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Krankheitsbedingte Kündigung eines Betreuten

Hessisches Landesarbeitsgericht, Az.: 4 Sa 916/15, Urteil vom 28.02.2017

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 09. Juli 2015 – 11 Ca 44/15 – abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über eine krankheitsbedingt begründete Kündigung.

Die Beklagte ist ein Unternehmen der Metallbranche. Sie beschäftigt regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer. In ihrem Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet. Der Kläger ist verheiratet und als Schwerbehinderter mit einem Grad der Behinderung von fünfzig anerkannt. Er ist für die Beklagte seit dem 01. September 1989 als Galvaniseur zu einer Bruttomonatsvergütung von zuletzt 2.482 € tätig.

Krankheitsbedingte Kündigung eines Betreuten
Symbolfoto: nuoil830/Bigstock

Der Kläger fehlte krankheitsbedingt im Jahr 2010 an 42 Arbeitstagen, im Jahr 2011 an 53, im Jahr 2012 an 29, im Jahr 2013 an 58,5 und im Jahr 2014 an 63. Wegen der genauen Zeiträume wird auf die Anlage B 1 zum Schriftsatz vom 12. Mai 2015 (Bl. 27, 28 d. A.) Bezug genommen. Krankheitsursachen waren überwiegend psychische Beschwerden des Klägers, nämlich rezidivierende depressive Störungen und eine mittelgradige depressive Episode. Diese waren Ursache der Fehlzeiten vom 05. September 2011 bis zum 20. Januar 2012, vom 15. Juli bis zum 06. Dezember 2013 und für die durchgehende Fehlzeit seit 20. August 2014 bis zum Kündigungszeitpunkt. Am 29. Juni 2011, 30. Mai 2012, 07. und 08. Februar 2013, 29. und 30. April 2014, 09. Mai 2014 sowie am 26. Juli 2014 litt der Kläger an Migräne und Schwindelbeschwerden, die in Zusammenhang mit seinen psychischen Erkrankungen stehen.

Am 18. Dezember 2013 führte die Beklagte mit dem Kläger ein Präventionsgespräch durch. An diesem nahmen der Betriebsratsvorsitzende sowie Vertreter des Integrationsamtes und der IG Metall teil. Unter dem 13. Oktober 2014 ordnete das Amtsgericht Wetzlar die Betreuung des Klägers bezüglich seiner Gesundheitssorge, seiner Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten sowie seiner arbeitsrechtlichen Angelegenheiten an, da der Kläger nicht in der Lage sei, für diese Angelegenheiten zu sorgen. Mit Schreiben vom 19. November 2014 beantragte die Beklagte die Zustimmung des Integrationsamtes zu einer krankheitsbedingten Kündigung. Mit Schreiben vom 24. November 2014 stimmte der Betriebsrat einer solchen Kündigung zu. Das Integrationsamt erteilte mit Bescheid vom 26. Januar 2015 seine Zustimmung zu der Kündigung. Die Anhörung der den Kläger behandelnden Ärzte ergab nach den Feststellungen des Integrationsamtes folgendes Ergebnis:

„Die Hausärztin des Herrn A, Frau Dr. B, teilte in ihrer Stellungnahme vom 08.12.2014 gegenüber dem Integrationsamt mit, dass sie Herrn A grundsätzlich für in der Lage halte, die zuletzt ausgeübte Tätigkeit auch weiterhin zu verrichten, der aktuell bestehende Hinderungsgrund liege in der depressiven Störung, deshalb könne sie die weiteren Fragen in Bezug auf die Weiterbeschäftigung und die Belastungen am Arbeitsplatz nur sehr eingeschränkt beantworten. Sie verweist diesbezüglich auf die fachärztliche Betreuung der Neuropraxis C. Von dieser liege ihr aktuell kein Bericht vor.

Der behandelnde Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, Herr D, Neuropraxis C, teilte in seiner Stellungnahme vom 09.12.2014 gegenüber dem Integrationsamt mit, dass bei Herrn A eine rezidivierende depressive Störung, gegenwärtig mittelgradiger Episode bestehe. Die letzte Arbeitsunfähigkeit wurde von ihm attestiert am 11.09.2014 bis 22.01.2015. Den Fehlzeiten lagen und liegen jeweils depressive Zustände zugrunde, die mit massiver Antriebslosigkeit, Stimmungsschwankungen sowie fortlaufender Kränkungen zusammenhängen. Eine letzte Rehabilitationsmaßnahme sei vom 29.07. bis 31.08.2013 erfolgt. An der Prognose der Erkrankung habe das Heilverfahren nichts bewirkt. Die Form der Erkrankung erinnere an eine endogene Depression, die erfahrungsgemäß teilweise zu einer Erwerbsminderung führe. Daher sei ein erneuter Antrag diesbezüglich bei der Deutschen Rentenversicherung sinnvoll. Bezüglich der Möglichkeit einer Weiterbeschäftigung am bisherigen Arbeitsplatz teilte er mit, dass Herr A aufgrund der erheblichen Fehltage in den Jahren 2011 bis 2014 die vertraglich vorgesehene Tätigkeit nicht weiter ausüben könne. Es bestünden weiterhin Einschränkungen aus neurologisch psychiatrischen Gründen, eine kontinuierliche Belastung über acht Stunden ohne stündliche Pausen mit 15. Minuten Auszeit erbringen zu können.

Einen Zusammenhang mit den Belastungen und Anforderungen am Arbeitsplatz und den aufgetretenen Fehlzeiten sehe er nicht. Natürlich werde innerhalb der depressiven Erkrankung mit entsprechender Wahrnehmung des Konfliktpotentials vom Patienten ausgegangen. Bei einer Weiterbeschäftigung sei auch zukünftig mit erheblichen Fehlzeiten sicherlich auch von mehr als 42 Tagen pro Jahr zu rechnen. Eine Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit innerhalb der nächsten sechs Monate sei nicht zu erwarten.“

In seiner Begründung führte das Integrationsamt aus, es sei davon auszugehen, dass der Kläger seine bisherige Tätigkeit dauerhaft nicht mehr in der Beklagten wirtschaftlich zumutbarem Umfang ausführen könne. Es bestehe eine eindeutig negative Gesundheitsprognose. Die arbeitgeberseitigen Interessen an einer Lösung des Arbeitsverhältnisses überwögen die gegenläufigen Interessen des Klägers. Wegen des vollständigen Inhalts des Bescheides wird auf die Anlage B 2 zum Schriftsatz vom 12. Mai 2015 (Bl. 29 – 34 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 28. Januar zum 31. August 2015. Hiergegen hob der Kläger die vorliegende, am 03. Februar 2015 beim Arbeitsgericht eingereichte und am 06. Februar 2015 zugestellte Kündigungsschutzklage.

Der Kläger hat eine ordnungsgemäße Betriebsratsanhörung mit Nichtwissen bestritten und behauptet, es bestehe eine positive Gesundheitsprognose. Wegen seiner psychischen Erkrankungen habe er zunächst eine medikamentöse Therapie absolviert, die bereits zu einer Besserung geführt habe. Nunmehr unterziehe er sich einer ambulanten Gesprächs- und Verhaltenstherapie, nach deren Absolvierung davon auszugehen sei, dass die Fehlzeiten auf Grund psychischer Beschwerden in signifikantem Umfang nicht mehr auftreten würden.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass da Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung der Beklagten vom 28. Januar 2015 nicht beendet wird,

im Falle des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die Beklagte zu verurteilen, den Kläger bis zum rechtskräftigen Abschluss des Kündigungsschutzverfahrens zu unveränderten arbeitsvertraglichen Bedingungen als Galvaniseur weiter zu beschäftigen.

Die Beklagte hat zur Begründung ihres Zurückweisungsantrages den Vortrag des Klägers zu seinen Therapien mit Nichtwissen bestritten und geltend gemacht, es bestehe eine negative Gesundheitsprognose. Sie hat behauptet, ihr seien einschließlich der Arbeitgeberanteile zur Sozialversicherung Entgeltfortzahlungskosten in Höhe von 2.209,76 € im Jahr 2010, von 7.223,82 € im Jahr 2011, von 4.044,70 € im Jahr 2012, von 8.205,37 € im Jahr 2013 sowie in Höhe von 9.114,61 € im Jahr 2014 entstanden.

Durch die Einstellung von Ersatzpersonal seien weitere Kosten in Höhe von 31.424 € ausgelöst worden. Ein geeigneter leidensgerechter Arbeitsplatz stehe nicht zur Verfügung. Die Beklagte behauptete zunächst, sie habe den Betriebsrat über die Kündigung mit einem Schreiben vom 19. November 2014 unterrichtet. Nachdem sich herausstellte, dass es sich dabei um den in der Anlage B 3 zum Schriftsatz vom 12. Mai 2015 (Bl. 35, 36 d. A.) ersichtlichen Zustimmungsantrag an das Integrationsamt handelte, behauptete sie im Kammertermin vom 09. Juli 2015, der Betriebsrat sei mit dem in der Anlage zur Sitzungsniederschrift vom 09. Juli 2015 ersichtlichen Schreiben vom 20. November 2014 (Bl. 75 – 78 d. A.) unterrichtet worden.

In diesem Termin war die von der Beklagten als Zeugin für die Betriebsratsanhörung benannte Prokuristin E anwesend. Gegenbeweis trat der Kläger in diesem Termin nicht an.

Das Arbeitsgericht erkannte nach den Anträgen des Klägers. Zur Begründung führte es aus, die Kündigung sei nach § 102 BetrVG unwirksam. Die Beklagte habe entgegen der Auflage aus dem Gütetermin die Betriebsratsanhörung nicht dargelegt. Ihr Vortrag aus dem Kammertermin sei als verspätet zurückzuweisen. Wegen der vollständigen Begründung wird auf die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils (Bl. 84 – 88 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte hat gegen das am 05. August 2015 zugestellte Urteil am 07. August 2015 Berufung eingelegt und diese nach rechtzeitig beantragter Verlängerung der Begründungsfrist bis zum 26. Oktober 2015 am 13. Oktober 2015 begründet. Sie rügt, dass ihr Vortrag aus dem Kammertermin nicht habe zurückgewiesen werden dürfe, da Frau E als präsente Zeugin anwesend gewesen sei und durch ihre Vernehmung eine Verzögerung des Rechtsstreits nicht eingetreten wäre. Die Beklagte behauptet, Frau E habe das Anhörungsschreiben vom 20. November 2014 am selben Tag dem Betriebsratsmitglied F übergeben. Zu diesem Zeitpunkt seien der Betriebsratsvorsitzende und dessen Vertreter im Betrieb nicht anwesend gewesen. Das Unterrichtungsschreiben habe dem Betriebsrat bei dessen Beschlussfassung am 24. November 2014 vorgelegen. Im Betrieb bestünden keine Teilzeitstellen.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags der Beklagten wird auf die Schriftsätze vom 12. Oktober 2015 sowie vom 12. September und 26. Oktober 2016 Bezug genommen.

Die Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Gießen vom 09. Juli 2015 – 11 Ca 44/15 – abzuändern und die Klage abzuweisen.

Der Kläger hält zur Begründung seines Zurückweisungsantrags an seinem Bestreiten der Betriebsratsanhörung mit Nichtwissen fest. Er behauptet, die Einzeltherapie habe zu einer signifikanten Besserung seiner psychischen Erkrankung geführt. Eine Einnahme von Psychopharmaka sei nicht mehr erforderlich. Dies sei bei Kündigungsausspruch absehbar gewesen. Er könne zumindest noch halbschichtig beschäftigt werden. Ein ordnungsgemäßes betriebliches Eingliederungsmanagement habe die Beklagte nicht dargelegt.

Wegen des weiteren zweitinstanzlichen Vortrags des Klägers wird auf die Schriftsätze vom 08. Dezember 2015 sowie vom 03. August und 03. November 2016 Bezug genommen.

Die Berufungskammer hat durch Vernehmung des Zeugen F Beweis erhoben. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf die Sitzungsniederschrift vom 28. Februar 2017 (Bl. 230 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist begründet, da die Klage unbegründet ist. Das Arbeitsverhältnis der Parteien endete durch die Kündigung vom 28. Januar 2015.

I.

Die Klage ist zulässig.

Dem steht insbesondere nicht die Geschäfts- und die daraus resultierende Prozessunfähigkeit des Klägers gemäß §§ 104 Nr. 2 BGB, 51 Abs. 1 ZPO entgegen. Durch die Vorlage der von der Betreuerin des Klägers unterzeichneten Prozessvollmacht vom 28. Juni 2016 (Bl. 161 d. A.) wurde die bis dahin fehlende Prozessführungsbefugnis geheilt.

II.

Die Klage ist nicht begründet.

1. Die Wirksamkeit der Kündigung folgt allerdings nicht bereit aus § 7 in Verbindung mit § 4 S. 1 KSchG. Zwar bedarf die Erhebung einer Kündigungsschutzklage einer wirksamen Prozessvollmacht. Daran fehlte es zunächst, da der Kläger aufgrund seiner Betreuung selbst zur Erteilung einer Prozessvollmacht zum Zeitpunkt der Klageerhebung nicht befugt war. Ein derartiger Vertretungsmangel kann jedoch gemäß § 89 Abs. 2 ZPO auch noch nach Ablauf der Klagefrist von § 4 Abs. 1 KSchG geheilt werden (KR-Friedrich/Klose 11. Aufl. § 4 KSchG Rn. 215). Dies geschah hier durch die Prozessvollmacht der Betreuerin des Klägers vom 28. Juni 2016.

2. Das Arbeitsgericht ist zu Unrecht zu dem Ergebnis gelangt, dass die Kündigung wegen einer fehlenden ordnungsgemäßen Unterrichtung des Betriebsrats nach § 102 Abs. 1,2 BetrVG gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam ist.

a) Das Arbeitsgericht durfte den Vortrag der Beklagten, dass der Betriebsrat mit dem im Kammertermin vom 09. Juni 2015 vorgelegten Schreiben vom 20. November 2014 über die Kündigung unterrichtet worden sei, nicht nach § 61 a Abs. 5 ArbGG zurückweisen. Dies hätte unter anderem vorausgesetzt, dass die Zulassung von einer Partei verspätet vorgebrachter Angriffs- oder Verteidigungsmittel die Erledigung des Rechtsstreits verzögern würde. Dazu ist unter anderem Voraussetzung, dass der verspätete Vortrag entscheidungserheblich ist und dass die Richtigkeit von entscheidungserheblichem Vortrag im Termin durch die Erhebung präsenter Beweise nicht geprüft werden kann (vgl. BAG 18. Januar 1980 – 7 AZR 260/78 – AP BGB § 626 Nachschieben von Kündigungsgründen Nr. 1, zu 2 a; GK-ArbGG-Schütz Stand April 2017 § 56 Rn 59, 69, 74; Düwell/Lipke-Kloppenburg ArbGG 3. Aufl. § 56 Rn. 50; Natter/Gross ArbGG 2. Aufl. § 56 Rn. 19, 25).

Hier fehlte es an beiden Voraussetzungen. Das Arbeitsgericht hat zunächst in keiner Weise begründet, aus welchen Gründen der neue Vortrag der Beklagten aus dem Kammertermin entscheidungserheblich war. Daran hätten erhebliche Zweifel bestehen können, da die Beklagte auch in diesem Termin nicht dargelegt hatte, wann auf welche Weise das Schreiben vom 20. November 2014 dem Betriebsrat wirksam zugegangen ist. Wenn das Arbeitsgericht den neuen Vortrag der Beklagten dagegen als erheblich erachtet hätte, hätte es zur Überprüfung der Richtigkeit dieses Vortrags die präsente Zeugin E vernehmen müssen. Da der Kläger keinen Gegenbeweis angetreten hatte, wäre die Zeugin das einzige zu erhebende Beweismittel gewesen. Die Zulassung des neuen Vortrags der Beklagten hätte dann die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögert.

b) Das Schreiben vom 20. November 2014 ist dem Betriebsrat wirksam zugegangen. Allerdings wird ein Betriebsrat nach § 26 Abs. 2 S. 1 BetrVG von seinem Vorsitzenden und im Fall von dessen Verhinderung von dessen Vertreter vertreten. Gleichwohl kann der Arbeitgeber sich auch im Beteiligungsverfahren nach § 102 Abs. 1 S. 1, S. 2 BetrVG eines Boten bedienen. Dabei trägt er das Übermittlungsrisiko. Die Unterrichtung ist in diesem Fall dann wirksam zustande gekommen, wenn sie dem Betriebsratsgremium vorliegt (BAG 26. September 1991 – 2 AZR 132/91 – AP KSchG 1969 § 1 Krankheit Nr. 28, zu A III 2 a).

Der Zeuge F hat in seiner Vernehmung im Termin vom 28. Februar 2017 bestätigt, dass er das Unterrichtungsschreiben vom 20. November 2014 samt dessen Anlage mit den Aufstellungen der Krankheitstage und der Entgeltfortzahlungskosten von Frau E entgegengenommen und an das Betriebsratsgremium weiter gegeben hat, so dass es diesem bei seiner Beschlussfassung vorlag. Zweifel an der Glaubwürdigkeit des Zeugen oder an der Glaubhaftigkeit seiner Aussage bestehen nicht. Auch der Kläger hat in der Erörterung des Ergebnisses der Beweisaufnahme im Termin vom 28. Februar 2017 eingeräumt, dass insoweit kein Anlass zu Bedenken besteht.

Es kann dahinstehen, ob Herr F seinerzeit als weiterer Vertreter der gegebenenfalls verhinderten gesetzlichen Vertreter des Betriebsrats handelte. Er bewirkte jedenfalls als Erklärungsbote den Zugang der Unterrichtung beim Betriebsrat. Daher war das Schreiben dem Betriebsrat vor dessen Beschlussfassung über seine Stellungnahme zur Kündigung wirksam zugegangen.

c) Das Anhörungsschreiben vom 20. November 2014 erfüllt auch die inhaltlichen Anforderungen von § 102 Abs. 1 S. 1, S. 2 BetrVG. Die Personalien des Klägers sind vollständig aufgeführt. Aus der Anlage zu diesem Schreiben ergeben sich zudem eingehend die Einzelheiten der Fehlzeiten des Klägers seit dem Jahr 2010 und die darauf beruhenden Entgeltfortzahlungskosen. Damit hat die Beklagte den aus ihrer Sicht maßgeblichen Kündigungssachverhalt vollständig erläutert.

3. Die Kündigung wurde nach der Zustimmung des Integrationsamtes gemäß § 88 Abs. 2 S. 1 SGB IX innerhalb der Frist vom § 88 Abs. 3 SGB IX erklärt und ist daher nicht nach §§ 85 SGB, 134 BGB nichtig.

4. Die Kündigung ist schließlich auch nicht gemäß § 1 KSchG unwirksam, da sie im Sinne von § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG durch Gründe in der Person des Klägers sozial gerechtfertigt ist.

Häufige Kurzerkrankungen eines Arbeitnehmers können eine krankheitsbedingte Kündigung sozial rechtfertigen, wenn eine negative Gesundheitsprognose besteht. Zum Kündigungszeitpunkt müssen objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang befürchten lassen. Weiter müssen die prognostizierten Fehlzeiten zu einer erheblichen Beeinträchtigung betrieblicher Interessen führen. Diese können sowohl in Betriebsablaufstörungen als auch in zu erwartenden Entgeltfortzahlungskosten liegen, sofern die Zahlungen einen Umfang von sechs Wochen pro Jahr übersteigen. Im Rahmen der abschließend gebotenen Interessenabwägung ist schließlich zu prüfen, ob die Beeinträchtigungen vom Arbeitgeber gleichwohl hingenommen werden müssen (ständige Rechtsprechung, etwa BAG 20. November 2014 – 2 AZR 755/13 – BAGE 150/117, zu B I 2 b). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

a) Treten während der letzten Jahre vor Kündigungsausspruch jährlich mehrere (Kurz-)Erkrankungen auf, spricht dies für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes, es sei denn, die Krankheiten sind ausgeheilt. Der Arbeitgeber kann sich daher zunächst auf eine Darlegung entsprechender Fehlzeiten beschränken. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, gemäß § 138 Abs. 2 ZPO darzulegen, weshalb im Kündigungszeitpunkt mit einer baldigen Genesung zu rechnen war. Der Arbeitnehmer genügt der prozessualen Mitwirkungspflicht, wenn er vorträgt, die behandelnden Ärzte hätten seine gesundheitliche Entwicklung positiv beurteilt (BAG 20. November 2014 a. a. O., zu B I 3, m. w. N.).

Daran fehlt es hier. Der Kläger war seit September 2011 in einem erheblichen, im Schnitt über sechs Wochen pro Jahr liegenden Umfang aufgrund seiner psychischen Erkrankungen sowie der damit in Zusammenhang stehenden Migräne- und Schwindelbeschwerden arbeitsunfähig. Damit erfüllt die Beklagte mit dem Vortrag dieser Umstände ihre Darlegungslast.

Der Vortrag des Klägers zu einer positiven Gesundheitsprognose genügt dagegen den von ihm zu erfüllenden Anforderungen nicht. Zunächst hat er nicht behauptet, dass irgendeiner der ihn behandelnden Ärzte ihm gegenüber eine solche Aussage gemacht habe. Weiter hat er auch nach der entsprechenden Auflage der Berufungskammer vom 14. Juli 2016 nicht näher dargelegt, aus welchen Gründen zum Kündigungszeitpunkt von einer positiven Gesundheitsprognose auszugehen gewesen sein soll. Sein entsprechender erstinstanzlicher Vortrag blieb völlig unsubstantiiert. Aus ihm wurde nicht deutlich, auf Grund welcher zum Kündigungszeitpunkt bereits eingeleiteter Therapiemaßnahmen welche konkrete Gesundheitsprognose abzuleiten gewesen sein soll. Dieser Vortrag erscheint rein spekulativ, da ihm kein konkret subsumierbarer Tatsachenkern zu entnehmen ist. Allein die Benennung behandelnder Ärzte als Zeugen durch den Kläger genügt zur Wiederlegung der Vermutung einer negativen Gesundheitsprognose nicht (vgl. BAG 20. November 2014 a. a. O., zu B I 3 d).

Dies gilt umso mehr vor dem Hintergrund des Inhalts der Stellungnahmen der vom Kläger im Verfahren vor dem Integrationsamt benannten Ärzte. Die Stellungnahme von Frau Dr. B blieb insoweit ohne nähere Aussagekraft. Die Stellungnahme des Facharztes für Neurologie und Psychiatrie D war dafür umso eindeutiger. Dieser sah keine Möglichkeit für den Kläger mehr, seine vertraglich geschuldete Tätigkeit weiter ausüben zu können. Es sei auch weiterhin sicherlich mit erheblichen Fehlzeiten von mehr als 42 Tagen pro Jahr zu rechnen. Nach dieser Stellungnahme ist mit Gewissheit von einer negativen Gesundheitsprognose auszugehen. Konkrete Anhaltspunkte, die gegen diesen Befund sprechen, lassen sich dem Vortrag des Klägers nicht entnehmen.

Die Beklagte muss sich auch nicht auf ein milderes Mittel als die Beendigung des Arbeitsverhältnisses verweisen lassen. Dass im Betrieb geeignete Teilzeitarbeitsplätze zur Verfügung stehen oder auf der Beklagten im Sinne von § 81 Abs. 4 S. 1 Nr. 4, S. 3 SGB IX mögliche und zumutbare Weise geschaffen werden können, hat der Kläger nicht erläutert.

Schließlich greift seine Rüge einer ordnungsgemäßen Prävention im Sinne von § 84 SGB IX nicht durch. Insoweit kann zugunsten des Klägers ein derartiger Mangel unterstellt werden. Ein unzureichendes Präventionsverfahren ist für sich kein Unwirksamkeitsgrund für eine krankheitsbedingte Kündigung, sondern führt nur zu einer Verschiebung der Darlegungslast bezüglich verbleibender Weiterbeschäftigungsmöglichkeiten zu Lasten des Arbeitgebers (ständige Rechtsprechung seit BAG 07. Dezember 2006 – 2 AZR 182/06 – BAGE 120/293, zu B III 3). Wurde bei einem schwerbehinderten Arbeitnehmer im Zustimmungsverfahren nach den §§ 85 ff SGB IX vom Integrationsamt die Zustimmung zur Kündigung erteilt, kann nur im Fall des Vorliegens besonderer Umstände davon ausgegangen werden, dass ein ordnungsgemäßes Präventionsverfahren die Kündigung hätte verhindern können (BAG 07. Dezember 2006 a. a. O., zu B II 3 e). Dies ist hier nicht der Fall.

b) Auch die zweite Prüfungsstufe ist erfüllt. Die Beklagte hat dargelegt, dass bei ihr in der Zeit seit November 2011 durch in Zusammenhang mit der psychischen Erkrankung des Klägers stehende Arbeitsunfähigkeitsperioden im Schnitt Entgeltfortzahlungskosten von mehr als sechs Wochen pro Jahr angefallen sind. Das pauschale Bestreiten dieser Kosten durch den Kläger ist nicht beachtlich. Dem Kläger sind die entsprechenden Ausfallzeiten und die dafür gezahlte Vergütung bekannt. Es hätte ihm daher gemäß § 138 Abs. 1 ZPO oblegen, den Vortrag der Beklagten qualifiziert zu bestreiten und darzulegen, welche aus welchen Gründen geringeren Entgeltfortzahlungskosten entstanden sind. Daran fehlt es.

c) Auch die abschließende Interessenabwägung fällt zu Gunsten der Beklagten aus. Es ist zwar nicht zu verkennen, dass der Kläger durch seine langjährige Beschäftigung bei der Beklagten einen erheblichen sozialen Besitzstand erworben hat und dass die Beendigung des Arbeitsverhältnisses ihn und seine Familie empfindlich trifft. Gleichwohl überwiegen die Beendigungsinteressen der Beklagten. Diese hat über mehrere Jahre aufgrund der krankheitsbedingten Ausfälle des Klägers eine erhebliche Störung des arbeitsvertraglichen Austauschverhältnisses hinnehmen müssen. Eine Besserung dieses Zustandes ist nicht zu erwarten, sondern – insbesondere unter Berücksichtigung der ärztliche Stellungnahme von Herrn D – überaus unwahrscheinlich. Dies macht der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht mehr zumutbar. Damit ist die Kündigung sozial gerechtfertigt.

III.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 S. 1 ZPO.

Ein Grund zur Zulassung der Revision im Sinne von § 72 Abs. 2 ArbGG besteht nicht.

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