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Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin in Kenntnis der Schwangerschaft

LAG Berlin-Brandenburg, Az.: 23 Sa 1045/15, Urteil vom 16.09.2015

I. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.05.2015 – 28 Ca 18485/14 – wird zurückgewiesen.

II. Die Widerklage wird abgewiesen.

III. Der Beklagte hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.

IV. Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten noch um eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG im Hinblick auf eine Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Kündigung einer schwangeren Arbeitnehmerin in Kenntnis der Schwangerschaft
Symbolfoto: Von Freeograph /Shutterstock.com

Die Klägerin war aufgrund Arbeitsvertrages vom 29. April 2014 seit dem 28. April 2014 als Rechtsanwaltsfachangestellte bei dem Beklagten in dessen Rechtsanwalts- und Notarkanzlei beschäftigt im Umfang von 30 Stunden pro Woche bei einer Vergütung von 1.175,– € brutto monatlich. Eine Probezeit von sechs Monaten war zwischen den Parteien vereinbart.

Die Klägerin war bei oder kurz nach Beginn des Arbeitsverhältnisses schwanger. Die Schwangerschaft wurde am 28. Mai 2014 unter Angabe des errechneten voraussichtlichen Entbindungstermins am 25. Januar 2015 im Mutterpass ärztlich festgestellt.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis der Klägerin in Unkenntnis der Schwangerschaft innerhalb der Probezeit mit Schreiben vom 11. Juni 2014, der Klägerin am 12. Juni 2014  zugegangen. Daraufhin teilte die Klägerin dem Beklagten mit Schreiben vom 19. Juni 2014, am 20. Juni 2014 zugegangen, ihre Schwangerschaft mit und legte den Mutterpass in Kopie vor. Sie führte ein Kündigungsschutzverfahren gegen den Beklagten hinsichtlich der Kündigung vom 11. Juni 2014, in dem sie mit rechtskräftigem Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 8. August 2014 – Az. 28 Ca 9310/14 – rechtskräftig obsiegte. Nach der Kündigung vom 11. Juni 2014 arbeitete die Klägerin nicht mehr bei dem Beklagten, ab dem 1. Juli 2014 bestand ein ärztliches individuelles Beschäftigungsverbot in der Schwangerschaft bis zum 13. Dezember 2014 (Samstag), von dem der Beklagte Kenntnis hatte.

Der Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis außerordentlich, ohne die Zustimmung des zuständigen Landesamtes für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit eingeholt zu haben, mit Schreiben vom 18. Dezember 2014, der Klägerin am 19. Dezember 2014 zugegangen, unter Hinweis darauf, dass die Klägerin seit dem Ende des ärztlichen Beschäftigungsverbots bis zum 13. Dezember 2014 unentschuldigt fehle.

Die Klägerin wies den Beklagten mit Schreiben vom 16. Dezember 2014, am 19. Dezember 2014 dem Beklagten zugegangen, auf das Bestehen des gesetzlichen Beschäftigungsverbots hin. Gegen die Kündigung vom 18. Dezember 2014 wandte sie sich mit Kündigungsschutzklage vom 22. Dezember 2014, bei Gericht am 23. Dezember 2014 eingegangen und dem Beklagten am 5. Januar 2015 zugestellt. Sie begehrte weiter in demselben Verfahren mit Klageerweiterung vom 26. Januar 2015, bei Gericht eingegangen am 27. Januar 2015 und dem Beklagten zugestellt am 30. Januar 2015, eine Entschädigung in Höhe von mindestens 1.500,– € im Hinblick auf eine Diskriminierung wegen des Geschlechts.

Die Klägerin hat ausgeführt, dem Beklagten seien aufgrund des die Kündigung vom 11. Juni 2014 betreffenden Kündigungsschutzverfahrens ihre Schwangerschaft und aufgrund des in Kopie vorgelegten Mutterpasses der errechnete Entbindungstermin am 25. Januar 2015 bekannt gewesen. Als Arbeitgeber und erst recht als Jurist habe der Beklagte Kenntnis von den gesetzlichen Mutterschutzfristen und dem gesetzlichen Beschäftigungsverbot sechs Wochen vor dem Entbindungstermin haben müssen. Die Klägerin sei als schwangere Arbeitnehmerin gem. § 5 MuSchG ausschließlich zur Mitteilung ihrer Schwangerschaft und des errechneten Entbindungstermins verpflichtet gewesen, während sich der Beginn der gesetzlichen Schutzfristen und Beschäftigungsverbote unmittelbar aus dem Mutterschutzgesetz ergebe. Die Umstände legten nahe, dass der Beklagte jedenfalls auch wegen der bestehenden Schwangerschaft gekündigt habe. Darin liege eine unmittelbare Diskriminierung der Klägerin wegen ihres Geschlechts.

Die Klägerin hat erstinstanzlich beantragt,

1. festzustellen, dass die Kündigung des Beklagten im Schreiben vom 18. Dezember 2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht beendet hat;

2. den Beklagten zu verurteilen, ihr eine der Höhe nach ins Ermessen des Gerichts gestellte Entschädigung, die 1.500,– Euro nicht unterschreiten sollte, nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz ab Zustellung der Klageerweiterungsschrift zu zahlen.

Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.

Er hat sich darauf gestützt, er sei bei der Kündigung vom 18. Dezember 2014 berechtigterweise von einer Beendigung der Schwangerschaft ausgegangen, weil die Klägerin ihm nach dem Ende des individuellen Beschäftigungsverbotes bis zum 13. Dezember 2014 nicht mitgeteilt habe, dass sie sich im Mutterschutz bzw. gesetzlichen Beschäftigungsverbot befinde. Da eine Mitteilung über den Beginn des gesetzlichen Beschäftigungsverbotes nicht rechtzeitig erfolgt sei, habe der Beklagte von der Beendigung der Schwangerschaft ausgehen müssen.

Das Arbeitsgericht hat rechtskräftig festgestellt, dass die Kündigung vom 18. Dezember 2014 das Arbeitsverhältnis der Parteien wegen Verstoßes gegen § 9 MuSchG nicht aufgelöst hat. Hinsichtlich der Entschädigung hat es der Klage im Umfang von 1.500,– € nebst Zinsen stattgegeben mit der Begründung, der Anspruch auf Entschädigung ergebe sich aus § 611 BGB und § 15 Abs. 2 AGG. Eine Kündigung während der Schwangerschaft ohne behördliche Genehmigung und in Kenntnis der Schwangerschaft indiziere die Benachteiligung wegen des Geschlechts gem. §§ 7, 3,1 AGG. Dies gelte erst recht, wenn der Arbeitgeber mit der Fortdauer des besonderen Kündigungsschutzes für schwangere Arbeitnehmerinnen rechnen musste. Vorliegend habe der Beklagte positive Kenntnis vom Bestehen der Schwangerschaft und vom errechneten Entbindungstermin am 25. Januar 2015 gehabt. Anhaltspunkte für berechtigte Zweifel des Beklagten am Fortbestehen der Schwangerschaft seien nicht ersichtlich. Im Falle solcher Zweifel hätte der Beklagte nachfragen müssen. Der Höhe nach sei eine Entschädigung von 1.500,– € angemessen.

Die Klägerin forderte den Beklagten nach Erlass des Urteils des Arbeitsgerichts zur Zahlung des titulierten Entschädigungsbetrages auf, den der Beklagte zur Vermeidung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen leistete.

Gegen das dem Beklagten am 18. Mai 2015 zugestellte Urteil des Arbeitsgerichts Berlin wendet er sich hinsichtlich der Zahlung einer Entschädigung mit der am 17. Juni 2015 bei Gericht eingegangenen Berufungsschrift, die er mit einem am 6. Juli 2015 beim Landesarbeitsgericht eingegangenen Schriftsatz begründet hat. Zugleich verlangt er mit der Widerklage die Rückzahlung des zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung gezahlten Betrages.

Der Beklagte führt aus, die Klägerin habe keine Indizien für eine geschlechtsspezifische Benachteiligung benannt. Da der Beklagte bei der ersten Kündigung während der Probezeit im Juni 2014 keine Kenntnis vom Bestehen der Schwangerschaft gehabt habe, sei damit gleichzeitig der Beweis verbunden, dass die Schwangerschaft nicht der Grund der weiteren Kündigung vom 18. Dezember 2014 gewesen sei, sondern allein das Beendigungsinteresse des Beklagten hinsichtlich des Arbeitsverhältnisses maßgeblich gewesen sei. Ein etwaiges Indiz für eine Benachteiligung und eine entsprechende Vermutung seien widerlegt, da der Beklagte bereits in der Probezeit und in Unkenntnis der Schwangerschaft habe kündigen wollen. Eine besondere Rücksichtslosigkeit seinerseits sei nicht ersichtlich. Der Beklagte beschäftige regelmäßig und gern schwangere Arbeitnehmerinnen sowie Arbeitnehmerinnen mit Kindern und habe selbst drei Kinder. Auch dadurch sei eine etwa indizierte Vermutung der Benachteiligung widerlegt. Die Klägerin hätte ihre Arbeit nach dem Ende des individuellen Beschäftigungsverbotes bis zum 13. Dezember 2014 am 15. Dezember 2014 (Montag) wieder aufnehmen müssen, da das gesetzliche Beschäftigungsverbot nach dem eigenen Vortrag der Klägerin im erstinstanzlichen hiesigen Verfahren erst am 16. Dezember 2014 begonnen habe. Das unentschuldigte Fehlen der Klägerin am 15. Dezember 2014 sei alleiniger Kündigungsgrund und nicht die bei der Klägerin bestehende Schwangerschaft. Über das Bestehen des gesetzlichen Beschäftigungsverbotes habe die Klägerin den Beklagten erst mit dem ihm am 19. Dezember 2014 zugegangenen Schreiben aufgeklärt, nachdem er die Kündigung in Unkenntnis der noch fortbestehenden Schwangerschaft bereits versandt hatte. Zuvor habe er mehrfach vergeblich versucht, die Klägerin telefonisch zu erreichen. In einen weiteren Kündigungsschutzprozess habe er die Klägerin nicht gedrängt, da bei fortbestehender Schwangerschaft die Kündigung vom 18. Dezember 2014 per se auch ohne Klageerhebung unwirksam gewesen sei.

Der Beklagte beantragt, das Urteil des Arbeitsgerichts Berlin vom 08.05.2015 zum Aktenzeichen 28 Ca 18485/14 abzuändern und zum Urteilstenor II. die Klage abzuweisen.

Widerklagend beantragt er, die Berufungsbeklagte zu verurteilen, an den Berufungskläger 1.500,00 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über den Basiszinssatz seit dem 31.01.2015 zu zahlen.

Die Klägerin beantragt, die Berufung zurückzuweisen und die Widerklage abzuweisen.

Sie geht davon aus, dass der Beklagte ab dem 20. Juni 2014 Kenntnis von ihrer Schwangerschaft und dem errechneten Entbindungstermin am 25. Januar 2015 hatte. Den Beginn des gesetzlichen Beschäftigungsverbotes am 14. Dezember 2014 sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin habe der Beklagte aufgrund der gesetzlichen Regelung in § 3 Abs. 2 MuSchG eigenständig ermitteln können und müssen. Für den Fall, dass der Beklagte bei der Kündigungserklärung unsicher über das Fortbestehen der Schwangerschaft gewesen sein sollte, verstärke dies den Anspruch der Klägerin auf eine Entschädigung, da der Beklagte ggf. die Verletzung der Regelungen des Mutterschutzgesetzes über das Kündigungsverbot während der Schwangerschaft in Kauf genommen habe. Ein Entschädigungsanspruch gem. § 15 Abs. 2 AGG bestehe bei diskriminierendem Verhalten dann, wenn eine besondere Belastung mit dem Verhalten einhergehe. Vorliegend sei die Klägerin im Hinblick auf § 7 KSchG gehalten gewesen, ein weiteres Kündigungsschutzverfahren gegen Ende ihrer Schwangerschaft zu führen und sei dadurch besonders belastet worden.

Hinsichtlich des weiteren Vorbringens der Parteien in der Berufungsinstanz wird auf die Berufungsbegründungsschrift vom 6. Juli 2015 (Bl. 129 ff. d. A.) und auf den Schriftsatz der Klägerin vom 21. Juli 2015 (Bl. 140 ff. d. A.) Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

I.

Die gem. § 64 Abs. 2 ArbGG statthafte Berufung des Beklagten ist form- und fristgerecht gem. §§ 66 Abs. 1 ArbGG, 519, 520 ZPO eingelegt und begründet worden und ist damit zulässig. Die auf Rückzahlung des zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung geleisteten Betrages gerichtete Widerklage ist gem. § 717 Abs. 2 Satz 2 ZPO zulässig.

II.

Die Berufung des Beklagten hat in der Sache keinen Erfolg. Zu Recht und mit zutreffender Begründung hat das Arbeitsgericht der Klage hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs der Klägerin stattgegeben. Der Klägerin steht ein Anspruch auf Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung in Höhe von 1.500,– € nebst Zinsen zu.

1. Der Klageantrag ist zulässig und insbesondere hinreichend bestimmt im Sinne des § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin durfte die Höhe der von ihr begehrten Entschädigung in das Ermessen des Gerichts stellen. § 15 Abs. 2 Satz 1 AGG räumt dem Gericht bei der Bestimmung der Höhe der Entschädigung einen Beurteilungsspielraum ein, so dass eine Bezifferung des Zahlungsantrages nicht erforderlich ist. Notwendig ist allein, dass die Klägerin Tatsachen, die das Gericht bei der Bestimmung des Betrages heranziehen soll, benennt und die Größenordnung der geltend gemachten Forderung angibt (vgl. BAG, Urteil vom 24.01.2013 – 8 AZR 429/11 – juris Rz. 23). Diese Voraussetzungen sind erfüllt. Die Klägerin hat den Mindestbetrag der angemessenen Entschädigung mit 1.500,– € beziffert und einen Sachverhalt sowie  die Rahmenbedingungen des Arbeitsverhältnisses dargelegt, der dem Gericht die Bestimmung einer Entschädigung ermöglicht.

2.  Die Klage ist hinsichtlich des Entschädigungsanspruchs auch begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf eine Entschädigung, weil sie durch die unter Verstoß gegen § 9 Abs. 1 MuSchG erklärte Kündigung wegen ihres Geschlechts gem. § 15 Abs. 2 AGG i. V. m. §§ 7Abs. 1, 1 und  3 Abs. 2 AGG benachteiligt worden ist. Der Verstoß des Beklagten gegen das Benachteiligungsverbot des § 7 Abs. 1 AGG durch die verbotswidrige Kündigung gegenüber der schwangeren Klägerin lässt eine Benachteiligung wegen des Geschlechts vermuten (§ 22 AGG). Diese Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegen können.

2.1. Der Anwendungsbereich des AGG ist gem. § 6 Abs. 1 Nr. 1 und Abs. 2 Satz 1 AGG eröffnet, da die Parteien als Arbeitnehmerin und Arbeitgeber im Arbeitsverhältnis verbunden sind.

2.2. Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch rechtzeitig gem. § 15 Abs. 4 Satz 1 AGG geltend gemacht und ihre Klage innerhalb der Klageerhebungsfrist des § 61 b Abs. 1 ArbGG erhoben. Gem. § 15 Abs. 4 AGG muss ein Anspruch nach § 15 Abs. 2 AGG innerhalb einer Frist von zwei Monaten schriftlich geltend gemacht werden, gem. § 61 b Abs. 1 ArbGG ist eine Klage auf Entschädigung nach § 15 AGG innerhalb von drei Monaten nach der schriftlichen Geltendmachung zu erheben. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt.

Die Klägerin hat mit Zustellung der Kündigung vom 18. Dezember 2014 am 19. Dezember 2014 von der sie beeinträchtigenden Maßnahme Kenntnis erlangt und innerhalb von zwei Monaten durch die am 27. Januar 2015 bei Gericht eingegangene und dem Beklagten am 30. Januar 2015 zugestellte Klageerweiterung sowohl die Frist für die schriftliche Geltendmachung als auch die Frist für die Klageerhebung gewahrt.

2.3. Die Bestimmung des § 2 Abs. 4 AGG, wonach für Kündigungen ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten, schließt einen Anspruch auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht aus.

Der Wortlaut von § 2 Abs. 4 AGG bestimmt, dass „für Kündigungen“ ausschließlich die Bestimmungen zum allgemeinen und besonderen Kündigungsschutz gelten. Der Wortlaut dieser verabschiedeten Gesetzesfassung geht auf einen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestags zurück (BT-Drucks. 16/2022 S. 6). Der Regierungsentwurf hatte noch vorgesehen, dass für Kündigungen „vorrangig“ die Bestimmungen des Kündigungsschutzgesetzes zu gelten hätten (BT-Drucks. 16/1780 S. 7). Für die Beurteilung von Kündigungen hat dies in der Rechtslehre den Streit ausgelöst, ob § 2 Abs. 4 AGG auch primärrechtswidrig die „Kündigung“ aus dem Anwendungsbereich des AGG ausklammere (zB Däubler/Bertzbach/Däubler AGG 3. Aufl. § 2 Rn. 260, 262 unter Verweis auf EuGH 22. November 2005 – C-144/04 – [Mangold] Slg. 2005, I-9981), oder ob mit der Norm nur ein „doppelter Kündigungsschutz“ vermieden werden sollte (zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59). Für Kündigungen hat die Rechtsprechung diesen Streit dahin gehend aufgelöst, dass die Diskriminierungsverbote des AGG einschließlich der im Gesetz vorgesehenen Rechtfertigungen für unterschiedliche Behandlungen bei der Auslegung der unbestimmten Rechtsbegriffe des Kündigungsschutzgesetzes in der Weise zu beachten sind, als sie Konkretisierungen des Sozialwidrigkeitsbegriffs darstellen. Verstößt eine ordentliche Kündigung gegen Benachteiligungsverbote des AGG, so kann dies zur Sozialwidrigkeit der Kündigung nach § 1 KSchG führen (vgl. BAG 6. November 2008 – 2 AZR 523/07 – BAGE 128, 238; 22. Oktober 2009 – 8 AZR 642/08 – Rn. 15; 5. November 2009 – 2 AZR 676/08).

Ungeachtet der Unwirksamkeit einer diskriminierenden Kündigung sperrt § 2 Abs. 4 AGG weitergehende Ansprüche auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG nicht. Ansprüche nach § 15 Abs. 2 AGG auf Entschädigung wegen Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, auch im Fall einer sozial nicht gerechtfertigten, diskriminierenden Kündigung grundsätzlich zuzulassen, ist nicht systemwidrig. Auch bisher waren etwa auf § 823 Abs. 1 BGB gestützte Entschädigungen für erlittene immaterielle Schäden bei der Geltendmachung einer Persönlichkeitsrechtsverletzung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer unwirksamen Kündigung nicht ausgeschlossen (vgl. BAG 24. April 2008 – 8 AZR 347/07 – AP BGB § 611 Haftung des Arbeitnehmers Nr. 42 = EzA BGB 2002 § 611 Persönlichkeitsrecht Nr. 8; 22. Oktober 2009 – 8 AZR 642/08 – Rn. 15 f.; 28. April 2011 – 8 AZR 515/10 – Rn. 20). Dies wird auch von der überwiegenden Meinung in der Rechtslehre so gesehen (zB KR/Treber 10. Aufl. § 2 AGG Rn. 27; Stein in Wendeling-Schröder/Stein AGG § 2 Rn. 50; Meinel/Heyn/Herms AGG § 2 Rn. 66 und § 15 Rn. 55; Schleusener/Suckow/Voigt/Schleusener 3. Aufl. § 2 Rn. 30; ebenso – im Hinblick auf das unionsrechtliche Sanktionsgebot in der Form eines Schadensausgleichs – Jacobs RdA 2009, 193, 196 und Stoffels RdA 2009, 204; aA zB Bauer/Göpfert/Krieger AGG 2. Aufl. § 2 Rn. 59; Sagan NZA 2006, 1257). Dabei ist zu berücksichtigen, dass erklärte Kündigungen oft Bezüge zu den Anknüpfungsmerkmalen des AGG aufweisen. Im Normalfall wird eine ungerechtfertigte Belastung durch die Überprüfung der Kündigung anhand der Bestimmungen des allgemeinen und des besonderen Kündigungsschutzes ausgeräumt. Eine merkmalsbezogene Belastung im Zusammenhang mit dem Ausspruch einer Kündigung führt jedenfalls dann zu einem Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG, wenn die Belastung – wie bei einer schwerwiegenden Persönlichkeitsrechtsverletzung – über das Normalmaß hinausgeht. (BAG, Urteil vom 12. Dezember 2013 – 8 AZR 838/12 –, BAGE 147, 50-59, Rn.  18,19).

2.4. Durch die Kündigung hat die Klägerin eine weniger günstige Behandlung erfahren als die übrigen vergleichbaren Arbeitnehmer des Beklagten, denen nicht gekündigt wurde. Die Klägerin hat eine unmittelbare Benachteiligung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 AGG wegen ihres Geschlechts als einem der in § 1 AGG genannten, verbotenen Merkmale erfahren, weil sie als Frau wegen ihrer Schwangerschaft ungünstiger behandelt worden ist (§ 3 Abs. 1 Satz 2 AGG). Eine Kündigung gegenüber einer schwangeren Arbeitnehmerin unter Verstoß  gegen das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG erfüllt regelmäßig die Voraussetzungen des Verstoßes gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 AGG.

Der Kausalzusammenhang zwischen benachteiligender Behandlung und dem Merkmal Schwangerschaft/Geschlecht ist bereits dann gegeben, wenn die Benachteiligung an die Schwangerschaft anknüpft oder durch diese motiviert ist. Dabei ist es nicht erforderlich, dass der betreffende Grund, die Schwangerschaft, das ausschließlich Motiv für das Handeln ist. Ausreichend ist vielmehr, dass das Merkmal Bestandteil eines Motivbündels ist, welches die Entscheidung beeinflusst hat. Auf ein schuldhaftes Handeln oder gar eine Benachteiligungsabsicht kommt es dabei nicht an. Die Schwangerschaft muss nicht vorherrschender Beweggrund, Hauptmotiv oder „Triebfeder“ des Verhaltens sein, sondern eine bloße Mitursächlichkeit genügt (vgl. BAG, Urteil vom 12.12.2013 – 8 AZR 838/12 – juris Rz. 22; BAG, Urteil vom 16.02.2012 – 8 AZR 697/10 – juris Rz. 42).

Vom Vorliegen eines immateriellen Schadens im Sinne des § 15 Abs. 2 AGG ist auszugehen, wenn ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot feststeht. Nach der Wertung des Gesetzgebers stellen Benachteiligungen wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale regelmäßig eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts dar. Die Sanktion des § 15 Abs. 2 AGG soll im Kern gerade vor solchen Persönlichkeitsrechtsverletzungen schützen. Die im diskriminierenden Verhalten liegende Persönlichkeitsrechtsverletzung soll als solche unabhängig von der Frage sanktioniert werden, ob nach einer unwirksamen Kündigung das Arbeitsverhältnis fortbesteht und fortgesetzt wird (vgl. BAG, Urteil vom 19.12.2013 – 6 AZR 190/12 – Rz. 37, 38).

2.5. Vorliegend besteht die Vermutung einer Kausalität zwischen der Schwangerschaft der Klägerin und dem Kündigungsverhalten des Beklagten (§ 22 AGG).

Die Kündigung vom 18. Dezember 2014 ist der Klägerin während ihrer bestehenden Schwangerschaft zugegangen und hat damit objektiv gegen das Verbot der Kündigung während der Schwangerschaft gem.§ 9 Abs. 1 Satz 1 MuSchG verstoßen. Dem Beklagten als Arbeitgeber war zum Zeitpunkt der Kündigung die Schwangerschaft der Klägerin bekannt. Die Missachtung der besonderen Schutzvorschriften des Mutterschutzgesetzes zu Gunsten der werdenden Mutter bei Erklärung einer Kündigung indiziert eine Benachteiligung der Klägerin wegen ihrer Schwangerschaft und damit wegen ihres Geschlechts gem. § 3 Abs. 1 Satz 2 AGG i. V. m. § 1 AGG. Aufgrund dieses Indizes besteht gem. § 22 AGG die Vermutung der Benachteiligung wegen des Geschlechts.

2.6. Diese Vermutung hat der Beklagte nicht widerlegen können. Insbesondere sind seine Ausführungen zum Bestehen einer Annahme, die Schwangerschaft der Klägerin müsse bereits geendet haben, ohne jeden tatsächlichen Anhaltspunkt ins Blaue hinein erfolgt und nicht nachvollziehbar.

Der Beklagte war aufgrund des ihm vorliegenden Mutterpasses sowie aufgrund des vorausgegangenen Kündigungsschutzverfahrens betreffend die erste Kündigung vom 11. Juni 2014 darüber informiert, dass die Klägerin schwanger war und der errechnete Entbindungstermin der 25. Januar 2015 war. Der Beklagte war weiter über das individuelle Beschäftigungsverbot der Klägerin gem. § 3 Abs. 1 MuSchG bis zum 13. Dezember 2014 informiert. Eine etwa entsprechend seinen Ausführungen tatsächlich bestehende Unkenntnis von den gesetzlichen Regelungen über das gesetzliche Beschäftigungsverbot gem.§ 3 Abs. 2 MuSchG während der letzten sechs Wochen der Schwangerschaft kann der Beklagte nicht zu seinen Gunsten verwenden.

Die Dauer und Berechnung der gesetzlichen Schutzfrist, während der ein Beschäftigungsverbot besteht, ist ohne weiteres dem Gesetz in § 3 Abs. 2 MuSchG zu entnehmen. Einer zusätzlichen Information durch die schwangere Arbeitnehmerin bedarf es nicht. Gem. § 5 MuSchG ist eine schwangere Arbeitnehmerin zwar verpflichtet, über das Bestehen einer Schwangerschaft und über den voraussichtlichen Entbindungstermin zu informieren. Weitere Informationspflichten bestehen dagegen nicht. Die Berechnung des gesetzlichen Beschäftigungsverbots ergibt sich aus § 3 Abs. 2 MuSchG und war dem Beklagten ohne weiteres möglich. Der 14. Dezember 2014 war der sechs Wochen vor dem errechneten Entbindungstermin liegende Tag, an dem das gesetzliche Beschäftigungsverbot gem. § 3 Abs. 2 MuSchG begann. Aufgrund welcher Berechnungen, sofern solche angestellt wurden, der Beklagte zu einem späteren Beginn des gesetzlichen Beschäftigungsverbotes hätte gelangen können, ist weder ersichtlich noch vorgetragen. Aufgrund welcher Anhaltspunkte der Beklagte die Vorstellung entwickeln konnte, die Schwangerschaft der Klägerin „müsse“ bereits vorzeitig beendet worden sein, ist nicht ersichtlich. Soweit der Beklagte ohne nähere Angabe ausgeführt hat, er habe mehrfach vergeblich versucht, die Klägerin telefonisch zu erreichen, erschließt sich nicht, welche Mitteilung er gegenüber der Klägerin beabsichtigt hatte oder welche Erklärung der Klägerin er zu erhalten wünschte. Da die Klägerin ihm eine etwaige vorzeitige Beendigung des ärztlich angeordneten individuellen Beschäftigungsverbots gem. § 3 Abs. 1 MuSchG oder ein vorzeitiges Ende der Schwangerschaft durch eine Fehlgeburt nicht mitgeteilt hatte, gab es keine Veranlassung für den Beklagten anzunehmen, die ihm gegenüber ordnungsgemäß angezeigte Schwangerschaft der Klägerin bestehe nicht mehr fort.

Der Beklagte hat daher in Kenntnis der Schwangerschaft, in Kenntnis der gesetzlichen Voraussetzungen für eine wirksame Kündigung während der Schwangerschaft nur mit behördlicher Zustimmung und in Kenntnis des zeitlich nicht mehr fernliegenden errechneten Entbindungstermins gekündigt. Der von ihm herangezogene Kündigungsgrund, die Klägerin fehle unentschuldigt ab dem ersten Tag des gesetzlichen Beschäftigungsverbotes, war offensichtlich nicht gegeben.

Soweit der Beklagte meint, die Vermutungswirkung des § 22 AGG sei dadurch entkräftet, dass er bei der ersten Kündigung vom 11. Juni 2014 ohne Kenntnis von der Schwangerschaft  der Klägerin eine „normale“ Probezeitkündigung beabsichtigt hatte, ist dies nicht nachvollziehbar. Die Klägerin hat nicht im Hinblick auf die erste Kündigung vom 11. Juni 2014 eine Entschädigung gem. § 15 Abs. 2 AGG beansprucht, sondern im Hinblick auf die zweite Kündigung vom 18. Dezember 2014, die in Kenntnis der Schwangerschaft und des Kündigungsverbotes erklärt worden war. Auch der Einwand des Beklagten, eine Beeinträchtigung der Kläger habe nicht vorgelegen, weil die weitere Kündigung vom 18.12.2014 während der Schwangerschaft „per se“ unwirksam gewesen sei und von der Klägerin nicht gerichtlich hätte angegriffen werden müssen, ist offensichtlich unzutreffend. Aufgrund der Fiktionswirkung des § 7 KSchG und der 3-wöchigen Klageerhebungsfrist des § 4 KSchG, die sich auf sämtliche Kündigungen und Kündigungsgründe erstrecken, musste die Klägerin sich gerichtlich gegen die weitere Kündigung zur Wehr setzen, um ihre Rechte zu wahren.

Soweit der Beklagte darauf hinweist, er sei selbst Vater mehrerer Kinder und beschäftige gern Arbeitnehmerinnen mit Kindern sowie schwangere Arbeitnehmerinnen, nimmt das Gericht dies zur Kenntnis. Im Falle der Klägerin ist diese positive Einstellung des Beklagten jedoch nicht erkennbar gewesen und führt insbesondere nicht zur Widerlegung der Vermutung gem. § 22 AGG.

2.7. Der Höhe nach ist die vom Arbeitsgericht zuerkannte Entschädigung im Umfang von 1.500,– € nebst Zinsen nicht zu beanstanden. Der Beklagte hat sich in der Berufung nicht gegen die Höhe der Entschädigung gewandt. Die Kammer hält eine Entschädigung im Umfang von 1.500,– € im vorliegenden Fall nicht für unangemessen hoch.

2.8. Der Zinsanspruch der Klägerin folgt aus § 291 BGB (Prozesszinsen) i.V.m. §§ 288Abs. 1, 247 BGB..

3. Die Widerklage des Beklagten war abzuweisen, da die Voraussetzungen des § 717 Abs. 2 ZPO nicht vorlagen. Das vorläufig vollstreckbare Urteil des Arbeitsgerichts Berlin ist weder aufgehoben noch abgeändert worden, so dass die Klägerin dem Beklagten auch nicht zum Schadensersatz hinsichtlich des zur Abwendung der Vollstreckung geleisteten Betrages verpflichtet ist.

III.

Der Beklagte hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels zu tragen.

IV.

Die Revision war nicht zuzulassen, da keiner der Zulassungsgründe des § 72 Abs. 2 ArbGG vorlag. Insbesondere handelt es sich um eine am Einzelfall orientierte Entscheidung ohne grundsätzliche rechtliche Bedeutung. Die Kammer ist der obergerichtlichen Rechtsprechung gefolgt, ohne dass eine Divergenz zu anderen obergerichtlichen Entscheidungen ersichtlich wäre.

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