsbedingten Kündigung auf der zweiten Stufe eine erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen voraussetzt und betriebliche Ablaufstörungen von der Beklagten in Anbetracht des angeführten Personalvorhalts auch und gerade bei einer lang anhaltenden Erkrankung vermieden werden können. Soweit die Beklagte in ihrem Schriftsatz vom 02. Dezember 2020 allgemeine Ausführungen dazu gemacht hat, welche Folgen bzw. Auswirkungen auftreten könnten, wenn „neue“ Mitarbeiter aus anderen Gruppen als Ersatz für den eingearbeiteten Mitarbeiter Fehler machten und z.B. eine „falsche“ Heizung kommissioniert werde und es auch zu Bandstopps kommen könnte, ist weder vorgetragen noch ersichtlich, ob und inwieweit es aufgrund der Fehlzeiten des Klägers tatsächlich zu solchen Folgen bzw. zu konkreten Störungen der Betriebsabläufe gekommen ist. Der allgemeine Verweis darauf, dass der Meister bei Anwesenheit des Klägers mehr Personal zur Verfügung gehabt hätte und in seine Einsatzplanung und Freischicht-/Urlaubsplanung freier gewesen wäre, vermag jedenfalls eine „erhebliche“ Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen nicht zu begründen. Es ist Sache des Arbeitgebers, etwaige Störungen im Betriebsablauf konkret darzulegen und ggf. zu beweisen. Schlagwortartige und pauschale Behauptungen (z. B. „dauernde Vertretung“, „Unruhe bei den Kollegen“) genügen für sich allein nicht. Aus dem Vortrag der Beklagten lässt sich nicht nachvollziehbar entnehmen, dass die Ausfallzeiten des Klägers zu erheblichen Störungen im Produktionsprozess führen, die auch unter Berücksichtigung des angeführten Personalvorhalts nicht durch mögliche und zumutbare Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Mithin lässt sich auch eine erhebliche betriebliche Beeinträchtigung aufgrund von betrieblichen Ablaufstörungen nicht feststellen.

III. Aufgrund des Obsiegens des Klägers mit dem Kündigungsschutzantrag zu 1) ist die Beklagte gemäß den vom Großen Senat des Bundesarbeitsgerichts aufgestellten Grundsätzen (BAG 27. Februar 1985 – GS 1/84 – NZA 1985, 702) zur vorläufigen Weiterbeschäftigung des Klägers als Montagearbeiter bis zum rechtskräftigen Abschluss des Rechtsstreits verpflichtet.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

Die Zulassung der Berufung war nicht veranlasst, weil hierfür die gesetzlichen Voraussetzungen (§ 72 Abs. 2 ArbGG) nicht vorliegen.

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