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Kündigung – Drohung der Veröffentlichung von Geschäftsunterlagen

Landesarbeitsgericht Rheinland-Pfalz – Az.: 5 Sa 60/14

Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14. November 2013, Az. 7 Ca 1777/13, wird kostenpflichtig zurückgewiesen.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten zuletzt noch über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung des Beklagten vom 25.04. zum 31.05.2013.

Der 1959 geborene, verheiratete Kläger war seit 01.02.2012 bei dem beklagten Kreisverband der Arbeiterwohlfahrt als Verwaltungskoordinator und Sekretär der Geschäftsführung zu einem Bruttomonatsverdienst von € 3.368,00 angestellt. Der Beklagte selbst beschäftigt nicht mehr als 10 Arbeitnehmer.

Der Kläger war zuvor vom 08.06.2009 bis 31.01.2012 bei einer Tochtergesellschaft des Beklagten, der Fa. D. GmbH Gesellschaft für Dienstleistungen in der sozialen Arbeit, als Mitarbeiter in der Verwaltung beschäftigt. Er meint, bei der Ermittlung des Schwellenwerts nach § 23 Abs. 1 KSchG und der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit habe eine Zusammenrechnung der Beschäftigungszeiten und der Arbeitnehmer der Fa. D. GmbH mit den Arbeitnehmern des Beklagten zu erfolgen.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis des Klägers mit Schreiben vom 25.04. ordentlich zum 31.05.2013. Gegen diese Kündigung wendet sich der Kläger mit seiner am 15.05.2013 beim Arbeitsgericht eingegangenen Klage.

Kündigung - Drohung der Veröffentlichung von Geschäftsunterlagen
Symbolfoto: Von Bojan Milinkov /Shutterstock.com

Zwischen dem 11. und 17.02.2013 bat der Kläger ein Vorstandsmitglied des Beklagten um ein persönliches Gespräch, weil er Unregelmäßigkeiten bei dem Beklagten vermutete, die dessen Geschäftsführer zu verantworten habe. Das Vorstandsmitglied besuchte den Kläger in seiner Privatwohnung, wo auf dem Esstisch ein Aktenordner lag, zu dem der Kläger äußerte, er enthalte Unterlagen über Dinge, die teilweise nicht in Ordnung seien. Ob der Kläger konkret meinte, dass deshalb der Geschäftsführer des Beklagten in der nächsten Vorstandssitzung am 22.02.2013 abgesetzt werden müsse und weiter den Eindruck vermittelte, selbst Geschäftsführer des Beklagten werden zu wollen, was er sich auch zutraue, ist zwischen den Parteien streitig. Das Gespräch endete damit, dass das Vorstandsmitglied erklärte, alleine nichts entscheiden zu können und sich mit den Vorstandskollegen besprechen zu wollen.

Am 22.02.2013 fand ein weiteres Gespräch statt, an dem die drei Vorstandsmitglieder des Beklagten und der Kläger teilnahmen. Der Kläger erhob zahlreiche Vorwürfe gegen den Geschäftsführer des Beklagten. Er erklärte, dass er diese Vorwürfe schriftlich dokumentiert und die Unterlagen in frankierten Umschlägen in einer Anwaltskanzlei hinterlegt habe. Er werde die Unterlagen an das Finanzamt, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, die Staatsanwaltschaft, die Presse, das Fernsehen, den Rundfunk, den Bundesverband und den Bezirksverband der AWO sowie an den Vorsitzenden der CDU-Stadtratsfraktion versenden lassen, falls man sein Arbeitsverhältnis kündigen sollte.

Der Vorstand bat den Kläger, den drei Mitgliedern bis Samstag die gleichen Unterlagen zur Verfügung zu stellen, die er erklärtermaßen bereits bei einem Anwalt zur Versendung an die genannten Stellen hinterlegt habe. Die für den 22.02.2013 anberaumte Vorstandssitzung wurde auf den 27.02.2013 verlegt. Die angeforderten Unterlagen ließ der Kläger den Vorstandsmitgliedern, versehen mit einem Deckblatt, auf dem seine einzelnen Vorwürfe aufgeführt waren, zukommen. Alsdann stimmten sich die Vorstandsmitglieder untereinander ab, ein weiteres Treffen mit dem Kläger, das für den 25.02.2013 vereinbart worden war, wieder abzusagen. Sie teilten dem Kläger mit, dass aufgrund der gesichteten Unterlagen kein Gesprächsbedarf mehr mit ihm bestehe.

Mit Schriftsatz vom 04.03.2013, dem Kläger (dort: Verfügungsbeklagten) am 05.03.2013 zugestellt, leitete der Beklagte (dort: Verfügungskläger) ein einstweiliges Verfügungsverfahren vor dem Arbeitsgericht Koblenz (Az. 5 Ga 11/13) ein. Am 28.03.2013 fand in diesem Verfahren eine Verhandlung statt. Im Anschluss teilte der Kläger dem Beklagten mit Einschreiben vom 28.03.2013 (Bl. 246 d.A.) ua. mit:

„Ich stelle unmissverständlich klar, dass ich keine Unterlagen bei einem Rechtsanwalt vorhalte, die dieser an Dritte nach meiner Weisung hin zu versenden hat.

In gleicher Weise hatte und habe ich nicht vor, die o.g. Geschäftsunterlagen an die vorgenannten unbefugten Dritten weiterzuleiten – auch für den Fall, dass Sie mir eine Kündigung aussprechen sollten.

Um die Sache aber endgültig zu erledigen, bin ich bereit, eine Verpflichtungs- und Unterlassungserklärung abzugeben.“

Dem Einschreiben war folgende Erklärung vom 28.03.2013 beigefügt (Bl. 247 d.A.):

„Unterlass- und Verpflichtungserklärung:

Ich … verpflichte mich ohne Anerkennung einer Rechtspflicht und ohne Präjudiz für die Sach- und Rechtslage, gleichwohl rechtsverbindlich gegenüber meinem Arbeitgeber, … , es bei Meidung einer für jeden Fall der Zuwiderhandlung von dem AWO Kreisverband e.V. festzusetzenden angemessenen, im Streitfall der Sache und der Höhe nach durch das zuständige Arbeits-, Amts- oder Landgericht zu überprüfende Vertragsstrafe zu unterlassen, Geschäftsunterlagen der AWO Kreisverband e.V., dessen Tochterunternehmen (bspw. …) an unbefugte Dritte, wie die Staatskanzlei, Presse, die Finanzämter (mit Ausnahme des für den AWO Kreisverband zuständige Finanzamt) und Rundfunk- und Fernsehanstalten weiterzugeben.“

Im einstweiligen Verfügungsverfahren 5 Ga 11/13 hat das Arbeitsgericht Koblenz dem Kläger mit Urteil vom 11.04.2013 aufgegeben, es bis zum 11.09.2013 zu unterlassen, bestimmte in seinem Besitz befindliche Geschäftsunterlagen, an Dritte weiterzugeben, aus den Geschäftsräumen zu entfernen bzw. zu kopieren. Die zeitliche Begrenzung bis zum 11.09.2013 erfolgte für die übliche Dauer eines erstinstanzlichen Hauptsacheverfahrens. Die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Rheinland-Pfalz hat mit Beschluss vom 14.11.2013 (Az. 11 SaGa 4/13) nach übereinstimmender Erklärung der Erledigung des Berufungsverfahrens dem hiesigen Beklagten (dort: Verfügungskläger) die Kosten des Berufungsverfahrens auferlegt. Zur Begründung hat die 11. Kammer – zusammengefasst – ausgeführt, nach Ablauf des 11.09.2013 bestehe keine Eilbedürftigkeit mehr. Der Beklagte habe das Hauptsacheverfahren (Az. 7 Ca 3059/13) erst am 19.08.2013 eingeleitet und damit zum Ausdruck gebracht, dass er nach dem 11.09.2013 die Weitergabe der Geschäftsunterlagen billigend in Kauf nehme.

Von einer weitergehenden Darstellung des unstreitigen Tatbestands, des erstinstanzlichen Parteivorbringens und der erstinstanzlich gestellten Anträge wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG abgesehen und auf den Tatbestand des Urteils des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.11.2013 (dort Seite 2 bis 10) Bezug genommen.

Nach Ausspruch der Kündigung hat der Kläger gegen den Beklagten bei der Staatsanwaltschaft Koblenz eine Strafanzeige erstattet und ihn außerdem bei den Finanzbehörden angezeigt. Den Vortrag des Beklagten, beide Verfahren seien eingestellt worden, weil keine Unregelmäßigkeiten festgestellt worden seien, bestreitet der Kläger mit Nichtwissen.

Das Arbeitsgericht hat – soweit noch von Interesse – die Klage gegen die Kündigung vom 25.04.2013 und auf Zahlung von Annahmeverzugslohn für die Monate von Juni bis Oktober 2013 mit Urteil vom 14.11.2013 abgewiesen und zur Begründung – zusammengefasst – ausgeführt, die ordentliche Kündigung zum 31.05.2013 sei sozial gerechtfertigt. Der Kläger habe im Gespräch vom 22.02.2013 ggü. dem Vorstand des Beklagten eine Drucksituation aufgebaut und massiv damit gedroht, Geschäftsunterlagen an betriebsfremde Personen, die nicht zur strafrechtlichen Ermittlung bestellt seien, weiterzuleiten, falls der Beklagte sein Arbeitsverhältnis kündigen sollte. Die Drohung sei widerrechtlich gewesen, weil der Kläger nicht berechtigt sei, Geschäftsunterlagen des Beklagten der Ministerpräsidentin, der Presse, einschließlich Fernseh- und Rundfunkanstalten, dem Bundes- und dem Bezirksverband der AWO sowie dem Fraktionsvorsitzenden des CDU-Stadtrats zur Kenntnis zu bringen. Soweit der Kläger vortrage, er habe aus Sorge um den ordnungsgemäßen Geschäftsablauf bei dem Beklagten gehandelt, könne er damit allenfalls eine Anzeige bei der Staatsanwaltschaft und dem Finanzamt rechtfertigen. Eine Abmahnung des Klägers sei nicht erforderlich gewesen. Ihm hätte von vornherein klar sein müssen, dass eine widerrechtliche Drohung ggü. dem Vorstand einen massiven Pflichtverstoß im Kernbereich des Arbeitsverhältnisses darstelle, der zum Kündigungsausspruch führe. Dass der Kläger selbst eine Kündigung befürchtet habe, zeige sich gerade daran, dass er versucht habe, diese mit der Drohung zu verhindern. Es entlaste den Kläger nicht, dass er behaupte, er habe keine Unterlagen bei einem Rechtsanwalt hinterlegt, denn vom objektiven Empfängerhorizont sei seine Drohung am 22.02.2013 ernst zu nehmen gewesen. Entgegen der Ansicht des Klägers habe trotz der Abgabe der Unterlassens- und Verpflichtungserklärung am 28.03.2013 bei Zugang der Kündigungserklärung am 25.04.2013 noch ein Kündigungsgrund bestanden. Kündigungsgrund sei nicht das Versenden von Geschäftsunterlagen an Dritte gewesen, sondern vielmehr die Drohung dies zu tun. Die Unterlassens- und Verpflichtungserklärung mache den am 22.02.2013 eingetretenen massiven Vertrauensverlust nicht mehr wett. Die abschließend vorzunehmende Interessenabwägung falle zu Lasten des Klägers aus. Das Arbeitsverhältnis mit dem Beklagten habe erst seit gut einem Jahr bestanden. Zu Gunsten des Beklagten sei zu berücksichtigen, dass der Kläger als Assistent der Geschäftsleitung eine besondere Vertrauensstellung eingenommen habe. Diese Position sei mit einem besonderen Maß an Vertrauen verbunden, das der Kläger durch seine Drohung unwiederbringlich zerstört habe. Wegen weiterer Einzelheiten der Entscheidungsgründe des Arbeitsgerichts wird gemäß § 69 Abs. 2 ArbGG auf Seite 10 bis 16 des erstinstanzlichen Urteils vom 14.11.2013 Bezug genommen.

Gegen das am 14.01.2014 zugestellte Urteil hat der Kläger mit am 29.01.2014 beim Landesarbeitsgericht eingegangenem Schriftsatz Berufung eingelegt und diese mit am 14.03.2014 eingegangenem Schriftsatz begründet.

Der Kläger macht zur Begründung der Berufung geltend, die Kündigung vom 25.04.2013 sei sozial nicht gerechtfertigt. Die Interessenabwägung hätte zu seinen Gunsten ausfallen müssen. Als Reaktion des Beklagten auf sein Fehlverhalten hätte nach dem Ultima-Ratio-Prinzip eine Abmahnung genügt. Das Arbeitsgericht habe nicht beachtet, dass er sich in einer außergewöhnlichen Situation befunden habe. Entgegen der Ansicht des Arbeitsgerichts sei das Vertrauensverhältnis zum Beklagten nicht nachhaltig gestört. Dies werde bereits durch die Tatsache dokumentiert, dass der Beklagte die Kündigung erst über zwei Monate später als ordentliche Kündigung ausgesprochen habe. Es sei auch zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er dem Beklagten einen Monat vor Ausspruch der Kündigung erklärt habe, er habe keine Unterlagen bei einem Anwalt hinterlegt. Schließlich habe er am 28.03.2013 freiwillig eine strafbewehrte und verbindliche Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung abgegeben, so dass der Beklagte nicht mehr habe befürchten müssen, dass er Unterlagen an unbefugte Dritte versenden werde.

Zu seinen Gunsten sei auch zu beachten, dass er sich im Gespräch vom 22.02.2013 in einer Notsituation befunden habe. Er habe subjektiv festgestellt, dass er mit seinen Ausführungen nicht ernst genommen worden sei, mithin mit dem Rücken an der Wand gestanden und ganz erhebliche Sorge gehabt habe, dass sein Arbeitsverhältnis gekündigt werde. Dies sei vom Vorstand noch unterstrichen worden, als dieser sich negativ über seine Zukunft bei dem Beklagten geäußert habe. Aus Angst habe er sich dann zu der Äußerung hinreißen lassen, die im Ergebnis zur Kündigung geführt habe.

Außerdem sei zu seinen Gunsten zu berücksichtigen, dass er bereits seit 04.06.2009 im gemeinsamen Betrieb mit der D. GmbH in einer Vertrauensstellung beschäftigt worden sei, ohne vergleichbare Pflichtverstöße begangen zu haben. Er habe sich einen erheblichen Vorrat an Vertrauen erarbeitet. Sein Versuch, den Vorstand über die Unregelmäßigkeiten zu informieren, dokumentiere seine Loyalität. Wegen weiterer Einzelheiten der Berufungsbegründung wird auf den Schriftsatz des Klägers vom 13.03.2014 Bezug genommen.

Der Kläger beantragt zweitinstanzlich zuletzt, das Urteil des Arbeitsgerichts Koblenz vom 14.11.2013, Az. 7 Ca 1777/13, teilweise abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die Kündigung des Beklagten vom 25.04.2013 nicht aufgelöst worden ist, den Beklagte zu verurteilen, an ihn € 16.840,00 brutto abzüglich € 6.282,00 Arbeitslosengeld nebst Zinsen iHv. 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz aus jeweils € 2.111,60 seit dem 03.07., 03.08., 03.09., 03.10. und 03.11.2013 zu zahlen.

Der Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.

Er verteidigt das angefochtene Urteil nach Maßgabe seiner Berufungserwiderung vom 22.04.2014, auf die Bezug genommen wird, als zutreffend.

Im Übrigen wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen sowie den Inhalt der Sitzungsniederschriften Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die nach § 64 Abs. 1 und 2 ArbGG statthafte Berufung des Klägers ist gemäß §§ 66 Abs. 1, 64 Abs. 6 ArbGG iVm. §§ 519, 520 ZPO form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden. Sie erweist sich auch sonst als zulässig.

 

II.

In der Sache hat die Berufung keinen Erfolg. Das Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien ist durch die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 25.04.2013 mit Ablauf des 31.05.2013 aufgelöst worden. Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Kündigung des Beklagten iSd. § 1 Abs. 2 KSchG aus verhaltensbedingten Gründen sozial gerechtfertigt ist. Der Kläger kann deshalb keinen Annahmeverzugslohn für die Zeit ab 01.06.2013 beanspruchen.

Die Berufungskammer folgt der ausführlichen und sorgfältigen Begründung des angefochtenen Urteils und stellt dies nach § 69 Abs. 2 ArbGG fest. Das Berufungsvorbringen veranlasst lediglich folgende Ausführungen:

1. Die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 25.04.2013 ist rechtswirksam.

a) Das Arbeitsgericht durfte dahinstehen lassen, ob das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis der Parteien Anwendung findet, obwohl der Beklagte unstreitig nicht mehr als zehn Arbeitnehmer iSd. § 23 Abs. 1 KSchG beschäftigt. Selbst wenn bei der Berechnung der notwendigen Arbeitnehmerzahl die Beschäftigten der Firma D. GmbH den wenigen Arbeitnehmern des Beklagten hinzuzurechnen sein sollten, weil der Kern der Arbeitgeberfunktionen im sozialen und personellen Bereich von derselben institutionellen Leitung rechtlich abgesichert ausgeübt wird, wäre die Kündigung iSd. § 1 Abs. 2 KSchG sozial gerechtfertigt.

b) Nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG ist eine Kündigung ua. dann sozial gerechtfertigt, wenn sie durch Gründe, die im Verhalten des Arbeitnehmers liegen, bedingt ist. Sie ist durch solche Gründe „bedingt“, wenn der Arbeitnehmer seine vertraglichen Haupt- oder Nebenpflichten erheblich und in der Regel schuldhaft verletzt hat und eine dauerhaft störungsfreie Vertragserfüllung in Zukunft nicht mehr zu erwarten steht. Dann kann dem Risiko künftiger Störungen nur durch die fristgemäße Beendigung des Arbeitsverhältnisses begegnet werden. Das wiederum ist nicht der Fall, wenn schon mildere Mittel und Reaktionen – wie etwa eine Abmahnung – von Seiten des Arbeitgebers geeignet gewesen wären, beim Arbeitnehmer künftige Vertragstreue zu bewirken (vgl. BAG 11.07.2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 20, NZA 2014, 250).

c) Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger seine arbeitsvertraglichen Pflichten erheblich verletzt hat, weil er den drei Vorstandsmitgliedern des Beklagten im Gespräch vom 22.02.2013 damit gedroht hat, Geschäftsunterlagen des Beklagten, die er in einer Anwaltskanzlei hinterlegt habe, an die Presse, das Fernsehen, den Rundfunk, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin sowie an den Vorsitzenden der CDU-Stadtratsfraktion versenden zu lassen, falls man sein Arbeitsverhältnis kündigen sollte. Durch diese Drohung hat der Kläger die unverzichtbare Loyalität zur Kooperation mit seinem Arbeitgeber vermissen lassen. Sein nötigendes Verhalten wäre grundsätzlich sogar geeignet gewesen, eine außerordentliche Kündigung zu begründen (so schon BAG 11.03.1999 – 2 AZR 507/98 – AP BGB § 626 Nr. 149).

Das Arbeitsgericht hat es nicht als Pflichtverletzung angesehen, dass der Kläger dem Vorstand des Beklagten auch damit gedroht hat, der Staatsanwaltschaft und den Finanzbehörden die Geschäftsunterlagen zu übersenden, was er nach Ausspruch der streitgegenständlichen Kündigung auch getan hat. Es bedarf deshalb keiner Entscheidung darüber, ob diese Drohung im Lichte der Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 21.07.2011 (EGMR vom 21.07.2011 – 28274/08 – [Heinisch] Rn. 63 ff., AP BGB § 626 Nr. 235) rechtswidrig war. Danach wird auch eine Strafanzeige eines Arbeitnehmers wegen illegaler Praktiken seines Arbeitgebers vom Schutzbereich des Art. 10 EMRK erfasst. Die Berechtigung zur Offenbarung von Informationen ist jedoch gegen die Loyalitätspflichten des Arbeitnehmers abzuwägen (so auch BAG 27.09.2012 – 2 AZR 646/11 – AP BGB § 626 Nr. 240).

Nach Maßgabe der Grundsätze, die der EGMR in der Entscheidung vom 21.07.2011 aufgestellt hat, hat der Kläger die Grenze des Zulässigen überschritten, weil er den Vorstand des Beklagten mit seiner Drohung, nicht (nur) die Strafverfolgungsbehörden zu informieren, sondern auch den Medien und einem lokalen CDU-Politiker Geschäftsunterlagen zuzusenden, zusätzlich unter Druck setzen wollte, um die Kündigung seines Arbeitsverhältnisses zu verhindern. Eine Einschaltung der Strafverfolgungsbehörden wäre ausreichend gewesen, um die vom Kläger befürchtete eigene (steuer-)strafrechtliche Verantwortlichkeit zu vermeiden, die er in der mündlichen Verhandlung vor der Berufungskammer als Motiv seines Handels herausgestellt hat. Der Kläger hätte zunächst den Verlauf der Strafverfahren abwarten können und müssen. Seine Drohung, den Beklagten durch die Versendung der Geschäftsunterlagen in der Öffentlichkeit anzuprangern, um ihm durch die Enthüllungen einen (Image-)Schaden zuzufügen, stellte eine völlig unverhältnismäßige Reaktion auf das Verhalten des Vorstandes im Verlauf des Gesprächs vom 22.02.2013 dar.

d) Entgegen der Ansicht der Berufung ist die ordentliche Kündigung vom 25.04.2013 nicht deshalb unwirksam, weil sie der Beklagte erst zwei Monate nach dem Gespräch vom 22.02.2013 ausgesprochen hat. Im Gegensatz zur fristlosen Kündigung, die gemäß § 626 Abs. 2 BGB innerhalb von zwei Wochen nach Kenntnis der Kündigungstatsachen auszusprechen ist, ist die ordentliche Kündigung an keine Erklärungsfristen gebunden.

e) Entgegen der Ansicht der Berufung war im Streitfall eine Abmahnung des Klägers entbehrlich.

Nach der Rechtsprechung des BAG, der die Berufungskammer folgt, bedarf es nach Maßgabe des auch in § 314 Abs. 2 iVm. § 323 Abs. 2 BGB zum Ausdruck kommenden Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einer Abmahnung dann nicht, wenn bereits ex ante erkennbar ist, dass eine Verhaltensänderung in Zukunft auch nach Abmahnung nicht zu erwarten steht, oder es sich um eine so schwere Pflichtverletzung handelt, dass selbst deren erstmalige Hinnahme dem Arbeitgeber nach objektiven Maßstäben unzumutbar und damit offensichtlich – auch für den Arbeitnehmer erkennbar – ausgeschlossen ist (vgl. BAG 11.07.2013 – 2 AZR 994/12 – Rn. 21 mwN, aaO).

Das Arbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass es vor Ausspruch der Kündigung keiner Abmahnung des Klägers bedurfte. Auch aus Sicht der Berufungskammer war die Drohung, Geschäftsunterlagen an die Medien (Presse, Fernseh- und Rundfunkanstalten), die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin und den Vorsitzenden der CDU-Stadtratsfraktion zu senden, als so schwerwiegend einzustufen, dass dem Beklagten schon die erstmalige Hinnahme nicht zuzumuten war. Die Drohung zerstörte das Vertrauen des Beklagten in die Loyalität des Klägers in irreparabler Weise.

Das Vertrauen des Beklagten in die Loyalität des Klägers ist nicht durch die Unterlassungs- und Verpflichtungserklärung vom 28.03.2013 wiederherstellt worden, wie die Berufung meint. Diese Erklärung hat der Kläger nicht freiwillig abgegeben, sondern nach Zustellung der Antragsschrift im einstweiligen Verfügungsverfahren (Az. 5 Ga 11/13), dass der Beklagte mit Schriftsatz vom 04.03.2013 vor dem Arbeitsgericht Koblenz eingeleitet hatte. Es ist kein tatsächlicher Anhaltspunkt dafür vorhanden, der Beklagte sei noch im Anschluss an die Äußerungen des Klägers vom 22.02.2013 von einer Wiederherstellung des zerstörten Vertrauens ausgegangen.

f) Auch die abschließende Interessenabwägung des Arbeitsgerichts ist nicht zu beanstanden. Die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 25.04.2013 ist auch nach Ansicht der Berufungskammer bei Beachtung aller Umstände des vorliegenden Falls und nach Abwägung der widerstreitenden Interessen sozial gerechtfertigt. Dem Beklagten konnte bei Kündigungsausspruch die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses über den Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist hinaus nicht zugemutet werden.

Selbst wenn die Betriebszugehörigkeit des Klägers bei der Fa. D. GmbH seit 08.06.2009 mit der Beschäftigungszeit bei dem Beklagten seit 01.02.2012 zusammenzurechnen sein sollte, hätte das Arbeitsverhältnis gerade einmal vier Jahre bestanden. Entgegen der Ansicht der Berufung hat der Kläger in diesen vier Jahren keinen „Vorrat an Vertrauen“ erarbeitet, der iSd. von ihm zitierten „Emmely“-Entscheidung des BAG (10.06.2010 – 2 AZR 541/09 – AP BGB § 626 Nr. 229) durch den Vorfall nicht vollständig aufgezehrt worden wäre. Das Arbeitsverhältnis der Parteien war durch die Drohung, Geschäftsunterlagen insb. an die Medien (Presse, Fernsehen, Rundfunk) zu versenden, falls man ihm kündigen sollte, unerträglich belastet. Durch seine Drohung zerstörte der Kläger das Vertrauen in seine Loyalität. Die Belange des Beklagten werden durch die kurze Dauer der Betriebszugehörigkeit von vier Jahren und das Lebensalter des Klägers von 53 Jahren (im Kündigungszeitpunkt) nicht aufgewogen.

Entgegen der Ansicht der Berufung hat sich der Kläger im Gespräch vom 22.02.2013 in keiner „Ausnahme- oder Notsituation“ befunden, die zu seinen Gunsten zu berücksichtigen wäre. Der Kläger hat mit offenbar wohldurchdachter Strategie Geschäftsunterlagen des Beklagten gesammelt und zu sich nach Hause geschafft. Das Gespräch mit den drei Vorstandsmitgliedern des Beklagten am 22.02.2013 fand auf seine Initiative statt. Es spricht nichts dafür, dass der Kläger erst im Gespräch mit dem Vorstand, die – nach seinem Vortrag – falsche Behauptung, er habe die Geschäftsunterlagen des Beklagten in frankierten Umschlägen in einer Rechtsanwaltskanzlei hinterlegt, damit sie von dort auf sein Zurufen an die genannten Stellen versandt werden können, spontan frei erfunden hat. Auch die Drohung, die Unterlagen an das Finanzamt, die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin, die Staatsanwaltschaft, die Presse, das Fernsehen, den Rundfunk, den Bundesverband und den Bezirksverband der AWO sowie an den Vorsitzenden der CDU-Stadtratsfraktion zu versenden, lässt sich nicht mit einer „Ausnahmesituation“ entschuldigen. Schon die durchdachte Auswahl des angesprochenen Empfängerkreises spricht nicht für einen schuldausschließenden Affekt, der aus Angst um den Arbeitsplatz eingetreten sein könnte. Nach alledem überwiegt auch aus Sicht der Berufungskammer das Interesse des Beklagten nur mit solchen Arbeitnehmern zusammenzuarbeiten, die ihm nicht damit drohen, Geschäftsunterlagen der Öffentlichkeit zu präsentieren, dem Interesse des Klägers an einer Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.

2. Da die ordentliche Kündigung des Beklagten vom 25.04.2013 das Arbeitsverhältnis zum 31.05.2013 beendet hat, ist der Beklagte nicht nach § 615 BGB verpflichtet, dem Kläger Vergütung für die Monate von Juni bis Oktober 2013 als Annahmeverzugslohn zu zahlen.

III.

Die Kosten der Berufung hat der Kläger zu tragen, weil sein Rechtsmittel erfolglos geblieben ist, § 97 Abs. 1 ZPO. Soweit die Parteien über die Leistungsgratifikation für das Jahr 2012 in der mündlichen Verhandlung einen Teilvergleich geschlossen haben, folgt die Kostenentscheidung aus § 92 Abs. 1 Nr. 1 ZPO.

Ein Grund, der nach den hierfür maßgeblichen gesetzlichen Kriterien des § 72 Abs. 2 ArbGG die Zulassung der Revision rechtfertigen könnte, besteht nicht.

 

 

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