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Krankheitsbedingte Kündigung – Darlegungs- und Beweislast – Schwerbehinderung

LAG Berlin-Brandenburg – Az.: 26 Sa 1437/10 – Urteil vom 08.12.2011

1. Die Berufung der Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 02.06.2010 – 7 Ca 21325/09 – wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

2. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten in der Berufungsinstanz noch über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung vom 17. Februar 2010 sowie über die Verpflichtung zur Weiterbeschäftigung des Klägers als Sichtprüfer und die Zulässigkeit der Rückberechnung einer Sonderzuwendung.

Der Kläger ist bei der Beklagten seit 1979 beschäftigt. Arbeitsunfähig war er in den Jahren 2001 an 108, 2002 an 61, 2003 an 15, 2004 an 28, 2005 an 45, 2006 an 45, 2007 an 62,5, 2008 an 43 2009 bis zum 15. November an 122,5 Arbeitstagen und danach an weiteren 55 Arbeitstagen bis zum 5. Februar 2010. Als Erkrankungen lagen zugrunde: Hypertonie, bakterielle Pneumonie, Arthrose, Monarthritis, Tonsilitis, Synovitis und Tendovagitnitis. Wegen Rückenbeschwerden sind – einer Mitteilung der BKK zufolge – im Jahr 2003 Arbeitsunfähigkeitszeiten an acht Arbeitstagen, im Jahr 2004 an zwei Tagen und im Jahr 2009 im ersten Quartal aufgelistet, ohne dass – angesichts weiterer Erkrankungen – eine auf eine Rückenerkrankung konkret entfallende Arbeitsunfähigkeitsdauer ersichtlich ist. Insgesamt war der Kläger in diesem Zeitraum an 51 Tagen ununterbrochen arbeitunfähig erkrankt. Darüber hinaus sind die Arbeitsunfähigkeitszeiträume auf zahlreiche Arbeitsunfälle und auf einige Verletzungen im privaten Bereich zurückzuführen. Zuständige Mitarbeiter der Beklagten führten diverse Personal- und Rückkehrgespräche mit dem Kläger.

Bis Ende April 2009 war er mit der Reinigung von Räumen und der Innenreinigung von Maschinen betraut, zT. in Zwangshaltungen (kniend/kriechend) auf rutschigen Oberflächen in der Maschine. Dabei war entsprechende Schutzkleidung zu tragen, zumal er bei den Reinigungsarbeiten in der Geomet-Beschichtungsanlage (Lack) chemischen Dämpfen ausgesetzt war. Ab dem 1. Mai 2009 arbeitete er als Sichtprüfer in der Bremsscheibenprüfung.

Mit Bescheid vom 23. Juni 2009 wurde dem Kläger ein GdB von 30 bestätigt. Am 9. Juli 2009 beantragte er Gleichstellung.

Laut Bescheid vom 7. Oktober 2009 ist der Antrag des Klägers auf Gleichstellung abgelehnt worden. Gegen diesen Bescheid legte er mit Schreiben vom 26. Oktober 2009 Widerspruch ein. Mit Schreiben vom selben Tag stellte der Kläger einen Verschlimmerungsantrag.

Mit Schreiben vom 16. November 2009 hörte die Beklagte den Betriebsrat an. Dieser widersprach der Kündigung.

Am 23. November 2009 kündigte die Beklagte dem Kläger zunächst zum 30. Juni 2009, ohne das Integrationsamt einbezogen zu haben. Insoweit ist die der Klage stattgebende Entscheidung des Arbeitsgerichts rechtskräftig.

Mit Bescheid vom 3. Februar 2010 stimmte das Integrationsamt einer erneuten Kündigung des Klägers zu. Diesen Bescheid hob die Widerspruchsstelle des Integrationsamtes am 7. Oktober 2010 wieder auf. Die Entscheidung ist nicht bestandskräftig. Die Beklagte hat Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Das Klageverfahren ist durch das Verwaltungsgericht Berlin bis zur Rechtskraft des vorliegenden arbeitsgerichtlichen Rechtsstreits ausgesetzt worden.

Am 8. Februar 2010 nahm der Kläger seine Arbeit wieder auf. Mit Schreiben vom 9. Februar 2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer weiteren Kündigung an. Der Betriebsrat widersprach wiederum. Mit Schreiben vom 17. Februar 2010 kündigte die Beklagte dem Kläger erneut. Mit Bescheid vom 3. August 2010 wurde rückwirkend zum 26. Oktober 2009 zugunsten des Klägers ein GdB von 50 festgestellt. Die Beklagte behielt die Vergütung des Klägers für den Monat Februar in Höhe von 1.225,28 Euro netto vollständig ein und zog von der Märzvergütung weitere 451,44 Euro netto ab (jeweils unter Nichtbeachtung der Pfändungsfreigrenzen), und zwar zur Durchsetzung ihres angeblichen Anspruchs auf Rückforderung der Sonderzuwendung 2009.

Der Kläger hat behauptet, seine behandelnden Ärzte hätten seine künftige gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt. Außerdem hat er sämtliche Ärzte von der Schweigepflicht entbunden. Mandelentzündungen (Tonsilitis) führten angesichts einer Mandeloperation künftig nicht mehr zu Ausfallzeiten. Synovitis und Tendovaginitis (Sehnenscheidentzündung/Gelenkkapselentzündung) seien ausgeheilt. Sie seien auf die ungewohnte neue Tätigkeit zurückzuführen gewesen. In dem Personalgespräch am 2. September 2009 habe er darauf nicht hingewiesen, um seinen Arbeitsplatz nicht zu gefährden. Er habe zu diesem Zeitpunkt noch gehofft, es würden deswegen keine weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten anfallen, was dann ab dem 29. September 2009 doch geschehen sei. Die Bandscheibenverlagerung sei nach dem letzten Vorfall im ersten Quartal 2009 nicht wieder aufgetreten und als ausgeheilt anzusehen. Wegen des Bluthochdrucks (Hypertonie) sei er medikamentös eingestellt, sodass auch insoweit Arbeitsunfähigkeitszeiten nicht zu erwarten seien. Hierfür hat er die jeweiligen Fachärzte benannt. Im Übrigen seien zahlreiche Arbeitsunfähigkeitszeiten auf Arbeitsunfälle und Unfälle im privaten Bereich zurückzuführen.

Der Kläger hat – soweit für das Berufungsverfahren noch von Relevanz – beantragt,

1. …,

2. die Beklagte zu verurteilen, ihn bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten Arbeitsbedingungen als Sichtprüfer weiter zu beschäftigen,

3. …

4. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.225,28 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. März 2010 zu bezahlen (Nettoentgelt für Februar 2010),

5. die Beklagte zu verurteilen, an ihn 451,44 Euro netto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. April 2010 zu bezahlen (restliches Nettoentgelt für März 2010).

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die gesundheitliche Prognose sei negativ. Der Kläger habe einen Zusammenhang der Erkrankungen mit den Arbeitsbedingungen stets verneint, was unter den Parteien nicht streitig ist. Die Arbeitsplatzanalyse hinsichtlich seines früheren Arbeitsplatzes habe keine Gesundheitsgefährdung ergeben. Die Merkmale für die Reinigungstätigkeit hätten im gelben Bereich gelegen und seien damit nicht gesundheitsgefährdend. Eine betriebsärztliche Gesundheitsuntersuchung und eine Entbindung von der Schweigepflicht habe der Kläger stets abgelehnt, was dieser nicht bestreitet. Soweit der Kläger Privatunfälle vortrage, werde dies bestritten. Gleiches gelte bezüglich einiger angeblicher Arbeitsunfälle. Die im Rahmen seiner letzten Tätigkeit zu bewegenden Bremsscheiben wögen sieben bis 15 kg, wobei die leichteren überwögen. Im Übrigen komme es darauf an, ob von einer Krankheitsanfälligkeit auszugehen sei. Die Beklagte hat sich auf wirtschaftliche Beeinträchtigungen und auf betriebliche Ablaufstörungen berufen. Andere Mitarbeiter müssten die Aufgaben des Klägers mit übernehmen. So sei sogar der Urlaub anderer Mitarbeiter gefährdet. Eine verlässliche Personalplanung sei nicht möglich. Die Ausfallzeiten seien durch die Personalreserve von ca. 7 vH. für krankheitsbedingte Abwesenheitszeiten nicht zu bewältigen. Die Auffassung des Betriebsrats, wonach die körperliche Belastung des Klägers außergewöhnlich hoch gewesen sei, könne sie nicht teilen. Der Kläger sei auf einem der einfachsten Arbeitsplätze mit einfachsten Reinigungsarbeiten im gewerblichen Bereich im gesamten Werk eingesetzt gewesen. Angesichts des Umgangs mit Gefahrstoffen habe ihm Arbeitskleidung zur Verfügung gestanden. Freie, für den Kläger geeignete Arbeitsplätze seien nicht vorhanden. Das Arbeitsverhältnis sei auch nicht problemlos verlaufen. Insoweit nimmt die Beklagte Bezug auf mehrere Abmahnungen.

Das Arbeitsgericht hat der Klage in vollem Umfang stattgegeben und das im Wesentlichen damit begründet, dass die Fehlzeiten – nach Abzug eindeutig einmaliger Erkrankungen – in den Jahren 2006 nur 17, 2007 nur 25, 2008 43 und 2009 bis zum 15. November 2009 122,5 Arbeitstage sowie in der Zeit vom 23. November 2009 bis zum 5. Februar 2010 55 Tage betragen habe. Das reiche für eine negative Prognose nicht aus. Daher komme es nicht darauf an, ob die damit im Zusammenhang stehenden Erkrankungen ausgeheilt seien. Fehlzeiten von mehr als sechs Wochen seien jedenfalls nicht zu erwarten. Die geltend gemachte Vergütung könne der Kläger angesichts der Unwirksamkeit der Kündigung beanspruchen.

Die Beklagte hat gegen das ihr am 17. Juni 2010 zugestellte Urteil am 2. Juli 2010 Berufung eingelegt und diese mit einem am 12. August 2010 bei dem Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet. Zur Begründung wiederholt sie unter Auseinandersetzung mit der angefochtenen Entscheidung im Wesentlichen ihren erstinstanzlichen Vortrag. Zunächst könnten auch unfallbedingte Verletzungen für eine erhöhte Verletzungsanfälligkeit sprechen. Die in der Zeit bis 2007 vorgefallenen Arbeitsunfälle seien nicht nachvollziehbar. Die übrigen Erkrankungen indizierten eine erhebliche Krankheitsanfälligkeit. Auch eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes des Klägers hätte nicht zu einer Verringerung der Krankheitszeiten geführt. Die Untersuchungen des Arbeitsplatzes des Klägers durch den werksärztlichen Gesundheitsdienst hätten zu Gesundheitsgefährdungen nichts ergeben. Mit Hebeeinrichtungen könne der Arbeitsplatz des Klägers nicht versehen werden. Der dadurch entstehende Zeitaufwand wäre nicht vertretbar. Im Rahmen der Interessenabwägung sei besonders zu berücksichtigen, dass die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen nicht zurückzuführen seien. Die Erkrankungen des Klägers gründeten im privaten Umfeld. Die Weihnachtsgratifikation stehe dem Kläger nicht zu, weil er am 30. November 2009 nicht in einem ungekündigten Arbeitsverhältnis gestanden habe. Eine konkrete Analyse und Beschreibung des Arbeitsplatzes des Klägers sei nicht möglich, da der Kläger während des Prozessarbeitsverhältnisses mit anderen Aufgaben betraut sei. Die zu hebenden Bremsscheiben wögen bis zu 17,5 kg, so die Beklagte in der letzten Sitzung.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 2. Juni 2010 – 7 Ca 21325/09 – teilweise abzuändern und die Klage abzuweisen, soweit sie sich nicht gegen die Kündigung vom 23. November 2009 richtet.

Der Kläger beantragt, die Berufung zurückzuweisen. Auch er wiederholt im Wesentlichen seinen erstinstanzlichen Vortrag. Er beruft sich weiter darauf, dass die Krankheiten vollständig ausgeheilt seien und die behandelnden Ärzte dies bestätigt hätten. Im Übrigen habe die Beklagte ihm einen behindertengerechten Arbeitsplatz nicht zugewiesen. Dem Sachverständigengutachten sei nicht zu entnehmen, wie der Sachverständige zu der Feststellung gelangt sei, dass mit jährlichen Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen zu rechnen sei.

Wegen der Einzelheiten wird Bezug genommen auf die Schriftsätze der Parteien vom 10. August, 6. September, 20. Oktober und 8. November 2010, vom 1. und 21. September, 5. Oktober, 28. November 2011 sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 8. Dezember 2011.

Das Gericht hat Beweis erhoben über die Behauptung der Beklagten, zu dem Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei mit erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten und Entgeltfortzahlungen zu rechnen gewesen durch Einholung eines Sachverständigengutachtens. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird Bezug genommen auf das Gutachten vom 8. August, eingegangen am 23. August 2010, nebst der eingeholten Berichte sowie auf die nach entsprechenden Auflagen des Gerichts am 26. September und am 31. Oktober 2011 eingegangenen Ergänzungen des Gutachtens und auf die Anhörung des Sachverständigen in der Sitzung vom 8. Dezember 2011.

Entscheidungsgründe

I. Die Berufung ist zulässig. Sie ist statthaft sowie form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden.

II. Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Klage in vollem Umfang begründet ist. Die Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2010 ist nicht sozial gerechtfertigt. Der Kläger kann auch Weiterbeschäftigung auf seinem bisherigen Arbeitsplatz beanspruchen. Darüber hinaus steht ihm auch die uneingeschränkte Vergütung für die Monate Februar und März 2010 zu.

1) Die Kündigung der Beklagten vom 17. Februar 2010 ist nicht sozial gerechtfertigt. Die Beweisaufnahme hat die Behauptung der Beklagten, zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung sei mit erheblichen Arbeitsunfähigkeitszeiten des Klägers zu rechnen gewesen, nicht bestätigt. Die zu berücksichtigenden Krankheits- und Entgeltfortzahlungszeiträume in der Vergangenheit lassen – bezogen auf diesen Zeitpunkt – danach nicht mehr den Schluss auf künftige Entgeltfortzahlungszeiträume von mehr als sechs Wochen zu. Der Sachverständige hat festgestellt, dass sämtliche Erkrankungen mit Ausnahme des Rückenleidens vollständig ausgeheilt seien. Zwar gibt er außerdem in seinem Gutachten an, dass mit Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen jährlich zu rechnen sei. Weitere Konkretisierungen waren ihm nicht möglich. Eine konkrete Begründung für gerade den genannten Zeitraum war ihm ebenfalls nicht möglich. Im Rahmen der Interessenabwägung überwiegen zudem auch die Interessen des Klägers am Bestand des Arbeitsverhältnisses die der Beklagten an dessen Beendigung. Auch das Vorhandensein einer Weiterbeschäftigungsmöglichkeit ist nicht auszuschließen.

a) Die Prüfung der sozialen Rechtfertigung von Kündigungen, die aus Anlass von Krankheiten ausgesprochen werden, ist in drei Stufen vorzunehmen. Danach ist zunächst – erste Stufe – eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar bezogen auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie auch zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen, was als Teil des Kündigungsgrundes – zweite Stufe – festzustellen ist. Dabei können neben Betriebsablaufstörungen auch wirtschaftliche Belastungen, etwa durch zu erwartende, einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen pro Jahr übersteigende Entgeltfortzahlungskosten, zu einer derartigen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen (vgl. BAG 8. November 2007 – 2 AZR 292/06 – AP Nr. 29 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung = NZA 2008, 593 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 54, Rn. 16).

aa) Danach ist zunächst – erste Stufe – eine negative Gesundheitsprognose erforderlich. Es müssen, und zwar abgestellt auf den Kündigungszeitpunkt, objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können indiziell für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dies gilt allerdings nicht, wenn die Krankheiten ausgeheilt sind. Für die Prognose sind Fehlzeiten in der Vergangenheit nur erheblich, wenn sie Indizwirkung für die zukünftige gesundheitliche Entwicklung entfalten können. Eine solche ist Unfällen grundsätzlich nicht beizumessen, gleichgültig, ob diese sich im betrieblichen oder privaten Bereich ereignen, da sie gewöhnlich auf einmaligen Ursachen beruhen (vgl. BAG 2. November 1989 – 2 AZR 366/89 – RzK III 1b 13, Rn. 69).

Bei einer negativen Indizwirkung hat der Arbeitnehmer nach § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb künftig mit einer anderen Entwicklung zu rechnen ist. Dieser prozessualen Mitwirkungspflicht genügt er bei unzureichender ärztlicher Aufklärung oder Kenntnis von seinem Gesundheitszustand schon dann, wenn er die Behauptung des Arbeitgebers bestreitet und die ihn behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbindet, soweit darin die durch Auslegung seines Vortrags unter Berücksichtigung von § 139 ZPO zu ermittelnde Darstellung liegt, die Ärzte hätten die künftige gesundheitliche Entwicklung ihm gegenüber positiv beurteilt (vgl. BAG 13. Juni 1990 – 2 AZR 527/89 – EEK II/194, Rn. 23). Ein Arbeitnehmer, der sich auf die Auskunft seines Arztes beruft, bringt damit hinreichend das Fehlen einer eigenen Kenntnis zum Ausdruck. Ein „Zwischenbeweisverfahren“ über die vom Arbeitnehmer behauptete Unkenntnis ist allenfalls dann zu erwägen, wenn er selbst Arzt ist. In allen übrigen Fällen ersetzt die Entbindung der behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht ein substantiiertes Bestreiten der vom Arbeitgeber dargelegten negativen Prognose durch den Arbeitnehmer (vgl. BAG 2. November 1989 – 2 AZR 23/89, Rn. 39). Unsubstantiiert ist die Einlassung des Arbeitnehmers nur dann, wenn die „Berufung auf die behandelnden Ärzte“ erkennen lässt, dass auch er sich erst noch durch deren Zeugnis die noch fehlende Kenntnis über den weiteren Verlauf seiner Erkrankungen verschaffen will (vgl. BAG 13. Juni 1990 – 2 AZR 527/89 – EEK II/194, Rn. 23).

Zur Klärung, ob durch diese Art des Bestreitens durch den Arbeitnehmer die sich möglicherweise aus dem schlüssigen Vortrag des Arbeitgebers zur negativen Prognose ergebende Indizwirkung erschüttert werden kann, wird es regelmäßig erforderlich sein, den behandelnden Arzt als sachverständigen Zeugen (§ 414 ZPO) zu vernehmen, oder von ihm nach § 377 Abs. 3 und 4 ZPO eine schriftliche Zeugenaussage einzuholen. Nur so wird zu klären sein, ob ernsthaft die Möglichkeit eines von der bisherigen Entwicklung abweichenden anderen Geschehensablaufes (geringere Krankheitsanfälligkeit) zu erwägen ist (vgl. BAG 13. Juni 1990 – 2 AZR 527/89, EEK II/194, Rn. 24).

Trägt der Arbeitnehmer hingegen bereits selbst konkrete Umstände für seine Beschwerden und deren Ausheilung oder Abklingen vor, so müssen diese geeignet sein, die Indizwirkung der bisherigen Fehlzeiten zu erschüttern; er muss jedoch nicht den Gegenbeweis führen, dass nicht mit weiteren häufigen Erkrankungen zu rechnen sei (vgl. BAG 13. Juni 1990 – 2 AZR 527/89 – EEK II/194, Rn. 25). Fehlt dem Gericht die erforderliche Fachkunde für die in diesem Zusammenhang zu prüfenden medizinischen Fragen, so hat es das Gutachten eines Arbeitsmediziners einzuholen, ob aufgrund der vorliegenden Tatsachen bei dem Kläger die ernste Besorgnis weiterer Erkrankungen gerechtfertigt ist, ggf. auch auf eine Benennung der behandelnden Ärzte hinzuwirken und diese als sachverständige Zeugen zu vernehmen (vgl. BAG 29. Juli 1993 – 2 AZR 155/93 – AP Nr. 27 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 1994, 67 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 40, Rn. 16, 27).

Alsdann ist es Sache des Arbeitgebers, den Beweis – regelmäßig durch Sachverständigengutachten – für das Vorliegen einer negativen Gesundheitsprognose zu führen (vgl. BAG 19. Mai 1993 – 2 AZR 598/92 – EEK II/217, Rn. 21).

bb) Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen führen. Diese Beeinträchtigung ist Teil des Kündigungsgrundes. Hierbei kommen zwei Arten von Beeinträchtigungen in Betracht. Wiederholte kurzfristige Ausfallzeiten des Arbeitnehmers können zu schwerwiegenden Störungen im Produktionsprozess führen (Betriebsablaufstörungen). Sie sind nur dann als Kündigungsgrund geeignet, wenn sie nicht durch mögliche Überbrückungsmaßnahmen vermieden werden können. Hierzu gehören Maßnahmen, die anlässlich des konkreten Ausfalls eines Arbeitnehmers ergriffen werden, aber auch der Einsatz eines Arbeitnehmers aus einer vorgehaltenen Personalreserve. Werden auf diese Weise Ausfälle überbrückt, so liegt bereits objektiv keine Betriebsablaufstörung und damit insoweit kein zur sozialen Rechtfertigung geeigneter Grund vor. Ist eine Betriebsablaufstörung mit den geschilderten Mitteln nicht zu vermeiden, so gehört zum Kündigungsgrund, dass die Störung erheblich ist. Kündigungsgrund kann auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sein. Davon ist auch auszugehen, wenn für die Zukunft mit immer neuen, außergewöhnlichen Lohnfortzahlungskosten zu rechnen ist, die für jährlich jeweils einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind. Dabei ist nur auf die Kosten des Arbeitsverhältnisses abzustellen (vgl. BAG 10. Mai 1990 – 2 AZR 580/89 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 31, Rn. 26-28). Bei der Berechnung der aufgewendeten und daher zu erwartenden Kosten/Ausfalltage haben insbesondere solche außer Betracht zu bleiben, die auf Betriebsunfälle zurückzuführen sind. Nicht einbezogen werden dürfen auch die Kosten, die die Beklagte für einmalige bzw. ausgeheilte Erkrankungen, deren Wiederholung nicht zu besorgen ist, aufgewendet hat (vgl. BAG 6. September 1989 – 2 AZR 19/89 – AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 1990, 307 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 26, Rn. 51).

cc) Liegt eine solche erhebliche Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen vor, so ist in einem dritten Prüfungsschritt im Rahmen der nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG gebotenen Interessenabwägung zu prüfen, ob diese Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber billigerweise nicht mehr hingenommen werden müssen. Dabei ist ua. zu berücksichtigen, ob die Erkrankungen auf betriebliche Ursachen zurückzuführen sind, ob und wie lange das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zunächst ungestört verlaufen ist, ob der Arbeitgeber eine Personalreserve vorhält und etwa neben Betriebsablaufstörungen auch noch hohe Entgeltfortzahlungskosten aufzuwenden hatte. Ferner sind das Alter, der Familienstand und die Unterhaltspflichten sowie ggf. eine Schwerbehinderung des Arbeitnehmers zu berücksichtigen (vgl. BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 – AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr 52 = NZA 2006, 655, Rn. 20).

Außerdem ist für die Frage, wann Lohnfortzahlungskosten eine Kündigung rechtfertigen, ganz erheblich auch ein Vergleich mit Arbeitnehmern, die eine vergleichbare Arbeit unter ähnlichen Bedingungen verrichten. Ist auch bei den Kollegen die Quote der krankheitsbedingten Ausfälle besonders hoch, dann kann nur eine ganz erheblich höhere Ausfallquote eine Kündigung rechtfertigen und dies auch nur, wenn Überbrückungsmaßnahmen nicht erfolgreich oder nicht zumutbar gewesen sind (vgl. BAG 10. Mai 1990 – 2 AZR 580/89 – EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 31, Rn. 29, 30).

Im Rahmen der Interessenabwägung ist auch von erheblicher Bedeutung, ob die Krankheit des Arbeitnehmers auf betriebliche Ursachen zurückzuführen ist, da die Krankheitsursache von ganz erheblicher Bedeutung ist. Der Arbeitgeber trägt die Darlegungs- und Beweislast dafür, dass ein solcher vom Arbeitnehmer behaupteter ursächlicher Zusammenhang nicht besteht. Da der Arbeitgeber nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG die Tatsachen zu beweisen hat, die die Kündigung bedingen, trägt er auch die objektive Beweislast für die Tatsachen, die der vorzunehmenden Interessenabwägung zugrundezulegen sind. Zu den hierfür maßgebenden Umständen gehören auch alle dem Arbeitnehmer günstigen Tatsachen, darunter insbesondere die Widerlegung der vom Arbeitnehmer behaupteten, diesem günstigen Umstände. Für die Ursächlichkeit der betrieblichen Tätigkeit für die Krankheit des Arbeitnehmers bedeutet dies, dass der Arbeitgeber seiner Darlegungslast zunächst genügt, wenn er die betriebliche Tätigkeit des Arbeitnehmers vorträgt und einen ursächlichen Zusammenhang mit den Fehlzeiten bestreitet. Der Arbeitnehmer muss dann, ähnlich wie bei der Gesundheitsprognose, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb ein ursächlicher Zusammenhang bestehen soll. Da es sich hier vorwiegend um medizinische Fragen handelt, genügt es auch hier, wenn er den behandelnden Arzt von der Schweigepflicht entbindet. Zumeist wird dies, wie auch vorliegend, schon geschehen sein, um der prozessualen Mitwirkungspflicht bei der Gesundheitsprognose zu genügen. Die Feststellung der Ursächlichkeit oder Nichtursächlichkeit ist dann eine Beweisfrage für die der Arbeitgeber die Beweislast trägt und die in der Regel wegen der erforderlichen Sachkenntnis nur durch den behandelnden Arzt oder durch einen medizinischen Sachverständigen beantwortet werden kann. Bleibt die Frage auch danach ungeklärt, geht dies zu Lasten des Arbeitgebers (vgl. BAG 6. September 1989 – 2 AZR 118/89 – AP Nr. 22 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 1990, 305 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 27, Rn. 65, 66).

Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist darüber hinaus die Schwerbehinderteneigenschaft des Arbeitnehmers im Rahmen der Nachprüfung einer ordentlichen Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) einer der wesentlichen Umstände, die bei der Interessenabwägung zu beachten sind. Das Gericht kann aus denselben Gründen, die das Integrationsamt zu prüfen hat, die Kündigung als sozialwidrig erachten und der Kündigungsschutzklage stattgeben. Dabei ist insbesondere an Gründe zu denken, die, wie dies bei einer krankheitsbedingten Kündigung häufig der Fall sein kann, im Zusammenhang mit der Behinderung stehen, denn der im SGB IX zum Ausdruck gelangte Schutz der behinderten Menschen hat vor allem den Zweck, ihnen den Arbeitsplatz zu erhalten und sie vor Kündigungen aus Gründen der Behinderung zu schützen. Auf diese Weise können die Gerichte für Arbeitssachen weitgehend oder sogar vollständig den Schutz gewähren, der dem Behinderten sonst im Zustimmungsverfahren des Integrationsamts zuteil wird (vgl. BAG 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 2000, 768 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47, Rn. 34 f.).

b) Bei Berücksichtigung dieser Grundsätze konnte eine negative Gesundheitsprognose nicht festgestellt werden.

aa) Allerdings ist die Beklagte durch die Angaben zu den Fehlzeiten in der Vergangenheit zunächst ihrer Darlegungspflicht nachgekommen. Der Arbeitgeber darf sich zunächst darauf beschränken, die Fehlzeiten der Vergangenheit darzustellen und zu behaupten, in Zukunft seien Krankheitszeiten in entsprechendem Umfang zu erwarten. Indem die Beklagte die Krankheitszeiten des Klägers im Einzelnen präzisiert nach Zahl, Dauer sowie zeitlicher Folge vorgetragen und die negative Zukunftsprognose dargestellt hat, ist sie ihrer Darlegungslast nachgekommen. Es steht der Bildung einer negativen Prognose nicht entgegen, dass die Fehlzeiten auf unterschiedlichen prognosefähigen Erkrankungen beruhen. Solche verschiedenen Erkrankungen können den Schluss auf eine gewisse Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers zulassen und damit eine negative Prognose begründen (vgl. BAG 10. November 2005 – 2 AZR 44/05 – AP Nr. 42 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr 52 = NZA 2006, 655, Rn. 24, 25). Hat der Arbeitnehmer nach längerer Arbeitsunfähigkeit – wenn auch nur mit Unterbrechungen – noch gearbeitet, legt das die Annahme häufiger Kurzerkrankungen nahe, nicht einer dauernder Arbeitsunfähigkeit (vgl. BAG 6. Februar 1992 – 2 AZR 364/91, Rn. 34).

bb) Diese Prognose hat der Kläger erschüttert, indem er behauptet, die behandelnden Ärzte hätten die Gesundheitsprognose bezüglich aller prognosefähigen Krankheiten positiv beurteilt. Insoweit hat er seiner prozessualen Mitwirkungspflicht dadurch genügt, dass er darüber hinaus die Behauptung der Beklagten bestritten und die behandelnden Ärzte von der Schweigepflicht entbunden hat. Es war auch ausreichend, dass er dem erst im Rahmen des Rechtsstreits nachgekommen ist (vgl. BAG 12. April 2002 – 2 AZR 148/01 – AP Nr. 65 zu § 1 KSchG 1969 = NZA 2002, 1081 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 49, Rn. 47). Insoweit hat er außerdem dargelegt, warum aus seiner Sicht die einzelnen Krankheiten ausgeheilt waren bzw. künftig nicht zu weiteren Arbeitunfähigkeitszeiten führen würden. So sei er inzwischen hinsichtlich seines Bluthochdrucks medikamentös eingestellt worden, Mandelentzündungen seien nicht mehr zu erwarten, da er sich im April 2009 einer Mandeloperation unterzogen habe, was als solches unter den Parteien nicht streitig ist. Die Fehlzeiten vom 14. bis zum 22. Juli 2009 und ab dem 29. September 2009 seien auf eine ausgeheilte Sehnenscheidentzündung zurückzuführen gewesen. Außerdem hat er sich darauf berufen, dass die Bandscheibenverlagerung nach dem letzten Vorfall im ersten Quartal 2009 nicht wieder aufgetreten und als ausgeheilt anzusehen sei. Die Unfallhäufigkeit war angesichts der durch ihn dargestellten Verletzungsanfälligkeit seiner früheren Tätigkeit, die er in Zwangshaltungen und mit Schutzkleidung ausüben musste, durchaus nachvollziehbar, ohne dass insoweit auf eine bestimmte physische oder psychische Konstellation bei dem Kläger geschlossen werden konnte, aufgrund der auch bei seiner neuen Tätigkeit von Verletzungen zwangsläufig auszugehen gewesen wäre. Die Verletzungen im privaten Bereich waren nicht so umfangreich, dass sie nicht auch bei normaler Konstitution hätten vorkommen können.

Trägt der Arbeitnehmer konkrete Umstände dafür vor, aus welchen Gründen mit einer baldigen Genesung zu rechnen ist, so müssen sie, wie ausgeführt, geeignet sein, diese Annahme zu rechtfertigen. Das war hier der Fall. Bezogen auf die Mandelentzündungen war das angesichts der Mandeloperation problemlos nachzuvollziehen. Gleiches gilt für den Bluthochdruck. Auch Sehnenscheidentzündungen sind vorübergehend, jedenfalls solange sie nicht chronisch sind. Anderes hat auch die Beklagte nicht behauptet. Der Umstand, dass es zu Arbeitsunfähigkeitszeiten im Zusammenhang mit Bandscheibenverlagerungen fast ein Jahr vor der Kündigung nicht mehr gekommen war und solche auch vor 2009 nur in geringen Umfang aufgetreten waren, sprach ebenfalls für das Fehlen einer darauf zu gründenden negativen Gesundheitsprognose. Nachdem der Kläger Erfolg versprechende Maßnahmen ergriffen hatte, um die bisherigen Leiden abzustellen, war auch nicht mehr mit anderen Erkrankungen zu rechnen. Die konkreten Erkrankungen konnten ohne Weiteres auch unabhängig von einer besonderen Krankheitsanfälligkeit aufgetreten sein.

cc) Danach war es Aufgabe der Beklagten, ihre dem entgegenstehende Behauptung zu beweisen. Anhand des eingeholten beklagtenseitig beantragten Sachverständigengutachtens konnte die Kammer nicht zu dem Ergebnis gelangen, dass zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 17. Februar 2010 eine negative Gesundheitsprognose gerechtfertigt war.

(1) Insoweit konnten bereits die Feststellungen des Sachverständigen nicht ausreichen, um nachvollziehbar von zu prognostizierenden Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen und entsprechenden Entgeltfortzahlungszeiträumen ausgehen zu können. Der Sachverständige hat festgestellt, dass sämtliche Erkrankungen mit Ausnahme der Rückenbeschwerden vollständig ausgeheilt seien. Auswirkungen der psychischen Disposition des Klägers konnte er auch im Rahmen der Anhörung nicht quantifizieren.

Danach reduzierten sich die für eine negative Gesundheitsprognose in Betracht kommenden Arbeitsunfähigkeitszeiten auf zehn Tage in den Jahren 2003 und 2004 sowie auf Zeiträume in den Jahren 2009 bis 2010, die ebenfalls nicht quantifizierbar waren. Aus der zur Akte gelangten Aufstellung der BKK ist nicht zu entnehmen, inwieweit Arbeitsunfähigkeitszeiten auch auf „Bandscheibenverlagerungen“ zurückzuführen gewesen sind. Es ist auch durch den Sachverständigen nicht festgestellt worden, ob es sich insoweit überhaupt um relevante Erkrankungen oder um bei jedem Menschen regelmäßig stattfindende Veränderungen handelte. So führte der Sachverständige im Rahmen der Anhörung aus, dass es bei jedem Menschen ständig Bandscheibenverlagerungen gebe und dies vollkommen normal sei. Für die weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten im Jahr 2009 in der Zeit bis zum 15. November ergeben sich aus den vorgelegten Unterlagen nur Arbeitsunfähigkeitszeiten, die auf – nach den Feststellungen des Sachverständigen – ausgeheilten Erkrankungen beruhten. Erst aus dem Bericht des behandelnden Arztes Dr. K., den dieser im Rahmen der Ermittlungen des Sachverständigen erstellte, lassen sich Anhaltspunkte für Rückenprobleme des Klägers ab dem 17. November 2009 ableiten. Ob solche Beschwerden auch zu Arbeitsunfähigkeiten geführt haben, ist dem Bericht hingegen nicht zu entnehmen. In der Antwort des Dr. K. zu der insoweit maßgeblichen Frage 6 des Sachverständigen an den behandelnden Arzt lässt sich keine wegen eines Rückenleidens festgestellte Arbeitsunfähigkeit des Klägers erkennen. Der Kläger selbst hat sich darauf berufen, die Arbeitsunfähigkeitszeit ab September 2009 sei auf die Sehnenscheidentzündung zurückzuführen.

Eine negative Gesundheitsprognose, wie sie zur Begründung der Kündigung erforderlich gewesen wäre, kann – bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung vom 17. Februar 2010 – auf Basis der zur Rückenerkrankung des Klägers getroffenen Feststellungen des Sachverständigen und des unstreitigen Sachverhalts nicht ermittelt werden. Nach der Darstellung des Sachverständigen in der Anhörung findet sich in der Stellungnahme des Arztes Dr. K. ein erster Hinweis auf eine evtl. gravierendere Schädigung des Rückens des Klägers im Lendenwirbelbereich unter dem Datum des 11. Februar 2010 („Rü-Schmerzen in das re. Bein ausstrahlend mit Taubheitsgefühl im re. Oberschenkel“). Die Röntgenaufnahme vom 1. August 2008, die in der Stellungnahme mit einem zusätzlichen nicht zu erklärenden Datum vom 16. Dezember 2009 versehen ist, und der dazu mitgeteilte Befund lassen nach der Darstellung des Sachverständigen keinen Schluss auf unübliche degenerative Veränderungen zu. Ein solcher Befund ergebe sich erst aus dem CT der LWS vom 27. Mai 2010. Wann der dort genannte Prolaps und das Vakuumphänome mit Protrusion entstanden seien, lasse sich – so der Sachverständige – daraus aber nicht ablesen. Es ist also auch nicht auszuschließen, dass die Vorfälle sich nach Zugang der Kündigung ereignet haben, evtl. aber auch bereits im Jahre 2003. Ohne das Ergebnis des CT’s vom 27. Mai 2010 und die in diesem Zusammenhang vorgenommenen Befundungen hätten – so der Sachverständige – Aussagen zu weiteren Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund der Rückenerkrankung nicht getroffen werden können. Es ist also nicht auszuschließen, dass wesentliche Erkrankungen erst nach Zugang der Kündigung aufgetreten sind. Es ist ebenfalls gut möglich, dass der Kläger bereits seit vielen Jahren mit den Folgen solcher Vorfälle lebt, ohne dass sich diese im Rahmen des Arbeitsverhältnisses belastend ausgewirkt haben. Den Umstand, dass der Sachverständige im Rahmen seiner eigenen Befundung keinerlei Beeinträchtigungen des Klägers feststellen konnte und dass bereits seit einem Zeitraum vor Ausspruch der Kündigung bis heute keine Arbeitsunfähigkeitszeiten aufgrund einer Rückenerkrankung aufgetreten sind, erklärt der Sachverständige damit, dass ein solcher Verlauf nicht ausgeschlossen sei. Es könnten nach dem Befund durchaus auch längere unbelastete Zeiten auftreten.

Die psychische Konstitution des Klägers kann nach den getroffenen Feststellungen weder allein noch zusammen mit den übrigen Erkrankungen zu einer negativen Prognose führen. Nach den Ergebnissen des Sachverständigen sind Auswirkungen auf den bisherigen Gesundheitszustand und auch auf den künftigen Gesundheitsverlauf des Klägers zwar wahrscheinlich. Angaben zum Einfluss auf die Dauer der Arbeitsunfähigkeitszeiten wären aber – so der Sachverständige – rein spekulativ.

Soweit der Sachverständige zu dem Ergebnis gelangt, aufgrund der Rückenerkrankung sei von mehr als sechs Wochen auszugehen, konnte die Kammer das – insbesondere bezogen auf die Befundlage zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – sachlich nicht nachvollziehen. Die Röntgenaufnahmen lassen einen solchen Schluss nicht zu. Die Ergebnisse des CT’s können widerspiegeln, was sich bereits 2003 zugetragen hat. Nennenswerte Arbeitsunfähigkeitszeit, die konkret auf die Rückenerkrankung zurückgeführt werden könnten, sind nicht festgestellt worden. Im Gegenteil. Ab dem Zeitpunkt der erstmals am 11. Februar 2011 festgestellten Beschwerden war der Kläger weder bis zum Zeitpunkt der Kündigung noch in der Zeit danach deswegen arbeitsunfähig, wobei die Zeiten nach Zugang der Kündigung ohnehin im Rahmen des Kündigungsschutzprozesses wenn überhaupt, so nur mittelbar von Bedeutung sein können.

Das Ergebnis des Sachverständigen, wonach dem Kläger die Tätigkeit als Sichtprüfer nicht zumutbar sei, ist für die Kammer ebenfalls nicht nachvollziehbar. Eine Herleitung, insbesondere bezogen auf konkrete Gewichte, findet nicht statt. Für entsprechende Ausführungen hätte es auch einer konkreten Arbeitsplatzanalyse und einer genaueren Arbeitsplatzbeschreibung bedurft. Eine solche ist durch die Beklagte ungeachtet mehrfacher Hinweise des Gerichts nicht vorgelegt worden. Aus diesem Grund sind auch die Ausführungen zur fehlenden Zumutbarkeit einer Tätigkeit unter Zeitdruck ohne Bezug auf eine konkretere Arbeitsplatzanalyse/-beschreibung nur eingeschränkt verwertbar. Dass die angeblich verminderte Stresstoleranz gerade bei dieser Tätigkeit zu einer erhöhten Unfall- und Überlastungsanfälligkeit geführt hätte ist ebenfalls nicht ersichtlich. Unfälle sind nämlich im Rahmen dieser Tätigkeit – anders als bei der vorangegangenen – gerade nicht aufgetreten. Warum dem Kläger die Arbeit aus Fürsorgegesichtspunkten nicht übertragen werden dürfen soll, ist danach nicht nachzuvollziehen.

(2) Jedenfalls nachdem die Beklagte auch auf entsprechende Hinweise des Gerichts weder eine Arbeitsplatzanalyse/-beschreibung vorgelegt hatte und ausdrücklich die Fortführung der Sachverständigenbegutachtung nicht mehr wünschte, ist sie insoweit beweisfällig geblieben. Demnach ist – bezogen auf den Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung – nach dem Stand der Beweisaufnahme zum Zeitpunkt der Entscheidung nicht feststellbar bzw. nachvollziehbar, ob künftig überhaupt mit mehr als sechswöchigen Ausfallzeiten zu rechnen gewesen wäre. Zwar können allein die entstandenen und künftig zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten, die jeweils für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind, nach der Rechtsprechung eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen darstellen. Der konkrete Umfang der zu erwartenden Ausfallzeiten konnte hier aber nicht festgestellt werden. Betriebliche Beeinträchtigungen hat die Beklagte auch eher abstrakt dargestellt und insbesondere auch nichts dazu ausgeführt, dass der Arbeitsplatz dauerhaft durch eine Person besetzt sein müsse.

dd) Das wirkte sich auch im Rahmen der Interessenabwägung aus, auf die es nach den Ausführungen oben allerdings nicht mehr ankam. Sie wäre aber ebenfalls zuungunsten der Beklagten ausgefallen. Angesichts einer über dreißigjährigen Betriebszugehörigkeit und einem GdB von 50 hätte die Beklagte jedenfalls bei der hier vorliegenden Konstellation auch Belastungen durch Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen hinnehmen müssen, insbesondere aber solche bis zu sechs Wochen. Die Beweisaufnahme hat schon nicht zu der Feststellung geführt hat, dass überhaupt mit Arbeitsunfähigkeitszeiten von mehr als sechs Wochen zu rechnen gewesen wäre. Wesentlicher Gesichtspunkt im Rahmen der Interessenabwägung wäre außerdem die Behinderung des Klägers gewesen. Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist die Behinderung des Arbeitnehmers im Rahmen der Nachprüfung einer ordentlichen Kündigung auf ihre soziale Rechtfertigung (§ 1 Abs. 2 KSchG) einer der wesentlichen Umstände, die bei der Interessenabwägung zu beachten sind. Das Gericht kann dabei aus denselben Gründen, die das Integrationsamt zu prüfen hat, die Kündigung als sozialwidrig erachten und der Kündigungsschutzklage stattgeben. Dabei ist insbesondere an Gründe zu denken, die, wie dies bei einer krankheitsbedingten Kündigung häufig der Fall sein kann, im Zusammenhang mit der Behinderung stehen, denn der im SGB IX zum Ausdruck gelangte Schutz der behinderten Menschen hat vor allem den Zweck, ihnen den Arbeitsplatz zu erhalten und sie vor Kündigungen aus Gründen der Behinderung zu schützen. Auf diese Weise können die Gerichte für Arbeitssachen weitgehend oder sogar vollständig den Schutz gewähren, der dem Behinderten sonst im Zustimmungsverfahren des Integrationsamts zuteil wird (vgl. BAG 20. Januar 2000 – 2 AZR 378/99 – AP Nr. 38 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit = NZA 2000, 768 = EzA § 1 KSchG Krankheit Nr. 47, Rn. 34 f.). Insoweit kommt hier auch dem Umstand Bedeutung zu, dass die Widerspruchsstelle des Integrationsamts inzwischen die Zustimmung vor dem Ausspruch der Kündigung aufgehoben hat. Die in dem Bescheid aufgeführten Gesichtspunkte sind durchaus nachvollziehbar. Dass über die Klage der Beklagten hiergegen noch nicht entschieden worden ist, ist insoweit ohne Bedeutung. Da das Verwaltungsgericht den dortigen Rechtsstreit sogar bis zum rechtskräftigen Abschluss des arbeitsgerichtlichen Verfahrens ausgesetzt hat, war mit einem für das vorliegende Verfahren noch verwertbaren und in einem zeitlichen Zusammenhang mit dem Bestandsschutzinteresse des Klägers stehenden Ergebnis ohnehin nicht zu rechnen.

Im Rahmen der Interessenabwägung hätte zugunsten des Klägers auch ein Zusammenhang seiner Erkrankung mit seiner früheren Tätigkeit gesprochen. Nach dem Vortrag des Klägers war ein solcher nicht auszuschließen. Die Beklagte hat insoweit zwar das Fehlen eines Zusammenhangs abgestritten. Es wäre aber ihre Aufgabe gewesen, diesen Gesichtspunkt im Rahmen des Verfahrens auszuräumen. Dazu hätte sie ihrerseits Beweis antreten müssen. Daran fehlte es.

c) Im Übrigen ist auch nicht auszuschließen, dass es bei der Beklagten Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten für den Kläger gab und gibt. Sie hätte von sich aus konkreter zum Fehlen alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten vortragen müssen. Die Beklagte traf eine erweiterte Darlegungslast. Es ist nach dem Beklagtenvortrag nicht erkennbar, dass ein den gesetzlichen Anforderungen entsprechendes Eingliederungsmanagement durchgeführt worden ist.

aa) Eine Kündigung ist entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch andere Mittel vermieden werden kann, dh., wenn sie zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung nicht erforderlich ist. Dabei kommt bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz in Betracht. Der Arbeitgeber hat vielmehr alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggf. „freizumachen“ (vgl. BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – EzA § 84 SGB IX Nr 7 = NZA 2011, 39, Rn. 12). Nach § 81 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 SGB IX haben Schwerbehinderte gegenüber ihren Arbeitgebern Anspruch auf Beschäftigung, bei der sie ihre Fähigkeiten und Kenntnisse möglichst voll verwerten und weiterentwickeln können. Kann der schwerbehinderte Arbeitnehmer die ihm zugewiesenen Tätigkeiten wegen seiner Behinderung nicht mehr wahrnehmen, so führt dieser Verlust nach der Konzeption der §§ 81 ff. SGB IX nicht ohne Weiteres zum Wegfall des Beschäftigungsanspruches. Der schwerbehinderte Arbeitnehmer kann Anspruch auf eine anderweitige Beschäftigung haben und, soweit der bisherige Arbeitsvertrag diese Beschäftigungsmöglichkeit nicht abdeckt, auf eine entsprechende Vertragsänderung. Um eine behinderungsgerechte Beschäftigung zu ermöglichen, ist der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 S 1 Nr. 4 SBG IX auch zu einer Umgestaltung der Arbeitsorganisation verpflichtet. Der Arbeitgeber ist jedoch dann nicht zur Beschäftigung des schwerbehinderten Menschen verpflichtet, wenn ihm die Beschäftigung unzumutbar oder eine solche nur mit unverhältnismäßig hohen Aufwendungen verbunden ist, § 81 Abs. 4 Satz 3 SGB IX. Der Arbeitgeber ist auch nicht verpflichtet, für den schwerbehinderten Menschen einen zusätzlichen Arbeitsplatz einzurichten (vgl. BAG 14. März 2006 – 9 AZR 411/05 – AP Nr. 11 zu § 81 SGB IX = EzA § 81 SGB IX Nr. 11 = NJW 2006, 3740, Rn 18, 19).

bb) Die Beklagte traf insoweit eine erweiterte Darlegungslast. Die Beklagte hat weder die Durchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements, noch die Voraussetzungen dafür vorgetragen, dass sie hierzu ausnahmsweise nicht verpflichtet gewesen wäre.

(1) Nach § 1 Abs. 2 Satz 4 KSchG trägt der Arbeitgeber die Darlegungs- und Beweislast für die Tatsachen, die die Kündigung bedingen. Dazu gehört auch die Darlegung des Fehlens – alternativer – Beschäftigungsmöglichkeiten. Der Arbeitgeber kann – außerhalb der Verpflichtung zur Durchführung eines BEM – zunächst pauschal behaupten, es bestehe für den dauerhaft erkrankten Arbeitnehmer keine andere Beschäftigungsmöglichkeit. Diese pauschale Behauptung umfasst den Vortrag, es bestehe keine Möglichkeit einer leidensgerechten Anpassung des Arbeitsverhältnisses oder des Arbeitsplatzes. Der Arbeitnehmer muss sodann konkret darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine Beschäftigung – an einem anderen Arbeitsplatz – vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben könne. Es ist dann Sache des Arbeitgebers, hierauf zu erwidern und ggf. darzulegen, warum eine solche Beschäftigung nicht möglich sei (vgl. BAG 30. September 2010 – 2 AZR 88/09 – EzA § 84 SGB IX Nr 7 = NZA 2011, 39, Rn. 13 f.)

(2) Erhöhte Anforderungen an die Darlegungslast des Arbeitgebers bestehen, wenn er ein an sich erforderliches betriebliches Eingliederungsmanagement nicht durchgeführt hat. Das Erfordernis eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX besteht für alle Arbeitnehmer, nicht nur für behinderte Menschen. Nach den Krankheitszeiten des Klägers wäre die Beklagte grundsätzlich verpflichtet gewesen, ein BEM durchzuführen. Danach war der Kläger iSv. § 84 Abs. 2 Satz 1 SGB IX innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen krank. Dafür genügt es, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten insgesamt, gegebenenfalls in mehreren Abschnitten, mehr als sechs Wochen betragen haben. Nicht erforderlich ist, dass es eine einzelne Krankheitsperiode von durchgängig mehr als sechs Wochen gab. Die Verpflichtung zur Durchführung eines BEM stellt eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes dar. Das BEM ist zwar selbst kein milderes Mittel gegenüber einer Kündigung. Mit seiner Hilfe können aber solche milderen Mittel, zB. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder die Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen – ggf. durch Umsetzungen „freizumachenden“ – Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Wurde entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX ein BEM nicht durchgeführt, darf sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die dieser trotz seiner Erkrankung ausfüllen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen – leidensgerechten – Arbeitsplatz ausscheiden. Erst nach einem solchen Vortrag ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt. Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX ein Verfahren durchgeführt hat, das nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein BEM genügt (vgl. BAG 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – EzA § 84 SGB IX Nr. 8 = NZA 2011, 993, Rn. 19-22).

(3) Hat der Arbeitgeber ein BEM deshalb nicht durchgeführt, weil der Arbeitnehmer nicht eingewilligt hat, kommt es darauf an, ob der Arbeitgeber den Betroffenen zuvor auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hatte. Die Belehrung nach § 84 Abs. 2 Satz 3 SGB IX gehört zu einem regelkonformen Ersuchen des Arbeitgebers um Zustimmung des Arbeitnehmers zur Durchführung eines BEM. Sie soll dem Arbeitnehmer die Entscheidung ermöglichen, ob er ihm zustimmt oder nicht. Die Initiativlast für die Durchführung eines BEM trägt der Arbeitgeber. Stimmt der Arbeitnehmer trotz ordnungsgemäßer Aufklärung nicht zu, ist das Unterlassen eines BEM „kündigungsneutral“. Zwingende Voraussetzung für die Durchführung eines BEM ist das Einverständnis des Betroffenen. Ohne die ausdrückliche Zustimmung des Betroffenen darf keine Stelle unterrichtet oder eingeschaltet werden (vgl. BAG 24. März 2011 – 2 AZR 170/10 – EzA § 84 SGB IX Nr. 8 = NZA 2011, 993, Rn. 23, 24 der Gründe).

cc) Bei Zugrundelegung dieser Grundsätze hätte die Beklagte vortragen müssen, dass oder ggf. warum kein BEM vor Ausspruch der Kündigung durchgeführt worden ist. Dazu hätte es auch gehört, zu einer ordnungsgemäßen Belehrung im dargestellten Sinne vorzutragen. Dass die Beklagte den Kläger auf die Ziele des BEM sowie auf Art und Umfang der hierfür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen hatte, ist nicht ersichtlich. Die Beklagte hat sich lediglich darauf berufen, der Kläger habe erklärt, dass die Erkrankungen mit seiner Tätigkeit nichts zu tun hätten. Es ist nicht auszuschließen, dass er bei einer ordnungsgemäßen Belehrung über die Ziele des BEM anders reagiert hätte. Dazu, dass eine unter aa) dargestellte Möglichkeit der Weiterbeschäftigung nicht bestand, hat die Beklagte nichts Konkretes vorgetragen. Sie hat sich vielmehr darauf beschränkt, das Nichtbestehen von Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu behaupten.

2) Der Kläger kann aus den unter 1) dargelegten Gründen zunächst mangels ersichtlicher ordnungsgemäßer Ausübung des Direktionsrechts hinsichtlich einer anderweitigen Tätigkeit auch Weiterbeschäftigung als Sichtprüfer beanspruchen. Insoweit kann ergänzend auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen werden.

3) Der Anspruch auf die durch die Beklagte in den Monaten Februar und März 2010 unter Nichtbeachtung des Pfändungsfreibetrages einbehaltenen Beträge ergibt sich bereits daraus, dass die Beklagte die Berufung gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts im Hinblick auf die Kündigung vom 23. November 2009 zurückgenommen hat und damit feststeht, dass am 30. November 2009 von einem nicht gekündigten Arbeitsverhältnis auszugehen ist. Nur diese Frage war bezüglich des Anspruchs unter den Parteien im Streit. Im Übrigen wird auch insoweit auf die Ausführungen des Arbeitsgerichts Bezug genommen.

III. Die Beklagte hat die Kosten ihrer erfolglosen Berufung zu tragen, § 97 Abs. 1, § 516 Abs. 3 Satz 1 ZPO.

IV. Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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