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Krankheitsbedingte Kündigung – dauerhafte Arbeitsunfähigkeit – anderweitige Beschäftigung

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 10 Sa 496/11 – Urteil vom 12.01.2012

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 19. Juli 2011, Az.: 11 Ca 1467/10, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer krankheitsbedingten Kündigung der Beklagten vom 27.08.2010 zum 31.03.2011.

Der Kläger ist seit dem 11.08.1986 im Baubetrieb der Beklagten als Baufacharbeiter angestellt. Sein Stundenlohn betrug im Jahr 2008 € 14,32 brutto. Die Beklagte beschäftigt ca. 250 Arbeitnehmer; es besteht ein Betriebsrat. Der Kläger ist am … 1958 geboren, verheiratet und Vater von drei Kindern. Eine Schwerbehinderung ist nicht festgestellt. Er bezieht aufgrund eines beim Sozialgericht Koblenz (Az.: S 10 R 109/08) abgeschlossenen Vergleichs vom 22.09.2009 eine Rente wegen teilweiser Erwerbsminderung.

Der Kläger fehlte im Jahr 2001 neun Monate krankheitsbedingt, sodann von Oktober 2002 bis März 2003, von November 2004 bis April 2007 und 11 Tage ab 28.11.2007. Seit dem 28.02.2008 ist der Kläger ununterbrochen arbeitsunfähig krank. Vom 22.09. bis 03.10.2008 und vom 06.10. bis 17.10.2008 sollte eine stufenweise Wiedereingliederung des Klägers stattfinden. Am 10.10.2008 brach er die Maßnahme wegen Schmerzen im Fußgelenk ab.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 27.08.2010 ordentlich zum 31.03.2011. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 09.09.2010 beim Arbeitsgericht eingegangener Klage.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestandes und des erstinstanzlichen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 19.07.2011 (dort Seite 2-3 = Bl. 43-44 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat erstinstanzlich beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.08.2010 nicht aufgelöst ist.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht Koblenz hat die Klage mit Urteil vom 19.07.2011 abgewiesen und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt, die Kündigung der Beklagten sei wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit des Klägers sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei seit 28.02.2008 bis zum Kündigungsausspruchs am 27.08.2010 über zwei Jahre arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Eine Wiederherstellung seiner Arbeitsfähigkeit sei aufgrund des abgebrochenen Wiedereingliederungsversuchs und der sich anschließenden Arbeitsunfähigkeit indiziert. Gegen eine alsbaldige Besserung spreche auch die zuerkannte teilweise Erwerbsminderungsrente. Der Kläger habe keine Arbeitsplätze im Betrieb aufgezeigt, die eine dauerhafte und störungsfreie Fortbeschäftigung denkbar erscheinen ließen. Das Arbeitsverhältnis könne bei einer derart negativen Prognose zukünftig nicht sinnvoll fortgeführt werden. Besondere Umstände, die gleichwohl ein Festhalten am „entleerten“ Arbeitsverhältnis geboten hätten, seien nicht zu erkennen. Der erhebliche soziale Besitzstand aus über 23 Beschäftigungsjahren allein könne den rechtlichen Rahmen nicht tragen. Für den familiären Unterhalt helfe auch kein faktisch ruhendes Arbeitsverhältnis weiter. Den Umstand einer betrieblichen Krankheitsverursachung fange nach der gesetzgeberischen Konzeption im Wesentlichen die Solidargemeinschaft durch die gesetzliche Unfallversicherung auf.

Der Betriebsrat sei ordnungsgemäß angehört worden. Das Anhörungsschreiben vom 15.07.2010 enthalte sämtliche (subjektiv) maßgeblichen Kündigungserwägungen der Beklagten. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 4 bis 7 des erstinstanzlichen Urteils vom 19.07.2011 (Bl. 45-48 d.A.) Bezug genommen.

Das genannte Urteil ist dem Kläger am 03.08.2011 zugestellt worden. Er hat mit am 22.08.2011 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 04.10.2011 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Er ist der Ansicht, das erstinstanzliche Urteil beruhe auf einer rechtsfehlerhaften Würdigung des Sachverhalts. Die Beklagte habe ihn als Baufacharbeiter beschäftigt und nach Lohngruppe 3 des BRTV-Bau vergütet. Eine arbeitsvertragliche Konkretisierung auf eine bestimmte Tätigkeit der Lohngruppe 3 („Facharbeiter/ Baugeräteführer/ Berufskraftfahrer“) liege nicht vor. Er sei zwar zuletzt als Straßenbaufacharbeiter beschäftigt worden. Er habe jedoch im Verlauf seiner langjährigen Tätigkeit sämtliche vorkommenden Arbeiten ausgeführt, insbesondere auch die Tätigkeit als Baugeräteführer. Er könne deshalb auf allen Arbeitsplätzen eingesetzt werden, die seinem Restleistungsvermögen entsprechen. Nach ärztlicher Begutachtung im sozialgerichtlichen Verfahren (S 10 R 109/08) bestehe noch ein vollschichtiges Leistungsvermögen für leichte Arbeiten. Arbeiten, verbunden mit Gehen auf unebenem Gelände, Tätigkeiten mit Ersteigen von Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit häufigem Treppensteigen, Beschäftigungen in hockender, kniender und häufig gebückter Körperhaltung, vermehrte Überkopfarbeiten und Arbeiten unter Nässe und Kälte müssen vermieden werden. Mit dieser Restleistungsfähigkeit könne er als Baugeräteführer eingesetzt werden. Er verfüge zwar nicht über eine Berufsausbildung zum Baugeräteführer, er sei jedoch gesundheitlich in der Lage, Mini-Bagger und andere kleine Baugeräte, wie Radlader, Stampfer, kleine Walzen und Rüttelplatten zu bedienen. Ein diesbezüglicher Einsatz sei im Wege der Versetzung ohne weiteres möglich. Unter diesen Voraussetzungen bestehe keine negative Gesundheitsprognose für die nächsten 24 Monate. Die Beklagte treffe wegen seines Arbeitsunfalls (Verletzung des rechten Fußes mit nachfolgendem Schmerzsyndrom), den er im Jahr 1993 erlitten habe, eine gesteigerte Fürsorgepflicht. Stattdessen habe sie während des stufenweisen Wiedereingliederungsversuchs keine Rücksicht auf seine gesundheitliche Situation genommen, sondern ihn mit schweren Straßenbauarbeiten beschäftigt. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts habe die Beklagte den Betriebsrat nicht ordnungsgemäß angehört. Das Anhörungsschreiben vom 15.07.2010 enthalte zur Arbeitsunfähigkeit, zum Wiedereingliederungsversuch und zu möglichen Arbeitsplätzen keine konkreten Angaben. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Inhalt der Schriftsätze des Klägers vom 04.10.2011 (Bl. 80-86 d.A.) und vom 29.11.2011 (125-128 d.A.) nebst Anlagen Bezug genommen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 19.07.2011, Az. 11 Ca 1467/10, abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 27.08.2010 nicht aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe ihrer Schriftsätze vom 10.11.2011 (Bl. 104-111 d.A.) und vom 06.12.2011 (Bl. 135-139), auf die Bezug genommen wird, als zutreffend. Sie habe den Kläger als Baufacharbeiter eingesetzt. Für die Tätigkeit als Baugeräteführer fehle ihm die Ausbildung. Das Bedienen von Kleingeräten (Mini-Baggern, Staplern, Radladern etc.) werde in ihrem Betrieb nicht vollschichtig, sondern bei Bedarf von den Baufacharbeitern durchgeführt. Das Bedienen von Kleingeräten mache keinen Arbeitsplatz aus. Sie verfüge über keinen Arbeitsplatz, der dem Restleistungsvermögen des Klägers entspreche. Der Arbeitsunfall des Klägers habe sich am 27.07.1993 ereignet. Dieser Unfall sei nicht unmittelbar ursächlich für den jetzigen Gesundheitszustand des Klägers. Dies werde von der zuständigen Tiefbau-Berufsgenossenschaft ebenso bewertet.

Ergänzend wird auf den Inhalt der zwischen den Parteien gewechselten Schrift-sätze nebst Anlagen sowie auf die zu den Sitzungsniederschriften getroffenen Feststellungen Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG i.V.m. §§ 517, 519 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und in ausreichender Weise begründet worden. Sie ist somit zulässig.

II.

In der Sache hat die Berufung jedoch keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die krankheitsbedingte Kündigung der Beklagten vom 27.08.2010 mit Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist zum 31.03.2011 aufgelöst worden. Das Arbeitsgericht hat die Kündigungsschutzklage zu Recht und mit zutreffender Begründung abgewiesen.

Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

1. Die Kündigung der Beklagten ist wegen dauerhafter Arbeitsunfähigkeit sozial gerechtfertigt i.S.d. § 1 Abs. 2 KSchG. Der Kläger war seit dem 28.02.2008 bis zum Ausspruch der ordentlichen Kündigung am 27.08.2010 über zwei Jahre ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Er ist nach seinem Vorbringen auf Dauer nicht mehr in der Lage, Arbeiten auszuüben, die mit dem Gehen auf unebenem Gelände verbunden sind. Tätigkeiten mit Ersteigen von Leitern und Gerüsten, Arbeiten mit häufigem Treppensteigen, Beschäftigungen in hockender, kniender und häufig gebückter Körperhaltung, vermehrte Überkopfarbeiten und Arbeiten unter Nässe und Kälte müssen vermieden werden. Mit diesen körperlichen Leistungseinschränkungen kann der Kläger seine bisher ausgeübte Tätigkeit als Baufacharbeiter im Tief- und Straßenbauunternehmen der Beklagten auf Dauer nicht mehr ausführen. Damit ist auch eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen gegeben.

Entgegen der Annahme der Berufung ist die Kündigung nicht wegen der Möglichkeit anderweitiger Beschäftigung unwirksam. Dabei kommt bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz in Betracht. Der Arbeitgeber hat vielmehr alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrnehmung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggf. „freizumachen“ (vgl. BAG Urteil vom 30.09.2010 – 2 AZR 88/09 – NZA 2011, 39, m.w.N.).

Für den Kläger besteht im Baubetrieb der Beklagten keine andere Beschäftigungsmöglichkeit. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, ihm eine Stelle als Baugeräteführer anzubieten, denn der Kläger verfügt unstreitig nicht über die erforderliche Berufsausbildung. Soweit der Kläger zweitinstanzlich die Vorstellung entwickelt hat, die Beklagte könne ihn damit beschäftigen, Mini-Bagger und andere kleine Baugeräte (wie Radlader, Stampfer, kleine Walzen und Rüttelplatten) zu bedienen, fehlt es bereits an seiner gesundheitlichen Eignung für diese Arbeitsaufgaben. Die aufgeführten Baugeräte sind sowohl auf unebenem Gelände als auch bei Nässe, Kälte und Zugluft zu bedienen. Im Übrigen wäre der Kläger beim Bedienen dieser Geräte, dies ist insb. bei Stampfern und Rüttelplatten offensichtlich, Vibrationsbelastungen ausgesetzt. Die Arbeit unter Vibrationsbelastung ist zweifellos keine „leichte körperliche Arbeit“ im sozialmedizinischen Sinne, die der Kläger mit seinem eingeschränkten gesundheitlichen Leistungsvermögen noch verrichten könnte. Im Gegenteil: Nach der Lärm- und Vibrations-Arbeitsschutzverordnung vom 06.03.2007 (BGBl. I, S. 261) hat der Arbeitgeber Expositionsgrenzwerte, auch hinsichtlich der Einsatzdauer, einzuhalten, um die Gefährdung der Beschäftigten durch Vibrationen so weit wie möglich zu verringern. Es besteht daher für die Beklagte keine Möglichkeit, dem Kläger eine leidensgerechte Weiterbeschäftigungsmöglichkeit zu eröffnen.

Auch die Interessenabwägung führt nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Bei einer dauerhaften Arbeitsunfähigkeit ist in aller Regel davon auszugehen, dass der Arbeitgeber eine weitere unabsehbare Zeit billigerweise nicht hinzunehmen braucht. Daran kann auch der Umstand nichts ändern, dass der Kläger behauptet, seine Erkrankung stehe im Zusammenhang mit einem im Jahr 1993 erlittenen Arbeitsunfall.

2. Die Kündigung ist nicht nach § 102 Abs. 1 BetrVG unwirksam. Die Unterrichtung des Betriebsrats ist entgegen der vom Kläger vertretenen Auffassung nicht zu beanstanden. Die mit dem Anhörungsschreiben vom 15.07.2010 dem Betriebsrat mitgeteilten Tatsachen stellen eine vollständige und zutreffende Beschreibung der Kündigungsgründe dar. Die Beklagte hat dem Betriebsrat mitgeteilt, dass der Kläger seit dem 28.02.2008 erkrankt und ein Wiedereingliederungsversuch im September 2008 abgebrochen worden sei. Der Kläger sei gesundheitlich nicht mehr in der Lage, seiner Tätigkeit als Baufacharbeiter nachzugehen. Sie könne ihm keinen Arbeitsplatz zur Verfügung stellen, der seinen gesundheitlichen Einschränkungen entspreche. Damit hat die Beklagte dem Betriebsrat die aus ihrer Sicht für ihren Kündigungsentschluss bestimmenden Umstände vollständig mitgeteilt.

III.

Nach alledem ist die Berufung des Klägers mit der Kostenfolge aus § 97 Abs. 1 ZPO zurückzuweisen.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

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