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Kündigung Betriebsratsmitglied wegen kritischer Äußerungen in sozialen Medien

ArbG Gießen – Az.: 6 BV 7/19 – Beschluss vom 10.06.2020

Der Antrag wird zurückgewiesen.

Gründe

I.

Die Arbeitgeberin (Beteiligte zu 1) begehrt die Ersetzung der vom Betriebsrat (Beteiligter zu 2) verweigerten Zustimmung zur außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3.

Die Beteiligte zu 1 mit Sitz in A stellt Heizungsprodukte unter der Marke „C“ her und unterhält in B eine Produktionsstätte, an der ca. 1.000 Beschäftigte tätig sind. Sie ist Rechtsnachfolgerin der C-D GmbH, vormals Teil der C AG. Der Beteiligte zu 2 ist der am Standort B gebildete Betriebsrat. Der Beteiligte zu 3 ist am XX.XX.1990 geboren, ledig und keiner Person zum Unterhalt verpflichtet. In der Zeit vom 1. September 2015 bis zum 31. Januar 2018 absolvierte er seine Ausbildung bei der Beteiligten zu 1 und ist seit dem 1. Februar 2018 nach erfolgreichem Abschluss der Ausbildung bei dieser als Montierer in der Regelgerätefertigung eingesetzt. Sein aktuelles Bruttomonatsgehalt beträgt zurzeit 3.307,77 EUR. Er ist ordentliches Mitglied des Betriebsrates.

Am 6. Dezember 2019 um 17:33 Uhr verfasste der Beteiligte zu 3 auf seinem öffentlich einsehbaren Facebook-Profil folgenden Post:

„Zwangsarbeit und Hinrichtungen bei C in B und D

C (mittlerweile von E aufgekauft) wurde durch Blut, Zwangsarbeit und Kriegsproduktionen richtig groß. Heute wird über die Verbrechen geschwiegen und die die Produkte der geronnen Zwangsbeitszeit hat sich E schon längst einverleibt. Aus den Erträgen (erst vor ein paar Tagen wurden beispielsweise über 1000 alte C Immobilien verkauft) wird natürlich weder den Nachkommen der Zwangsarbeit Entschädigung gezahlt (es wurde noch einmal nach über 50 Jahren ein symbolischer Beitrag gezahlt, um sich die Weste rein zu waschen) noch werden die aktuellen Arbeitsplätze gesichert. Wehe mir erzählt noch einmal jemand etwas von dem verantwortungsbewussten, sozialen E-Konzern. Ich hoffe das beweist einmal mehr, dass E genauso ein ausbeuterisches Unternehmen ist, wie alle anderen kapitalistisches Unternehmen auch. Wer Lust hat mit mir eine Aufarbeitung der Werksgeschichte zu starten, kann sich gerne melden! #E #C #gegendasvergessen #antifaschismus“

Dem Textbeitrag war zusätzlich eine Fotografie eines Auszugs aus einem Buch (Bl. 21 d. A.) mit dem Bild einer Gedenktafel angefügt. Auf der Gedenktafel mit der Bildunterschrift „Inschrift einer Gedenktafel zur Erinnerung an den SS-Massenmord in D“ war folgender Text zu lesen:

„An dieser Stelle wurden in den Morgenstunden des 26. März 1945 81 Frauen und 6 Männer aus rassistischen Gründen von einem SS-Kommando ermordet. Die 87 Ermordeten – Deutsche, Russinnen, Französinnen, Polinnen, eine Luxemburgerin und viele für immer Unbekannte – waren Gefangene eines einen Kilometer von hier gelegenen sogenannten „Arbeitserziehungslagers“ der Gestapo einer Vorstufe der nationalsozialistischen Vernichtungslager. Als Häftlinge der Gestapo fertigten sie – ausgebeutet und erniedrigt – in der angrenzenden Fabrik Panzerteile.“

Im Übrigen wird auf die Ablichtung des Beitrages (Bl. 20-21 d. A.) Bezug genommen. Der Beitrag war zusätzlich auf der Plattform Instagram sowie auf savesocial.net zu finden. Am 9. Dezember 2019 erhielt die Beteiligte zu 1 durch Mitarbeiter Kenntnis von dem Sachverhalt. Am 11. Dezember 2019 fand gegen 08:30 Uhr ein Gespräch zwischen dem kaufmännischen Werkleiter des Standortes B, zwei Mitarbeitern der Personalabteilung, zwei Mitgliedern des Betriebsrats und dem Beteiligten zu 3 statt. Seitens der Beteiligten zu 1 wurde der Beteiligte zu 3 in dem Gespräch gebeten, den Facebook-Beitrag zu löschen. Dieser erklärte, sich zunächst mit seinem Anwalt beraten und danach entscheiden zu wollen, da die geforderte Löschung aus seiner Sicht einen gravierenden Eingriff in seine Meinungsfreiheit darstelle. Im Anschluss an das Gespräch verschob er den Facebook-Beitrag in den nichtöffentlichen Bereich. Auf Instagram bzw. savesocial.net war der Beitrag allerdings nach wie vor öffentlich einsehbar.

Mit Schreiben vom 12. Dezember 2019 beantragte die Beteiligte zu 1 die Zustimmung des Beteiligten zu 2 gemäß § 103 Abs. 1 BetrVG zu der beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3. Auf den Inhalt des Anhörungsschreibens vom 12. Dezember 2019 (Bl. 14-21 d. A.) wird Bezug genommen. Mit Schreiben vom 13. Dezember 2019 verweigerte der Beteiligte zu 2 die Zustimmung. Auf den Inhalt des Schreibens vom 13. Dezember 2019 (Bl. 11-12 d. A.) wird Bezug genommen. Mit Schreiben gleichen Datums (Bl. 10 d. A.) distanzierte sich der Beteiligte zu 2 inhaltlich von dem Beitrag des Beteiligten zu 3.

Mit Schriftsatz vom 18. Dezember 2019, bei Gericht am gleichen Tag eingegangen, beantragte die Beteiligte zu 1 die Zustimmungsersetzung.

Sie behauptet, der vom Beteiligten zu 3 verfasste Post enthalte unwahre Tatsachenbehauptungen sowie diffamierende und herabsetzende Äußerungen. Aus Sicht der Arbeitgeberin seien diese nicht mehr von der Meinungsfreiheit geschützt. Zudem setze der Beteiligte zu 3 betriebliche Vorgänge mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem gleich, worin eine Verharmlosung des in der Zeit des Nationalsozialismus begangenen Unrechts und eine Verhöhnung seiner Opfer zu sehen sei. Insbesondere suggeriere die Überschrift „Zwangsarbeit und Hinrichtungen bei C in B und D“, dass es im Verantwortungsbereich der E Hinrichtungen gegeben habe. Für das im Beitrag in Bezug genommene Verbrechen vom 25. März 1945 sei die E nicht verantwortlich gewesen. Diese unwahre Tatsachenäußerung sei geeignet, die Arbeitgeberin verächtlich zu machen und in der öffentlichen Meinung herabzuwürdigen. Weiterhin sei die Passage betreffend die Entschädigungszahlungen unwahr. Richtig sei, dass die damalige E im Jahr 2000 der Stiftungsinitiative der deutschen Wirtschaft zur Entschädigung von NS-Zwangsarbeit beigetreten sei und in diesem Rahmen entsprechende Kompensationszahlungen geleistet habe. Schließlich sei die Bezeichnung als „ausbeuterisches“ Unternehmen verleumderisch und diffamierend und sei als Schmähkritik dem Schutz des Art. 5 GG entzogen.

Aufgrund des Nachtatverhaltens sei zudem erkennbar, dass der Beteiligte zu 3 sein rechtswidriges Verhalten nicht einsehe. Die Entfernung aus dem öffentlichen Bereich bewirke nur eine Verkleinerung des Kreises der Öffentlichkeit. Die von ihm im Verfahren angebotene Löschung der beanstandeten Passage sei kein Zeichen guten Willens, sondern eine Rechtspflicht. Eine Abmahnung sei entbehrlich gewesen, da der Beteiligte zu 3 eindeutig zu erkennen gegeben habe, dass er nicht bereit sei, die Äußerungen zurückzunehmen. Es sei nicht ersichtlich, dass der Beteiligte zu 3 seine Haltung durch Ausspruch einer Abmahnung ändern werde.

Die Beteiligte zu 1 beantragt, die Zustimmung des Beteiligten zu 2 zur beabsichtigten außerordentlichen Kündigung des Beteiligten zu 3 zu ersetzen.

Die Beteiligten zu 2 und 3 beantragen, den Antrag zurückzuweisen.

Sie sind der Auffassung, die beanstandeten Äußerungen seien noch von der Meinungsfreiheit gedeckt. Weder sei der Beteiligte zu 3 verpflichtet, seine politische Meinung den Werten der Arbeitgeberin unterzuordnen, noch seien die Grenzen zur Schmähkritik überschritten.

Ergänzend wird auf den gesamten Inhalt der gewechselten und in mündlicher Anhörung in Bezug genommenen Schriftsätze der Beteiligten nebst Anlagen sowie auf die Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

II.

Kündigung Betriebsratsmitglied wegen kritischer Äußerungen in sozialen Medien
(Symbolfoto: Von Rawpixel.com/Shutterstock.com)

Der Antrag ist unbegründet.

1. Nach § 103 Abs. 1 BetrVG bedarf die außerordentliche Kündigung von Mitgliedern des Betriebsrats der Zustimmung des Betriebsrats. Gemäß § 103 Abs. 2 Satz 1 BetrVG i. V. m. § 15 KSchG ist die verweigerte Zustimmung zu ersetzen, wenn die beabsichtigte außerordentliche Kündigung unter Berücksichtigung aller Umstände gerechtfertigt ist. Dies setzt einen wichtigen Grund i. S. d. § 626 Abs. 1 BGB voraus. Es müssen Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses selbst bis zum Ablauf der fiktiven Kündigungsfrist nicht mehr zugemutet werden kann  (BAG, Beschluss vom 13. Mai 2015, Az. 2 ABR 38/14, juris, Rn. 18).

Dabei ist zunächst zu untersuchen, ob der Sachverhalt ohne seine besonderen Umstände „an sich“ und damit typischerweise als wichtiger Grund geeignet ist. Alsdann bedarf es der weiteren Prüfung, ob dem Kündigenden die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Falls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile – jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist – zumutbar war oder nicht. Stützt der Arbeitgeber den wichtigen Grund bei einem Betriebsratsmitglied auf dessen Verhalten, muss dieses sich als Verletzung von Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis darstellen  (BAG, Beschluss vom 13. Mai 2015, a. a. O.).

2. Eine außerordentliche Kündigung ist vorliegend nicht gerechtfertigt. Ein wichtiger Grund im Sinne von § 626 Abs. 1 BGB liegt nicht vor. Der Beteiligte zu 3 hat mit der Veröffentlichung des streitgegenständlichen Beitrags in den sozialen Medien seine vertragliche Pflicht zur Rücksichtnahme aus § 241 Abs. 2 BGB nicht verletzt.

Weder hat der Beteiligte zu 3 wahrheitswidrige Tatsachenbehauptungen aufgestellt noch eine bewusste und gewollte Geschäftsschädigung herbeigeführt oder auf sonstige Weise das Persönlichkeitsrecht der Antragstellerin verletzt.

a)

Die von dem Beteiligten zu 3 verwendete Überschrift „Zwangsarbeit und Hinrichtungen bei C in B und D“ stellt entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine unwahre Tatsachenbehauptung dar. Der Beteiligte zu 3 hat nicht behauptet, die C AG sei für die Hinrichtungen vom 25. März 1945 konkret verantwortlich. Abgesehen davon, dass diese Textpassage von der Antragstellerin im Zustimmungsantrag an den Betriebsrat vom 12. Dezember 2019 weder beanstandet noch zum möglichen Kündigungsgrund erhoben wurde, kann der Überschrift ein solcher Bedeutungsgehalt nicht beigemessen werden.

Sowohl für die Beurteilung, ob es sich bei einer Aussage um eine Tatsachenbehauptung oder um ein Werturteil handelt, als auch für die Bewertung, ob eine vom Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 GG umfasste Äußerung die Grenzen der Meinungsfreiheit überschreitet, kommt es entscheidend auf den Sinngehalt der fraglichen Erklärung an. Dessen Ermittlung hat vom Wortlaut der Äußerung auszugehen, darf aber den sprachlichen Kontext, in dem sie steht, sowie die für den Empfänger erkennbaren Begleitumstände, unter denen sie gefallen ist, nicht unberücksichtigt lassen. Die isolierte Betrachtung nur eines Teils der Äußerung wird diesen Anforderungen in der Regel nicht gerecht. Um der Meinungsfreiheit gerecht zu werden, dürfen Gerichte einer Äußerung keine Bedeutung beilegen, die sie objektiv nicht hat. Bei Mehrdeutigkeit dürfen Äußerungen wegen eines möglichen Inhalts nicht zu nachteiligen Folgen führen, ohne dass eine Deutung, die zu einem von der Meinungsfreiheit gedeckten Ergebnis führen würde, mit überzeugenden Gründen ausgeschlossen worden ist (BAG, Urteil vom 31. Juli 2014, Az. 2 AZR 505/13, juris, Rn. 45-46).

Eine Überschrift im journalistischen Sinne ist eine plakative Zeile, die auf den nachfolgenden Artikel aufmerksam macht und ihn so beim Leser bewirbt. Sie stellt nicht zwingend eine Zusammenfassung der Kernaussage des Beitrags dar. In dieser Funktion hält sich die Formulierung der Überschrift im rechtlich zulässigen Rahmen. Im folgenden Text setzt sich der Beteiligte zu 3 schwerpunktmäßig mit der Frage der Zwangsarbeit während der Zeit des Dritten Reichs auseinander. Der Aspekt der Hinrichtungen wird durch die Bezugnahme auf die Fotografie der Gedenktafel beleuchtet. Der SS-Massenmord in D als solcher ist zwischen den Beteiligten unstreitig und in Form einer offiziellen Gedenktafel auch dokumentiert. Dass dieses Verbrechen in unmittelbarer Nähe zu C stattgefunden hat, wird von der Antragstellerin nicht in Abrede gestellt. Aus der Präposition „bei“ eine unmittelbare Verantwortlichkeit der C AG herauszulesen, ist zumindest nicht zwingend und kann dem Beteiligten zu 3 daher nicht entgegengehalten werden.

b)

Auch bei dem Absatz

„Aus den Erträgen (erst vor ein paar Tagen wurden beispielsweise über 1000 alte C Immobilien verkauft) wird natürlich weder den Nachkommen der Zwangsarbeit Entschädigung gezahlt (es wurde noch einmal nach über 50 Jahren ein symbolischer Beitrag gezahlt, um sich die Weste rein zu waschen) noch werden die aktuellen Arbeitsplätze gesichert.“ handelt es sich entgegen der Auffassung der Antragstellerin ebenfalls nicht um eine unwahre Tatsachenbehauptung.

Ein Arbeitnehmer kann sich für bewusst falsche Tatsachenbehauptungen nicht auf sein Recht auf freie Meinungsäußerung aus Art. 5 Abs. 1 GG berufen. Solche Behauptungen sind vom Schutzbereich des Grundrechts nicht umfasst (BVerfG, Beschluss vom 25. Oktober 2012, Az. 1 BvR 901/11, juris, Rn. 18-19). Anderes gilt für Äußerungen, die nicht Tatsachenbehauptungen, sondern ein Werturteil enthalten. Sie fallen in den Schutzbereich des Rechts auf Meinungsfreiheit. Dasselbe gilt für Äußerungen, in denen sich Tatsachen und Meinungen vermengen, sofern sie durch die Elemente der Stellungnahme, des Dafürhaltens oder Meinens geprägt sind (BVerfG, a. a. O.).

Der Beteiligte zu 3 hat nicht in Abrede gestellt, dass die Antragstellerin Kompensationszahlungen im Rahmen der „Stiftungsinitiative der Deutschen Wirtschaft zu Entschädigung von NS-Zwangsarbeit“ geleistet hat. Er führt lediglich aus, dass er die gezahlte Entschädigung als bloßen „symbolischen Beitrag“ wertet. Diese Einschätzung stellt keine Tatsachenbehauptung, sondern ein Werturteil dar, welches dem grundrechtlichen Schutz des Art. 5 GG unterliegt. Diese Meinung des Beteiligten zu 3 muss die Antragstellerin nicht teilen, sie bleibt gleichwohl rechtlich zulässig.

Eine Gleichsetzung der aktuellen betrieblichen Verhältnisse mit dem nationalsozialistischen Terrorsystem und eine Verhöhnung der Opfer der NS-Diktatur durch den Beteiligten zu 3 – wie es die Antragstellerin unter Bezugnahme auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 24. November 2005 (Az. 2 AZR 584/04) offenbar in diese Textpassage hineinzulesen versucht – kann aus Sicht der Kammer beim besten Willen nicht nachvollzogen werden. Der Beteiligte zu 3 vergleicht weder in dieser noch einer anderen Passage die heutigen Arbeitsbedingungen mit den Zuständen zur Zeit des Dritten Reiches. Insbesondere unterstellt er der Beteiligten zu 1 nicht, sie „gehe mit Mitarbeitern heute so um wie damals C mit Zwangsarbeitern“. Er vertritt lediglich die Auffassung, dass die Antragstellerin ihrer historischen Verantwortung nicht gerecht werde. Hierin eine Verhöhnung der Opfer der NS-Diktatur zu sehen erscheint aus Sicht der Kammer fernliegend.

c)

Schlussendlich ist auch die streitgegenständliche Passage

„Wehe mir erzählt noch einmal jemand etwas von dem verantwortungsbewussten, sozialen E-Konzern. Ich hoffe das beweist einmal mehr, dass E genauso ein ausbeuterisches Unternehmen ist, wie alle anderen kapitalistisches Unternehmen auch.“

nicht geeignet, eine außerordentliche Kündigung zu begründen. Eine Tatsachenbehauptung ist in diesen Ausführungen nicht zu sehen. Der Beteiligte zu 3 bringt vielmehr seine ablehnende Haltung gegenüber dem Kapitalismus im Allgemeinen und der Geschäftspolitik sowie sozialen Verantwortung der Antragstellerin im Besonderen zum Ausdruck. Unzweifelhaft ist auch diese Äußerung vom Schutzbereich des Art. 5 GG erfasst.

Mit der Bedeutung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit wäre es unvereinbar, wenn es in der betrieblichen Arbeitswelt nicht oder nur eingeschränkt anwendbar wäre. Der Grundrechtsschutz besteht dabei unabhängig davon, welches Medium der Arbeitnehmer für seine Meinungsäußerung nutzt und ob diese rational oder emotional, begründet oder unbegründet ist. Vom Grundrecht der Meinungsfreiheit umfasste Äußerungen verlieren den sich daraus ergebenden Schutz selbst dann nicht, wenn sie scharf oder überzogen geäußert werden (BAG, Urteil vom 31. Juli 2014, a. a. O., Rn. 42).

3. Freilich ist das Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 GG nicht schrankenlos gewährleistet, sondern gemäß Art. 5 Abs. 2 GG durch die allgemeinen Gesetze und das Recht der persönlichen Ehre beschränkt. Mit diesen muss es in ein ausgeglichenes Verhältnis gebracht werden (BVerfG 25. Oktober 2012, a. a. O.). Das gilt insbesondere dann, wenn – wie hier – auch auf Seiten des Arbeitgebers eine grundrechtlich geschützte Position betroffen ist. Durch Art. 12 GG wird die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit des Arbeitgebers geschützt, die durch geschäftsschädigende Äußerungen verletzt sein kann. Auch gehört § 241 Abs. 2 BGB zu den allgemeinen, das Grundrecht auf Meinungsfreiheit beschränkenden Gesetzen. Zwischen der Meinungsfreiheit und dem beschränkenden Gesetz findet demnach eine Wechselwirkung statt. Die Reichweite der Pflicht zur vertraglichen Rücksichtnahme muss ihrerseits unter Beachtung der Bedeutung des Grundrechts bestimmt, der Meinungsfreiheit muss dabei also die ihr gebührende Beachtung geschenkt werden – und umgekehrt (vgl. BVerfG, Beschluss vom 8. September 2010, Az. 1 BvR 1890/08, juris, Rn. 20).

a)

Dass sich die Äußerungen des Beteiligten zu 3 konkret geschäftsschädigend ausgewirkt hätten, hat die Antragstellerin bereits nicht dargelegt. Der streitgegenständliche Beitrag scheint ohnehin durch die Einleitung des Beschlussverfahrens eine weitaus größere Öffentlichkeitswirkung erfahren zu haben, als durch dessen Verbreitung in den sozialen Medien selbst (18 „Likes“, Bl. 21 d. A.).

b)

Die öffentlichen Äußerungen verletzen die Beteiligte zu 1 auch nicht in ihrem allgemeinen „Persönlichkeitsrecht“ als Unternehmen. Zwar steht das Recht der persönlichen Ehre und auf Achtung ihres öffentlichen Ansehens auch juristischen Personen zu (BAG, Urteil vom 31. Juli 2014, a. a. O., Rn. 59).

Eine dieses Recht regelmäßig verletzende Schmähkritik liegt hier aber nicht vor. Die beanstandete Aussage ist nicht auf eine Diffamierung der Beklagten angelegt. Sie hat erkennbar einen sachlichen Bezug. Der Beteiligte zu 3 macht seine ablehnende Haltung konkret an den aus seiner Sicht zu geringen Entschädigungszahlungen an ehemalige Zwangsarbeiter bzw. deren Nachkommen und einer vermeintlich zu starken Gewinnorientierung des Unternehmens fest. Auch hier gilt, dass sich weder die Antragstellerin selbst noch sonst jemand dieser Auffassung anschließen muss. Der Beteiligte zu 3 darf diese Meinung jedoch haben und äußern.

Die Grenze zur Schmähkritik ist auch deshalb nicht überschritten, weil sich die Äußerungen des Beteiligten zu 3 im Gesamtkontext weniger gegen die Antragstellerin im Speziellen als insbesondere gegen die kapitalistische Wirtschaftsordnung im Allgemeinen richten. Der Beteiligte stellt die Antragstellerin gerade nicht als besonders verwerfliches Unternehmen heraus, sondern ordnet sie lediglich „wie alle anderen kapitalistischen Unternehmen auch“ als ebensolches ausbeuterisches Unternehmen ein. Der Beteiligte zu 3 betrachtet somit erkennbar grundsätzlich alle kapitalistischen Unternehmen als ausbeuterische Unternehmen. Insoweit liegt es nahe, den Begriff der „Ausbeutung“ in diesem Kontext eher im marxistisch-kapitalismuskritischem Sinne zu verstehen als im Sinne einer spezifisch ehrverletzenden Herabsetzung der Antragstellerin. Auch diese Ansicht des Beteiligten zu 3 mag man teilen oder nicht. Nach der Überzeugung des Gerichts ist sie jedenfalls rechtlich zulässig.

Ob die sehr provokante Wortwahl des Klägers seiner Sache wirklich dienlich ist, insbesondere im Hinblick auf die von ihm mutmaßlich beabsichtigte „Aufarbeitung der Werksgeschichte“, mag freilich dahingestellt bleiben.

4. Weiterhin käme der Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung auch deshalb nicht in Betracht, weil sie zumindest unter Berücksichtigung des Ultima-Ratio-Grundsatzes als unverhältnismäßig anzusehen wäre.

Vorliegend ist nicht ersichtlich, weshalb – einen hinreichenden Pflichtenverstoß des Beteiligten zu 3 unterstellt – eine Abmahnung nicht ausreichend gewesen wäre.

Beruht die Vertragspflichtverletzung auf steuerbarem Verhalten des Arbeitnehmers, ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sein künftiges Verhalten schon durch die Androhung von Folgen für den Bestand des Arbeitsverhältnisses positiv beeinflusst werden kann. Die ordentliche wie die außerordentliche Kündigung wegen einer Vertragspflichtverletzung setzen deshalb regelmäßig eine Abmahnung voraus. Sie dient der Objektivierung der negativen Prognose (BAG, Urteil vom 10.06.2010, Az. 2 AZR 541/09, NZA 2010, 1227-1234).

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin war die Abmahnung nicht entbehrlich. Es ist nicht erkennbar, dass der Beteiligte zu 3 nicht bereit gewesen wäre, die streitgegenständlichen Äußerungen zu löschen. Selbst ohne den Ausspruch einer Abmahnung hatte er den ursprünglichen Facebook-Post bereits umgehend in den nichtöffentlichen Bereich verschoben. Es ist zwar zutreffend, dass der Beitrag zunächst noch in anderen sozialen Netzwerken sichtbar war – nach dem Vortrag in der Antragsschrift war der Beteiligten zu 3 aber auch nur explizit gebeten worden, den Facebook-Beitrag zu löschen.

Es mag mit der Antragstellerin weiter davon auszugehen sein, dass der Beteiligte zu 3 tatsächlich „seine Haltung durch Ausspruch einer Abmahnung“ nicht geändert hätte. Hierzu ist er jedoch auch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt verpflichtet. Die politische Haltung oder Weltanschauung ist allein Sache des Beteiligten zu 3 und unterliegt nicht dem Direktionsrecht der Antragstellerin. Entscheidend ist allein, wie sich der Beteiligte zu 3 verhält, nicht, was er denkt. Dafür, dass der Beteiligte zu 3 nicht in der Lage gewesen wäre, sein Verhalten zu ändern, bestehen keine Anhaltspunkte.

Nachdem eine außerordentliche Kündigung somit unter keinem denkbaren rechtlichen Gesichtspunkt gerechtfertigt wäre, kam eine Zustimmungsersetzung folglich nicht in Betracht.

5. Diese Entscheidung ergeht gemäß § 2 Abs. 2 GKG gerichtskostenfrei.

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