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Krankheitsbedingte Kündigung – Nichtdurchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 8 Sa 237/11 – Urteil vom 07.12.2011

Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 14.4.2011 – 1 Ca 2282/10 – wie folgt abgeändert:

Es wird festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.11.2010 zum 31.5.2011 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.

Der am … 1956 geborene Kläger war seit dem 10.01.1994 bei der Beklagten, die regelmäßig mehr als zehn Arbeitnehmer beschäftigt, zuletzt als Metallhelfer, vertretungsweise auch als Staplerfahrer tätig.

Der Kläger war im Jahr 2004 an 17 Arbeitstagen, im Jahr 2005 an 27 Arbeitstagen, im Jahr 2006 an 20 Arbeitstagen, im Jahr 2007 an 34 Arbeitstagen, im Jahr 2008 an 57 Arbeitstagen und im Jahr 2009 an 49 Arbeitstagen arbeitsunfähig erkrankt. Im Jahr 2010 fehlte der Kläger infolge Arbeitsunfähigkeit vom 12.02. bis einschließlich 15.05.2010 (64 Arbeitstage) sowie am 04. und 05.11.2010. Zur näheren Darstellung der einzelnen Arbeitsunfähigkeitszeiten sowie hinsichtlich der zugrunde liegenden Krankheiten in den Jahren 2008 bis 2010 wird auf die vom Kläger zu den Akten gereichten Listen der A L vom 31.01.2011 (Bl. 108 bis 111 d. A.) Bezug genommen.

Die Beklagte, die nach eigener Behauptung im Jahr 2008 für insgesamt 81 Kalendertage, im Jahr 2009 für insgesamt 63 Kalendertage und im Jahr 2010 für insgesamt 42 Kalendertage Entgeltfortzahlung an den Kläger leisten musste, kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 26.11.2010 ordentlich zum 31.05.2011. Ein betriebliches Eingliederungsmanagement nach § 84 Abs. 2 SGB IX war vor Kündigungsausspruch nicht durchgeführt worden.

Gegen diese Kündigung richtet sich die vom Kläger am 10.12.2010 beim Arbeitsgericht eingereichte Klage.

Zur Darstellung des unstreitigen Tatbestandes sowie des erstinstanzlichen streitigen Parteivorbringens wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Ludwigshafen vom 14.04.2011 (Bl. 155 bis 157 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger hat beantragt, festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung vom 26.11.2010 zum 31.05.2011 nicht aufgelöst wird.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 14.04.2011 die Klage abgewiesen. Zur Darstellung der maßgeblichen Entscheidungsgründe wird auf die Seiten 5 bis 9 dieses Urteils = Bl. 158 bis 162 d. A. verwiesen.

Gegen das ihm am 30.05.2011 zugestellte Urteil hat der Kläger am 01.06.2011 Berufung eingelegt und diese innerhalb der ihm mit Beschluss vom 10.06.2011 verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 29.08.2011 begründet.

Der Kläger macht im Wesentlichen geltend, entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei die Kündigung nicht aus krankheitsbedingten Gründen sozial gerechtfertigt. Diesbezüglich fehle es bereits an der erforderlichen negativen Gesundheitsprognose. Eine Wiederholungsgefahr bestehe letztlich lediglich hinsichtlich seiner chronischen Bronchitis, die auf seine frühere Tätigkeit bei der Beklagten in der Lackiererei zurückzuführen sei. Betriebsablaufstörungen seien infolge seiner krankheitsbedingten Fehlzeiten ebenso wenig eingetreten wie eine unzumutbare wirtschaftliche Belastung der Beklagten. Auch die Interessenabwägung falle zu seinen Gunsten aus. Insoweit müsse berücksichtigt werden, dass er über viele Jahre hinweg beanstandungsfrei seine Arbeitsleistung erbracht und seine gesundheitlichen Belange in bestimmten Arbeitssituationen hinter die betrieblichen Interessen der Beklagten gestellt habe. Auch könnten seine Unterhaltsverpflichtungen gegenüber seiner Ehefrau und gegenüber seinen drei Kindern, die zwar volljährig jedoch wirtschaftlich von ihm abhängig seien, nicht unberücksichtigt bleiben. Letztlich erweise sich die streitbefangene Kündigung als unverhältnismäßig. Dies gelte insbesondere deshalb, weil die Beklagte vor Kündigungsausspruch kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt habe. Es bestehe sehr wohl die Möglichkeit, ihn – notfalls im Wege der Änderungskündigung – auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz zu versetzen. Die ihr diesbezüglich zur Verfügung stehenden Möglichkeiten habe die Beklagte nicht ausgeschöpft. Insbesondere bestünde die Möglichkeit, ihn als Staplerfahrer zu beschäftigen. Die Tätigkeiten der Staplerfahrer seien mit keiner übermäßigen Kraftanstrengung verbunden. Auch seien hierfür keine Deutschkenntnisse erforderlich. Letztlich treffe es – entgegen der Behauptung der Beklagten – auch nicht zu, dass die in Abteilung III vorhandene Stelle eines Staplerfahrers mit einem Mitarbeiter besetzt sei, der gleichfalls unter erheblichen gesundheitlichen Problemen leide und deshalb von diesem Arbeitsplatz nicht versetzt werden könne. Der betreffende Mitarbeiter sei nämlich – dies ist zwischen den Parteien unstreitig – zeitgleich mit ihm, dem Kläger, gekündigt worden.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens des Klägers im Berufungsverfahren wird auf dessen Berufungsbegründungsschrift vom 29.08.2011 (Bl. 222 bis 243 d. A.) Bezug genommen.

Der Kläger beantragt, das erstinstanzliche Urteil abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die Kündigung der Beklagten vom 26.11.2010 zum 31.05.2011 aufgelöst worden ist.

Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht im Wesentlichen geltend, bereits in Ansehung der Fehlzeiten des Klägers in der Vergangenheit und der diesen Fehlzeiten zugrunde liegenden Erkrankungen sei davon auszugehen, dass der Kläger auch zukünftig in erheblichem Umfang arbeitsunfähig erkranken werde. Es werde bestritten, dass die Erkrankungen des Klägers überwiegend ausgeheilt seien und insoweit keine Wiederholungsgefahr bestehe. Die Fehlzeiten des Klägers führten infolge der an ihn zu leistenden Entgeltfortzahlungen zu einer unzumutbaren wirtschaftlichen Belastung. Auch das Ergebnis der durchzuführenden Interessenabwägung stehe der sozialen Rechtfertigung der Kündigung nicht entgegen. Ein Ursachenzusammenhang zwischen Erkrankungen des Klägers und seiner beruflichen Tätigkeit sei nicht nachgewiesen und daher zu bestreiten. Die Nichtdurchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements führe vorliegend nicht zur Unwirksamkeit der Kündigung. Wie bereits erstinstanzlich dargelegt, sei ein leidensgerechterer Arbeitsplatz für den Kläger nicht vorhanden gewesen. Soweit der Kläger nach Kündigungsausspruch in die Abteilung III umgesetzt worden sei, so sei dies aus betrieblichen Gründen erfolgt. Der betreffende Arbeitsplatz sei jedoch zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs nicht frei gewesen. Dies gelte auch für den Arbeitsplatz des in der Abteilung III eingesetzten Staplerfahrers. Auch dieser Arbeitsplatz sei zum Zeitpunkt des Kündigungsausspruchs besetzt gewesen.

Zur Darstellung aller Einzelheiten des Vorbringens der Beklagten im Berufungsverfahren wird auf deren Berufungserwiderungsschrift vom 28.09.2011 (Bl. 271 bis 285 d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die statthafte Berufung ist sowohl form- als auch fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das somit insgesamt zulässige Rechtsmittel hat auch in der Sache Erfolg.

II.

Die Kündigungsschutzklage ist begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die streitbefangene ordentliche Kündigung vom 26.11.2010 zum 31.05.2011 nicht aufgelöst worden. Die Kündigung erweist sich als sozial ungerechtfertigt. Sie ist nicht durch Gründe im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG, die in der Person des Klägers liegen, bedingt.

1. Die soziale Rechtfertigung einer wegen häufiger Kurzerkrankungen ausgesprochenen Kündigung des Arbeitgebers ist nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (vgl. BAG v. 29.07.1993 -2 AZR 155/93 – m. w. N.) in mehreren Stufen zu prüfen.

Zunächst ist eine negative Zukunftsprognose erforderlich. Es müssen zum Zeitpunkt der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang rechtfertigen. Häufige Kurzerkrankungen in der Vergangenheit können für eine entsprechende künftige Entwicklung des Krankheitsbildes sprechen. Dann darf der Arbeitgeber sich zunächst darauf beschränken, die Indizwirkung entfaltenden Fehlzeiten in der Vergangenheit darzulegen. Daraufhin muss der Arbeitnehmer gemäß § 138 Abs. 2 ZPO dartun, weshalb mit einer baldigen Genesung zu rechnen sei.

Die prognostizierten Fehlzeiten sind nur dann geeignet, eine krankheitsbedingte Kündigung sozial zu rechtfertigen, wenn sie zu erheblichen Beeinträchtigungen der betrieblichen Interessen führen. Neben Betriebsablaufstörungen kann ein Kündigungsgrund auch eine erhebliche wirtschaftliche Belastung des Arbeitgebers sein. Auch außergewöhnlich hohe Entgeltfortzahlungskosten können den Arbeitgeber erheblich belasten, wenn hierdurch das Austauschverhältnis auf unbestimmte Zeit ganz erheblich gestört wird. Davon ist auszugehen, wenn für die Zukunft mit immer neuen, außergewöhnlich hohen Entgeltfortzahlungskosten zu rechnen ist, die pro Jahr jeweils für einen Zeitraum von mehr als sechs Wochen aufzuwenden sind.

Eine Kündigung ist aber entsprechend dem das ganze Kündigungsrecht beherrschenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatz unverhältnismäßig und damit rechtsunwirksam, wenn sie durch andere mildere Mittel vermieden werden kann, d. h. wenn die Kündigung nicht zur Beseitigung der betrieblichen Beeinträchtigungen bzw. der eingetretenen Vertragsstörung geeignet oder nicht erforderlich ist. Der Arbeitgeber muss von mehreren gleich geeigneten, zumutbaren Mitteln dasjenige wählen, das das Arbeitsverhältnis und den betroffenen Arbeitnehmer am wenigsten belastet. Eine Kündigung ist als letztes Mittel nur zulässig, wenn der Arbeitgeber alle zumutbaren Möglichkeiten zu ihrer Vermeidung ausgeschöpft hat. Dabei kommt bei einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen, freien Arbeitsplatz in Betracht. Der Arbeitgeber hat vielmehr alle gleichwertigen, leidensgerechten Arbeitsplätze, auf denen der betroffene Arbeitnehmer unter Wahrung des Direktionsrechts einsetzbar wäre, in Betracht zu ziehen und ggf. „freizumachen“ (BAG v. 29.01.1997 – 2 AZR 9/96 – AP Nr. 32 zu § 1 KSchG 1969 Krankheit).

Schließlich ist eine Interessenabwägung vorzunehmen, bei der zu prüfen ist, ob die erheblichen betrieblichen oder wirtschaftlichen Beeinträchtigungen zu einer billigerweise nicht mehr hinzunehmenden Belastung des Arbeitgebers führen.

2. Bei Anwendung dieser Grundsätze erweist die streitbefangene Kündigung als sozial ungerechtfertigt im Sinne von § 1 Abs. 2 KSchG.

Dies gilt auch dann, wenn man mit der Beklagten davon ausgeht, dass – jedenfalls bei einer Weiterbeschäftigung des Klägers auf seinem bisherigen Arbeitsplatz – eine negative Gesundheitsprognose gegeben ist, d. h. dass die Besorgnis weiterer Erkrankungen im bisherigen Umfang gerechtfertigt ist und dass die zu prognostizierenden Fehlzeiten wegen der damit verbundenen hohen Entgeltfortzahlungskosten zu einer erheblichen wirtschaftlichen Belastung der Beklagten führen. Die Kündigung erweist sich nämlich jedenfalls als unverhältnismäßig und damit als rechtsunwirksam. Es kann nämlich nicht davon ausgegangen werden, dass die Kündigung nicht hätte durch mildere Mittel vermieden werden können, nämlich durch Umsetzung des Klägers auf einen anderen leidensgerechten Arbeitsplatz, wo die Krankheitsanfälligkeit des Klägers und damit seine Fehlzeiten nicht mehr in gleichem Maß bzw. Umfang wie bei seiner bisherigen Tätigkeit gegeben sind.

Bei der Beurteilung der Verhältnismäßigkeit wirkt sich vorliegend aus, dass die Beklagt entgegen § 84 Abs. 2 SGB IX kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt hat. Zwar führt dies nicht per sé zur Unverhältnismäßigkeit bzw. zur Unwirksamkeit der Kündigung. Durch das betriebliche Eingliederungsmanagement, welches bei Vorliegen der Voraussetzungen nicht nur bei behinderten Menschen, sondern auch bei allen anderen Arbeitnehmern durchzuführen ist, können jedoch die gegenüber einer Kündigung milderen Mittel, z. B. die Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung zu geänderten Arbeitsbedingungen auf einem anderen Arbeitsplatz erkannt und entwickelt werden. Das Gesetz hat den Arbeitgeber grundsätzlich dazu verpflichtet, mit Hilfe der genannten Stellen frühzeitig zu prüfen, ob und wie eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses aufgrund der eingetretenen Erkrankungen und damit letztlich der Ausspruch einer Kündigung vermieden werden kann.

Die Nichtdurchführung eines betrieblichen Eingliederungsmanagements hat im Kündigungsschutzprozess Auswirkungen auf die Darlegungs- und Beweislast. Der Arbeitgeber kann zwar im Regelfall zunächst pauschal behaupten, es bestehe keine andere Beschäftigungsmöglichkeit für den Arbeitnehmer. Diese pauschale Behauptung umfasst auch den Vortrag, es bestehe keine Möglichkeit einer leidensgerechten Anpassung des Arbeitsverhältnisses bzw. des Arbeitsplatzes. Der Arbeitnehmer muss in diesem Fall dann konkret darlegen, wie er sich eine Änderung des bisherigen Arbeitsplatzes oder eine andere Beschäftigungsmöglichkeit – an einem anderen Arbeitsplatz – vorstellt, die er trotz seiner gesundheitlichen Beeinträchtigung ausüben kann, bzw. bei der seine Krankheitsanfälligkeit nicht mehr in gleichem Maße wie bisher gegeben ist (BAG v. 26.05.1977 – 2 AZR 201/76 – AP Nr. 14 zu § 102 BetrVG 1972). Hat der Arbeitgeber hingegen kein betriebliches Eingliederungsmanagement durchgeführt, darf er sich durch seine dem Gesetz widersprechende Untätigkeit keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen. In diesem Fall darf er sich nicht darauf beschränken, pauschal vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer bzw. es gebe keine geeigneten „freien Arbeitsplätze“. Es bedarf vielmehr eines umfassenderen konkreten Sachvortrages des Arbeitgebers, warum eine leidensgerechte Anpassung und Veränderung ausgeschlossen ist oder der Arbeitnehmer nicht auf einem (alternativen) anderen Arbeitsplatz bei geänderter Tätigkeit eingesetzt werden könne (BAG v. 12.07.2007 – 2 AZR 716/06 – AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung).

Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze hat die Beklagte die ihr obliegende Darlegungslast nicht erfüllt.

Der Kläger hat sich – bereits erstinstanzlich – u. a. auf eine Weiterbeschäftigung als Staplerfahrer berufen. Unstreitig verfügt er über einen Staplerführerschein und hat diese Tätigkeit bereits in der Vergangenheit vertretungsweise ausgeübt. Bezüglich des in der Abteilung III vorhandenen Arbeitsplatzes eines Staplerfahrers hat die Beklagte geltend gemacht, dieser Arbeitsplatz sei besetzt mit einem Mitarbeiter, der gleichfalls unter erheblichen gesundheitlichen Problemen leide und daher nicht auf einen anderen Arbeitsplatz versetzt werden könne. Unstreitig hat die Beklagte jedoch das Arbeitsverhältnis des betreffenden Arbeitnehmers zeitgleich mit dem Arbeitsverhältnis des Klägers gekündigt und in der mündlichen Verhandlung vom 07.12.2011 erklärt, die ordentliche Kündigungsfrist habe derjenigen des Klägers entsprochen. Es war daher ein freier Arbeitsplatz vorhanden, auf den der Kläger hätte umgesetzt werden können. Als frei sind nämlich nicht nur diejenigen Arbeitsplätze zu behandeln, die zum Zeitpunkt des Zugangs der Kündigung unbesetzt sind, sondern auch diejenigen, bei denen im Zeitpunkt der Kündigung mit hinreichender Sicherheit vorhergesehen werden kann, dass sie bis zum Ablauf der Kündigungsfrist oder in absehbarer Zeit danach frei werden (vgl. KR-Griebeling, 8. Auflage, § 1 KSchG Rz 219 m. N. a. d. R.). Darüber hinaus verfügt die Beklagte unstreitig über weitere Staplerfahrer-Arbeitsplätze in der Abteilung II und auf dem Gelände. Soweit die Beklagte diesbezüglich vorträgt, diese Arbeitsplätze erforderten Deutschkenntnisse in Wort und Schrift, so erweist sich dieses Vorbringen als unsubstantiiert. Es ist diesbezüglich nicht erkennbar, welches Niveau an Deutschkenntnissen, über welche der Kläger u. U. nicht in ausreichendem Maß verfügt, für die betreffende Tätigkeit, evtl. für das Lesen von Lieferpapieren, erforderlich ist. Entsprechendes gilt für die Behauptung der Beklagten, ein Staplerfahrer in der Abteilung 2 müsse „gelegentlich auch Gewichte bis zu 5 kg“, ein Staplerfahrer auf dem Gelände „gelegentlich auch Gewichte von 25 kg“ körperlich bewegen, wobei der Kläger – unter Zugrundelegung seines seitens der Beklagten nicht bestrittenen Sachvortrages – trotz seiner gesundheitlichen Einschränkung Gewichte bis zu sechs Kilogramm heben kann. In diesem Zusammenhang ist auch eine Umorganisation dergestalt zu erwägen, dass dem Kläger als Staplerfahrer – soweit in der Abteilung II oder auf dem Gelände eingesetzt – nur solche Arbeiten übertragen werden, die nicht mit dem Heben von Gewichten über sechs Kilogramm verbunden sind und das Lesen von Begleitpapieren, soweit notwendig, anderen Arbeitnehmern zugewiesen wird. Hiergegen spricht nicht allein der Umstand, dass es einen solchen konkreten Arbeitsplatz bisher wohl bei der Beklagten nicht gibt. Die Beklagte ist nämlich insoweit grundsätzlich auch verpflichtet, auf der Basis ihres Direktionsrechtes eine betriebliche Umorganisation vorzunehmen, um für den betroffenen Arbeitnehmer einen leidensgerechten Arbeitsplatz zu schaffen (BAG v. 12.07.2007 – 2 AZR 716/06 – AP Nr. 28 zu § 1 KSchG 1969 Personenbedingte Kündigung). Dass eine solche Maßnahme einerseits aufgrund der betrieblichen Strukturen und Abläufe überhaupt nicht möglich oder nur mit großen Schwierigkeiten umsetzbar wäre oder andererseits keinen Erfolg für eine leidensgerechte Weiterbeschäftigung des Klägers hätte, hat die Beklagte nicht dargetan.

Dem Vortrag der Beklagten kann auch nicht entnommen werden, dass auch bei Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements keine Maßnahmen (insbesondere eine der vorgenannten) erkannt oder entwickelt worden wären, die die Voraussetzungen für eine leidensgerechte, die Krankheitsanfälligkeit des Klägers vermindernde Weiterbeschäftigung geschaffen hätten, und deshalb die personenbedingte Kündigung wirklich das letzte Mittel gewesen ist, um die eingetretene Vertragsstörung zu beseitigen.

III.

Der Klage war daher unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils stattzugeben.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.

Für die Zulassung der Revision bestand im Hinblick auf die in § 72 Abs. 2 ArbGG genannten Kriterien keine Veranlassung. Auf die Möglichkeit, die Nichtzulassung der Revision selbständig durch Beschwerde anzufechten (§ 72a ArbGG), wird hingewiesen.

 

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