Übersicht:
- Krankheitsbedingte Kündigung: Rechte und Pflichten im Arbeitsrecht Überblick
- Der Fall vor Gericht
- Die Schlüsselerkenntnisse
- Benötigen Sie Hilfe?
- Häufig gestellte Fragen (FAQ)
- Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung bei Krankheit trotz tariflicher Unkündbarkeit?
- Welche Rolle spielt die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei der rechtlichen Bewertung einer außerordentlichen Kündigung?
- Welche Bedeutung hat die Gesundheitsprognose bei krankheitsbedingten Kündigungen?
- Welche Pflichten hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung?
- Was bedeutet eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist für den Arbeitnehmer?
- Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
- Wichtige Rechtsgrundlagen
- Das vorliegende Urteil
Das Wichtigste in Kürze
- Gericht: Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern
- Datum: 19.03.2024
- Aktenzeichen: 2 Sa 112/23
- Verfahrensart: Berufungsverfahren im Rahmen einer Kündigungsschutzklage
- Rechtsbereiche: Arbeitsrecht
Beteiligte Parteien:
- Kläger: Der Kläger, ein seit 2001 beschäftigter leitender Mitarbeiter im Bereich Altenhilfe, hat gegen die außerordentliche Krankheitsbedingte Kündigung durch seinen Arbeitgeber geklagt. Er argumentiert, dass keine negative Prognose hinsichtlich seiner Arbeitsfähigkeit vorliege und dass die Kündigungen durch den Arbeitgeber seine krankheitsbedingte Abwesenheit verursacht hätten.
- Beklagter: Der Arbeitgeber des Klägers, ein Unternehmen der Diakonie Deutschland, das den Kläger aufgrund lang andauernder krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit gekündigt hat. Der Beklagte beruft sich darauf, dass die erforderlichen Voraussetzungen für eine krankheitsbedingte Kündigung vorliegen, da keine Genesung des Klägers zu erwarten sei und betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt seien.
Um was ging es?
- Sachverhalt: Der Kläger war seit Juni 2019 arbeitsunfähig erkrankt. Er hat verschiedene Angebote seines Arbeitgebers zur Wiedereingliederung abgelehnt und sich gegen eine krankheitsbedingte Kündigung gewehrt. Der Arbeitgeber hatte die Kündigung mit der Begründung ausgesprochen, dass keine Aussicht auf Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit bestehe.
- Kern des Rechtsstreits: War die krankheitsbedingte Kündigung des Klägers durch den Arbeitgeber wirksam, obwohl der Kläger der Meinung war, dass seine Arbeitsunfähigkeit nicht dauerhaft sei und er irgendwann zurückkehren könne?
Was wurde entschieden?
- Entscheidung: Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Rostock wurde zurückgewiesen. Die Kündigung wurde als wirksam anerkannt.
- Begründung: Das Gericht stellte fest, dass die außerordentliche Kündigung gerechtfertigt war, da der Kläger auf unabsehbare Zeit arbeitsunfähig war und damit eine schwerwiegende Störung des Arbeitsverhältnisses gegeben war. Die Beteiligung der Mitarbeitervertretung war ordnungsgemäß.
- Folgen: Das Arbeitsverhältnis wurde mit Ablauf der Auslauffrist zum 31.03.2023 beendet. Der Kläger muss die Kosten des Berufungsverfahrens tragen, und die Entscheidung ist endgültig, da keine Revision zugelassen wurde.
Krankheitsbedingte Kündigung: Rechte und Pflichten im Arbeitsrecht Überblick
Im Spannungsfeld zwischen Arbeitnehmerrechten und unternehmerischen Interessen nimmt die krankheitsbedingte Kündigung eine besondere Stellung ein. Die rechtlichen Rahmenbedingungen sind komplex und berühren sowohl arbeitsrechtliche als auch soziale Aspekte, die Arbeitnehmer und Arbeitgeber gleichermaßen betreffen.
Die gesetzlichen Regelungen zum Kündigungsschutz bei Krankheit sind vielfältig und bieten Mitarbeitern wichtige Schutzrechte. Dabei spielen Faktoren wie Lohnfortzahlung, Kündigungsfristen und individuelle tarifliche Vereinbarungen eine entscheidende Rolle, die den Handlungsspielraum von Unternehmen bei krankheitsbedingten Personalmaßnahmen präzise definieren.
Der nachfolgende Fall wirft ein konkretes Schlaglicht auf die rechtlichen Herausforderungen und zeigt, wie komplexe arbeitsrechtliche Fragen im Kontext einer krankheitsbedingten Kündigung gerichtlich bewertet werden.
Der Fall vor Gericht
Dreieinhalbjährige Arbeitsunfähigkeit rechtfertigt Kündigung eines unkündbaren Mitarbeiters

Ein diakonischer Arbeitgeber durfte das Arbeitsverhältnis mit einem langjährigen, eigentlich unkündbaren Mitarbeiter nach mehr als drei Jahren durchgehender Arbeitsunfähigkeit außerordentlich kündigen. Dies entschied das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern in einem aktuellen Urteil.
Langjähriges Arbeitsverhältnis und besonderer Kündigungsschutz
Der 1966 geborene Kläger war seit 2001 als leitender Mitarbeiter im Fachbereich Altenhilfe bei dem beklagten diakonischen Arbeitgeber beschäftigt. Nach den geltenden Arbeitsvertragsrichtlinien genoss er als über 40-Jähriger mit mehr als 15 Jahren Betriebszugehörigkeit einen besonderen Kündigungsschutz – eine Ordentliche Kündigung war ausgeschlossen.
Dauernde Arbeitsunfähigkeit seit Juni 2019
Seit dem 4. Juni 2019 war der Mitarbeiter ununterbrochen arbeitsunfähig erkrankt. Als Diagnose wurde eine depressive Erkrankung aufgrund einer Anpassungsstörung festgestellt. Mehrere Versuche des Arbeitgebers, ein Betriebliches Eingliederungsmanagement durchzuführen, scheiterten an der fehlenden Mitwirkung des Mitarbeiters.
Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist
Nach über drei Jahren andauernder Arbeitsunfähigkeit sprach der Arbeitgeber im Juli 2022 eine Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist zum 31. März 2023 aus. Das Landesarbeitsgericht bestätigte nun die Wirksamkeit dieser Kündigung.
Rechtliche Bewertung des Gerichts
Das Gericht sah die hohen Anforderungen an eine außerordentliche Kündigung als erfüllt an. Eine mehr als dreijährige ununterbrochene Arbeitsunfähigkeit ohne konkrete Heilungsaussichten rechtfertige die negative Gesundheitsprognose. Der Mitarbeiter habe nicht substantiiert dargelegt, dass innerhalb der nächsten 24 Monate mit einer Genesung zu rechnen sei.
Die vom Kläger geforderte zwei- bis dreijährige „kündigungsfreie Ruhephase“ als Voraussetzung für eine mögliche Genesung bestätige vielmehr die negative Prognose. Bei einer derart langen Arbeitsunfähigkeit ohne absehbares Ende sei auch von einer erheblichen Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen auszugehen.
Der Arbeitgeber müsse das sinnentleerte Arbeitsverhältnis nicht unbegrenzt fortführen, auch wenn der Mitarbeiter einen besonderen Kündigungsschutz genieße. Die vorherigen Kündigungsversuche des Arbeitgebers rechtfertigten keine andere Bewertung, da der Ausspruch von Kündigungen ein von der Rechtsordnung gebilligtes Verhalten darstelle.
Die Schlüsselerkenntnisse
Das Urteil verdeutlicht, dass auch bei tarifvertraglich „unkündbaren“ Arbeitnehmern eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist bei langanhaltender Krankheit möglich ist. Der besondere Kündigungsschutz schließt nur ordentliche Kündigungen aus, nicht aber außerordentliche Kündigungen aus personenbedingten Gründen. Entscheidend ist dabei die negative Gesundheitsprognose und die erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen.
Was bedeutet das Urteil für Sie?
Wenn Sie als Arbeitnehmer einen besonderen Kündigungsschutz durch Tarifvertrag genießen, bedeutet dies nicht, dass Sie bei längerer Krankheit unkündbar sind. Ihr Arbeitgeber kann bei anhaltender Arbeitsunfähigkeit eine außerordentliche Kündigung mit verlängerter Kündigungsfrist aussprechen. Besonders wichtig ist Ihre Mitwirkung beim betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) – lehnen Sie dieses ab, kann dies die Kündigung erleichtern. Achten Sie darauf, dass der Arbeitgeber vor einer Kündigung alle Möglichkeiten der Weiterbeschäftigung, auch auf einem anderen Arbeitsplatz, geprüft hat.
Benötigen Sie Hilfe?
Krankheitsbedingte Kündigung trotz besonderen Kündigungsschutz – Ihre Rechte?
Das Urteil zeigt, dass auch bei „Unkündbarkeit“ eine Kündigung im Krankheitsfall möglich ist. Die Komplexität des Arbeitsrechts und die spezifischen Umstände jedes Einzelfalls machen eine fundierte rechtliche Bewertung unerlässlich. Wir unterstützen Sie bei der Prüfung Ihrer individuellen Situation, von der Analyse Ihres Arbeitsvertrages und der Korrespondenz mit Ihrem Arbeitgeber bis hin zur Vertretung Ihrer Interessen vor dem Arbeitsgericht. Kontaktieren Sie uns, um Ihre Situation zu besprechen und gemeinsam Klarheit über Ihre Rechte und Pflichten zu gewinnen.
Häufig gestellte Fragen (FAQ)
Was sind die rechtlichen Voraussetzungen für eine außerordentliche Kündigung bei Krankheit trotz tariflicher Unkündbarkeit?
Eine außerordentliche Kündigung bei Krankheit ist nur in engen Ausnahmefällen möglich, wenn der Arbeitnehmer tariflich oder vertraglich ordentlich unkündbar ist. Die rechtlichen Hürden sind extrem hoch, da der besondere Kündigungsschutz den Arbeitnehmer zusätzlich absichern soll. Grundlage ist § 626 BGB, der einen „wichtigen Grund“ für die fristlose Beendigung des Arbeitsverhältnisses verlangt.
1. Häufige Kurzerkrankungen mit hoher Fehlzeitenquote
Der Arbeitgeber muss nachweisen, dass der Arbeitnehmer in einem Beobachtungszeitraum von 36 Monaten durchschnittlich mehr als ein Drittel der jährlichen Arbeitstage krankheitsbedingt fehlt. Beispielrechnung: Jahresarbeitstage = 251 Tage (bei 5-Tage-Woche abzüglich Urlaub) Grenzwert = 251 ÷ 3 ≈ 84 Fehltage pro Jahr Das Bundesarbeitsgericht (BAG) hat dies in einem Grundsatzurteil (25.04.2018 – 2 AZR 6/18) bestätigt.
2. Negative Gesundheitsprognose
Der Arbeitgeber muss belegen, dass keine Besserung des Gesundheitszustands zu erwarten ist und die Fehlzeiten auch zukünftig in ähnlichem Umfang auftreten werden. Dies erfordert meist gutachterliche Stellungnahmen oder medizinische Gutachten.
3. Erhebliche betriebliche Beeinträchtigungen
Die Fehlzeiten müssen zu konkreten betrieblichen Störungen führen, die über das übliche Maß hinausgehen. Dazu zählen:
- Hohe Entgeltfortzahlungskosten (mehr als 33 % der Jahresarbeitszeit)
- Organisatorische Probleme wie ständige Vertretungssuche oder Planungsunsicherheit
- Nachweis, dass der Arbeitnehmer keine leidensgerechte Tätigkeit ausüben kann
4. Interessenabwägung zugunsten des Arbeitgebers
Im letzten Schritt prüfen Gerichte, ob die Belastung für den Arbeitgeber die Schutzinteressen des Arbeitnehmers deutlich überwiegt. Dabei spielen eine Rolle:
- Die voraussichtliche Dauer des Arbeitsverhältnisses bis zur Rente
- Die Größe des Betriebs (kleine Betriebe sind stärker betroffen)
- Ob der Arbeitgeber Alternativen wie Umsetzung oder Teilzeit geprüft hat
Praktisches Beispiel
Ein tariflich unkündbarer Mitarbeiter fehlt drei Jahre lang jeweils 90 Tage pro Jahr wegen Migräne und Rückenproblemen. Der Arbeitgeber weist nach, dass die Fehlzeiten zu hohen Kosten führen und die Teamplanung destabilisieren. Ein medizinisches Gutachten prognostiziert weitere Ausfälle. In diesem Fall könnte eine außerordentliche Kündigung mit sozialer Auslauffrist gerechtfertigt sein.
Wichtig: Selbst bei 366 Fehltagen in drei Jahren hat ein Gericht eine Kündigung als unwirksam eingestuft, weil die betrieblichen Störungen nicht ausreichend belegt waren. Die Rechtsprechung bleibt streng – Arbeitgeber müssen jeden Einzelfall detailliert dokumentieren.
Welche Rolle spielt die Dauer der Arbeitsunfähigkeit bei der rechtlichen Bewertung einer außerordentlichen Kündigung?
Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist ein zentraler Faktor für die Wirksamkeit einer außerordentlichen krankheitsbedingten Kündigung. Gerichte bewerten dabei drei Stufen:
- Negative Gesundheitsprognose
- Erhebliche betriebliche Beeinträchtigung
- Interessenabwägung zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer
1. Negative Gesundheitsprognose
Die Dauer der Erkrankung entscheidet maßgeblich über die Zukunftsprognose:
- Langzeiterkrankungen: Bei einer Arbeitsunfähigkeit von mindestens 24 Monaten oder einer unklaren Genesungsperspektive innerhalb dieses Zeitraums gilt die Prognose als negativ . Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist seit 18 Monaten krankgeschrieben, und Ärzte können keine Besserung in den nächsten 6 Monaten vorhersagen.
- Häufige Kurzerkrankungen: Hier wird ein Beobachtungszeitraum von 36 Monaten herangezogen. Liegen die Fehltage im Schnitt über 30 Tage pro Jahr (6 Wochen), gilt dies als Indiz für künftige Ausfälle .
2. Betriebliche Beeinträchtigung
Die Dauer der Ausfälle muss zu konkreten betrieblichen Problemen führen, z. B.:
- Hohe Kosten durch Entgeltfortzahlung oder Ersatzkräfte .
- Störung des Arbeitsablaufs, besonders in kleinen Betrieben . Beispiel: Ein Arbeitnehmer fehlt in drei Jahren jeweils 40 Tage. Der Arbeitgeber muss nachweisen, dass dies zu Produktionsengpässen führte.
3. Interessenabwägung
Je länger das Arbeitsverhältnis bestand, desto höher sind die Hürden für eine Kündigung. Ein Arbeitnehmer mit 20-jähriger Betriebszugehörigkeit genießt stärkeren Schutz als ein kurzzeitig Beschäftigter .
Praxisbeispiel aus der Rechtsprechung
In einem Fall bestätigte das Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern eine Kündigung, weil ein Arbeitnehmer vier Jahre lang durchschnittlich 40 Fehltage/Jahr hatte und das betriebliche Eingliederungsmanagement erfolglos blieb .
Wichtige Formel
Fehltage/Jahr = Gesamte Fehltage in 36 Monaten ÷ 3 Liegt dieser Wert über 30 Tagen, verstärkt sich die Annahme künftiger Ausfälle.
Die Dauer der Arbeitsunfähigkeit ist somit ein Schlüsselkriterium – sowohl für die Prognose als auch für die Abwägung der betrieblichen Belastungen.
Welche Bedeutung hat die Gesundheitsprognose bei krankheitsbedingten Kündigungen?
Die Gesundheitsprognose ist das zentrale Element für die Rechtmäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung. Sie entscheidet darüber, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, das Arbeitsverhältnis aufgrund gesundheitlicher Einschränkungen zu beenden.
Rechtliche Grundlagen im Prüfungsschema
Das Bundesarbeitsgericht (BAG) verlangt für eine wirksame Krankheitskündigung drei Stufen:
- Negative Gesundheitsprognose: Der Arbeitgeber muss nachweisen, dass zum Zeitpunkt der Kündigung objektive Tatsachen vorliegen, die eine dauerhafte oder wiederkehrende Arbeitsunfähigkeit erwarten lassen.
- Beispiel: Ein Arbeitnehmer fehlt seit 18 Monaten ununterbrochen oder hat in drei Jahren über 300 Krankheitstage angesammelt.
- Formel: Negative Prognose = objektive Tatsachen + Wiederholungsgefahr.
- Erhebliche betriebliche Beeinträchtigung: Die prognostizierten Fehlzeiten müssen den Betriebsablauf stören oder hohe Kosten verursachen (z. B. Lohnfortzahlungen über sechs Wochen hinaus).
- Interessenabwägung: Selbst bei negativer Prognose muss geprüft werden, ob die Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber unzumutbar ist. Hier spielen z. B. die Betriebsgröße oder Bemühungen um einen Ersatzarbeitsplatz eine Rolle.
Besonderheiten bei tariflichem Kündigungsausschluss
Wenn ein Tarifvertrag ordentliche Kündigungen ausschließt (z. B. für langjährige Mitarbeiter), kann eine außerordentliche Kündigung nur bei extremen Ausnahmefällen erfolgen.
- Die Gesundheitsprognose muss hier noch belastbarer sein.
- Beispiel: Ein Arbeitnehmer ist seit über 24 Monaten krank, und eine Genesung ist auch nach ärztlicher Einschätzung nicht absehbar.
- Selbst dann muss der Arbeitgeber nachweisen, dass alle Alternativen (z. B. Umsetzung im Betrieb) ausgeschöpft wurden.
Praktische Beispiele für eine negative Prognose
- Langzeiterkrankung: Ein Mitarbeiter ist seit zwei Jahren arbeitsunfähig, und Ärzte sehen keine Besserung.
- Häufige Kurzerkrankungen: Ein Arbeitnehmer fehlt in drei Jahren 80-mal unregelmäßig, ohne dass ein Ende absehbar ist.
- Dauerhafte Leistungsminderung: Nach einem Unfall bleibt die Arbeitsfähigkeit dauerhaft um 50 % reduziert.
Was passiert, wenn die Prognose falsch ist?
Die Prognose wird nur zum Kündigungszeitpunkt bewertet. Spätere Besserungen ändern nichts an der Rechtmäßigkeit der Kündigung. Der Arbeitgeber muss jedoch aktuelle medizinische Gutachten einholen – veraltete Daten reichen nicht aus.
Welche Pflichten hat der Arbeitgeber vor Ausspruch einer krankheitsbedingten Kündigung?
Der Arbeitgeber muss vor einer krankheitsbedingten Kündigung ein dreistufiges Prüfungsverfahren durchführen und mehrere zentrale Pflichten erfüllen.
Durchführung des betrieblichen Eingliederungsmanagements (BEM)
Wenn Sie länger als sechs Wochen innerhalb eines Jahres arbeitsunfähig sind, muss der Arbeitgeber zwingend ein BEM-Verfahren einleiten. Dabei muss er:
- Sie schriftlich zu einem BEM-Gespräch einladen
- Sie umfassend über Art und Umfang der erhobenen Daten informieren
- Die Ziele des BEM-Verfahrens klar darlegen
Negative Gesundheitsprognose erstellen
Der Arbeitgeber muss eine fundierte Prognose über Ihren künftigen Gesundheitszustand erstellen. Dafür muss er:
- Bei häufigen Kurzerkrankungen einen Beobachtungszeitraum von mindestens 24 Monaten berücksichtigen
- Bei einer Dauererkrankung nachweisen, dass in den nächsten 24 Monaten keine Genesung zu erwarten ist
Prüfung alternativer Beschäftigungsmöglichkeiten
Der Arbeitgeber ist verpflichtet zu prüfen, ob Sie auf einem anderen, leidensgerechten Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden können. Dies umfasst:
- Die Analyse vorhandener Arbeitsplätze
- Die Prüfung möglicher Umgestaltungen des bisherigen Arbeitsplatzes
- Die Untersuchung von Umsetzungsmöglichkeiten
Interessenabwägung durchführen
Eine umfassende Interessenabwägung muss vorgenommen werden. Dabei sind folgende Faktoren zu berücksichtigen:
- Die Dauer Ihrer Betriebszugehörigkeit
- Ihr bisheriger störungsfreier Arbeitsverlauf
- Mögliche betriebliche Ursachen für die Erkrankungen
- Die wirtschaftliche Belastbarkeit des Arbeitgebers
Wenn der Arbeitgeber diese Pflichten nicht ordnungsgemäß erfüllt, trägt er im Kündigungsschutzprozess eine erhöhte Darlegungslast. Er muss dann detailliert nachweisen, warum keine alternativen Beschäftigungsmöglichkeiten bestehen und die Kündigung unvermeidbar ist.
Was bedeutet eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist für den Arbeitnehmer?
Eine außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist stellt eine besondere Form der Kündigung dar, bei der das Arbeitsverhältnis nicht sofort, sondern erst nach Ablauf einer bestimmten Frist endet. Diese Kündigungsform kommt insbesondere dann zum Tragen, wenn Sie als Arbeitnehmer eigentlich ordentlich unkündbar sind, etwa aufgrund tarifvertraglicher Regelungen.
Dauer der Auslauffrist
Die Länge der Auslauffrist entspricht der Kündigungsfrist, die gelten würde, wenn Sie ordentlich kündbar wären. Wenn Sie beispielsweise aufgrund eines Tarifvertrags unkündbar sind, orientiert sich die Auslauffrist an den gesetzlichen oder tariflichen Kündigungsfristen, die ohne diese Unkündbarkeit gelten würden.
Rechtliche Stellung während der Auslauffrist
Während der Auslauffrist behalten Sie alle Ihre arbeitsvertraglichen Rechte und Pflichten. Das bedeutet:
- Sie haben weiterhin Anspruch auf Ihr Gehalt
- Sie müssen Ihre Arbeitsleistung erbringen
- Ihr Versicherungsschutz bleibt bestehen
- Sie behalten Ihren Urlaubsanspruch
Besonderheiten bei krankheitsbedingter Kündigung
Bei einer krankheitsbedingten außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist muss der Arbeitgeber Ihnen einen Schutzstandard gewähren, der dem der ordentlichen Kündigung entspricht. Der Betriebsrat hat in diesem Fall eine volle Woche Zeit zur Stellungnahme, nicht nur die üblichen drei Tage wie bei einer normalen außerordentlichen Kündigung.
Unterschied zur fristlosen Kündigung
Im Gegensatz zur klassischen fristlosen Kündigung verschafft Ihnen die Auslauffrist Zeit, sich auf die neue Situation einzustellen. Sie können in dieser Zeit nach einem neuen Arbeitsplatz suchen, während Sie weiterhin Ihr Gehalt beziehen. Wichtig ist auch: Bei einer außerordentlichen Kündigung mit Auslauffrist droht Ihnen in der Regel keine Sperrzeit beim Arbeitslosengeld, anders als bei einer fristlosen Kündigung.
Bitte beachten Sie, dass die Beantwortung der FAQ Fragen keine individuelle Rechtsberatung ersetzen kann. Haben Sie konkrete Fragen oder Anliegen? Zögern Sie nicht, uns zu kontaktieren – wir beraten Sie gerne.
Glossar – Fachbegriffe kurz erklärt
Krankheitsbedingte Kündigung
Eine besondere Form der Kündigung durch den Arbeitgeber aufgrund der Erkrankung eines Arbeitnehmers. Sie ist möglich, wenn eine negative Gesundheitsprognose vorliegt und betriebliche Interessen erheblich beeinträchtigt sind. Nach § 1 KSchG muss die Kündigung sozial gerechtfertigt sein. Dabei werden drei Voraussetzungen geprüft: erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher Interessen, negative Gesundheitsprognose und eine Interessenabwägung. Beispiel: Ein Mitarbeiter ist seit über drei Jahren durchgehend arbeitsunfähig und eine Genesung ist nicht absehbar.
Außerordentliche Kündigung mit Auslauffrist
Eine fristlose Kündigung aus wichtigem Grund nach § 626 BGB, bei der jedoch eine Auslauffrist gewährt wird. Sie kommt zur Anwendung, wenn eine sofortige Beendigung unverhältnismäßig wäre, das Arbeitsverhältnis aber auch nicht bis zum regulären Ende der Kündigungsfrist fortbestehen soll. Die Auslauffrist ist meist kürzer als die reguläre Kündigungsfrist. Beispiel: Ein unkündbarer Mitarbeiter wird wegen dauerhafter Krankheit außerordentlich gekündigt, erhält aber noch eine Frist von 9 Monaten.
Betriebliches Eingliederungsmanagement
Ein gesetzlich vorgeschriebenes Verfahren nach § 167 Abs. 2 SGB IX, das Arbeitgeber durchführen müssen, wenn ein Beschäftigter innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig ist. Ziel ist es, die Arbeitsunfähigkeit zu überwinden und den Arbeitsplatz zu erhalten. Die Teilnahme ist für Arbeitnehmer freiwillig. Beispiel: Gespräche zwischen Arbeitgeber, Betriebsarzt und Arbeitnehmer zur schrittweisen Wiedereingliederung.
Ordentliche Kündigung
Die reguläre Form der Kündigung eines Arbeitsverhältnisses unter Einhaltung der gesetzlichen oder vereinbarten Kündigungsfristen nach § 622 BGB. Im Gegensatz zur außerordentlichen Kündigung ist kein wichtiger Grund erforderlich. Durch Tarifverträge oder Arbeitsverträge kann die ordentliche Kündigung ausgeschlossen werden. Beispiel: Ein Arbeitnehmer wird unter Einhaltung der dreimonatigen Kündigungsfrist zum Quartalsende gekündigt.
Kündigungsschutz
Gesetzliche Regelungen nach dem Kündigungsschutzgesetz (KSchG), die Arbeitnehmer vor ungerechtfertigten Kündigungen schützen. Er greift in Betrieben mit mehr als 10 Mitarbeitern nach 6-monatiger Beschäftigung. Besonderer Kündigungsschutz kann sich aus Tarifverträgen, Alter oder Betriebszugehörigkeit ergeben. Eine Kündigung muss sozial gerechtfertigt sein. Beispiel: Ein über 40-jähriger Mitarbeiter mit 15 Jahren Betriebszugehörigkeit genießt tariflichen Sonderkündigungsschutz.
Wichtige Rechtsgrundlagen
- § 626 BGB (Außerordentliche Kündigung): Dieser Paragraph regelt die fristlose Kündigung von Arbeitsverhältnissen aus wichtigen Gründen. Ein wichtiger Grund liegt vor, wenn Tatsachen existieren, die es dem Kündigenden unzumutbar machen, das Arbeitsverhältnis fortzusetzen. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls sowie die Interessen beider Vertragsparteien zu berücksichtigen. Die Kündigung muss innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis des Kündigungsgrundes erfolgen.
Im vorliegenden Fall hat der Arbeitgeber eine krankheitsbedingte außerordentliche Kündigung ausgesprochen. Die Prüfung, ob ein wichtiger Grund gemäß § 626 BGB vorliegt, ist zentral für die Wirksamkeit der Kündigung. Dabei müsste bewertet werden, ob die Fortsetzung des Dienstverhältnisses für den Arbeitgeber unzumutbar ist.
- § 30 AVR-DD (Ordentliche Kündigung): Diese Vorschrift innerhalb der Arbeitsvertragsrichtlinien der Diakonie Deutschland besagt, dass nach einer Beschäftigungszeit von 15 Jahren und nach Vollendung des 40. Lebensjahres eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber ausgeschlossen ist, sofern nicht besondere Regelungen (§ 31) greifen. Dies dient dem Schutz langjähriger und älterer Mitarbeiter vor einer regulären Kündigung.
In diesem Fall ist der Kläger seit 2001 im Unternehmen beschäftigt und übersteigt somit die 15-jährige Beschäftigungsdauer sowie das 40. Lebensjahr. Deshalb ist eine ordentliche Kündigung durch den Arbeitgeber grundsätzlich ausgeschlossen, was die Grundlage für die vorliegende Kündigungskontroverse bildet.
- § 31 AVR-DD (Sonderregelung für unkündbare Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter): Diese Sonderregelung ermöglicht es, trotz des Kündigungsausschlusses nach § 30 AVR-DD, in besonderen Fällen eine Kündigung auszusprechen. Eine Kündigung ist möglich, wenn die Weiterbeschäftigung aufgrund wesentlicher Einschränkungen der Dienststelle nicht mehr möglich ist, beispielsweise zur Herabgruppierung oder Aufhebung des Dienstverhältnisses bei gleichwertiger Beschäftigung.
Der Arbeitgeber hat mehrfach versucht, die Position des Klägers zu ändern oder zu beenden, indem er Änderungskündigungen ausgesprochen hat. § 31 AVR-DD definiert die Bedingungen, unter denen solche Kündigungen trotz Kündigungsschutz möglich sind, was direkt auf die vorliegenden Kündigungsversuche zutrifft.
- § 32 AVR-DD (Außerordentliche Kündigung): Diese Vorschrift erlaubt die außerordentliche Kündigung eines unkündbaren Mitarbeiters nur aus wichtigen Gründen, die in der Person oder im Verhalten des Mitarbeiters liegen. Dies verstärkt den Kündigungsschutz für langjährige Mitarbeiter und stellt hohe Anforderungen an die Rechtfertigung einer solchen Kündigung.
Die Kündigung des Klägers wurde als krankheitsbedingt und außerordentlich erklärt. Gemäß § 32 AVR-DD muss geprüft werden, ob die gesundheitliche Situation des Klägers einen wichtigen Grund im Sinne der Vorschrift darstellt, der eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar macht.
- Arbeitsvertragsrichtlinien für Einrichtungen der Diakonie Deutschland (AVR-DD): Diese Richtlinien regeln spezifische Arbeitsbedingungen, Kündigungsfristen und -bedingungen für Mitarbeiter innerhalb der Diakonie. Sie enthalten besondere Bestimmungen, die über das allgemeine Arbeitsrecht hinausgehen und den Kündigungsschutz sowie Beschäftigungsmöglichkeiten detailliert festlegen.
Im vorliegenden Fall stützt sich das Arbeitsverhältnis auf einen Dienstvertrag nach AVR-DD. Die spezifischen Regelungen dieser Richtlinien, insbesondere in den §§ 30 bis 32, bestimmen die Voraussetzungen und Grenzen für die Kündigung des Klägers und spielen somit eine zentrale Rolle bei der Beurteilung der Kündigungsklage.
Das vorliegende Urteil
Landesarbeitsgericht Mecklenburg-Vorpommern – Az.: 2 Sa 112/23 – Urteil vom 19.03.2024
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