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Kündigung bei Mitnahme von zu entsorgenden Lebensmitteln

ArbG Koblenz – Az.: 7 Ca 1706/16 – Urteil vom 26.01.2017

1. Es wird festgestellt, dass das zwischen den Parteien bestehende Arbeitsverhältnis durch die Kündigung der Beklagten vom 12.05.2016 weder außerordentlich noch ordentlich aufgelöst wurde.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Beklagte.

3. Der Streitwert wird auf 3.000,– EUR festgesetzt.

4. Die Berufung wird, soweit sie nicht ohnehin kraft Gesetzes statthaft ist, nicht gesondert zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten über die Rechtswirksamkeit einer verhaltensbedingten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen, Kündigung.

Die Klägerin ist bei der Beklagten seit dem 15.07.2003 als Küchenhilfe in einer Pflegeeinrichtung beschäftigt. Ihr Bruttomonatsgehalt beträgt ca. 1.000 Euro. Die Beklagte beschäftigt regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer, ein Betriebsrat existiert im Betrieb der Beklagten nicht.

In der Pflegeeinrichtung kommt es vor, dass Essen, das für die Bewohner erworben und diesen angeboten wird, nicht von diesen verzehrt wird. Dieses wird dann überwiegend entsorgt, teilweise (etwa wenn es noch verpackt ist) den Bewohnern erneut angeboten, wobei die Einzelheiten hierzu streitig sind.

Am 15.01.2016 fand eine Mitarbeiterbesprechung statt, in der die Arbeitnehmer der Beklagten u.a. darauf hingewiesen wurden, dass die Mitnahme von Lebensmitteln verboten ist, in der daneben aber auch noch zahlreiche weitere Aspekte wie etwa die Bemängelung von Spülergebnissen oder die Problematik eines früheren Dienstschlusses ohne Absprache angesprochen wurde. Ein Protokoll zu diesen Hinweisen wurde von der Klägerin auch unterschrieben.

Am 07.05.2016 kamen für die Bewohner eingekaufte und von diesen nicht verzehrte Donuts in die Küche zurück. Hiervon nahm die Klägerin welche mit, als sie die Arbeit verließ. Dabei sind die genauen Umstände, insbesondere die Anzahl der Donuts und mögliche Gespräche mit Kolleginnen, streitig.

Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis mit Schreiben vom 12.05.2016 außerordentlich und fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstzulässigen Zeitpunkt. Mit der am 31.05.2016 beim Arbeitsgericht Koblenz eingegangenen Klage wendet sich die Klägerin gegen diese Kündigung.

Die Klägerin behauptet, sie habe lediglich 2 Donuts mitgenommen und diese unmittelbar auf dem Heimweg verzehrt, also nicht „mit nach Hause“ genommen. Verboten sei es aber lediglich gewesen, Lebensmittel „mit nach Hause“ zu nehmen. Sie habe auch nicht Kolleginnen angehalten wegzuschauen.

Die Klägerin beantragte ursprünglich,

Kündigung bei Mitnahme von zu entsorgenden Lebensmitteln
(Symbolfoto: Von Aleksandra Suzi/Shutterstock.com)

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 12.05.2016 beendet worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfeweise fristgerechte Kündigung vom 12.05.2016 beendet worden ist;

3. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien ungekündigt fortbesteht.

Nach Rücknahme des Antrags zu 3. beantragt die Klägerin nunmehr noch,

1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht durch die fristlose Kündigung vom 12.05.2016 beendet worden ist;

2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch nicht durch die hilfeweise fristgerechte Kündigung vom 12.05.2016 beendet worden ist;

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, die Klägerin habe etwa 10 Donuts in einem kleinen Eimer mitgenommen. Dabei sei sie von Kolleginnen beobachtet und darauf angesprochen worden, dass dies unzulässig sei. Diesen Hinweis habe die Klägerin ignoriert. Zudem habe sie entgegnet, dann werde sie eine Jacke über den Eimer legen. Außerdem habe sie die Kolleginnen gebeten, nichts gesehen zu haben. Die Klägerin habe zudem bereits früher schon Lebensmittel mitgenommen.

Zum Hintergrund des Verbots der Mitnahme der Lebensmittel führt die Beklagte aus, dass dieses zum einen aus hygienischen Gründen bestehe. Zum anderen habe es aber auch eine präventive Funktion. Denn dadurch solle verhindert werden, dass Mitarbeiter Lebensmittel, die für die Bewohner bestimmt sind, gar nicht erst an diese verteilen, sondern direkt als Abfall deklarieren.

Die Beklagte ist der Ansicht, dass ihr eine Zusammenarbeit mit der Klägerin auch deshalb nicht mehr zuzumuten sei, da die Klägerin durch ihr Verhalten gezeigt habe, dass man ihr in Bezug auf fremdes Eigentum nicht vertrauen könne und dies insbesondere im Hinblick auf die ihr anvertrauten Bewohner unzumutbar sei. Hierin liege auch eine Verletzung des Vertrauensverhältnisses.

Entscheidungsgründe

A. Die Klage ist – soweit sie noch verfolgt wird – begründet. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist durch die Kündigung vom 12.05.2016 nicht aufgelöst worden, weder außerordentlich noch ordentlich. Es liegen weder Gründe vor, die eine außerordentliche Kündigung nach § 626 Abs. 1 BGB zu rechtfertigen vermögen noch solche, die nach § 1 KSchG eine ordentliche verhaltensbedingte Kündigung begründen.

1. Die außerordentliche Kündigung ist mangels Kündigungsgrundes unwirksam.

Nach § 626 Abs. 1 BGB kann ein Arbeitsverhältnis ohne Einhaltung einer Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden kann. Hierfür ist einerseits zu prüfen, ob ein Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich”, d.h. typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist, und in einem zweiten Schritt, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkrete Umstände zuzumuten ist (BAG 8.5.2014 – 2 AZR 249/13 – Rn. 16, NZA 2014, 1158).

1. Ob in der Mitnahme oder dem Verzehr von Lebensmitteln, die dem Arbeitgeber (bzw. diesem anvertrauten Personen) gehören, ein Kündigungsgrund „an sich“ liegt, kann – auch wenn viel dafür spricht – hier offenbleiben.

2. Denn die maßgebliche Abwägung aller Umstände des vorliegenden Falles und der widerstreitenden Interessen spricht hier gegen die Wirksamkeit der (auch ordentlichen) Kündigung.

a) Dabei kommt es auf die streitigen Umstände nicht an, sodass deren Klärung nicht erforderlich ist. Denn auch den Vortrag der Beklagten unterstellt, liegt kein Sachverhalt vor, der nach Abwägung aller Umstände eine (auch nur ordentliche) Kündigung rechtfertigt.

b) Hierbei ist weniger die schon erhebliche Betriebszugehörigkeit der Klägerin von 13 Jahren entscheidend und auch nicht die Frage, ob das Verhalten der Klägerin zulässig war (was es nicht gewesen sein dürfte), sondern vielmehr, dass das Verhalten nicht abgemahnt wurde und eine solche Abmahnung auch nicht entbehrlich ist.

Dass keine Abmahnung vorliegt, ist unstreitig. Die Abmahnung ist im konkreten Fall aber auch nicht entbehrlich. Zwar ist anerkannt, dass insbesondere bei Vermögensdelikten die bei verhaltensbedingten Kündigungen grundsätzlich erforderliche Abmahnung entbehrlich sein kann. Dies begründet sich aber in erster Linie dadurch, dass bei Vermögensdelikten dem Arbeitnehmer nicht nur offensichtlich klar sein muss, dass sein Verhalten unzulässig ist, sondern dass für ihn auch offenkundig ist, dass ein solches Verhalten in keinem Falle vom Arbeitgeber geduldet werden würde. Dem Arbeitnehmer muss in solchen Fällen also bereits vor seiner Tat klar sein, dass er damit den Bestand seines Arbeitsverhältnisses gefährdet. Nur in diesem Fall ist die Abmahnung und insbesondere ihre Warnfunktion entbehrlich.

Ein solcher Fall liegt hier aber nicht vor. Denn auch wenn die Klägerin hier Lebensmittel mitgenommen hat, die nicht in ihrem Eigentum standen, handelte es sich doch um solche, die von den Bewohnern zurückkamen und damit regelmäßig entsorgt werden. Die Annahme der Klägerin, diese würden ohnehin entsorgt, lag also zumindest nicht fern. Auch wenn die Beklagte gute Gründe dafür hat, derartiges Verhalten dennoch zu verbieten, handelt es sich trotzdem nicht um ein Verhalten, bei dem der Klägerin ohne weiteres bewusst sein musste, dass es eine schwere Verfehlung darstellt, mit der sie den Bestand des Arbeitsverhältnisses gefährdet. Im Gegenteil zeigt die Auflistung des Protokolls aus dem Mitarbeitergespräch vom 15.01.2016 gerade, dass dieses Verbot nur einer von verschiedenen Punkten war, auf den die Klägerin hingewiesen wurde. Dabei ist es gerade in Arbeitsverhältnissen, in denen eine Vielzahl von Regeln gilt, gerade typisch, dass nicht immer alle Regeln eingehalten werden. Gerade vor diesem Hintergrund ist es für Arbeitnehmer aber schwer ersichtlich, welche dieser Regeln so gewichtig sind, dass der Arbeitgeber daran arbeitsrechtliche Folgen knüpft und welche dieser Regeln weniger wichtig sind. Eben dies begründet denn auch das Erfordernis einer Abmahnung. Erst damit wird dem Arbeitnehmer gezeigt, dass ein spezielles Verhalten dem Arbeitgeber so wichtig ist, dass er hieran arbeitsrechtliche Konsequenzen knüpft. Entbehrlich ist dies eben nur bei besonders gewichtigen Verstößen, bei denen jedem Arbeitnehmer klar sein muss, dass diese das Arbeitsverhältnis gefährden. Dass dies hier mitnichten der Fall ist, zeigt sich eben auch darin, dass ausweislich des Protokolls gerade (nur) die „Mitnahme“ von Lebensmitteln verboten war. Ob damit auch der Verzehr vor Ort verboten war, ergibt sich hieraus nicht eindeutig. Auch wenn es sich bei dem Verhalten der Klägerin – ihren Beteuerungen zum Trotz – um eine solche Mitnahme handeln dürfte, liegt damit eine Situation vor, in der es der Klägerin jedenfalls nicht offensichtlich sein musste, dass in ihrem Verhalten ein besonders schwerwiegender Verstoß liegt.

c) Schließlich ist auch keine außergewöhnliche Belastung des Vertrauensverhältnisses erkennbar, die eine Abmahnung entbehrlich machen würde. Denn die Klägerin hat sich gerade nicht wahllos am Eigentum der Bewohner vergriffen, sondern lediglich Lebensmittel mitgenommen, bei denen sie davon ausging, dass diese ohnehin entsorgt würden. Hieraus eine allgemeine Missachtung fremden Eigentums oder ein Vorbild für eine solche allgemeine Missachtung herzuleiten, ist fernliegend.

II. Auch die hilfsweise erklärte ordentliche Kündigung ist unwirksam. Ein nach § 1 KSchG erforderlicher Kündigungsgrund liegt nicht vor. Das Kündigungsschutzgesetz ist vorliegend anwendbar. Die Klägerin ist seit mehr als drei Monaten bei der Beklagten beschäftigt, § 1 Abs. 1 KSchG. Die Beklagte beschäftigt auch regelmäßig mehr als 10 Arbeitnehmer im Sinne des § 23 Abs. 1 KSchG. Zur Wirksamkeit der Kündigung und dem Vorliegen eines Kündigungsgrundes gelten hier schließlich die gleichen Überlegungen wie bei der außerordentlichen Kündigung. Wenn nach oben Gesagtem eine Abmahnung erforderlich ist, um der Klägerin zu zeigen, dass gerade dieses Verhalten so gravierend ist, dass es das Arbeitsverhältnis gefährdet, bedeutet dies, dass ihr die Gelegenheit zu geben ist, ihr Verhalten entsprechend auszurichten. Dies gilt aber für eine ordentliche Kündigung ebenso wie für eine außerordentliche.

B. Der Streitwert ist nach § 61 Abs. 1 ArbGG im Urteil festzusetzen. Er beträgt nach § 46 Abs. 2 i.V.m. §§ 495, 3 ff. ZPO sowie § 42 Abs. 2 S. 1 GKG 3.000 Euro. Es waren 3 Bruttomonatsgehälter zu je 1.000 Euro für den Kündigungsschutzantrag anzusetzen. Der „Schleppnetzantrag“ zu 3. wirkt nicht streitwerterhöhend.

C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 46 Abs. 2 S. 1 ArbGG i.V.m. §§ 495, 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO. Zu Lasten der Klägerin ist lediglich der „Schleppnetzantrag“ zu 3. zu werten, der aber ohnehin keine höheren Kosten verursacht, da er nicht streitwerterhöhend ist.

D. Anlass, die Berufung gesondert nach § 64 Abs. 3 ArbGG zuzulassen, bestand nicht.

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